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Die Crew bricht die Spartentrennung nicht nur im Programmheft auf: Würde sie eine Sportstätte betreiben, gäbe es sicher einen Hybrid aus Fuß- und Handball. Das jedenfalls entspräche der Haltung. Das Leitbild, so sortiert ist es dann doch, baut sich aus vier großen Teilen zusammen: Was ist unser Verhältnis zur Natur? Kommunikation und miteinander. Queerness als Einladung. Erinnerungspolitik. Dazu gibt es dann Schauspiel und Tanz, Musiktheater und Oper, Musical und Junges Theater, Performantes und reichlich Partizipatives.
Den Symphonic Mob etwa, ein Spontanorchester, den Workshop Time to Share Movements, den Urban Dance Club, das Swarm Lab, den No Limits Dance Club, die Open Mondays, die Reihe Unser Plan zur Rettung der Welt (der bisherige Werkraum des Jungen Theaters nennt sich fortan Weltraum), die Phil.On.Tour des Philharmonischen Orchesters, die Pop-upOpern, die an verschiedenen Orten der Stadt zur Aufführung kommen.
Impressionen vom ersten öffentlichen Auftritt des neuen Theater-Teams: (v.l.n.r.) Wasserwesen Matthieu Svetchine, Shirin Saber mit Tessa Beecken und André de Ridder, Felix Rothenhäusler mit Katrina Mäntele, Franz-Erdmann Meyer-Herder mit Lena Reißner, Adriana Almeida Pees mit Mikro –und flammende Herzen.

Dazu viele Kooperationen – auch die könnten zum Leitbild zählen –, nicht nur mit dem NS-Dokumentationszentrum oder dem Verein Südwind. 30 Premieren bekommt das Publikum serviert, 9 Tanzgastspiele, 14 Uraufführungen, eine europäische Erstaufführung, 8 Sinfoniekonzerte – André de Ridder ist weiter mit an Bord. Neue Schauspieldramaturgin ist Katrina Mäntele, neue Hausregisseurin Lena Reißner.
„Nichts lebt für sich allein, alles ist Symbiose“, sagt Rothenhäusler. Wie in der Natur, so ist auch die Kunst ein verletzliches Ökosystem. Ist nicht selbstverständlich. Kann aussterben. „Seit Sonntag leben wir auf Pump“, sagt der neue Intendant und meinte damit den Erdüberlastungstag. Rothenhäusler und Crew fragen sich, was das mit ihnen, den Zuschauern, dem Theater, der Kunst macht. Die erste Spielzeit wird auch das diskutieren. Nicht mit düsterem Gestus, sondern mit fantastischen Utopien und sprechenden Einhörnern.


Fotos: © Britt Schilling
„Dornröschen mitgebracht“
KOLLEKTIV „KELLERKINDER“ WILL FREIBURGS COMEDY-SZENE WACHKÜSSEN
Fünf Freiburger bringen seit einem Jahr die Comedy-Szene in Freiburg in Schwung. Als „Kellerkinder Comedy“ bieten sie Open Mics an – und wollen eine Szene aufbauen. Warum es so etwas hier jahrelang nicht gab, gibt ihnen Rätsel auf.
Ob die „Kellerkinder“ Dornröschen wachgeküsst haben? „Ich glaube, es gab nie ein Dornröschen, das geschlafen hat. Wir haben es erst mitgebracht“, sagt Florian Silberzahn. Der 29-Jährige redet von der Comedy-Szene in Freiburg – und speziell von offenen Bühnen für jeden.

Rocken auch die Freiburger Mensabar: Die Events der „Kellerkinder“ um Ansgar Hufnagel (rechts) und Florian Silberzahn (links) kommen an.
Gemeinsam mit Ansgar Hufnagel, Gregor Biberacher, Benno Brockmann, Sven Mägdefessel und Joachim Breitner möchten sie etwas aufbauen wie in Stuttgart. „Da hast du jede Woche ein, zwei, drei Open Mics“, schwärmt Ansgar Hufnagel. Der Moderator, Kleinkünstler und Veranstalter hatte die Idee schon länger im Kopf und „Kellerkinder“ angestoßen. Seit März 2024 bietet das Quintett zweimal im Monat ein Open Mic an. Der Nachwuchs kann dort ungezwungen auf die Bühne, sich ausprobieren, Texte testen.
„Das sind sogenannte Tryouts“, erklärt Hufnagel. Bei Open Mics erarbeite man
sich seine ersten zehn Minuten, von denen man sagt: „Die sind wirklich rund.“ Ideen werden verworfen, überarbeitet, ausgebaut. Bühnen bietet das Kollektiv jeden ersten Freitag des Monats im Harmoniekeller und jeden dritten Donnerstag in „Die Friedrich“. Für Hufnagel kommt das an: „Wir haben einen harten Kern, der Feuer gefangen hat, die sind regelmäßig da.“ Alter: meist zwischen 25 und 35 Jahren. 50 bis 60 Personen kommen pro Event im Schnitt, berichtet Hufnagel. „Eine stabile Crowd.“
In den vergangenen Jahren gab es hier für ihn „so gut wie gar kein Comedy-Angebot“. Warum, ist ihm ein Rätsel. Einmal im Jahr steigt die Nightwash im Vorderhaus, zwei bis drei Mal im Jahr die Comedy Night von Julian Limberger. Auch er nimmt einen Trend wahr: „Es gibt in den letzten Jahren immer mehr Comedy-Shows in ganz Deutschland.“ Seine Events seien seit Jahren ausverkauft. Dort treten jedoch gestandene und hauptberufliche Comedians auf. Das neue Format begrüßt er daher: „Ich finde es super, dass es jetzt auch ein Open Mic gibt. So geht jede Comedy-Karriere los.“
Neben den Open Mics bietet Ansgar Hufnagel mit Florian Silberzahn auch das große Format „Comedy Flex“ an. Dort laden sie seit November 2023 mehrmals im Jahr gestandene Acts ein für Stand-up-Comedy. „Es wäre schön, in Südbaden eine feste Instanz zu werden für moderne Stand-up-Comedy-Shows“, sagt Hufnagel. Ihre Open Mics probieren sie daher auch in Bad Krozingen, Offenburg und Eschbach aus. Zudem gibt es in Freiburg die „Comedy Factory“ für englischsprachige Comedians.
Für Hufnagel ist klar: „Da ist gerade richtig Bewegung drinnen.“ Für Silberzahn ist die wachsende Szene eine Pflanze, die man gießen muss: „Die Gießkanne haben wir in der Hand.“ Das Ziel für die kommenden Jahre: „Einmal die Woche sagen zu können: Hey, in Freiburg ist Comedy.“
Foto: © Kellerkinder Comedy
von Till Neumann
Lebende Wände
43 FILME AN 6 TAGEN BEIM FREIBURGER FILMFORUM
von Erika Weisser
Vom 27. Mai bis 1. Juni sind alle Räume des Kommunalen Kinos für das Freiburger Filmforum reserviert. Für die 21. Edition dieses besonderen Festivals, das „keinen roten Teppich braucht“, wie Mike Schlömer sagt. Das im November 1985 zum ersten Mal veranstaltete Forum habe sich allein durch seine Qualität zu einem bedeutenden Festival für das Kino des interkulturellen Dialogs in Europa entwickelt. Er selbst ist seit 30 Jahren dabei.
Ein derartiges „Riesenprogramm“ hat es nach Schlömers Auskunft indessen noch nie gegeben. Mit 43 Lang- und Kurzfilmen und den damit zusammenhängenden Panels und Diskussionsrunden seien die Tage so eng getaktet, dass es heuer auch im Hauptprogramm keine Wiederholungsmöglichkeit gebe. Die thematischen Schwerpunkte dieses Hauptprogramms mit vielen, teilweise auch per Zoom zugeschalteten Gästen liegen auf dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine, dem viel weniger beachteten Krieg im Sudan und vieler anderer aggressiver Formen der Zerstörung von Lebensräumen. Wobei nicht die Gewalt als solche gezeigt werde, sondern deren Wirkung auf den Alltag der davon betroffenen Menschen.
angesichts der Fülle der bearbeiteten Themen schwerfallen mag.
Schwergefallen ist die Auswahl auch Hannes Bürkel und seinen sechs Kollegen im Jury-Team der Student’s Platform. Für dieses Format, das seit zehn Jahren zum Filmforum gehört und dafür sorgt, dass „junge Talente und etablierte Filmschaffende zusammenkommen“, wurden „überwältigende“ 508 Kurzfilme aus 77 Ländern eingereicht. 17 Filme zum Thema „Resounding Resistance“ haben es ins Student’s-Programm geschafft – nach 270 Stunden Sichtung mit viel Augenbrennen und einigen inhaltlichen oder filmästhetischen Diskussionen.
Diese Filme „rücken die in einer ständigen gesellschaftlichen Konfliktsituation entstehende Widerstandsfähigkeit in den Fokus und kre-
Filme mit einem „grundtiefen Gespür für Gerechtigkeit“
ieren Räume der Solidarität für gefährdete Menschen“, so Bürkel. Als Beispiel nennt er die Produktion „Losing Ground“ aus Myanmar, dessen Autor wegen der befürchteten politischen Verfolgung anonym bleiben will. Im Koki ist der Film am 29. Mai zu sehen, zusammen mit zwei anderen Filmen in der Student’s Platform 4.



Wer also einen dieser „von einem grundtiefen Gespür für Gerechtigkeit geprägten Filme“ sehen will, sollte sich bald das Programm besorgen und einen der 80 Sitzplätze im Kinosaal sichern. Auch wenn die Auswahl
Danach gibt es nach dem langen Indoors-Tag noch einen Ausflug zu besonderen Orten in der Wiehre, deren Mauern zu „Living Walls“ werden: mit darauf projizierten Kurzfilmen, mit Itshusi Kawases Life-Performances „Word & Sound“ und einigen Überraschungen. INFO
www.freiburger-filmforum.de

Per Zoom zum Gespräch zugeschaltete Gäste teilen die besonderen Film-Blicke des umfangreichen Programms, darunter Lullaby of waves (Indien) oder Love like ours (Myanmar). Am 29. Mai machen Kurzfilme Wiehre-Wände lebendig.




„Bewusstsein erhöhen“
FREIBURGER MUSIKER·INNEN FORDERN RADIO-QUOTE FÜR DEUTSCHE MUSIK
Nur drei Prozent deutschsprachige Songs laufen in deutschen Privatradios. Nur zehn Prozent sind es auf öffentlich-rechtlichen Stationen. Das hat die Gema für 2024 ermittelt. Braucht es also eine Quote wie in Frankreich? Freiburger Musiker·innen sind sich nahezu einig.
Für die Songwriterin Laura Braun hätte eine Quote zwei Vorteile: „Sie würde ein erhöhtes Bewusstsein für deutsche Musikkultur schaffen – und die deutsche Musikszene stärken.“ In ihrer Wahrnehmung gehen Mainstream-Sender den „Weg des geringsten Widerstandes, sie wählen Musik aus, die sich bewährt hat.“ Eine Quote könne sie zwingen, Neues zuzulassen. Mehr Aufmerksamkeit könnte wiederum das Interesse an Konzerten deutschsprachiger Acts steigern. „Die aktuelle Tendenz ist, dass kleinere Acts Schwierigkeiten haben, Tickets zu verkaufen, und internationalen Stars die überteuerten Tickets aus den Händen gerissen werden.“
Auch Rapper und Songwriter Chabezo alias Peter Stöcklin ist für eine
Quote: „Das könnte Sinn machen.“ Er höre zwar kein Radio mehr, die Reichweite sei dennoch groß. Seine Erfahrung mit Radios: „Die Redaktionen spielen oft das, was eh schon funktioniert und pushen selten unbekannte Artists.“ Eine Quote könne helfen, Newcomer Artists und unbekannte Acts zu stärken. Er könne so mehr Geld verdienen und deutschsprachige Musik an Bedeutung gewinnen.
Songwriter Felix Neumann von der HipHop-Band Zweierpasch unterstützt die Forderung nach einer Quote „zu 100 Prozent“. Was in deutschen Radios läuft, sieht er kritisch: „Die Sender stehen unter dem Scheffel der amerikanischen Popkultur.“ Er fordert: „Bei allem Respekt für die großartige Musik, die dort produziert wird, sollte Europa ein globaler Musikplayer sein, der selbst Trends setzt.“ Als Vater zweier Kinder sind deutsche Sender daher kein Thema: „Meinen Kindern möchte ich andere Sachen näherbringen und höre deswegen bewusst keinen der großen deutschen Sender mit ihnen.“ Französische Radios hört der Deutsch-Franzose dafür gerne.
Niklas Bastian, Songwriter aus Freiburg, hält sich als einziger in Sachen Quote bedeckt. „Mir fehlen die Insights.“ Er fordert vor allem Mut
von Till Neumann
von Künstler·innen: „Ich würde mir wünschen, dass Artists, die deutsche Musik machen, sich trauen, die Musik zu machen, die sie machen wollen!“ Seine Überzeugung: „Ehrlichkeit hat am ehesten das Potenzial, großes Momentum für deutschsprachige Musik zu erzeugen.“
Transparenz-Hinweis: Der Autor ist selbst Teil der Band Zweierpasch
INFO
Die Gema-Studie und Frankreich
In einer Langzeitstudie hat die Gema über zwölf Jahre die Programme der Radiosender in Deutschland ausgewertet. Der Report zeigt: Deutschsprachige Lieder werden immer seltener gespielt. Im öffentlich-rechtlichen Radio machten sie 2024 nur 10 Prozent aus. 2023 waren es 16 Prozent. Im privaten Radio waren es 2024 nur 3 Prozent. 2023 waren es 10 Prozent.
Frankreich fördert seit 1994 französischsprachige Musik mit einer Quote: Private Radios müssen mindestens 40 Prozent französischsprachige Musik spielen. Die Hälfte davon müssen Nachwuchsacts und Neuerscheinungen sein. Die Musik darf nicht nachts laufen.
Texten auf Deutsch und finden im Radio kaum Platz: (v.l.) Chabezo, Niklas Bastian, Laura Braun und Felix von der Band Zweierpasch


Für Mama und Millionen
(pid). Bahar Kizil veröffentlicht zum Muttertag einen Song. In der Ballade erzählt die Ex-Monrose-Sängerin die Geschichte eines Kindes, das als Teil einer Gastarbeiterfamilie früh aus der Türkei nach Deutschland kommt. Zahlen spielen eine große Rolle im Text: „Du und deine vier Geschwister / fünf Gastarbeiterkinder / Sechs Matratzen in einem Zimmer / Sieben-Tage-Woche ohne Pause“, heißt es im Pre-Chorus.
Die Freiburger Sängerin feierte mit Monrose europaweite Erfolge. Seit der Auflösung der Band ist sie als Solokünstlerin unterwegs. 2024 startete sie noch mal durch – schon früh klangen persönliche Themen an.
Der Text ist stark und erzählt eine Geschichte, die unter die Haut geht. Der emotionalen Tiefe steht aber ein recht generischer, polierter PopSound gegenüber. Vielleicht ist das aber auch so gedacht. Zwar ist der Text sehr subjektiv und persönlich –doch Millionen Menschen können sich damit identifizieren. So, wie sich auch Millionen mit Pop, sanften, eingängigen Synthies und der klaren Songstruktur identifizieren können.
Die Geschichte ist traurig, aber nie so roh und anklagend, dass es unkomfortabel wird. Die türkischen Zeilen im Refrain und beim Outro verleihen dem Song zusätzlich Tiefe – ganz ohne Bruch.
Saitenweise Gefühl
(pid). Wer hätte gedacht, dass südamerikanische Musik und Ukulele so gut zusammenpassen? CuaTrio hat es sicherlich geahnt. Die drei Musiker·innen haben mit „Necesito“ ihre erste Single veröffentlicht. Alle drei sind in der Freiburger Musikszene keine Unbekannten: Susana Schnell, deutsch-chilenische Sopranistin; Tatán González, bekannt von El Flecha Negra, und Larissa Leaves, ihres Zeichen Ukulele-Artistin.
CuaTrio, das ist auch eine Hommage an die südamerikanische, viersaitige Cuatro. Die steht anfangs mit der Ukulele zusammen im Vordergrund, bevor Susana Schnell mit engelsgleicher Stimme einsetzt. Man wiegt sich im Rhythmus. Dann: Glockenspiel, Mini-Pause und die Percussion setzt ein mit Chor und Drive und allem Drum und Dran.
Die Saiteninstrumente harmonieren. Immer wieder gibt es kleine Fills und Soli, die jazzig, bluesig daherkommen. Der Song ist relativ lang und hat unterschiedliche Phasen. Besonders schön: Der Schluss, bei dem alle drei in einer Art Echorufen miteinander kommunizieren.
Was heißt eigentlich „Necesito“? Ich brauche. Ja, was denn? Mehr davon! Man darf gespannt sein, ob CuaTrio das Niveau hält und trotz der vielen Projekte der Musiker·innen weiter starke Songs abliefert.

… zum Alkohol
Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen, vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet Ralf Welteroth fragwürdige Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.
Vincent Gross ist der neue „Großmeister“ des Saufschlagers, also immer auf die Eins oder besser beziehungsweise schlechter noch „Voll“ auf die Zwölf. Wir sind in Alarmbereitschaft.
„Ich trink Ouzo und was trinkst du so?“ klingt nach Griechischer Wein 3.0 Promille. Udo Jürgens wäre not amused – ebenso wie wir. Der junge Mann hat offensichtlich ein Alkoholproblem. Man kann es bei „Aperol Spritz“ (… Ich trink heut, das ist kein Witz, Aperol, Aperol, Aperol Spritz … und noch einen hinten dran, damit ich schlafen kann …“) oder seinem neuesten Aussetzer „Drinking Wine, feeling fine“ deutlich hören, bei dem er gemeinsame Sache mit Olaf dem Flipper macht – der Pate protegiert den kriminellen Nachwuchs.
Im ZDF-Fernsehgarten, dieser gebührenfinanzierten Rentner-Bespaßungs-Hölle, hat er eine Daueranstellung und darf auf offener Bühne zum kollektiven Alkoholmissbrauch aufrufen. So kommen wir letztlich nicht umhin, uns das Ganze selbst irgendwie schönzutrinken und machen uns deshalb mit einer Flasche Ouzo bewaffnet auf, um den Pegel, ähm natürlich die Ordnung, einigermaßen aufrecht in Schach zu erhlallten …
Betrunken vom Dienst grüßt, Ihre Geschampustpilozei
MEIN PLATZ IST HIER

Italien 2024
Regie: Cristiano Bortone, Daniela Porto
Mit: Ludovica Martino, Marco Leonardi u. a.
Verleih: Arsenal
Laufzeit: 110 Minuten
Start: 15. Mai 2025
Ausbruch aus der Enge
(ewei). Marta ist 17, als sie einen älteren Bauern mit zwei Töchtern heiraten soll. In der sittenstrengen und ärmlichen Enge ihres Elternhauses im ländlichen Kalabrien willigt sie in die arrangierte Ehe ein – zu ihrer (und der Familie) Ehrenrettung: Sie hat einen Sohn von ihrem im Krieg verschollenen Verlobten Michele. Bei den Hochzeitsvorbereitungen freundet sie sich mit dem schwulen Pfarrassistenten Lorenzo an. Er weckt in ihr den Wunsch nach Selbstständigkeit und Berufstätigkeit und sorgt über seine Kontakte zu den Bildungsbrigaden der PCI zudem dafür, dass sie eine entsprechende Ausbildung machen kann. Mit seinem Moped fährt er sie zu den Schreibmaschinenkursen in die Stadt; ihren kleinen Michelangelo lässt sie solange bei Micheles Mutter, die ihre Pläne unterstützt und ihr gerne Alibis verschafft. Als alles auffliegt, steht Marta vor der Entscheidung, sich zu fügen oder einen eigenen Weg einzuschlagen und mit ihrem Kind in eine ungewisse Zukunft aufzubrechen.

MONSIEUR AZNAVOUR

Frankreich 2024
Regie: Mehdi Idir
Mit: Tahar Rahim, Bastien Bouillon u. a.
Verleih: Weltkino
Laufzeit: 133 Minuten
Start: 22 Mai 2025
Karriere mit privaten Brüchen
(ewei). Paris, 1931: Charles Aznavourian, der Sohn einer geflüchteten armenischen Familie, die im Quartier Latin eine schlechtgehende Bar betreibt, beschließt, Sänger zu werden. Für ein paar Centimes hat er in einem Theaterstück mitgewirkt und sein Talent für die Bühne entdeckt. Obwohl er trotz vieler Widrigkeiten zielstrebig an der Verwirklichung seines Traums arbeitet, gelingt der Durchbruch erst 1946: Bei einem seiner Auftritte in Bars und Spelunken und vor Besatzungssoldaten wird Edith Piaf auf die ungewöhnliche, nach Sand und Rost klingende Stimme des 22-Jährigen aufmerksam und nimmt ihn kurzerhand mit auf ihre USA-Tournee.
Von unbändigem Ehrgeiz getrieben, geht der Liedschreiber und Komponist, der ab 1982 Aznavour heißt, seinen Weg bis an die absolute Spitze des französischen Chansons. Dass der innerlich eigentlich sehr zerbrechliche Mann für seine Karriere private Brüche in Kauf nimmt, verschweigt der Film jedoch nicht.

ALLE LIEBEN TOUDA

Frankreich/Marokko 2024
Regie: Nabil Ayouch
Mit: Nisrin Erradi, Joud Chamihy u. a.
Verleih: ImmerGuteFilme
Laufzeit: 133 Minuten
Start: 29. Mai 2025
Mühsame Befreiung
(ewei). Touda lebt als alleinerziehende Mutter in der marokkanischen Provinz. Sie träumt davon, eine Sheika zu werden. Das sind – unabhängig von ihren Lebensverhältnissen – höchst angesehene traditionelle Künstlerinnen, die ihre Kraft aus der gesungenen Poesie früherer, kämpferischer Dichterinnen schöpfen.
Natürlich erhofft sie sich davon auch ein besseres Leben für sich und ihren Sohn. Deshalb plant sie, nach Casablanca zu ziehen – in der Hoffnung, dort die erwünschte Anerkennung zu finden. Nicht nur für ihre Schönheit, sondern für ihre Kunst. Sie will ihrem kleinen Dorf in der Provinz entkommen, wo sie jeden Abend in irgendeiner Bar auftritt, wo sie seitens des männlichen Publikums aber mehr lüsterne Blicke als echtes Interesse erntet. Doch der Weg nach Casablanca ist von noch mehr Mühsal geprägt, als Touda ohnehin erwartet hatte. Da ist viel von der in den Texten der Sheikas besungenen Widerstandskraft und Selbstbehauptung nötig. Und Mut.

Foto: © Arsenal
Foto: © Weltkino
Foto: © ImmerGuteFilme
Taktvolle Langstrecken
FLORIAN JÄGER LÄUFT DURCH BERG UND TAL – UND FINDET DABEI SEINEN
SCHREIBRHYTHMUS
Beim Freiburg-Marathon im April ist Florian Jäger nicht mitgerannt. An Wettläufen gegen die Zeit nimmt er nur noch selten teil. Obwohl er beim München-Marathon 2019 noch Dritter wurde. Inzwischen rennt er „oft einfach los“, manchmal von seiner Haustüre in Herdern aus über den Roßkopf und Hinterzarten bis zum Feldberg und Schluchsee. Und die Gedanken, die ihm dabei durch den Kopf gehen, schreibt er später auf. Sein neues Buch heißt folgerichtig: „Zwischenläufe“.
Seine Läufe führen den als Berater tätigen promovierten Psychologen, der seit drei Jahren in Freiburg lebt, nicht nur in den Schwarzwald oder in die Vogesen. Auch auf seinen beruflichen Reisen hat er immer die Laufschuhe dabei. Und da ist er auch schon mal eben auf den Fujijama gerannt. Oder auf den Kilimandscharo. Seine Läufe führen aber auch auf trubelige Straßen, in stille Wälder, über Stadtrandwiesen oder an Flüssen entlang.

Zwischenläufe – Von der poetischen Wildheit des Laufens von Florian Jäger Verlag: arete, 2025 176 Seiten, Paperback Preis: 18 Euro

Das von Wettbewerb, Training, Selbstoptimierung und Zeitvorgaben befreite Laufen, erzählt der 37-Jährige, „gibt Raum für das poetische Formulieren der Gedanken“. Nach seiner Überzeugung ist „das Poetische im Laufen angelegt“: Die stete und verdichtete, in sämtlichen „Gangarten“ gleichmäßig rhythmische Bewegung weise in vieler Hinsicht Parallelen zu Metrik und Takt eines poetischen Textes auf. Und in eben dieser „taktvollen“ Bewegung lösten sich Blockaden im Kopf, könnten sich neue Sichtweisen und Erkenntnisse ihren Weg ins Bewusstsein bahnen. Ebenso wie so manche Geschichte, die man unbewusst mit sich herumtrage.
Das Nachdenken, hat er festgestellt, setze automatisch ein – egal, ob er ziellos vagabundiere, entdeckungsfreudig flaniere, zielgerichtet oder auch einfach aus einer Laune heraus losrenne oder „im Sla-
lom um Spazierengehende laufe“. Und dieses Nachdenken „dreht sich nicht um das Laufen, sondern entsteht aus dem Laufen heraus“. Und je nach dem Rhythmus der Bewegung entwickeln sich andere Gedanken, andere Sätze, andere Arten, „die erlebten oder erdachten Dinge in Sprache zu fassen“. Etwa die „außergewöhnlichen Begegnungen, die man unterwegs hat und die oft lange nachhallen“. Oder die während des Laufens durchquerten Landschaften und magischen Momente, die sich wie Bilder in der Erinnerung festsetzten und die er in literarische Bilder umwandelt.
Das eine oder andere Ergebnis seiner nachdenklichen Dauerläufe sind nun in seinem jüngst erschienenen Buch „Zwischenläufe“ nachzulesen. Von der im Untertitel erwähnten „poetischen Wildheit des Laufens“ zeugen 16 Texte, die Jäger aus den Kolumnen ausgewählt und überarbeitet hat, die er seit vier Jahren alle zwei Monate für das Magazin „Laufzeit“ schreibt. Es sind kurze, persönliche Geschichten, in denen er die „Verbindung zwischen Laufen und Leben literarisch ertastet“. Allesamt sind sie sehr inspirierend, nehmen auch Menschen mit, die niemals freiwillig auf einen Berg rennen würden.
von Erika Weisser Foto: © Erika Weisser
WILDHOF

von Eva Strasser
Verlag:
Wagenbach, 2025
208 Seiten, gebunden
Preis: 22 Euro
Mühsame Wahrheitssuche
(ewei). Als Lina die allererste Scheibe ihres Lebens einschlägt, ist sie fast 30 Jahre alt. Und verwaist. Die Eltern sind vor wenigen Tagen bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, die Zwillingsschwester Luise ist vor knapp 16 Jahren spurlos verschwunden..
Jetzt ist Lina nach vielen Jahren zurückgekehrt in das von einer grünen Gartenhölle umgebene Haus am Waldrand. Sie will aufräumen, ausräumen, Abschied nehmen, begraben, das Haus verkaufen. Endlich vergessen. Doch sie hat keinen Schlüssel. Also gelangt sie per Stein hinein. Und stellt fest, dass der Ort schon lange verwaist ist. Obwohl die Eltern bis vor kurzem hier lebten: Lina fällt ein, wie nach Luises Verschwinden allmählich alles Leben aus der einst glücklichen Familie wich, wie sie selbst bei der ersten Gelegenheit aus der unerträglichen Leere flüchtete.
Sie trifft frühere Freunde; gemeinsame Erinnerungen sind unvermeidlich. Und plötzlich entdeckt sie eine Spur, von Luise selbst gelegt. Mühsam kratzt sie den Weg in die Vergangenheit frei. Und damit in ihre Zukunft.
Am Dienstag, 20. Mai, bringt die gebürtige Schwarzwälderin ihren „Wildhof“ in einen Hinterhof: zur Pay-After-Lesung der Buchhandlung Schwarz, 19.30 Uhr beim Gemüseladen „Rettich & Friends“, Günterstalstraße 55.
EIN ENDE UND EIN ANFANG FREZI
SKYRMIONEN ODER: A FUCKING ARMY

von Oliver Hilmes
Verlag:
Siedler, 2025
288 Seiten, Hardcover
Preis: 25 Euro
Glück, Hoffnung und Elend
(ewei). Von Mai bis September 1945 geht eine Welt unter und eine andere tut sich auf: Das verbrecherische NS-Regime ist am Ende, eine Zeit der Freiheit nimmt ihren Anfang. Doch sie birgt auch neue Konflikte.
In Episoden, die zuweilen ins Anekdotische gehen, fängt Historiker Oliver Hilmes die Atmosphäre dieser Zeit der Extreme ein: Sieger und Besiegte, Opfer und Täter stehen sich gegenüber, spürbar werden das Glück und die Hoffnung der Befreiten, die Ängste der Besiegten und das Elend derer, für die der Krieg noch nicht zu Ende ist.
Während die Siegermächte in Potsdam die Weichen für den weiteren Gang der Geschichte stellen, trauert die Berliner Hausfrau Else Tietze ihrem Führer nach, spürt der US-Soldat Klaus Mann Nazi-Verbrecher auf. Und während in den Ruinen erste Cafés und Restaurants ihre Türen öffnen, betteln hungrige Kinder den Rotarmisten Wassili Petrowitsch um Brot an. Und während sich Europa langsam von den Traumata erholt, geht der Krieg zwischen USA und Japan weiter – sogar nach dem folgenschweren Abwurf der Atombombe über Hiroshima.
Das erzählerische Sachbuch erweist sich als kluge Zusammenstellung von Weltgeschichte und Alltagsgeschichten, die der Autor unter anderem im Tagebucharchiv in Emmendingen gefunden hat.

von Dietmar Dath
Verlag:
Matthes & Seitz, 2025
966 Seiten, gebunden
Preis: 38 Euro
Erleuchtung im Wassertank
(ewei). Milliardärstochter Renate Hofer „entgeht ihrer Kindheit“, indem sie in einen Wassertank zur Reinigung der Lüftung eines riesigen Datenspeichers stürzt. Zuerst ist da nur Todesangst, dann folgt die Erleuchtung: Sie wird eine Maschine bauen, mit der das Computerzeitalter endlich überwunden werden kann.
Zur Umsetzung des Plans rekrutiert sie – kaum aus dem mit Neuropeptiden versetzten Wasser gerettet – eine ganze „fucking Army“ aus den Schlausten und Skrupellosesten aus Physik und Kunst, aus Sprachforschung und Finanztrickserei. 70 Jahre lang bauen sie an ihrem Projekt, das von „Skyrmionen“ genannten winzigen Wirbeln angetrieben wird.
Das knapp 1000-seitige Buch ist so schwierig zu lesen wie die Probleme zu lösen sind, um die es darin geht: die Frage, ob und wie Digitalisierung, KI und andere eng mit kapitalistischer Wertschöpfung verknüpfte Technologien zur Schaffung einer besseren Weltgesellschaft überwunden werden können. Dabei schlägt der Freiburger Autor höchst science-fictionale Wege ein, auf denen er außer seinem Wissen über Teilchenphysik auch seine antikapitalistische Weltanschauung darlegt.
Am Freitag, 16. Mai, kommt Dietmar Dath zur Lesung beim „Freiburger Andruck“: 19.30 Uhr im Winterer-Foyer des Theaters Freiburg.
DAS »BIERERNSTE« CHILLI-HOROSKOP
PAPST-EDITION VON HOBBY-ASTRONAUT PHILIP THOMAS
WIDDER
21.03. – 20.04.
Franziskus war ein Papst vieler Premieren: Er war der erste Pontifex aus Amerika, der erste Jesuitenpapst und das erste Kirchenoberhaupt, das den Namen Franziskus annahm. Er war außerdem höchstwahrscheinlich der erste Papst, der vor seiner Zeit auf dem Heiligen Stuhl als Türsteher eines Nachtclubs gearbeitet hat.
STIER
21.04. – 21.05.
Kleine Regelkunde: Bis zur Wahl des Papstes müssen alle wahlberechtigten Kardinäle nach Rom reisen. Zum Kirchenchef gewählt werden darf, wer katholisch getauft, nicht verheiratet, männlich ist und die Priesterweihe erhalten hat. Zumindest theoretisch hätten damit die 659 Priester der Erzdiözese Freiburg eine Chance auf den Titel.
ZWILLING
22.05. – 21.06.
Die Papstwahl wird auch Konklave genannt. Der Begriff stammt vom lateinischen cum clave („mit Schlüssel“). Du fragst dich: Weil es sich bei den 135 wahlberechtigten Kardinälen um Schlüsselfiguren handelt? Oder weil die Kardinäle ursprünglich eingeschlossen wurden, bis sie sich auf einen neuen Papst geeinigt hatten?
KREBS
22.06. – 22.07.
Apropos sich einigen. Zwischen 1268 und 1271 konnten sich die Kardinäle im Dom von Viterbo nicht einigen. Die aufgebrachten Bürger mauerten die Türen zu und rissen das Dach ab (damit der Heilige Geist freie Bahn hatte), bis endlich ein Papst gewählt wurde. Außerdem wurden die Rationen auf Wasser und Brot reduziert.
LÖWE
23.07. – 23.08.
Vor und während der Papstwahl wird die Sixtinische Kapelle auf Abhörgeräte durchsucht. Handys, Zeitungen und sogar Uhren sind streng verboten. Und Konklave-Diener erhalten besondere Ausweise – weil sich in der Vergangenheit auch Journalisten als Diener eingeschlichen hatten. Was treibt eigentlich Günter Wallraff dieser Tage?
JUNGFRAU
24.08. – 23.09.
Seit 1970 dürfen nur Kardinäle unter 80 Jahren am Konklave teilnehmen. Papst Paul VI. verankerte damit eine Altersgrenze, um die Entscheider jung und dynamisch zu halten. Wie „fit“ (körperlich oder geistig) Amtsträger in diesem Alter noch sein können, beweisen doch die US-Präsidenten Joe Biden (82 Jahre) und Donald Trump (78)?
WAAGE
24.09. – 23.10.
Vor zwei Jahren sagte Papst Franziskus, dass er sich durchaus vorstellen könne, das Zölibat für Priester zu lockern. In der katholischen Kirche kam das nicht nur gut an. Eigentlich logisch: Du wärst auch sauer, wenn du 70 Jahre oder so danach gelebt hättest – und dann dürftest du plötzlich doch...
SKORPION
24.10. – 22.11.
Den Heiligen Stuhl musste sich der Argentinier Jorge Mario Bergoglio nicht mit dem zuvor abgedankten Deutschen Joseph Ratzinger teilen. Trotzdem schienen beide immer einen guten Draht „nach oben“ zu haben: Das WM-Finale 2014 entschied Deutschland gegen Argentinien für sich. In Ratzingers Todesjahr 2022 gewann Argentinien dann den Titel, Deutschland flog in der Vorrunde raus.
SCHÜTZE
23.11. – 21.12.
Seit Februar war der Zustand des nun verstorbenen Papstes kritisch gewesen. Wie gut, dass der Vatikan zum Gebet für das Kirchenoberhaupt aufgerufen hatte. So hat der Papst noch bis zum Ostersonntag durchgehalten – ausgerechnet. Ein paar Tage früher, etwa am Karfreitag, hättest du einer dauerhaft gültigen Todesmeldung auch kaum trauen können ...
STEINBOCK
22.12. – 20.01.
Immer wieder sah sich Papst Franziskus Desinformationskampagnen mit seinem Namen ausgesetzt. Immerhin ging der Stellvertreter Gottes auf Erden, dessen Sohn übrigens über Wasser laufen und diese Flüssigkeit auch in Wein verwandeln konnte, entschieden gegen Fake News vor.
WASSERMANN
21.01. – 20.02.
Dem neuen Papst willst du ein paar Dinge mit auf den Weg geben. Gleichberechtigung, Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche, Gleichstellung der LGBTQ-Community. Aber wie erreichst du den Heiligen Vater denn nun? Probiere es doch mal mit einer Mail an urbi@orbi.va?
FISCHE
21.02. – 20.03.
Wenn der Papst die Welt verlässt, findet anschließend keine pathologische Untersuchung statt. Um den Tod festzustellen, soll ein Kämmerer dem Papst mit einem speziellen Hämmerchen aus Silber und Holz dreimal auf die Stirn klopfen. So oder so ähnlich prüfst du bei deinen Kumpels auch immer, ob sie noch schlafen.

































