PORTRAIT
Der philosophische Banker PAUL GASSER, Generaldirektor des Raiffeisenverbandes und Präsident der Brixner Initiative „Musik und Kirche“, über seinen Weg von der Zwergschule zum Chef über 280 Mitarbeiter.
W
irtschaftswissenschaften oder Philosophie – die Entscheidung war nach der Matura recht bald gefällt. Dazu war und ist Paul Gasser, Generaldirektor des Raiffeisenverbandes, viel zu sehr Pragmatiker: „Die beruflichen Möglichkeiten als Wirtschaftsakademiker waren einfach um einiges besser.“ Losgelassen hat ihn die Liebe zur Philosophie, „die Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Lebens und mit sich selbst“, aber nie so ganz. Und ein wenig führt sie ihn auch durch den beruflichen Alltag.
der Italienischunterricht für ihn die größte Herausforderung. „Ich habe mich aber immer gut gehalten“, meint er schmunzelnd. Die Oberschulzeit, vor allem die Zeit am Humanistischen Gymnasium in Bruneck, ist für ihn ein prägender Meilenstein. „Wir haben nicht nur für die Schule gelernt, sondern auch Einblicke in außergewöhnliche Weltanschauungen erhalten.“ Sein Studium, die Wahl fiel zufällig auf Verona, hat sich Paul Gasser zum großen Teil selbst finanziert, indem er bei seinem Bruder in dessen Sägewerk ar-
Von der Zwergschule zum Studium in Verona. In dem kleinen
„Man muss etwas mögen, dann hat man auch die notwendige Portion Glück“_ Paul Gasser beitete. Die ersten Computer, die Umstellung auf die doppelte Buchhaltung – vieles, was er gelernt hatte, konnte er hier umsetzen. Dass seine drei Töchter in seine beruflichen Fußstapfen getreten sind, sieht er als puren Zufall. „Ich habe jedenfalls nichts Besonderes dazugetan“.
Arbeiten im Land mit der Tendenz zur Nabelschau. Die Arbeit
im Raiffeisenverband ist für ihn
Foto: Oskar Zingerle
Weiler Kamerschin oberhalb von Weitental aufgewachsen, besuchte Paul Gasser eine typische Zwergschule. „Wir waren höchstens 13 Kinder, und für unsere Eltern war es eine große Herausforderung, die Schule zu erhalten.“ Die Lehrerin wohnte am Hof, Italienischunterricht gab es einmal in der Woche, „im Winter auch gar nicht, wenn die Wege zu verschneit waren“. Und es war eine Selbstverständlichkeit, dass man fleißig lernte. Zwar konnte der Lernstoff nicht allzu sehr vertieft werden, „in der ersten Klasse bekam man aber schon so einiges über die Inhalte der fünften Klasse mit.“ Als er dann an die Mittelschule kam, da war
Paul Gasser ist seit August 2010 Präsident der „Brixner Initiative Musik und Kirche“
–––
eine Herausforderung, „die auch Spaß macht und die Genugtuung bringt.“ Chef über 280 Mitarbeiter zu sein, das bedeutet in diesem Fall, „Verantwortung für eine Organisation zu tragen, die einen Mehrwert für das gesamte Land schafft.“ Im Raiffeisenverband sind Banken, Genossenschaften und Fachverbände zusammengeschlossen „und hier gilt es, viele Leute mitdenken zu lassen.“ Ruhig und bedacht, manchmal fast schon etwas reserviert, erzählt er von seinem großen Aufgabenbereich, von Entscheidungen, die gut
überlegt sein müssen und von der Notwendigkeit schlagkräftiger Argumente in einem Land, das „allzu oft eine Tendenz zur Nabelschau zeigt.“ Wie ein buntes Spektrum sei seine Arbeit, und kein Tag sei langweilig, „dafür sorgt schon der Gesetzgeber.“ Er mache seinen „Job“ gerne, auch wenn er immer wieder mit heiklen Themen konfrontiert wird. „Man muss etwas mögen, dann hat man auch die notwendige Portion Glück, und man muss überzeugen können, dann ist die Arbeit auf lange Zeit auch fruchtbar.“ Paul Gasser ist offenbar einer, der sich nicht von der Hektik treiben lässt. Und er ist einer, der gut abschalten kann: „Ich habe einen relativ gesunden Schlaf.“ Wandern, Schi fahren, die Bergwelt genießen – damit bekommt Paul Gasser den Kopf frei. Abschalten kann er auch über die Musik, „obwohl ich selber nur ein bisschen Gitarre spielen kann“. Seit zwei Jahren ist er Präsident der Brixner Initiative Musik und Kirche. Die klassische Musik habe ihm immer schon gefallen,
und die sakrale Musik mit ihrem Streben nach Transzendenz sei etwas, das gut in unsere Zeit passe.
marlene.kranebitter@brixner.info Leserbrief an: echo@brixner.info
Steckbrief
Paul Gasser wurde am 25. Juni 1959 als jüngstes von sieben Geschwistern, zwei sind bereits verstorben, in Weitental geboren. Nach der Grundschule besuchte er die Mittelschule und drei Jahre Oberschule am Vinzentinum in Brixen, dann wechselte er an das Humanistische Gymnasium „Nikolaus Cusanus“ in Bruneck, wo er 1978 die Maturaprüfung ablegte. Paul Gasser studierte anschließend in Verona Wirtschaftswissenschaften. Nach dem Abschluss des Studiums machte er eine sechsmonatige Ausbildung bei der Telefongesellschaft SIP, die junge Wirtschaftsakademiker im Bereich Controlling suchte, dann wechselte er in den Bankensektor. Bis 1992 war er für die damalige Volksbank Brixen tätig, dann arbeitete er neun Jahre für den Raiffeisenversicherungsdienst. Seit 2009 ist er Generaldirektor des Raiffeisenverbandes. Seit 1985 ist Paul Gasser mit Maria Putzer verheiratet. Das Paar hat drei erwachsene Töchter: Daniela, Christina und Anna. Zehn Jahre lang saß er im Brixner Gemeinderat, und seit August 2010 ist er Präsident der „Brixner Initiative Musik und Kirche“. 15