Brixner 368 - September 2020

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Foto: Oskar Zingerle

Wirtschaft & Umwelt

her schwer zu beherrschen. Trotz millimetergenauer Vermessungstechnik ist es ein besonderes und emotionales Ereignis, wenn zwei Tunnelröhren aufeinandertreffen.

Untertage. Es ist eine männer-

dominierte Welt, diese Welt tief drinnen im Berg. Und die Traditionen sind wichtig. Jedes Baulos hat eine Patin, die heilige Barbara wird als Schutzpatronin verehrt. So auch am 6. Juli, als die von Diözesanbischof Hermann Grettler eigens geweihte Statue durch die neu entstandene Öffnung gereicht wurde. Viele Erfahrungen, die meisten davon positiv, haben die vergangenen sechs Jahre geprägt. Dass bei den Arbeiten niemand ums Leben gekommen ist, darüber sind alle froh. Die Arbeit untertage erfordert höchste Konzentration und ist wohl eines der letzten großen Abenteuer unserer Zeit. 3.342 Meter im Berg, 800 Meter Gebirge über den Köpfen, Löcher in den Felsen bohren, mit Sprengstoff versetzen und mit Zündschnüren verbinden, alle Schnüre bündeln, dokumentieren, Rückzug, scharf machen und punktgenauer Schuss. Ein kurzes Video zeigt in knappen Worten eindrucksvoll, worum es geht. Telegrammstil, der Klarheit schafft. Der Berg hat wieder Tonnen an Gestein freigegeben. Das Material wird geschuttert und mit LKWs abtransportiert. Die Ortsbrust, die Stelle, an der der bergmännische Vortrieb stattfindet, wird mit Spritzbeton gesichert, es werden Anker gesetzt, Stahlbögen und

Der Mühlbacher Ingenieur Edgar Leitner ist für das Baulos Tulfes-Pfons zuständig sein dürfen.“ Der Tunnelbau ist ganz offensichtlich zu seiner Leidenschaft geworden. Es ist eine schwierige geologische Zone, diese Zone am Brenner, vom Gebirge

Foto: Jan Hetfleisch

die Bauleitung. Edgar Leitner, der an der Universität für Bodenkultur in Wien Kulturtechnik und Wasserwirtschaft studiert hatte, weiß es zu schätzen, „dass wir dabei

Gittermatten angebracht, es wird erneut mit Spritzbeton gesichert, dann kann wieder der Bohrwagen kommen. Der nächste Abschlag wird vorbereitet. 130 Bohrlöcher, 160 Kilogramm Sprengstoff, 16 Kubikmeter Beton, 800 kg Stahl. Eine Mannschaft besteht aus sechs Mineuren. In vier Stunden schaffen sie eine Abschlagslänge von 1,7 Metern, in 24 Stunden durchschnittlich acht Meter – wenn der Berg das zulässt. Die geologische Situation und das Gebirgsverhalten sind ständig im Fokus. Beruhigt sich das Gebirge? Verzeiht es den Eingriff? „Man weiß im Grunde nie, was die nächsten zehn Zentimeter bringen“, sagt Edgar Leitner. So richtig programmieren lässt sich die Natur nämlich nicht. Es gilt, sich dem Berg anzupassen und ihn gleichzeitig zu bezwingen. Am 26. Juni 2015 war der erste von 76 Schwertransporten auf der Baustelle Ahrental südlich von Innsbruck eingetroffen. Genau drei Monate später wurde die Tunnelbohrmaschine angedreht. Seit 6. Juli 2020 steht sie nun still. „Unser Lindwurm hat ausgedient“, sagt Charly, der uns durch die Stollen begleitet. Charmant, gelassen, immer einen kessen Spruch auf den Lippen, ein echter Kumpel eben. Eigentlich heißt er KarlHeinz List. Er ist ein Praktiker. „Ein Kracher, ein Tuscher, der Geruch von Ammonium, Rauchschwaden, die sich verziehen – das ist es, was uns begeistert, was uns hält.“ Sprengvortrieb oder maschineller Vortrieb? Hier scheiden sich die Geister. Zumindest an diesem Vormittag im Erkundungsstollen.

Das Team rund um Edgar Leitner feiert den Durchstich zwischen dem Baulos Tulfes-Pfons und Pfons-Brenner 58


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