BLANK 03/2012

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Literatur mein mcQueen, Tilmann Rammstedt Film Antione monot, Jr.

Gesellschaft, Diskurs, Disko

wladimir Kaminer

neue optionen Musik

Winter / 2012

Tommy Dollar

Panoptikum Punk & Pop Gesellschaft

Warum Schlampen wählen Ein mann, eine Stimme

haarige helden

Fetsum


WINTER IN LYNCHBURG FÜHLTEN SICH NIE LANG AN. SENTIERT:

JACK DANIEL’S PRÄ

WINTER JACK.

www.winterjack.de

BITTE GENIESSE JACK DANIEL’S WINTER JACK VERANTWORTUNGSBEWUSST . ©2012 Jack Daniel’s. Jack Daniel’s and Winter Jack are registered trademarks. All rights reserved.


anstelle eines vorwortes Wir danken allen Autoren und Fotografen f端r ein weiteres, lehrreiches und sch旦nes Jahr 2012. Und wenn die Welt im Dezember nicht untergeht, dann werden wir auch im kommenden Jahr wieder versuchen, unseren 足Beitrag zur Bebilderung und Beschreibung von Welt und Leben, 足Gesellschaft, Kunst und Liebe zu leisten. Frohe Weihnachten, Romy Berger & Johannes Finke


BLANK NR. 11 / WINTER 2012 Titelfoto : Jakub Koncir 9 Pissed, Punk & Poetic Andy Warhol verpasste ihm den Spitznamen „Tommy Dollar“: Der Schwede Thomas Dellert ist einer der großen Photokünstler unserer Zeit. 22 Heng Li Peking – St. Petersburg – Nürnberg: Seine Kunst führt Heng Li immer weiter gen Westen. Angefangen hat sie mit angemalten Wänden im Kinderzimmer, # ­beendet ist sie mit der Ernennung zum „Meisterschüler“ in ­Nürnberg noch lange nicht. 24 Beim Barte Des Poeten Was war zuerst? Bart oder Beat? Bärtige Künstler waren schon immer in Mode. 32 Blank artist des Jahres: fetsum Wer diese Stimme einmal gehört, wird sie nicht mehr vergessen. Das ist Seele. Schwarz. Schwäbisch. Denn Fetsum lebt jetzt zwar seit einigen Jahren in Berlin, aber er kommt „aus dem Schoß der Kolchose“. 36 Musik Til Brönner, Jaya The Cat, Avatar, Wankelmut, Leftboy 40 Weihnachtszeit, Geschenkezeit Die große BLANK Winterverlosung 46 Hofastronom Eine Modefotostrecke von Jennifer Endom 56 Herr Monot, Jr., ich könnte ihnen noch ewig zuhören … Er war ein „Absoluter Gigant“, in „Die Blaue Grenze“, als Bosch, der Strafvollzugsbeamte in „Das Experiment“, und und und … – man könnte meinen, Antoine Monot, Jr. wäre ein alter Hase, aber dafür leuchten seine Augen immer noch zu kindlich wenn er über Film spricht. 4 I  BLANK


60 zwei jungs und die kunst Nilz Bokelberg hat mit Roman Libbertz die­ ­documenta in Kassel besucht – ein Resümee. 70 Magisches Myanmar Boris Guschlbauer fand, es wäre an der Zeit, ­Myanmar ein Besuch abzustatten und bietet einen Einblick in ein be- und verzauberndes Land. 90 Der Odem der liga 50 Jahre Fußballbundesliga bedeuten Geschichte und Geschichten. Manchmal bedingt auch das eine das andere. Ben Redelings ist einer der großen Biographen des Fußballs und hat alles aufgeschrieben. 94 Klassentreffen Bei den Hip Hop Open 2012 trafen sich in Stuttgart nicht nur die Mitglieder der legendären ­Stuttgarter Kolchose, um das zwanzigjährige Jubiläum zu feiern. Auch andere Schwergewichte der Szene waren anwesend und stellten sich brav vor eine nicht unbedingt schöne, aber als Hintergrund recht streetig wirkende Wand und gaben dazu ihren „Tag“ ab. 118 Tatort Berlin Auf Jan Ole Gerster hat die Deutsche Filmlandschaft gewartet. Sein Debütfilm „Oh Boy“ erzählt davon, sich im Urwald der Großstadt zurecht zu finden, nicht unterzugehen und in der Abwägung irrsinniger äußerer Einflüsse den eigenen Weg zu gehen. HEFT ZWEI Frauen und Bücher Teil 1

von Elmar Bracht Wenn Aschenputtel auf Peitsche trifft

von Mirka Uhrmacher

131 Impressum

INHALT BLANK I 5


60 Fremd Fotografiert Boris Guschlbauer hat in seinem Archiv ­gestöbert und gewährt uns einen persönlichen Blick auf die ihm unbekannten Gesichter, mit denen er auf seinen Reisen nicht mehr als nur einen kurzen Moment teilte – nämlich den, in dem er sich mit ihnen ablichten ließ. 84 Um nichts vorwegzunehmen … Für Roman Libbertz ist Tilman Rammstedt das deutsche Pendant zu Jonathan Safran Foer. Ein guter Grund, sich mit dem Autor näher zu befassen. 88 Ein unmöglicher Versuch Mit Sibylle Berg Sich einer Großmeisterin wie Sibylle Berg zu nähern, ist schwierig. Wir haben es trotzdem gewagt. 90 this bike saved our lives Steve McQueen war ein Frauenheld und der bestbezahlte Schauspieler seiner Zeit. Er war der Posterboy einer ganzen Generation, er war der „King Of Cool“. Er war Flieger und Rennfahrer, ein Motornarr. Er war so vieles, nur eines sicher nicht: Ein Pechvogel. 95 BLANK Empfehlung: Die Bücher des Jahres 96 Print Über die Verfilmung des Tolstoi-Klassikers Anna ­Karenina, das aktuelle Werk aus dem Hause ­Ankerherz sowie den neuen Hunter S. Thompson 98 Reflektieren für die GEGENWART

BLANK sprach mit dem Deutschen liebster Russen – Wladimir Kaminer. Sein neues Werk „Onkel Wanja kommt“ ist eine Reflektion über die großen Fragen der eigenen Menschwerdung. Aber erst auf den zweiten Blick. HEFT ZWEI Eigentlich bin ich eine jägerin

von Mirka Uhrmacher Wenn Schlampen wählen

von Teresa Bücker

110 Impressum 6 I  BLANK


roman libbertz 7. dezember – 1. februar 2013 galerie hegemann mßnchen BLANK I 7


„Right now I only think about food, I will give you the headline later“, doch plötzlich, nur eine Minute später, kommt es dann, er dreht sich um und schreit mich fast an:

Pissed, Punk &

Poetic Text Johannes Finke Kunst Thomas Dellert

Thomas Dellert arbeitete, inspirierte, feierte, fotografierte und bewegte Zeiten mit Basquiat, Hendrix, den Sex Pistols, Keith Haring und Andy Warhol. Letzterer verlieh ihm den Spitznamen Tommy Dollar, denn seine Faszination für den American Way Of Life konnte der junge ­Schwede Mitte der Siebziger in N.Y. nicht verbergen. Dann ging es nach London, genauer gesagt nach Chelsea. Dort traf Dellert die Protagonisten der noch jungen Punk-Bewegung, Malcolm ­Mc­Laren, Johnny Rotten, Vivienne Westwood und eine Menge in Vergessenheit geratener. Viel hat er erlebt, der junge schwedische Dandy damals, der fast sechzigjährige Künstler jetzt. Sohn einer berühmten Opernsängerin und eines reichen Industriellen. Aufgewachsen im ­royalen Dunstkreis der gehobenen schwedischen Gesellschaft, immer genügend Geld auf Tasche und immer gierig nach Erleben, Beben, Größe und Welt, Wahn- und Weitsinn. Nachdem Sid Vicious ihn in Paris aus Versehen fast mit einem Messer umgebracht hatte, brachte Dellert den Punk dann nach Schweden und eröffnete die Galerie Suicide. Damals wurde Protest zu Avantgarde und Avantgarde wurde Mode und es war der Anfang vom Untergang. Die Jugend würde nie wieder jemanden vertrauen können.

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KUNST


Your 15 minutes are up 2008 142 x 160 cm Painting on canvas Signed Thomas Dellert-Dellacroix & Agnieszka Dellert-Dellfina BLANK I 9


American Guns 1996 122 x 122 cm Mixed media on canvas Signed Thomas Dellert On the background of the American flag is displayed a revolver caliber 38 with autographs by infamous killers in American history.


Dellerts Kunst ist kein nostalgischer Reprise. Sie lebt und atmet im Jetzt, ohne den leidigen Versuch ein Erbe zu verteidigen. Jetzt war ihm nichts Menschliches mehr fremd und die Abgründe des Seins, der Mensch in der Revolte und die Kritik an Kunst und Kommerz wurden die bestimmenden Themen seiner in PopArt verwurzelten, multimedialen Arbeiten, die mittlerweile in über hundert Ausstellungen gezeigt wurden und auch in Sammlungen wie der Absolut Vodka Collection, der Heinz Collection oder dem United States Holocaust Memorial Museum vertreten sind. Ein Leben und ein Werk als große Collage menschlicher Irrtümer und noch menschlicheren Schönheiten von Sein und Schein. Ein irres Werk. Ein wirres Werk. Und doch handwerklich fein und bestimmend und technisch von einer selbstbewußten Versiertheit, die heute in der Kunst sowieso nicht mehr alltäglich ist. Es wird zuviel geliefert. Zu wenig gelebt. Thomas lebt jetzt in Berlin. Vielleicht passt das ja. Seine Wohnung ist ein Panoptikum von Punk und Pop und privater Perversionen. Für den Flügel würde so mancher

eine Menge Geld hinlegen. Für diverse Monroe und HendrixFotografien gilt das erst recht. Und wer hat eine Boxhose von Ali? Doch Dellerts Kunst ist kein nostalgischer Reprise. Sie lebt und atmet im Jetzt, ohne den leidigen Versuch ein Erbe zu verteidigen. Thomas Dellert hat sich immer wieder neu erfunden, sich stets Zeit und Wandel gestellt. Die neueste Erfindung seiner selbst gibt es ab dem 31.01.2013 in der Ausstellung „The Last Picture Show – 1st comes the end then the beginning“ zu bestaunen.

BLANK präsentiert: Thomas Dellert-Dellacroix „The Last Picture Show – 1st comes the end then the beginning“ 31. Januar – 07. Februar 2013, Studio Gallery Checkpoint Charlie, Berlin

Kunst BLANK I 11


Circus Warhol 2001 Photograph depicting the artist Thomas Dellert as a Warhol Clown in his Factory in New york. By Thomas Dellert Dellacroix & Agnieszka Dellert-Dellfina 12 I  BLANK


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The Berlin Wall Second Generation (reconstruction) 1990 150 x 200 cm Sculpture in metal and plaster and paint. Signed Thomas Dellert & Balthazar Silveira 14 I  BLANK


The Berlin Wall First generation (reconstruction) 1990 150 x 200 cm Sculpture in metal and plaster and paint. Signed Thomas Dellert & Balthazar Silveira


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Warholian Factory Garbage 1976-1989 122 x 122 cm Assemblage in plexi box with Andy Warhol memorabilia collected in the Warhol Factory NY Signed Thomas Dellert

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Hier steht die BU

Angel over Berlin 1990 225 x 195 cm Painting on canvas Signed Thomas Dellert & Balthazar Silviera Depicting the Berlin Wall and the Brandenburg gate as well as the RAF picture of Hans Martin Schleyer and the German Deutsch Mark and a white Lillie flower.

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Colloid Queens 198/2000 110 x 140 cm Mixed media on canvas Signed Thomas Dellert-Dellacroix & Agnieszka Dellert-Dellfina From left to right: Maria Callas, Marlene Dietrich, Queen Elisabeth, Marilyn Monroe, Frida Kalho, Madonna, Greta Garbo, Agnieszka Dellfina, Evita Peron, Thomas Dellert

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KUNST


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beim Träumen von Kunst und Gott 22 I  BLANK


Heng Li

Galerie an der Pinakothek der Moderne Text & Fotografie Roman Libbertz

Nachdem er bereits im zarten Alter von vier Jahren trotz mehrfachen Verbots weiterhin sämtliche Wände seines Kinderzimmers bemalt hatte, durfte Heng Li bereits ein Jahrzehnt später als einer unter Tausend die Mittelschule der zentralen Akademie der bildenden Künste in Peking besuchen. Anschließend führte es ihn an das renommierte Repin-Institut in St. Petersburg und weiter an die Akademie der bildenden Künste in Nürnberg. Dort wurde er 2009 zum Meisterschüler ernannt.

U

nd jetzt gab ihm Barbara Ruetz unter hundert Bewerbern den Vorzug. Bis 13. Januar 2013 sind seine Bilder in der Galerie an der Pinakothek der Moderne in München zu bestaunen.

Ein weiter Weg liegt also hinter dem 1979 im chinesichen Urumqi Xiniang geborenen Heng Li, jedoch scheint das seine Kunst nur mehr und mehr geschärft zu haben. Über sich selbst sagt er, er habe den Privatunterricht, die Lehre der Kalligrafie und das Kunststudium schlichtweg in sich aufgesogen, sich davon frei gemacht und nutzt die instinktiven Automatismen jetzt zur Freilegung seiner Motive. Frau Ruetz, die auf eine zwanzigjährige Tradition ihrer Galerie zurückblicken kann, schätzt seine Bilder

aufgrund ihrer Einzigartigkeit und der hohen Qualität. Nur schwer entgeht das selbst einem Laien. Ob Leinwände gefüllt von grünem Gras, schwarzen Halmen mit roten Blüten oder halbschattige Weizenfelder, alles ist bist in den kleinsten Strich in Harmonie getaucht. Der äußerst

sympathische Heng Li träumte einst davon Künstler zu werden, in jenem Traum warf ihn Gott auf ein weites Feld und wies ihn an zu suchen. Lange muss er nicht mehr suchen, denn für den Betrachter fühlt sich das bereits perfekt an. www.hengli.de www.galerie-ruetz.de

Galeristin Barbara Ruetz und Heng Li

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Beim Barte Des Poeten Text TIll Wilhelm, Elmar bracht Illustration Mario MeiSSner

Die Musikgeschichtsschreibung kennt manchen roten Faden, der bestimmte Künstler oder Stile miteinander verknüpfen soll: Da gibt es die Dynastien (vgl.: Williams, Hank), es gibt die „Schulen“ (Gruß nach Hamburg), es gibt die Einteilung in „E“ und „U“, „schwarz“ und „weiß“ und wieder andere ordnen ihre Plattensammlung alphabetisch oder einfach nach der Farbe der CD-Rücken. Kurz: Die Möglichkeiten, Musiker zu Familien zusammen zu fassen, in denen sie sich möglicherweise gar nicht sehen, sind unzählbar. BLANK gibt jetzt einfach einen neuen, nur scheinbar völlig willkürlich gewählten Pfad vor, um eine Hand voll legendärer Könner ­miteinander zu verbinden. Wir ordnen ab sofort nämlich nach „bärtig“ und „nicht-bärtig“. Ein kurzer Blick auf die beiden Stapel erlaubt zumindest die These: Kreativität und Gesichtsbehaarung gehen gerne fruchtbare Symbiosen ein. Zu klären bliebe: Was war zuerst? Bart oder Beat?

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h e Freddy Mercury

Zeig mir dein Tributkonzert und ich sage dir, wer du warst. Auch 20 Jahre nach dem „Freddie Mercury Tribute Concert For Aids Awareness“ wird klar, wer der Geehrte ganz offenkundig in seiner Hochzeit war: Der schillerndste und gleichzeitig über viele Alters- und Genregrenzen am meisten bewunderte Sänger einer Rockband dieser Jahre. Liza Minelli war am 20. April ins Londoner Wembley-Stadion gekommen, Elton John sang ein Duett mit Axl Rose, Metallica spielten, Bowie auch und viele weitere mehr. Der Anlass war so wichtig wie tragisch: fünf Monate vorher, am 24. November 1991, starb Freddie Mercury in seinem Haus im Londoner Stadtteil Kensington an einer Lungenentzündung, die er wegen seiner AIDS-Erkrankung nicht besiegen konnte. Mercury war damit eines der ersten weltweit bekannten Opfer der Krankheit, die in jenen Tagen noch nicht in der Gesellschaft allgegenwärtig war. Wenigstens nicht die Auseinandersetzung mit ihr. Die Boulevardmedien schlachteten Gerüchte über den Gesundheitszustand des Sängers 1991 aus, bis er schließlich einen Tag vor seinem Tode offiziell verkündete, den HI-Virus in sich zu tragen. Das künstlerische Wirken Farrokh Bulsaras (so sein bürgerlicher Name) überstrahlt und überdauert sogar seine Bedeutung für Schwulenbewegung und Aufklärung: Zu präsent sind die Erinnerungen ganzer Generation an „Queen Live At Wembley“, wenn sich Mercury an sein Piano setzt und „We Are The Champions“ anstimmt kann sich dieser Magie kein Mensch entziehen. Seine absolute Ausstrahlung, diese magische Arroganz, die königliche Unnahbarkeit bei völliger Hingabe. Freddie Mercury war und ist einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der Rockgeschichte.

ZZ Top

Es war Mitte der Achtziger, als ein internationaler Rasiererhersteller das Unmögliche wagte: Für eine Werbekampagne sollten sich Dusty Hill und Billy Gibbons, die beiden ZZ TopRauschebärte, von eben diesen trennen. Für eine Million Dollar pro Nase oder besser pro Kinn. Der Versuch scheiterte, die Bärte blieben dran. Schon damals waren die langen Zotteln das Markenzeichen der Band, die für ihr rustikales, haariges Äußeres auch heute noch bekannter ist, als für die ureigene Mischung aus Blues, Rock und Boogieanleihen, die sie zur Perfektion gebracht haben. Kurz gesagt: 100 von 100 Rockfans quer durch alle Generationen kennen die Bärte, 98 die Musik. Und das ist eine beachtliche und verdiente Quote, denn welche Band spielt schon seit inzwischen 43 Jahren in der selben Formation?

Beliebter Kalauer der Musikgeschichte: Der Drummer ohne Bart heißt Frank Beard. Durchhaltewillen, Hits und die Qualität, für jedes Album genug hochklassiges Material zu versammeln, sind die Schmiermittel dieser immer noch auf Hochtouren laufenden Maschinerie. Ein Ende ist nicht in Sicht, dieses Jahr erschien ihr 15. Studioalbum „La Futura“. Beliebter Kalauer der Musikgeschichte: Der Drummer ohne Bart heißt Frank Beard. War sicher schon bekannt, ist aber zu originell.

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h e Lemmy

Chris Cornell

Er war der bessere Sänger, er war der charismatischere Frontmann, er hatte die besseren Songs – zumindest ein Album lang. Warum einem beim Wort „Grunge“ trotzdem Chris Cornell immer erst als Zweiter oder Dritter einfällt, ist eines der vielen Mysterien der Musikgeschichte. Vielleicht lag es am dramatischeren Ausstieg aus der Szene?

Warum einem beim Wort „Grunge“ Chris Cornell immer erst als Zweiter oder Dritter einfällt, ist eines der vielen Mysterien der Musikgeschichte. Cornell war immer etwas zu hübsch, etwas zu unantastbar, um die Kids geschlossen hinter seiner Band Soundgarden zu versammeln. Dennoch war das ‘94erMachwerk „Superunknown“ nach Pearl Jams „Ten“ das beste Album, das die Hochphase des Grunge erleben durfte. Und übrigens: Im Gegensatz zu Kurt (tot) und Eddie (Drogen) ist Chris Cornell immer noch etwas zu hübsch. Aber dafür nach wie vor musikalisch relevant. Kann nicht jeder von damals von sich behaupten.

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Auf Facebook zirkuliert dieser Tage eine Fotomontage, die sich durch Wahrheitsgehalt, Beobachtungsschärfe und Reduziertheit so angenehm von vielen ihrer Geschwister abhebt. Oben ist ein föngewellter Justin Bieber zu sehen, der erzählt, dass Gott ihn auf die Erde geschickt habe, um Musik zu machen. Unten: Lemmy Kilmister, bärtig am Mikro: „No, I didn‘t!“. ‘Nuff said. Lemmy ist der Gott, auf den sich knapp 40 Jahre nach Gründung seiner Band Motörhead alle Rockfans zwischen 15 und 60 einigen können. Denn Lemmy macht keine Faxen, er spielt einfach Rock‘n‘Roll. Lauter und kompromissloser, als alle anderen. Passionierter „Jack And Coke“-Trinker und Spielautomatenspieler. Seine Roadies schleppen das Ding von Gig zu Gig und während backstage immer eine Armada von Bewunderern um ihn herum schwirrt, schmeißt The Lem sein eigenes Geld oben rein und holt es unten wieder raus.

Lemmy ist der Gott, auf den sich alle Rockfans zwischen 15 und 60 einigen können. Little Known Facts In Rock History: Lemmy ist „Kinder“Schokolade-Freak – neben dem Daddelautomaten Pflicht in seiner Garderobe. Schwer zu glauben, oder? Überliefert ist, dass der gebürtige Waliser einst den Stab über den einheimischen Überraschungseiern brach, als diese jahreszeitbedingt auf Plastik statt Schokolade als Hülle umstellten.


beide verhaftet – der Auftraggeber entpuppte sich als Detective Sergeant der Bezirkspolizei. „Zelle C war ein Trauma fürs Leben, und in mancherlei Hinsicht war er den Rest seiner Karriere damit beschäftigt, sein pornografisches Tonband Amerika in den Rachen zu stopfen, immer und immer wieder. Er würde den Amerikanern schon zeigen, wie ihr Land wirklich war.“

e Frank Zappa

Der altehrwürdige Musikexpress schrieb 1979, der Mann mit dem stechendem Blick und der bis heute charakteristischen, stets perfekt getrimmten Gesichtsbehaarung, sei „der hässlichste, arroganteste, gröbste und unverschämteste Künstler, dem man als Journalist begegnen kann“. Zappa seinerseits sagte ein Jahr später über die damals noch viel mächtigere und populärere Kaste des Musikjournalisten (vgl. „Almost Famous“) nicht viel weniger zynisch: „Rock journalism is people who can‘t write interviewing people who can‘t talk for people who can‘t read.“

Man war sich in inniger Ablehnung zugetan und das hatte gute Gründe: Zappa lieferte nicht nur stets mutigen, innovativen Rock mit dadaistischen Anleihen, sondern auch immer und immer wieder die spannenden Geschichten dazu. So ist überliefert ein Erweckungserlebnis hatte, das den jungen Musiker zu dem wütend-zynischen Akkordarbeiter gemacht hat, der am Ende seiner Karriere auf rund 60 Studioalben zurück blicken konnte. Im Frühjahr 1965 wurde der Musiker wegen „Verschwörung zur Pornografie“ verhaftet und zu sechs Monaten Haft verurteilt, von denen er zehn Tage absitzen musste. Was passiert war? Zappa bekam als Studiomusiker den Auftrag, sexuelle Aktivitäten auf Tonband zu bannen. Der Sohn sizilianischer Einwanderer und seine damalige Freundin setzten sich vor die Studiomikrofone und erledigten den Job. Bei der Übergabe des Bandes wurden

Ob er das geschafft hat? Der Nachklang seines Schaffens ist auf jeden Fall gewaltig. Zappa hatte seine Standpunkte meinungsstark zu Themen der Massengesellschaft vertreten, zu Drogenpolitik und Meinungsfreiheit. Und war dabei gleichzeitig so radikal und fundiert, dass der Musikkritiker Ben Watson Zappas Band „Zappas Mothers Of Invention“ zur „politisch wirksamsten musikalischen Kraft seit Bertolt Brecht und Kurt Weill“ kürte. Man hat Gene nach ihm benannt, Mollusken

„Rock journalism is people who can‘t write interviewing people who can‘t talk for people who can‘t read.“ und Quallen, sogar einen Asteroiden. Sein WikipediaEintrag umfasst mit rund 83.000 Zeichen mehr als doppelt so viele wie der George W. Bushs, möchte man das als eine Art Triumph des Ausnahmekünstlers über die Bigotterie seiner Heimat sehen. Frank Zappa starb am 4. Dezember 1993 an Prostatakrebs, knapp zwei Monate nach der Veröffentlichung seines letzten Albums.

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e Nils Koppruch

Als wir mit Nils Koppruch und Gisbert zu Knyphausen über deren gemeinsames Projekt „Kid Kopphausen“ sprachen, waren es zuerst die Augen. Diese immer so ganz leicht zusammen gekniffenen Jungsaugen, aus denen ein charmanter Schalk blitzte. Und ein stetiges Interesse am Gegenüber und seinen Geschichten. Ich weiß nicht, ob es professionell war, die geübte Charade des Künstlers, der ein paar Wahrheiten über sein neues Werk diktieren wollte. Wir sprachen über seine alte Band FINK, mit der er den Country mit der deutschen Sprache zusammen brachte. Unpeinlich, im Gegenteil, tief poetisch und immer mit dem überraschenden Wort am richtigen Platz. Wir sprachen über Bob Dylan, das Verhältnis von Kunst und Politik und seine Solokarriere und so viel mehr. Wir kannten Nils vorher nicht besonders gut und haben ihn auch nach unserer gemeinsamen Stunde nicht viel besser gekannt. Aber wir wussten schnell: Er ist ein guter Mensch – voller Begeisterung für sich und sein Tun, aber auf eine rein gute Weise. Voller Tatendrang, voller Lust, noch viel zu sehen, viel zu hören und viel zu teilen. Drei Wochen nach unserem Gespräch, eine Woche, nachdem wir ihn noch live gesehen haben, war er tot. Mit nicht einmal 50 Jahren. Und auch wenn der Tod in den seltensten Fällen ein willkommener Gast ist: Schlimm ist es, wenn in dem zu früh gegangenen noch ganz viel Kunst steckte, ganz viel Leben. Viele Ideen, Melodien und Zeilen. Und Ziele. Für sich und für seine Hörer.

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In unserer letzten Ausgabe sagte Nils, er wolle so lange unterwegs sein, wie ihn die Leute hören wollten. Das Echo auf seinen Tod ist ein ganz lauter Ruf gewesen, doch weiter zu machen. Aber es geht nicht mehr. Die Tragik des Lieblings des Feuilletons liegt immer irgendwie in der Diskrepanz zwischen posthumer Verehrung und dem Überdierundenkommen zu Lebzeiten. Musik war die Liebe, die Leidenschaft des Hamburgers. Die Energie, die dieser Kunstmensch im engsten Sinne, brauchte, um sie in schwere Worte in kleinen, reduzierten Melodien zu verwandeln. Dass er nur leidlich davon leben konnte, ist vielleicht dem Umstand geschuldet, dass die, die ihn jetzt am euphorischsten vermissen, seine CDs immer gratis als Besprechungsexemplar bekommen haben. Hätte nur die Hälfte derer, die heute den Verlust dieses wunderbaren Menschen beweinen, seine

Als Nils Koppruchs Herz aufhörte zu ­schlagen, geriet die deutsche Musik­ landschaft für länger als nur einen kurzen Moment aus dem Takt. Platten gekauft oder seine Konzerte besucht, hätte es den Maler Koppruch nie gegeben. Als Nils Koppruchs Herz am 10.10. aufhörte zu schlagen, geriet die deutsche Musiklandschaft für länger als nur einen kurzen Moment aus dem Takt. Seine letzten Worte in unserem Interview waren: „Wenn keine Fragen offen bleiben, dann muss man möglicherweise weiter ziehen.“ Nils, du hast so viele Fragen beantwortet. Aber musstest du wirklich schon weiter ziehen?

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Und wie trägst du ihn?

Kurt Cobain

Dies ist keine Huldigung, dies ist eine Anerkennung: Die Anerkennung, dass ein junger Mann aus Aberdeen, Washington Anfang der Neunziger eine ganze Armada langhaariger Glamrocker in die Depression stürzte, aus der er selbst seine Inspiration zog. Die Anerkennung, dass hier jemand ein Mangel an Charisma zur Kunstform, zur neuen Art von Ausstrahlung erheben konnte. Abgetragene Jeans und unförmige Holzfällerhemden wurden in seinem Jahrzehnt zur Uniform derer, die sich in seiner Kunst wiederfanden. Die Zeit der guten Laune und des sprudelnden Übermutes war vorbei und eine neue sachlich-skeptische Nüchternheit hielt Einzug in die Welt der Unverstandenen. Nein, da war sie ja schon immer angelegt, diese immer einen Tick zu selbstgerechte Ratio. Doch nun gab es da jemanden, auf den man sie projezieren konnte. Kurt Cobain, Zeit seines Lebens mit Tod, Verderbnis, Trennung und Drogen konfrontiert, produzierte mit NIRVANA den Soundtrack für die selbstbewusste oder eingebildete Depression, füllte damit drei Studioalben und schoss sich im April ´94 mit einem großkalibrigen Gewehr der Marke Browning ins Gesicht. Sehr charmant. Kurt Cobain war der größte Rockstar seines Jahrzehnts, mehr noch, er war ein überlebensgroßer Messias. Sein Vermächtnis: Dave Grohl. Danke immerhin dafür.

Den kreativen Wahnsinn Zappas, die überbordende Coolness von ZZ Top oder das aristokratische Charisma von Freddy Mercury können wir euch leider nicht als Schablonen zum Ausdrucken und Mitnehmen zur Verfügung stellen. Wohl aber deren charakteristische Gesichtsbehaarung. Aber was damit anfangen? Wir wissen was: Ihr druckt euch eure Lieblingsfrisur auf www.blank-magazin. de aus, schmückt euch damit und eilt zum nächsten Fotoautomaten. Alleine oder zu zweit, vollkommen egal: Wir prämieren die coolsten Bilder, die verrücktesten All-Star-Bands. Zu gewinnen gibt es nicht nur die Aufnahme in unsere Ahnengalerie im nächsten Heft, sondern auch ganz handfeste Preise für alle Echthaarträger mit Stilbewusstsein. Braun stellt uns für den Gewinner die komplette cruZer Familie (bestehend aus „cruZer face“, „cruZer body“ und „cruZer precision“) für individuelle und flexible Bart- und Bodystyles zur Verfügung. Für Platz zwei bis fünf gibt es einen „cruZer precision“. Schickt uns einen Scan Eurer Bilder bis zum 02.01.2013 an cruzer(at)blank-magazin.de. Viele Inspirationen findet ihr auf: www.shaveyourstyle.com

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h e william Fitzsimmons

Jay Kay

Seit 1992 ist der Space Cowboy Jay Kay das gesicht der tanzkapellerischen Chartstürmer Jamiroquai. Die musikalische Vision dieser Band ist immer irgendwie ungreifbar, aber auch unangreifbar. Was als nächstes kommt ist sicher nicht das, was als letztes kam. Wann kam eigentlich das letzte mal was?

Bei William Fitzsimmons aus Illinois gehört der Bart zum Erscheinungsbild wie auch das Karohemd und die Gitarre. Der Folksänger, dessen Songs hauptsächlich von verweigerter und versagter Liebe handeln, wirkt dadurch erwachsener als er eigentlich ist. Doch wahrscheinlich ist in diesem Fall der Bart nicht nur Folge eines fölkischamerikanischen Gedankens, sondern vielmehr Schutz und Wall, die eigene Verletzlichkeit hinter einer männ-

Wahrscheinlich ist hier der Bart nicht nur Folge eines Sein Bart ist eher eine ­fölkisch-amerikanischen filigrane Geschichte, Gedankens, sondern viel­ pendelt zwischen ­pubertärer Haarwüste und mehr Schutz und Wall, die gestutzter 3-Tage-Ästhetik. eigene Verletzlichkeit hinter einer männlich stilisierten Sein Hang zur Männlichkeit und das Ausleben von Maskulismus zeigt er in spezieller Weise durch seine schon Maske zu verbergen. legendäre Sammlung hochwertiger und luxorisöser PSGiganten.

Sein Bart dagegen ist eher eine filigrane Geschichte, pendelt zwischen pubertärer Haarwüste und gestutzter 3-Tage-Ästhetik. Ein bisschen wild. Ein bisschen verwegen. Aber nicht mehr.

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lich stilisierten Maske zu verbergen. Seine eher melancholischen, zur Deppresivität neigenden Liebes- und Leidenslieder werden zuweilen auch gerne genommen, wenn herz- und gemütsergreifene Serien wie Grey‘s Anatomy die Extraportion Emotionalität suchen. Insofern hat der eigenbrötlerisch wirkende Fitzsimmons vielleicht tatsächlich jene erreicht, die ihn verstehen (möchten). Die Wahrscheinlichkeit Fitzsimmons jemals ohne Bart zu sehen tendiert wohl gegen Null.


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artist des Jahres: fetsum Fotografie Jakub Koncir (links), Kim Dai Kuasook Text Johannes Finke

Wer diese Stimme einmal gehört, wird sie nicht mehr vergessen. Das ist Seele. Schwarz. ­Schwäbisch. Denn Fetsum lebt jetzt zwar seit einigen Jahren in Berlin, aber er kommt „aus dem Schoß der Kolchose“, aus der beschaulichen Weltstadt Stuttgart oder wie es so schön heißt: Benztown.

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o langsam aber sicher und mit Sicherheit bald rasend schnell wird er entdeckt. Bei Tape TV auf dem Dach. Beim wundervollen Auftritt bei meiner Hochzeit. Auf seiner ersten eigenen Tour durch die Bundesrepublik oder Seite an Seite mit Max Herre, der schon früh von Fetsums großartiger Stimme profitieren konnte. Die Zeichen stehen jetzt offensichtlich auf Erfolg. Die Segel sind gesetzt. 2013 geht es in die große weite Welt. Dort fühlen sich seine Songs zuhause, denn seine Songs sind keine diskurs-verklausulierten Mucker-Epen, die mit aller Mühe und unter Verwendung zeitgenössischer Versatzstücke versuchen zeitgeistig zu sein, seine Songs sind schlicht in ihrer

Fülle und entwaffnend in ihrer unmittelbaren Emotionalität. Seine Stimme ist dabei Basis und erste Geige zugleich. Vielleicht die stärkste Soulstimme in unserem Land. Ein Meer an Variationen,

eine Bandbreite, die diesen Namen verdient, und doch unverwechselbar. Eigen. Magisch. Fetsum hat ein Gespür für Musiker und Instrumentierung. Oftmals entstehen auf seinem im Sommer beim wunderbaren Berliner La-

bel Sonar Kollektiv erschienen Album „Colors Of Hope“ Momente der Zurückgenommenheit, Raum für freie Assoziationen, fast schon Leerstellen, die dennoch nie an Bestimmtheit verlieren und nie das Verlangen aufgeben, den Hörer mitzunehmen, keine Rast einräumen, nur Verschnaufpausen. Fetsum reduziert auf das Wesentliche. Ein Vorgang, der anhält. Seine größte Stärke als Musiker. Im Spätsommer saßen wir mal im Mitte Kaffee und plauschten. Er hatte eine CD für mich dabei. Frisch. Druckfrisch. „Weißt Du, Haines, eigentlich müsste diese CD so groß und hoch wie dieses Haus hier sein“, und ich ­wusste ziemlich genau, was er damit meint. Sich zu entfalten, heißt für Musiker oftmals auch sich

MUSIK BLANK I 33


Fetsum ist stark. Er weiß, dass seine Bestimmung darin liegt zu singen. So einfach kann das manchmal sein. einschränken zu müssen, Konzepte zu finden, die realisierbar sind und dem Anspruch genügen, den man sich als Künstler selbst vorgibt. Manchmal kann es dann dauern. Monate. Jahre. Eigentlich hat Fetsum sein ganzes Leben an dieser ersten, richtigen Platte gearbeitet und auch der eigentliche Prozess aus Songwriting, Arrangement, Recording und Produktion hat sich über Jahre hingezo-

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Musik

gen. Doch so ist das manchmal. Geduld ist in dieser Branche eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft und Fetsum ist eher vorsichtiger Natur. Er hat viel erlebt. Er ist manchmal misstrauisch. Stoisch. Und das muss man natürlich aushalten können. Aber Fetsum ist stark. Er weiß, dass seine Bestimmung darin liegt zu singen. So einfach kann das manchmal sein. Dass man da als

frischgebackener Vater manchmal ins Zweifeln gerät, kann man schon verstehen. Aber sind Zweifel und deren Überwindung nicht gerade einer der größten Motoren, wenn es darum geht, das eigene Getriebe in Gang zu halten, Kreativität und Botschaft als Selbstfindungsprozess nach Außen zu kehren und die eigene Gabe als Geschenk zu begreifen? Mit seiner Musik macht Fetsum zumindest mal all denen ein Geschenk, die einfach mal abgeholt werden wollen. Wo es dann hingeht? Das weiß zum Glück eigentlich nie einer.


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MUSIK Till Brönner

München, Muffathalle November 2012 In der Muffathalle zu München waren bereits alle Plätze vergeben. Stehen? Stehen! Ehrlich? Wie lange das denn? In diesem Moment betrat Herr Brönner die Bühne. Ohne Umschweife begannen er und seine vierköpfige Band zu spielen. Und selbst wenn man nicht wusste wie schwer solch eine Harmonie zwischen Trompete und Saxophon herzustellen ist, die Till Brönner und Magnus Lindgren da zelebrierten. Selbst wenn

man nicht weiss, dass es gerade die Tempowechsel sind, mit denen Wolfgang Haffner das Schlagzeug zu einem ganz großen Instrument macht. Es war egal. Wir alle im Zuschauerraum tauchten an diesem Abend gemeinsam ein in dieses farbenfrohe Jazz-Universum von Till Brönner. Für Herrn Brönner, Lindgren, Soffers, Haffner und von Kaphengst wäre ich gerne noch länger stehen geblieben, aber zwei Stunden auf diesem Niveau zu spielen, ist ein unglaublicher Kraftakt. Danke für einen traumhaften Abend. (RL)

The International Sound Of Hedonism

Jaya The Cat Warum eine Band dem musikalisch doch durchaus fruchtbaren Bostoner Heimatboden den Rücken zudreht und geschlossen nach Amsterdam auswandert, entzieht sich meinem Verständnis. Völlig. Was

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ich dafür umso besser verstehe, ist, warum das aktuelle, schön griffig „The New International Sound Of Hedonism“ betitelte Werk der Neu-Holländer bei Fans und Kritikkollegen so gut ankommt. Denn Jaya The Cat (mit der bärtigsten Doppelspitze seit ZZ Top) verstehen es wie derzeit keine zweite Band, einen relaxt und gut gelaunten groovenden Offbeat so geschmackvoll mit erdigen Gitarren und dem stimmlich weißesten Rastaappeal (oder andersrum) zu kreuzen. Programmatisch: Die Single und der unbestrittene Hit der Platte „Here Come The Drums“. Was für ein Ausdruck an Tanzbarkeit, was für eine Geschichte. In den vielen guten Momenten erschaffen die Mannen um Frontzottel Geoff Lagadec fiese, räudige aber immer eingängige Bastarde aus Working Class-Zorn und Underdog-Schalk, die sich unverzüglich im Ohr festbeißen. Das funktioniert in Albumlänge natürlich nicht immer völlig unfallfrei und der eine oder andere Durchhänger hat sich eingeschlichen, aber die Seele dieses Albums, die Seele dieser Band, versprüht genau eine Botschaft: Mich zu hören macht Laune und du stehst damit auf der richtigen Seite. Allerdings immer nur mit einem Bein auf der Erde. Dieser Offbeat, verdammt noch mal. (TE)


Sinnbus Label-Special Freunde der aufs Maximum reduzierten Klangkunst, die das Außergewöhnliche im vordergründig Einfachen zu suchen und zu finden bereit sind, kennen das Berliner Label „Sinnbus“ natürlich schon längst. Den anderen, die sich gerade zum Avantgardisten ausbilden lassen oder nur die Leichtigkeit des musischen Seins wieder finden möchten, seien die Releases dieses feinen Labels mit dem handverlesenen Artist-Roster ans Herz gelegt. Denn auch wenn die populärsten Schützlinge Bodi Bill ihr letztes Album bereits 2011 vorgelegt haben, haben die Berliner, die nächstes Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feiern, diesen Herbst einige Eisen im Feuer. Die von Tobias Siebert (Klez.e u.a.) produzierten ME AND MY DRUMMER zum Beispiel: Singer/Songwriter-Romantik trifft auf Indiepop trifft auf geschmackvoll gesetzte Synthiepassagen. Musik zum Träumen, Musik zum Drübernachdenken. Wie spannend

Black Waltz

Avatar Noch ein bisschen Metal vielleicht, um den diesmonatigen bunten Genremix auch rund zu machen. Aber es muss schon etwas Außergewöhnliches sein, kein bloßer Quotenerfüller. Da kommen AVATAR aus Schweden gerade Recht. Denn hier gibt es mit „Black Waltz“ nicht nur ein formidables neues Al-

eingesetzten Streichern. Nicht für die Theatralik, nein. Sondern als eigene Farbe in der Komposition aus Hellgrau und Dunkelbunt. Die Instrumentalpassagen der Kompositionen der Briten RUE ROYALE verlangen irgendwie immer nach einer Eskalation nach Art der Kollegen von Archive.

Oder nehmen wir die eigentlich noch viel zauberhafteren Norweger EINAR STRAY um den gleichnamigen Bandkopf, die mit ihrem Sinnbus-Debüt „Chiaroscuro“ und der „For The Country“-EP den Soundtrack für einen zwar regnerischen, aber doch nicht tristen Herbst liefern. Immer zwischen Euphorie und Melancholie pendelnder Skandinavien-Pop mit effektvoll

Aber das Auflösen der selbstverordneten Ordnung steht auf „Guide To An Escape“ immer nur unmittelbar bevor, immer wird es nur angetäuscht. Und das ist auch überaus erfreulich, denn das gezähmte steht diesem feinen Duos so ausgesprochen gut. Für Freunde von... von wem? Vielleicht für alle, die sich selbst als besten Freund begreifen. Denn diese kleine, feine aber immer spannende Musik fordert das Wertvollste von einem selbst: Die Hingabe, den Willen zur Auseinandersetzung mit der Kunst und die unbedingte Empathie. Belohnt wird man reich durch, denn hier bekommt der Hörer genau das zurück, was er investiert: Wer sich fallen lässt, wird aufgefangen. (TE)

bum zu bestaunen, sondern noch echte Einstiegskurse zu bieten: Die Jungs machen zwar schon seit sechs Jahren gemeinsam Musik, sind aber alle erst Anfang Zwanzig. Es gibt also noch Early Adopter-Meriten zu ernten. Das nur als Hinweis für alle, die kommerziell erfolgreiche Metalbands ab 30 per se scheiße finden wollen. „Black Waltz“ ist ein überaus sauber produziertes Stück harte Mu-

sik, ein gut duftender Strauß verschiedenster Einflüsse. Man hört, dass die jungen Herren

das ist hat man erst im November auf den heimischen Bühnen gesehen. Nachhören kann man das alles auf ihrem aktuellen Album „The Beak, The Hawk, The Prey“.

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bereits mit Helloween, In Flames oder Stone Sour getourt sind, denn es ist auch dieses Dreieck, in dem sich Avatar kompositorisch und technisch bewegen: Groovende Riffs mit dem wachen Auge auf eine Melodie, die hängen bleibt. Für Fans der genannten Bands Pflicht, mal rein zu hören. Hat euch Schweden je enttäuscht? Na also. Ihr werdet es vielleicht nicht uneingeschränkt mögen, aber es gibt viel zu entdecken. Packt es an. (TE)

chen und kletterte nach und nach in den Charts nach oben, bis sie schließlich in der achten Woche an der Spitze angekommen war - in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Belgien und den Niederlanden. Mit „Wankelmoods Vol. 1“ liegt jetzt die erste Mixcompilation des 25-Jährigen vor. Das kommerzielle Appeal von „One Day“ tragen natürlich die meisten Stücke nicht in sich, das war aber wohl auch gar nicht gewünscht und überhaupt schüttelt man sich die Hits ja auch nicht aus dem Ärmel. Dafür ist „Wankelmoods Vol.1“ eine Werkschau geworden, die stimmig und dynamisch arrangiert zeigt, dass das Repertoire Wankelmuts so breit ist wie das Grinsen, das er wahrscheinlich seit Monaten nicht mehr aus dem Gesicht kriegt. (TE)

Leftboy Wankelmoods Vol.1

München, Backstage Werk Oktober 2012

Wankelmut Es war wahrscheinlich DER Clubhit des Sommers: Mit „One Day“, einer tanzbar gemachten Version von Asaf Avidan & The Mojos „Reckoning Song“, gelang dem berliner DJ (und Philosophie-Studenten) Wankelmut Großes. Die Nummer bewies einen langen Atem im Radio und auf den tanzflä-

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Musik

Wir sind aus der Zeit gefallen. Da standen wir, vermummt in unsere Winterjacken, weder mit verwaschenen T-Shirts, noch in Neonfarben und nicht einmal Kappen zierten unsere Köpfe. Obwohl Schnee und Kälte über die Landeshauptstadt hereingebrochen war, schien sich dies unter den vornehmlich eben erst Volljährigen noch nicht herum-

gesprochen zu haben oder sie mussten an der Garderobe Gewaltiges los geworden sein. Wir jedenfalls öffneten lediglich unsere Reißverschlüsse, lauschten den Sprechchören, und versuchten herauszufinden weshalb Jeder in dieser ausverkauften Halle so erstaunlich gut drauf war. Es sei vorweggenommen, dass dieses Rätsel bis zum Ende ungelöst blieb, was wir aber sahen waren zwei „normale„ Jungs, die sich vor dem heruntergelassenen Vorhang gekonnt im coolbasslastigen Storytelling-Rap versuchten und anschließend die Landung eines Außerirdischen. Wir erlebten einen Menschen, der sich „Leftboy“ nennt, machen kann, was er will, dabei schlichtweg immer den Takt trifft und sein Publikum nicht nur abholt, sondern aus sich raus gehen lässt und das bis zur nahezu vollständigen Erschöpfung. Dass wir uns während der unzähligen Hymnen, der LED-Zauberei, vor diesem gewaltigen magischen Wasserfall und dem abschließenden Stagediving des Künstlers zu Tode schwitzten, aus dem Staunen nicht mehr herauskamen und nach zweieinhakb Stunden im Gefühl, „spiessig geworden zu sein“, glückseelig in die klare Nachtluft gingen, bleibt hier besser unerwähnt. L-E-F-T-BO-Y, den Namen braucht man sich nicht merken, er wird einen begleiten. (RL)


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WEIHNACHTSZEIT, GESCHENKEZEIT Wir haben wie immer einen prall gefüllten Gabentisch für euch vorbereitet. Was fürs Herz, was für die Lieben, was Digitales, was Analoges, was zum die Geschenke heimschleppen und natürlich was zum Sichselbstbeschenken. Einfach eine Mail mit dem Wunschgewinn und eurer Adresse bis zum 20.12. an verlosung@blank-magazin.de schicken und ihr seid dabei.

STOP THE WATER WHILE USING ME! Geschmeidige, gesunde Haut und duftendes Haar durch wirksame Natursubstanzen: STOP THE WATER WHILE USING ME ist das reine Gewissen unter den Pflegeprodukten. Diese Serie kommt ohne synthetische Inhaltsstoffe aus und versteht sich durchaus offensiv als qualitativ hochwertigsten Appell an das wachsende Umweltbewusstsein unserer Gesellschaft. Der Name ist eine Aufforderung, ökologisch verantwortlich zu handeln. Auch und gerade während der Körperpflege, denn hier gibt es noch gewaltigen Optimierungsbedarf. Man denke nur an den horrenden Wasserverbrauch während Tagesvor- und Nachbereitung. Ein glücklicher Gewinner darf sich dann ab Januar daran erinnern lassen, welche Ressourcen er gerade unnötig den Abfluss runter schickt. Wir verlosen einmal die komplette STWWUM-Familie, bestehend aus Shampoo, Duschgel, Conditioner, Handseife, Handcreme, Bodylotion und dem Zahnpflegeduo.

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„WII SPORTS RESSORT“ SIGNIERT VON STEFFI GRAF UND DEN FANTASTISCHEN VIER Eine Erfolgsgeschichte: Mit rund 100 Millionen verkauften Exemplaren ist Nintendos „Wii“ die mit weitem Abstand populärste Konsole der Neuzeit. Und das nächste Kapitel steht mit der Präsentation der jüngsten Generation erst noch an. Die Innovationen der Wii und der bewegungssensitiven Controller runter zu beten, hieße Euros nach Athen zu tragen. Deswegen beschränken wir uns auf die guten Nachrichten, die wir für alle Consoleros unter euch haben. Nintendo hat uns vier Exemplare der aktuellen generation zur Verfügung gestellt, die wir an euch weiter geben. Der Clou: Alle vier sind von entweder den Fantastischen Vier oder Steffi Graf signiert und kommen mit Controller und dem Sportspiel-Klassiker „Wii Sports Ressort“. Bitte gebt bei eurer Mail an, wer euer absoluter Lieblingsstar ist.

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EASTPAK RUCKSÄCKE CORE SERIES Der Dauerbrenner in unseren Verlosungsstrecken: Taschen und Rucksäcke aus dem Hause eastpak. Dass das so ist hat gute Gründe: Ich meine, schaut euch die Teile doch an. Das „Schick as schick can“, die bewährte eastpak-Kombination aus Funktionalität und Design und die Gewissheit, euch mit diesen beiden Vertretern der aktuellen „Core“-Serie eine echte Freude zu machen – alles schlagende Argumente, diese feinen Produkte immer wieder einzusammeln und an euch weiter zu geben. Dieses Mal in der Verlosung: Zwei Rucksäcke im charakteristischen eastpak-„Look and Feel“ mit genug Platz für Laptop, Schulausstattung und/oder das, was ihr heil und elegant von A nach B bringen möchtet.

LISE LINDVIG PUMPS „YASMIN“ Die dänische Designerin Lise Lindvig steht seit 2006 für Leidenschaft, Qualität und Materialvielfalt. Ihr oberstes Ziel: Frauen von ihrer besten Seite zeigen, ohne dabei laut und overdone zu sein. Wie ihr das mit dem Modell „Yasmin“, ein stylischer Wedge Pump, gelungen ist, kann eine Gewinnerin ab Januar ganz genau unter die Lupe nehmen. Wir verlosen ein Paar in Größe 40.

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ORIGINAL SWISS BOTTLES VON SIGG Trittsicherheit auf rutschigem Geläuf garantieren sie leider nicht, sorgen aber seit 1908 für den garantiert unfallfreien Transport von kalten und heißen Getränken in allen Klimazonen: Die „Original Swiss Bottles“ von Sigg. Wir haben ein komplettes Set (0,4 L, 0,6 L und 1 L) im markanten und streng limitierten Schnurrbart-Design für einen Outdoor-ambitionierten Gewinner. Der Hintergrund des außergewöhnlichen Designs: Der Schnurrbart ist das Symbol, mit dem das Bewusstsein für die Problematik von Prostatakrebs zu fördern. SIGG beteiligt sich mit dieser Serie an der Aktion der „Mo‘ Bros“.

DEEZER PREMIUM+ ABO FÜR 3 MONATE Der Wahnsinn: Der Musik-Streamingdienst „Deezer“ spendiert fünf mal das Abonnement „Deezer Premium+“ für je drei Monate. Das bedeutet: Drei Monate unbegrenzter Zugriff auf über 20 Millionen Musiktitel, egal, ob von deinem Smartphone, dem Tablet PC oder von deinem Mac zuhause. Deezer wird derzeit von mehr als 26 Millionen Menschen weltweit genutzt, die sich jederzeit und überall Zugriff auf ihre Lieblingstitel und die spannendsten Neuerscheinungen gesichert haben. Ohne exklusive Software und ohne weitere Hürden. Einfach deine Hits in die Playlist laden und sie immer und überall dabei haben. LIFESTYLE BLANK I 43


BEANIE „BRUCE“ VON BARTS Endlich macht sich mal jemand um die Rückkehr des Bommels verdient: Mit „Bruce“ schickt BARTS ein funktionelle und überaus schicke Beanies ins Rennen, um dem Bommel wieder den Status zu verschaffen, den er in einer trendbewussten Gesellschaft verdient. Nämlich als zeitloses, kleidsames Statement. Mehrfarbige Maschen, ein wärmendes Innenfutter und hochwertige Verarbeitung machen „Bruce“ zu einem guten Freund nicht nur im kommenden Winter. Wir haben drei Stück, die wir gerne in die Welt senden.

STRICKPULLOVER VON ANTONY MORATO Das kommt gerade noch rechtzeitig: Wir rüsten einen glücklichen Gewinner perfekt für den Endspurt in diesem Winter aus. Und zwar mit einem überaus edlen Strickpullover aus dem Hause Antony Morato. Wärmende Wolle und ein raffiniert gelegter Schalkragen lassen vielleicht genau dich im NorwegerLook glänzen. Wir haben den SCOLLO-Strickpullover einmal in L.

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SKYLANDERS: GIANTS STARTER PACK

Die „Skylanders“-Serie für PS3 aus dem Hause Activision entwickelt sich zu einem Dauerbrenner auf dem Gamesmarkt. Mit „Skylanders: Giants“ ist aktuell der zweite Teil erhältlich und knüpft in jeder Hinsicht dort an, wo „Skylanders Spyro‘s Adventures“ den Staffelstab übergeben hat: Die innovative Verzahnung von physikalischer und virtueller Welt, plattformübergreifende „intelligente“ Spielfiguren und natürlich immer neue Herausforderungen in der virtuellen Welt. Skylanders: Giants führt zwanzig neue Charaktere ein, darunter die gewaltigen Riesen mit ihren ebenso gewaltigen Kräften, sowie einen Satz Figuren mit neuer Lichttechnologie, die die Magie der Spielzeugfiguren erweitert. Mit weniger Worten: „Skylanders“ setzt Maßstäbe und wird euch gut über den Winter bringen. Wir haben dreimal das„Skylanders:Giants“ Starter Pack für euch.

MÖVENPICK RESTAURANTS GUTSCHEINE Auch Mövenpick will euch reich beschenken und das bereits bevor das Christkind kommt. Für Verliebten und alle, die ihre Liebsten festlich verwöhnen wollen, verlosen wir drei Gutscheine im Wert von je 50 Euro für ein kulinarisches Verwöhnprogramm in einem der zahlreichen Mövenpick Restaurants in ganz Deutschland. Damit ihr es euch mit euren Liebsten mal so richtig gut gehen lassen könnt.

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Hof

astronom Fotografie Jennifer Endom Styling Gabriela Splendore, Marilia Chamon Make-Up Yuka Hirata using mac Haare Michiko Yoshida using Bumble & Bumble Ausstattung COS Accessoires Basia Zarzycka Model Lena FM Models

Jennifer Endom studierte Fotodesign in Bielefeld und London und wurde 2011 mit dem ­Canon-Profifoto-Förderpreis ausgezeichnet. Heute lebt und arbeitet sie in London, ­ zeitweise auch Berlin und konzentriert sich auf den Bereich Mode- und Portraitfotografie. Die Fotostrecke entstand in London mit dem deutschen Model Lena, der Name der Strecke ist ein Zusammenschluss von alter Tradition – in diesem Fall die Lichtsetzung, das Benutzen der Stoffhintergründe und den klassischen Elementen – sowie funkelnden Accessoires und Mode, die an Sterne erinnern lässt. www.jenniferendom.de

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Herr Monot, Jr.,

ich könnte ihnen noch

ewig

zuhören … Text & Fotografie Roman Libbertz

Nächstes Jahr feiert er sein zwanzigjähriges Schauspieljubiläum. Er war ein „Absoluter Gigant“, in „Die Blaue Grenze“, als Bosch, der Strafvollzugsbeamte in „Das Experiment“ oder neben Ulrich Tukur als der Peter in diesem wunderbaren Tatort „Das Dorf“ zu sehen, um nur einige seiner­­Darbietungen zu nennen. Man könnte meinen, dieser Hesse mit stark schweizerischem Einschlag, wäre ein alter Hase, aber dafür leuchten seine Augen immer noch zu kindlich, wenn er über Film spricht.

S

chnell ist klar, hier sitzt jemand, der seine Kunst beherrscht, aber auch darüber hinaus etwas bewegen will. Wie sonst wäre zu erklären, dass er eines der Gründungmitglieder des Zürich Film Festivals ist und dieses auch über fünf Jahre als künstlerischer Leiter dirigierte. Oder dass er selbst Miteigentümer einer Schauspielagentur war, die er jedoch aufgrund seiner Tätigkeit in Zürich dann schweren Herzens abgeben musste. Oder dass er gerade mit der Zuckerfilm GmbH, seiner eigenen Produktionsgesellschaft, soeben den zweiten Spielfilm fertig gestellt hat.

BLANK: Was würden Sie gerne über sich lesen? AM: Antoine Monot, Jr. ist unfassbar gut aussehend. BLANK: Und was würden Sie gerne in 20 Jahren über sich lesen? AM: Aus der Zuckerfilm ist eine gewaltige Produktionsfirma geworden, die Herrn Monot, Jr. natürlich auch noch von Zeit zu Zeit als Schauspieler beschäftigt. Alles begann für den kleinen Antoine im Alter von elf Jahren, als er beschloss Schauspieler zu werden. Das lag nahe, war doch der Vater Komponist und die Mutter als Schauspielerin tätig und Antoines Kindheit eben

mitten im Künstlermilieu. Fasziniert von Dustin Hoffmans Vorstellung in „Tod eines Handlungsreisenden“ auf der einen und „Dirty Dancing“, den er nach eigenen Angaben zwölf Mal gesehen hat, auf der anderen Seite, verschlug es ihn an die Züricher Theaterhochschule, an der man ihm sagte, dass er das mit der Schauspielerei getrost vergessen könne, aber aufgrund seiner Leidenschaft doch ein Regiestudium das Richtige wäre. Eine gewaltige Fehleinschätzung, die Herrn Monot, Jr. wahrscheinlich aber half die eigenen Grenzen auszuloten und schließlich das zu finden, was er wirklich will: Spielen und Herstellen.

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BLANK: Wenn Hollywood anklopft? AM: Mach ich die Türe auf. BLANK: Und wenn die Traumfabrik sie als Produzent gewinnen wollte? AM: Würde ich mich gewinnen lassen. Am Liebsten würde Antoine Monot, Jr. eine Komödie erschaffen in der Art wie sie Working Title Films in den Anfangsjahren gemacht haben: „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“, „About a boy“, „Notting Hill“ oder „Love actually“. Vor allem Letzerer, der 2003 angelaufene Episodenfilm unter der Regie von Richard Curtis, der sich so schön zu einem großen Ganzen fügt, hat es ihm angetan. Auch das passt, denn wenn Herr Monot, Jr. nichts mit Film am Hut hätte, wäre er Pâtissier geworden. Als leidenschaftlicher Koch mag er es vor allem,

wenn alle Dinge zusammenwirken und im wahrsten Sinne des Wortes aufgehen. Auch auf seiner Facebookseite kann man beispielsweise verfolgen wie er einen Stollen über Tage bis zu seiner vollständigen Köstlichkeit bearbeitet. BLANK: Heimat bedeutet für sie? AM: Mit meiner Freundin zusammen zu sein, egal wo. Natürlich hatte er das Glück mit der Rolle des Walter („Absolute Giganten“) in Deutschland auf einen Schlag bekannt zu sein, aber ihm scheint dieses „Bekanntsein“ glaubhaft unwichtig zu sein. Viel lieber erzählt Herr Monot, Jr. neue Geschichten, statt sich mit Vergangenem aufzuhalten. Früher war früher und „nur der Tüchtige bleibt erfolgreich“. In manchen Filmen („Schwere Jungs“) übertrieb er es mit dieser Tüch-

Wenn Herr Monot nichts mit Film am Hut hätte, wäre er Pâtissier ­geworden. Als leidenschaftlicher Koch mag er es vor allem, wenn alle Dinge zusammenwirken und im wahrsten Sinne des Wortes aufgehen. 58 I  BLANK

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tigkeit sogar dermaßen, dass er trotz eines abgebrochenen Spikes den Bob dennoch weiterhin anschob, selbstverständlich abflog und sich anschließend auf einem besseren Metzgertisch einer tschechischen Vorkriegsklinik wiederfand, in der es dann mehr als kompliziert wurde ohne bleibende Schäden entkommen zu können. Den Rest des Filmes spielte er auf opiathaltigen Schmerzmitteln, wobei er vom Opium in seiner Medizin erst danach erfuhr. AM: Zwei Lieblingsfilmszenen? In „Love actually“ als Emma Thomson durch ihr Weihnachtsgeschenk herausfindet, dass ihr Mann eine Affäre hat, ins Schlafzimmer geht, aber nicht schreien will wegen der gemeinsamen Kinder. Und: Charlie Chaplin, der nach einer Beerdigung nur von hinten zu sehen ist. Er zuckt mit den Schultern als ob er weinen würde. Dann dreht er sich um und hält einen Cocktailmixer in den Händen. Spricht er über Ulrich Tukur, neben dem er im „Tatort“ brillierte, funkeln seine Augen und er betitelt den Schauspielkollegen sogar als Genie. In Übersee hat es ihm vor allem Alec Baldwin angetan und es scheint, dass für Monot, Jr. auch der Mensch hinter dem Schauspieler ein Gradmesser für größere Wertschätzung darstellt. Wenn


David Fincher einen neuen Film macht, geht er rein und wenn Til Schweiger ruft, spielt er gerne mit. Entgegen vieler hat er nämlich kein Problem mit Schweiger oder Schweighöfer, sondern findet es bewundernswert, diese Filme nach amerikanischem Vorbild auch in Deutschland herzustellen und damit Erfolg zu haben. „Alle kennen Keinohrhhasen, aber keiner will ihn gesehen haben.“ BLANK: Kennen sie Nervosität vor Castings? AM: Das ist reine Trainingssache. Man muss sich bemühen, den Druck auszublenden und jedes Vorsprechen als Chance

„Alle kennen Keinohrhhasen, aber keiner will ihn gesehen haben.“ begreifen, Dinge ausprobieren zu dürfen.

beste Fleisch ist, am liebsten Milchkalb.

Mit seiner Produktionsfirma hat er gerade den „Kaiserschmarrn (AT)“ gestemmt, eine Persiflage auf das Filmbusiness im Gewand einer Heimatkomödie. Er spielt darin einen Schauspieler, der gleichzeitig am Set eines Porno und eines Heimatfilmes abzuliefern hat. Die Zuckerfilm verhandelt gerade mit den verschiedenen Verleihern.

BLANK: Wollen sie zum Abschluss noch ein Buch empfehlen? AM: „Es muss nicht immer Kaviar sein“ - Simmel

BLANK: Ihre Henkersmahlzeit? AM: Kalb, da es für mich das

BLANK: Ach Herr Monot,Jr., ich muss gestehen, ich könnte Ihnen noch ewig zuhören. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und wenn ich mir noch einen Wunsch erlauben darf, spielen Sie doch auch mal in einer Serie mit, dann könnte ich sie noch öfter sehen.

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Fremd

Fotografiert Text Boris Guschlbauer Fotografie unbekannt


Jeder kennt diese Situation. Man kehrt von einer Reise zurück, durchstöbert und entwickelt die gemachten Fotografien und entdeckt darauf Menschen, die einem nicht bekannt sind, obwohl man mit diesen Fremden abgelichtet wurde. Für eine Sekunde teilte man denselben Augenblick, ein kurzes Lächeln, und schon ging jeder wieder seiner eigenen Wege – nur auf der Fotografie existiert man gemeinsam für die Ewigkeit. Fragen drängen sich auf. Was machen diese Unbekannten in ihrem Alltag, wie heißen sie, was sind ihre Wünsche, ihre Ideen, sind sie noch am Leben, oder hat sie längst das Zeitige gesegnet? Zurück bleibt eine Leere, die man nur mit Fantasie auffüllen kann. Hier nun ein persönlicher Blick auf die mir unbekannten Gesichter.


Fremd vor Leichen Natürlich wollte ich eine Selbstauslöser-Fotografie mit mir vor dem Manikarnika Ghat, dem Hauptverbrennungsplatz von Leichen in der heiligen Stadt Varanasi am Gangesufer. Die Gegensätze dieser indischen Stadt waren so gewaltig, dass ich eine Erinnerung daran benötigte, um mir meine Gegenwart dort selbst zu beweisen.

So platzierte ich die Kamera auf einer der Stufen, drückte den Selbstauslöser und stellte mich in Pose. Ganz unverhofft kam dieses Straßenkind angerannt und lächelte in die Kamera, als wären wir die dicksten Kumpels. Kaum war das Foto gemacht, war das Kind auch schon wieder verschwunden.



Fremd am Ende der Welt Dogubayazit befindet sich im äußersten Osten der Türkei und ist die letzte Stadt vor der iranischen Grenze. Im wilden Kurdistan auf einer Hochebene gelegen, könnte man meinen Dogubayazit ist das scheinbare Ende der Welt. Nicht gerade mit Schönheit gesegnet, existieren allerdings doch zwei gute ­Gründe, dieser Stadt einen Besuch abzustatten. Zum einen wäre da der Berg Ararat, der sich wie ein Koloss aus der Hochebene erhebt und man genau die Schneegrenze und das Gerippe der Arche erkennen kann, die dort gestrandet ist, zum anderen wäre da der Ishak-Pascha-Palast, der sich wie eine Vampirfestung gegen-

über dem Ararat in die Berge schmiegt. Von hier aus hat man eine perfekte Aussicht über die Hochebene und auf die schneebedeckten Berge am Horizont. Niemand schien an diesem kalten Morgen durch die Räume des Palastes zu irren, als ganz unverhofft diese Studententruppe auftauchte und jeder nacheinander ein Foto mit mir schießen wollte. So drückte ich einem meiner neuen Freunde die alte Praktika-Kamera in die Hand, die ich für umgerechnet zwei Euro auf dem Schwarzmarkt in Odessa gekauft hatte, und bekam dieses Bild. Der Junge rechts unten wurde durch den Blitz erleuchtet.



Fremd in den Bergen Die indische Stadt Mussoorie ist eine von den Briten gegründete Hillstation im Himalaya. Ein guter Ort, um der Hitze der Gangesebene zu entkommen, Natur zu genießen und Hanuman-Languren zu beobachten. Eines Abends traf ich auf Himanju (zweiter von rechts), der heimlich Kette rauchte. Seine Eltern durften niemals von seiner Nikotinsucht erfahren, und da Mussoorie nicht gerade eine große Einwohnerzahl aufweist, konnte er von Verwandten und

Bekannten überall entdeckt werden. So suchten er und seine Freunde mich am nächsten Morgen in meinem Hotelzimmer auf, um dort ungestört ihrer Sucht zu frönen. Innerhalb von Minuten qualmten sie mir ordentlich die Bude zu. Noch bevor man die eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte und ich mir dachte, ja, das ist wahrlich „The Fog – Nebel des Grauens“, schossen wir dieses Gruppenfoto.



Fremd vor Gold Fünf Stunden dauerte der Fußmarsch zum Goldenen Felsen, eines der kuriosesten Wahrzeichen von Myanmar. Sehr früh war ich gestartet, um der Hitze zu entgehen. Immer nur bergauf, über Trampelpfade und durch üppige Vegetation, im Schweiße meines Angesichts. Auf halber Strecke kam mir ein Pilger entgegen und er schenkte mir diesen Wanderstock. Endlich am Ziel, überrollte mich die Müdigkeit und ich genehmigte

mir ein Schläfchen auf dem kalten Steinboden im Schatten eines Baumes. Als ich erwachte wurden diese Jugendlichen auf mich aufmerksam und wollten ein Foto mit mir vor dem Heiligtum, das nur durch ein Haar Buddhas über dem Abgrund im Gleichgewicht gehalten wird. Gedankenschnell übergab ich dem Fotografen meine Kamera, damit er auch mich mit ihnen verewigte. Einer der Jungs bekam natürlich Hasenohren.




Fremd am Rande von Europa Stunden saß ich alleine auf dieser Bank am Ufer des Marmarameer in Istanbul und sah den vielen Delphinen zu, die mein Blickfeld querten. Plötzlich setze sich dieses Pärchen neben mich und wollte unbedingt ein Foto mit mir. Schnell drückte ich ihrem Freund die Kamera in die Hand,

der diesen Schnappschuss machte. Und ich bin mir bewusst, dass es sich nicht gerade um ein großes Kompliment handelt, aber dieser mir unbekannte Mann erinnert mich auf lustige Art und Weise an die Figur Sloth aus dem Film „Die Goonies“.


Fremd im Fort Das Red Fort in Delhi ist eine beliebte Sehenswürdigkeit. Lässt man den Trubel und das Chaos von Old Delhi hinter sich und betritt das Innere des Roten Forts, fühlt man sich sogleich wie ein

Großmogul im 16. Jahrhundert. Als Erinnerung wollte ich ein Foto von mir vor diesem schönen Tor, als diese drei lustigen Mädchen angerannt kamen, um sich mit mir auf dem Foto verewigen zu lassen.


Fremd in der Flucht Immer in Bewegung bleiben war das A und O, um nicht von den Aufsehern der Shwedagon Pagode in Yangon, der ehemaligen Hauptstadt von Myanmar, erwischt zu werden. Okay, fünf Dollar Eintritt sind nicht gerade die Welt, aber wenn diese fünf Dollar direkt in die Hände des Militärregimes wandern, ist doch jeder Cent zu viel. So huschte ich verstohlen um die riesige goldene Pagode herum, aber in einem Land mit eher

kleineren Menschen war ich mit meiner Körpergröße so auffällig wie ein Inuit in der Sahara. Das gefiel natürlich dieser Familie, die unbedingt ein Foto mit mir haben wollte. Für diesen Gefallen hielt ich deshalb in meiner Flucht kurz inne und lächelte der Kamera entgegen. Betrachte ich mir heute diese Fotografie, könnte ich darauf tatsächlich der verlorene Sohn sein, der nach Jahren zufällig wieder aufgetaucht ist.


Fremd in der islamischen Republik Auf einem meiner traumwandlerischen Streifz체gen durch die bezaubernde iranische W체stenstadt Yazd, entdeckten mich diese Jungs. Wie alle Iraner, auf die ich traf, waren sie sehr zuvorkommend, gebildet und die nettesten Menschen der Welt.

Nach einem kurzen Smalltalk luden sie mich auf ein Eis ein und machten zur Erinnerung Gruppenfotos. Ganz gegen alle Klischees sind es nicht sie, sondern bin ich es, der als einziger einen Vollbart tr채gt.




Fremd im Sonnenuntergang Vom Fieber geplagt, wartete ich geduldig auf dem Tempel Phnom Bakheng, um dort dem Sonnenuntergang über Angkor in Kambodscha beizuwohnen. Hunderte von Touristen und Reisenden hatten die gleiche Idee gehabt, so dass wir uns auf dem Tempel drängten.

Dieser chinesische Staatsbürger hatte aus irgendeinem Grund einen Narren an mir gefressen und wich nicht mehr von meiner Seite. Sein Kumpel musste unentwegt Fotos von uns schießen, eines davon machte er mit meiner Kamera.


Fremd in 1001 Nacht Auf meiner Reise von der Blauen Moschee zu den Pyramiden durchquerte ich auch Syrien. In der Altstadt von Aleppo fühlte ich mich wie in einem wahr gewordenen Märchen aus 1001 Nacht. Vor der großen Zitadelle, einer der ältesten Festungen der Welt, hielt ich einen Plausch mit diesen Jugendlichen. Natürlich wollten sie, dass wir uns zusammen auf einem Bild verewigten. Mein Aufenthalt in Aleppo fand einige Monate vor dem Arabi-

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schen Frühling und dem Bürgerkrieg in Syrien statt. Mittlerweile liegt Aleppo zu großen Teilen in Schutt und Asche und ich frage mich, was aus diesen Jungs wohl geworden ist. Haben sie sich bewaffnet und kämpfen auf der Seite der Rebellen? Haben sie die Flucht in ein Nachbarland ergriffen? Sind sie überhaupt noch am Leben, oder sehen wir auf diesem Foto längst die Gespenster junger Menschen, die für ihr Land gestorben sind?


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Fremd im Neujahr Am fünften Tag zur Feier des buddhistischen Neujahrs wurde es langsam dement. Zu viele alkoholische Getränke, zu viel Wasser aus Kübeln, Schläuchen, Wasserpistolen und Eimern, zu viel Feier, Tanz, Gesang bei zu wenig Schlaf. In Vientiane, der Hauptstadt von Laos, traf ich auf diese Jugendlichen, die den Gehweg zu einem Festplatz umfunktioniert hatten. Natürlich musste ich mich zu ihnen gesellen und

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sie schenkten mir immer wieder von dem „Wasser“ aus der Wasserflasche ein, ein selbst gebrannter Schnaps, der so scharf und stark war, dass er mir die Zehennägel umkrempelte. Dazu wurden gebratene Hühnerfüße (siehe Palmblatt auf dem Boden) gereicht, die ich als Vegetarier aber dankend ablehnte. Ich liebe dieses Foto, denn wie in Laos üblich, lächelt wirklich jeder aus tiefsten Herzen.


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Fremd im Exil Dieses Gruppenfoto entstand in der indischen Stadt Dharamsala, dem Sitz der tibetischen Exilregierung. Zuvor hatten wir (vier Deutsche und ein Schweizer Pärchen, die ich in Amritsar kennen gelernt hatte) Rebeccas (gelber Schal) Geburtstag gefeiert, mit viel Bier, Freude und Tanz, und als der DJ die Musik an diesen Abend für beendet erklärt hatte,

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sangen wir einfach weiter und stolperten hinaus auf die Straße, um mit den jungen Exiltibetern weiter zu feiern, die wirklich trinkfest waren, da sie gerne ihr Heimweh und die Melancholie im Alkohol ertränken. Der Junge mit der schwarzen Wollmütze und Vollbart ist ein Beweismitteltaucher aus Deutschland, der ein Sabbatjahr eingelegt hatte und

der nach vielen Monaten Indien nun so viel mit einem Polizisten gemein hatte, wie ich mit einem Job bei der Deutschen Bank. Zweite von rechts ist die Freundin von Ujkan (das Schweizer Pärchen), der auch diesen wunderbaren Schnappschuss schoss. Wer aber sind all die anderen und wer reißt mir da beinahe die Wollmütze vom Kopf?


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Um nichts

vorwegzunehmen … Fotografie Juliane Henrich Text Roman Libbertz

Bücher haben bei vielen meiner Freunde den Ruf, langweilig und einschläfernd zu sein. Umständliche Sätze, endlose Beschreibungen anstatt fesselnder Geschichten. Das muss verflucht noch mal nicht sein! Ein Ansatzpunkt. Durch den Bezug zum Autor oder die ­Hintergründe, warum dieser oder jener Roman geschrieben wurde, kann Verborgenes sichtbar und ein Buch zu mehr als einem Buch werden. Kinderleicht. Mir geht es jedenfalls so. Hier ein weiterer Versuch, ein Buch für dich lebendig zu machen. Diesmal: Tilmann Rammstedt

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er 1975 geborene Tilman Rammstedt ist für mich das deutsche Pendant zu Jonathan Safran Foer. Wie der geniale Amerikaner beweist auch er mit jedem Buch den Mut weiter zu gehen, die Grenzen ein wenig mehr zu überschreiten und beweist dabei ebenfalls er die große Kunstfertigkeit sich nicht zu verlieren. In „Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters“, einer sagenhaften Abendteuergeschichte mit stark zwischenmenschlichstem Einschlag und doppelten Böden ist das selbstverständlich nicht anders. Bachmann, AnnetteHülshoff und den Preis der deutschen Wirtschaft hat er schon, im Grunde nur eine Frage der Zeit bis er sie alle besitzt.

BLANK: Hallo Tilman, wie geht es dir heute? TR: Danke. Und selbst? BLANK: Was hast du heute schon so getrieben? TR: Ich habe vier Stunden für drei Mails gebraucht. Sobald ich mit einem Buch fertig bin, brauche ich für alles furchtbar lange. Für dieses Interview habe ich mal sicherheitshalber eine halbe Woche eingeplant. BLANK: Ich werde Dir jetzt mehrere Fragen stellen und bitte dich mir sofort darauf zu antworten, obwohl wir räumlich 502 km getrennt sind und unsere Kommunikation sich ausschließlich über Emailverkehr abspielt. Wäre für das in Ordnung für Dich?

TR: Vollkommen in Ordnung. BLANK: Auch in deinem neuen Buch geht es wieder ein wenig, sagen wir, hypothetisch oder fantastisch zu. Wie würdest du deinen Stil eigentlich beschreiben? TR: Konjunktivisch, hibbelig und hoffentlich ab und an energisch. BLANK: Warum liegt Dir das? TR: Ich weiß nicht, ob es mir liegt. Ich weiß nur, dass ich mich mit jedem anderen Stil unwohl fühle. BLANK: Die Idee, ausgerechnet Bruce Willis für deinen neuen Roman zu engagieren, kam dir wann und wo? Warum Bruce? TR: Sie kam mir im Liegen. Und gerade hatte ich auf youtube den Trailer für einen neuen

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„Ich mag meine Figuren, ich betrachte sie wohlwollend, mitunter, ja verdammt, zärtlich.“ Bruce Willis-Film gesehen. Mit dem Roman lief es schleppend und ich faselte selbstmitleidig vor mich hin, dass ich auch lieber einen Film mit Bruce Willis machen wolle, als ein Buch zu schreiben. BLANK: Wie wichtig ist Dir Zärtlichkeit in deinen Büchern? TR: Davon abgesehen, dass das Wort „Zärtlichkeit“ – wahrscheinlich aufgrund alter „Bravo“-Traumata – bei mir sehr unzärtliche Gefühle auslöst: sehr wichtig. Ich mag meine Figuren, ich betrachte sie wohlwollend, mitunter, ja verdammt, zärtlich. BLANK: Magst du das Gefühl, Menschen zum Staunen zu bringen? TR: Ich bin zu ungeschickt für Zaubertricks. Die Literatur ist da mein Plan B, um ein Staunen zu erzeugen. BLANK: Könnte man von einem Leben vor dem Bachmann-Preis sprechen und dem danach? TR: Das könnte man, aber damit wäre wenig gesagt. In dieser Zeit war für mich das Fertigstellen meines damaligen Romans „Der Kaiser von China“ viel entschei-

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dender als der Bachmannpreis. Was nicht heißen soll, dass ich mich über den Preis nicht dumm und dämlich gefreut hätte. BLANK: Welches Buch hat dich als Kind fasziniert? TR: „Das Biest des Monsieur Racine“ von Tomi Ungerer. Diese skurrilen, oft überaus brutalen Details in den Zeichnungen. Und das in einem Kinderbuch. Großartig.

BLANK: Wenn man Dir alle Wörter nehmen würde und Du dürftest nur eins behalten, welche wäre das? TR: „Hilfe!“ BLANK: Gibt es eine Jugendgeschichte aus dem Teutoburger Wald, die Du spontan zum Besten geben willst? TR: Der Wald hat meine ganze Kindheit und Jugend begleitet: Vom Indianerspielen übers Pflanzenbestimmen bis zum ungelenken Küssen in verlassenen Hochsitzen. Jetzt wohne ich schon seit siebzehn Jahren nicht mehr dort, und gerade vor ein paar Wochen überkam mich eine unglaubliche Sehnsucht nach

„Ich bin zu ungeschickt für Zaubertricks. Die Literatur ist mein Plan B, um ein Staunen zu erzeugen.“ BLANK: Welches Buch hat dich als Jugendlicher geprägt? TR: Als anständig pubertierender Jugendlicher habe ich natürlich nicht gelesen. Jedenfalls nichts Prägendes. BLANK: Welches Buch würdest Du auf eine einsame Insel mitnehmen? TR: „Floßbauen für Anfänger“

dem Teutoburger Wald, die bis jetzt anhält. Das ist wohl das Altern. BLANK: Gibt es eine Übersetzung, in der Du eines deiner Werke (neben dem Deutschen) komplett durchgelesen hast? TR: Ehrlich gesagt, habe ich nicht einmal die deutschen Versionen noch einmal ganz durch-


Einige der besten Zeilen des Buchs:

daraus aus Bedarf falsche Schnurbärte zu basteln.

Man könne ja niemanden zu seinem Glück zwingen, sagte er. Schon aus rein rechtlichen Gründen, sagte er. Da habe er sich erkundingt, sagte er.

In irgendeiner Richtung liegt wohl das glückliche Ende, und ich habe nicht die geringste Ahnung, welche das sein könnte.

Sie versuchen probehalber einen Fuß in Gang zu setzen, aber das Signal verläuft sich, biegt falsch ab, landet im Finger, der krümmt sich, und er krümmt sich wahnsinnig laut.

Und am liebsten hätte ich sie umarmt, am liebsten hätte ich sie gefragt, ob sie uns nicht in den verleibenden Stunden Gesellschaft leisten wolle, aber noch bevor ich überlegen konnte, ob es wirklich eine gute Idee wäre, jetzt noch eine neue Figur einzuführen, war sie schon weggefahren, und ich konnte das gut verstehen.

Ich kaufe Schirmmützen und Sonnenbrillen für die Tarnung, ich kaufe Tesafilm und Lakritzschnecken, um

gelesen nachdem sie erschienen sind. Ich habe viel zu viel Angst davor, dass ich sie ganz schrecklich finde. BLANK: Arbeitest Du mit deinen Übersetzern eigentlich eng zusammen? TR: Nein, aber das liegt nicht an mir. Ich bin eher überrascht, wie wenig Fragen sich beim Übersetzen meiner Bücher anscheinend stellen. Vor allem, weil in „Der Kaiser von China“ noch immer

ein sehr peinlicher logischer Fehler vorkommt, den alle Übersetzer entweder stillschweigend verbessert oder schlicht übersehen haben. BLANK: Schreibst du bei Musik? TR: Ich würde gerne, aber es nervt mich unglaublich. Nur ab und an schreibe ich gern in Cafés mit lauter Musik. Dann muss sie schnell sein, treibend, gerne funkig. Mit der einen Hand möchte ich dann schreiben und mit der

anderen im Rhythmus auf den Tisch hauen. BLANK: Berlin ist für Dich die ideale Stadt zum Schreiben, ja? TR: Nein, überhaupt nicht. Aber sie ist gut zum Leben. Das ­Schreiben muss dann damit klar kommen. BLANK: Inwieweit ist Thomas Pletzinger eine große Hilfe für das Buch gewesen? TR: Ich teile mir mit ihm ein

„Eigentlich wollte ich gleich am Tag nach der ­Buchabgabe mit etwas Neuem beginnen. Das war ein fester Entschluss. Aber dann ist irgendwas dazwischen gekommen. Und dann noch etwas.“ LITERATUR BLANK I 87


Schreibbürozimmer, und er hat den ganzen Schreibprozess über mein Gejammer anhören müssen. Darüber hinaus hat er, genau wie der andere Büroin­sasse Saša Stanišic, tausend kluge Anmerkungen und Vorschläge gemacht. BLANK: Dein Wikipedia-Eintrag – magst Du das Bild?

TR: Seltsam ist vor allem, dass dort ein Glas Rotwein vor mir steht. Ich trinke während Lesungen nie Rotwein. Ich glaube, das wurde im Nachhinein da reingephotoshoppt. BLANK: Vor Lesungen bist du relaxed? TR: Das wüsste ich aber.

BLANK: Schreibst du bereits an einem neuen Werk? Eigentlich wollte ich gleich am Tag nach der Buchabgabe mit etwas Neuem beginnen. Das war ein fester Entschluss. Aber dann ist irgendwas dazwischen gekommen. Und dann noch etwas. BLANK: Ich kenne leider bis dato nichts von deiner Band

Ein

unmöglicher

Versuch

Mit Sibylle Berg Interview Roman Libbertz

Sich einer Großmeisterin wie Sibylle Berg zu nähern, ist schwierig. Nach reiflicher Überlegung kam ich zu dem Schluss, dass es mir schließlich nie so gelingen würde, wie ich wollte. Aus diesem Grund strich ich all meine Fragen auf zehn Wörter zusammen, in der Hoffnung, sie würde das verstehen. Und hier lesen sie das Ergebnis: Schriftstellerin? Wollte ich werden, seit ich fünf war. Weil – ja vermutlich weil ich Angst vor Lokomotiven hatte. Tja, da denken Sie jetzt mal darüber nach. Geschrieben habe ich dann später tonnenweise Geschichten, zwei unveröffentlich-

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te Romane, und der Antrieb war nur, besser zu werden, so gut, dass ich irgendwann sagen würde: „So, das ist jetzt mal richtig gut. Inhalt und Form stimmen, ich sage alles, was ich wollte, und die Menschen tragen mich auf Händen für die Warheit, die

ich ihnen geschenkt habe.“ Das wird wohl nie passieren. Schweiz? Westdeutschland war mir zu groß. Oder ich weiß nicht. Nach der DDR habe ich einen Ort gesucht, an dem ich keine Angst


„Fön“. Wie sollte ich beim Nachholen vorgehen? TR: Wir sind mit Fön gerade in einem sehr schläfrigen Ruhemodus. Und da sich unser musikalisches Gesamtwerk auf zwei CDs beschränkt, geht das Nachholen schnell. Zum Kennenlernen kann man sich auch bei youtube ein paar Stücke anhören. Die sind zwar sechs Jahre alt,

aber wir entwickeln uns ohnehin nicht weiter.

haben muss. Ein wenig pathologisch, ich gebe es zu. In der Schweiz habe ich mich immer wie in einem Schaumbad gefühlt. Nicht wegen der Steuern oder des Reichtums, eigentlich ist das Land zu teuer für Künstlerinnen. Aber es hatte immer mein Tempo, der Humor der Menschen entsprach mir mehr. Irgendwie so etwas Ungreifbares.

Leben? Eindeutig zu kurz. Erst weiß man nicht, wer man ist und wo und mit wem und warum. Und wenn man das herausgefunden hat, muss man auch schon langsam den Sarg packen.

Reisen? Nachdem ich lange Zeit die Welt besichtigen musste, um ein wenig zu verstehen, Kriege und Armut und alles, was anders ist als bei uns, sehen und begreifen musste, muss ich das heute zwingend nicht mehr. Ich fahre nur noch gerne an Orte, die ich kenne, und an denen mir wohl ist. Buchmessen? Kotz. Toto? Mein Idealmensch.

BLANK: Wo siehst du dich in 50ig Jahren? Ich fürchte, da bin ich tot. BLANK: Und was machst Du heute noch so? Weiterleben.

Autoren? Wild durcheinander, zu allen Zeiten unterschiedlich wichtig. Upton Sinclair, Bret Easton Ellis, Murakami, Zola, Greer, Phillipe Djian.

Noch nachzureichen: Lieber Roman, hier sind nun meine Antworten. Ich merke gerade, dass ich beim schriftlichen Antworten ungewohnt schnippisch werde – das ist nicht so gemeint. Gute Grüße von Tilman

Große Liebe zum Internet, große Liebe zu Nerds, große Liebe zu all dem Raum im Netz, den ich noch nicht verstehe. Genuss? Dauernd. Wenn nicht Buchmesse. Ich bin der trägste, genussvoll vor sich hin sabbernde Mensch, den ich kenne.

Weiss? Ich hab es eigentlich schwarz lieber, ich finde es lustiger in Punkkneipen (ok, die gibt es nicht mehr) als mit Engeln zu reden. Schwarzer Humor, schwarze Sachen contra weiße Lichtarbeiter. Netzwerke? Prima. Also online? Prima. Oder in Echtzeit? Prima. Ohne Andere ist das Leben doch komplett unerträglich.

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this bike saved

our lives Text andreas kayser Fotografie ANKERHERZ VERLAG / www.ankerherz.de

Er war ein Frauenheld und der bestbezahlte Schauspieler seiner Zeit. Er war der Posterboy einer ganzen Generation Männer auf der Suche nach einer archaischen Identität. Er war der „King Of Cool“ und am Ende seines Lebens und vom Krebs zermürbt Anhänger eines obskuren Scharlatans. Er war Flieger und Rennfahrer, ein Motornarr. Er war so vieles, nur eines ganz sicher nicht: Ein Pechvogel. Einem Motorrad verdankte Steve McQueen sein Leben. Zumindest glaubte er das.

A

m Abend des 8. August 1969 waren der Schauspieler und seine damalige Frau Neile zu einer Dinnerparty bei Freunden eingeladen. McQueen, schon damals der Motornarr, der er Zeit seines Lebens bleiben sollte, wollte vorher noch schnell einen kleinen Ausritt auf einer seiner zahlreichen Maschinen machen. Nur eben ein paar Runden in dem kleinen ­Canyon nahe ihres Hauses. Routine, nichts besonderes. Doch der „King Of Cool“ landete an diesem Tag zum ersten und letzten Mal auf dieser Route so schwer im Staub, dass er sich den Knöchel verletzte. Nicht dramatisch, aber immerhin so schlimm, dass Neile die Dinnerparty absagen musste. Die McQueens blieben

tialisch umgebracht. McQueen dachte darauf hin, der Anschlag der verwirrten Manson-Jünger hätte möglicherweise ihm gegolten. Als er die Nachricht der Bluttat erhielt, soll er „This bike saved our lives.“ gemurmelt haben. Von sportlich-technischem Interesse war McQueens Liebe zum Motorsport nun zur mythisch legitimierten Symbiose geworden.

zuhause und erfuhren erst am nächtsten Morgen, was in der Nacht im Hause von ihrer gemeinsamen Freundin Sharon Tate, der designierten Gastgeberin, geschehen war: Mitglieder der Manson-Bande hatten Tate, ihren Freund und drei Gäste bes-

Als der „King Of Cool“ am 07. November 1980 nach einer obskuren Operation, mit der er den bereits totbringend weit fortgeschrittenen Brustfellkrebs besiegen wollte, nicht mehr aufwachte, besaß er 210 Motorräder und 55 teils beinahe antike Autos. In „Mein McQueen“, der neuesten Biographie über den Schauspieler, gibt es eine be-

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Als er die Nachricht der Bluttat ­erhielt, soll er „This bike saved our lives.“ gemurmelt haben. zeichnende Passage, die so viel verrät über die Beziehung McQueens zu seinen Maschinen: „Ein Motorradhändler muss zwei Indian-Maschinen zu ihm ins Beverly Wilshire bringen. [...] Nach langen Verhandlungen darf der Mann in den Fahrstuhl. Als McQueen die Tür zu seinem Apartment öffnet, sieht der Händler, dass er nicht der erste war, der seine Ware hierher liefern musste: Hinter der Couch parkte bereits eine Harley-Davidson.“ „Er liebte seine Motorräder wirklich“, sagt Barbara im Buch und erzählt von einem Nachmittag, an dem ihr Mann mit einem Geschenk vor

ihr steht, das sich anfühlt wie ein Kleid. Als sie es auspackt, hält sie einen Blaumann in der Hand. „Der ist für dich, Honey. Jetzt zeige ich dir, wie man ein Motorrad auseinander baut.“ Romantik nach Art des Hauses. Doch der Mann, der wie kein Zweiter Hollywood-Bosse und Kollegen an den Rand der Belastbarkeit treiben konnte, war nicht nur passionierter Sammler und Restaurator, sondern vor allen Dingen ein Adrenalinjunkie, gerade Anfang der Sechziger immer auf der Suche nach dem Limit und dem Wettkampf. Sein bester Freund Bud Elkins, der die wertvollsten Teile der

Motorradsammlung erbt und sie nur kurz darauf verscherbelt, sagte über McQueens Fahrstil: „Steve fuhr wie eine hart gestoßene Billiardkugel und rempelte da und dort an, aber wenn er im Ziel ankam, war er unter den Schnellsten.“ Fast schien es sogar, als würde der Rennfahrer McQueen dem Schauspieler den Rang ablaufen: Er wurde einer der erfolgreichsten Motorradrennfahrer des Landes, fuhr vor allen Dingen Motocross- und Wüstenrennen und gewann Trophäen. Schließlich qualifizierte er sich für das USTeam, das 1964 zur International Six-Days-Trial-Trophy in die damalige DDR entsandt wurde. Nachdem sich der rasende Mime in diesem Jahr bereits fünf Rippen gebrochen hatte, dazu den Arm und noch ein paar weitere dem Rennsport geschuldete Verletzungen seine Krankenakte

Das Ende der professionellen ­Raserei war besiegelt, zur Raserei brachte McQueen ab sofort nur noch andere. 92 I  BLANK

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„Mein McQueen“ (Ankerherz, 2010, rund 200 Seiten) ist die möglicherweise liebevollste Biographie über den „King Of Cool“. Zutiefst subjektiv bettet sie den manchmal gewalttätigen Wahnsinn des legendären Schauspielers in Kontexte voller Liebe und Verzweiflung ein. In enger Zusammenarbeit mit Barbara McQueen, die den bestbezahlten Mimen seiner Zeit drei Jahre vor dessen Tod kennen lernte, erzählt der Reporter Christian Krug eine – wie er es selber offen

nennt – „Liebesgeschichte, subjektiv und lückenhaft“. Und gerade das macht dieses aufgeschriebene Puzzle so lesenswert. Es geht hier nicht um den berühmten Schauspieler, sein Werk oder seine Einordnung in der Geschichte des Films. „Mein McQueen“ erzählt auch nicht, wie man der „King Of Cool“ wird, sondern wie man es ist. Mit allen Stärken und Schwächen, ohne Maskerade. Und es geht eigentlich auch nur am Rand um PS und Benzin. Es geht um Liebe.

Ein Ende, das so weit von dem Leben entfernt war, das er 50 Jahre lang gelebt hatte. füllten, schied er auch in diesem auf mehrere Tage angelegten Rennen früh wegen einer Blessur aus. Das Ende der Trials war der endgültige Durchbruch zum Superstar in Hollywood, denn kurz nachdem er seine Maschine abstellen musste, unterschrieb er den Vertrag für „Cincinnati Kid“. Das Ende der halbprofessionellen Raserei war besiegelt, zur Raserei brachte McQueen ab sofort nur noch andere. Die Zeit auf den PS-starken Stahlgeschöpfen, ob professionell oder privat, vor oder nach seinem endgültigen Durchbruch, war all die Jahre Therapie für den männlichsten aller Männer, der oftmals nur eine Handbreit

davon entfernt war, vom selbstbewussten Macho zum Wahnsinnigen zu werden: „Fahren gibt mir eine neue Identität“, bemerkte McQueen in einem Interview. „Ich bin dann nicht mehr der Schauspieler, sondern ein Kerl, der sich im Rennen mit anderen misst. Und das ist wichtig. Ich brauchte diese zweite Identität.“ Zweimal vermischt er Beruf und Profession – und das zumindest kommerziell überaus erfolgreich. Das Rennfahrerdrama „Le Mans“ findet 1971 vor den gestrengen Augen der Kritik – wegen der dünnen Handlung und ähnlicher dünner Dialoge nicht völlig zu Unrecht – nur wenig Gnade.

Dafür ist der Streifen bis heute immer wieder im Fernsehen zu sehen und gilt nicht nur bei McQueen-Fans als liebenswerte Dokumentation über das berühmte 24-Stunden-Rennen. Im selben Jahr ließ der Schauspieler, der in „Bullit“ neue Standards in Sachen HollywoodVerfolgungsjagden setzte und dabei die meiste Zeit selbst hin-

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ter dem Steuer des legendären ‘68er Ford Mustang saß, „On Any Sunday“, eine Hommage an den Motorradsport, drehen. Der kleine Film spielte bis heute beinahe das Achtzigfache seiner Kosten ein. Auch ohne den sportlichen Wettkampf schonte der Star bis zum Ende seines Lebens weder sich, noch sein bereits damals zumeist antikes Material nicht. Als seine schwere Krankheit 1979 bereits weit fortgeschritten war, brachte McQueen es immerhin noch auf zwei schwere Unfälle. Jeweils ohne selbst Schaden zu

nehmen, aber zwei Harley-Davidsons mussten mit Totalschaden noch dran glauben. Das, was er heil und übrig gelassen hat, erfreut sich heute, über 30 Jahre nach dem Tod des Sammlers immer noch unglaublicher Beliebtheit. Das Auktionshaus „Bonhams“ bringt immer wieder zweirädrige McQueen-Devotionalien unters Volk und immer werden aus PS-Auktionen Happenings. Wer eine von McQueen gefahrene Maschine, zum Beispiel eine Husqvarna 400 oder eine seiner „Indians“ aus den Jah-

Die Zeit auf den PS-starken Stahlge­ schöpfen war all die Jahre Therapie für den männlichsten aller Männer. 94 I  BLANK

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ren 1920 oder 1934 schießen wollte, musste 2010 und 2011 mitunter das Zehnfache des eigentlichen Wertes berappen. Steve McQueen, der „King Of Cool“, dieser Draufgänger, der nicht nur auf den Straßen sondern in den letzten Jahren, die ihm vergönnt waren, auch in der Luft die endlose Freiheit der Weite und der Geschwindigkeit suchte, starb in einer obskuren mexikanischen Krebsklinik, die letzten Wochen seines Lebens emotional abhängig von einem Scharlatan, der ihm wundersame Heilung versprochen hatte. Hilf- und kraftlos, abgemagert, von der schwer Krankheit gezeichnet und ohne das Funkeln in seinen Augen, das den ganzen Wahnsinn und die manchmal kindliche, aber immer reine Begeisterung für das eigene Dasein


bündelte. Es war das falscheste Ende für diesen Mann. Eines, das so weit von dem Leben entfernt war, das er 50 Jahre lang gelebt hatte. Seine Frau Barbara erzählt im manchmal anrührenden, immer voller Liebe und Zuneigung erzählten „Mein McQueen“, wie es eigentlich hätte enden sollen: „Man hätte am Ende einen anderen Weg nehmen können. Er hätte etwas anderes machen müssen: Er ­hätte mit seinem Flugzeug durch den Grand Canyon rasen und dann abstürzen sollen. [...] Es ist schlimm, dass

dieser Mann den falschen Weg gegangen ist. [...] Ich wünschte, er wäre in die Wüste gefahren und hätte sein Leben so zu Ende gebracht, wie er es gelebt hat.“ Um den Tod McQueens rankten sich jahrelang Mythen, weil Barbara McQueen, die bis zuletzt an seinem Bett saß, über die letzten Minuten und die letzten Minuten immer geschwiegen hatte. Das Geheimnis ist gelüftet, die Tragik bleibt: McQueen lebte sein Leben auf der Überholspur, der Tod holte ihn sich auf dem Standstreifen.

BLANK Empfehlung: Die Bücher des Jahres „Sunset Park“ Paul Auster „Die sterblich Verliebten“ Javier Marias „Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters“ Tilman Rammstedt „Vielen Dank für das Leben“ Sibylle Berg „Imperium“ Christian Kracht „Der Tod von Sweet Mister“ Daniel Woodrell „Die Kunst des Feldspiels“ Chad Harbach „1913“ Florian Illies „Ganz normale Helden“ Anthony MCcarten „200D“ Christopher Roth „Happy Endstadium“ Jan Off „Pulp Head – Vom Ende Amerikas“ John Jermiah Sullivan

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PRINT

dieser grazilen Schauspielerin, die ebenfalls in „Abbitte“ wie „Stolz und Vorurteil“ so brillierte? Könnte das doch funktionieren? Es kann, vorausgesetzt man lässt sich Einfangen vom diesem Theaterzauber des Mr Wright, man verabschiedet sich von dieser Erwartung, dass das jetzt Jahrhundertkino sein muss, und man hat Lust mit einem brillanten Schauspielerensemble zu tanzen, ja mitzufliegen durch diesen gewaltigen dramatischen Klassiker. Ist Anna Karenina also unverfilmbar? Nein, vor allem wenn der irische Tausendsassa Seamus McGarvey die Bildgestaltung übernimmt. (RL)

Romanverfilmung: Anna Karenina

Leo Tolstoi Ist der Roman Anna Karenina unverfilmbar? Wie sollte eine realistische Emanzipationstragödie zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts denn heute noch seine Zuschauer finden? Vielleicht mit Einem, der das aristokratische England bereits zweimal zum Kassenmagneten machte? Und vielleicht mit

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Northwestern

wahren Helden und den außergewöhnlichen Geschichten hat es wieder getan: Ein ganz außergewöhnliches Buch vorgestellt, das den Leser direkt in sich hinein zieht, wie ein Wellental den eben noch auf dem Kamm tanzenden Trawler. „Northwestern“ erzählt die Geschichte von Sig Hansen und seiner Familie, einer norwegischen Fischerdynastie an der Westküste der USA. Es handelt vom harten Leben auf der offenen See, von Freundschaft, Brüderlichkeit, Loyalität, Freude und Verlust. Regisseure machen aus diesen Zutaten gleich drei schmierige Kitschblockbuster. Mark Sundeen, der Reporter des New York Times Magazine, der die Geschichte der Hansens aufgeschrieben hat, verdichtet alles auf ca. 230 Seiten und schafft damit viel mehr, als es Hollywood je zu leisten im Stande wäre: Man malt seine eigenen Bilder zu den eindringlichen Schilderungen in Seefahrerprosa, der Puls schlägt im Takt der Dieselmotoren und es fühlt sich an, als stünde man beim Lesen knöcheltief im eiskalten Wasser der Beringsee, nur aus Loyalität den Protagonisten gegenüber.

Sig Hansen, Mark Sundeen ANKERHERZ, der Verlag mit den starken Werten, den

Was hängen bleibt, nach der Lektüre dieser liebevoll erzählten Ode an die See, den


Zusammenhalt und den allgegenwärtigen Gefahren der Fischerei in lebensfeindlicher Umwelt: Wofür Österreicher 40 Kilometer in die Luft gehen müssen, erlebt man auf offener See jeden Tag aufs neue umsonst. Kaum zu kalkulierende Naturgewalten, die tödliche Gefahr, die auch kleinste Fehler im Zusammenspiel aus Mensch und Ausrüstung heraufbeschwören und am Ende des Tages die Faszination, den Gewalten getrotzt und dem wilden Leben einen weiteren tag abgetrotzt zu haben. „Northwestern“ ist so spannend, wie die Krabbenjagd in den nördlichsten Gefilden, so herzerwärmend, wie es nur die Geschichten von Freundschaft unter Männern sein können und so fesselnd, wie die Leine eines losgerissenen Fangkorbes bei Windstärke 13, der sich in Windeseile um deine Knöchel geschlungen hat, um dich herab zu ziehen in die tosende See. Genau in diesen Momenten ist man nämlich froh, Männer wie Sig Hansen bei sich zu haben. Und sei es auch nur 230 Seiten lang. Zum Glück ist „Northwestern“ wie alle Bücher des Verlages etwas zum daran festhalten. Schwer in der Aufmachung, griffig und liebevoll. Ankerherz macht Bücher, denen man sich gerne anvertraut. Zumindest ta-

gelang. Um sich ihnen wochenlang auszuliefern, dafür sind sie leider viel zu kurz. (TE)

Die Rolling Stone Jahre

Hunter S. Thompson Hunter S. Thompson war der Erfinder des Gonzo-Journalismus und der Mann, der über sich selbst so viele schreckliche und abstoßende Dinge gesagt und geschrieben hatte, dass dieses Sammelsurium der Selbstbezichtigungen für zehn Jahre Knast oder ewige Verdammnis reichen musste. „Fear And Loathing In Las Vegas“ gehört inzwischen zum Bildungskanon mehrerer Generationen und seine später auch als „Fear And

Loathing: On The Campaing Trail“ erschienene Reportagensammlung zum US-Präsidentschaftswahlkampf ‘72 ist das möglicherweise brillianteste und gleichzeitig anarchischste Stück Politjournalismus der letzten 50 Jahre: Das meiste von dem, was HST zum gefürchtetsten und gleichzeitig legendärsten Journalisten seiner Zeit machte, schrieb der Mann, der dieses Jahr 75 Jahre alt geworden wäre, für den ebenso überlebensgroßen Rolling Stone. Seine Texte enthielten eine so große Menge an Drogen, Sex, Gewalt und Politik, dass sich damit mehrere Bände des Verfassungsschutzberichtes hätten füllen lassen. Heyne hat alles in einem einzigen Buch untergebracht und die besten, subversivsten und unglaublichsten Arbeiten für das Blatt in einem angemessenen Band versammelt: „Die Rolling Stone Jahre“. Garniert werden die Teils schon oft gelesenen, teils bisher unveröffentlichten Stücke von privater Korrespondenz Thompsons mit Jann S. Wenner, dem Rolling Stone Herausgeber und Bruder im Geiste. Hoch spannend, jederzeit unterhaltsam und ein ungeschönter Einblick in die Gesellschaftsgeschichte der USA. (TE)

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Reflektieren für die

GEGENWART Interview Till Erdenberger Fotografie Jan Kopetzky

Er ist der Deutschen liebster Russe: Wladimir Kaminer erklärt uns uns selbst – inzwischen in einer siebenstelligen Gesamtauflage. Wie Kulturdeutschland nicht erst seit der Schweighöfer-Verfilmung seines Debüts „Russendisko“ weiß, kam der Autor 1990 aus Moskau nach Berlin und blieb einfach genau dort, wo er damals angekommen war: Im Prenzlauer Berg. Sein neues Werk „Onkel Wanja kommt“ ist eine Reflektion über die großen Fragen der eigenen Menschwerdung. Aber erst auf den zweiten Blick. BLANK: Wie hat es Ihrem Onkel denn in Berlin gefallen? WK: Es hat ihm sehr gut gefallen, wie allen meinen Onkeln, die uns schon hier besucht haben. Obwohl diese Stadt für sie sehr fremd ist. BLANK: Hätten Sie ihm nicht lieber das rohe Prenzlauer Berg der Neunziger gezeigt, anstatt des gentrifizierten Spießerspielplatzes der Neuzeit? WK: Wenn man die Geschichte des Prenzlauer Berges oder auch von Berlin selbst kennt, dann ist es heute nicht langweiliger als damals. Das Berlin von heute ist ja nur die Fortsetzung der Version von 1990. Aber natürlich ist in den letzten Jahren viel passiert. Es stehen keine Möbel mehr auf den Straßen, es ist nicht

mehr in jedem Erdgeschoss eine interessante Kneipe zu finden. Dafür sind die Kneipen jetzt Bioläden und die Schwaben haben die Möbel nach Hause geschleppt. Aber dieses sprachliche

BLANK: Weniger gelungen ist die Sache mit dem Flughafen. Hier geht es um Milliarden, die in den Wind geschossenen wurden. Milliarden, die niemand über hat und Berlin schon gar

„Die Kneipen sind jetzt ­Bio­läden und die ­Möbel haben die ­Schwaben nach Hause geschleppt.“ Durcheinander, die Menschen aus der ganzen Welt, die sich in Prenzlauer Berg treffen machen diesen Stadtteil aus. Zweifellos eine der großen Errungenschaften der Europäischen Union. Der Prenzlauer Berg von heute ist ein gelungenes EU-Projekt.

nicht. Der Berliner nimmt es aber scheinbar ziemlich locker, man schmunzelt drüber und zuckt mit den Schultern. WK: Das liegt an der Geschichte dieser Stadt, mit der man schon so viel angestellt hat. Hier stand noch vor kurzem eine Mauer, die

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niemand gebraucht hat, zumindest hatte niemand die Berliner gefragt. Dann war die Mauer wieder weg und man hatte wieder niemanden gefragt. Kein Mensch braucht diesen großen Flughafen, wir haben doch schon drei quer über die Stadt verteilt. Und wieder wurde niemand gefragt, ob die Berliner überhaupt unzufrieden mit der Situation waren. Wissen Sie, woran das liegt? Weil die Berliner auf jede Volksbefragung immer mit einem „Nein“ reagieren. Deswegen haben die Bauherren beschlossen, einfach ohne den Willen der Berliner zu bauen. Und selbst das kön-

WK: Ich weiß nicht, wo Sie bei mir Zynismus rauslesen. Ich bin vielmehr ein tragischer Romantiker. Mir fällt es viel einfacher, an alles Mögliche zu glauben, anstatt ständig zu misstrauen. Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich ungläubig gebe. BLANK: Gibt es noch Menschen in Ihrer Umgebung, die ihnen ihre Marotten und Eigenheiten offenbaren? Oder wird jeder Mensch nun in Ihrer Gegenwart verschlossen, weil er Angst haben muss, Gegenstand einer Ihrer Geschichten zu werden? WK: Niemand muss Angst ha-

„Für mich ist ‚Onkel Wanja kommt’ das Größte und Grundsätzlichste, das ich je geschrieben habe.“ nen sie nicht. Ich selbst bin sehr daran interessiert, dass dieser neue Flughafen so lange wie möglich geschlossen bleibt. Ich bin Vielflieger und für mich ist Tegel perfekt. Schönefeld, also „Willy Brandt“ ist so unglaublich weit weg und so riesengroß. Er wird nur Probleme für diese gemütliche Stadt bringen. BLANK: Wann hört denn bei Ihnen der Spaß auf? Was lässt sich für Sie nicht mehr ironisch oder zynisch erzählen?

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Literatur

ben, dass ich ihn in einer Geschichte bloß stelle. Ich veröffentliche natürlich nichts, ohne die betreffenden Personen vorher um Erlaubnis gefragt oder sie stark verfremdet zu haben. Die meisten Menschen wollen aber tatsächlich nicht nur Menschen, sondern auch Literatur werden. Ein paar Tanten von mir haben mir allerdings verboten, über sie zu schreiben. Daran halte ich mich selbstverständlich. Mein großer Tantenroman muss also leider ausfallen.

BLANK: Und wie ist es mit Ihnen? Sind Sie innerlich immer am Notizen sammeln? WK: Nein, das bin ich nicht. Ich sammele passiver, mehr fragmentarisch. Die meisten meiner Geschichten setzen sich ja aus Fragmenten zusammen, die dann am Ende das große Ganze ergeben. Also: Ich warte, bis ich alle Fragmente zusammen habe, dann schreibe ich es auf. Das dauert manchmal etwas länger, aber ich gehe nicht ständig bewusst auf Geschichtensuche. BLANK: Bedienen Sie sich manchmal auch eines Kunstgriffes und drehen sich Ihre Figuren so zurecht, wie Sie sie brauchen? Oder sind tatsächlich alle Protagonisten authentisch? WK: Nein, meine Figuren gibt es alle. Wenn Sie länger in Prenzlauer Berg leben, werden sie Ihnen alle irgendwann begegnen. BLANK: In einem Beitrag in der Welt schrieben sie neulich, dass Ihre Kinder keine „deutschen Kinder“ seien. Ihre Kinder wurden nun in Deutschland geboren, werden in Deutschland sozialisiert. Warum sind sie also keine deutschen Kinder? WK: Da wurde ich offensichtlich missverstanden. Meine Kinder sind hier geboren, sie wurden hier sozialisiert. Natürlich sind sie deutsche Kinder. Ich beobachte gerade ein interessantes Phänomen bei den Freunden meines Sohnes: Lauter interna-


„Mir fällt es viel einfacher, an alles Mögliche zu glauben, anstatt ständig zu misstrauen. Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich ungläubig gebe.“ tionale Achtklässler, die sich gerade für die Rapszene begeistern und sich ständig auf ihre angebliche Multikulturalität berufen, ja beinahe damit angeben. Aber das ist alles nur Fassade, nur Worte. Da steht nichts dahinter. Sie haben die Kultur ihrer Eltern nicht mitgeschleppt. Alles deutsche Kinder. BLANK: Sind Sie selbst inzwischen auch zu deutsch für Russland und den Kaukasus? Können Sie sich vorstellen, jemals wieder in Moskau zu leben? WK: Das Moskau von heute hat mit dem Moskau, das ich damals verlassen habe, nichts mehr zu tun. Das Moskau von heute macht auf mich einen sehr bösartigen Eindruck, beinahe so wie Gotham City. Alle schauen grimmig und niemand weiß, wer an der ganzen Misere Schuld ist. Ich habe versucht, meine Frau und meine Kinder zu überzeugen, dass Moskau eigentlich eine liebenswerte Stadt ist. Mur: Es ist mir nicht gelungen. Die Leute

schauen so böse, dass die Kinder sich erschrecken können und die Moskauer U-Bahnen schlagen ihre Türen derartig aprupt zu, dass man dort seine Finger verlieren kann. Moskau ist eine Stadt für alleinstehende Männer zwischen 20 und 35, die auf Abenteuer stehen und das Leben herausfordern wollen. Für alle anderen ist es nicht geeignet und ich passe nicht mehr in diese Kategorie. BLANK: Schwingt in Ihrer latenten Verbitterung gegenüber Ihrer alten Heimat auch der Ärger über die aktuellen politischen Verhältnisse mit? WK: Die Abwesenheit jeglicher politischer Entwicklung in Russland ist nicht aus dem Nichts entstanden, sondern aus der allgemeinen Unlust der Russen, sich mit ihrer eigenen Geschichte auseinander zu setzen. Sie spielen immer noch dieses kindliche Spiel, dass sie immer die Augen schließen und so tun, als wäre nichts gewesen. Das funktioniert

aber nicht. Nur deswegen sitzen immer noch irgendwelche KGBUnteroffiziere im Kreml. Man kann die eigene Geschichte nicht leugnen, aber das wird seit Jahrhunderten schon gemacht. Das ist das Problem in Russland, nicht Herr X oder Herr Y, der heute an der Macht ist. Aber der Mensch an sich ist ja traditionell rückwärtsgewandt, viele haben Angst vor der Zukunft oder der Gegenwart. Nehmen Sie nur Romney und die Wahl in den USA. Dort hat Romney einfach Obamas Slogan von der letzten Wahl geklaut: „Change“. Aber sein „Change“ ist nur so gemeint, dass er alles, was geändert wurde, wieder rückgängig machen wollte. Ein Rückwärts„Change“ sozusagen. BLANK: Werden Sie eigentlich auch in Russland gelesen? WK: Ich werde in erster Linie von Leuten gelesen, die Deutsch können. Ich hatte dieses Jahr eine Lesung in St. Petersburg, die knackevoll war. Das hätte ich nicht erwartet. Und wie werden Sie dort wahrgenommen? Als komischer Autor? Als kritischer Beobachter und Dokumentar des Zeitgeistes? WK: Ich werde dort einfach als ein Russe wahrgenommen, der es im Ausland zu etwas gebracht hat. Als ein Russe, der ein deutscher Schriftsteller geworden ist. Als jemanden, der es geschafft

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„Leidenschaft muss wieder den Platz einnehmen, den heute ­Leistungsdruck besetzt hält.“ hat, etwas Russisches ins Deutsche zu übersetzen, egal, ob es sich um Humor oder Fragen der Lebenseinstellung handelt. Das ist scheinbar ein wichtiger Punkt für meine Landsleute. BLANK: Werden Intellektuelle in Russland gehört? In Deutschland gibt es immer wieder die Forderung, dass sich unsere großen Schriftsteller in die politische Debatte einzubringen hätten. WK: Putin trifft und umgibt sich gerne mit Schriftstellern, Musikern und Schauspielern. Manche von denen engagieren sich dann auch in ihrem Job als Künstler für Putin. Wieder andere kommen nicht zu diesen Treffen und wollen sich lieber als Opposition etablieren. In Deutschland geht es ja eher darum, dass Künstler als neutrale Stimme sprechen sollen. Deshalb finde ich die Situation in Russland viel schlimmer, als in Deutschland. Schlimmer deswegen, weil ich der Meinung bin, die Kunst solle sich von der Macht distanzieren. BLANK: Ihre Geschichten spielen im Kleinen, im Zwischenmenschlichen. Es geht um renitente oder penible Grundschüler, vietnamesische Obst-

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Literatur

und Gemüsehändlerdynastien, und um das Berliner Laubenpieperwesen. Auf Ihrer politischen Agenda stehen aber viel grundsätzlichere, größere Dinge. Haben Sie den großen literarischen Rundumschlag schon in der Schublade? WK: Für mich ist „Onkel Wanja kommt“ das Größte und Grundsätzlichste, was ich je geschrieben habe. Mein großer Roman,

Welt gerade zu ende geht und eine neue, eine andere entsteht. Das alles passiert hier in Berlin, durch die Menschen, durch ihre zwischenmenschlichen Beziehungen. Es war mir wichtig, für mich selbst zu klären, wie die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart funktioniert. Ich hatte ein bisschen Angst, mich in den vielen, vielen Episoden, die sowohl mein Leben in der ehemaligen Sowjetunion als auch das in Deutschland prägten, zu verzetteln. Indem ich meinem Onkel das nächtliche Berlin gezeigt habe, habe ich ein wenig selbst reflektiert, um Platz für die Gegenwart zu schaffen.

„Entscheidend ist, dass diese Hartz IV-Folter, dieser Angriff auf die Würde des Menschen, aufhört.“ wenn Sie so wollen. Für mich war schon immer klar, dass die kleinen Dinge das große Ganze erklären. Die Ameisen erklären der Königin die Vergänglichkeit der Welt. Dieses Buch beschreibt durch den Besuch meines Onkels in einem wiedervereinten Berlin, das sich auch rein infrastrukturell in einem ständigen Wandel befindet, viel mehr, als das bloße Ereignis: Es geht darum, dass hier zwei Biographien aneinander anknüpfen, dass die eine

BLANK: Machen Sie sich keine Sorgen, dass sich diese Ebene dem „Otto Normalleser“ gar nicht erschließt? WK: Natürlich können oberflächliche Leser nur nach den Lachern in meinen Büchern suchen. Ich erzähle aber im Grunde genommen ständig dramatische, manchmal traurige Geschichten, wenn auch mit einem Augenzwinkern und zum Schmunzeln. Das sehen auch die meisten Leser. Zumindest ist das mein Eindruck.


BLANK: Vor einigen Jahren setzten Sie sich für ein Bedingungsloses Grundeinkommen ein. Steht dieses Thema noch auf Ihrer Agenda? WK: Dieses Thema stand schon immer auf meine Agenda und wird dort auch immer stehen. Und das Schlüsselwort ist „bedingungslos“. Es geht mir dabei viel weniger um eine materielle Existenzsicherung, als darum, den Menschen von dem Zwang zu befreien, irgendeine Leistung gegenüber einer Gesellschaft, einer Bank oder einem Staat erbringen zu müssen. „Leidenschaft“ muss wieder den Platz einnehmen, den heute „Leistungsdruck“ besetzt hält. BLANK: Glauben Sie, dass das tatsächlich funktionieren kann? WK: Ich bin fest davon überzeugt. Alles Gute und Liebenswerte, das der Mensch geschaffen hat, ist nicht wegen des Leistungsdrucks, der auf den Schultern des Erschaffers lastete, entstanden. Sondern aus seiner Leidenschaft. Ich glaube, dass es nur so funktionieren kann. Man muss einen gesellschaftstauglichen Weg finden, um dieses unser Zusammenleben zu modernisieren, damit das BGE möglich ist. Wie hoch es dann letztendlich ist, ist gar nicht so entscheidend. Entscheidend ist, dass diese Hartz IVFolter, dieser Angriff auf die Würde des Menschen , aufhört.

BLANK: Warum wird dieses Thema immer so schnell in den Bereich des Unmöglichen, in manchen Diskussionen auch Lächerlichen geschoben? Als wäre der Leistungswille des einzelnen zum Wohle der Gesellschaft bei einer bedingungslosen Grundsicherung damit unwiederbringlich zersetzt.

WK: Ich glaube, dass das einfach daran liegt, dass bei dieser Diskussion immer die Akzente falsch gesetzt werden. Es besteht offensichtlich eine große Angst, dass es beim BGE nur um eine Umverteilung geht, dass irgendjemand irgendjemand anderem sein hart verdientes Geld einfach wegnehmen möchte und es sich

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dann gemütlich macht. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht auch zunächst nicht um die letztendliche Höhe des Einkommens. BLANK: Worum geht es dann? WK: Die Idee des BGE ist eine Idee der Demokratie, die auf dem Mist der freien westlichen Kultur gewachsen ist. BLANK: Wundern Sie sich, dass die Piraten dieses Thema nicht offensiver aufgreifen? Nehmen Sie die Piraten eigentlich ernst? WK: (zögert lange) Sie treffen hier auf ein langes Schweigen. Ich habe die Piraten gewählt und seitdem frage ich mich jede Woche, was ich da getan habe. Ich bilde mir ein, dass das alles nette und interessierte Menschen sind, die nicht mit Absicht ständig auf die Schnauze fliegen, sondern aus Unfähigkeit und Unerfahrenheit. Sie wurden in eine Gesellschaft eingelassen, die sie nicht kannten. BLANK: Wie müsste denn eine neue, junge Partei aussehen und funktionieren? WK: Genau da bin ich mir nicht sicher. Es ist sowieso eine große Frage unserer Tage, ob das parteienpolitische System überhaupt noch die gesellschaftliche Wahrheit abbildet. Früher war das alles viel einfacher. Da gab es die Arbeiterklasse und die Klasse der Arbeitgeber und dementsprechend auch die großen Parteien, die sich für diese Klassen einsetzten. Heute hat sich die Gesellschaft selbst

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„Ich habe die Piraten gewählt und seitdem frage ich mich jede Woche, was ich da getan habe.“ filetiert und in tausende von Interessensgruppen aufgespalten. Die politische Landschaft muss sich einer Erneuerung stellen. BLANK: Und wie könnte dieser Prozess aussehen? WK: Man muss zum Beispiel darüber nachdenken, ob Politiker und Parteien künftig als Dienstleister tätig sind und man mehrere politische Systeme gleichzeitig möglich sind. Ein System mit Abmachungen und Konventionen, das für meinen Nachbar gilt, muss für mich nicht automatisch auch gelten. Ich möchte zum Beispiel selbst entscheiden können, ob ich lieber jetzt mehr Geld zur Verfügung habe und dafür weniger in die Rentenkasse einzahle, oder umgekehrt. Im Leben des einen spielt der Staat eine größere Rolle, als im Leben des anderen. So stelle ich mir die Politik der Zukunft vor. Das ist natürlich höchst hypothetisch, aber wir können ja derzeit zusehen, wie sich unser augenblickliches System selbst abschafft. BLANK: Was sagen Sie zum Stratosphären-Sprung von Felix Baumgartner? Gibt es etwas, was diesem Projekt eine Sinnhaftigkeit verleiht?

WK: Die Menschen wollen sich immer messen, wollen immer irgendwelche Grenzen ausloten. Nehmen Sie doch die Olympischen Spiele: Wir können uns noch so sehr anstrengen, wir werden nie so schnell rennen können, wie die Strauße, nie so hoch springen können, wie die Flöhe. Die Aufgabe des Menschen ist es doch eher, über das Leben auf der Erde zu reflektieren, über das „Um-Uns-Herum“. Das kann er, diese Fähigkeit hat er allen anderen Lebewesen auf der Erde voraus. Aber er kann natürlich auch irgendwo runter springen, nur hat niemand etwas davon. Was hätte ihr Onkel oder Ihre Verwandtschaft im Kaukasus zu diesem Menschheitsereignis gesagt? WK: Die Menschen im Kaukasus fühlen sich wie Götter: Sie sind niemandem Rechenschaft schuldig, weil sie nur auf sich selbst angewiesen sind. Sie müssen nicht reflektieren, sondern hätten sich sicher sehr darüber gefreut, wenn Sie die Übertragung gesehen hätten. Sie hätten sich allerdings auch nicht weiter gewundert, wenn dieser Red Bull-Mensch in ihrem Garten gelandet wäre.


HEFT ZWEI Eigentlich bin ich eine J채gerin. von Mirka Uhrmacher Wenn Schlampen w채hlen von Teresa B체cker

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HEFT ZWEI serer tatsächlichen Natur eigentlich widersprechen? Weil ich mich moralisch und ethisch dazu verpflichtet fühle? Oder etwa, weil es nicht schwierig ist, jemandem treu zu sein, in den man wirklich verliebt ist, weil es gefälligst nicht schwierig zu sein hat, weil nur das der Beweis für die Tiefe der eigenen Gefühle darstellt? Keiner dieser Gründe trifft für mich zu.

Eigentlich bin ich eine Jägerin. von Mirka Uhrmacher Ich liebe das Gefühl von fremder Haut auf meiner eigenen. Ich liebe die Ungewissheit, das Neue. Ich liebe die Rücksichtslosigkeit kurzer Affären, ich liebe es, respektlos zu sein. Ich liebe es, dominiert zu werden und zu unterwerfen. Ich liebe es zu manipulieren. Ich liebe es, andere in mich verliebt zu machen. Ich liebe es, meine Krallen in die Beute zu schlagen und sie verwundet zurückzulassen. Ich liebe es, gewollt zu werden. Ich liebe es, betrunken zu sein von meinem eigenen Wollen. Ich liebe meinen zerschundenen Körper nach einer völlig übertriebenen Nacht. Ich liebe es, zu schockieren. Ich liebe den Wahnsinn. Ich liebe den Schmerz. Ich liebe den Exzess.

Ich weiß, dass es dir bisweilen schwer fällt, dir keine Gedanken über dieses Thema zu machen. Du vertraust mir, aber eigentlich weißt du nicht, wieso. Es ist ein Gefühl, eine Sicherheit, eine unbegründete Gewissheit, aber du kennst mich gut, du weißt, dass diese Art zu leben mir eigentlich nicht entspricht. Du fragst dich nicht, ob ich dich betrügen würde, sondern eher, wieso ich es nicht tue. Dir eine Antwort darauf zu geben ist kein leichtes Unterfangen. Sie klingt einfach nicht so romantisch, nicht so moralisch, nicht so wissenschaftlich fundiert, wie andere Antwortmodelle es tun mögen. Ich glaube, dass uns diese Antwortmodelle eigentlich nur über einen Umstand hinwegtäuschen, der wenig schmeichelhaft ist.

Und ich liebe dich. Manchmal fällt es mir schwer, beides zu vereinbaren. Ich glaube den Menschen, die von sich sagen, ihnen würde ein Partner reichen. Ich glaube nur denen nicht, die behaupten, sie würden auch niemand anderes wollen. Zwischen brauchen und wollen klafft eine endlos weite Schlucht. Ich brauche niemanden außer dir, aber bei Gott, ich will. Ich will Überfluss, ich will, was ich nicht brauche, ich will Luxus.

Treue ist für mich bloß eine Form des Egoismus. Empörung auf Seiten derer, die es entweder als oberste Pflicht der Liebenden ansehen, die eigenen banalen und unheiligen Triebe der animalischen Sexualität zu bekämpfen oder aber die Sex nicht von Liebe abstrahieren können und Treue somit nicht als Kampf sehen, sondern als simples Factum. Wenn ich liebe, dann darf mich auch nichts in Versuchung führen, oder aber meine Liebe ist nicht tief genug. Hier wird ein Grund von außen angetragen, eine Meinung, ein Ist-Zustand wird nach einem Soll-Zustand beurteilt, der irgendwo irgendwann einmal konsensfähig geworden ist. Das reicht mir als Erklärung nicht aus, das geht mich nichts an, das ist keine Erfahrung, die ich selbst gemacht habe sondern eine Erfahrung, die mir als erstrebenswert suggeriert wird, ein Ideal, das es zu erreichen gilt, welches ich zu meinem eigenen Ideal zu machen habe, das aber nicht aus mir stammt. Für mich fühlt es sich an wie die Flucht zum Schema F. Soweit ist der Wissenschaft sicherlich Recht zu geben. Doch viel mehr, als ein Schema durch ein anderes zu ersetzen, welches ebenso unpersönlich und anonym ist,

In deinen Augen sehe ich, dass es die Art ist, wie du mich anblickst, die mich ausmacht. Ich bin ein Geschenk. Ich bin mehr, als du begreifen kannst. Ich bin alles für dich. Und in deinen Armen bin ich unbesiegbar. Aber ich vermisse meine selbstzerstörerischen Raubzüge. Ich vermisse es, ungehindert meiner Neugier nachzugehen. Ich vermisse es, einem Fremden das Geheimnis, das er ist, zu entreißen, nur weil mir grade danach ist. Ich vermisse es, mich selbst preiszugeben. Ich vermisse es, besiegt zu werden. Ich vermisse die Macht. Ich vermisse die Überlegenheit. Es fehlt mir nicht, aber ich vermisse es. Wieso bleibe ich dir trotzdem treu? Weil Psychologen richtig in der Annahme gehen, dass wir uns durch Erziehung und falsch verstandene Moralvorstellungen zu Handlungen verleiten lassen, die un-

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HEFT ZWEI In der man den Zeitgeist zu treffen meinte. Wir beschlossen nach einer Weile, dass wir auch über andere Liebschaften sprechen könnten. Dass diese existierten, wussten wir eh und auch, dass dieses ‚Wir‘ davon überhaupt nicht betroffen war. Ich begann zu erzählen und es fühlte sich gut an. Ein paar Treffen später erzählte er – und es war äußerst unangenehm. Ich wurde die Bilder in meinem Kopf nicht los. Es sei ein Flopp gewesen und wir haben darüber gelacht, wie unbeholfen und ergebnislos die ganze Sache für ihn gewesen war. Trotzdem fühlte ich mich verletzt. Irgendwie habe ich mich dazu durchgerungen, ihm das zu sagen, obwohl es natürlich gegen unsere Abmachung verstieß. Er überraschte mich damit, dass es ihm genauso bei meiner Geschichte gegangen wäre. Wir waren erstaunt, ziemlich ratlos und beschlossen, diese Dinge besser nicht weiter zu thematisieren.

tut auch die Erklärung qua Biologie und Evolution nicht, denn nur durch das Wissen um die natürliche Neigung des Menschen, sein Erbgut möglichst breit zu verstreuen, wird das Thema ganz offensichtlich nicht weniger heikel. Wenn ich also nur für mich selbst die Frage beantworten soll, wieso ich dir treu bleibe, so will ich dafür nicht fremde, tradierte, allgemeingültige, entweder romantische, moralische oder wissenschaftliche Antworten zitieren. Ich frage mich stattdessen bloß nach meinen eigenen Beweggründen und stoße auf einen sehr pragmatischen Grund: ich bin dir treu, weil ich es nicht ertragen könnte, wenn du mir nicht treu wärst. Spielen wir die angeblich nötige ‚Neudefinition‘ von Treue einmal durch und nehmen die emotionale Komponente als Maßstab für Treue, während Sex davon nicht tangiert wird, so ändert sich mein Unbehagen bei der Vorstellung, du könntest eine andere Frau berühren, nicht im Geringsten. Die Vorstellung, du würdest sie so ansehen, wie du mich ansiehst, ist wie zu erwarten eine viel schlimmere, doch bereits der Gedanke daran, du könntest an der Lust einer anderen Gefallen finden, ist für mich nicht tragbar. Und das, obwohl ich selbst um die Belanglosigkeit von Sex an sich weiß, obwohl ich genau diese Belanglosigkeit stets so genossen habe. Ich weiß, dass so etwas geht und ich habe keinerlei schlechtes Gewissen dazu zu stehen, dass ich solche Arrangements sehr reizvoll finde. Ganz allein nur für mich, ein Ich, das ein beliebiges Du benötigt, um sich darin zu spiegeln. Ich würde eine solche, rein sexuelle Freiheit, wie sie als Möglichkeit der Überwindung des Schreckgespenstes Monogamie gefeiert wird, für mich selbst bedenkenlos in Anspruch nehmen. Aber ich wäre nicht bereit, sie dir im Gegenzug zu gewähren.

Meine Mutter sagt, Treue sei der Mangel an Gelegenheiten. Ich muss ihr widersprechen. Ich habe jede Menge handfester Gelegenheiten. Aber ich nutze sie nicht. Ich glaube an das Prinzip der Monogamie als für mich notwendige Einrichtung aufgrund meiner egoistischen Tendenzen. Ich teile nicht. Weil ich die Bilder vor meinem inneren Auge nicht ertragen könnte. Den angeblich überkommenen Gedanken einer exklusiven Paarbeziehung zu verwerfen und unsere Definition von Treue zu überdenken würde mir da nichts nutzen. Der Versuch hat gezeigt, dass ich trotzdem nicht damit klar käme, mir vorzustellen, wie du mit deinen unverschämt begabten Händen eine andere Frau berührst. Und das, obwohl ich mir anmaße, in der Lage zu sein, die Grenze zwischen unbedingt exklusiver Emotion und der relativen Kontingenz körperlicher Erregung unangetastet zu lassen und nicht zu überschreiten. Mit dir ist mein Ich aufgehoben. Mit jemand anderem dagegen ist es die Suche nach möglichst ergiebigen Projektionsflächen für meinen manchmal nur schlecht zu verbergenden Narzissmus. Doch ich könnte dir dasselbe Recht nicht einräumen. Daher ist Treue ein Kompromiss. Ich verzichte darauf, etwas zu tun, was ich gerne täte, weil ich nicht will, dass du es auch tun würdest. Das ist vielleicht nicht schmeichelhaft, sicherlich ist es nicht romantisch. Aber zumindest ist es ehrlich.

Ich habe es einmal versucht, bevor ich dich kannte. Es war das perfekte, moderne, freie Konzept der Nicht-Beziehung, in der alles so einfach und leicht und unkompliziert war. In der man sich mochte und respektierte, sich aber nicht durch Reglementierungen oder aber gar konventionelle Vorstellungen von Liebe einschränken lassen wollte. In der man sich revolutionär und allen anderen überlegen gefühlt hat.

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HEFT ZWEI wahlkampf „zu einer festen Größe entwickelt“, auf die keine politische Akteurin mehr verzichten könne. Der Realitätsabgleich ist an dieser Stelle verzichtbar. Denn die Defizite, die Regierungen und Parteien in ihrem Engagement in der Kommunikation mit Bürgerinnen, in partizipativer Kultur und insbesondere in der Anerkennung des digitalen Gesellschaftswandels aufweisen, lassen den Status einer festen Größe sowie die Unverzichtbarkeit von Onlinemedien nicht erkennen. Noch immer lösen Plädoyers für die Umarmung der zahlreichen Gesprächsmöglichkeiten mit Bürgerinnen in öffentlichen digitalen Räumen verhaltene Reaktionen aus, die diesen wichtigen persönlichen Kontakt als Strafarbeit abqualifizieren oder zu einem freiwilligen Vergnügen für die Jungen und dezent Verrückten.

Wenn Schlampen wählen von Teresa Bücker Die zweite Amtszeit hat Barack Obama gewonnen, weil seine Kampagne besonders viele Unterstützerinnen gewann und Frauen durch eigene Aktionen Wählerinnen mobilisierten. Könnte Ähnliches im deutschen Wahlkampf gelingen? Mit der Amerikanisierung von Wahlkämpfen hat die Kommunikationsforschung die Professionalisierung der politischen Kommunikation in Deutschland beschrieben, in deren Rahmen die Spitzenkandidatinnen von Parteien, Veranstaltungen und Pseudoereignisse sowie Themen immer stärker medial inszeniert und strategisch geplant werden. Die Geschichten, die amerikanischen Wahlkampagnen schreiben haben dabei nicht nur strukturell auf den Wandel von Parteienkommunikation gewirkt, sie haben auch die globalisierte Medienwelt selbst und ihre Teilnehmerinnen in den Bann gezogen, deren Internetnutzung Landesgrenzen schon lange verwischt. Im Duell der Präsidentschaftskandidaten in den Vereinigten Staaten sehen sogar die Menschen anderer Länder, die am Wahltag selbst nicht entscheiden, einen besonderen Reiz; wie ein Boxkampf – gestreckt über mehrere Monate – fesselt die Wahl ein Publikum, das am Ende des Tages einen klaren Gewinner kennt. Rechenspiele um mögliche Koalitionen und darauf folgende Verhandlungen bleiben aus.

Werden die Bundestagswahlen 2013 im Internet gewonnen? – Schon die Formulierung dieser Frage birgt Stolpersteine in sich, denn im Internet geschieht grundsätzlich gar nichts – jedoch über all die verschiedenen Kanäle, Orte, Verbindungen und Beziehungen, die Menschen zur Kommunikation nutzen. Über die Bekanntmachung, Erläuterung, Verteidigung politischer Positionen in digitalen Formen kann Meinungsbildung geschehen und Wahlentscheidungen der Weg geebnet werden. Dies verlangt zunächst, dass sich dort Menschen engagieren und miteinander austauschen. Menschen, die wissen wo sie die Zielgruppen ihrer Kampagnen treffen können, Menschen, die wissen welche Möglichkeiten die Onlinekommunikation für politische Diskurse bietet, Menschen, die das Zusammenspiel von Online-Aktivismus und Engagement vor Ort verstehen und so Mobilisierung organisieren können. Kurzum „people who know their social media shit“, wie Laura Olin, Strategieberaterin für soziale Netzwerke in der Obama-Kampagne 2012, die Menschen charakterisierte, die sie für das Team auswählte, das verantwortlich für die Onlinepräsenzen des Präsidenten war. Einen weiteren kulturellen Unterschied zur politischen Beratung auf höchster Ebene brachte die 31-jährige Olin ebenfalls prägnant zum Ausdruck: They „put a lot of trust in us, that we knew what we were doing, and to follow our gut, they just need to be brave enough to just let people who know their shit do what they do“. Vertrauen, Experimentierfreude, Intuition – diese Dinge sind neben wissenschaftlicher Politikberatung unverzichtbar. Von Menschen, die in Kommunikationsabteilungen in Deutschland arbeiten,

„Wir machen das jetzt so wie Obama“ In der praktischen Umsetzung werden die Modelle der Amerikanisierung von Kampagnen jedoch oft verkürzt. Anstatt Wahlkampftechniken länderspezifischen Gegebenheiten und kulturellen Differenzen anzupassen, brachte der Blick über den Teich in den letzten Wahlkämpfen vor allem eine Menge Buzzwords und kühne Hoffnungen mit, die in politischen Kampagnen in Deutschland nicht greifen konnten. Der Mythos, Barack Obama habe seinen Sieg 2008 vor allem einer erfolgreichen Online-Kampagne zu verdanken gehabt, hält sich noch immer; er hatte jedoch nicht einmal zur Folge, dass digitale Kommunikationsund Mobilisierungsstrategien analysiert und für die deutschen Wählenden weiterentwickelt wurden. Seit nunmehr zehn Jahren wird wie ein Mantra die These wiederholt, das Internet habe sich im Bundestags-

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HEFT ZWEI know their social media shit, they know their supporters.

hört man hingegen immer wieder von Freigabeprozessen für einzelne Tweets und übersteigerter Angst vor dem Kontrollverlust, weil Vertrauen und ein entspannter Umgang mit dem Netz fehlen.

Ein Diversity-Ansatz der dieses Ziel verfolgt, etabliert gemischte Teams in allen Bereichen einer Organisation. Geschlechtervielfalt, eine demografische Durchmischung und unterschiedliche kulturelle Blickwinkel müssen auch in den Entscheidungsebenen vertreten sein, nicht nur bei Praktikantinnen und freiwillig Helfenden.

Digital Change In Unternehmen, in Organisationen und Parteien geht es derzeit um mehr als lediglich neue Wege der digitalen Kommunikation zu etablieren, es geht um Kulturwandel. Unternehmensberaterinnen würden von Change Management sprechen, ganz neu dabei der Begriff „Digital Change“. Wolfgang Blau, Chefredakteur von Zeit Online, formulierte vor Kurzem über Twitter den Gedanken: „And: sooner than later, it will be unthinkable to even run a printed newspaper or a tv-station without having profound online experience.“ Über die 140 Zeichen hinaus könnte man seinen Tweet sehr gut ergänzen: Früher oder später wird es undenkbar sein, einen Wahlkampf zu leiten, ohne über profunde Kenntnis der Onlinekommunikation zu verfügen. Dabei gehen die Anforderungen an die Erfahrungen weit über die reine Kommunikation in Onlinemedien hinaus, denn nicht nur das Nutzungsverhalten von Medien hat sich gewandelt. Digitaler Wandel hat die Erwartungen von Bürgerinnen an politische Prozesse grundlegend verändert.

Wenn Schlampen wählen Wenn die amerikanischen Wahlen in der Vergangenheit die deutschen Parteizentralen dazu angespornt haben, ihre Onlineansprache zu verbessern, ist die Lehre aus diesem Jahr, sich Frauen und Minoritäten zuzuwenden. Denn es gelang der Kampagne, diese Gruppen besonders zu mobilisieren. Der so genannte „Gender Gap“ lag nach dem Auszählen aller Stimmen bei 18 Prozentpunkten – ein Rekordwert (2008: 12 Prozentpunkte). Vor allem aber stimmten „Women of color“ für den Präsidenten, weiße Frauen wählten mehrheitlich den republikanischen Kandidaten Mitt Romney. Das inhaltliche Programm der Demokraten sprach Frauen dabei mit explizit feministischen Themen an, die laut Umfragen für die Wählerinnen in großen Teilen wahlentscheidend waren. Dazu zählten zum einen gesundheitspolitische Themen wie der Zugang zu Verhütungsmitteln, Krebsvorsorge, das Recht auf Abtreibung, aber auch Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigung, die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und wirtschaftliche Themen wie die gleiche Bezahlung der Geschlechter. Amerikanische Aktivistinnen unterstützten die Kampagnen für Obama und gegen Romney auch online vehement und sichtbar. Nachdem der konservative Radiomoderator Rush Limbaugh Frauen, die forderten, dass Verhütung über die Krankenversicherung gedeckt sein sollte, öffentlich als „Schlampen“ und „Prostituierte“ bezeichnete, schlossen Frauen sich zu Kampagnen wie der Aktion „Rock The Slut Vote“ zusammen. Die Beteiligung an der Informations-und Überzeugungsarbeit gedieh dabei weit über bereits vernetzte feministische Aktivistinnen hinaus, denn es gelang herauszuarbeiten, welch gravierenden Unterschiede und direkte Betroffenheit der „War on Women“ für nahezu alle Frauen mit sich gebracht hätte, wäre Mitt Romney zum Präsidenten gewählt worden.

Im Umgang mit sozialen Medien, aber auch mit den unterschiedlichen Zielgruppen, die in der politischen Kommunikation angesprochen werden sollen, offenbart sich an dieser Stelle als Herausforderung ebenso wie als wirkliche Chance: denn das richtige Gespür und den Ton für die Kommunikation in sozialen Netzwerken, ein umfassendes Verständnis für die unterschiedlichen Belange unterschiedlicher Menschen – all das kann man weder studieren noch in der kurzen Zeit eines Wahlkampfes erlernen. Man kann diese Dinge ebenso nicht durch langjährige Beratungserfahrung, der ein anderer Zeitgeist zugrunde liegt, kompensieren. Wahlkämpfe, die erfolgreich sein wollen und auf die Ansprache einer Vielzahl und Vielfalt von Menschen angewiesen sind, müssen diese Diversität daher in ihren Teams abbilden. Diese Teams können dann Ausgangspunkt sein, um zahlreiche Unterstützende zu gewinnen, die im Rahmen einer Kampagne die passende Ansprache für Zielgruppen weiter mit entwickeln und umsetzen können. They not only

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