BLANK MAGAZIN März 2009

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FACE YOUR MAGAZINE

WIR GLAUBEN AN

DAS GUTE INDIEROCK

55 Uhr

f 4,00

Literatur: Julia Zange, Adam Davies, Stefan Kalbers, Roman Libbertz Mode: Kilian Kerner, Modewoche Berlin, Blind and Beautiful Politik: Die Gr체nen 2.0, Jan Off 체ber Athener Verh채ltnisse

M채rz 2009

UNTER DER ARMUTSGRENZE


state of the Kart.

Das Das neue neue MINI MINI Cabrio. Cabrio. Immer Immer offen. offen.

Das sorgt für Aufsehen. Durch attraktives Design und innovative Technologie Das sorgt für Aufsehen. Durch attraktives Design und innovative Technologie verbindet das neue MINI Cabrio echte Cabrio-Freiheit mit purem Gokart-Feeling. verbindet das neue MINI Cabrio echte Cabrio-Freiheit mit purem Gokart-Feeling. Mehr Infos unter www.MINI.de, der MINI Hotline 01802 64 64 66*, per SMS Mehr Infos unter www.MINI.de, der MINI Hotline 01802 64 64 66*, per SMS mit dem Kennwort „CABRIO“ an die 53335 oder direkt bei Ihrem MINI Partner. mit dem Kennwort „CABRIO“ an die 53335 oder direkt bei Ihrem MINI Partner.

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Kraftstoffverbrauch kombiniert: von 5,7 [6,7] l/100 km bis 6,4 [7,1] l/100 km, Kraftstoffverbrauch kombiniert: 6,4 l/100 km, außerorts: 5,4 l/100 km, innerorts: CO2-Emission kombiniert: von 137 [161] g/km bis 153 [170] g/km. 8,1 l/100 km, CO2-Emission kombiniert: 153 g/km. 0,06 EUR pro Anruf / Fax aus dem Festnetz, ggf. andere Tarife aus Mobilfunknetzen. WerteEUR in [pro ] gelten Fahrzeuge 6-Gang-Automatikgetriebe. 0,06 Anruffür / Fax aus demmit Festnetz, ggf. andere Tarife aus Mobilfunknetzen.

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13.02.2009 14:32:54 Uhr


MÄRZ 2009

WIR

GLAUBEN AN DAS

GUTE von johannes finke

E

s sind Wahrheiten und Umstände, die einen bewegen und nicht erstaunt, geblendet oder geschockt erstarren und still stehen lassen. So ensteht Neues. So enstand BLANK. Aber sich mit Definitions- und Bewältigungskonzepten aufzuhalten, ist in nach Aktionismus verlangenden Momenten nicht der richtige Ansatz, um ein Magazin zu machen. Es muss gemacht werden. Die Umstände führten dazu, die Lust und letztendlich auch das Wissen. Doch es gibt auch Umstände und dazugehörige Beschreibungen, die eigentlich keiner braucht. Paraskavedekatriaphobie, die krankhafte Angst vor einem Freitag, den 13., gehört da mit Sicherheit in all ihren Facetten dazu. Auch im März wird es ihn geben, einen Freitag, den 13. – ein gutes Beispiel dafür, wie sich Geschichte, Mythos und Realität an des Menschen Fersen heften. Auch wir können uns nicht frei davon machen, warum auch, doch beim Betrachten der Blätter am Boden fühlen wir uns bestärkt. Das sieht so aus, wie man sich das vorgestellt hatte. Nicht nur ungefähr. Da fehlt vielleicht hier und da eine Kleinigkeit oder manchmal


auch eine weitere große Idee, aber das Bild im Ganzen entspricht den eigenen Erwartungen für die erste Ausgabe eines neuen Magazins, das versucht, uns zu repräsentieren. Und darüber hinaus auch noch etwas mehr. Zu erklären, warum die Zeichen gut stehen, ein neues Magazin in der Machart wie der unsrigen auf den Markt zu bringen, würde an dieser Stelle den selbst gesetzten Konzeptrahmen erstmal sprengen. Doch ein paar Erläuterungen zum Selbstverständnis der Macher seien an dieser Stelle doch gestattet. Im letzten Frühjahr bin ich bei, ich glaube MySpace, über ein Zitat von Maxim Biller aus einem damals in der Galore veröffentlichten Interview gestolpert und ich habe selten so eine klare und wahre Aussage über den gegenwärtigen Zustand einer sich am Status Quo berauschenden deutschen Gesellschaft gelesen, die sich in dem verliert, was sie tagtäglich produziert: „Über Deutschland wird immer nur mit den alten Herren geredet, nicht mit der jungen Generation, die inzwischen auch schon nicht mehr so jung ist. Warum geht keiner zu Christian Kracht oder Rainald Goetz, um mit ihnen über dieses Land zu reden? Ich bin aus meiner Generation, so weit ich weiß, der Einzige, mit dem man immer wieder über den politischen, moralischen Zustand dieser Gesellschaft redet. Warum? Natürlich auch, weil ich selbst darüber rede. Die anderen deutschen Schriftsteller – ich versuche gerade zu überlegen, ob ich jemandem Unrecht tue – die tun das nicht. Warum? Vielleicht, weil die Männer keine Eier haben und die Frauen sich immer nur für Beziehungen interessieren. Versuchen Sie mal, von Ingo Schulze irgendein klares Wort über Ossis zu kriegen! Wer will wirklich über Politik reden? Wem ist es wichtig,

wo diese Gesellschaft steht?“. Und tatsächlich, der Drang sich zu Dingen zu äußern, die die größtmögliche Distanz zur eigenen Enkulturation aufweisen, ist gelegentlich enorm. Da bleiben die Sachverhalte, die man verstehen könnte, die sich im Blickfeld befinden, leider zu oft außen vor. Nach Visionen, und das ist bewusst sehr allgemein gehalten, sucht man vergebens und Aktivismus befriedigt in der Regel nur den eigenen Geltungsdrang, das eigene Rechtsempfinden, das eigene System im System. Darüber hinaus wird man das Gefühl nicht los, dass junge Kreative und intellektuelle Überflieger einfach zu schnell auf marktfähig getrimmt werden. Zugegebenermaßen wollen sie das auch. Sie stürzen sich in die Arbeit, weil sie die die Realitäten, die ihnen in den Medien begegnen, nicht mehr verstehen und sie nur noch als Karikaturen wahrnehmen, ganz gleich, ob Ehrverständnis und Ehrenmord, Kampfeinsatz in Afghanistan oder Jugendsprache, Flatrate-Saufen, Trash-TV oder BILD-Boulevard. Ernste Versuche, dies alles zu bewerten, finden nicht statt. Natürlich gibt es auch eine leider überschaubare Anzahl an Leuten, die hin und wieder etwas Wahres sagen, so wie vielleicht Maxim Biller. Aber der ist, ohne ihm nahe treten zu wollen, wahrscheinlich noch mal eine andere Generation als jene, die dieses neue Magazin macht. Doch das fällt, zugegebenermaßen, unter Haarspalterei. Jung und nicht mehr ganz so jung – für die Marktanalyse macht das doch fast keinen Unterschied. Unsere Marktanalyse ist ab jetzt dieses Magazin, Monat für Monat, und wir haben mit Sicherheit nichts dagegen, wenn dieses Magazin dein neuer Freund wird. Nein. Genau genommen: So hatten wir uns das gedacht.


märZ 09

7 Seid dann mal weg Abseitig vom Jakobsweg: Die Pilgerstätten unserer Zeit

16 Und ewig raUSchen die wälder Jan Off politisiert. Warum ist Athen so unruhig? Erwärmendes aus der Hauptstadt der Griechen.

18 gUter Bayer, BöSer Bayer Bayen nervt. Der Liedermacher Hans Söllner über Repressalien, das bevorstehende Ende der Verhältnisse und die Kraft von Symbolen.

24 VerSchlimmBeSSern Nilz Bokelberg kommentiert die Welt. Ein offener Brief an Cameron Diaz.

26 aUf einem eiSBärenfell Die Suhrkamp-Autorin Julia Zange im Gespräch über imaginäre Kinder, Gender Studies und Flanellhemden. Und natürlich über ihr Debüt „Die Anstalt der besseren Mädchen“.

32 BUch- Und Blattkritik Adam Davies, Harper Lee, Diablo Cody, Der Freitag

36 Um nichtS VOrwegZUnehmen, aBer… Roman Libbertz streift durch die Nacht mit „Goodbye Lemon“-Autor Adam Davies

38 mit Schlagkraft Und gefühl Der Designer Kilian Kerner hat auf der jüngst zu Ende gegangenen Fashion Week in Berlin abgeräumt. Und wer hat es schon immer gewusst?

44 Blind and BeaUtifUl Ob Mode für Blinde und Sehbehinderte ein Thema ist? Unsinnige Frage!


48 indierOck Unter der armUtSgrenZe Killed By 9V Batteries sind die spannendste Band Österreichs

52 dann Beginnt mein herZ mich ZU Bewegen Kettcar-Produzent Tobias Siebert dreht nicht nur Knöpfchen, sondern macht auch selber Musik. Und das so gut, dass wir es mögen.

54 eclectic BOOgie Pigmentstörung in gut. Die Filthy Dukes sind 30 Jahre Disko und viel mehr.

55 neUe tOnträger Alif Tree, Bodies of Water, Telepathe

56 gUten aBend, dänemark D-A-D waren irgendwie schon immer gut. Zeitlos auf jeden Fall. Und sind jetzt schon wieder immernoch da.

59 JeSUS chriSt next SUperStar Politik ist Politik und Religion ist Religion. Einfach aber falsch. Wie so oft im Leben. Alles ist alles und vor allem Musik.

62 BOhemian like yOU Vom Indie-Adel schon für gut befunden, wollen Kissogram es jetzt richtig wissen.

64 VOr Ort märZ 2009 Ostinato, Faces & Names, Scherbenpark, Kabale und Liebe

65 hOrOSkOp Fische im Jahr des Büffel. Ein hedonistischer Blick in die Sterne.

66 wanderer, kOmmSt dU nach Berlin Wohnen, Leben, Sein - das Q! in Berlin ist eines der Top-Hotels der Stadt. Auch ohne Stern und Brokat.

68 reiSe, reiSe Auf großer Fahrt mit Störtebeker im Ohr, dem Geruch von Seetang in der Nase und ganz vielen Geschichten im Kopf. Kapitän Jürgens erzählt und BLANK hört zu.

72 impreSSUm 73 leSerfeedBack/aBOnnement 74 regiSter heft Zwei Mehr. Viel mehr. Von allem. Musik, Politik, Mode. Lang, das auch. Dafür ohne Fotos. Der Extraschub zum Schluss.


PILGER

STÄTTEN SEID DANN MAL WEG!

mercedes-Benz museum, Stuttgart Wenn die Finanzkrise nachhallt und sich die Autoindustrie nicht grundlegend wandelt, wird man in diesem wunderschönen Bau in Stuttgart in absehbarer Zeit Relikte einer vergangenen Epoche bewundern können. Aber Marketing ist alles und ein Statussymbol für Erfolg, Sicherheit und ‚Made In Germany’ kann in diesen unruhigen Zeiten nicht schaden. Eine lange Geschichte zeugt von Kontinuität und Erfolg. Und was haben die für

schöne Autos gebaut, die Schwaben. Der rote Mercedes zum Beispiel, den Eddie Murphy in Beverly Hills Cop durch die Straßen von Los Angeles lenkte. Was für ein Auto. Eintrittspreise: 8,- € (ermäßigt: 4,- €), angemeldete Schulklassen und Studentengruppen frei Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 9-18 Uhr www.museum-mercedes-benz.com

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Open air, wacken Wo die Republik anfangs noch dachte, an Orten wie diesem würde eine stumpfe, zugedröhnte Masse dem Satan huldigen, ist dies heute allgemeiner Wissensstand. Die ansässige Dorfbevölkerung unterstützt den heidnischen Mob mit uneingeschränkter Sympathie und Solidarität und verkauft den vornehmlich in schwarz gekleideten Horden an langhaarigen Metallern am Straßenrand frisch gepressten O-Saft, belegte Brötchen oder Würstchen vom Grill. Viele von denen, die hierher gekommen sind, um die größ-

ten Helden ihrer Zunft wie Slayer, Iron Maiden, Motörhead oder Blind Guardian live on stage bewundern zu können, kennen das Leben auf dem Land. Sie kennen die Langeweile. In Wacken treffen sie sich und huldigen dem Satan. Nur so zum Spaß. Ihr Satan heißt Musik. Und die Langeweile ist vergessen. Einmal im Jahr. Termin: 30.07. – 01.08.2009 Preis: 120,- € (bereits ausverkauft) www.wacken.com


Pilgern und Zusammenrotten sind gern ausgeübte Tätigkeiten des Menschen, ganz gleich in welcher Epoche der Geschichte. Auch der postmoderne, der in der Postmodernen endlich angekommene und der von der Postmodernen bereits wieder entlassene Mensch nehmen sich da nicht aus und die große Leserzahl von Pilgerbüchern prominenter TV-Unterhalter oder die Masse derer, die sich zu Obamas verfrühter Antrittsrede am Siegesdenkmal scharten zeigen, wie sehr der Mensch das Gemeinsame sucht, die mögliche Heilsbringung für sich und die Welt. Wir finden Pilgern grundsätzlich gesehen erst einmal super. St. pauli – millerntor, hamburg Alle mögen Pauli. Alle, vielleicht bis auf Nazis. Die winken schon beim Präsidenten ab. Oder fühlen sich persönlich angegriffen. Bunt, ehrlich und alternativ sollte man schon mögen. Auf den ersten Blick das Gegenteil vom Branchenneuling Hoffenheim, beim genaueren Betrachten eine Perle hanseatischer Eigentümlichkeit. Am Millerntor gibt es große Emotion für verhältnismäßig wenig Geld und ohne Phänomene wie Pauli hätte es vielleicht noch länger gedauert, bis Fußball als popkulturelle Reflektionsfläche und Biz-Model auch für die kritische, markenbewusste und überregional-netzwerkende Generation an Medien- und Kulturschaffenden interessant wird, die in einer Begeisterung mündet, wie wir sie in den vergangen Jahren miterleben durften. Eintrittspreise: 7,- bis 178,- € Millerntor-Stadion, 20359 Hamburg www.fcstpauli.de

lourdes, frankreich Der französische Klassiker zu Füßen der Pyrenäen. Erscheinungen und Wunderheilungen. Das alte Ding. Geweihtes, heiliges Wasser in spröden Plastikflaschen in Form der Jungfrau Maria. Unzählige Aufpasser, die beständig bemüht sind, jeglichen nicht erwünschten Geräuschpegel zu orten und zu unterbinden. Und

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grabstätte thomas dörflein, Berlin Seine privaten Hinterlassenschaften hat der Sohn auf Ebay versteigert. Den Grabstein spendierten letztendlich Bürger und ein Steinmetz. Gestorben ist er einfach so. Für die Fans in aller Welt ein Schock. Ein Verlust. Doch Thomas Dörflein hat seinen Job gemacht. Wahrscheinlich war er darin ein Meister. Selten waren sich

Mensch und Tier näher. Auch wenn es sich jeweils nur um einen Vertreter handelt. Wahrscheinlich haben sie sich verstanden. Wahrscheinlich war ihnen das auch völlig egal. Vielleicht sollte man Knut irgendwann neben ihn legen. Wäre doch ein Zeichen. Wir haben doch keine Ahnung.


lange Wartezeiten, um zum Wesentlichen zu kommen. Doch es kann schon mal vorkommen, dass ein Helfer mit dem alten Mann im Rollstuhl aus der Reihe schert, da dieser das Wesentliche nicht mehr erleben sollte. War kein schöner Moment. Ehrlich. Wird übrigens nicht von der Krankenkasse bezuschusst. www.lourdes-france.org Öffnungszeiten: Ganzjährig, 24 Stunden/Tag

wagner-festspiele, Bayreuth Nur sieben Jahre können sich die aktuellen Wagners in Sicherheit wiegen, denn auf diese Zeitspanne wurde die neue Intendanz beschränkt. Aber vielleicht sind die Zeiten, in denen man sich als Wagner in Bayreuth überhaupt in Sicherheit wiegen kann, vorbei. Ein Relikt wird museal und verstaubt oder wird in andere Sprachen und Formen übersetzt und Teil von Diskurs. Schlingensief war ein Anfang. Vielleicht ist das der Preis, den man in Bayreuth zahlen muss, um Akzeptanz beim geliebten und auserwählten Volk zu erhalten. Um den Absatz der Karten muss man sich nämlich nicht sorgen, die aktuelle Wartezeit auf eine Karte beläuft sich auf tausend Jahre. Um die Identität der deutschen Elite muss man sich also keine Sorgen machen. Termin: 25.07. – 28.08., Preise: 14,- bis 225,€ www.bayreuther-festspiele.de

melt festival, ferropolis Vorbereitung ist alles, wenn sich IndieKids und Intro-Leser aus der ganzen Republik, Berlin-Mitte-Partyvolk und SzeneProminenz achtundvierzig Stunden lang an einem See, inmitten illuminierter Stahlkolosse, hemmungslos durch Tag und Nacht treiben lassen. Wenn das Setting stimmt, geht hier alles. Tocotronic haben hier unter Sternenhimmel das Gegenteil von kapituliert, Deichkind sind in der Morgendämmerung in einem Schlauchboot über die Crowd gesurft und auch bei Blumfeld oder Franz Ferdinand war das Licht schön, bei The Battles war es heiß, bei Navel hat es in Strömen geregnet und während Hot Chip aufgetreten sind, habe ich die anderen verloren und am Tag darauf wieder gefunden. Oder war das ein Jahr später? Und für

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klagemauer, Jerusalem Irgendwie steht diese Mauer leider an einem richtigen Ort. Doch leider kann die Mauer keine Geschichten erzählen. Davon kennt sie wahrscheinlich viele. Und sie wiederholen sich. Und keiner weiß ob die Mauer beschützen oder bereinigen möchte. Wenn sie nur könnte. Wenn sie nur Geschichten erzählen könnte. Einer

Mauer würde man vielleicht zuhören. Eigentlich sollte es eine Schweigemauer sein. Zumindest denke ich das manchmal. Wir wünschen uns Frieden. Nicht nur auf dem Papier. Preise: Eintritt Frei Öffnungszeiten: Ganzjährig


Hängengebliebene gibt es nach drei Tagen wach am Ende vielleicht noch Lützenkirchen oder so was. In einer alten Lagerhalle. Irgendwo im Osten. An einem See. Mit einer Flasche Cola-Bier-Mix in der Hand. Abgefahren! Termin: 17.07. – 19.07., Tickets: 70,- bis 90,- € Ferropolis, Gräfenhainichen www.melt-festival.de

Bodenseeklinik, lindau Die Konkurrenz wächst. Doch der Markt auch. Und er wird weiter wachsen. Dieser Trend ist Zeitgeist. Und Professor Dr. Mang ist eine Koryphäe. Er hat nichts zu befürchten. Konkurrenz ist ihm egal. Sollen doch die anderen pfuschen. Sein Ruf ist einer der besten. Seine Preise dementsprechend. In Südafrika, Polen oder den USA ist es billiger. Aber er ist der Daimler, sogar der Udo Walz der Schönheitschirurgie. Leider eher der uncoolere von den beiden aus Nip&Tuck. Also der, der weniger Sex hat. Den Cooleren gibt es dann vielleicht in Südafrika. Wenn man auf Fußball steht, ließe sich das 2010 ja wunderbar miteinander verbinden. Je früher desto besser. Und damit ist nicht nur das Sparen gemeint. BODENSEEKLINIK Mang Graf-Lennart-Bernadotte-Str. 1, 88131 Lindau Preise: 150,- (Kollagen) bis 10.000,- € (Face-

Gewinnspiel Damit das Pilgern gemütlich und schick vonstatten geht, verlosen wir hier zwei paar ASICS SportStyle-Schuhe. Und zwar je 1x den „Court-Special Hi“ und den „Procourt Hi“. Einfach eine Mail an verlosung@blank-magazin.de schicken und beantworten, woher der Name ASICS stammt. Wer einen der in JeansOptik gehaltenen Rucksäcke „Borealis“ und „Reckon“ von The North Face gewinnen möchte, um die wichtigen Dinge wie Knipse, Wasser, Landkarte und Regencape einzupacken, schickt eine Mail mit seiner eigenen, persönlichen und liebsten Pilgerstätte. Die Redaktion entscheidet.

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europazentrale von Scientology, Berlin Man hat schon gehört, dass die dort Menschen direkt von der Straße ins Gebäude zerren. Doch das ist Wunschdenken. Man würde doch gerne mal etwas mehr wissen? Gibt es jemanden der mehr darüber weiß? Nein? Ich kenne keinen. Ich kenne keinen, der einen kennt. Da hat noch nie jemand darüber gesprochen, wenn ich anwesend war. Und die Menschen, die von Scientology an Infoständen ins Feld gebracht werden, kann

man nicht wirklich ernst nehmen. Ich kaufe keine Bücher, die so ein Artwork haben und ich empfehle auch keinem dies zu tun. Falls jemand tatsächlich mehr weiß, kann er sich gerne bei uns melden. Wir denken, das Thema könnte was für unsere Redaktion sein. Vielleicht für die Literatur-Redaktion. Eintritt: Frei, Kosten: variabel www.scientology.de




UND EWIG

RAUSCHEN DIE WÄLDER

U

TexT jan off FoTograFie LUCja RoManoWska

ngezählte Demonstrationen und Kundgebungen, mehrere hundert besetzte Schulen und Universitätsgebäude, besetzte Rathäuser, besetzte Gewerkschaftszentralen, Angriffe auf Polizeiwachen, zerstörte Banken, verwüstete Einkaufsmeilen, ein Sachschaden zwischen zwanzig und fünfzig Millionen Euro, die wiederholte (wenn auch kurzfristige) Übernahme von Radio- und Fernsehsendern – keine Frage, in den letzten Wochen hat Griechenland allerhand Erfrischendes zu bieten gehabt. Nun ist zwar nicht davon auszugehen, dass sich die griechische Flagge in Kürze in den Farben Schwarz und Rot präsentiert und die aktuelle Hymne durch einen Song von Mikis Theodorakis oder den Klassiker „A las Barricadas“ ersetzt wird. Eins aber vermitteln das Ausmaß und die Qualität der Proteste allemal, nämlich die wohltuende Botschaft, dass es manchmal eben doch schneller gehen kann, als allgemein vermutet (an dieser Stelle einen kurzen aber hämischen Gruß an Erich Mielke und Nicolae Ceausescu). Soziale Revolution? Das klang doch – zumindest seit Mitte der 1980er – wahlweise nach Mottenkiste oder Christi Himmelfahrt. Und auch im Hier und Jetzt will der Begriff noch nicht mit der rechten Geschmeidigkeit über die Lippen. Aber vielleicht lohnt es sich, die Aussprache schon mal vor dem Spiegel zu üben. Vielleicht besteht ja doch noch der Hauch einer Chance, die „freie Assoziation freier

Individuen“ zu erleben, bevor die Menschheit sich endlich selbst abgeschafft hat (was dann natürlich das wahre Paradies auf Erden darstellen würde). Dass in den Mainstream-Medien von Springer bis Spiegel ausschließlich auf den gewalttätigen Aspekt der Unruhen Bezug genommen wurde, ist so überraschend wie ein Leberschaden nach dreißig Jahren Vollsuff. Muttis guter Stollen schmeckt doch gleich noch besser, wenn in Athen der Christbaum brennt. Natürlich ziehen derart heftige Auseinandersetzungen Menschen an, die auch noch den blutigsten Hundekampf als abwechslungsreichen Event willkommen heißen würden (von denen haben die gesellschaftlichen Verhältnisse ja schließlich eine ausreichende Zahl hervorgebracht). Aber lässt sich mit dieser

lich fehlgeleitete Hooligans zu vermuten, ist mehr als aberwitzig. Vielmehr sieht es so aus, als hätten nicht wenige Menschen Lust bekommen, ihr Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen, sich jenseits von gesetzlichen Vorgaben, Parteitagsbeschlüssen und medialer Rundum-Beschallung einen Happen Selbstbestimmung zurückzuerobern. Und im deutschsprachigen Raum? Abgesehen von einer Botschaftsbesetzung und einem guten Dutzend Demonstrationen mit einer Gesamtzahl von nicht mehr als dreitausend Teilnehmern rabottet eine geradezu unfassbare Mehrheit vor sich hin, als ob nichts gewesen wäre. Stellt sich die Frage, worauf sie alle warten, die kunstschaffenden Freigeister, die gepiercten Jünger aufmüpfiger Subkulturen, die vermeintlich Unangepassten mit der rebellischen Attitüde, die klugen Köpfe, die doch schon seit langem wissen, dass der Kapitalismus sich nicht selbst überwindet, die Abgehängten und die, die sich selbst abgehängt haben, die Tierrechtler und Umweltschützer, die Lesben und Schwulen, die Transsexuellen, die Zeitarbeiter, die Poplinke, die Bohème, all jene, die an einer Welt ohne Abschiebungen und ohne Grenzen interessiert sind, die Feministinnen, die selbst erklärte Avantgarde, die Friedensbewegten… Vielleicht darauf, dass die Toten Hosen oder der Präsident des Arbeitgerberverbandes oder Sahra Wagenknecht den Anbeginn der neuen Zeit via TV verkünden. Auf Polizeigewalt und anderes Unrecht warten sie sicher nicht. Davon gibt es in dem Land, das uns zu seinen Staatsbürgern erklärt hat, mehr als genug.

»Es sieht aus, als hätten nicht wenige Menschen Lust bekommen, ihr Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen.« mehr als banalen These der Protest in seiner Gesamtheit diskreditieren? Bei denjenigen, die über strukturelle Gewalt, die über Herrschaft und Wettbewerb nicht nachdenken wollen, vielleicht. Umso wichtiger, zu erwähnen, dass sich die Interessenvertretungen der Lehrer und Professoren mit den Aktionen der Protestierenden solidarisiert haben. Nicht minder wichtig, darüber zu informieren, dass in den besetzten Rat- und Gemeindehäusern in Athen und anderen Städten täglich öffentliche Vollversammlungen stattfinden, an denen zum Teil mehrere hundert Bewohner der betroffenen Stadtteile teilnehmen. Dahinter ausschließ-

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GUTER BAYER

BÖSER BAYER TexT TiLL eRDenBeRGeR FoTograFie LUkas BeCk

hans söllner, der bayerische Rebell, ist vieles. Rasta, kiffer, Liedermacher, Politikerschreck. Manches gewesen, manches immer noch – alles aber immer mit Überzeugung und zu 120%. sein starkes Rückgrat und die flinke Zunge haben ihm manchen Ärger eingebracht. söllner singt und spricht für die Legalisierung von Marihuana und gegen die Gängelung durch die Behörden. Die schlagen in schöner Regelmäßigkeit zurück und schicken dem Musiker Überfallkommandos zu seinen konzerten und in sein Zuhause. alles wegen weniger Gramm Marihuana und einiger T-shirts. inzwischen hat söllner 250.000 euro für diverse Vergehen an den freistaat zahlen dürfen. Und auch, wenn dieser inzwischen ein wenig zur Ruhe gekommen zu sein scheint – hans söllner ist immer noch da und alles andere als versöhnlich gestimmt. BLANK: Herr Söllner, wie kann es passieren, dass in Bayern offensichtlich so etwas wie eine „Lex Söllner“ existiert und die Öffentlichkeit nimmt davon so wenig Notiz? HANs söLLNer: Ich glaube, dass die Leute so abgelenkt sind, dass es sie gar nicht interessiert. Die interessieren sich doch heutzutage eher für Gigabytes und Wireless Lan und solche Sachen. Wenn die satt sind und eines Tages mal genug haben, dann interessiert es sie wieder. Und so lange kann ich es aushalten. BLANK: Macht einen das nicht sehr betroffen? Hs: Manchmal ist das so, aber mit zunehmendem Alter lässt das nach. Du bemerkst irgendwann, dass es nur um die Unterhaltung geht, ich bin in der Unterhaltungsbranche tätig. Es ist halt so. Nicht mehr und nicht weniger. Ich hoffe, dass es gute Unterhaltung ist. BLANK: Das ist doch sehr bescheiden. Es geht bei Ihnen doch um wesentlich mehr. Hs: Ja, natürlich geht es mir um mehr. Aber ich kann nicht erwarten, dass es allen anderen Menschen auch so geht. Ich bin froh, dass ich mich auf diese Art und Weise mitteilen kann, weil es mir um mehr geht. Aber was ich bei den meisten Liedern empfinde, das kriegen die Men-

schen gar nicht mit, denn ich habe sie in bestimmten Situationen und aus bestimmten Situationen heraus geschrieben. BLANK: Werden Sie Günther Beckstein vermissen, nun, da er sich politisch selbst gerichtet hat? Hs: Nein, ich habe da keinerlei Verlustgefühle, wenn so einer wie der Beckstein geht. Das zeigt mir nur, dass solche Leute auftauchen und wieder gehen und Leute wie ich einfach da sind, bis zum Schluss. BLANK: Hätten Sie bei Beckstein etwas erreichen können? Hs: Ich bin überzeugt davon, dass ich den Beckstein auf einen guten Weg hätte bringen können, wenn er sich mit mir mal unterhalten hätte. Nein, eigentlich bin ich nicht davon überzeugt... Es gibt halt so Menschen wie den Beckstein. Die sind unausgeglichen, die sind dumm, die trinken zu viel. Dass sie andere Menschen verfolgen müssen, dass sie anderen Menschen Leid zufügen, dass sie andere Menschen in Unsicherheit sitzen lassen, dass sie Angst verbreiten; das alles sind für mich Zeichen von innerer Unausgeglichenheit. Wenn ich ständig mit meinem Umfeld oder mit mir einen Fight habe, dann kann ich doch keine innere Ruhe spüren, nicht in der Mitte von mir sein. Und dann sollte ich auch nicht Politiker werden oder Lehrer oder Kindergärtner.

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»Es gibt halt so Menschen wie den Beckstein. Die sind unausgeglichen, die sind dumm, die trinken zu viel.« Dann sollte ich beim Bäcker Brötchen verkaufen oder draußen das Feld mit einem Spaten umgraben. Aber doch bitte nicht mit Menschen arbeiten. BLANK: Warum tun sie es trotzdem? Hs: Diese Leute glauben, dass man eigene Zufriedenheit dadurch erlangen kann, dass man andere Menschen dahin führt, wo man selber schon ist: in die Unzufriedenheit. Ich glaube, dass es auch ein Missverständnis gibt. Sie denken, sie tun was für uns, aber sie tun immer nur etwas gegen uns. Alles, was in den letzten 25, 30 Jahren unter dem Deckmantel der Politik und der Demokratie passiert ist, war gegen uns. BLANK: Was meinen Sie konkret? Hs: Seit Anfang der 70er, wo ich angefangen habe, ein bisschen politisch zu denken, passierte alles, egal was, immer gegen uns. Es war nichts dafür. Es gibt kein Gesetz, das es mir erleichtert, mich besser in Städten zurecht zu finden oder dass ich nicht gleich betteln gehen muss, wenn ich mal drei Monate nichts verdiene, dass ich nicht gleich durchs Raster falle. Es gibt keinen Mindestlohn, Frauen kriegen im selben Job immer noch weniger als Männer, Frauen sollen ihr Kind am besten schon mit 1 1/2 Jahren in die Krabbelgruppe geben, damit sie gleich wieder arbeiten und möglichst keinen Einfluss mehr auf die Kindererziehung nehmen können. Es ist nichts dazu gekommen, was mich entlasten würde. Nichts, was mir das Leben in diesem Staat, der sich in aller Welt als demokratisch und fortschrittlich preist, erleichtern würde. Es ist nichts dazu gekommen, was mir ermöglicht, mich nicht ständig behaupten zu müssen, mich stän-

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dig wehren und erklären und fragen zu müssen. Ich will selber entscheiden. Ich bin ein eigenständiges, entscheidungsfreudiges Wesen und möchte artgerecht gehalten werden. Ich muss eine eigene Meinung haben dürfen. BLANK: Warum brennen in Deutschland keine Vorstädte wie in Frankreich? Hs: In Frankreich haben die Vorstädte da gebrannt, wo die Leute nichts haben. In Deutschland glaubt jeder, noch etwas zu haben. Wenn der Zeitpunkt kommt, dass diese Leute merken, dass sie nichts mehr haben, dass nach Hartz IV kein Horizont mehr zu sehen ist, dann brennen bei uns auch die Vorstädte. Davon bin ich fest überzeugt. Wir unterscheiden uns nicht von diesen Menschen. Wenn der Hass ins Spiel kommt, dann wird’s gefährlich. Und unsere Politiker sollten alles dafür tun, dass solche Gefühle nicht entstehen. BLANK: So traurig und gefährlich es klingt, aber ist es aus Ihrer Sicht wünschenswert, dass noch mal so ein Klima des Protestes entsteht wie Anfang der Siebziger? Hs: Ja, sehr. Sehr. Wir brauchen einen Sturm in unserer Gesellschaft, so wie es auch einen Sturm draußen im Wald gibt, damit alte Äste abbrechen. Es ist ein blöder Vergleich, aber nimm die 68er: Dass sich die Studenten und die Alten, dass wir uns alle noch mal miteinander formieren würden, und erkennen, dass es gegen uns, gegen die Menschheit geht, das wäre wünschenswert. Auch wenn es Tote gibt, die muss es geben. Ich bin überzeugt davon, dass sich manche Dinge nicht mehr regeln lassen auf dieser Welt, ohne dass es Tote gibt. Sie müssen sehen, dass wir es ernst meinen. Und wie macht man das? Mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde? Oder indem ich eine Petition einreiche? Ich bin überzeugt, dass sie uns irgendwann so weit gebracht haben, dass es anders nicht mehr geht. Ich befinde mich jetzt in der

Phase vorher. Die nächste Phase wird Blut bringen und Feuer. Dann wird keiner mehr sicher sein. Aber diese Phase jetzt, sie lächerlich zu machen, sie zu verscheißern, ihnen zu zeigen, dass sie Bettnässer sind, Arschlöcher, das ist meine Phase. Dafür bin ich vor 20.000 Jahren irgendwo in diesem Universum geplant worden. Ich weiß nicht, warum ich auf der Welt bin, aber ich bin der Überzeugung, dass Mitte der Fünfziger Jahre, in denen ich geboren bin, irgendjemand gesagt hat, der muss jetzt da runter. Wir brauchen den in den 80er und 90er Jahren. Wenn der später auf die Welt kommt, dann ist er 2020 erst 20 oder 30, dann ist es zu spät. BLANK: Haben Sie Angst, irgendwann keine Reibung mehr zu erzeugen? Hs: Ich will gar keine Reibung. Alles, was ich mache, ist Selbsttherapie. Es lief eine Zeit lang unter dem Deckmantel „Ich mache es für euch“ dann wieder unter „Ich mache es, um etwas zu verändern“. Im Grunde genommen habe ich immer übersehen, dass ich mich selbst therapiere. Ich habe lediglich über das, was ich mache, mich selbst auf dem Weg gehalten. Jeder von uns geht auf einem Grat, wo es rechts und links runter geht. Du kannst drogenabhängig werden, du kannst krank werden, du verlierst deine Traumfrau und bist übermorgen ein Penner und wir treffen uns, wie du in Freiburg die Mülltonnen durchsuchen musst. Ich versuche den ganzen Tag, in meiner Mitte zu bleiben. BLANK: Wie sähe es aus, Sie mal nicht in der Waage zu erleben? Hs: Ich war ja teilweise schon nicht in der Waage und das hat mich viel Geld gekostet, ganz viele Polizeieinsätze und viele Nerven. Ich glaube, dass sie viel mehr Probleme haben, wenn ich in meiner Mitte bin und ich ihnen eigentlich nichts tue. Sie können mich aufhalten, weil meine Scheibe falsch getönt ist oder mein Num-

»Ich bin ein eigenständiges, entscheidungsfreudiges Wesen und möchte artgerecht gehalten werden.«


mernschild schief hängt, weißt du, so Kinderkram. Damit es halt nicht aufhört. Aber sie können nicht meine Texte verbieten, sie können mich nicht daran hindern, mich selbst zu heilen. Ich sage was in meiner Sprache, was in meinem Land verstanden wird und in Algerien oder Australien muss es halt ein anderer sagen, weil sie da eine andere Sprache sprechen. Ich bin nur für daheim zuständig.

»Ich will gar keine Reibung. Alles, was ich mache, ist Selbsttherapie.« BLANK: Es gibt eine Dokumentation über Sie, da wirken Sie in einigen Szenen regelrecht niedergeschlagen. Hs: Als diese DVD entstanden ist, war ich nicht besonders gut drauf. Das sieht man auch, wenn man genau hinschaut. Ich habe eine totale Paranoia geschoben. Ich war beinahe so weit, dass ich auf die falsche Seite gekommen wäre. Ich bin heute davon überzeugt, dass wenn ich in dieser Zeit, in der ich so verfolgt worden bin, Mitte der 90er, keine Familie gehabt, ich Leute umgebracht hätte. Das ist irgendwann einmal der letzte Ausweg für irgendeine Gruppierung, die so voller Hass ist, weil ihnen jede Initiative verboten wurde, rausgeprügelt wurde über Strafen und Einzelhaft, über Verschleppung. Wenn du diesen Staat irgendwann mal so hasst, dass selbst der kleinste Bahnschaffner in Uniform so schwer an diesem Unglück beteiligt ist wie es für Baader und Meinhof damals Buback oder Schleyer waren, dann bist du nicht mehr in deiner Mitte. Und ich war beinahe so weit. Ich bin froh, dass dann meine Kinder kamen und ich jetzt in einer Situation bin, wo ich so was einfach hinnehmen kann. BLANK: Was wollen Sie denn bei Ihren Zuschauern erreichen? Hs: Ich kann sie nicht schlauer machen. Ich kann nur heute 20 Lieder vorspielen und vielleicht kannst du eins oder zwei davon gebrauchen. Und wenn du den Rest der Zeit nicht störst und vielleicht einfach ein bisschen tanzt, dann sage ich

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mir „Das ist Respekt für mich“ und mehr will ich eigentlich gar nicht mehr. Der eine nimmt sich das und der andere das. BLANK: 99 von 100 Besuchern werden sich in Ihrem Konzert furchtbar nach Revolution fühlen und morgen trotzdem wieder in ihren alten Trott verfallen, als wäre nichts gewesen. Hs: Aber ich verspreche dir, dass sie, wenn sie bei diesem Konzert das richtige Gefühl gehabt haben, sich in bestimmten Situationen daran erinnern werden. Es wird ihnen gehen wie mir. Sie werden sich immer öfter erinnern, sie werden immer öfter in bestimmte Situationen kommen, wo sie sagen „Ja, Recht hat der Söllner“. Stell dir vor, du kommst Samstag vom Einkaufen mit deiner Frau und den Kindern hinten drin, in eine Polizeikontrolle. Weil du ein bestimmtes Shirt an hast oder vielleicht auch noch die CD vom Söllner auf dem Beifahrersitz, egal. Und dann ziehen sie das ganze Programm bei dir durch. Es ist so: Wenn du etwas impfst, braucht es seine Zeit, bis der Körper die Antikörper selbst produziert. Wenn etwas zu schnell geht, haben wir ein Problem. Wenn heute 1.000 losgehen und morgen sind es 3.000 und übermorgen 8.000, das kann nicht funktionieren. Die Leute müssen langsam lernen, keine Angst mehr zu haben. Man kann nicht einfach losgehen und einem Polizisten eine überziehen, man muss es eben anders zeigen. BLANK: Sie arbeiten viel mit Symbolen. Nehmen Sie die Warnblinkanlagen. Blinkende Warnblinkanlagen werden in dieser Welt nicht viel ändern können.

pel, das möchte ich auch gerne.“ Eigentlich tun viele das Gegenteil von dem, was sie gerne tun würden. Sie gehen raus auf die Straße und lassen sich da von der Polizei mit dem Gummiknüppel niederschlagen, dabei wollen sie eigentlich lieber ihre Ruhe und von jemandem geliebt werden. Und da denke ich mir, es geht gar nicht so sehr darum, ob ich etwas erreiche oder nicht. Es geht einfach darum, dass ich das alles für mich mache. Das Schöne ist, dass es ganz vielen Leuten geht, wie mir. Sonst würde es nicht funktionieren. Und wenn es dir über einen längeren Zeitraum so geht, brichst du entweder unspektakulär zusammen oder aber du wehrst dich. Und manche verfahren sich beim Wehren, das ist einfach so. Manche werden gewalttätig, manche wehren sich an der falschen Stelle oder zur falschen Zeit.

»Wir sollten einfach aufhören, eine Junkie-Gesellschaft zu sein.« Hs: Da wäre ich mir nicht so sicher. Was ich weiß ist, dass Gewalt nichts ändert. Außer, dass Gewalt wieder Gewalt erzeugt. Und das gleiche Prinzip funktioniert auf der anderen Seite auch. Wenn du albern bist oder verliebt und mit einem Lächeln durch die Gegend gehst, dann kannst du die anderen dazu motivieren, das gleiche zu wollen. Die sehen, dem geht’s gut. Das wollen die auch gern. Niemand sagt „Den verfolgt die Polizei, den schlagen sie mit einem Gummiknüp-

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GESELLSCHAFT

BLANK: Haben Sie schon mal das Gefühl gehabt, von Ihren Anhängern als Stellvertreter in den Krieg geschickt worden zu sein? Hs: Mich hat niemand geschickt und ich habe mich nie schicken lassen. Klar war ich manchmal enttäuscht. Ich redete mit so vielen Leuten und so wenige haben sich getraut, was zu tun. Aber ich habe das verstanden, denn sie sind alle allein. Und wir haben es nicht geschafft, zusammen etwas zu tun. Jeder muss für

sich alleine irgendwo beginnen. Gestern war „Tag der Armut“ und heute verschenkt die Merkel 400 Milliarden an die Banken. Da muss ich gar nicht viel sagen draußen. Da sage ich ein paar Sätze und schüttel meine Arme, dann reicht das. Verstehst du? Ich bin nicht unglücklich oder enttäuscht, ganz im Gegenteil. Ich bin saufroh, dass ich irgendwann gemerkt habe, dass ich nicht möchte, dass irgendjemand auf einen Weg kommt, sondern dass ich auf meinem Weg bleibe. BLANK: Sieht dieser Weg irgendwann auch möglicherweise ein völlig unpolitisches Album vor? Hs: Alles ist Politik. „Politik“ ist das Wort, das über allem steht, sie kommt gleich nach dem Universum. Es ist Politik, dass wir beide heute hier sitzen, eine gesunde Politik natürlich. Für mich bedeutet Politik, dass wir versuchen, gemeinsam zu leben. Dieses Zusammenleben organisiert jemand für uns, das ist die Aufgabe der Politiker. Du kannst das ja nicht, weil du Kinder hast und arbeiten gehen musst. Du gibst einen Teil deines Geldes ab und dafür regelt jemand, dass du zur Arbeit kommst, dass du einen Kühlschrank hast, etwas zum Anziehen bekommst und einkaufen gehen kannst. So kann man es natürlich nicht jedem Recht machen und deshalb braucht es ein respektvolles Zusammenleben und jeder muss erkennen, dass er dafür auch mal in den sauren Apfel beißen muss. Das ist Demokratie. Und genau das ist die Arbeit der Politiker. Dafür wählt man sie und für sonst nichts. Und wenn ich merke, dass sie ihre Macht dazu ausnutzen, andere Völker auszuhungern, andere Länder zu überfallen und in meinem Land immer noch Waf-


fen zu bauen, obwohl woanders 60% der Kinder auf einem Bein rumlaufen müssen, dann machen sie schlechte Politik. Das ist keine respektvolle Art und Weise, mit mir und meinen Mitbürgern auf dieser Welt zusammen zu leben. Und sie sind definitiv dafür verantwortlich. Ich baue keine Waffen. Sie bauen Waffen von meinem Geld. Und dafür habe ich ihnen dieses Geld nicht gegeben. BLANK: Und dennoch gibt es so wenig Widerstand. Hs: Weil die Leute abgelenkt sind. Weil sie konsumieren können, weil sie Kinder haben. Weil sie nichts damit zu tun haben, sie sich nicht ständig in die Nesseln setzen und Prügel beziehen wollen. Das ist aber nur noch für den Moment so. Die kurze Zeit, bevor ein Regime kippt, ist die schlimmste. Sie müssen jetzt ihren Apparat so aufblasen und uns ihre Stärke beweisen. Aber dann fällt alles zusammen. Und von einem anderen Tag auf den anderen werden die Leute aufstehen und andere Menschen umbringen. BLANK: Was sollte jeder Mensch tun, um die Gesellschaft ein bisschen besser zu machen? Hs: Das ist eine schwere Frage, denn das kann man so pauschal gar nicht sagen. Wir sollten einfach aufhören, eine Junkie-Gesellschaft zu sein, nach irgendwas süchtig zu sein. Egal, ob es Markenjeans sind, teure Uhren oder was auch immer. Wir müssen aufhören, Junkies zu sein. Alles, was uns süchtig macht, müssen wir überwinden. Wenn du den Drang nicht mehr hast, etwas haben zu oder etwas sein müssen, kannst du dich um das Wesentliche kümmern. BLANK: Zum Abschluss: Im kommenden Jahr feiert Ihre Platte „Hey Staat“ ihren 20. Geburtstag. Freuen Sie sich oder ärgern Sie sich, dass Sie inzwischen weit über zwei Dekaden gesellschaftlich relevant sind? Hs: Weißt du... wenn sich 1989 mit der Platte alles zum Guten gewendet hätte, hätte ich überhaupt kein Problem damit, heute Schlager zu machen, denn ich singe einfach gern. Einerseits freue ich mich, dass ein Album 20 Jahre lang aktuell ist, aber eigentlich gibt es nichts zu freuen, weil sich nichts geändert hat. Es gibt definitiv nichts zu feiern. Deshalb feiere ich auch keine Jubiläen, denn eigentlich ist

»Ich möchte nichts feiern. Ich möchte nur, dass es unspektakulär zu Ende geht.« es ja traurig, dass ich seit 20 Jahren die selben Lieder spiele und immer wieder über die selben Themen rede und sich offensichtlich nichts geändert hat. Und ich werde noch mal 20 Jahre drüber reden und es wird sich noch einmal nichts ändern. Außer, dass ich glaube, dass ich keine 20 Jahre mehr werde singen können, weil wir Krieg haben werden auf unseren Straßen. Wir werden Angst haben vor unseren Nachbarn und werden nicht mehr wissen, wer unser Freund ist und wer unser Feind. Wir sollten uns dann hüten, mit wem wir über was sprechen, damit nachts nicht ein VW-Bus vor unserem Haus hält, wo bewaffnete Typen raus springen, die uns mitnehmen. So, wie es in Peru, China oder Tibet oder sonst wo auf der Welt schon passiert. Es ist also mein grundsätzliches Versagen, dass ich es nicht geschafft habe, mit meinen Anstrengungen die Welt zu verändern. Ich habe es geschafft, Leute zum Denken zu bringen, verstehst du? Aber das ist nichts zum Feiern. Ich feiere ja auch nicht 70 Jahre Holocaust oder ähnliches. Feiern tut man nur Siege und ich habe keinen Sieg errungen. Es geht mir auch mehr um den Weg, den Kampf an sich. Nicht so sehr um den Sieg. Es geht mir darum, dass ich mitteilen kann, dass ich für diese Welt eine bestimmte Art von Traurigkeit empfinde. Oder auch meine Freude und Schadenfreude. Alles, verstehst du? Ich bin ein Mensch und nicht erhaben. Ich stehe nur über vielen Dingen. Ich freue mich, dass der Beckstein weg ist. Aber ich freue mich nicht, dass der Haider tot ist. Ich kann mich nicht über den Tod eines Menschen freuen. Wenn ich denke, dass jemand ein schlechter Mensch ist, dann tue ich zu Lebzeiten was gegen ihn auf meine Art und Weise. Ich sage zu ihm „Du dumme Sau“ oder „Fick dich ins Knie“, aber ich erschieße ihn nicht. In dieser Zeit war ich schon mal, aber ich bin Gott sei Dank durch meine familiären Verhältnisse daran gehindert worden, mir zu wünschen, dass jemand tot ist. Ein Staatsanwalt oder ein Polizist kann dich so weit bringen, dass du an Selbstmord denkst, wenn sie Lust haben. Aber ich

glaube, dass ich das eben auch kann und ich denke, dass ich es nicht tun sollte. Ich bin nicht Stefan Raab, der Leute so durch den Dreck zieht, dass sie nicht mehr auf die Arbeit gehen können. Das ist ein 20 Sekunden-Junkie, der für einen blöden Spruch vor Gericht geht und sagt „Scheißegal, zahlt ja eh der Sender“. Stefan Raab ist ein schlechter Mensch, aber ich würde nie auf die Idee kommen zu sagen, der Typ muss weg oder gehört erschossen oder soll einen Autounfall haben. Man sollte ihm die Sendung wegnehmen und er sollte wieder Wurst verkaufen. Er benimmt sich in dieser Welt wie ein Metzger, er geht über Leichen. Man sollte nicht lachen, wenn irgendjemand etwas nicht erreicht. Sonst bist du einer von denen. Und ich will keiner von denen werden. Ich möchte nichts feiern. Ich möchte nur, dass es unspektakulär zu Ende geht. Hans Söllner auf Tour: 01.03. Amberg / Congress Centrum 02.03. Roding / Stadthalle 03.03. Regensburg / Kulturspeicher 04.03. Miesbach / Waitzinger Keller 05.03. Neukenroth / Zecherhalle 06.03. Wunsiedel / Fichtelgebirgshalle 07.03. Erfurt / Gewerkschaftshaus 08.03. Leipzig / Moritzbastei 09.03. Magdeburg / Oli-Lichtspiele 13.03. Glauchau / Alte Spinnerei 14.03. Dresden / Alter Schlachthof 15.03. Forchheim / Jahn-Kulturhalle 16.03. Gersfeld / Stadthalle 17.03. Mainz / Frankfurter Hof 19.03. Düsseldorf / Savoy Theater 20.03. Ochtendung / Kulturhalle 22.03. Bonn / Harmonie 23.03. Trier / Exhaus 24.03. Saarbrücken / Garage 25.03. Kaiserslautern / Kammgarn 26.03. Mannheim / Capitol 28.03. Marburg / Stadthalle 29.03. Kaufbeuren / Stadtsaal 30.03. Laupheim / Stadthalle 31.03. Augsburg / Spektrum

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VERSCHLIMM

BESSERN Die KoLUMne von niLZ BokeLBeRG

Liebe Cameron, Ich schreibe dir auf diesem Wege, weil ich deine Adresse nicht habe. Auch deine E-Mail-Adresse ist mir unbekannt. Nun könnte man mir vorwerfen, mich auch nicht von jedem x-beliebigen anderen Fan zu unterscheiden, der mit Chips vollgestopft vor seinem Rechner sitzt und sich über zärtliche Erektionen seinerseits freut, beim Betrachten irgendwelcher Bildschirmhintergründe mit Fotos aus deinen Tagen als Fotomodell. Aber natürlich ist es ganz anders. Ich begehre dich nicht als Fantasie, sondern nur den wahrhaftigen Teil von dir. Das lustige, kalifornische Mädchen, das surfen geht, während ich sämtliche Songs bei Guitar Hero freispiele, um dich beim Abendessen damit zu überraschen und du das dann auch entsprechend zu schätzen weißt. Ich beobachte deine innere Unruhe auf der Suche nach dem richtigen Partner und natürlich wirst du da nicht fündig bei irgendwelchen Boygroup-Sternchen und von Kollegen rate ich dir erst recht die Finger zu lassen. Was für eine Zukunft soll eine Beziehung zwischen zwei Schauspielern haben, von denen der eine ein mit Weltruhm gesegneter Star ist und der andere eher unter ferner liefen läuft. Du brauchst einen Mann auf Augenhöhe. Nicht physisch, sondern intellektuell. Nun, ich bin bei weitem kein Mann von Weltruhm, aber ich neide ihn dir nicht. Niemand hat ihn mehr verdient als du. Freunde versuchen mich stets von dem irrsinnigen Gedanken abzubringen, eines Tages die Möglichkeit zu bekommen, dir persönlich zu vermitteln, wie wichtig ich für dich sein kann. Sie zeigen mir Bilder in Illustrierten, auf denen du ungeschminkt

auf dem Weg aus dem Supermarkt zu sehen bist oder beim Joggen an der Pazifikküste. Aber sie begreifen nicht, dass mich deine Hautirritationen höchstens peripher tangieren. Ich sehe den wertvollen Menschen unter der aknegeschwängerten Wange. So sie es denn überhaupt ist. Was sind schon Pickel gegen wahre Liebe? Du verkörperst auf wundervolle Weise all das, was ein vernünftiger Mann an einer Frau begeisternd finden kann. Du hast ein dreckiges Lachen, das man sich am liebsten als Dauerloop auf den iPod laden würde, du scheinst einem kühlen Bier nicht abgeneigt und vermutlich gehst du lieber mit einem Mann in einen Stripclub als in eine Dieter Dorn-Inszenierung. Ich muss zugeben, und auch das muss mir als Mann an deiner Seite in spe erlaubt sein, dass ich mich zwar nicht in deine geschäftlichen Angelegenheiten einmischen will, aber deine Rollenauswahl in den letzten paar Jahren ein wenig zu wünschen übrig lässt. Keine Frage: Dein Spiel ist nach wie vor bezaubernd und inspirierend, aber die modernen Romanzen haben doch etwas überhand genommen, was du zwar durch deine Zusammenarbeit mit Ashton Kutcher wieder etwas austarieren konntest, aber eben nicht zur Gänze, da Kutcher durch seine Liaison mit Bruce Willis’ Exfrau selbst einiges an jugendlicher Glaubwürdigkeit eingebüsst hat. Was du brauchst, ist ein Film wie „Verrückt nach Mary“. Meinetwegen auch wie „Being John Malkovich“, aber einfach mal wieder etwas anderes als glattgebügelte Date Movies. Aber das weißt du ja sicher selbst. Ich weiß, was die Mitleser meiner zarten Zeilen an dich nun denken werden:

Der Bokelberg, denken sie, der will sich nur ins gemachte Nest setzen. Du bist im Moment eine der bestverdienenden Frauen der Welt, was sicher einen angenehmen Lebensstil ermöglicht, aber auch egaler nicht sein könnte. Was bedeutet Geld schon, wenn es ums Herz geht? Eben. Ich könnte dich die ganze Zeit hochloben, aber sind Wiederholungen nicht langweilig? Wie schreibt man eigentlich solch einen Brief, oder besser gesagt: Schreibt noch irgendwer solche Briefe? Bei mir muss es wirklich Jahre her sein, dass ich einen richtigen Liebesbrief schrieb. Vielleicht habe ich sogar noch nie einen geschrieben und hielten wir uns an genaue Formalien, so ist streng genommen nicht mal dies hier ein solcher. Ein Liebesbrief als offener Brief? Natürlich, leicht zu durchschauen meine Hoffnung, dass dies als besonders romantisch wahrgenommen würde, aber ist es das denn überhaupt? Ein offener Brief, das hat auch immer so was offiziell-protestierendes. Wenn ich den Begriff „offener Brief“ höre, dann ist meine erste Assoziation ein Unterschenkel mit einer offenen Wunde, die gerade unter lautem Gejohle vom verdiGewerkschaftsführer bandagiert wird, weil „offene Briefe“ eben auch immer irgendwie so etwas von Protest haben. Ein offener Brief gegen Atommülltransporte. Ein offener Brief gegen die Ausbeutung von Ein-Euro-Jobbern. Ein offener Brief gegen Tierversuche. Ein offener Brief gegen Gegner der Homoehe. Das könnte man ewig so weiterführen. Immer gegen. Und wenn schon nicht gegen, dann aber wenigstens für etwas, von dem man weiß, dass ganz viele dagegen sind. Ein offener Brief für längere Öffnungszeiten in Bayern. Ein offener Brief für den Erhalt des


Flughafens Tempelhof. Ein offener Brief für mehr Verständnis gegenüber Bankern. Offene Briefe sind immer Proteste. Aber meiner ist kein Protest! Ich bin in einer Sackgasse. Nicht nur habe ich gerade meinen eigenen Brief mehr oder weniger als Luftnummer enttarnt, nein, ich habe sogar die Befürchtung, dass du gar nicht so weit gelesen hast. Denn sind wir mal ehrlich: Was sollten die bestverdienende Frau der Welt solche Sachen wie Gorleben, Hartz IV oder Tempelhof interessieren? Du weißt ja nicht mal, dass es das gibt. Ach, ich wünschte mir manchmal auch, nicht zu wissen, dass es das alles gibt. Ich schäme mich für die meisten Leute, die gegen etwas protestieren. Protest macht einen doof. Es ist, als wenn sofort alle Kleidung ihre Farbe verliert, sowie die eigene Haut, die Frisur plötzlich dämlich wird und man beim Sprechen automatisch Geifer vor den Mund kriegt, nur wenn man gegen etwas protestiert. Doch Vorsicht, liebe Cameron, denn Protest selbst ist schon sexy. Er wird halt nur immer von blassen Käsebrötchen organisiert, die sich im Vorbereiten ihrer Maßnahmen so sehr um die eigene Achse drehen, dass sie am Ende wie ein Duracellhäschen auf Crack wirken. Und dabei ist es egal, welcher Organisation man sich zuwendet: Sobald Protest organisiert wird, wird er so uncool wie runterfallende Marmeladenbrötchen. Ich schreibe ehrlich gesagt nie Liebesbriefe. Warum? Nun, erstens habe ich eine ziemliche Sauklaue. Aber es gibt noch einen anderen, viel wichtigeren Grund: Ich lasse gerne Musik sprechen. Aber das letzte Mixtape, das ich aufnahm, ist auch schon lange her. Das Mädchen war nur ein paar Jahre jünger als ich, aber sie musste ihr Tapedeck von ihrem Vater reparieren lassen, um es überhaupt hören zu können. Ich glaube, da ist etwas in mir gestorben. So so, dachte ich wohl, junge Mädchen haben keine Kassettenabspielmöglichkeiten mehr heutzutage. Da muss ich mich also auch nicht mehr zweieinhalb Stunden vor die Anlage setzen, um den perfekten Mix zu kreieren, der der Frau alles sagen soll. Aber du bist ja ein paar klitzekleine Jährchen älter als ich, deswegen gehe ich davon aus, dass du noch im Besitz eines Tapedecks oder vielleicht sogar Walk-

mans bist. Oder? Oder? ODER? Frauen wie du müssen einfach noch in der Lage sein, Kassetten zu hören. Du bist doch die Verkörperung eines Kassettenmädchens. Ich kann mir schon vorstellen, wie du den Mix hörst, den ich dann für dich gemacht habe, wenn ich weiß, dass du ihn hören kannst. Und da liegst du dann vor deiner Anlage und fi ndest die meisten Songs ziemlich gut, manche etwas daneben und einige schlicht großartig. Und freust dich natürlich über die eingestreuten Songs, die du kennst (GANZ wichtiger Punkt bei der Philosophie des Mixtapes: Nicht zu sehr angeben, was man alles kennt. Geheimtipps gut dosieren. Hits einstreuen!). Und dann läufst du mit deinem Walkman die Straße hinunter. Und alle halten das für einen coolen, neuen Vintagetrend, wieder mit Kassettenwalkman rumzulaufen, und machen es dir nach und die Mixtape-Jungs sind wieder eine gefragte Spezies! Yay! Cameron. Liebste. Für all diese verschmähten Jungs, die iTunes hässlich fi nden. Für all die graugesichtigen, traurigen Protestbriefschreiber. Für jeden Einsamen, der schon mal einen Ghostwriter einen Liebesbrief an seine heimliche Liebe schreiben ließ. Für all die Menschen, die vergessen haben um was es geht: Erhöre mich. Lass uns ihnen z e i gen,

dass es auch anders geht. Dass Liebe auch etwas Romantisches und dennoch Essentielles ist. 2009 wird unser Jahr! Lass uns die Liebe retten und Rosenstolz die Instrumente zerschlagen! Auf dass sie wieder in die Hände derer gelangt, die sie wirklich brauchen: du und ich. Immer, dein Nilz. P.S.: Ich freue mich auf deine Antwort unter n.bokelberg@blank-magazin.de



AUF EINEM

EISBÄRENFELL TexT TERESA BücKER FoTograFie MATTHiAS DAViD

Julia Zange schreibt mit Palette und Pinsel. Gemalte Gedanken in gedeckten, satten Farben verbergen sich unter dem mädchenhaften Einband ihres ersten Romans. Auf dem Einband begrüßt ein Eislöffelchen aus zartpinkem Plastik den Leser: Verführerische Kost, eine frostige Großstadt, die Geschichte garniert mit einem Ausflug in die süße Surrealität, in der die Laster lauern.

D

ie junge Autorin Julia Zange zeichnet in ihrem Erstlingswerk eine pastellfarbene, lieblich scheinende Welt. Ein abgeleges Gehöft bewohnt von knabenhaften Müttern wird zu einer kontrastierenden Zufluchtstätte für ihre Romanfigur Loretta, als diese mit ihrem Baby Stadtflucht begeht. Die fragile Konstellation aus Porzellanpuppe, gepudertem Säugling und dem dazugehörigen Vater veranlasste Loretta zum Ausbruch aus der Utopie des jungen Familienglücks. „Die Anstalt der besseren Mädchen“, fernab in der Idylle, verspricht keine Genesung von der Last Lorettas‘ gescheiterten Versuchs, erwachsen zu werden. Gleichsam klein, blond und problematisch – der Typ Mädchen, auf den der Vater ihres Kinder immer hereinfällt - kehrt sie zu dem verzweifelt wartenden Malte zurück. Weiterhin gehüllt in einen klebrigen Mantel aus Kindlichkeit, mit ihrem viel zu schönen Kind. Zurück zu artifizieller Erotik im Ehebett, fernab von der Fantasie, einen Jungen auf dem Eisbärenfell zu ficken. Julia Zange lebt derzeit in Berlin und studiert dort an der Universität der Künste Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. BLANK hat mit ihr über ihr erstes Buch, Flanellhemden und Familienidylle gesprochen. BLANK: Du hast erst eine Zeit in München studiert. Wie kam es zu dem Ortswechsel? JULIA ZANGe: Ich habe mein Germa-

nistikstudium dort abgebrochen, bin mit München aber auch nie warm geworden. Ich weiß zwar nicht ob es daran lag, ich gebe ich mir aber immer die Schuld und denke, ich hab mir drei Jahre lang keine Mühe mit der Stadt gegeben. Ich bin dann nach Berlin gegangen und hab dieses komische GWK angefangen. Ich wollte das eigentlich nie machen und ich mag es auch nicht besonders. Ich wollte nach Berlin und ein Freund von mir hat das studiert. Er hat mich in der Hinsicht dazu verführt, dass ich dachte wenn er das macht, ist das auch was für mich, obwohl er meinte: „Julia, das ist gar nichts für dich. Mach das bloß nicht.“ Dann bin ich da irgendwie hängen geblieben.

trocken und grau und auberginenfarben. Die Mädchen jedenfalls. Bayerische Lehramtsstudentinnen. BLANK: Du bist in München in einem Kurs von Suhrkamp-Lektoren entdeckt worden, hast das Buch aber dann erst in Berlin geschrieben. JZ: Die Leute von Suhrkamp haben mich sanft geschubst. Wenn mir niemand nachgeholfen hätte, indem er immer wieder nachgefragt hätte, hätte ich es wahrscheinlich nie gemacht. Die Entscheidung, das Buch zu schreiben, ist dann in Berlin gefallen und ich hab dann einen Sommer lang fast drei Viertel davon geschrieben.

»Ich habe keines der neuen feministischen Bücher gelesen.« BLANK: Mit welcher Motivation hast du in München ein Germanistikstudium begonnen? JZ: Literaturliebe. Die hat man mir aber gleich in den ersten Vorlesungen ausgetrieben. Ich hatte eine vollkommen falsche Vorstellung von der Uni. Ich dachte ich studiere Germanistik und das ist dann so ein Akademiegefühl und man ist nur mit Literatur liebenden Menschen zusammen. Aber es war einfach erst mal

BLANK: Der Titel des Buches „Die Anstalt der besseren Mädchen“ stand für dich schon fest, bevor du begonnen hattest zu schreiben. Was hast du dir zunächst unter einer Anstalt für bessere Mädchen vorgestellt? JZ: Der Titel ist mir eines Morgens in der U-Bahn eingefallen. Einfach so, und ich dachte: „So heißt das Buch, das ich schreibe.“ Ich wusste da auch noch nicht, was er bedeuten soll. Vielleicht hängt das

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mit einem Wortfaible von mir zusammen. Ich fand die Kombination gut und hab eine Bedeutung dahinter vermutet. Dann hab ich angefangen und fünf Sätze lang eine Internatsgeschichte geschrieben (lacht). Was gar nicht geklappt hat. Das wäre dann ein „Hanni und Nanni“-Buch geworden. Irgendwann haben sich dann die Sachen, die mir eingefallen sind, mit dem Titel zusammengefügt. BLANK: Der Markt ist, rückblickend auf das letzte Jahr, mit jungen Autorinnen, die über Mädchen und Frauen geschrieben haben, überschwemmt worden. Es war eine gute Zeit für feministische Ideen. Charlotte Roche ist gepusht worden; es gab Theoretisches wie „Wir Alphamädchen“ oder „Neue deutsche Mädchen“. Ist dir das zu Gute gekommen? JZ: Nein, wenn, dann hatte es einen negativen Effekt, weil junge Autorinnen zu diesen Themen so stark besprochen wurden. Ich glaube, es gibt auch gar kei-

Ich habe keine feministische Position. Es gibt viele Dinge, die ich an Frauen und Mädchen mag und viele, die ich nicht mag. Ich glaube, die kommen in dem Buch auch ein bisschen raus. Aber mit dem Wort Feminismus ist es nicht verbunden. Die Beschreibungen von den Büchern hörten sich so furchtbar langweilig an. Und ich weiß nicht, ob da neue feministische Positionen herausgekommen sind. Eins davon wurde als Buch für Mädchen und ihre Eltern beworben. Schrecklich.

heißt nicht, dass man sich um ihn kümmern muss. Er hat eine besondere Ausprägung eines Helferkomplexes. Insofern würde ich das nicht generell auf sein Mannsein beziehen. Das ist ein individueller Zug von ihm. Ich weiß nicht, ob Männer wegen selbstbewusster Frauen Probleme bekommen. Ich beobachte das manchmal trotzdem. Wenn ich Schüler in der U-Bahn beobachte, fällt mir auf, dass die Mädchen die Jungs richtig rumkommandieren.

BLANK: Das Missy-Magazine, ein Popkulturmagazin für Frauen, lässt nun ausdrücklich keine Männer mitschreiben. Der Spielplatz des Popjournalismus sei von Jungs besetzt, die Mädchen nicht mitspielen lassen wollten, so die Redakteurinnen. Daher müsse man sich stark abgrenzen. JZ: Wenn Weiblichkeit für ein Magazin Qualitätskriterium sein soll, geht doch sehr viel verloren. Ich glaube das besse-

BLANK: Magst du die „Berliner Mädchen“? Alle studieren Modedesign, sind schön, nett und stylisch, aber viel mehr interessiert sie nicht? Man bedient gerne das Mädchenklischee. JZ: Das ist in meinem Freundeskreis nicht so. Ich gebe mich manchmal gerne dem Mädchending hin, aber ich finde Frauen nicht einfach. Ich bin letztens nach einer Romanfigur gefragt worden, mit der ich mich identifizieren kann, aber mir ist keine Frauenfigur eingefallen.

»Ich hab schon immer ein imaginäres Kind mit mir herumgetragen.« nen thematischen Zusammenhang mit meinem Buch. BLANK: Aber es spielt stark mit dem heutigen Frauenbild… JZ: Ja, es geht viel um Formen von Weiblichkeit. Ich habe keines der neuen feministischen Bücher gelesen. Immer nur über die Bücher. Ich wollte damit auch gar nicht in Zusammenhang gebracht werden.

re Produkt setzt sich durch, egal ob von Männern oder Frauen produziert. Quoten halte ich nicht für sinnvoll. Erfolg ist bei Männern natürlich eine sexuelle Aufwertung. Hingegen glaube ich, dass Männer Abstand von erfolgreichen Frauen nehmen. Das sieht man ja auch an den Frauen, mit denen sich erfolgreiche Männer umgeben. Die sind meist dümmliche Models. Aber vielleicht ist das auch nur in der Gala so.

BLANK: Dein Buch übt subtiler Kritik am Bild von Frauen und Schönheit als die anderen Bücher, die zuletzt von jungen Frauen veröffentlich wurden. Den neuen Feminismus so zu benennen, ist letztendlich auch eine Marketingstrategie. Hast du denn eine Position in dieser Debatte? Hat man als Frau nicht immer automatisch eine Haltung zu diesen Themen? JZ: Wenn man als Frau irgendwas veröffentlicht, wird man immer auf das Frausein angesprochen, was ich nicht wollte.

BLANK: Glaubst du, dass eher die Männer in Zukunft Probleme bekommen und Ratgeberbücher brauchen, weil alle Frauen sich ganz natürlich als sehr emanzipiert begreifen? So wie in deiner Erzählung Malte, der sich die ganze Zeit nur kümmern möchte, das sorgende Familienoberhaupt sein will und darunter leidet, dass ein klassisches Rollenverhältnis für seine kleine Familie nicht funktioniert? JZ: Malte ist ja sehr verweichlicht. Das

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BLANK: Wie ist es in Berlin denn wirklich um die Emanzipation junger Frauen bestellt? Wir kennen den Begriff und die lauten Mädchen sind medial sehr präsent. Wir sind aufgeklärt und emanzipiert, weil wir „Feuchtgebiete“ im Regal stehen haben. Das ist aber nur ein flüchtiger Gedanke. Dann finden wir uns Mitte 20 in einer klassischen Beziehung wieder, werden direkt schwanger und sind dann die Mami im Prenzlauer Berg mit den anderen hübschen Mamis, die ein süßes Accessoire dem Berufsleben vorziehen. Berlin bekommt in deinem Buch ja in dieser Hinsicht schon einen auf den Deckel. JZ: Ja, subtil. Es geht ein bisschen um das Familiending, auch um die Kastanienallee. Mich hat es da am Anfang furchtbar geekelt. Mittlerweile hab ich mich dran gewöhnt. Die Kastanienallee mag ich immer noch nicht, aber ich kann da mittlerweile hingehen. Aber am Anfang hab ich Berlin wirklich gehasst. Trotz aller Offenheit gibt es so viel Getue. Da ist München ehrlicher. BLANK: Malte beschreibst du als Stereotyp eines vermeintlich hippen jungen Mannes. Er steht da in Acne-Jeans, weißem Rippunterhemd mit Sternchenanstecker und einem grauen Cardigan. Ich hatte ihn bildlich vor Augen, an mehreren Stellen in Berlin.


JZ: Die Inspiration zu Malte kam aber aus München. Ich glaube, das ist ein deutschlandweites Phänomen. BLANK: Kann die Auswahl von Mode denn Figuren Charakterzüge verleihen? JZ: Ja, Modisches spielt in dem Buch eine Rolle. Ich bin auch nicht gegen Mode. Ich spiele gerne mit Mode. Ich würde auch gerne ein richtig modisches Buch schreiben. Den American Apparel Schal habe ich Malte aber nicht bewusst angezogen, um ihn zu charakterisieren. Aber es verrät meistens doch ein bisschen über die Figur. BLANK: Loretta hat ein kariertes Flanellhemd, das man sonst eher von Holzfällern kennt, aber auch im Berliner Nachtleben gehäuft über zarten Frauenschultern sieht. Sie sind zu groß, hässlich, dreckig und nehmen dem Körper jegliche Kontur. Was hast du dir dabei gedacht? JZ: Ja, das Flanellhemd. Das hat natürlich eine tiefe Bedeutung (lacht). Ich war fast schockiert, als ich gesehen habe, dass du ein eigenes Blog dafür schreibst. Mit dem Flanellhemd war ich, gleich als ich die ersten gesehen habe, sehr verbunden. Ich mag sie auch an Frauen sehr. Loretta trägt eins, nämlich als sie aufs Land flüchtet. Das ist bei ihr zum einen modische Attitüde, denn sie trägt gerne Springerstiefel und Holzfällerhemden, zum anderen ist sie rauer und männlicher dadurch. Ein Flanellhemd ist weich, und trotzdem stark, und sieht einfach gut aus. Aber haben die Jungs nicht damit angefangen? Vielleicht hat es auch mit Natursehnsucht zu tun, nicht nur mit Männlichkeit. Eigentlich ist es auch ein echtes Autorenelement. Wenn ich ein Flanellhemd anziehe, denke ich immer an Holzhütte. Und an Kindheit, weil es so ein weicher Stoff ist. BLANK: Loretta bekommt in dem Buch eher ungeplant ein Baby, das in ihr ohnehin schon instabiles Leben platzt. Kindlichkeit, symbolisiert durch die Kindfrau Loretta und das Baby Marla, ist eines der dominieren Themen des Buches. Weshalb? JZ: Das hat mich schon immer belastet. Ich hab schon immer ein imaginäres Kind mit mir herumgetragen. Aber eins, das ich nicht ausstehen konnte. Wenn ich Mütter mit ihren Kindern gesehen habe, hab ich immer seltsame Emotionen bekommen. Und besonders wenn Mütter

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ihre Kinder gestillt haben, fand ich das unnatürlich. Obwohl es etwas Natürliches ist. Aber irgendwie müssten wir schon darüber hinaus sein. Bei Loretta ist es so, dass sie selbst noch ein totales Kind ist, und dann dieses Kind bekommt, und dann in eine Mischung aus Aggression und Pädophilie gleitet. Sie ist teilweise in einer Art Erregungszustand ihrem Kind gegenüber und verspürt Konkurrenzdenken gegenüber Marla, dass diese schon im Kinderwagen den Männern den Kopf verdrehen könnte. Ganz viele Kinderbeobachtungen sind mit in dem Buch drin, auch vom Babysitting. Ich mag Kinder prinzipiell total, aber ich weiß noch nicht, ob ich eins will. BLANK: Hast du dabei auch die Beobachtung machen können, dass ein Baby Accessoire oder soziales Event sein kann? JZ: Ja, allgemein ist das in den letzten Jahren zu beobachten. Ganz krass finde ich auch die Kinderzeitschriften, die es en masse gibt, wie Luna oder Kids Wear . Sie sind voll von kleinen Prinzessinnen. Wobei sich die kleinen Mädchen bestimmt drüber freuen. Es ist eine Kreisbewegung. Früher wurden Kinder erwachsen zurecht gemacht oder es wurde sich mit ihrem Style sehr viel beschäftigt. Dann kam die Phase, in der es eher egal war, ungefähr als ich groß geworden bin. Für mich gab es keine Röckchen. Ich musste ein Hosenkind sein, und wollte das gar nicht. Jetzt wird wieder wahnsinnig viel Aufmerksamkeit darauf gelegt, wie das Kind wirkt, auf welche Schule es geht, und dass es schon mit drei Klavier spielen beginnt. Eltern haben einen wahnsinnigen Ehrgeiz ihren Kindern gegenüber, glaube ich. BLANK: Ist dein Buch irgendwo so aufgenommen worden, dass du sagen würdest, da hat mich jemand komplett missverstanden? JZ: Ja. Es gab wahnsinnig viele sehr waghalsige Interpretationen. In einer Rezension steht, dass am Ende des Buchs herauskommt, Loretta sei vergewaltigt worden. Da habe ich mich gefragt: „Wo haben sie das denn jetzt herausgelesen?“ Was mich ein bisschen gestört hat ist, dass ich beim Schreiben nicht geahnt habe, was meine kleine Familie anstoßen würde. Der Handlungsstrang oder eine psychologische Entwicklung der Personen war mir nicht so wichtig. Es geht viel mehr ums Kind sein, als ums Kinder

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haben. Um die Potenz von Kindlichkeit, Flucht und Utopien. Es ging mir viel um die Sprache und die Erzeugung von Bildern. Für mich war das Schreiben wie einen Teppich zu weben, wie die Erstellung eines Wandteppichs. BLANK: Welche Pläne hast du in diesem Jahr? JZ: Ob ich GWK fertig studiere, entscheide ich von Tag zu Tag. Ich versuche gerade einen Film zu drehen, aber was ich genau in diesem Sommer mache, weiß ich noch nicht. Ich werde auf jeden Fall weiter schreiben, aber ich werde keine Berufsschriftstellerin. Ich kann mir nichts Langweiligeres vorstellen. Von Stipendium zu Stipendium zu leben und in seiner Gartenlaube zu sitzen und zu schreiben, ich weiß nicht. Ich kann mir viel vorstellen. Ich würde gerne was in Richtung Film machen. Film und Bücher. Vielleicht auch Werbung. Schaufensterdekorateurin wollte ich auch immer werden. Julia Zange „Die Anstalt der besseren Mädchen“ Suhrkamp Verlag 157 Seiten, Gebunden, Euro 15,00 ISBN 978-3-518-42025-6

BERLIN

FESTSAAL KREUZBERG Lyrik im Dunkeln Karl Kraus wusste: Steht die Sonne der Kultur niedrig, würden auch Zwerge lange Schatten werfen, hatte der österreichische Publizist zu berichten. Die Veranstalter der Leipziger Buchmesse wollen den Beweis für diese These in diesem Jahr erwartungsgemäß nicht antreten. Es war jedoch vermutlich nicht die Gleichung "Kein Licht = kein Schatten", der sie dazu inspirierte, eine der Begleitveranstaltungen in vollkommener Dunkelheit abzuhalten. Es steckt offenkundig ein anderes Konzept dahinter, wenn man 10 blinde Dichter aus ganz Europa ihre Werke einem für Momente der eigenen Lebenswirklichkeit ausgesetzten Publikum vortragen lässt. Spezieller und ursprünglicher kann die Rezeption von Lyrik wohl kaum sein. Leipziger Buchmesse, Lyrikbrücken Live, 12.–14. März 2009, Messehaus, Raum M 4

25|04|2009

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BUCH- &

BLATTKRITIK froschkönig

Adam Davies (Diogenes Verlag) In seinem Debütroman „Froschkönig“ erzählt der 1971 in Louisville geborene Dozent und Autor Adam Davies die Geschichte des Verlagsangestellten und Antihelden Harry Driscoll. Bereits zu Beginn des Buches scheint es, als ob sich in den Zeilen eine Mischung aus Phillip Djians Werken mit Bret Easton Ellis’ Romanen vereinigt, woraus diese tragisch-komische Beziehungsgeschichte entstanden ist. Ein nicht mehr ganz junger New Yorker Weltverneiner, der, Don Quijote gleich, im Grunde in all seinen Handlungen einen Kampf alleinig mit sich selbst ausficht. Reize und Beziehungsprobleme verhüllen die Sicht des Protagonisten auf das Wesentliche, während für Harry die Flucht zum Stilmittel seiner Lebensführung wird. Einige der besten Zeilen: Es ist dunkel, alle schweigen. In solchen Augenblicken kann man nur an sich selbst denken, an nichts anderes. // …mit der Balletttänzerin, die so nett war, dass ihre eigene Persönlichkeit dahinter verschwand. // Sie fehlt mir (die Unterhose). Ich habe sie immer noch nicht zurück. Sie fehlt mir. Auf der Unterhose war ein Bild der Muppet-Figur Das Tier, und darunter stand die Textzeile Tier will Frau haben. // Die Luft wird zur Nachtluft - kühler, reumütig. // Etwas später wird mir klar, wie sie mich vor ihrer Flucht genannt hat; einen blöden Scheiß-Stimpson. Es ist das von mir ausgedachte Wort, das, wie ich ihr einmal im Suff gesagt hatte „Riesenarschloch“ bedeutet und mein zweiter Vorname. // Mich juckt es. Meine Kopfhaut zieht sich über dem Schädel zusammen. Mein Arschloch zuckt nervös, wie die Nase eines Kaninchens, was bewirkt, dass ich mich auf meinem Stuhl winde. // S.206 // Zurück an der Bar, bestelle ich noch eins. Und noch eins. Und danach noch eins. Ich habe vor, so lange zu trinken, bis ich nichts mehr fühle. Doch das klappt so nicht. Ich fühle ein-

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LITERATUR

fach immer weiter. // Dieses erbärmliche kleine New Age/Kenny G/Greenpeace/ getönte Sonnenbrillen tragende/koffeinfrei Sojamilch-Latte-Cappuccino/Musikzeitschriften lesende/Yanni hörende/ vom-Mars-und-Venus-Arschloch! Wie konntest Du nur? Mit mir solltest Du zusammen sein! Mir mir mir mir mir mir. // Wie werden erwachsene Männer Freunde, ohne auf schmutzige Witze, Alkohol, einen Wettlauf zum Zähneputzen oder einen Wettbewerb, wer mehr coole Wörter kennt, zurückgreifen zu müssen? Dieser amerikanische Autor schrieb mit „Froschkönig“ für mich einen der besten New Yorker Romane seit langer Zeit, der mir darüber hinaus am Ende sogar eine Träne abrang. Das Buch wird gerade, basierend auf einem Drehbuch von Bret Easton Ellis, unter der Regie von Darren Starr (Sex & The City) verfilmt. (RL)

der freitag

Relaunch Wochenzeitung Die Wochenzeitung Der Freitag ist seit Anfang Februar 2.0. Die kritische und politisch noch immer links positionierte Zeitung wurde nicht nur in ihrer Print-Version einer Lebenszyklusmaßnahme unterworfen und erstrahlt in neuem Look und Layout, speziell das Online-Angebot, das noch mit der Einschränkung Beta klassifiziert wird, wurde dem heutzutage üblichen Kommunikationsflow angepasst. So finden sich zwischen Bannern die für Autos, Rasierapparate, Pauschalreisen, Mobilfunkverträge oder Zeitungsabos werben, eine Fülle an Kategorisierungen, nach denen Beiträge eingestellt und platziert werden können. Und das wird angenommen; hier bloggen, kommentieren und diskutieren Members mit Namen wie Chris97, Katzenmama oder Mephisto über üblicherweise so ziemlich alles, von Kunst bis Kochen, von Politik bis Pornographie. Auch Vorzeige-Cyberpunker und Theorie-Tausendsassa Sascha Lobo konn-


Zeig mir dein... ...Bücherregal und ich sage dir, was für ein Mensch du bist!� Das ist vielleicht etwas überspitzt und in Zeiten von Ästhetisierung, Vorgabe und Design schwierig umzusetzen, doch ermöglicht zumindest Reflektionschancen. In der ersten Ausgabe stellen wir die Selbstreferenz in den Mittelpunkt, hier vertreten durch die Chefredaktion.


te sich nicht dagegen verwehren, die Anmeldeprozedur zur Online-Community über sich ergehen zu lassen, was zeigt, dass die Zielsetzung der Herausgeber bzw. von Verleger Augstein, vielleicht dem linken Partei-Diskurs- und Duktus die unverbindliche und noch neugierige Twitter-, Blog- und Comment-Mentalität einer politisch weniger in der Vergangenheit verhafteten Generation entgegenzusetzen, eine, wenn tatsächlich gewollte, richtige Entscheidung war. Ob das letztendlich mehr sein kann als Entertainment, ist eine andere Frage, denn irgendwann muss sich zeigen, ob die Nutzung eines Mediums, ganz gleich welche Sujets behandelt, welche Ziele verfolgt oder welche Ideale proklamiert werden, egal ob Pokerstars.com, Project Entropia, aktivistische Bestrebungen jeglicher Art oder gesellschaftspolitischer Diskurs, nicht dazu führt, dass von der Welt abgekoppelte Innenwelten entstehen, deren scheinbar logische Erkenntnisgewinnung nicht auf real-existierende Umstände übertragen werden kann. In der am Kiosk liegenden Ausgabe zeigt sich bereits wie schwer der Spagat aus politischem Anspruch und Zielgruppenrealität sein wird. Erst einmal aber wünschen wir dem Freitag einen guten Start in seine neue Zeit. (JF)

wer die nachtigall stört

Harper Lee (Rowohlt Taschenbuch) Harper Lee, 1926 in Alabama geboren, Freundin sowie Rechercheassistentin von Truman Capote und aufgrund dieses Romans 1961 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, erzählt von der Erziehung der kleinen „Scout“ im tiefen Süden der USA. Moral und Werteverständnis sind die Schlüsselbegriffe, welche nicht nur durch einen Gerichtsprozess, in dem ein Schwarzer der Vergewaltigung einer neunzehnjährigen Weißen beschuldigt wird, auf Herz und Nieren geprüft werden. Ein Buch voll Hoffnung und Spannung, düster und leuchtend. Einige der besten Zeilen: …aber manchmal ist die Bibel in Hand eines bestimmten Mannes schlimmer als eine Flasche Whiskey... // …Gott liebt Menschen so, wie sie sich selbst lieben. // Aber Kummer macht müde. // Leute, die ohne Zweck und Ziel spazierengingen, galten in Maycomb für unfähig, sich auf

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LITERATUR

irgendeinen Zweck oder irgendein Ziel zu konzentrieren. // Ein Pöbelhaufen besteht immer aus Menschen. // S. 290 // Sie haben es vorher getan, sie haben es heute getan und sie werden es wieder tun. Und wenn sie`s tun, weinen anscheinend nur Kinder. Gute Nacht. // Wenn du in einer Anwaltsfamilie bist, lernst du als erstes, dass es auf nichts eine endgültige Antwort gibt. „Wer die Nachtigall stört“ ist ein wunderbar atmosphärisches Werk, das an den entscheidenden Stellen viel mehr mit auf den Weg gibt als augenscheinlich ist. Angeblich soll Truman Capote große Teile des Romans verfasst haben. Harper Lee schrieb bis heute kein weiteres Buch. „Wer die Nachtigall stört“ wurde bereits 1962 von Robert Mulligan mit Gregory Peck als Atticus verfilmt und für einen Oscar nominiert. (RL)

nackt

Diablo Cody (Kiepenheuer) Diese junge Dame ist ein HollywoodHype, eine tätowierte Ex-Stripperin, Bloggerin, Drehbuchautorin und Oscargewinnerin, ein aus den Untiefen der Unterhaltungsindustrie aufgestiegenes Fabelwesen, verrucht, herablassend und unbeirrbar. In ihrem 2006-er RomanDebut „Candy Girl. A Year in the Life of an Unlikely Stripper“, das jetzt unter dem Titel „Nackt“ auf deutsch vorliegt, geht es dementsprechend um dunkle Orte, von Monsterschwänzen vollgewichste Glasscheiben, hinter denen wahlweise ein oder zwei Mädchen Intimhandlungen zumeist vortäuschen, es geht um Gewalt und Verachtung, um Selbstachtung und dem Verlust davon. Es ist ein durchaus arrogantes und verächtliches Buch, doch nicht nur seine Haltung betreffend wahrscheinlich leider auch ein wahres. (PB) Neuerscheinungen im März: Jan Off „Unzucht“ (Ventil Verlag) Matias Faldbakken „Unfun“ (Blumenbar Verlag) Christian Mørk „Darling Jim“ (Piper Verlag)


„ich hab kein System… …aber im Laufe der Zeit entstehen ungewollt Gruppierungen. Das hilft natürlich. Und sagt natürlich auch etwas. Grundsätzlich glaube ich, so wie viele, dass ich ziemlich genau weiß, wo welches Buch steht und welche daneben. Lücken im Regal mag ich überhaupt nicht.“ www.reduce2onehundred.wordpress.com


UM NICHTS

VORWEGZUNEHMEN,

ABER… eine KoLUMne von RoMan LiBBeRTZ

Bücher haben bei vielen meiner Freunde den Ruf, langweilig und einschläfernd zu sein. Umständliche Sätze, endlose Beschreibungen anstatt fesselnder Geschichten. Das muss verflucht noch mal nicht sein! Ein Ansatzpunkt. Durch den Bezug zum Autor oder die Hintergründe, warum dieser oder jener Roman geschrieben wurde, kann Verborgenes sichtbar und ein Buch zu mehr als einem Buch werden. Kinderleicht. Mir geht es jedenfalls so. Hier der erste Versuch, einen Roman für dich lebendig zu machen.

„GOODBYE LEMON“

versifften Böden schrubbte und trotzdem kaum über die Runden kam, will ich das nicht gelten lassen.

Adam Davies, der sich mit seinem Romandebüt „Froschkönig“ in mein Herz schloss, ist in Kentucky geboren. Er bezeichnet sich selbst als „Hick“. Moment mal, ist das nicht verflucht langweiliges Interview-Understatement?

Vom Hinterwäldler zum Autor? Durch seine Nebentätigkeit als unbezahlter Verlagsassistent besaß er die persönliche Emailadresse von einer der größten amerikanischen Verlagsagentinnen und nach einem weiteren frustrierenden, fast brotlosen Arbeitstag setzte er alles auf eine Karte. Ohne weitere erklärende Zeilen schickte Adam sein Manuskript vom „Froschkönig“ ab. Einige Tage, in denen ihn auch noch seine Freundin verließ, vergingen, als er auf dem Anrufbeantworter Unglaubliches hörte: „Mister Davies, ihr Roman ist sehr gut, sie sollten mich zurückrufen.“

Beweise? Adam Davies ist nicht nur Autor und Dozent für englische Literatur, nein, sein erstes Buch wurde von keinem Geringeren als Bret Easton Ellis als bester New York-Roman seit langer Zeit geadelt. Mehr Beweise? Seine Großmutter war niemand Geringeres als die große Katharine Hepburn. Apropos Kate, wie er sie liebevoll nennt. Einst suchte sie in ihrer Kommode nach einem Geschenkband, schmiss den gesamten Inhalt achtlos um sich und vier Oscarstatuen rauschten am kleinen Adam vorbei. Noch was von Kate? Frau Hepburn war, wie er erzählt, eine wunderbare Großmutter, die selbst von Alzheimer gezeichnet ihrem Charakter treu blieb, wie beispielsweise, als sie, nachdem ihre Tochter Adam belehrt hatte, dass sie Bananen verabscheue, dies nur nicht mehr wüsste, gleich eine ganze Staude forderte. Der kleine Davies holte die gewünschten Früchte und Kate aß sie mit sichtlichem Widerwillen trotzdem. Zurück zu noch mehr Beweisen? Seine bevorzugten Gin-Marken sind

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Hendrick‘s und Damark. Erdrückende Beweise? Einer seiner besten Freunde ist der Mann, der den „I love New York“Schriftzug auf der ganzen Welt verbreitet hat und auch Adams Herz gehört dieser Stadt, die für ihn heute Heimat bedeutet. Ein „Hick“? Interview-Understatement pur? Auch wenn Adam Davies mit fünfundzwanzig Jahren in einer Bar in Louisville, Kentucky als Mädchen für alles arbeitete, nach der Sperrstunde die

Vom Hinterwäldler zum Kultautor? Auf der Buchpräsentation vom Froschkönig war auch „American Psycho“Autor Bret Easton Ellis anwesend und im Laufe des Abends wurde Davies gebeten, mit dem von ihm überaus geschätzten Schriftsteller für ein Foto zu posieren. Bevor die Linse klickte nahm er all seinen Mut zusammen und bat Bret, sich ein wenig nach unten zu beugen, um selbst nicht wie ein Winzling auszusehen. Ellis zwinkerte. „Was ist dann passiert?“ frage ich nach unserer dritten Runde Scotch. Nach dem ganzen Rummel um sein erstes Buch wollten alle wissen, was er als nächstes schreiben werde. Adam hatte


nicht die leiseste Ahnung, erfand flugs, er würde über seine Familie schreiben und nur acht Tage später lag bereits ein Scheck für den neuen Roman in seinem Briefkasten. Unter diesem Druck zog sich Adam in das Niemandsland Ohio zurück, aber brachte trotz der Einöde über lange Zeit nichts zu Papier. „Um meine Schreibblockade zu überwinden probierte ich einiges, doch es misslang, bis zu dem Tag mit dem Mädchen“. Davies saß mit zwei Sixpack Bier auf einer Parkbank um sich ordentlich zu betrinken, als eine christliche Religionsgruppe des Weges kam. Plötzlich riss sich ein kleines Mädchen los, stürmte auf Adam zu, umarmte ihn mit aller Herzenswärme und sagte: „Und jetzt versprich mir, dass du nie wieder trinkst.“ Er antwortete: “Ich trinke nicht, ich schreibe.“ Da umarmte die Kleine ihn erneut und sagte: „Und jetzt versprich mir, dass du nie wieder schreibst.“ Da war er bereit, in den Keller seiner Vergangenheit hinab zu steigen und seinen Roman „Good bye Lemon“ zu schreiben. Zum Inhalt: Nach fünfzehn Jahren ist Protagonist Jack Tennant mit seiner Freundin gezwungen, in sein Elternhaus zurückzukehren. Er will die düsteren Erinnerungen nicht heraufbeschwören, seinem Weg treu bleiben und doch Zugang zu seiner Familie finden. Ein Haus gegen ihn, mit ihm, in ihm? Die Konfrontation mit dem „Früher“ scheint zu misslingen.

schieden: stumm, aber triumphierend / Trinken hat deinen Vater erledigt, Jackson, und du bist deines Vaters Sohn. Nun trink schon. Und um nichts vorwegzunehmen, solltest Du diesen Absatz nicht vor dem Buch lesen! Vor der Antwort auf die Frage nach seinem Lieblingssatz im Buch, muss man wissen, dass in der deutschen Ausgabe der gesamte Epilog dem Lektorat zum Opfer fiel. In the american edition, the epilogue follows jack through the next year of his life in georgia. some things are better--he‘s happily back with hahva; he‘s on better terms with his father; his father‘s health improves. but he‘s got a crappy job. he still has no money. he still feels lost. his obsession with dex is unabated. when hahva discovers the journal he‘s been keeping she realizes what he hasn‘t: that he is trying to write a book about dexter. she says that he is still trying to save dexter‘s life--trying to „pull him out of the water with words.“ or, as jack says in the prologue (in the german edition too), he is „trying to write [dex] back to life.“ anyway, i think my favorite line is when hahva realizes that‘s what jack is doing with the book he‘s writing, and jack says, of that book writing, is: „she‘s right. i am still trying to save his

life. i‘m trying to save mine, too.“ it‘s not much on a prose-level--there‘s no poetry to it--but the sentiment, i think, captures the feeling of the book---how reading and writing can save a life. i also like „when i kissed hahva in that moment, i felt hundreds of windows flew open inside my heart.“ That‘s a rare feeling in life, and i‘m glad i was able to put it in a book. Wir treiben weiter durch die Münchner Nacht und Holden Caulfield lässt grüßen, denn ich kann nicht fassen, dass einer meiner Lieblingsautoren mich als Buddy bezeichnet und ich soviel erfahren habe. Adam Davies besitzt für mich nicht nur das Talent herzzerreißende Geschichten zu erzählen, er wählt auch die treffenden Zwischentöne und Einschübe, lässt einen nicht aus dem Griff seiner Erzählung und vollbringt es, den Leser oder die Leserin mit feuchten, traurig-glücklichen Augen zurückzulassen. Erst gegen sechs Uhr früh ging dieser Abend mit zwei bezaubernden Mädchen an meinem Esstisch zu Ende und ich war mir definitiv sicher, dass es verflucht langweiliges Interview-Understatement war, aber entscheidet selbst. Gestern schickte er mir untenstehendes Foto für diesen Artikel.

Zur Veranschaulichung einige der besten Zeilen: Eine Atempause vor der großen Leere / Ich war ein ängstlicher Typ, vor Schreck verschwanden meine Haare vom Kopf / Es gibt kein Instrumental ohne Instrumente, Hahva / Tote Rosen = Befreiung + Durchsetzung * Frieden (Triumph) / Unser erster Kuss hätte nicht unter dem flackernden, kanariengelben Licht einer Straßenlaterne auf dem Parkplatz einer aus Betonziegeln errichteten Obdachlosenunterkunft stattgefunden, sondern an einem schicken, eleganten Ort, wo es jede Menge Glas, poliertes Leder und geräuschlos spülende Toiletten gab / Mit jedem Drink versuche ich meine Traurigkeit auszuatmen / Ich will etwas Höfliches sagen, doch mein Mund füllt sich mit Schmutz / Sie würde sich gerne von dieser Welt verab-

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MIT SCHLAGKRAFT

UND GEFÜHL TexT TeResa BÜCkeR FoTograFie kaTja kUhL, MaTThias DaViD

Muss Mode den Anspruch haben, Kunst zu sein? Vielleicht übertreiben da manche gern.

M

ut, Gefühle zu zeigen. Kilian Kerner besitzt ihn auf persönlicher und kü nst ler is cher Ebene. Eine kurze Verneigung am Ende des Laufstegs am Ende einer Show ist keine Geste, die man von dem jungen Modedesigner erwarten darf. Er schnappt sich Toni Garrn und beschreitet sichtlich ergriffen die volle Länge des Catwalks. Ebenso wenig lässt er es sich nehmen, den Sänger der Band Splinter X, die seine Modenschauen stets begleitet, stürmisch zu umarmen. So kühl, konzentriert und über allem schwebend, wie sich die Models während der Berliner Fashionweek durch das Dunkel des Zelts bewegen, ist das Business nicht: „Auf meine Gefühle zu vertrauen, hat mich bislang immer auf den richtigen Weg gebracht. Im Sommer 2004 hatte ich das Gefühl, mich voll und ganz der Mode verpflichten zu müssen. Seitdem habe ich mein Atelier kaum verlassen. Die Arbeit als Modedesigner ist definitiv mein Leben und größter Lebensinhalt. Man muss es lieben oder man lässt es.“ Diese Hingabe hat sich ausgezahlt. Obwohl Kilian Kerner die Welt der Mode ohne entsprechende Ausbildung betrat und dem Zirkus vergleichsweise

kurz angehört, hat sein Label sich zu einem der Hoffnungsträger der deutschen Schneiderzunft entwickelt. Die Präsentation seiner Kollektion „Gute Nacht, du Wunderschön(r)“ bedachte das Publikum mit ausgedehntem Applaus. Andere Shows klangen verhaltener aus. Der Sprung der Gefühle von Design und Musik auf die Zuschauer funktionierte nahtlos. Edle Stoffe, opulentes Gold, romantische Locken und Männer, die einem tschechischen Märchenfilm entsprungen schienen, wirkten in Mitten der Finanzkrise ein wenig entrückt, doch wohltuend für Auge und Gemüt. Dass das Konzept die aktuelle Wirtschaftsstimmung traf und Kilian Kerner mit seiner Beschreibung eine Anleitung zum Umgang mit der Krise formulierte, war reiner Zufall: „Mode ist kein strategisches Spiel. Viel Inspiration fließt aus meiner Liebe zu den 40er und 50er Jahren ein, aber der Großteil der Entwürfe speist sich aus meinen Emotionen. In der Kollektion geht es darum, die eigenen Schicksalsschläge anzunehmen, zu verarbeiten, sich von ihnen zu verabschieden und morgens wieder aufzustehen.“ Politische Aussagekraft hat Mode für ihn dennoch nicht: „Mit Politik hat das nichts zu tun. Muss Mode den Anspruch haben, Kunst zu sein? Vielleicht übertreiben da manche gern. Trends und Entwürfe spiegeln für mich

»Die Arbeit als Modedesigner ist mein Leben. Man muss es lieben oder man lässt es.«

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jaCoB MaTsChenZ

40 IkoLLekTion BLANK „sekUnDenfLÜGe“


eher die Handschrift des Designers wieder. Mein Anliegen ist es, eine Person perfekt einzukleiden. Aber was ist schon perfekt? Mit objektiven Kriterien kommt man in der Mode nicht weit.“ Subjektiv betrachtet mag Kilian Kerners Stil sich für die auf der Modewoche umtriebigen Fashionistas in eine zu klassische Richtung bewegen, viele Männer hingegen werden seine Entwürfe abseits des Laufstegs zu gewagt finden. Seine körpernah geschnittenen Hosen trägt er täglich selbst zur Schau, kombiniert sie mit H&M und Second Hand. Die Röhre dominierte das Beinkleid der Herren auch dieses Mal. Doch

»Den Frauen nimmt er die Furcht vor den Formen: Die Entwürfe versprühen Weiblichkeit und verlangen nach Kurven.« das schmale Bein, das in Kerners Wahlheimat Berlin zur Grundausstattung der männlichen Garderobe zählt, sowie an-

dere Street Couture-Elemente schaffen eine fließende Verbindung zu eleganter Herrenmode mit extravaganter Schnittführung, kontrastierenden Weiten und eloquenten Details. Die Reserviertheit der Männer gegenüber mutiger Mode will Kilian Kerner „behutsam“ umwälzen: „Die Kollektion kombiniert stets zwei Komponenten: Ein ausgefallenes Stück trifft ein klassisches. Das bringen wir den Männern jetzt bei.“ Den Frauen nimmt er die Furcht vor den Formen: Die Entwürfe versprühen Weiblichkeit und verlangen nach Kurven. Als „eine selbstbewusste, starke und elegante Frau, die trotzdem sehr sensibel und feinfühlig ist“, beschreibt Kilian den Typ Frau, den er im Kopf hat, wenn er entwirft: „Kate Winslet ist für mich eine große Inspiration. Sie verkörpert für mich Weiblichkeit in höchster Form.“ Einen schlagkräftigen Eindruck hätte Kilian Kerner auch ohne die goldenen Boxhandschuhe hinterlassen, die das Abschlussstatement der Show bildeten. Jetzt geht es in die nächste Runde. Trotz Gold und Glamour ist das in der Branche eher Kampf als Spaziergang. Große Sponsoren und viel Prominenz versammelten sich Ende Januar auf dem Bebelplatz, um sich am Glanz der Mode zu laben, doch in die Förderung der kreativen Impulsgeber des Events fließt in Deutschland noch zu wenig. Ein Sponsor von Kilian setzte lieber auf Prestige als auf die Nachwuchsförderung, sprang kurzfristig ab und investierte den Geldsegen in Michalskys Kircheninszenierung. Für die deutsche Modeinstanz Vogue war es leichter, zwischen Prunk und Heiligkeit den Glauben an das Gute zu entdecken: Sie sagt Kilian Kerner eine große Zukunft voraus. An seinem nächsten Schlag feilt er bereits wieder.

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TOM SCHILLING Kollektion „Sekundenflüge“


ALICE DWYER Kollektion „SekundenFlüge“


BLIND AND

BEAUTIFUL


Vertrauen und Feedback spielen sicher eine große Rolle, wenn Blinde sich für den alltäglichen Gang zur Schulbank rüsten oder schick in Schale schmeißen.

D

och auch die Haptik von Stoffen, Körpergefühl und der übliche Gossip unter Altersgenossen tragen ihren Teil dazu bei, dass auch im Leben von Blinden und Sehbehinderten Modebewusstsein, Trends, Next Top Model und das eigene Auftreten nicht zu kurz kommen oder wie Lagerfeld schon bemerkte: „Der Mode entkommt man nicht. Denn auch wenn Mode aus der Mode kommt, ist das schon wieder Mode.“ Die Portraits von Bernhard Wolff und Interviews entstanden im Wiener Bundes-Blindenerziehungsinstitut, in dem knapp 300 Schüler mit verschiedenen Sehbehinderungen leben.

cOrinna, 16 (linkes Bild) Top / Claudia Rosa Lukas Brosche / Tara Jarmon BLANK: Wie stehst du zu Mode? CorINNA: Mode ist mir wichtig, aber manchmal äußere ich schon Zweifel, ob mir das jetzt passt. Ich bin vollblind, aber ich sehe noch Farben. Ich gehe oft mit meiner Mutter einkaufen. Bei Anderen ist mir ziemlich gleich, was sie anhaben – Hauptsache sauber, das merkt man halt. Nesawan ist heute ganz hell angezogen, da erkenn ich ihn ziemlich gut. BLANK: Was trägst du so? CorINNA: Ich mag gern helle Farben, wie rosa. Man hat mir gesagt, dass Flieder gut zu mir passt. Das hat vielleicht etwas mit meiner dunklen Haarfarbe zu tun. Ich persönlich ziehe gern rot an. Sonst hab ich auch Sommerhosen in pink und schlammfarben. Ich habe so ein T-Shirt, auf dem steht „Do You Have What I Want“. Das erkenne ich vom Angreifen, das hat so eine pickige Schrift. Bei dunklen Farben tue ich mir schwer. Ich sehe nicht, ob das jetzt blau oder braun oder schwarz ist. Aber sonst ist das ja nicht so schwierig. Ich trage meistens Jeans, und dazu passt eh alles. BLANK: Und am Abend oder zu irgendwelchen Anlässen? CorINNA: Ich ziehe mich gerne elegant an. Ich habe so einen schwarzen Rock mit einer Wickelbluse – die ist toll. Ich mag schwarz und rosa in Kombination, aber nun fällt mir auch nichts mehr dazu ein.

neSawan, 16 und aBU, 19 BLANK: Ist dir Mode wichtig? ABU: Mir ist verdammt wichtig, wie ich angezogen bin. Ich schau eher elegant aus – also halt nicht im Anzug. Ich mag den Style von Justin Timberlake. Am Anfang voll der Schock, aber wenn man darüber nachdenkt, ist es eigentlich gut. Jeder hat seinen Style. Wenn ich in den Park Fußball spielen gehe, dann noch immer mit totalen Baggies, Kapperl und normalem Leiberl. NesAwAN: Ich wollte euch nur einen Gefallen tun. Mode ist mir eigentlich egal, aber die Schuhe die ihr mitgebracht habt, sind bäh. BLANK: Suchst du dir deine Sachen selbst zusammen? ABU: Ich bin sehbehindert. Ich frage eigentlich nur bei ganz ähnlichen Farben. Zu achtundneunzig Prozent mach ich das alles selber.

BLANK: Welchen Stil hast du? Hast du ein Vorbild? NesAwAN: Jeder hat seinen Fetisch. Ich bin mein eigenes Vorbild. Es müssen keine Marken sein: blaue Jeans, weißes T-Shirt. Ich bin voll auf Baumwolle. Naturfasern sind wichtig, dann stinkt man nicht nach dem Schwitzen. Ich mag keinen Penner-Stil. BLANK: Was ziehst du am Abend an? NesAwAN: Wegen meiner starken Nachtblindheit gehe ich abends kaum raus. Aber sonst ganz in weiß oder schwarz und eine Kette – ich hab so eine riesige mit einem Falken. Ich mach da immer einen Mix. Wir gehen oft gruppenweise raus, wenn wir Ausgang bekommen. Ins Kino oder so, aber ich schau lieber zu Hause Filme. Wir haben einen riesigen Plasmafernseher. Man muss flexibel sein. Wenn man auf dem kleinen Bildschirm nichts sieht, muss man halt Kohle haben und einen großen kaufen.

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anita, 17 und tanJa, 19 Anita: Top / Gina Drewes Ohrringe / Arena CPH Tanja: Top / Gina Drewes

Mensch: Jeans, ein Oberteil und schönen Schmuck... Ich hab mich in die Ohrringe von euch verliebt. tANJA: Hauptsache hell, ich bin nämlich eigentlich blond.

BLANK: Ist dir Mode wichtig? ANItA: Ja, aber nur zu einem gewissen Grad. Wenn es total übertrieben und tussig wird, mag ich das Ganze nicht mehr. Ich bin eher der bequemere

BLANK: Achtest du darauf, was du anhast? ANItA: Manchmal sagen mir Leute „Hey, heute hast du alles in einer Farbe an.“ Ich denk mir dann „Echt, boah ist

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MODE

das cool!“ Ich zieh einfach am Morgen irgendwas raus. Bei mir passt beim Anziehen schnell was. BLANK: Hast du eine Lieblingsfarbe? Anita: Ich sehe nur hell und dunkel und Umrisse – Farben kaum. Aber ich mag rot voll gern. Ist doch die Farbe der Liebe, sagt man. Ich kann noch was mit der Farbe anfangen, ich konnte früher nämlich ein bisschen sehen.


SiBel, 18 (links) Kette / Arena CPH BLANK: Wie ziehst du dich an? sIBeL: Wenn ich fortgehe, bin ich schon offener und aufreißerischer angezogen. Ich mag elegante Sachen – hauteng, eher körperbetont. Mein Traumkleid wäre dunkel, hauteng und lang. Ich bin nur sportlich angezogen, wenn ich Sport ma-

che. Ich kaufe, was mir gefällt, nur keinen Pelz. Ich hab noch einen Sehrest, also sehe ich eh selber, was ich in der Früh anziehe. BLANK: Was für Musik magst du? sIBeL: Ich hör Hip Hop und RnB, beim Fortgehen ist dann auch Techno dabei. Ich geh immer rund um das BermudaDreieck weg. Die Passage taugt mir nicht so, von der Musik her. Ist nicht so meins.

Bushido zieht sich gut an, das ist mehr mein Style. BLANK: Was wirst du Morgen anhaben? sIBeL: Ich mache gerade eine MasseurAusbildung. Da muss man sich ganz weiß anziehen. Also werde ich morgen nur weiß tragen.

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INDIEROCK UNTER DER ARMUTSGRENZE TexT SOPHiA HOFFMANN FoTograFie FLORiAN WiESER

„Escape Plans Make it Hard To Wait For Success/Neuhass“. Ein Fanal von Albumtitel. Es ist der Titel der zweiten Platte der Killed By 9V Batteries aus dem steirischen Örtchen Weiz. Da stecken Musikjournalisten und Fans ihre Köpfe zusammen und murmeln: „Was hat das zu bedeuten, ist das gesellschaftskritisch? Politisch motiviert am Ende?“

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ie Antwort ist unspektakulär. NeuHass? „Der Titel entstand letzten Sommer als alles egal war. Wir sind damals über dieses wunderbare Wort gestolpert und haben uns königlich amüsiert bei dem Gedanken, die Platte so zu nennen. Dann beschlossen wir, den Ausdruck einfach so auf das Cover zu geben; das wurde irgendwie falsch verstanden und als Untertitel gedeutet (der besagte Ausdruck prangt direkt unter dem Albumtitel, Anm. d. Aut.). Man kann da jetzt viel interpretieren, es hat aber wirklich nichts weiter zu bedeuten und vor allem nichts mit unserem angeblich vorhandenen Hass auf Neu zu tun.“ Ganz so einfach ist es aber dann doch auch wieder nicht. Ein Teppichluder geht auch nicht mit einem durchsichtigen Kleid auf eine Promiparty, damit niemand ihre Möpse fotografiert. Den Begriff aufs Cover zu nehmen, und sei es auch nur geschickt platziert als Teil des Artworks, ist durchaus eine bewusste Entscheidung mit absehbarem Interpretationspotential und viel Deutungsspielraum. Der Begriff wurde in allerhand Plattenkritiken freudig diskutiert, zerpflückt und definitiv als Untertitel wahrgenommen. Googelt man den Bandnamen in Kombination mit „Neuhass“ kommt man auf knapp 800 Treffer. Das las-

sen wir jetzt einfach mal so stehen und schauen uns an, warum sie so sind wie sie sind, und wieso der eigentliche Titel des Albums viel wichtiger ist. Im Bezirk Weiz leben 88.000 Menschen, 81,6 % der Bevölkerung sind römisch-katholischen Glaubens, der Schauspieler Tyron Ricketts („Knocking on Heaven´s Door“) wurde hier geboren, sowie die Mutter von Arnold Schwarzenegger. Das Mulbratl, ein geselchtes Schweinekarree, ist die berühmteste kulinarische Spezialität der Gegend, ihm ist sogar ein Volksfest gewidmet. Um es

zu entdecken und sein Taschengeld zu investieren. „Nachdem ich zum ersten Mal Sonic Youth gehört hatte, habe ich mir am gleichen Tag die E-Gitarre von meinem Nachbarn geliehen. Am Anfang war ich nur an Feedback-Orgien interessiert. Ich war süchtig danach. Meine Eltern haben mir dann auch nahegelegt, dass das vielleicht doch nicht das Richtige für mich sei. Egal!“ So beschreibt Sänger Wolfgang Möstl seine Initiation zum Musikerdasein. Ab da war es dann auch wurscht, was die Eltern meinten, die Musik musste raus aus den Jungs. 2002 spielen sie ihr erstes Konzert auf dem „Rock gegen RechtsFestival“ in Weiz, damals noch unter dem charmanten Namen „The Lacerations“ (Die Fleischwunden). Bald setzt der Produktivitätswahn ein, und zu diesem Zweck gründen Loder und Möstl selbst das Kleinstlabel Numavi Records, um ihren musikalischen Ideen unters Volk bringen zu können. So entstehen 2003 „Wild Rascals Kill Wilder Rascals“ und zwei Jahre später die „19 Track EP“. Geboren sind die Killed By 9V Batteries.

»Wer hier aufwächst, ist entweder mit Mitte Zwanzig verheiratet und hat zwei Kinder, zieht weg oder beginnt früh eine schlimm endende Drogenkarriere.« kurz zu machen: tiefste österreichische Provinz. Wer hier aufwächst, ist entweder mit Mitte zwanzig verheiratet und hat zwei Kinder, zieht weg oder beginnt früh eine schlimm endende Drogenkarriere. Wolfgang Möstl, Mario Loder und Stefan Christiandl haben mit der ruralen Evolution gebrochen und etwas völlig anderes gemacht. Zum Glück existierte da ein Glied in der Sozialisationskette, das ihrem Leben eine entscheidende Wendung gibt: Lucky Day Records, ein gutsortierter Plattenladen, betrieben von Otto, einem Althippie. Ein optimaler Ort, um Musik

Der Bandname erschließt sich dabei wohl auch nur wirklich denen, die schon mal ihre Zunge über eine 9 Volt Blockbatterie haben gleiten lassen. Auch wenn diese zugegeben etwas freakige Freizeit-

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beschäftigung wohl kaum tödlich enden kann; an Batterien lecken, das macht man wohl auch nur, wenn einem so richtig langweilig ist. Und es scheint oft langweilig zu sein, wenn man als ambitionierter Lärmfabrikant auf dem Land aufwächst. Bevor ihr Weg sie in die große, weite Welt des Rock’n‘Roll führt, siedelt die Band erstmal in die steirische Landeshauptstadt Graz über und Mario Zangl ersetzt Christiandl am Bass. „Man muss schon zugeben, dass die frühen Sachen Demo-Charakter hatten und auch immer sehr Lo-Fi waren“, sagt Wolfgang heute. Die Batts, Kosename von Fans und Kennern, orientieren sich stark an dem, was sie in Ottos musikalischem Zuckerlgeschäft bekommen. Sonic Youth, Dinosaur Jr. und der komplette Dischord-Katalog, um Wenige zu nennen. Und auf die Frage nach ihrer Immunität gegen aktuelle Musikströmungen meint er dann schlicht: „Wir sind zu spät auf die Welt gekommen“, „Disco-Rock-Bands“ interessieren ihn nicht. Irgendwann reicht‘s aber dann doch mit dem Eigenvertrieb und Klinkenputzen, und die Herren verschicken ein paar Demos.

»Wir sind zu spät auf die Welt gekommen.« Mit ihrem passionierten Geschrammel treffen sie mitten ins Herz von Bernhard Kern und Robert Stadlober, den Betreibern des damals ebenfalls neuen Indie-Labels Siluh aus Wien. Und auf einmal geht’s rund: Siluh nimmt die Batts unter Vertrag und sie werden ins ferne Berlin geschickt, um ihr erstes „richtiges“ Album aufzunehmen. Tobias Siebert ist der Produzent, auch bekannt als Sänger der Bands Klez.e und Delbo. „Das klingt wie Stadionrock“, war damals die erste überraschte Reaktion der Österreicher, die nur ihren selbstproduzierten Wohnzimmerflair gewohnt waren. Am Ende hat man das selbstbetitelte Debütalbum in den Händen.

»Auf die meisten Menschen machen wir den Eindruck von Geisteskranken, Heulsusen oder einfach nur Deppen. Das wird auch der Grund sein, warum wir noch immer keine Ferraris fahren.« Livemäßig geht’s auch ziemlich rund, bei Supportgigs für Gods of Blitz, Maximo Park und The Cribs werden das erste Mal die Musikredakteure aufgeschreckt und infiziert. Die von der Wiener Meinungsbildungsanstalt in Sachen Musik, dem Radiosender FM4, ausgewählte Single „Extra Extended Expressions“ läuft in Heavy Rotation und verschafft den Batts erstmals eine größere Aufmerksamkeit in Österreich und Süddeutschland. Sie spielen unzählige Konzerte, auch fernab der Heimat bespielen sie sämtliche zur Verfügung stehenden Bühnen. Deutschland, Schweiz, Niederlande ….. Womit wir beim Kapitel Live-Performance wären. “Bist du deppert“, wie der Wiener sagen würde. Da wird sich hingeschmissen, rumgewälzt, T-Shirts werden zerfetzt und Dinge zerstört, da kann ein Stück, das auf Platte drei Minuten dauert, schon mal zu einer fünfzehnminütigen SoundSymphonie wachsen, erst da wird klar, wie groß die Sehnsucht der Protagonisten ist, richtig Lärm zu machen. Aber es ist ja nicht der Lärm, der einen als Zuschauer fesselt, sondern die Melodik, die Hingabe, mit der die Instrumente verdroschen werden. Wer einmal ein Konzert miterlebt hat, versteht, was auf der Platte zu erahnen war. Killed By 9V Batteries sind eine LiveBand, und was für eine! Entweder man versteht sie nicht, so wie jener Redakteur, der zu ihrem Popkomm–Charity-Auftritt im White Trash letzten Herbst ätzte: „Eine handvoll Scheitelträger, deren introvertiertes Geschrammel niemand so recht hören möchte. Musik, die man für sich selbst macht, und die man auch nur selbst gut findet“, oder man liebt sie, so wie jene Redakteurin, die sich bereits 2006 zu

dem Statement: „Killed By 9V Batteries sind die energetischste Live-Band Österreichs. Punkt!“ hinreißen ließ. Und ich würde es wieder so sagen. „Escape Plans Make It Hard To Wait For Success“, das wieder Lo-Fi im Möstlschen Elternwohnzimmer aufgenommen wurde, spiegelt schon im Titel die Einstellungen der Band zu Erfolgserwartungen wider: „Wir stehen uns selbst im Weg, auf die meisten Menschen machen wir den Eindruck von Geisteskranken, Heulsusen oder einfach nur Deppen. Das kann auch der Grund sein, warum wir noch immer keine Ferraris fahren.“ Aber seid doch mal ehrlich, Burschen, ihr wollt doch gar keine Ferraris fahren! Die abgedruckten Fotos sind übrigens eine in Szene gesetzte Reminiszenz an das Dasein als brotloser Künstler. Auf die Frage, in welchen Bereichen Wolfgang Möstl sich denn im täglichen Leben besonders einschränke, um Geld zu sparen, antwortete er: „…einmal im Jahr Kino, Tetrapack-Wein im Park, Fünfmal Toast die Woche...“. So wird aus dem brotlosen ein brotvoller Künstler.

Top 10 Österreichische Bands/Musiker, die es noch zu entdecken gilt (außerhalb Österreichs) – ohne Rangfolge 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Fuxblut Die Eternias Das Synthie Modul Rabe Fiago Marilies Jagsch Le TamTam Dirty Disco Youth I Am Cereals Upperclass Shoplifters

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DANN BEGINNT

MEIN

HERZ MICH ZU BEWEGEN TexT TiLL eRDenBeRGeR FoTograFie MaTThias DaViD

Das kann durchaus passieren, wenn Klez.e diesen Monat mit ihrem neuen, dem mittlerweile dritten Album auf Tour gehen.

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ettcar-Produzent Tobias Siebert kann nicht nur Knöpchen drehen, sondern auch selber pompösen Indierock spielen. Ein Orchester werden die Mannen um den Mastermind wahrscheinlich nicht dabei haben, dafür ein Sammelsurium an Instrumenten und guten Ideen. Und wer darauf hofft, dass die Band an den Abenden alles kaputt macht, befindet sich in guter Gesellschaft. Wenn die Band gegen Ende des Sets rethorisch fragen wird, ob das alles ist, werden die Besucher pflichtschuldig und zustimmend nicken müssen. Mehr geht nicht! Wer das Glück hatte, die fünf Berliner Ende Januar bei der inoffiziellen BLANKRelease-Party gesehen zu haben, weiß, wovon die Rede ist. Klez.e auf Tour: 01.03.09 Wien, B 72 02.03.09 Regensburg, Heimat 03.03.09 Reutlingen, franz.K 04.03.09 Konstanz, Kulturladen 06.03.09 Halle, Objekt 5 07.03.09 Leipzig, UT Connewitz 09.03.09 Hamburg, Knust 10.03.09 Berlin, Lido 11.03.09 Münster, Amp 12.03.09 Köln, Kulturbunker 14.03.09 München, Orangehouse

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ECLECTIC

BOOGIE TexT TERESA MOHR FoTograFie BELLA LiEBERBERG

Filthy, yeah! Was Männer dazu animiert, sich derartige Attribute zuzuschreiben, kann man sich denken: Da scheint die postpubertäre Phase wohl noch nicht ganz abgeschlossen zu sein. Denn so abgerockt und angeschmutzt sind weder die Filthy Dukes themselves, noch die Musik, die sie produzieren.

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der man könnte sich damit auf die Umstände beziehen, unter denen die Dukes den größten Teil ihrer Arbeit ableisten. Denn wenn man Parties organisiert und auflegt, hat man innerhalb der Feiergemeinde tatsächlich eine dem kollektiven Exzess übergeordnete, ja fast fürstliche Position, macht sich allerdings trotzdem seine Finger schmutzig. Oder gibt es tatsächlich jemanden, der auf seiner eigenen Party „sauber“ bleibt? Vermutlich schon, aber diejenigen feiern das Feiern wahrscheinlich auch nicht so sehr wie Filthy Dukes. Die haben schon fast jedes Festival okkupiert, eine Menge abgefahrener Locations (wie ein Iglu beim „Snowbombing“-Festival) bespielt und in London die Kill Em All Night, ihre eigene Indie-Electronic Partyreihe im legendären Fabric, ins Leben gerufen. Dafür darf man dankbar sein, denn heutige Indiedisko-Helden wie

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MUSIK

Bloc Party und Justice haben dort die ersten Schritte auf der Bühne gemacht. Und da derlei Aktivitäten und der dazugehörige Lebensstil süchtig nach Abwechslung und Attention machen, musste etwas Neues her. Das Debutalbum „Nonsense In The Dark“ könnte man als den attraktiven Bastard aus der Verbindung unzähliger durchzechter Nächte mit dem dazugehörenden Soundtrack selbiger bezeichnen. Die ganze Plattensammlung von Olly Dixon und Tim Lawton, aufgemischt vom Produzenten Marc Ralph, hat sich in das Album ergossen – Pigmente von Diskohits aus drei Jahrzehnten vermengen sich zu einer kaugummibunt- bis neongraugefärbten Masse, die hüpft wie ein Flummi. Die Filthy Dukes haben dafür folgende Begrifflichkeit an die Öffentlichkeit getragen: electroacidhousenuravetwisteddiscopunkfunk. Die Kollegen vom NME nennen es „rave-rock crossover“. Wobei die Rave-Komponente deutlich

überwiegt. Man muss nicht besonders aufmerksam sein, um auf Anhieb mindestens fünf aktuelle und fünf Künstler aus vergangenen Zeiten benennen zu können, die hier mit eingeflossen sind. Süß und saftig wie New Young Pony Club oder Daftpunk, noisy wie Crystal Castles und rumsend wie Produktionen aus dem Hause Ed Banger, dazu ein Tupfer Depeche Mode und Chemical Brothers, abgerundet von einem Klacks Hip Hop in der ersten Single „Tupac Robot Club Rock“. Auf diesem Track rappt Plastic Little aus Philly sehr humoristisch über Nonsens wie in die Spüle zu pissen, Kleber zu schnüffeln und auf Kobolde zu treffen. Er ist nicht der einzige Gaststar, auch Late Of The Pier und die Maccabees haben ihre Sänger für einen guten Zweck gespendet. Um den letzten 30 Jahren elektrolastiger Populärmusik ein eklektisches Denkmal in Form eines Albums zu setzen. Und die postpubertäre Phase in Endlosschleife zu praktizieren.


NEUE TONTRÄGER alif tree „clockwork“ (Cooperative /Universal)

„Clockwork“ ist ein Album, das unwahrscheinlich viele Facetten hat – und zwar ohne, dass die Vielfalt einen überfordert. Die Bezeichnung „Nu Jazz“ passt hier nicht, auch wenn sich die Presse darauf weitestgehend festgelegt hat. Was dem Maestro Alif Tree gar nicht gefällt, der hält das für eine Beschneidung und hat damit auch Recht. Denn auf Tracks wie „Way Down South“ überlagern die Südstaatenrock-Einflüsse den jazzigen Unterton, so dass ein völlig neuer Zusammenhang entsteht. Oder „Aurevoir“, das von Tribalhouse-Rhythmen getragen wird und den Hörer zum Tanzen einlädt – viel mehr als nur eine modernisierte Form von Jazz, sondern eine Vielzahl von Soundeinflüssen, die sich nicht mehr voneinander separieren lassen. Möglicherweise sind es genau diese Dinge, die den BBC Radio 1-Geschmackspapst Gilles Peterson dazu gebracht haben, den Vorgänger „French Cuisine“ unter seine zehn Lieblingsplatten des Jahres zu hieven. Tree ist nicht nur Elektrobastler, sondern spielt selbst Gitarre, Keyboard und Drums, und dass er diese Fähigkeiten auf seinem mittlerweile vierten Album ausspielt, kommt dem Ganzen nur zu Gute. Zum Beispiel in „Dead Flowers“, das nur von Piano, Bass und Offbeats lebt, bis sich unsagbar anziehende Streicher und Stimmengewirr dazu gesellen, es ist fast, als bekäme man eine Geschichte erzählt. „Clockwork“ könnte und möchte man immer und überall hören. (TM)

Bodies of water „a certain feeling“ (Secretly Canadian)

Endlich. Auch wenn wir es noch nicht wussten, aber wir haben auf diese Platte gewartet. Sehnsüchtig. Leider müssen Bodies of Water sich immer als Erstes mit den kanadischen Folk-Genreführern Arcade Fire vergleichen lassen, obwohl sie doch irgendwie ganz anders sind. Positiver, enthusiastischer und unbefangener. Weniger bedeutungsschwanger. „A Certain Feeling“, das zweite Al-

bum der in L.A. lebenden Band, ist so überraschend und abwechslungsreich, dass das erste Hören einem emotionalen Kneippbad gleicht. Dessen Wirkung fühlt sich so gut an, dass man seinem Körper diese Wohltat öfter zugute kommen lassen möchte. Gerne lässt man sich durch schizophrene Hammondorgeln drehen und schwimmt auf einer Woge von Streichern und Chören zum Horizont. Man weint über den Engelsgesang des Ehepaares Metcalf, dem Herz dieser Truppe. Und immer, wenn man glaubt zu wissen wohin die Reise geht, ändert sich der Kurs. Zum Beispiel begeistert einen melancholischsehnsüchtiger Sixties-Pop, der zu einer mantraartigen Mitklatschhymne wird, wie bei „Gold Tan Peach and Grey“, oder das freejazzig-blubbernde Bläserintro bei „Water here“, das in einen orchestralen Orkan mündet. Hiermit prophezeie ich Bodies of Water eine große Zukunft am Firnament des Folkhimmels. Lasset uns beten, dass sie bald ihren Weg aufs europäische Festland finden, damit sie uns von ihren Livequalitäten überzeugen können und wir dann hoffentlich auch begeistert sein werden. (SH)

telepathe „dance mother“ (Compost Records)

Der Pressetext zu „Dance Mother“ liest sich wie ein Auszug aus der Karte eines 4-Sterne Indierestaurants: Produziert hat die bereits am 30.02. erschienene erste Langspielplatte von Telepathe kein geringerer als Dave Sitek von TV On The Radio und mitgesungen haben sein Bandkollege Kyp Malone und der Neue von !!!, Shannon Fuchess. Aber die beiden New Yorkerinnen Melissa Livaudais und Busy Ganghes (eben die beiden, die man der Formation 100%ig zuordnen kann), sind auf dererlei Namedropping gar nicht unbedingt angewiesen. Sie spinnen auf ihrem Debut ein sehr ambitioniertes, unorthodoxes Netz aus ihren halligen, mädchenhaften Stimmen, britzelnden Synthiesounds und Rhythmen zwischen Dubstep und Hip Hop. Das TBA

hat sich noch vor dem ersten Kontakt mit „Dance Mother“ eine amüsante Bezeichnung für dieses Geräusch- und Beatkonglomerat ausgedacht: Weirdo-Hop. Sie klingt auch tatsächlich ziemlich weird, diese Geschichte. Über Marschrhythmen („In your line“) bis zu Sounds, die allesamt von Timbaland’s Produzentenbaustelle stammen könnten, aber eine völlig andere Wirkung erzielen, weil sie anders gestapelt und geschoben sind, hat man fast alles aus dem Rechner geholt, was ging. Dabei wurde fast durchgängig Wert darauf gelegt, das Ganze bloß nicht zu kalt klingen zu lassen, indem Ambientflächen unter das Geklacker und Gezische gelegt wurden, um es ein wenig abzufedern. Dank Technik und Atmosphäre wohnt auch jedem Track ein gewisser, fast mystischer Zauber inne. Man sollte schon ein wenig Kraft mitbringen. Woran es also keinesfalls fehlt, ist Variabilität und Innovation, doch bis auf „So Fine“, das dank technoidem Anfang in den Beinen zuckt und „Chrome’s On IT“, das sich nach aufmerksamem Hören als echter Ohrwurm entpuppt, kicken die Tracks der Mädels aus Soundtüftlertown Brooklyn nicht so, wie man es wünschen würde. Es findet zwar jede Menge Bewegung statt, Dynamik, es hipt, hopt und säuselt – trotzdem fehlt es an einer klitzekleinen, aber entscheidenden Zutat. Und die heißt Groove. (TM) Neuerscheinungen im März: Propaghandi „Supporting Caste" (Grand Hotel Van Cleef) Olli Schulz „Es brennt so schön" (COL) Baja „Aether Obelisk“ (Other Electricities) Samael „Above" (NuclearBlast) Iglu & Hartly „And then Boom" (Mercury)

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GUTEN ABEND, DÄNEMARK TexT TiLL WiLHELM

Was war eigentlich früher alles besser? Der Mensch, die Medien, die Musik? Sind die Premiumprodukte früherer Dekaden allesamt abhanden gekommen? Nein, man muss manchmal nur ein wenig Geduld haben. Alles kommt wieder, irgendwann.

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uch damals, als die Postleitzahlen noch vier Stellen hatten, gab es schon Dinge, die einfach gut waren. Deutschland war amtierender Fußballweltmeister und Franz Beckenbauer kündigte an, dass „wir auf Jahre hinaus unschlagbar“ wären. Im Fernsehen kam Dieter Bohlen nur als Blue System und Micky Maus-Comics waren noch nicht gebrandet. Und da gab es diese Band aus Dänemark, die Ende der Achtziger den Cowpunk erfand und mit schrägen Requisiten experimentierte. Doch dann kam die fünfte Stelle, die Nationalelf hat doch wieder Spiele verloren, wie sie es auch vor Beckenbauer schon getan hat, Bohlen ist kein Musiker mehr, sondern Pop-Titan und Schlagzeilenmaschine und sogar diese Dänen waren zwischendrin weg vom Fenster. D-A-D, das waren damals – Ende der Achtziger und in den frühen Neunzigern – die Typen mit dem Riesensofa auf der Bühne, Taucheranzügen auf den Promophotos und der Mann mit dem Raketenbass. Der Song „Sleeping My Day Away“ ist 1989 europaweit die Hymne einer ganzen Generation an Punks, Lebenskünstlern und Taugenichtsen. Die Band tourte damals weltweit, das folgende „Riskin´ It All” wird fast noch größer und auf einmal… verliert sich die Band irgendwie selbst aus den Augen. Die Verkäufe stagnieren, die Alben werden immer vertrackter und als ob man Kurt Cobain und seiner Grounge-Welle etwas vorwegnehmen wollte, geht die Leichtigkeit flöten, mithin wichtigstes Trademark der Dänen. Die Fans sind verwirrt bis erzürnt und kehren ihren Lieblingen Mitte der Neunziger in Scharen den Rücken. Eigenartig, denn die Qualität stimmt

auch auf dem folgenden sperrig-rockigen „Helpyourselfish”. „Helpyourselfish kam vielleicht einfach zu einem ungünstigen Zeitpunkt für unsere Fans. Möglicherweise wäre es ratsamer gewesen, vorher noch einen kleinen Zwischenschritt einzulegen“, sagt Sänger Jesper Binzer rückblickend. Doch der Däne ist leidensfähig und ebenso willens, zu vergeben. 2000 melden sich D-A-D, die früher einmal „Disneyland After Dark” hießen, bis Micky´s böser Bruder darob erzürnt den Zeigefinger erhob, mit einem Album zurück, das die Fans versöhnt. „Everything Glows” hat

»Dass ein klassisches D-A-D-Album entstanden ist, hat sogar uns überrascht.« viel, was die Band groß gemacht hat, in der Schnittmenge von Spaß und Ernst, Rock und Folklore versammelt. Es geht wieder aufwärts in der Heimat. Ein dänisches Phänomen, denn außerhalb Skandinaviens bleibt es still. „Zuhause sind wir ein Crossover-Act“, sagt Binzer, „außerhalb mögen es die Leute schon nicht, wenn wir mal eine Ballade spielen.“ Und wirklich: Spielen die vier auf einem der zahlreichen „umsonst&draußen“-Festivals, die sich

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jede größere Stadt in Dänemark leistet, geht bei den Hits ein sichtbarer Ruck durchs Publikum. Da erheben sich auch die Familien in den hinteren Reihen geschlossen von ihren Picknickdecken und sind Teil einer großen, wogenden Rockmasse Mensch. Die Livedarbietungen der ehemaligen Cowpunks sind legendär, aber irgendwie kriegt das außerhalb von Roskilde (das sie beinahe jährlich headlinen), keiner so richtig mit. Warum? Es gibt Dinge in diesem Universum, die zu erklären nicht mal der magische Uri Geller im Stande ist. Plattenfirmen, Managements, Bookingagenturen: Ein diabolisch-bermudianisches Dreieck, in dem schon so mancher spurlos verschwunden ist. Der Sänger selbst sieht sich und seine Band in der Mitschuld: „Sicher, es gab einige unglückliche Entwicklungen auf Plattenfirmenseite. Aber wir hätten auch selber viel präsenter außerhalb Skandinaviens sein müssen.“ Jetzt sind D-A-D immerhin wieder in Deutschland aufgetaucht. Und zwar mit einem neuen Album. „Wir haben keine Angst mehr davor, D-A-D zu sein“ und „auf der Platte stehen Songs, die nur D-A-D schreiben können“, sagt der Frontmann und meint damit wohl das sphärische „Nightstalker“, das ein so wunderbares Bass-Outro präsentiert, dass es einen beinahe zu Tränen rührt. Und auch „Too Deep For Me”, „Milk & Honey”, „Beautiful Together” sind alles andere als fröhlich, das alles hat mit Micky wenig zu tun. „Wir hatten einfach das Ziel, gute Songs zu schreiben. Und so ist trotzdem ein klassisches D-A-D-Album entstanden. Das hat am Ende sogar uns überrascht.“ Und wenn wir in zehn Jahren wieder eine Story einleiten müssen mit den Worten „Auch damals, als wir noch eine Frau als Kanzlerin hatten...“, werden D-A-D noch Teil dieser Retrospektive sein. Ganz bestimmt! Discographie D-A-D | Alben Monster Philosophy Scare Yourself Soft Dogs Everything Glows Simpatico Helpyourselfish Riskin' It All No Fuel Left For The Pilgrims D.A.D. Draws A Circle Call Of The Wild

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2008 2005 2002 2000 1997 1995 1991 1989 1987 1986


JESUS CHRIST NEXT

SUPERSTAR TexT TeResa MohR

Das „Politische Lied“ ist mittlerweile - und nicht erst seit „What a beautiful day“ von U2 - ein feststehender Begriff. Googlet man in den erinnerungen an die eigene musikalische sozialisation begegnet man je nach Generation joan Baez und Bob Dylan, hannes Wader und Reinhard Mey oder Green Day und Rise against. Gekauft, kennt jeder und den Charme, der songs zwischen unschuldiger friedensromantik und wütender Regimekritik umgibt, wird wohl niemand in frage stellen. Was waren wir jung damals. Und sind es heute noch. Und sonst? Das „Religiöse Lied“ ist als Genre noch ein bisschen älter und hat inzwischen einzug in die Popkultur gefunden. Zumindest hier und da. Dass der Markt für songs, die von weitaus mehr als „einem bisschen frieden“ künden, gerade in den Usa stetig wächst, ist nicht überraschend. Wer in sachen segen das singen und sagen hat, weiß unsere autorin. Sarah Brendel Mal ehrlich: Wir haben doch alle schon mehr als einen sehnsüchtigen Gedanken an die Hippiezeit verloren und uns gewünscht, dabei gewesen zu sein – ob bei den Studentenprotesten oder den LSD-Happenings mit Timothy Leary. Sarah Brendel hätte die Sache mit dem LSD vielleicht weggelassen, dafür aber ganz sicher gerne in Woodstock gerockt. Der Soundtrack ihrer Kindheit, die Songs von Joan Baez und Bob Dylan, hat Brendel nie losgelassen, die als 78er-Jahrgang ein bisschen zu spät dran war. Sicher, ein bisschen cleaner ist das, was sie selbst macht, schon. Man will ja niemanden verärgern und außerdem fehlt es Brendel wahrscheinlich einfach an den nötigen Erfahrungen, um so richtig schön unsittlich zu werden. 2002 hat sie jedenfalls deutlich Position bezogen, als es darum ging, ihren Christival-Song „Be With You“ für die Ralf König-Comicverfilmung „Wie die Karnickel“ freizugeben. Was Brendel natürlich nicht tat – Gott und das Label Inpop Records dankten es ihr mit einem Plattenvertrag in den USA, wo sie daraufhin für ein paar Monate tourte und lebte. Dieser Aufenthalt in Tenessee hat sich nachhaltig auch auf den Sound der heute 30jährigen ausgewirkt, ja, ihn regelrecht verjüngt. Was drei Alben lang als seichter und leicht zuckriger Songwritersound an unser Trommelfell klopfte, hat sich auf dem im September dieses Jahres erschienenen Album „Early Morning Hours“ zu sehr schönem, entspannten Folk mit Indie-Attitüde transformiert. Womit Sa-

rah Brendel auf dem richtigen Pfad zu wandeln scheint, den Blick in Richtung Woodstock.

tobymac Toby McKeehan hat sich seinen Künstlernamen schon ganz passend ausgesucht, denn er ist der Mac. Zumindest, wenn es um „christliches Musikbusiness“ geht. In einem deutschen Online-Portal hat man sich sogar dazu verleiten lassen, ihn als „Justin Timberlake der christlichen Musik“ zu bezeichnen. Was den WorkaholicStatus betrifft, mag das stimmen; auch was die Äußerlichkeiten betrifft, kann man sich vorstellen, dass beide ähnliche Reaktionen in den Köpfen pubertierender Mädchen hervorrufen. McKeehan allerdings hat zehn Jahre mehr auf dem Buckel als Timberlake. Was man ihm allerdings nicht ansieht, vielleicht greift da ein ähnliches Prinzip wie bei Ned Flanders von den „Simpsons“, der dank seiner Gottesfurcht mit 60 noch von der Körperlichkeit eines Mittdreißigers profitiert. Auch was Award-Shows betrifft, verbindet die beiden, also Timerblake und TobyMac, ihr großer Erfolg. Allerdings bekommt McKeehan den Dove- und keinen MTVAward, quasi das christliche Pendant zum Grammy. Aber musikalisch, da haut der Vergleich hinten und vorne nicht hin: TobyMac präferiert schon seit DC TalkZeiten eine Mischung aus Hip Hop-Beats und Crossover-Riffs, während Timberlake Dancefloor-Pop mit RnB-Flair anbietet. Und: McKeehan hat eine Menge mehr

erreicht. Einstmals Mitglied der extrem erfolgreichen christlichen Band DC Talk, die sich 2001 auflöste, ist er heute Chef eines der bedeutendsten religiösen Labels der USA, Gotee Records, das christliche Künstler wie Paul Wright, Relient K und Out Of Eden supportet. Kein Wunder, dass TobyMac von der evangelikalen Zeitschrift „Christianity Today“ unter die Top 50 der evangelischen Vorbilder dieser Generation gewählt wurde. Nebenbei ist McKeehan seit 14 Jahren verheiratet und Vater von fünf Kindern. Und außerdem hat er die Stiftung E.R.A.C.E. gegründet, die sich gegen Rassismus engagiert, und mit seinem Ex-DC Talk Kollegen Michael Tait ein Buch herausgebracht, das Christen vorstellt, die sich im Laufe der Geschichte der USA für ihr Land eingesetzt haben. Puh.

paul wright Es macht eigentlich keinen guten Eindruck, wenn man gleich zu Beginn einer Besprechung eine Schublade aufmacht und das Opfer der eigenen Kartographierungswut darin verpackt. Ich behaupte aber, dass es auch darauf ankommt, wie die Schublade beschaffen ist – ob groß, klein, dunkel, zugig oder weich gepolstert. Das macht doch etwas aus! Deshalb: Paul Wright wird sich schon wohlfühlen in seiner Schublade, denn die hat erstens ein prima Klima und zweitens teilt er sie sich mit Jack Johnson und Jason Mraz. Sind doch nette Typen. Und scheinen neben Einflüssen wie A Tribe Called Quest

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oder Sublime eine gute Aura zu besitzen – Wright ist in den USA über den christlichen Dunstkreis hinaus ziemlich erfolgreich. Wer ab und zu mal MTV-Realityformate wie „The Hills“ guckt, dürfte sogar einige seiner Songs bereits gehört haben, während sich Serienheldin Lauren am Strand entspannt oder sich mit ihren Mädels durch L.A. shoppt. Dafür, dass er gehört wird, strengt sich der Mann seit 1999 aber auch ganz schön an, nur einmal lässt er mehr als ein Jahr zwischen zwei Veröffentlichungen verstreichen: fünf Alben und fünf EPs in neun Jahren. Stattlich, aber die Verbreitung der christlichen Lehre scheint ihm ein Lebenselixier zu sein: „Ich fühle mich erst dann richtig lebendig, wenn ich einen Unterschied im Leben der Menschen machen kann. Ich tue das, weil ich es liebe, die Möglichkeit zu haben, die Leute auf denselben Weg zu bringen, der auch mich so inspiriert hat.“ Mit seiner Musik hat er den oben bereits genannten Toby McKeehan so beeindruckt, dass der ihn 2003 unter Vertrag nahm. McKeehan, Gründer von Gotee Records, ist mit seinem Label einer der einflussreichsten Menschen im christlichen Musikbusiness und hat Paul Wright auf seinen Alben „Welcome To Diverse City“ und „Renovating Diverse City“ gefeatured. Seit 2005 geht Paul wieder seinen eigenen Weg – er hat das Label Ocean Ave. Records gegründet und in diesem Jahr „Diegos Diary“ veröffentlicht. Ohne Majorlabel, aber: mit Gott.

Jesus Skins Die Jungs haben es nicht leicht. Von ihren Glaubensgenossen meist verstoßen und den zu Bekehrenden oft nicht ernst genommen, haben es sich die Jesus Skins allen Widrigkeiten zum Trotze seit Ende der 90er Jahre zur Aufgabe gemacht, zwei auf den ersten Blick eher konträr anmutende Elemente – Oi!-Musik und christliches Gedankengut – zu verquicken. Bekannt miteinander aus dem Bibelkreis und ausgestattet mit Pseudonymen aus dem neuen Testament, sind die vier Brüder im Geiste gekommen, um zu bekehren. Dass es bei der abenteuerlichen Kombination aus Pöbelkultur und Gottestreue oft zu Verwirrung kommt, ist nicht weiter verwunderlich, denn tatsächlich tun sich einige Widersprüche auf, da es die Hamburger mit den christlichen Tugenden

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nicht ganz so genau nehmen: „Buddha ist ein Fettsack und Allah ist ein Clown / Doch nur die blöden Nazis, die werden wir verhaun’!“ Nach Nächstenliebe klingt das nicht gerade. Eine vage Antwort darauf, wie genau sie es nun mit dem Glauben wirklich nehmen, geben die Jesus Skins in ihren Texten: „Skinheads in der Kirche, singen Kirchenlieder / Und weil sie gerne singen, kommen sie Sonntag wieder / Skinheads in der Kirche, sie haben ‘ne Mission / Was zählt, ist der Glaube, Gottes Liebe ist der Lohn“. „Was zählt, ist der Glaube“ – es geht also nicht darum, religiöse Verhaltensregeln zu erfüllen, sondern den reinen Glauben an Gott zu propagieren. Ob das sinnvoll ist? Mehr scheint den Jesus Skins nicht einzufallen, denn im bereits zitierten Text zu „Skinheads in der Kirche“ wird zwar von einer Mission gesprochen, wie sich diese aber gestalten soll, wird nicht erläutert. Diese Unausgegorenheit ist vermutlich der Grund dafür, dass Markus, Mathäus, Lukas und Johannes sowohl von der Oi!-Szene als auch der christlichen Gemeinschaft mit hochgezogener Augenbraue betrachtet werden. Für die deutsche Medienlandschaft ein gefundenes Fressen – deshalb hat unter anderen das ARD-Format „Polylux“ den Herren 2002 einen Beitrag gewidmet und sie fälschlicherweise zu den Erfindern von S.H.A.R.P (Skinheads Against Religious Prejudice) erklärt. Dass das ein Irrtum war, hat die Band im Interview mit dem Ox-Fanzine richtiggestellt. Die an die in New York gegründete Organisation mit selber Abkürzung (da heißt es aber Skinheads Against Racial Prejudice) angelehnte Gruppe christlicher Skins hat sich bereits 1989 – also acht Jahre bevor die Jesus Skins das erste Mal eine Bühne betreten haben – gegründet, weil zwei Oi!-Boys sich wegen ihres Glaubens ständig Hänseleien ausgesetzt sahen und ihrer Randgruppen-Randgruppe den nötigen Respekt verschaffen wollten. Nun zurück zur Musik: zwei Alben („Acht Fäuste für ein Hallelujah“ und „Unser Kreuz

braucht keine Haken“) haben die Jesus Skins veröffentlicht, dazu eine Split-EP mit der Screwdriver-Coverband Jewdriver (Na, welcher Religion sind die wohl zugetan?) aus den USA. Wer Oi! mag, wird auch das lieben. Aber wer 100%ig auf Jesus steht, dem werden die halbgaren Bekehrungsversuche der Jesus Skins wohl zu wirr sein.

manafest Ein weiteres Beispiel dafür, dass christliche Musik zu Unrecht als von pickligen Pferdeschwanzträgern bevorzugt am Lagerfeuer performtes Geklampfe abgetan wird, ist der Kanadier Chris Greenwood. Als „Manafest“ hat er sich in den letzten Jahren erfolgreich in der christlichen Musikszene etabliert. In seinem Sound schlägt sich deutlich Greenwoods Hip Hop-Background nieder: freshe Westcoast-Beats, die durchaus clubtauglich sind und zu denen der Maestro gern auch mal eine Prise Nu Metal streut. Scheint den Geschmack der Menschen zu treffen. Nach seiner ersten EP „Misled Youth“ hat er vier Alben veröffentlich, drei davon beim internationalen Label BEC. Womit der Plan des Chris Greenwood, der in einem Interview mit rapzilla.com davon spricht, dass es Gottes Berufung für ihn sei, mit seiner Musik „so viele Kids wie möglich zu Jesus zu bekehren“, aufgehen sollte. Dass sich eben solche nicht-christlichen Portale wie rapzilla.com oder auch hiphopcanada.com für die Arbeit von Manafest interessieren, sind beste Voraussetzungen für eine von der Konfession unabhängige Hörerschaft. Trotzdem sich der Rapper auf Pressefotos in üblicher Hip Hop-Manier prollig posend gibt, auf „Asses ‘n Titties“, die spätestens seit der 2 Life Crew leider das Rapper-Accessoire sind, wird verzichtet. Neben dem Ausbleiben von „Explicit Lyrics“ ist das der einzige signifikante Unterschied von Greenwood zu vergleichbaren Künstlern wie Eminem (der musste ja noch erwähnt werden) oder Bubba Sparxx. Große und entscheidende Gemeinsamkeit der drei: Erfolg im lagerfeuerfreien Sektor.


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BOHEMIAN

LIKE YOU TexT TeResa MohR FoTograFie MaTThias DaViD

„if i had known this before“ – acht Jahre ist es her, dass das Konterfei von Jonas Poppe und Sebastian Dasse, die damals noch zu zweit waren, bei ViVA über den Bildschirm flimmerte. Damals lieferten sie zu einem WoodyTrack die Vocals und schafften die dunkle Diskohymne der 2000er EcstasyGeneration. Am Freitag, dem 13. März, erscheint „Rubber&Meat“, das dritte, großartige, angenehm ungewöhnliche Album der Berliner Soundtüftler von Kissogram.Ab dem 12.03. supporten die „Kissos“ Franz Ferdinand auf Europa-Tour. BLANK: Würdet ihr „Rubber&Meat“ als Großstadtalbum bezeichnen? Wenn nein, was ist es dann? KIssoGrAM: Es ist ein futuristisches, surrealistisches, autistisches, schnelles und langsames, provinziell-metropolitisches, schlechtes und gutes, passioniert-lakonisches, leicht bekleidetes, undiplomatisches offensiv-melancholisches ganz und gar nicht vernünftiges PopAlbum von drei Männern mit drei Wodkagläsern und drei Zigaretten, auf drei Ohrensesseln in drei Strohhäusern, wartend, bis der Wolf kommt und pustet. BLANK: Worum geht es in dem Song, der euer Album betitelt? K: „Rubber and Meat“ handelt von einem Mädchen, das in einer Fleischfabrik arbeitet, morgens um sechs aufsteht, den ganzen Tag nur Fleisch und ihre Gummihandschuhe sieht und abends zu müde ist, um von einer für sie besseren Welt zu träumen. BLANK: Im Kontrast dazu befasst ihr euch textlich sehr stark mit, man nenne es salopp „Berlin-Mitte-Thematiken“. Wie wirkt diese Szene auf euch? Tatsächlich scheint ihr euch eher abgestoßen zu fühlen. K: Das muss nicht wirklich Berlin sein, es kann auch London, Kopenhagen oder was auch immer sein. Aber du hast Recht, diese Szene, die wir beschreiben, kann manchmal sehr abstoßend sein, man kann sich aber auch gut darüber

amüsieren. Natürlich ist Berlin nicht mehr das Berlin der Neunziger Jahre und in einigen Straßen, über die ich früher schlenderte, fühle ich mich heute eher fremd. Das ist aber eine normale, aber manchmal beunruhigende Stadtentwicklung. Wie ein Mädchen, das sich immer mehr, immer stärker schminkt, bis sie irgendwann kaum mehr zu erkennen ist, und wir, ihre alten Freunde möchten ihr manchmal nicht mehr die Hand geben, weil sie sich so entfremdet und weil wir sie vermissen, wie wir sie kennen. BLANK: Was wünscht ihr euch für den Frühling/Sommer 2009? K: Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas mal sage, aber zuerst brauchen wir alle Geld. Sonst müssen wir eben in einer Fleischfabrik arbeiten. Außerdem wünschen wir uns eine schöne Tour im Mai; Festivals im Sommer, Sonne, Meer, Berge, und dass wir nach dem ganzen Tourund Saufinferno im Frühling überhaupt noch zurechnungsfähig sind. Kissogram auf Tour: 24.03. Docks, Hamburg 25.03. Columbiahalle, Berlin 26.03. Tonhalle, München jeweils Support für Franz Ferdinand 27.03. Orangehouse, München 28.03. M4Music (Schiffbau), Zürich

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VOR ORT MÄRZ 2009 Konzert

Ostinato

die Momente, die das einlösen, was sie sich von ihren Bildern und den Motiven verspricht.

Ostinato, das meint in der Musiktheorie seit Anbeginn der Zeit eine sich stetig wiederholende Figur. Eine Melodie, oder auch nur eine bestimmte Abfolge weniger Töne (neuelektronisch: Loop). Immer das gleiche, immer hintereinander weg. Sehr Indie klingt dieses Konzept irgendwie nicht und trotzdem haben sich ein paar Amis genau nach diesem Schema F benannt und produzieren seit drei Alben manchmal komplizierten, meistens aber eingängigen Indierock, der in guten Momenten an die ewigen Sigur Ros gemahnt. Dass Drummer Dave auch in der Band von Doom-Altmeister „Wino“ die Löffel schwingt, wird die Jungs nicht bremsen. Im Gegenteil, irgendwo muss die Energie hin. Anfang März kommt das Trio für eine Hand voll garantiert nicht einlullender Gigs nach Deutschland. 06.03. Potsdam - Fabrik 07.03. Berlin - Festsaal Kreuzberg 08.03. Hamburg - Hafenklang 09.03. Dresden - Beatpol 10.03. Jena - Kassablanca 11.03. Nürnberg - Musikverein 12.03. Esslingen - Komma 13.03. Winterthur - Gaswerk 14.03. Gießen - MuK 16.03. Leipzig - Conne Island Austellung

faces & names Die Fotos unserer Fotografin Svenja Eckerts sind wie ein guter Song: einfach strukturiert, verständlich, mit Wiedererkennungswert versehen und bestenfalls noch zufällig entstanden, aus dem Moment, der Situation heraus. Quasi als Geschenk, das sich eher zufällig offenbart. So treffen sich ihre Fotografien auch zwischen spontaner MySpace-Ästhetik, klassisch-inszeniertem Portrait und Snapshot. Die 29-jährige Svenja Eckert vermeidet in ihrer Fotografie das Angestrengte und Erzwungene, gibt sich lieber mit weniger zufrieden, als ihre Motive mit Opulenz zu überfrachten. Stets gewährt sie bei ihren Shootings Freiraum, lässt inszenieren und wartet geduldig auf

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Faces & Names, Fotos von Svenja Eckert Galerie Dora Asemwald / Bütique www.galerie-dora-asemwald.de Lesung

Scherbenpark Alina Bronsky hat mit „Scherbenpark“ ein hippes Buch geschrieben und soll, so schrieb die Süddeutsche Zeitung, Wladimir Kaminer Konkurrenz machen. Ob ihr das auf der Bühne gelingt, kann man am Besten live, vor Ort, in Farbe und Echtzeit, beurteilen. 06.03. Neustadt, Stadtbücherei 19.03. Frankfurt, Goetheruh theater

kabale und liebe In Sturm und Drang schrieb Friedrich von Schiller mit 23 Jahren dieses leidenschaftliche Bekenntnis zur Liebe. In diesem Jahr wäre er 250 Jahre alt geworden. Seine Texte bleiben ewig jung. 28. & 30.03.Stuttgart, Staatstheater

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HOROSKOP FISCHE | 18./19.2. – 20./21.3.2009 In was für einer Welt leben wir eigentlich, wenn sich mit Löffelverbiegen, Mentalquatsch und eigenartigen Krächzgeräuschen abendfüllend Geld verdienen lässt - und man dafür nicht einmal Nina Hagen braucht? Aber wir wären nicht wir, wenn wir nicht auf den durch die Gegend gellernden Hokuspokus-Quatsch aufspringen würden. Denn den Diskurs muss man - und da sind wir ganz bei Erich von Däniken - auch im Übersinnlichen suchen. Und dafür haben wir unseren Autor Stefan Kalbers ein rein hedonistisch-motiviertes Horoskop erarbeiten lassen. Was ist wichtig für die Fische dieser Welt? Röchel – röchel, waber – waber, Spot und los gehts. Unterhaltung: Ja, bitte! Doch mit wem? Aus unerfindlichen Gründen wird in diesen Tagen niemand mit Ihnen sprechen wollen. Möglicherweise konnten Sie die Telefonrechnung nicht bezahlen oder die schwere Kieferoperation macht ihnen noch zu schaffen. Ihr Partner ist ebenfalls keine große Hilfe, vielleicht haben sie gar keinen mehr. Klären lässt sich das aber nicht. Denn erstens können sie ihn nicht anrufen und zweitens können sie nicht sprechen. Tipp: Man kann auch alleine Spaß haben. Nehmen sie notfalls einen Spiegel zu Hilfe und täuschen sie mit einem Hut ein anderes Gegenüber vor. Sozialer Status: Machen Sie sich keine Sorgen. Niemand kann ernsthaft an einem Pizzaboten in Teilzeit etwas auszusetzen haben. Achten Sie jedoch darauf, dass die Pizza bis zu Ihrer Ankunft wenigstens noch lauwarm ist. Klingeln Sie an der richtigen Tür und zwar in der richtigen Straße in der richtigen Stadt. Abenteuer: Ob sie es heute wohl schaffen, den Klostein so lange anzupinkeln bis er sich ganz aufgelöst hat?

www.stop-den-fashionwahnsinn.d

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Glücksspiel: Ob der Mann vom Urinal nebenan ihnen wohl helfen wird, den Klostein kleinzupinkeln, wenn sie ihn freundlich fragen? (Tipp: Denken Sie an den Grund für die letzte Kieferoperation)

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WANDERER,

KOMMST DU NACH

BERLIN… TexT TiLL eRDenBeRGeR FoTograFie noRMan konRaD

Flaniert man durch die Berliner Knesebeckstraße, vorbei an Hotels und Restaurants, wird man irgendwann an der Nummer 67 vorbeikommen. Und einfach weitergehen, ohne von der zwischen Wohngebäuden der Marke „Durchschnitt“ und „Unspektakulär“ eingebetteten Fassade des Hauses Notiz zu nehmen. Hier ist seit 2004 das „Q!“, das „beste Design-Hotel der Welt“ (Travel & Leisure Design Award). Ein preisgekröntes Designhotel im Mantel eines Wohnhauses aus der Retorte. „Ditt is Berlin“, sagt der Einheimische und hat damit Recht. Das Understatement hat System, „reduce to the max“ ist das Konzept, welches man schätzt.

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ommt man ins Q!, vermisst man als Erstes die livrierten Angestellten, vor denen man andernorts ob ihrer Uniformen sofort stramm steht. Der Eingangsbereich ist klein und gedrungen, die Rezeption erinnert an den Empfang eines modernen Youth Hostel. Auf den ersten Blick wenigstens, das Konzept des Hauses erschließt sich nämlich nicht sofort. Wäre das Q! ein Mensch, wäre es Wolfgang Loock. Der Kölner ist Inhaber des Q! und geistiger Vater der Idee eines unzertifizierten Tophauses. Er ist das Fleisch gewordene Q!-Konzept. Eloquent aber nicht oberflächlich, gepflegt aber unprätentiös, professionell aber nicht distanziert.

Vor dem Q! hat Loock schon drei herkömmliche Hochpreishäuser in Berlin gebaut und betrieben, das Q! ist auch seine Emanzipation vom regulären Hotelbetrieb. „Es war für mich an der Zeit, mal etwas Anderes zu machen“, sagt er und erklärt gleich mit, worum es ihm mit seinem jüngsten Projekt geht. „Ich will dem Gast kein Hotel bieten, sondern ein Zuhause.“ Und was sich anhört wie eine Phrase, die man in den Prospekten einer beliebigen Pension in den Schweizer Alpen verorten würde, wird in dem Moment möglicherweise zu mehr, wenn man einen Blick in die Liste der Gäste des Hauses wirft. „Ich wollte etwas Internationales haben, ich

wusste, dass es dafür eine Nische gab in Berlin. Drew Barrymore, die unser erster VIP-Gast war, hat sich dann auch umgesehen und gesagt: „Wow, das ist ja wie in Amerika hier.“ Drew Barrymore war die

»Keine großen Scheinwerfer, keine Stuckfassade.« erste, Brad Pitt war da und kommt gerne wieder. Es spricht sich in jenem Zirkel der Superpopulären rum, wo Diskretion mehr ist als ein Lippenbekenntnis. Wer aktuell eines der 77 Zimmer belegt, erfährt man nicht, solange es von den Presseagenten der Stars nicht selber rausposaunt wird. Um Inspirationen für sein neues Projekt einzusammeln, hat sich Loock Häuser auf der ganzen Welt angesehen, abgeschaut hat er sich am Ende nur eine Idee. „Ich bin ganz ehrlich“, sagt er, „es gibt in London einige Hotels, für die hat man keine Reklame gesehen, keine Schilder an den Fassaden. Das passte zu meinem Konzept. Das Q! sollte von Anfang an von außen so unglamourös wie möglich gehalten sein. Keine großen Scheinwerfer, keine Stuckfassade.“ Und auch keine Marmorsäulen, wie es die deutschen Stararchi-

tekten Graft, die auch für Brad Pitt Ideen lieferten, haben wollten. „Das Geld sparen wir für innen“, hat ihnen der Inhaber aufgetragen. Das Innere ist ein großes Panta Rhei, alles fließt und Böden werden in den Zimmern zu Betten und zu Badewannen. Es gibt keine Ecken und Kanten und am Ende sind es doch die Kleinigkeiten, die nach Loock für das Zuhausegefühl sorgen. „Es gibt hier in Berlin so tolle Häuser der klassischen Hotellerie, mit denen wir uns gar nicht messen wollen. Aber es gibt auch Gäste, die wollen eben keinen dicken Teppich oder einen Kristallleuchter. Wir bieten das Cleane, Minimalistische.“ Andockstationen für den eigenen iPod, der Sandraum im Spa-Bereich, der rund um die Uhr auf Körpertemperatur erhitzt zur Verfügung steht, und der Barbereich, der das nicht tut. Also rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen. Ab 18 Uhr bleibt man hier nämlich unter sich, die Hotelgäste und Freunde des Hauses. Wer sich hier einen Fehltritt erlaubt, zu wenig oder zu viel Trinkgeld gibt, kann sich sicher sein, dass er nicht tags darauf die Titelseiten ziert. Wohlfühlfaktor. Sein Zuhause kann man ab 180 Euro pro Nacht ins Q! verlegen. Und da ist es egal, ob man aus New York oder Neubrandenburg anreist. Vor dem Q! sind alle Menschen gleich. Wenigstens bis 18 Uhr und vor dem Buchungsformular. Verlässt man das Hotel, fehlen immer noch die Uniformierten. Nein, sie fehlen nicht. Sie sind einfach nur nicht da. Willkommen zu Hause.

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REISE,

REISE

TexT TiLL eRDenBeRGeR FoTograFie jöRG kLaUs

Zwei Veröffentlichungen bieten diesen Winter parallel eine Überdosis Weltfluchtpotenzial für die synapsen des verweichlichten aber abenteuerlustigen Binnendeutschen. kopfkino, unterstützt durch Text und Ton – Willkommen auf „sturmfahrt“ im „Captain´s Club“.

E

s ist aber auch ein zu verlockendes Angebot, vom eigenen Sessel aus auf Weltreise gehen zu können. Sich im heimischen Arbeitszimmer was von schwerem Wetter, allgegenwärtigen Gefahren, Meuterei und Piratenromantik erzählen lassen und dabei die Heizung und einen guten Tropfen immer in Blick- und Reichweite zu haben. Ich versuche zu erinnern, wer das schon mal durchexerziert hat, diese Sache mit den medienunterstützten Gedankenreisen. Mir fallen der ewige Morrison und seine Beatnick-Freunde ein. Aber bei denen waren es Drogen, die sie im Liegen um die Welt fliegen ließen. LSD, unendliche Weiten, Farbskalen... Falscher Ansatz, gleicher Effekt: Mit berauschten Sinnen und glühenden Synapsen in fremde Welten. Morrison, mein Freund, ich bin für ein paar Stunden der maritimste Süßwassermatrose der Welt. Was hast du vor? Vielleicht sehen wir uns am anderen Ende noch mal, ich muss jetzt los.

gen. „Sturmkap“, die Biographie über einen waschechten Kapitän und „Captain´s Club“, die vertonte Leidenschaft der, um ein paar Auswärtige verstärkten, jüngeren Hamburger Musikszene zum nassen Element und allen Protagonisten, die ihm seit Jahrhunderten trotzen. Nena ist dabei, Jan Plewka zusammen mit Keimzeit, Max Mutzke und auch Laith Al-Deen. Auf der ersten Station meiner Reise, dem Büro des Labels „Ferryhouse“ in der Hamburger Speicherstadt, treffe ich Ole Soul und Diane Weigmann. Ich komme zum vereinbarten Termin viel zu spät, weil ich den Orientierungssinn ei-

mit den Lemonbabies Anfang des Jahrtausends Indievolk und Mainstreamjünger gleichsam zu begeistern wusste, hat mit „Störtebeker“ einen wunderbaren Titel geschrieben. „Die Bravo würde wohl sagen, Diane steht auf die Bad Boys“, diktiert Ole und alles lacht. Die eigenen Erinnerungen an die Seefahrt sind dabei von traumatischer Natur. Von schwerer Seekrankheit und abgerissenen Fingernägeln berichten die beiden, dem bestenfalls latenten Wunsch nach Weltflucht auf dem Deck eines Ozeanriesens und eingeschränkter Wassertauglichkeit. Der Hamburger trat immerhin wenige Tage nach dem Interviewtermin ein Engagement auf der Royal Clipper, dem größten Segelschiff der Welt an. Diane wünscht zum Abschluss „viel Spaß mit dem Kapitän“ und damit geht es schon wieder zur Tür hinaus.

»Hans-Peter Jürgens ist der fleischgewordene Traum eines jeden Kindes, das noch nicht zwischen PlaystationRealitäten und Gewaltphantasien sozialisiert wurde.«

Und zwar ganz physisch, denn das mit dem Sessel ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Ausgestattet mit einem Buch und einer CD sitze ich im Zug, über Hamburg an die Küste und viel, viel weiter. Zumindest bis nach Kiel bringt einen die Deutsche Bahn, alles darüber hinaus müssen meine beiden Helferlein erledi-

nes blinden Kaspar Hauser besitze und einen Organisationsgrad, der selbst dem begeisterungsfähigsten Chaostheoretiker noch die Scham ins Gesicht triebe. Ich bekomme eine Idee davon, dass Mikroreisen strukturell kaum weniger kompliziert sein können, als das Befahren der Weltmeere. Als ich endlich eintreffe, warten die beiden Musiker schon. Beide sind auf „Captain´s Club“ mit eigenen Songs vertreten, obwohl das eigentlich gar nicht im Sinne des Erfinders war. Glück gehabt, denn gerade Diane, die

Als ich in Kiel aus dem Zug steige, ist es fünf Grad kälter als in Hamburg. Die Küste ist nicht gut zu den Menschen, zumindest nicht im aufziehenden Herbst. Ich schlage den Kragen hoch und fühle mich ein wenig angekommen im Kreise all der harten Männer mit Bärten, die täglich den Kampf mit dem Element aufnehmen. Wer friert, hat Recht und Annehmlichkeiten machen träge. Trägheit ist der Feind des Abenteurers, denn im Sitzen hat noch niemand die Welt umsegelt. Ich strecke die Nase in den Wind und erhoffe mir

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eine Idee von Freiheit und weiter Welt zu erschnüffeln. Wenigstens einen Hauch von Seetang oder modernden Holzes, das eine unbarmherzige Strömung angespült hat, hier an der Küste der Ostsee. Ich bereite mich vor auf mein Treffen mit einem waschechten Kapitän zur See, der so viel erlebt hat, dass es selbst bei Karl May für mindestens fünf Leben gereicht hätte. Kapitän Jürgens spricht sehr leise. Überhaupt ist der Mann, der auf über 20 Schiffen die ganze Welt gesehen hat, von angenehmer Zurückhaltung. Hanseatisch würde man es wohl nennen, wenn ein Klischee bemüht werden soll. „Angeboren“ nennt es der Käptn und meint damit einen Wesenszug, der eher die Seeleute eint als die Hanseaten: Zurückhaltung, Ausgeglichenheit, Bescheidenheit. Dabei ist Hans-Peter Jürgens doch so etwas wie der fleischgewordene Traum eines jeden Kindes, das noch nicht zwischen Playstation-Realitäten und Gewaltphantasien sozialisiert wurde. 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schifft der damals 15-jährige als Schiffsjunge auf der gewaltigen Viermastbark Priwall ein, die damals im Ruf steht, eines der schnellsten Schiffe auf den Weltmeeren

»Mikroreisen können strukturell kaum weniger kompliziert sein als das Befahren der Weltmeere.« zu sein. „Ein ordentliches Schiff sollte es sein“, erzählt Jürgens heute, 70 Jahre später. Sein Vater, der ebenfalls zur See fuhr, hatte es so verfügt und den Nachwuchs auf eben jener Priwall untergebracht. Und so fängt es an, Jürgens‘ bewegtes Leben zur See. Inzwischen wurde es zweimal aufgeschrieben. Einmal von ihm selbst und jetzt noch mal vom Reporter Stefan Krücken, der ebenfalls bei unserem Termin dabei ist. „Sturmkap“ hat der sein Buch genannt, nach dem berüchtigten Kap Hoorn. Dort, wo am Südzipfel Südamerikas Pazifik und At-

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MENSCHEN

»Wenn der Kapitän über die Förde auf sein bewegtes Leben blickt, würde man sich all die Geschichten, die Krücken aufgeschrieben hat, am liebsten noch einmal selbst erzählen lassen.« lantik aufeinander treffen und gemeinsam ganzjährig für denkbar ungemütliche Bedingungen sorgen, führt Jürgens‘ erste Reise vorbei. Und das Kap lässt sich nicht lumpen, fährt sein gesamtes Repertoire an Gemeinheiten auf. Wochenlang kämpft die Besatzung gegen Wetter und Strömung, nasses, scheuerndes Ölzeug und permanente Unterkühlung. Solange quält und tritt und martert das Kap die Priwall, bis der Schiffsjunge an der Reeling steht und mit dem Gedanken spielt, den Kampf aufzugeben. Nach drei Wochen Zickzack-Kurs landet die mächtige Viermastbark doch noch im chilenischen Valparaiso und das erste Abenteuer ist

überstanden. Das alles passiert in Krückens Buch noch im Prolog. Was jeden Süßwassermatrosen nach überstandener Tortur für alle Zeit vom nassen Element entfremden und zum tiefgläubigen Katholiken erziehen würde, ist für Jürgens eine erste Idee dessen, was die kommenden 50 Jahre sein Fahrwasser kreuzen soll. Auf der dem „Captain´s Club“ noch beigelegten CD wird eben jenes Kapitel von dem ewig seligen Jan Plewka gelesen und noch ein bisschen greifbarer gemacht. Als seine Frau das zweite Kind zur Welt gebracht hat, ist es vorbei mit der Großen Fahrt. Aber wenn man Familie


hat, ändert sich nun mal einiges im Leben. Schon wieder diese Lakonie. Oder ist es vielleicht eine Form der Demut? Vor dem Leben, den Elementen und den eigenen Grenzen? Man wird leicht theatralisch, wenn man mit jemandem spricht, der in seinem Leben mehr als einmal dem Tod getrotzt hat. Zumindest einmal mehr als viele, viele seiner Kameraden. Ob man nicht zermürbt wird, wenn man ständig zwischen Leben und Tod hängt, frage ich den Kapitän. „Das merkt man nicht. Man merkt entweder das eine oder das andere. Dazwischen gibt es nicht“, sagt er und setzt wieder ein Schmunzeln auf. Man mag nicht glauben, dass es wirklich so einfach ist. Wenn der Kapitän über die Förde auf sein bewegtes Leben blickt, würde man sich all die Geschichten, die Krücken aufgeschrieben hat, am liebsten noch einmal selbst erzählen lassen. Von der stürmischen und lebensgefährlichen Umsegelung des Kap Hoorn, den Bären in Kanada, den abenteuerlichen Fahrten auf der „Erlangen“ und der Gefangennahme in Sierra Leone, den langen Jahren der Kriegsgefangenschaft und der Sache mit dem Schnaps im Hafen von London. Und würde man nachfragen, Jürgens würde es wohl tun. Auf der Kieler Förde läuft ein gewaltiges Ungetüm von Lastschiff aus. Wohin es fährt? Man weiß es nicht. Wann es ankommt, kann man sicher jetzt schon irgendwo erfragen, wahrscheinlich minutengenau. Gute, alte Zeit. Zuhause hat er alle Schiffe, auf denen er in all den Jahren gefahren ist, als Miniaturen gesammelt. Chronologisch angeordnet stehen sie da: die Priwall, die Erlangen, die Helga Schröder, auf der er mit beinahe perforiertem Rumpf durch den Golf von Biskaya gefahren ist, und all die großen Lastkähne, auf deren Brücken er die Weltmeere durchfahren hat. Er zeigt Bücher, die er geschrieben hat. Das über sein Leben, eines über die Geschichte des Walfangs und zahlreiche Kataloge über seine Ausstellung. „Damit Sie auch wissen, mit wem Sie es zu tun haben“, sagt er immer wieder und meint es aber überhaupt nicht so. Stefan Krücken hat Kapitän Jürgens mit „Sturmkap“ ein Denkmal setzen wollen und das ist ihm gelungen, auch wenn der Geehrte das gar nicht so gerne hört. So außergewöhnlich sei das doch alles

gar nicht gewesen, es war halt nun mal so und auch eine andere Zeit. Nun gut, ein bisschen Abenteuer sei ja heute auch noch dabei, aber die Kapitäne seien ja zu besseren Busfahrern degradiert worden. Immerhin: „Man kann wohl sagen, dass ich gelebt habe“, sagt Jürgens und schmunzelt. Als ich mich verabschiede, weist mich der Kapitän mehrfach auf die im Dunkeln schwer zu sehenden Stufen vor seinem Haus hin. „Ha“, denke ich mir. „Ich habe in meinem Sessel die Welt umsegelt, Piraten, Meuterei,

Dem Ankerherz-Verlag gebührt die Hochachtung und Anerkennung eines jeden wahren Bücherfreundes. Nicht nur inhaltlich, sondern auch haptisch sind die beiden bisher erschienenen Bände „Orkanfahrt“ und „Sturmkap“ genußvoll zu lesen. Im Leineneinband, fadengebunden, betriebswirtschaftlich eigentlich wahnsinnig dieser Tage und am Ende doch die einzig adäquate Aufmachung, um die Geschichten, die sich Stefan Krücken von Kapitän Hans-Peter Jürgens hat erzählen lassen, einzukleiden. Die Verpackung ist die physische Entsprechung des Inhalts: greifbar und spannend. „Sturmkap“ ist eine Sammlung von Geschichten und Anekdoten aus dem spannenden Leben eines Menschen, der so viel erlebt hat, dass es früher Heldendichter jahreweise in Lohn und Brot gehalten hätte. Krücken versammelt die Seefahrtskarriere des Kapitäns auf 232 Seiten und schafft es, eine Atmosphäre zu erzeugen, die schon beim Lesen für nasse Füße sorgt.

Krieg.“ Von einer Stufe lasse ich mich nicht mehr aufhalten. Es ist spät geworden und noch kälter. Der Zug hat Verspätung. Es sind die Tage der großen ICE-Flaute von 2008. Zeitpläne werden durcheinander geworfen. Frust, Kälte, Hunger. Ich trinke noch einen Kaffee und freue mich auf Zuhause. Das Reisen überlasse ich doch lieber anderen. Davon erzählen lasse ich mir aber trotzdem noch gerne. Von Kapitän Jürgens, Diane Weigmann, Ole Soul und all den anderen.

Ferryhouse hat auf „Captain´s Club“ eine illustre Mannschaft versammeln können und einen stilistischen Spagat gewagt, den mancher vielleicht auch als Konzeptlosigkeit begreifen kann. Selbstkompositionen maritimen Inhalts treffen auf vielfach aufgewärmte Genreklassiker wie den „Hamburger Veermaster“, stilistisch geht es vollkommen durcheinander. Keiner der Künstler wird in ein Korsett gepresst, jeder macht eigentlich genau das, was von ihm erwartet wird. Unterstellt man, dass die Konzeptlosigkeit Konzept ist funktioniert die Sache allerdings. Sicher, die Idee eines solchen Samplers von Neuinterpretationen ist nicht neu. Aber wie schnell wird so was auch mal richtig peinlich? Zum Beispiel wenn das mit dem Name Dropping übertrieben wird und Unmotivierte vorgefertigte Standards runterrasseln. Hier geht es privater zu, man kennt und schätzt sich und die Künstler schaffen es beinahe allesamt, die Songs zu ihren eigenen zu machen – wenn sie es nicht sowieso schon waren. EL*KE rocken, Mutzke säuselt, Weigmann lächelt sich durch „Störtebeker“ und Nena ist halt einfach Nena. Der Freund des deutschen Pop findet hier sein Schlaraffenland. Nicht mehr, nicht weniger.

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IMPRESSUM What‘s next? April 2009 Noch mehr Weiblichkeit im Wahlkampf Miriam Schaaf macht Design für Bekleidung "Verschlimmbessern" Die Kolumne von Nilz Bokelberg Alev Lenz und die leisen Töne "Um nichts vorwegzunehmen, aber..." Die Literaturkolumne von Roman Libbertz

Herausgeber: Berger, Blersch, David & Finke GbR Chefredakteur: Johannes Finke Art Director: Tobias Blersch Direktor of Photography: Matthias David Grafik: Romy Berger Redaktionsleitung: Till Erdenberger Musik & Film: Teresa Mohr Mode & Politik: Teresa Bücker Mode & Musik: Sophia Hoffmann Literatur: Roman Libbertz Autoren: Nilz Bokelberg, Peter Blank, Teresa Bücker, Till Erdenberger, Sophia Hoffmann, Stefan Kalbers, Johannes Finke, Teresa Mohr, Jan Off, Robert Stadlober, Till Wilhelm, Magdalena Vukovic Fotografen: Matthias David, Svenja Eckert, Norman Konrad, Katja Kuhl, Ralph Larmann, Bella Lieberberg, Lucja Romanowska und Arne Nova, Bernhard Wolff Lektorat: Christian Müller Online: Mario Meißner „Indierock unter der Armutsgrenze“ Fotos: Florian Wieser (www.shootingmusic.com) Styling : Stella Nagasaki „Blind but beautiful“ Idee & Interview: Magdalena Vukovic Assistenz: Denise Burkhard Fotos: Bernhard Wolff Assistenz: Martina Stephan Agentur: Anja Wiroth

Neuer Boulevard: aktueller Klatsch und Trash

„Pilgerstätten – Seid dann mal weg!“ Fotos: Daimler-Museum Stuttgart: Svenja Eckert, Wacken Open-Air: Ralph Larmann, Grab Dörflein: Arne Nova, Klagemauer: Bella Lieberberg, Scientology Berlin: Arne Nova Text: Johannes Finke

Herbert Achternbusch und seine Filme

Vertriebsleitung: Stephan Ganzel

Das Münchner Musik-Label ECM Maximilan Hecker nimmt dich an die Hand

Druck: Johler Norddruck GmbH Gadelander Straße 77 | 24539 Neumünster | www.johlernorddruck.de Vertrieb: asv vertriebs gmbh Süderstraße 77 | 20097 Hamburg | www.asv-vertrieb.de Aboservice: abo@blank-magazin.de Abonnement (jährlich, 10 Ausgaben): 34.- Euro (Schüler, Studenten, Journalisten, Rentner, ALG I, ALG II gegen Nachweis 29,50 Euro) Preise inklusive 7 % Mehrwertsteuer Anzeigen & Marketing: 030 44 31 80 41 Internet: www.blank-magazin.de Redaktionsanschrift: BLANK | Postfach 02 10 02 | 10121 Berlin Tel: 030 44 31 80 41 | Fax: 030 44 31 80 42, info@blank-magazin.de Steuernummer: 34/231/53026 Finanzamt Berlin Mitte/Tiergarten Auflage: 10.000

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LESER

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REGISTER Persönlichkeiten im heft A Al Deen, laith Augstein, Jakob

B Baader, Andreas Baez, Joan Barrymore, Drew Bätzing, sabine Beck, Volker Beckenbauer, franz Becker, Boris Beckstein, Günther Binzer, Jesper Bohlen, Dieter Brendel, sarah Brönner, till Bronsky, Alina Buback, siegfried

c capote, truman christiandl, stefan clemens, Gregor cobain, kurt cody, Diablo

D Davies, Adam Diaz, cameron Dijan, Phillip Dixon, Olly Dörflein, thomas Dorn, Dieter Dylan, Bob

21 59 67 XV Xii, Vii 57 XiV 19, 23 57 57 59 Xiii 64 21

34 49 XiV 57 34

32, 36 24 32 54 10 24 59

e easton ellis, Bre eichel, christine

32 XVi

f faldbakken, matthias furler, sia kate isobelle

34 XVii

G Garrn, toni Geller, Uri Greenwood, chris

h haider, Jörg hamnett, katherine

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69 34

39, Xiii 58 60

23 Xiii

hepburn, katherine herzsprung, hannah

36 Xiii

J Johnson, Jack Jürgens, hans-Peter

59 70

k kalbers, stefan 65 kaminer, Wladimir 64 kern, Bernhard 51 kerner, kilian 39ff, Xiii kerssenberg, lilly XiV klatten, susanne XVi knüpfer, Julia Xiii koch, roland XV kraus, karl 30 kretschmann, thomas XiV krücken, stefan 70 kutcher, Ashton 24

l lawton, tim lee, harper lobo, sascha loder, mario loock, Wolfgang

54 34 32 49 67

m mang, Dr. Werner l. may, karl mc keehan, toby meinhof, Ulrike merkel, Angela mey, reinhardt michalsky, michael mørk, christian möstl, Wolfgang mraz, Jason mulligan, robert müntefering, franz mutzke, max

13 70 60 21 XVi 59 Xiii 34 49 59 34 XVi 69

n nahles, Andrea

XVi

O Obama, Barack Off, Jan

9, X 34

P Peck, Gregory Pitt, Bratt Plewka, Jan

34 67 69f

r raab, stefan ralph, marc ricketts, tyron roche, charlotte roth, claudia

23 54 49 28 Vii

s schleyer, hanns-martin 21 schwarzenegger, Arnold 49 siebert, tobias 51, 53 söllner, hans 19 sontag, michael Xiii spitz, malte Viii stadlober, robert 51 starr, Darren 32 stegner, Julia XiV stoiber, edmund X

t timberlake, Justin

45, 59

V Von Däniken, erich 65 Von der leyen, Ursula XiVf, XiV

W Wader, hannes Wagenknecht, sahra Weigmann, Diane Wilhelm, Bernhard Willis, Bruce Winslet, kate Wright, Paul

Z Zange, Julia Zetsche, Dieter

59 17, XVi 69 Xiii 24 41 59

27 XiV


HEFT ZWEI

TiTelThema Wir glauben an das Gute Eine Einführung ins Thema von Stefan Kalbers Weiter gegangen oder Die Reise ins Gute Roman Libbertz über vergangene Zeiten mit Jessica PoliTik Grünes Gezwitscher Die Grünen 2.0 – Im Gespräch mit Malte Spitz kein Wohlfühlfaktor im weiblichen Wahlkampf Teresa Bücker macht sich Gedanken über das Wahljahr 2009 moDe maximal sieben Tage Johannes Finke über die Fashion Week in Berlin


HEFT ZWEI TiTelThema

Gehorsam zu leisten, war ich bis kurz nach dreizehn Uhr im Bett liegen geblieben. Die einzige Verpflichtung

Wir glauben an das Gute

des Tages war ein Termin beim Zahnarzt gewesen. Folg-

von Stefan Kalbers

sam machte ich mich auf den jährlichen Kreuzweg, um die Eintragung ins Bonusheft der Krankenhasse vorneh-

Die Ampel steht eindeutig auf Rot. Schon vor vier-

men zu lassen. Niemand sollte mir vorwerfen können,

hundert Metern war das ohne jeden Zweifel klar er-

ich kümmere mich nicht um meine Zähne und sei es

sichtlich. Ich wage vorsichtig darauf hinzuweisen, eine

auch nur einmal im Jahr. Im Wartezimmer meines

Spur zu leise vielleicht. Ich weiß nicht, ob Uwe mich auf

Zahnarztes stand ein Aquarium. Einer der Fische trieb

dem Beifahrersitz überhaupt wahrnimmt. Wir rasen mit

mit dem Bauch nach oben an der Wasseroberfläche. Ob-

110 Stundenkilometer in einer Vorstadtgegend auf die

wohl ich weiß, dass man das nicht machen soll, klopfte

Kreuzung zu. Ich schließe beide Augen. Etwas anderes

ich mehrmals kräftig gegen die Scheibe. Vielleicht schlief

bleibt mir gar nicht übrig. Wir könnten seitlich gerammt

er ja bloß. Nach zwei Minuten permanenten Klopfens

werden und beide tot sein. Wir könnten einen Unfall

war ich mir aber relativ sicher, dass er tot war. Der Fisch

verursachen, sterben und andere mit in den Tod reißen.

war ein Fingerzeig des Schicksals, davon war ich über-

Wir könnten diesen Unfall aber auch schwerstbehin-

zeugt. Schon hörte ich im Geist meine eigenen Schreie

dert überleben. Querschnittsgelähmt, im Rollstuhl, ans

aus dem Behandlungszimmer. Eine Blutfontaine schoss

Bett gefesselt, Arm oder Bein verlierend und dabei noch

aus meinem Mund gegen die Decke und ich hörte den

andere, Unbeteiligte mit ins Verderben stürzen. Als ich

Zahnarzt sagen: „Komisch, dass die Spritze gar nicht

die Augen drei Sekunden später wieder öffne, sind wir

wirkt“, während die Assistentin versuchte, meine verse-

schon über die Kreuzung. Es ist kurz nach halb elf an

hentlich abgetrennte Zunge vom Boden aufzuheben und

einem Montagabend. Der Verkehr hält sich in Grenzen.

abzuwaschen. Dann wurde über die Lautsprecheranlage

An das Gute glauben bedeutet, sich darüber klar

mein Name aufgerufen. Ich glaube gern an das Gute,

zu werden, dass man einer bestimmten Situation halt-

wollte aber in diesem Fall auf Nummer sicher gehen,

los ausgeliefert ist. Von allen üblen Konsequenzen tritt

zog meine Jacke wieder an und schlich aus der Praxis.

einem die schlimmstmögliche klar vor Augen. Aber

Auf dem Heimweg meinte ich erstmals seit Jahren ein

wer von uns ist schon gern machtlos ausgeliefert? Die

Ziehen in der unteren Mundpartie zu spüren. Dass sich

Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt. An das Gute

ausgerechnet jetzt ein Loch im Zahn bemerkbar machen

zu glauben bedeutet, sich mit großen Schritten über die

sollte, war lachhaft unwahrscheinlich. Möglicherweise

Vernunft hinweg zu setzen. Sich dümmer zu stellen, als

war es aber ein Krebsgeschwür im Unterkiefer. Auf die-

man ist. Wenn man kurz davor ist, verrückt zu werden

sen schreckhaften Gedanken zündete ich mir erst mal

oder zu verzweifeln, stellt sich dieser Glaube von ganz

eine Kippe an. Wenn ich Krebs im Unterkiefer haben

allein ein. Und wer weiß? Wenn man nur fest genug da-

sollte, konnte mir der Lungenkrebs auch nichts mehr

ran glaubt – vielleicht stellt sich dann auch das Gute von

anhaben. „Hier muss es irgendwo sein“, sagt Uwe. „Kannst

ganz allein ein? Uwe ist stark alkoholisiert. Ein Wunder, dass er die

du die Straßennamen lesen?“ Dabei blickt er hektisch

Kontrolle über den Wagen noch nicht verloren hat. Aber

um sich. Ich mache mir erst gar nicht die Mühe zu ant-

was nicht ist, kann ja noch werden. Ich kralle meine

worten, er würde doch nicht auf mich hören. „Ich bring

Finger in den Sitz, danke den Autoherstellern für die

den Typen um“, schreit Uwe. „Ja ja“, denke ich, aber

Erfindung des Gurtes und die Einführung des Airbags,

genau um das zu verhindern, bin ich mit in den Wagen

auch für den Beifahrer.

gestiegen. Was war passiert? Eine Frau war schwanger geworden. Nichts Ungewöhnliches, sollte man meinen.

Dabei fing der Tag gar nicht so schlecht an. Bei der

Uwe sah das allerdings anders.

Arbeit war endlich Gelegenheit, die Überstunden abzu-

„Mensch, freu dich doch“ hatte ich gesagt und

feiern. Anstatt wie ein Sklave dem Befehl des Weckers

II


HEFT ZWEI hätte dafür fast eine Ohrfeige kassiert.

hat man dir immer krumm genommen. Du könntest

„Sie ist 57“ hatte Uwe geschrieen.

nicht vertrauen, hieß es. Sie nehme extra für dich die

„Na und?“

Pille, hieß es. Während deine Kumpels Streit bekamen,

„Und sie ist meine Mutter!“

weil sie n i e einen Gummi benutzen wollten, gab es bei

„Dann kriegst du eben einen Bruder“, hatte ich re-

dir Streit, weil du i m m e r auf einen Gummi bestanden hast. Dann kam das Misstrauen, ob du etwa fremdge-

sümiert.

hen würdest. Es folgten harte Diskussionen. War der

„Ich will keinen Bruder! Und meine Mutter auch

Gummi dann durchgesetzt, plagten dich Geschichten,

nicht!“ Nun, streng genommen bekam die Mutter ja auch

die du gehört hattest. Man könne mit einem Nadelstich

keinen Bruder. Das behielt ich aber für mich, musste ich

im Vorfeld oder durch den geschickten Einsatz von Zäh-

doch einsehen, dass Uwe im Moment geistig nicht ganz

nen während des Aktes die Vaterschaft doch noch er-

zurechnungsfähig war.

zwingen. Trotz Gummi. Von da ab hast du nur noch auf

„Dieser Typ, wie heißt er doch gleich?“ fragte ich.

den Hintereingang bestanden und als Folge davon bist

„Hans!“ brüllte Uwe. Aus seinem Mund klang es

du Single geblieben. Bis vor kurzem. Jetzt glaube doch einmal an das Gute, hast du dich selbst ermahnt. Glaub

fast wie „Hass.“ „Also, vielleicht sollte Hans…“

an die Liebe. Glaub an das späte Glück. Hör einmal auf,

„Dieser Mutterficker!“ schrie Uwe.

so misstrauisch zu sein. Die Frau hat ihre Wechseljahre

„… das mit deiner Mutter besprechen, ohne dass du

längst hinter sich. Dachte ich zumindest. Und jetzt das. Dieses biologische Wunder. Am besten bringe ich mich

den beiden reinredest.“

um.“

„Auf welcher Seite stehst du eigentlich?“ Sprachs

Dann klingelt es an der Wohnungstüre. „Wer kann

und griff nach den Autoschlüsseln.

das sein?“, fragt sich Hans, drückt auf den Öffner und

Ich stehe auf der Seite der Paranoia, auf der Seite des

geht nachschauen.

Misstrauens, welches in einer Realität, die sich ständig zu verschieben scheint, eine legitime Vorsichtsmaßnahme verkörpert. Ich stehe auf der Seite der konservierten

„Ich habe ihn!“, schreit Uwe und drückt auf die

Enttäuschung, die eine Schutzhaltung darstellt, wenn

Klingel. Kaum gibt der Summton die Türe frei, sprintet

man dünnhäutig geboren wurde und heftiger Anfein-

er bereits die Treppe nach oben. Uwe ist Einzelkind. Tei-

dung ausgesetzt war. Ich stehe auf der Seite von Grau,

len hat er nie gelernt. Seit sein Vater gestorben ist, sieht

weil die Welt nicht nur weiß oder schwarz ist, sondern

er sich als neuer Mann im Haus. Dass seine Mutter auch

immer ambivalent. Abgesehen davon. Warum soll ich

ein Privatleben hat, gut ohne ihn zurechtkommt und

mich für eine von zwei Seiten entscheiden müssen? An

über seine Beschützerhaltung milde lächelt, ist leider nie

das Gute glauben bedeutet manchmal vielleicht auch,

bis zu ihm vorgedrungen. Alles was Uwe sehen kann, ist

sich in ein Auto zu setzen und abzuwarten, ob man noch

ein fremder Mann, der die Familie kaputtmachen will.

gebraucht wird.

Aber er glaubt an das Gute. Vielleicht ist das Kind so stark behindert, dass seine Mutter freiwillig abtreiben

Hans unterdessen läuft in seiner Wohnung auf und

wird. Vielleicht kann er den Typ so geschickt ins Jenseits

ab. Muss er dringend auf die Toilette? Nein! Er ficht

befördern, dass es wie ein Unfall aussieht und man ihn

einen Kampf mit seiner inneren Stimme aus, die da

nicht belangen kann. Alles soll bleiben wie es ist. Denn

spricht:

so wie es ist, ist es gut. Daran glaubt Uwe und streift sich den Schlagring über.

„Hat dir Geschlechtsverkehr eigentlich jemals einfach nur Spaß gemacht? Immer dieser Stress mit der Verhütung. Aus Angst vor der mystisch verklärten Va-

Die Mutter unterdessen schaut auf die Uhr. In fünf

terwerdung hast du stets auf ein Kondom bestanden. Du

Minuten wird sie Hans anrufen und damit gleichzeitig

hast es noch nie ohne gemacht, außer mit dir selbst. Das

auch ihren Sohn erreichen. Es war höchste Zeit, dass

III


HEFT ZWEI Lass dir von früher erzählen. Es waren andere Bilder

die beiden sich kennen lernten. Die beiden Männer wa-

als heute.

ren schon jeder für sich eine Festung aus Misstrauen. Dass es hier ohne Konflikte nicht gehen würde, stand von Anfang an fest. Doch sie glaubt fest daran, dass

6 Uhr 20. Der Himmel konnte sich noch nicht für

Uwe und Hans gut miteinander auskommen werden.

ein Wetter entscheiden, allerorts Gähnen und ich hatte

Ich habe keine Lust mehr, allein zu sein. Und Uwe muss

ein wenig Schlaf in den Augen, als der Motor ansprang.

endlich selbstständiger werden. Raus aus der Bude. Eine

Los! Reifen fraßen gierig die Asphaltmeter Richtung

Veränderung muss her, denn Veränderung ist gut. Da-

Süden, während eine von mir aufgenommene TDK-

ran glaubt Uwes Mutter. Sie greift zum Hörer, bereit,

Kassette aus dem Radio erklang. „Close to you“; „Un-

ihre Notlüge aufzudecken. Zur Abwechslung könnten

break my heart“; „Torn“; „The drugs don’t work“. 365

doch die Dinge auch mal so gut ausgehen wie im Mär-

Kilometer, an der Raststätte der erste Espresso, obwohl

chen. Und wenn sie nicht alle gestorben, unglücklich

keinem von uns Kaffee ernsthaft schmeckte, dazu je-

zerbrochen oder abgrundtief enttäuscht sind, dann le-

der eine „Muratti“-Zigarette, ein Panini, viel Lachen,

ben sie noch heute.

Fahrerwechsel und weiter. Die Luft wurde wärmer und nach zwei weiteren Stunden erreichten wir den Gardasee. Unzählige Geschichten über dieses Fleckchen Italiens. Lazise. Wir nahmen uns ein luxuriöses Hotel,

TiTelThema

denkste, zu teuer, viel zu teuer, also eine Pension, ein Viererzimmer. Stimmungsmäßig war dies nicht abträg-

kapitel: Weiter gegangen oder Die Reise ins Gute

lich, denn alles ist neu, wir selbständig und es immer

von Roman Libbertz

noch Sommer gewesen. So sah man uns vier breit grinsende Jugendliche mit grünen Ohren gemeinsam am See

Sommerferien, die letzten meiner Schulzeit. Jessica,

entlang spazieren, vorbei an den Eisdielen, Ringever-

Daniel, Michael und ich, alle achtzehn, ein Umstand,

käufern, Hütchenspielern, während die Welt in goldenes

der uns das Fahren von Automobilen ermöglichte. Nicht

Sonnenlicht getaucht und ich auch dabei war. Gemein-

irgendeinen Wagen, einen Golf, natürlich, genau 1998.

schaftskasse 1760 Mark. In einer Pizzeria bestellten wir

In der Nacht vor unserem Aufbruch übernachteten

in gebrochenem Italienisch, obwohl das gesamte Lokal

wir bei uns zu Hause, selbstverständlich in getrennten

und, wie wir bald feststellen mussten, der gesamte Ort

Zimmern. Sie, Jessica, die von einer Photographiekar-

sich in fester Hand unserer Mitbürger befand. In den

riere träumte, er, Daniel, der sich dem Wirtschaftswe-

abendlichen Telefonaten erzählte ich meiner vier Wo-

sen, allein durch die Einstecktücher für jeden sichtbar,

chen auf Austausch in Amerika weilenden Liebsten mit

zu verschreiben gedachte, er, Michael, mit der Brille,

aufgeregter Stimme von all den vielfältigen Eindrücken.

mein bester Freund, der über Gott und die Welt BeLass dir von früher erzählen. Im Innersten der ju-

scheid wusste, die Schule aus dem Ärmel schüttelte,

gendlichen Seele ist es immer leinwandweiß.

aber meiner Meinung nach von der Außenwelt nicht ausreichend anerkannt wurde und ich, ich. Eine Nacht gemeinsam in meinem Elternhaus, dass im Grunde kein

Der Morgen der Entscheidung, halt, ich erwachte,

Haus war, jedoch über genügend Zimmer verfügte, um

streckte unwillentlich meinen Arm aus und von der Ma-

derart tituliert zu werden. Die funkelnden, erwartungs-

tratze neben mir rollte sie ganz nah zu mir. Ich roch ih-

frohen Augen, die Gemeinschaftskasse mit 2000 Mark,

ren Schlaf, aber mehr, ihr Feuer, ihre Leidenschaft und

die Holztreppen, sowie die Bodendielen musizierten auf

auch ihre Idee von einer Affäre. Kurz sog ich noch den

ihre Art als wir zu Bett gingen und die Nacht legte einen

Geruch ihrer Haare auf, bevor ich meinen Arm entfern-

kühlen Umhang über die Stadt, das Land und unsere

te und ins Bad ging. Wasser ins Gesicht, raus hier, weg

Träume.

hier. „Ich glaube, wir sollten uns tiefer in den Süden

IV


HEFT ZWEI schlagen.“ Dreimaliges Nicken. Kurs auf Mailand und

derten von Haarwurzeln, was ein kitzelndes Gefühl in

zum Glück saß Michael neben mir auf dem Beifahrer-

meinem Unterleib hervorrief. „Du wirst mit mir sicher

sitz, denn Gedanken über Treue, oder explizierter, ob

nicht untreu. Und jetzt lass uns schlafen, du Spinner.“

ich ein Leben lang ein treuer Mensch sein wollte, beseel-

Ich gehorchte. Zusammen in getrennten Betten, die je-

ten meinen kindlichen Kopf. „Torn“, wie immer wurde

doch aus Platzgründen eng zusammen standen. Sie strei-

es bei diesem Lied still, sehr still, um bei „lying naked

chelte über meine Schulter und unter der Decke wölbte

on the floor“ vierkehlig zu brüllen. Gemeinschaftskasse

sich etwas aus meiner Lende. Schlaf.

1540 Mark. In der Stadt der Mode ergatterten wir für 130 Mark zwei Doppelzimmer. Jessica wollte mit mir

Lass dir von früher erzählen. Nicht nur junge Men-

nächtigen. Ausgefuchstes Luder, doch ihre Rechtferti-

schen besitzen mehrere Farben, jedoch vergessen wir

gung überzeugte uns alle. Sie kannte mich seit längerer

das von Tag zu Tag mehr.

Zeit, Daniel kaum und niemand sollte sich auf unserer Reise eingeengt fühlen. Am Abend betranken wir uns

Der nächste Tag, ein Tag vor einem Tag, nach einem

ordentlich, sie, nicht ich, denn Alkohol war mir zu die-

Tag. Ich atmete schwerer. Statt mit den Anderen ausgie-

ser Zeit nur bitter, brennend und sämtlich fern. Wir tin-

big zu frühstücken, gingen Michael und ich in den Dom.

gelten durch ein Dutzend modrig riechender Diskothe-

Eingehend besprachen wir Jessica. Nicht, dass ich dieses

ken, tanzten zu unsäglicher Euro-Beat-Musik und ich

Sujet wählte, aber wie es sich gab, schien er sich verliebt

gab den nüchternen Aufpasser. Die Nacht verlief ohne

zu haben, kam ins Schwärmen, beschrieb sie einem En-

Komplikationen, bis auf meinen Darm. Magenkrämpfe

gel gleich und offenbarte sein entflammtes Herz. Meine

und Winde, welchen ich Einhalt gebot.

Zähne verbissen sich unter dem Druck seiner ausschweifenden Beschreibungen auf meiner Unterlippe. Vier Men-

Lass dir von früher erzählen. Die Welt der Heran-

schen, darunter eine Frau, das ist wie Wasser nach den

wachsenden ist so bunt, dass man kaum die Pinselstriche

Kirschen! Ich musste, konnte nicht, musste und erzählte

sieht.

ihm schließlich von den Annäherungen mit ihr. Er war froh, dass ich nicht weiter gegangen war und beschwor

Am nächsten Tag selbstverständlich Kleidungs-

mich, meiner Freundin treu zu bleiben. Sein Reden nicht

stücke begutachten, Sehenswürdigkeiten abklappern

gänzlich unegoistisch, aber es war das Beste, fühlte sich

und mehr und mehr zu einer eingeschworenen Rassel-

zumindest so an.

bande zusammenwachsen. Wir gegen die Welt! In der

40 Grad zwischen Beton, kein Meer in Sicht. Was

Nacht fand ich keinen Schlaf, setzte mich, betrachtete

machen wir bei solch einer Hitze in der Stadt? Ein-

ihr Gesicht im einfallenden Mondlicht und die Rolex-

packen, zahlen und auf das Gaspedal. „Torn“ zweimal

Reklame auf der gegenüberliegenden Straßenseite. 3 Uhr

vierkehlig. Gemeinschaftskasse 1230 Mark. Juxe mit

früh. „Hey, wach mal auf.“ „Was ist denn?“ „Nichts,

den südländischen Beamten an den zahlreichen Maut-

aber ich glaube ich muss dir was sagen.“ „Was denn,

stellen und der metallene Autolack blitzte. Wir flitzten

ich schlafe doch.“ „Ach nichts.“ „Jetzt sag schon.“ „Ich,

die E62 hinunter, flogen an Piemonte vorbei und erreich-

ich, ich will treu sein, glaube ich.“ „Das ist schön.“ Sie

ten Genua im Abendrot. Michael versorgte uns mit den

stand auf und ging ins Bad. Ein Stein von meinem Her-

nötigen Details, eine Hafenstadt mit vielen Ecuadori-

zen. Ich werde mein Leben lang nicht zum Hintergeher,

anern, weiter schenkten wir seinen strebsamen Aus-

Betrüger! Das fühlte sich gut an. Die Tür ging auf, sie

führungen keine Beachtung. Ich bog auf die E80 ab

kam zu meinem Stuhl, ein leichter Windstoß spielte mit

und da lag es, das feuerrote Meer, begleitet von Freu-

ihren Haaren, ich spürte ihre rote Jogginghose an mei-

denschreien im Inneren. Zwei Fotokameras klickten

ner Schulter, blickte auf die sich unter ihrem Top deut-

und dann rumms. Was war denn das? Scheiße, ich

lich abzeichnenden Nippel, sie ließ ihre Finger durch

hatte das Steuer des Autos von Daniels Mutter ver-

mein Haar fahren und riss für einen Moment an hun-

zogen und die Leitplanke geschrammt. „Aussteigen,

V


HEFT ZWEI sofort“ brüllte er. Eine halbe Stunde verfluchte mich

Entkräftet und hungrig wie nie zuvor auf unse-

Daniel, ich mich, die anderen Daniel und mich und

rer Reise stürmten wir in eins der rustikalen Restau-

schließlich wir alle Daniel, der daraufhin klein bei-

rants. Der Kellner ein Spaßvogel, er steckte uns aber

gab. Zwanzig Minuten der nächste Stopp. Tanken.

mit seiner lebenslustigen Einstellung rasch an. Mee-

Michael

Gemeinschaftskasse.

resfrüchte mit Spaghetti, dann ohne Spagetthi und

1020 Mark. Mist, erst jetzt bemerkten wir das „Chi-

schließlich nochmals mit Spaghetti. Dazu kredenzte

uso-Schild“. Die Tankstelle hatte bereits geschlossen.

unsere Bedienung einen regionalen Rotwein und ihm

Nur 5 Kilometer bis zum nächsten Dörfchen, aber

gelang es sogar, mich zu dem bitteren Traubenwein

Serpentinen, das schaffen wir, schafften es. Vernazza,

hinzureißen. Der Mond strahlte über unseren Köp-

ein malerisches Fischerdörfchen an der Rivieraküste.

fen, Insekten schwirrten um die Straßenlaternen und

Ich stieg aus und erschrak. Der Tankdeckel stand of-

das Meer rauschte. Wir alle atmeten. Gemeinschafts-

fen. Mist, Mist. Ich Trottel hatte den abgeschraubten

kasse 830 Mark. Zur Abendunterhaltung stand nur

Tankverschluss auf der Zapfsäule vergessen. Michael

der Zug nach La Spezia zur Auswahl, weshalb wir

forderte eine sofortige Rückholaktion. Ich war dage-

einfach sitzen blieben, sitzen blieben und sitzen blie-

gen, aber gemeinschaftlich wurde beschlossen, dass

ben. Ich spürte ein ungewohntes Kribbeln in meinem

wir umkehren, während sich Jessica und Daniel be-

Kopf, und auch meine Gliedmaßen bewegten sich nur

reits um die nächtliche Unterkunft bemühen sollten.

noch prozentual so, wie ich es wollte. Das war also

überschlug

unsere

der sagenumwobene Suff und wenn ich mich schon einmal in diesem Zustand befand „dann nehmen wir

Lass dir von früher erzählen. Damalige Fehltritte

doch den Zug und verwandeln diesen Abend in eine

sind dunkle Flecken auf lebendigen Gemälden.

Ode“. Keiner wollte mir folgen. Ich kotzte gedanklich Mit dem nahezu letzten Tropfen Benzin erreichten

und dann wirklich. Mitten auf den Marktplatz setz-

wir, nach erfolgreicher Mission und darauf folgenden

te ich einen großen Berg aus bordeauxroten Nudeln.

unzähligen Gebeten, die waldeingeschlossene, holpri-

Peinlich. Ich blickte mich um und war auf einmal

ge Bergstrasse hinab, erneut Vernazza. Ein kleiner

alleine. Wo waren sie hin? Ach ja richtig, sie hatten

Marktplatz mit altehrwürdigen Häusern in salzabge-

sich lachend, wie ebenso angeekelt zu Bett begeben.

tragenen Wandfarben, an dessen Ende sich die Wel-

Mein Mund schmeckte säurig. Ein wenig Rast auf

len an Vulkansteinen brachen, drei Fischrestaurants,

einer Bank vor den anstrengenden Stufen zu unserer

eine kleine gotische Kirche, ein winziger Bahnhof und

Herberge. Der Wind spielte um meine Nase und mein

eine versperrte Grotte. Jessica und Daniel teilten uns

Magen entspannte sich allmählich, als mich von hin-

mit, dass nicht ein Zimmer zu ergattern war, sie es

ten eine Hand berührte.

aber durch einen glücklichen Zufall doch möglich gemacht hätten. Ein silberner Schlüssel wurde pokal-

Ich fahre herum. Jessica steht in meinem Rücken.

ähnlich gen Himmel gereckt. Das Schloss knarrte,

Sie hat mir einen Kaugummi mitgebracht. Ich nehme

die Tür schwang auf und wir betrachteten das spär-

ihn aus ihrer Hand und habe kaum mehr als vier

lich eingerichtete Zimmer. Ein Ehebett, ein Schrank

Bissen getätigt, da zieht es sie auf meinen Schoß oder

und ein Waschbecken, mehr nicht. Keine Klagen,

ich habe sie dorthin gezogen, wer kann das schon

wir würden Bettenreise nach Jerusalem spielen, das

mit Sicherheit sagen. Meine Zunge bohrt sich tief

heißt abwechselnd jeweils zwei auf den Nebenseiten

in ihren Rachen. Wir küssen uns und Finger greifen

des Bettes auf dem Boden und zwei im Bett schlafen,

wollüstig den Körper des anderen ab. Ich nehme ihre

aber Scheiße, Jessica wollte abermals nur mit mir eine

Hand und dränge sie zur Grotte. Keine Gegenwehr.

Matratze teilen. Mit „in Ordnung, aber erst in der

Wir übersteigen die Absperrungen. Die verbotene

nächsten Nacht, heute wird das Bett überlassen“ ge-

Höhle endet mit einem großen Plateau zur anderen

wann ich Zeit. „D`accord.“

Seite der Bucht ins Freie. Es stinkt bestialisch, doch

VI


HEFT ZWEI dem Geruch gelingt es nicht, unsere Leidenschaft

Ich fahre herum. Jessica steht in meinem Rücken.

niederzuringen. Ich lege mich auf den warmen Stein

Sie hat mir einen Kaugummi mitgebracht. Ich neh-

und sie folgt. Zärtlich streicheln sich unsere Zungen

me ihn aus ihrer Hand und habe kaum mehr als vier

in der Dunkelheit. Langsam schiebe ich meine Hand

Bissen getätigt, da setzt sie sich auf meinen Schoß

unter ihr Oberteil. Krach. Mein Arm zuckt schlag-

und ich verspüre den Impuls, meine Zunge tief in

artig zurück. Was war das denn? Wieder schlägt

ihren Rachen zu bohren, aber wir küssen uns nicht.

irgendetwas dicht neben uns ein. Ein Felsbrocken?

„Zwischen uns wird nichts passieren!“ „Ich weiß.“

Steine fliegen vom Himmel! Dann ein Schrei. Ein

Ich strecke ihr meine Hand entgegen. „Freunde?“

Teppich fällt neben uns auf den Boden. Halt, das

Sie nimmt meine Hand. „Freunde!“ Wir erheben uns

ist etwas anderes. Ein leises Wimmern dringt an

und schlendern durch das kleine Örtchen. Als wir an

unsere Ohren. Ich taste mich, so schnell es mir mit

der abgesperrten Grotte vorübergehen, halte ich kurz

schwankendem Blick möglich, zu dem Gegenstand.

inne. Was sich in ihr befindet? Ich will es nicht wis-

Gott im Himmel, das ist Michael. Seine Beine sind

sen! Der Mond spiegelt sich im ruhigen Meer. Kurze

in alle Richtungen verdreht, er ist über und über von

Zeit später betreten wir unser Zimmer. Michael und

Blut bedeckt und selbst sein Kopf sieht zerschlagen

Daniel sind noch wach.

aus. Ich schreie um Hilfe. Jessica schreit nur. „Los,

Nichts löscht den Glauben an das Gute aus, wenn

renn los und hol Hilfe.“ Ich versuche Michaels Kopf

man sich in seinem täglichen Handeln bemüht, gut

zu stützen, während sich Jessicas stampfende Laute

zu sein!

entfernen. „Sag was.“ Stille. „Komm schon, sprich mit mir.“ Nur ein weit entferntes, leises Röcheln dringt aus dem Inneren seines Körpers hervor. StilPoliTik

le. Wie konnte das passieren? Er muss uns gefolgt sein. Ich blicke nach oben und sehe in großer Höhe einen mondbeschienenen Felsvorsprung. Das muss-

Grünes Gezwitscher

ten über zehn Meter sein. „Sag doch was.“ Tränen

Text und Interview: Teresa Bücker

treten aus meinen Augen. Ich fahre mir über die Stirn und sein dickflüssiges Blut verschmiert mein

Vom Sonnenschein unter Erfurts freiem Himmel

Gesicht. Meine Hand legt sich auf sein Herz. Nichts,

bekommen die Delegierten von Deutschlands Öko-

kein Ton. Scheiße, nein, dann hört mein Denken auf.

Partei in den Messehallen kaum etwas mit. Die At-

Das Meer bricht sich an den Felsen. Mein keuchen-

mosphäre auf der Bundesdelegiertenkonferenz im

der Atem. Es vergeht eine Ewigkeit bis Jessica mit

November 2008 wirkt beinahe futuristisch – kryp-

zwei Männern erscheint. „Der Mann ist Doktor.“

tonitgrüne Neonröhren erleuchten einen Säulengang,

Er schiebt mich zur Seite und ich kann nur regis-

Claudia Roth kandidiert mit einem gülden glänzen-

trieren, was geschieht. Ein paar Handgriffe, dann

den Helm aus Haupthaar erneut für den Parteivor-

bekreuzigt er sich. Zu viert knien wir am Ausgang

sitz, Volker Beck begrüßt vom Podium nicht nur seine

der Grotte und der Mond spiegelt sich im unruhigen

Freundinnen und Freunde, sondern auch seine Follo-

Wasser. Wasser tropft von meinem Kinn. Keiner sagt

wer beim Micro-Blogging-Service Twitter. Die Zu-

ein Wort.

kunft der politischen Kommunikation im Netz haben

Man sagt, alles im Leben hat etwas Gutes, aber

die Grünen im Griff, die Web 2.0-Offensive rollt seit

könnte ich die Zeit an den Tag unserer Ankunft in

langem. Die Zukunft ihrer politischen Verortung und

Vernazza zurückdrehen, würde ich nicht trinken,

ein scharf definiertes Profil scheint die Partei hingegen

nicht kotzen, nicht küssen, nicht weinen und mir

derzeit zu suchen: Als Scharnier einer Koalitionsbil-

nicht seitdem die Schuld für seinen Tod geben. Schuld

dung nach der nächsten Bundestagswahl ist es für die

löscht den Glauben an das Gute aus!

Partei kein Kinderspiel, sich innerlich entlang einer ge-

VII


HEFT ZWEI meinsamen Linie aufzustellen und diese plakativ nach

geht, die aus der Mitte einer Partei gewachsen ist und

außen zu kommunizieren. Ein klares Ja zum Atomaus-

vor allem wie effektiv sie im Vergleich zu Strategien

stieg, dennoch Liebäugeln mit einem schwarz-grünen

wirkt, die von Agenturen für den Erfolg beim Wähler

Bündnis. Die Grünen pendeln zwischen den jungen

entwickelt worden sind. Wir haben mit Malte Spitz

Wilden und der neuen Bürgerlichkeit der Postmateri-

über seine politische Arbeit, seine Partei sowie Wahl-

alisten.

kampf und Web gesprochen.

Eine möglicherweise zukunftsentscheidende Sache funktioniert bei den Grünen allerdings besser als bei

BlaNk: Herr Spitz, woran glauben Sie persönlich? An

anderen Parteien: die Nachwuchsförderung, die Re-

welchen Werten orientiert sich Ihr politisches Handeln?

krutierung der eigenen, politischen Elite, die Kommu-

malTe SPTZ: Ich habe einen persönlichen Werte-

nikation mit der Jugend auf Augenhöhe. Der Parteitag

Kanon. Dieser ist mit Sicherheit durch meine Sozialisa-

von Bündnis90/Die Grünen fällt optisch nicht etwa

tion geprägt, ich war in einem evangelischen Kinder-

aufgrund der vereinzelt für einen Platz in den Haupt-

garten und später auf einem katholischen Internat.

nachrichten strickenden Jungs oder der Frau mit dem

Mein Werte-Kanon speist sich aber nicht nur aus der

grünen Kopftuch aus dem Rahmen; auch den Stereo-

christlichen Religion. Mein politisches Handeln ist

typ des Ökos sucht man vergeblich. Das Bild in Erfurt

stets von meinen eigenen Werten geprägt. Am stärks-

prägt entscheidend, dass so viele der Mitwirkenden so-

ten vermutlich bei der Frage von Krieg und Frieden

gar noch erheblich jünger sind als das, was als politisch

oder in der Sozialpolitik. Die Grüne Partei vertritt

junger Amtsträger bezeichnet wird. Viel bedeutender

bestimmte Werte und ich als Person auch. Mir per-

aber ist: Sie haben ihren Platz am Rednerpult, im Par-

sönlich sind libertäre Werte besonders wichtig, da-

teirat und im Bundesvorstand und stellen ihre ergrau-

her kämpfe ich auch so stark für Freiheitsrechte und

ten Freunde zum Teil rhetorisch in den Schatten. Die

gegen immer weiter ausufernde Überwachungspläne

Sprösslinge der Partei können auf jahrelange Fleißar-

von Seiten des Staates oder der Wirtschaft.

beit in Demut verzichten, um in den obersten Gremien BlaNk: Man redet von einem „politisch jungen“

der Partei mitmischen zu dürfen.

Menschen, wenn er sich in seinen Vierzigern bewegt. Malte Spitz ist in Erfurt mit gerade einmal 24 Jah-

Sie sind 24 und bereits in der grünen Bundespolitik

ren bereits zum zweiten Mal in den Bundesvorstand

aktiv. War das der Weg, den Sie einschlagen wollten,

gewählt worden und für seine Partei im Feldeinsatz

oder waren Sie stets zur richtigen Zeit am richtigen

am Castor und in Nischen des Netzes stets präsent.

Ort?

Die Erfahrungen in zwei seiner zentralen Arbeits-

mS: Es ist mit Sicherheit eine Mischung aus diesen

bereiche – Medienpolitik und Bürgerrechte – haben

beiden Faktoren. Zum einen ist meine Mutter seit

den jungen Politiker zusammengenommen mit seiner

Jahrzehnten bei den Grünen aktiv und so habe ich

journalistischen Praxis und altersentsprechenden In-

auch schon früh politisches Engagement ausprobiert,

ternetaffinität mit einem Wahlkampfweitblick verse-

wenn ich beim Plakate kleben oder Flyer verteilen mit

hen, den andere Parteien extern einkaufen werden.

dabei war. Zu meinem eigenen Engagement bei den

Während die Konkurrenz in den Parteizentralen ver-

Grünen bin ich aber über die journalistische Arbeit

mutlich darüber berät, welche Videos und Botschaf-

gekommen: Zuerst habe ich für die Schülerzeitung

ten man im Wahlkampf ins Netz füttert, hat Malte

geschrieben, später für den Schekker und die Ver-

schon im Rahmen seiner Rede in Erfurt dargelegt,

bandszeitung der GRÜNEN JUGEND, den SPUNK.

wie Parteien das Internet im Wahlkampf bestmöglich

Dadurch habe ich schon viel über die politische Arbeit

nutzen: Als Dialogplattform und Impulsgeber, nicht

mitbekommen und auch viele Leute kennen gelernt.

als einseitig sendendes Medium. Es wird spannend

Der Sprung von Telgte nach Berlin ging dann auf

zu beobachten sein, welche Wege eine Netzstrategie

einmal ganz schnell. Seit 2003 war ich im Bundes-

VIII


HEFT ZWEI vorstand der GRÜNEN JUGEND. Da war ich gerade

und symbolischen Protesten verbunden gewesen. Des-

einmal zwei Jahre lang Mitglied.

wegen sind die Ziele, für die sie gestritten haben und heute streiten, aber nicht weniger wichtig und die Poli-

BlaNk: Warum, glauben Sie, sind die Grünen für

tik nicht weniger ernst zu nehmen. Für mich persönlich

junge Menschen als Partei attraktiv?

ist ziviler Ungehorsam Teil meiner politischen Arbeit.

mS: Ich glaube, dass die Durchlässigkeit bei den Grü-

Natürlich testet man das eine oder andere Mal Gren-

nen viele jüngere Menschen anspricht. Man muss sich

zen aus. Die Castor-Proteste waren bunt und kreativ.

nicht jahrelang durch die Gremien arbeiten, sondern

Aber die Leute haben auch zwei Tage und zwei Nächte

kann auch als Quereinsteiger schnell vorankommen

unter freiem Himmel in der Kälte verbracht. So etwas

und wirklich etwas bewegen. Zudem gibt es bei den

macht man nicht für Bilder in den Medien. Hinter die-

Grünen viele verschiedene Arbeits- und Aktionsfor-

sem Engagement stehen politische Überzeugungen.

men, um Politik zu gestalten. Das ist attraktiv, und wir versuchen, diese Möglichkeiten offen zu halten

BlaNk: Die Grünen werden zuerst mit den guten

und sogar auszubauen. Bei unseren Bundesarbeitsge-

Themen in Verbindung gebracht: Umweltschutz,

meinschaften kann jede und jeder vorbeischauen, zu

Friedenspolitik, Menschen- und Bürgerrechte. Die

einem Bundesparteitag kann jeder als Gast kommen.

Umsetzung dieser Dinge bewegt sich nah an der Uto-

Eine offene Partei spricht vor allem junge Menschen

pie. Liegt das im Wesen einer Oppositionspartei?

an. Wir stehen für junge Themen, vertreten ein mo-

mS: Wir haben in den letzten zehn Jahren sieben Jah-

dernes Gesellschaftsbild und haben mit der GRÜNEN

re auf Bundesebene mitregiert. Eine reine Opposi-

JUGEND einen guten und aktiven Jugendverband.

tionspartei sind wir schon lange nicht mehr. Es mag sein, dass Einigen unsere politischen Ziele als Utopien

BlaNk: Wie erleben Sie die politische Zusammenar-

erscheinen. Dahinter stehen aber Fragen, die entschei-

beit mit Frauen? Ist die Quotierung bei den Grünen

dend für eine lebenswerte Zukunft unserer Gesell-

überhaupt noch nötig?

schaft sind, national wie global. Wie schaffen wir es,

mS: Ich halte die Quote für ein richtiges Instrument

endlich nachhaltig zu wirtschaften und zu leben, ge-

und glaube, dass es gerade auf der lokalen und re-

rechte Bildungschancen für alle zu ermöglichen oder

gionalen Ebene dazu führt, dass sich Frauen mehr

auch unseren freiheitlichen Rechtsstaat gegenüber

engagieren und sich nicht von möglichen Männer-

Einwirkungen von allen Seiten zu verteidigen? Selbst,

Seilschaften behindert fühlen. In meiner persönlichen

wenn unsere Ziele manchen als unmöglich erschei-

Arbeit klappt die Zusammenarbeit mit Frauen auf al-

nen, erreichen wir nur so das Realistische.

len Ebenen sehr gut, sowohl jetzt im Bundesvorstand, als auch schon vorher bei der GRÜNEN JUGEND.

BlaNk: Dieses Jahr geht es in den Wahlkampf. Wie

Ich habe drei ältere Schwestern, und es färbt auch auf

groß ist die Differenz der im Wahlkampf hergestell-

die politische Arbeit ab, dass ich als Küken und dann

ten Vision und dem tatsächlich Machbaren?

noch als einziger Junge aufgewachsen bin.

mS: Grüne Programmatik ist oft visionär, aber deshalb nicht unrealistisch. Wir bekommen heute oft

BlaNk: Sie waren in Gorleben bei den Protesten

die gleichen Vorwürfe wie vor 20 Jahren zu hören,

gegen den Castor-Transport mit dabei. Passt ziviler

doch viele unserer damaligen Forderungen finden sich

Ungehorsam und Bundespolitik zusammen? Wie

heute im Programm der Volksparteien. In der Spra-

begegnen Sie dem Vorwurf, hier würden Bilder und

che der Wahlkämpfe werden politische Forderun-

symbolische Politik für eine Mediengesellschaft er-

gen zugespitzt und die Unterschiede zur politischen

zeugt, aber keine ernsthafte Politik betrieben?

Konkurrenz deutlich herausgestellt. Das Handeln in

mS: Die Geschichte der Neuen Bewegungen in

Regierungsverantwortung geschieht dann aber in

Deutschland ist schon immer eng mit medialen Bildern

bestimmten Situationen und unter den Vorausset-

IX


HEFT ZWEI zungen, immer Kompromisse aushandeln zu müssen.

mS: Dass es in Hamburg wie auch in zahlreichen an-

Manchen fällt es daher schwer, die im Wahlkampf

deren Städten eine schwarz-grüne Regierung gibt, ist

dargestellte Vision mit dem anschließenden Ergebnis

kein fundamentaler Wandel der Grünen. Es bedeutet

in der Regierungsverantwortung in Einklang zu brin-

für mich eher, dass wir es schaffen, besser als bisher

gen. In Hamburg zum Beispiel, wo es um die politi-

unsere Themen und Ziele zu verdeutlichen und auch

sche Forderung nach dem Stopp des Kohlekraftwerks

gegenüber Konservativen und Traditionalisten durch-

Moorburg ging, diese aber dann nachher rechtlich

zusetzen. Grüne Inhalte umzusetzen ist unser Ziel,

nicht umsetzbar war. Dort haben sich die politischen

dafür kämpfen wir. Das klappt vermutlich immer

Ziele nicht geändert, aber die tatsächlichen Bedin-

noch am besten mit der SPD, jedenfalls im Bund.

gungen veränderten die Handlungsspielräume. BlaNk: In den Vereinigten Staaten haben wir in den BlaNk: Kann ein wahrheitsorientierter Wahlkampf

letzten Monaten einen sehr gefühlsbetonten Wahlkampf

mit vorsichtig formulierten Zielen erfolgreich sein?

beobachten können, der stets stark personalisiert geführt

mS: Natürlich. Die Leute nehmen Populismus wahr.

wird, aber vor allem mit großen, emotional aufgelade-

Sonst würden ja deutlich mehr Leute Die Linke wäh-

nen Begriffen hantierte. Sehen Sie das als wünschens-

len. „Alles für alle und zwar umsonst“ klingt erst-

werte Variante für Deutschland? Braucht deutsche Poli-

mal nett. Was dann aber realisierbar ist, wird vielen

tik mehr Charismatiker? Oder was braucht sie?

Leuten gerade hier in Berlin klar, wo Die Linke seit

mS: Ich will keinen Wahlkampf, der hunderte Millionen

sieben Jahren mitregiert. Natürlich müssen auch wir

kostet, damit halbstündige Werbesendungen zur besten

Grüne da die ein oder andere Entscheidung aus sieben

Fernsehzeit laufen und Football-Stadien beschallt wer-

Jahren Rot-Grün erklären. Wir mussten lernen, dass

den können. Was ich aber will, ist, dass eine Vielzahl

eine Koalition den eigenen Zielen Grenzen setzt und

Menschen sich von Politik wieder begeistern lässt. Dass

politisches Handeln mit Partnern aus dem Finden von

sie mitfiebern und sich für ihre Demokratie engagieren.

Kompromissen besteht.

Natürlich würde ich mir daher auch in Deutschland charismatische Politiker wünschen, die die Leute mehr

BlaNk: Wenn man als Partei für einen respektvol-

mitreißen - aber ohne in einen unsäglichen Populismus

len Umgang miteinander steht, darf dann Negative

zu verfallen. Den Wählerinnen und Wählern in den

Campaigning eine Strategie sein?

USA wurden nicht nur abstrakte Politik-Entwürfe prä-

mS: Respektvoll heißt ja nicht, die ganze Zeit nur zu

sentiert. Ihnen wurde eine Perspektive aufgezeigt und

kuscheln. Es gehört dazu, die Schwächen der politischen

erzählt, wo es mit dem Land und mit ihnen hingehen

Konkurrenz aufzuzeigen. Aber es gibt Grenzen, vor

kann. Diese als überzeugende Geschichte deutlich ge-

allem, wenn es um Persönlichkeitsrechte und Privates

machte Perspektive wurde angenommen und mit einem

geht. Darüber hinaus wird niemand von einem Wahl-

klasse Wahlergebnis für Obama belohnt.

kampf, der keine eigenen Ziele vertritt und nur Angriffe beinhaltet, angesprochen. Wir Grüne treffen da meis-

BlaNk: Warum glauben Sie, haben die Deutschen

tens sehr gut den Ton, man erinnere sich an das Plakat

den amerikanischen Wahlkampf mit so viel Faszination

2002 „Zuwanderung ja, mit einer Ausnahme“, auf dem

verfolgt?

Edmund Stoiber vorm Brandenburger Tor zu sehen war.

mS: Das frage ich mich auch öfters. Ich glaube, da-

Natürlich war das gegen Stoiber persönlich gerichtet, es

hinter steht einerseits die Hoffnung auf die großen

brachte aber vor allem unsere Position gut rüber.

Veränderungen, die auch für Deutschland positive Auswirkungen haben. Andererseits war es gerade die

BlaNk: Was für eine Partei sind die Grünen heute?

perfekte Inszenierung und Ansprache der Menschen.

Was verrät das In-Betracht-Ziehen einer schwarz-grü-

Die Leute fühlten sich mitgenommen, siehe Obamas

nen Koalition?

Auftritt an der Siegessäule.

X


HEFT ZWEI BlaNk: Das Internet gewinnt von Wahl zu Wahl auch in Deutschland an Bedeutung für die politische Kommunikation. Wie schätzen Sie den Stellenwert von Internetwahlkampf für die Bundestagswahl 2009 ein? Unterschätzen andere Parteien das Netz, oder wird ihm momentan eine zu hohe Bedeutung zugeschrieben? mS: Der Stellenwert nimmt seit 2002 kontinuierlich zu. Es wird in diesem Jahr einen Run auf das Netz geben. Alle Parteien und die meisten Kandidatinnen und Kandidaten versuchen jetzt, sich gut aufzustellen. Doch letztendlich ist es jetzt schon zu spät. Wer jetzt noch nicht im Internet die Weichen für einen erfolgreichen Online-Wahlkampf gestellt hat, muss entweder deutlich mehr investieren oder wird baden gehen. Viele, gerade von den jüngeren Grünen, arbeiten schon seit Jahren mit dem Internet, probieren immer wieder Neues aus und bringen ihre Erfahrungen in die Partei ein. Wir haben schon im vorletzten Jahr mit den ersten Aktionen begonnen, haben letztes Jahr unser Themenportal zu Datenschutz eröffnet und versuchen, Blogger und Bloggerinnen als Teil der Mediengesellschaft ernst zu nehmen. BlaNk: Auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Erfurt konnte man beobachten, dass viele Grüne – auch die jenseits der 40 – sich im Web sehr wohl fühlen. Sie bloggen, nutzen Twitter und Facebook. Nutzen Sie das Web 2.0 hauptsächlich zur Kommunikation, wie andere freundschaftliche Netzwerke, hat es bereits parteipolitische Bedeutung, schulen sich die Grünen untereinander? Das Web 2.0 ist für viele ein Trial and Error-Ding. Bei vielen baut es Hürden und Berührungsängste ab. Gerade Ältere gehen über Facebook, Twitter oder ähnliche Angebote ihre eigenen Schritte im Netz. Berufspolitiker, die früher schon gebloggt haben, haben sich die Texte oft vom Referenten schreiben lassen und sie dann nur freigegeben. Die eigene Website haben Politiker in den seltensten Fällen selber mit Content gefüllt. Jetzt antworten auch die alten Hasen der Politik selber schnell und direkt auf Kommentare bei Twitter oder bauen sich eine eigene Community bei Facebook auf. Ich freue mich sehr über diese Entwicklung. Vie-

XI


HEFT ZWEI le gehen diesen Schritt von selber und müssen nicht

daran basteln wir gerade. Unsere Stärke ist aber die

überzeugt werden. Glücklich bin ich vor allem, dass

Long-Tail-Strategie, das heißt Themen zu setzen, die

wir nicht wie andere auf den Second Life Hype aufge-

dann nicht nur einige Stunden auf spiegel.de stehen,

sprungen sind. Das zahlt sich jetzt aus.

sondern viele Menschen im Netz erreichen.

BlaNk: Volker Beck begann in Erfurt eine Rede mit

Malte Spitz, Volker Beck, unsere Autorin Teresa Bü-

„Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Follower“.

cker und das BLANK sind aktive Twitterer. Die Links

Bleibt dieser Ausspruch eine Parteitagsanekdote,

dazu gibts online auf www.faceyourmagazine.de

oder wird er ein richtungsweisendes Zitat? mS: Es war mehr als nur eine schöne Aktion. Wer Volker kennt, weiß wie sehr er Twitter mittlerweile moDe

mag oder wie toll er es findet, bei Facebook CausesGruppen zu gründen. Deutsche Netzwerke bieten da leider wenig Spielraum. StudiVZ ist unpolitisch und

maximal sieben Tage

die regionalen Netzwerke sehen ihre Aufgabe nicht

von Johannes Finke

in der politischen Vernetzung oder Kommunikation untereinander. Aber grundsätzlich spricht gerade viel

Waren sie früher noch den Modemetropolen Mai-

dafür, dass sich mehr und mehr grüne Politikerinnen

land, Paris, London und New York vorbehalten, gibt

und Politiker an Volker ein Beispiel nehmen.

es so-called Modewochen heutzutage fast überall auf der Welt, von Auckland über Kingston, Lahore, Mos-

BlaNk: Gibt es innerparteiliche Differenzen über

kau bis nach Seoul, und auch in Berlin treffen sich

die Nutzung des Netzes?

seit 2007 zweimal im Jahr Modemenschen und Art-

mS: Natürlich. Es wird immer wieder diskutiert,

verwandte zur Mercedes-Benz Fashion Week, um sich

wie weit wir uns vorwagen wollen oder was wirklich

auf den in diesem Zeitraum mittlerweile zahlreich an-

zu uns passt. Wir wollen ja auch immer authentisch

gesammelten Veranstaltungen mit- und gegeneinan-

bleiben und nicht jedem Trend blind hinterher ren-

der die Welt zu erklären, sich über die neuesten Trends

nen. Es gibt aber keine Grundsatzdiskussionen mehr,

zu informieren, das schicke Designer-Teil aufzutragen

ob überhaupt Netz. Es wird vielmehr diskutiert, was

oder einfach nur, um sich zu zeigen, um dabei zu sein.

ist richtig, und wie wir unsere begrenzte Ressourcen

Natürlich nutzen Branche, Sponsoren und alle, die

effizient nutzen. Ich persönlich glaube, dass man ei-

irgendwie dazu gehören und dazu gehören möchten,

nen erfolgreichen Online-Wahlkampf mit netzpoliti-

die sich Ende Januar bildende Promi- und Pressedichte,

schen Themen verknüpfen muss. Sprich, man muss

um mediale Aufmerksamkeit zu generieren und die

auch für die Freiheit des Netzes kämpfen und darf

Hauptstadt freut sich über das, was sie in den letzten

es nicht nur einmalig für den Wahlkampf für seine

Jahren auszeichnet: Glamour, Shuttle Services, Partys,

Zwecke nutzen.

Drinks und Häppchen. Man wird in diesen Tagen das Gefühl nicht los, dass in Berlin alle fleißig mitmachen

BlaNk: Gibt es schon konkrete Ideen für die Nutzung

und sich ihr Stück vom Mutterkuchen Mode sichern

des Webs im Wahlkampf, die Sie verraten können?

möchten. Mode scheint krisensicher. Nackt rennt man

mS: Wir versuchen, themenspezifische Communities

selten herum und Funktionswäsche ist noch nicht so

aufzubauen. Beim Thema Datenschutz klappt das gut,

im Kommen, wie sich das manch einer wünscht. Noch

beim Klimaschutz auch. Gerade Nicht-Grüne lassen

ist Mode gesellschaftliches Be- und Verkleiden, Signal

sich mit konkreten Themen deutlich besser anspre-

setzen und Entsprechungen finden. Aber Fashion ist

chen. Im nächsten Jahr benötigen wir dann aber auch

dann schon etwas mehr – bzw. glaubt etwas mehr zu

Masseninstrumente für die ganz große Reichweite,

sein – und so zieht das vermeintlich Attraktive und

XII


HEFT ZWEI Schöne, das die schweren Zeiten von Klimawandel,

morrow Award zu zeigen. Nicht zu Unrecht: Sontag

weltweiter Finanzkrise und Politikverdrossenheit ver-

zeigt in seiner Frauenkollektion ein großes Gefühl

gessen machen soll, regelmäßig die Menschen an.

für freundliche Farben und Formen und lässt der

Die Handballer der Füchse Berlin mutieren auf

Frau etwas Eigenes, Unwiderstehliches, Weibliches.

dem Laufsteg ebenso zu Models wie Jugendliche aus

Gewonnen hat Sontag den Award nicht, doch einer

dem Streetwork-Projekt Gangway, neue Magazine

größeren Karriere wird dieser Umstand nicht im Weg

werden gelauncht und sogar der „pop- und netzkul-

stehen. Dafür kann sich jetzt unter anderem die Jung-

turelle“ Radiosender Motor FM berichtet live von

Designerin Julia Knüpfer, die für ihre größtenteils in

der Modemesse Premium und nennt das „Fashionably

Strick gehaltene Kollektion Biobaumwolle verwendet,

Eclectic Sounds For Modern People“. Das klingt al-

mit dieser Auszeichnung schmücken. Die 25-Jähri-

les irgendwie international, doch die Realität sieht

ge möchte bald ihr eigenes Label gründen, da kann

anders aus: die Stars unter den Designern heißen

Aufmerksamkeit und Scheinwerferlicht, sowie das

Michalsky, Bernhard Willhelm oder Kilian Kerner,

Verwenden und Vermarkten ökologisch unbedenk-

auf dem Laufsteg verzaubert die 17-jährige Hambur-

licher Materialen nicht schaden. Beim schwedischen

gerin Toni Garrn sowohl Publikum als auch Designer

Textilriesen H&M hat man den umweltbewussten

und Presse, und Jazz-Trompeter Till Brönner, die Pa-

Konsumenten, der versucht, seine Nachfragemacht

thos-Popper von Polarkreis 18 und die Berliner Band

kritisch einzusetzen, schon länger als Zielgruppe ent-

Klez.e spielen live auf Catwalk oder After-Show-Party.

deckt und nachdem man zuletzt mit der britischen

Und auch auf dem roten Teppich zeigen heimische

Fairtrade-Aktivistin Katherin Hamnett erste Erfah-

Größen wie die Schauspielerin Hannah Herzsprung,

rungen mit Social Clothing machte, wurde nun die

dass Mode zwar weitestgehend belanglos ist, in ih-

Presse zur Präsentation der neuen Kollektion aus Or-

ren großen Momenten sich jedoch in Entstehung und

ganic Cotton in eine kleine Location nach Mitte ge-

Verwendung der Kunst nicht verweigert, und durch-

laden, geradewegs ins Zentrum der urbanen Hipster-,

aus als Mittel zu verstehen sein sollte, Eleganz, Stil,

Fashion- und Werberwelt. Doch trotz aller negativ

Macht und Anspruch zu zeigen. Nicht alle, die man

aufgeladenen Emotionalität kann man dieses Thema

in diesen Tagen so sieht, scheinen das verinnerlicht

nicht schlecht finden. Ein Beschäftigungsfeld für Ge-

zu haben. Das angebliche Wissen um die Macht von

wissenskämpfer. Ein Wachstumsmarkt, der sich ir-

Accessoires und der Drang, die eigene Hässlichkeit

gendwann die Frage stellen muss, ob bei einem stabil

verbergen zu wollen, führen meistens leider in die

bleibenden Selbstverständnis und einer immer weiter

völlig falsche Richtung, egal ob Augenschutz, Kopf-

wachsenden Nachfrage die ideellen Bedürfnisse noch

bedeckung oder Täschchen. Jede Indie-Crowd hat da

lange befriedigt werden können, ohne an Glaubwür-

mehr Stilbewusstsein, wahrscheinlich aus der Not

digkeit einzubüßen.

geboren und dem noch unverdorbenen Blick auf den

Auf der Fashion Week sind Anliegen wie Organic

eigenen Körper geschuldet, ohne Zwangsmaß, viel-

Cotton, Fairtrade oder Klimawandel bisher jedoch

leicht aber mit Bierbauch.

kein größeres Thema, auch wenn Lac et Mel, das

Während man also auf der Mercedes-Benz Fa-

Label des 26-jährigen Gregor Clemens, alle Kleider

shion Week Veltins-Bier trinkt und bereits etablier-

klimafreundlich CO²-neutral herstellt. Was auch im-

te Designer und Brands wie Scherer Gonzales, Lala

mer das bedeutet. Gehen wir einfach mal davon aus,

Berlin und Strenesse ihre neuesten Kollektionen zei-

dass die 2000 Diamanten im Wert von 100.000 Euro,

gen, sind es bei der Fashion Experience vom Konkur-

die einem der bodenlangen Kleider des in Berlin an-

renten Beck‘s sieben ausgewählte Jung-Designer, die

sässigen Clemens ein fantastisches Funkeln verliehen,

ihre Diplom-Kollektionen präsentieren. Unter ihnen

fair gehandelt wurden. Auch wenn das bei Diamanten

der 29-jährige Michael Sontag, der zudem auch aus-

wahrscheinlich schwer möglich ist. Diamanten sollen

erkoren war, seine Kollektion beim Designer for To-

einfach glitzern. Diamanten sind kein Diskurs.

XIII


HEFT ZWEI PoliTik

Geredet wird auf und während der Fashion Week dennoch viel. Es gibt unzählige Partys, Empfänge und Pressetermine. Geheime Partys an ge-

kein Wohlfühlfaktor im weiblichen Wahlkampf

heimen Locations und noch geheimere Events an

von Teresa Bücker

noch geheimeren Orten. Und während die Macher der zuletzt in Barcelona gastierenden Urban- und

Das dominierende Thema des Wahlkampfes ist

Streetwear-Messe Bread&Butter die Rückkehr an

ausgemacht. Die Krise kam, der Schreck fuhr in die

die Spree verkünden, sich zur Freude der Stadtver-

regierenden Knochen, Medien und in die Gemüter der

waltung sogar für den stillgelegten Flughafen Tem-

Bürger. Wähler müssen nun becirct werden. Die Wäh-

pelhof als Veranstaltungsort entschieden haben,

lerinnen ebenso. Gerüchten und Zahlen zufolge glaubt

der deutsche Hollywood-Export Thomas Kretsch-

die Politik zu gern, für Frauen sei das Politische kein

mann im Hotel de Rome eine 298 Euro teure Jeans

ernst zu nehmendes Hobby und sie durch komplexe

präsentiert, die mit Stickereien verziert wurde, die

Staatlichkeit kaum zu aktivieren. Frauen bleiben unbe-

in Muster und Verortung einer Tätowierung des

eindruckt von der kurzfristigen Installation eines adli-

Schauspielers entsprechen und so mancher Semi-

gen Franken auf dem Posten des Wirtschaftsministers,

prominenter versucht, durch Omnipräsenz seinen

sind nicht aus der Ruhe zu bringen von einer tief de-

Marktwert zu steigern oder sich zumindest in der

kolletierten Kanzlerin, nehmen Zwerge in der Gestalt

Promikategorisierung alphabetisch dem Anfang zu

des Bahnchefs nicht für voll. Welcher politische Zau-

nähern, nehmen Tennislegende Boris Becker und

ber zwingt die Frauen nun zum Kreuz an der richtigen

Begleitung Lilly die Woche zum Anlass, ihre Liebe

Stelle?

in aller rationalisierter medialer Öffentlichkeit zu demonstrieren. Hier wird händchenhaltend Gesell-

Frauen sind kompliziert, hört man in der Regel von

schafts- und Medienpolitik gestaltet, zumindest ist

ihren Männern. Die Politik weiß es besser. Für Frauen

das der Versuch, denn dieser Endlosschleife wird

definiert sie die entscheidenden Kernthemen noch im-

Becker wohl nicht mehr entkommen können. Wahr-

mer entlang eines traditionellen Rollenbildes, das die

scheinlich möchte die Gesellschaftsikone Becker

Gesellschaft noch zu Bonner Zeiten gelassen verab-

auch die tiefe Verbundenheit zum großen schwä-

schiedete. Willkommen zurück am Herd, liebe Mütter.

bischen Automobil-Konzern zeigen, der zufälliger-

Kinder sind das höchste Glück.

weise zeitgleich die 100-jährige Firmenpräsenz in Berlin feiert und es sich nicht nehmen lässt, dem

Kinder, es hätte so schön sein können. Und sie so

extrovertierten Daimler-Chef Zetsche zur Enthül-

zahlreich. Übermutter Ursula befand sich auf dem

lung der neuen E-Klasse das deutsche Top-Model

besten Wege, die Legislaturperiode als Heilsbringerin

Julia Stegner zur Seite zu stellen. Mit Mode hat das

der überalternden Gesellschaft zu beenden. Elterngeld,

natürlich nur noch bedingt zu tun. Das sind einfach

mehr Kitas, treu sorgende Väter auf großen Plakaten.

nur durchkomponierte Wohlfühlmomente, die sich

Glucksende, satte und süße Kleinkinder so weit das

die Automobilindustrie leistet, um sich in Zeiten

Auge reicht. Das war die Vision. Die Zielsetzung einer

von herbeizitierter Wirtschafts- und Finanzkrise

Mutter von sieben Kindern, die in ihrer kommunika-

und dem immer größer werdenden Bewusstsein,

tiven Vermittlung jungen Frauen nahe legte, ein Baby

dass dem Herzstück deutscher Wirtschaft radika-

oder besser ganz viele seien ihre Vaterlandspflicht. Das

le Veränderungen und noch härtere Zeiten bevor-

Wickelvolontariat debütierte kurz als verbaler Spiel-

stehen, für die Zukunft Mut zu machen. Und die

ball der Medien, aber gleichsam karikierend, dass eine

Zukunft lässt nicht lange auf sich warten: Im Som-

ernsthafte Involvierung der Väter in Erziehung und ihre

mer trifft man sich wieder, wohl ganz egal, wie die

gleichberechtigte Freistellung vom Beruf eine realitäts-

Sterne stehen.

ferne Idee war, die besonders in Frau von der Leyens

XIV


HEFT ZWEI Schwesterpartei CSU eher ein höhnisches Lachen als ein mildes Lächeln erntete. Frau von der Leyen posierte derweil für eine Werbung versteckt hinter einer Tageszeitung in einem Meer aus weißen, flauschigen Kaninchen: Wie die Kaninchen, liebe Bürger, ich schau auch kurz weg, doch mehret euch. Das war die Vision. Ob Frau von der Leyens Brutplanung am Ende des

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rATATATA!

Tages die Kurven von Frauen und Geburtstatistiken signifikant beeinflusst hat, wird kaum zu sagen sein, zu zahlreich sind die intervenierenden Variablen, zu dünn ist das Konzept des Elterngeldes als Anreiz zur Familienplanung. Dabei werkelte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend so emsig am deutschen Kindersegen. So emsig, dass sich

The new Album!

die Jugend Sido, die Drogenbeauftragte Sabine Bätzing und Hessens Herr Koch teilen durften, die Senioren als Best Ager von Werbeagenturen betüddelt wurden und Mädchen in Sachbuch und Prosa die Gleichstellung der Frauen und Emanzipation voranpeitschten. Die Arbeitsteilung funktionierte. Denn wenn die Jugend erfüllt ist mit Tugend, die Omas und Opas die besseren Kitas sind und die Frauen von morgen die Männer von heute, segnet uns ein Babyboom. Das war die Vision. Dann kam die Krise. Doch all die Ideen der Vermehrungsministerin sind nicht Schlüssel zu einer kinderreichen Gesellschaft, und das Schwächeln der Konjunktur wird nicht als maßgeblicher Grund anzuführen sein dafür, dass die Graphik der Geburtenentwicklung weiterhin einen traurigen Eindruck macht. Die beiden relevanten Einflussgrößen, Politik und Popkultur (als maßgeblicher feministischer Motor), haben das Frauen- und Familienbild sowie die tatsächliche Situation nicht in eine Richtung schubsen können, die den Familiengründungswillen fördert. Politikerinnen und Feministinnen sowie die dazwischenquatschenden Männer fördern zunächst willkürliche weibliche Stereotypen, die wiederum unter Frauen Neid, Konkurrenz und Feindschaft, aber wenig Gemeinschaft und Solidarität stiften. Von der Leyen will passionierte Mütter, gerne mit Beruf und Karriere, die gleichsam ihren Mann zum aktiven Vater erziehen; leidenschaftliche Mütter werden verachtet von

XV

out 13th March on CD/LP/Digital

L www.louisville-records.de www.myspace.com/kissogram


HEFT ZWEI Frauen, die unter der fixen Idee, Karriere zu machen

weislich gleichsam mit dem wachsenden Interesse an

wie ein Mann, vergessen, dass sie keiner sind; Mütter

Politik und der aktiven Teilhabe daran.

konkurrieren auf dem Spielplatz mit teuren Kinderwä-

Dass dies Spitzenkräften der großen Koalition wie

gen, schönen Kindern und pädagogischem Halbwissen;

Franz Müntefering (SPD) erst kurz vor Wahlkampf

hinter jeder Entscheidung einer Frau, sei es die Kinder-

einfällt (“Wir müssen auch darüber sprechen, warum

losigkeit, sei es beruflicher Erfolg, sei es ein einzelner

relativ wenig Frauen in führenden Positionen sind. Ist es

Sohn oder eine fünfköpfige Rasselbande, wird Unfrei-

zum Beispiel sinnvoll, etwas zu tun, was in vielen Par-

willigkeit, Unglück, Unfähigkeit oder das Abkommen

teien lange gedeckelt worden ist? Klammer auf Quo-

von der eigentlichen Lebensplanung vermutet.

te Klammer zu.“ Berliner Zeitung, 05.02.2009) und die Frauen der Union ein Thesenpapier aufsetzen, das

Politik und insbesondere Politikerinnen versagen in

fordert, dass mehr Frauen in die Vorstände und Auf-

dieser Hinsicht, die verschiedenen Facetten des Frau-

sichtsräte von Unternehmen aufrücken, spricht Bände

seins zu vermitteln und anzuerkennen. Besonders jun-

des Wahlkampfjargons. Die Aussagen sind strategisch,

gen Frauen fehlen innerhalb der politischen Landschaft

aber nicht mehr als gut gemeint.

Identifikationsfiguren. Was jungen Frauen durch den Kopf geht, wenn sie in Zeitung und den politischen

Dem weiblichen Wahlkampf fehlt Haltung, Cha-

Talk im Fernsehen schauen, wenn sie sehen, wer neuer

rakter und die Anerkennung eines facettenreichen Frau-

Bundeswirtschaftsminister wird, das politische Res-

enbildes. Frau von der Leyen repräsentiert auch nach

sort, in dem Gleichstellung besser aufgehoben wäre als

Haarschnitt nicht den modernen Frauentyp noch die Po-

im dem für die glückliche Familie, illustriert vielleicht

litikerin, der junge Wählerinnen begeistert und inspiriert.

Christine Eichels Kommentar, den sie zur Erpressung

Andere, wie Andrea Nahles oder Sahra Wagenknecht,

von Susanne Klatten im Cicero schrieb:

gelten als politische Schreckschrauben und sind weitab von der Seriosität männlicher Kandidaten. Die mächtigs-

„Es bedarf nicht allzu viel Fantasie, um sich vor-

te Frau des Landes, Angela Merkel, wird abermals im

zustellen, welchem Genre die Männer angehören, die

Wahlkampf nicht als Frau, sondern als Neutrum in Er-

eine Frau der Klatten-Liga bei Vorstandssitzungen, So-

scheinung treten. Merkel hat lange nicht die Frauen stär-

cietypartys und Golfturnieren trifft. Sie erlebt die öde

kende Wirkung für Führung und Politik gehabt, wie die

Selbstgefälligkeit gestandener Herren, die sich mithil-

Tatsache einer Kanzlerinnenwahl annehmen ließ.

fe routinierter Beeindruckungsprosa in Bewunderung

Nun fordert niemand flammende feministische Re-

sonnen wollen. Ungefragt geben sie Anekdoten aus

den. Ein Bekenntnis zum Frausein ist kein Staatsakt.

dem allzu umfangreichen Repertoire ihrer Heldenge-

Ein frauenfreundlicher Wahlkampf bedarf aber auch

schichten zum besten. Frauen sind ihr Publikum, ihr

keiner Babys auf Wahlplakaten. Frauen bedürfen keine

Spiegel, ihre Claque.“

Karrieren nach männlichen Mustern. Der Weg zu einem wahrhaft weiblichen Wahlkampf ist die Anerken-

Also gehen wir fremd. Und die „öde Selbstgefäl-

nung der Vielfalt, aber auch der individuellen Züge von

ligkeit“ kann derart starke Ausstrahlungskraft haben,

Frauen. Frauenthemen umfassen mehr als Familie und

dass, falls das Politische von Frauen nicht bereits ab-

Mutterschaft, das Streben nach politischem Einfluss

gestoßen bei Seite geschoben wurde, sie sich nicht aus-

darf aber keinesfalls in einer Abkehr von der Weiblich-

schließlich thematisch orientieren, sondern auch dort

keit und Adaption männlichen Verhaltens resultieren.

politisch sammeln, wo Frauen sichtbar sind, mitent-

Wer Frauen politisch erreichen will, wird lernen

scheiden, und nicht als hübsche Dekoration und Alibi

müssen, dass die Frauen von morgen weder die Mütter,

auf den billigen Plätzen drapiert wurden. Der Anteil der

noch die Männer von gestern und heute sein werden.

Frauen, der sich als emanzipiert begreift, Unabhängig-

Noch aber wird der Wohlfühlfaktor im weiblichen

keit und berufliches Fortkommen schätzt, steigt nach-

Wahlkampf schmerzlich vermisst.

XVI


54 Uhr

MeiréundMeiré

Anteil der Werbebriefe für Gewinnspiele, die in Deutschland im ersten Halbjahr 2008 ungeöffnet weggeworfen wurden, in Prozent: 27 Anteil der Werbebriefe für Finanzdienstleistungen, die in Deutschland im ersten Halbjahr 2008 ungeöffnet weggeworfen wurden, in Prozent: 8

Weitaus mehr als nur Zahlen.

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