Behörden Spiegel April 2017

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. IV / 33. Jg / 15. Woche

G 1805

Berlin und Bonn / April 2017

www.behoerdenspiegel.de

Marshallplan mit Afrika

Eigentliche Ziele nicht erreicht

Unter dem Radar der Kommilitonen

Minister Müller: Know-how von Kommunen für Entwicklung nutzen ........................... Seite 15

Ulla Jelpke zur Arbeit von Untersuchungsausschüssen ........... Seite 39

Patrick Dogue an mehreren Fronten gleichzeitig gefordert ................ Seite 48

Integrationslotsen in Bayern

(BS/jf) Ehrenamtlich tätige Menschen mit Migrationshintergrund, die sich bei der Integration engagieren, bekommen Hilfe. Im Rahmen eines Modellprojekts sollen sogenannte Integrationslotsen ab sofort gefördert werden. Diese sollen die Ehrenamtlichen auf kommunaler Ebene bei der Koordinierung unterstützen und als Ansprechpartner fungieren. Außerdem sollen sie Werteschulungen und Fortbildungen auf der Basis eines in Bayern entwickelten Rahmen-Curriculums anbieten. “Gelingende Integration ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Aber Integration ist kein Sprint, sondern ein Marathon”, sagte Bayerns Integrationsministerin Emilia Müller.

Bochum will erste Gigabit-City werden (BS/ein) Bochum will die erste “Gigabit-City” Deutschlands werden: Bis Ende 2018 sollen fast alle Haushalte in der Stadt Zugang zu superschnellem Internet haben. Für das Projekt arbeiten die Stadt, die Stadtwerke und ein Kabelnetzbetreiber zusammen. In einer Absichtserklärung haben die Partner vereinbart, mehr als 95 Prozent der Bochumer Haushalte und Unternehmen in die Lage zu versetzen, Internet mit GigabitGeschwindigkeiten zu nutzen, teilte die Stadt mit. Dafür soll der Netzbetreiber sein glasfaserbasiertes Kabelnetz mit gigabitfähigen Netzelementen ausstatten und den neuen Übertragungsstandard DOCSIS 3.1 einführen. Das Unternehmen erreiche 90 Prozent aller Haushalte, die Stadtwerke Bochum hätten bereits 16.000 Wohneinheiten per Glasfaser angeschlossen.

Im Land der Heterogenität Zusammenhalt in Zeiten des demografischen Wandels wichtigste Aufgabe (BS/Carsten Köppl) Die Demografie zeichnet ein anderes Bild von Deutschland als noch vor wenigen Jahren: Migration, Flüchtlingszuwanderung und eine steigende Geburtenrate lassen nun die Annahme zu, dass die Bundesrepublik bis zum Jahr 2060 eine stabile Einwohnerzahl aufweisen wird. Der größte Teil dieser Entwicklung lässt sich nicht auf die “Demografiestrategie” der Bundesregierung zurückführen. Ohnehin liegt die weitaus wichtigere Bedeutung der Demografiepolitik der letzten Jahre darin, dass sie den Blick auf die wachsende Heterogenität Deutschlands geschärft hat. Ende 2016 lebten mit 82,8 Millionen Einwohnern so viele Menschen in Deutschland wie noch nie. Auch die Geburtenziffer ist erstmals seit über 30 Jahren wieder auf über 1,5 Kinder pro Frau gestiegen. Bei einem weiteren Anstieg der Geburtenrate auf 1,6, einem Wanderungssaldo von 300.000 und einer weiter steigenden Lebenserwartung hält das Statistische Bundesamt es nun für möglich, dass die Bevölkerungszahl bis 2060 annähernd stabil bleibt. “Dadurch ist das Thema demografischer Wandel nicht mehr ganz präsent, aber zu Unrecht”, mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Demografiegipfel der Bundesregierung. Denn auch bei einer stabilen Entwicklung der Bevölkerung bleibe es bei einem Zuwachs an älteren Menschen. Zudem seien die Bevölkerungsentwicklung und das Durchschnittsalter regional sehr unterschiedlich. “Ich glaube, diese Vielfalt der Regionen wird sogar noch zunehmen”, sagte Merkel. Für die Kanzlerin geht es beim demografischen Wandel letztlich um gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dieser könne nur erreicht werden, “wenn Politik vernünftige Leitplanken setzt und gleichzeitig in der gesamten Gesellschaft auch ein Gefühl für die Belange der jeweils anderen da ist.”

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte auf dem Demografiegipfel der Bundesregierung mehr Mut zum Alter: “Wenn man immer erst kurz vorm Sterben alt ist, dann bekommt das Alter auch kein Gesicht. Und dieses Gesicht des tatkräftigen Älteren gehört einfach dazu.” Foto: BS/Carsten Köppl

Zumindest die Sorge vor einem “Kampf der Generationen” habe er verloren, erklärte Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizère. Politik für die Zukunft sei noch nie eine Frage des Alters gewesen, sondern eine Frage der Lebenswelt: “Spielen junge Menschen im eigenen Leben eine Rolle, dann prägen sie Haltungen.” Der beste

Weg, ein politisches Ungleichgewicht der Generationen zu vermeiden, sei weniger die Sensibilisierung der Alten für die Themen der Jungen, sondern die Aktivierung der Jungen, an politischen Wahlen überhaupt teilzunehmen. “Das haben wir in Großbritannien beim Brexit gesehen, wo die Wahlbeteiligung der jungen Menschen be-

sonders niedrig war. Das haben wir in ähnlicher Weise auch bei der Wahl in Amerika gesehen.” Für Bundeslandwirtschaftminister Christian Schmidt ist vor allem die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in ländlichen Regionen entscheidend für den Zusammenhalt. “Wenn es uns nicht gelingt, deutlich zu machen, dass wir auch in

ländlichen Regionen die Lebensbedingungen gleichwertig halten, kann das zu politisch schwierigen Entwicklungen führen und die Gesellschaft spalten”, warnte Schmidt. Für die nächste Wahlperiode sei daher die Verankerung einer Gemeinschaftsaufgabe “Ländliche Entwicklung und Demografie” sein Ziel. “Wir müssen Stadt und Land zusammendenken”, plädierte dagegen Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Sie warnte davor, Städte und ländliche Räume gegeneinander auszuspielen, Probleme und auch Lösungen dieser beiden Räume hingen eng miteinander zusammen. Mit der kontinuierlichen Arbeit an der Demografiestrategie hat die Bundesregierung ein wichtiges Instrument zur Beobachtung und Analyse gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen ins Leben gerufen. Die Gefahren von wachsenden Gegensätzen, zwischen Jung und Alt, Arm und Reich, Stadt und Land, Kinder und keine Kinder, schaffen es schneller auf die politische Agenda. Gerade die Aufgabe des gesellschaftlichen Zusammenhalts dürfte in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen.

Angeordnet, freiwillig – Kommentar und vergütet (BS/ein) Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat Überstunden für alle Entscheider und Führungskräfte angeordnet, die sich selbst dazu bereit erklären. Diese “freiwillige Mehrarbeit” müsse deshalb angewiesen werden, damit die zusätzliche Arbeitsleistung vergütet werden könne, teilte ein Sprecher mit. Bereits im Sommer 2016 hätten Dienststellen freiwillig Samstagsarbeit geleistet, um allen Asylbewerbern eine Antragstellung beim Bundesamt zu ermöglichen. “Diese Arbeit war sehr erfolgreich, so waren im Herbst 2016 alle Antragstellungen abgeschlossen.” Die aktuelle Anordnung bezieht sich auf den Zeitraum vom 1. April bis 27. Mai 2017, umfasst also neun Samstage. Die Osterfeiertage sind davon ausgenommen. Das BAMF geht von einer hohen Mitarbeiterbeteiligung aus, um die Altverfahren aus dem Jahr 2016 früher abbauen zu können.

Für den Cyber-Krieg gerüstet (BS) Die Digitalisierung revolutioniert alle bisher traditionell organisierten Bereiche – im Privaten, im Politischen, im Wirtschaftlichen, aber eben auch im Staatlichen, wie beim Militär. Sich dieser Dynamik mit geübten Handlungsweisen und tradierten Organisationsmitteln entgegenzustellen, lohnt nicht mal einer Überlegung. Es wäre vergleichbar mit der Äußerung eines Ex-Bundespräsidenten: “Wir müssen die demografische Entwicklung stoppen.” Kann man aber nicht, so auch nicht die Digitalisierung! Man kann sie begleiten, sich darauf einrichten und vor den Folgen wappnen. Das versucht die Bundeswehr gerade mit großem Aufwand. Das ist gut und richtig, aber nur der erste Schritt. Die Befangenheit in eigenen Strukturen, Gewohnheiten und Geschäftsmodellen – egal ob bei Unternehmen oder dem Staat, auch dem Militär – erlaubt eine auf die Digitalisierung erforderliche radikale Änderung des Gewohnten und damit Geliebten nicht. Immer mehr Wirtschaftszweige erfahren das. Das größte Taxiunternehmen der Welt (Uber) verfügt über kein eigenes Fahrzeug, der weltgrößte Vermittler von Ferienwohnungen

(Airbnb) über keinen einzigen Raum, das global führende Handelshaus (Amazon) nicht über ein einziges Geschäft. Die digitale Welt wird nicht von Produzenten, sondern von digitalen Plattformen dominiert. Und so ist es auch beim Cyber-Krieg. Es sind nicht Staaten, die den digitalen Krieg führen, sondern Mischformen, und sie tun es jetzt schon. Angriffe auf Kritische Infrastrukturen werden von privaten Firmen, Organisierter Kriminalität oder von Hackergruppen durchgeführt. Dies im Auftrag von Staaten oder im Einklang mit ihnen. Lobenswert ist die neue Teilstreitkraft der Bundeswehr für

den Cyber-Raum allemal, doch bisher ist es nur die Umorganisation vorhandener Kräfte. Die nächste Legislaturperiode des Bundestages muss dann den Weg frei machen für ein neues Denken. “Offensives Verteidigen” hat es die Bundesverteidigungsministerin genannt. Ein Angriff auf Kritische Infrastrukturen ist wie ein Bombenabwurf, er erfordert sofortige militärische Gegenreaktionen. Das sind die Klärungsbedarfe der nächsten Wahlperiode (weitere Informationen zur Aufstellung des Kommandos CIR finden Sie auf Seite 45). R. Uwe Proll

Der Druck unter der Kuppel


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / April 2017

Wahlen Neues Dreigestirn beim DBB Drei dürfen nicht mehr, einer verzichtet ............................................................................................................................ Seite 3

Integration muss gelingen! Herausforderung für Bund, Länder und Kommunen ......................................................................................................... Seite 5

Anhänger des starken Staates Christian Lindner (FDP) zum Öffentlichen Dienst in Deutschland ...................................................................................... Seite 6

“Wir brauchen jetzt Entscheidungen” Das Superwahljahr 2017 hält nicht nur die Bundestagswahl im September, drei Landtagswahlen und viele kleine Kommunalwahlen parat, es stehen auch mehrere Gewerkschafts- und Verbandswahlen an.

Mahmut Özdemir (SPD) fordert Koordinierungsstelle “Digitale Verwaltung” im Kanzleramt .......................................... Seite 25

Foto: BS/S. Hofschlaeger, pixelio.de

Wettbewerb und Regulierung Frostige Zeiten beim Wettbewerb? Diskussion um eigenwirtschaftliche Verkehre im ÖPNV .................................................................................................... Seite 3

Schwarze Schafe strafen Einigkeit: bestehende Landesregister abschaffen .............................................................................................................. Seite 8

“Unbehagen ist schlechter Ratgeber” Niels Lau über die Kartellrechtsnovelle und das geplante Wettbewerbsregister .............................................................. Seite 9

Mehr Wettbewerb statt Systemlösungen Freie Fahrt für den Wettbewerb ist ein Credo der sozialen Marktwirtschaft. Doch ohne Vorschriften und Regulierungen geht es nicht. Nicht nur im Wasserverkehr, sondern auch im Gesundheitssektor, bei der Einführung neuer Technologien oder der Vergabe öffentlicher Aufträge werden Regeln empfohlen, diskutiert und vorgegeben. Foto: BS/Bernd Sterzl, pixelio.de

Monopolkommission zum Krankenkassenversicherungssystem ....................................................................................... Seite 12

Ein untauglicher Versuch Drohnen-Verordnung überfordert Behörden .................................................................................................................... Seite 38

Innenspiegel

Neues Kommunikationstool

Impressum

Mehr Service und Komfort für unsere Leser (BS/Dr. Fabian Rusch) Es ist so weit. Der Behörden Spiegel vereinfacht mithilfe eines QR-Codes das Inkontakttreten mit dem Verlag. Diese als “Quick Response Code” bezeichnete Grafik soll gemäß ihrer Übersetzung auch in der Realität künftig für eine schnelle und unkomplizierte Art der Kommunikation zur Verfügung stehen. Der QR-Code kann über die Kamera eines jeden Mobiltelefons eingescannt werden und verbindet den Nutzer automatisch mit unserem Kundenformular. Hier können fortan verschiedene Probeabonnements bestellt, Adress- und Bezugsänderungen mitgeteilt werden. Dies soll dem Leser die Möglich-

keit geben, einfach und unkompliziert verschiedene Produkte der Behörden Spiegel-Gruppe zu beziehen und kennenzulernen. Damit diese auch immer dort ankommen, wo sie benötigt werden, können, z. B. bei Beförderungen, Versetzungen oder beim Verlassen der Dienststelle oder des Arbeitgebers, auf einfa-

che Art und Weise Änderungen mitgeteilt und vorgenommen werden.

Beilagenhinweis Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/BMZ Foto 2: BS/Feldmann Foto 3: BS/Feldmann

“Ein effizienter Staat ist keine Beschäftigungsmaschine mehr, sondern der Garant für Daseinsvorsorge und ein Dienstleister zugleich. Professionalität, Managementkenntnisse, Flexibilität und Mobilität bestimmen die Anforderungen ans staatliche Personal, nicht allein die Loyalität. Dazu braucht es eine qualifizierte Ausbildung für Führungskräfte.” R. Uwe Proll, Chefredakteur des Behörden Spiegel

Potenziale erkennen Perspektiven schaffen Profile schärfen Das Behörden Spiegel-Stipendium In Kooperation mit renommierten Universitäten. Für Politikberater, für Verwaltungsexperten, für Nachwuchskräfte, für Modernisierer. Für alle, die mehr wollen an der Schnittstelle von Management, Verwaltung & Politik. www.behoerden-spiegel.de/stipendium

Der QR-Code findet sich zukünftig regelmäßig im Impressum auf dieser Seite.

Dem Behörden Spiegel liegt eine Beilage von 3M bei. Einer Teilauflage des Behörden Spiegel liegt eine Beilage der Technischen Akademie Wuppertal bei. In NRW liegt dem Behörden Spiegel eine Beilage der NRW.Bank bei.

Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de Herausgeber und Chefredakteur R. Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Carsten Köppl Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Julian Einhaus (Kommunal- und Energiewirtschaft, ÖPP), Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Tobias Henke (IT-Sicherheit), Carsten Köppl (Demografie, Länder und Kommunen), Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), R. Uwe Proll (Politik, Parlament), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Büro Brüssel Hartmut Bühl Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/ 72626-2212, Fax 030/72626-2210 Layout Beate Dach, Cornelia Liesegang, Jenn Tran Verlag Bonn Anzeigen / Redaktion / Vertrieb, Tel. 0228/97097-0, Fax 0228/ 97097-75 Verlag Berlin Redaktion / Vertrieb, 10317 Berlin, Kaskelstr. 41, Tel. 030/557412-0, Fax 030/557412-57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 28/2017, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Sparkasse KölnBonn, IBAN: DE06370501980007503063, BIC: COLSDE33; Berliner Bank AG, IBAN: DE03100708480482263100 BIC: DEUTDEDB110; Postbank, IBAN: DE24370100500022690509 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

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Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / April 2017

Frostige Zeiten beim Wettbewerb?

Weiter sachgrundlose Befristungen

Diskussion um eigenwirtschaftliche Verkehre im ÖPNV (BS/Jörn Fieseler) Wie viel Wettbewerb wollen wir uns leisten? Oder eben nicht? Welche sozialen und ökologischen Standards sollen gelten? Und zu welchem Preis? Diese Fragen sind Kernbestandteil der Leistungserbringung in der Daseinsvorsorge. Aktuell werden sie im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) debattiert. Vor allem wegen der möglichen Auswirkungen. Kommunen, Länder und Gewerkschaften sehen dringenden Handlungsbedarf. Der Bundesrat hat einen Gesetzentwurf beschlossen, den der Bundestag noch vor dem Ende der Legislatur verabschieden soll. Doch im Parlament herrscht Uneinigkeit. Ebenso hat das Bundesverkehrsministerium Zweifel. Im Fokus sind die sogenannten eigenwirtschaftlichen Verkehre. Die stehen im Gegensatz zur Ausschreibung bzw. Direktvergabe von ÖPNV-Dienstleistungen. Sind Verkehrsleistungen im Stadtlinienverkehr zu vergeben, ist dies vorher bekannt zu machen. § 8 Abs. 4 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) sieht jedoch vor, dass der ÖPNV eigenwirtschaftlich zu erbringen ist. Das heißt ohne Zuschüsse. Stellt ein privates Unternehmen im Rahmen der Vorbereitung einer Ausschreibung oder nach vorheriger Bekanntmachung einer Direktvergabe jedoch einen Antrag auf eigenwirtschaftlichen Verkehr, ist dieser zu genehmigen. Voraussetzung: Die darin genannten Leistungen müssen mindestens dem bisherigen Verkehrsangebot entsprechen. Und die Unternehmen müssen deutlich machen, dass sie eben ohne Zuschüsse seitens der öffentlichen Auftraggeber auskommen. Selbst eine Ausschreibung wäre damit hinfällig.

Lohndumping verhindern Kritiker sehen darin eine Gefahr für die Sicherung sozialer Standards, etwa der Zahlung von Tariflöhnen. Kerstin Kassner (Die Linke), ehemalige Landrätin der Insel Rügen, spricht sogar von einem Verdrängungswettbewerb, bei dem öffentliche Verkehrsunternehmen das Nachsehen hätten. “Wir wollen nicht die eigenwirtschaftlichen Verkehre abschaffen”, betont Kirsten Lühmann,

dern auch die Vorgabe von Mindestentgelten nach einschlägigen Tarifverträgen. Außerdem sollen Unternehmen im Rahmen der Antragstellung nachweisen, dass sie über den gesamten Zeitraum der Leistungserbringung in der Lage sind, die Aufgaben ohne Zuschüsse zu erfüllen. In der Praxis werde zwar oftmals ein Antrag auf eigenwirtschaftlichen Verkehr gestellt, nach Übernahme der Leistung aber eine Zuzahlung gefordert.

Erhöhter Diskussions- und Prüfungsbedarf

Beim Wettbewerb um den ÖPNV herrscht alles andere als Frühlingsstimmung. Jeder sieht den Wettbewerb in Gefahr. Die einen fürchten um kommunale Verkehrsbetriebe, die anderen um die privaten. Foto: BS/Rainer Sturm, pixelio.de

Sprecherin für Verkehr und digitale Infrastruktur der SPDFraktion im Bundestag. “Aber wir wollen Eigenwirtschaftlichkeit unter fairen Bedingungen.” Der Druck ist groß. Ein Großteil der Rahmenverträge im ÖPNV der rund 500 kommunalen Auftraggeber läuft 2018/19 aus. Rund 100.000 Beschäftigte seien betroffen. Neuausschreibungen fänden bereits statt bzw. würden in den nächsten Monaten bekannt gegeben.

Präzisierung des Gesetzes Parteigenosse Sören Bartol ergänzt: “Wenn uns 200 Personalräte öffentlicher Verkehrsunternehmen anflehen, tätig

zu werden, wenn Verdi, VDV, die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft und der Städtetag mit einer Stimme sprechen, dann kann man das nicht ignorieren.” Er wolle die Gelegenheit nutzen, mit einer schlanken Änderung eine Präzisierung zu erreichen, so Bartol mit Blick auf einen Gesetzentwurf des Bundesrates. Der hat, auf Initiative der Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg, einen Gesetzesentwurf beschlossen. Bereits in der Vorabbekanntmachung sollen nicht nur die konkreten Anforderungen der Verkehrsleistung definiert werden, son-

Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) sieht in dem Gesetzentwurf jedoch eine deutliche Verschärfung für die Genehmigung dieser Anträge. Angesichts dieser ganz zentralen Weichenstellung sehe das Ministerium politischen Diskussionsbedarf, heißt es in der Stellungnahme zum Gesetzentwurf. Zudem gebe es weiteren Prüfungsbedarf bezüglich der Forderung, die Eigenwirtschaftlichkeit über den gesamten Zeitraum von möglicherweise zehn Jahren nachzuweisen. Ein Punkt, den auch schon Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in BadenWürttemberg, kritisiert hat, weswegen sich sein Land letztendlich bei der Abstimmung in der Länderkammer enthielt. “Hat der Bürger das Einkommen und die Arbeitsplätze beim ÖPNV zu sichern oder hat der ÖPNV nicht vielmehr die Aufgabe, dem Bürger nach dem günstigsten Preis-Leistungs-

Verhältnis eine Dienstleistung anzubieten?”, fragte Arnold Vaatz von der CDU/CSU-Fraktion. Tatsächlich würden Direktvergaben von Verkehrsleistungen im ÖPNV zu 96 Prozent an öffentliche Unternehmen gehen; der Anteil dieser Vergabeart sei um 88 Prozent gestiegen, betont der Unionspolitiker Michael Donth. Zudem habe in 27 Fällen ein Betreiberwechsel vom privaten zum kommunalen Verkehrsbetrieb stattgefunden. Und nur in wenigen Fällen andersherum, ergänzt Ulrich Lange (ebenfalls CDU/CSU-Fraktion). Es müsse also die Frage gestellt werden, ob nicht eher die privaten Unternehmen aus dem Wettbewerb verdrängt würden. Anders in Pforzheim (siehe Behörden Spiegel September 2016, Seite 8), wo am Ende die kommunalen Eigenbetriebe abgewickelt wurden.

Es geht auch anders Das PBefG bietet schon jetzt die Möglichkeit, Sozialstandards zu regeln. Etwa in der Vorabbekanntmachung. Eine andere Lösung wäre, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. “Nach den einschlägigen Regelungen des Tarifvertragsgesetzes kann nicht eine Landesregierung von sich aus eine Allgemeinverträglichkeit von Tarifverträgen bestimmen”, erklärt ein Sprecher aus dem nordrhein-westfälischen Verkehrsministerium. Dies müsse einvernehmlich zwischen den Tarifparteien geklärt werden. Ein Prozess, der dauern kann.

Neues Dreigestirn beim DBB Drei dürfen nicht mehr, einer verzichtet (BS/Jörn Fieseler) Dass der amtierende Bundesvorsitzende der Komba-Gewerkschaft und stellvertretende DBB-Bundesvorsitzende, Ulrich Silberbach, den jetzigen Chef des DBB Beamtenbunds und Tarifunion, Klaus Dauderstädt, beerben möchte, ist schon seit Längerem bekannt. Es ist jedoch nicht die einzige Personalveränderung, über die auf dem Gewerkschaftstag im November abgestimmt werden muss. Zehn Kandidaten haben ihren Hut bereits in den Ringe geworfen. Fest steht, dass neben Dauderstädt auch Willi Russ, zweiter Vorsitzender und Fachvorstand Tarifpolitik, und der stellvertretende Bundesvorsitzende Volker Stich altersbedingt nicht zur Wahl antreten werden. Allein für diese drei Personen geeignete Nachfolger zu finden, ist in dem gewerkschaftlichen Dachverband mit seinen 42 Mitgliedsgewerkschaften und 16 Landesverbünden nicht leicht. Schließlich sollen sich die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Fachverbände ebenso in der Bundesleitung widerspiegeln wie auch die Landesvertretungen.

Gleiche Vergangenheit Deshalb löste schon Silberbachs Kandidatur für den Bundesvorsitz viele Fragen aus. Soll nach dem Angestellten Dauderstädt wieder ein Nicht-Beamter den Vorsitz in der neunköpfigen Bundesleitung übernehmen? Und wenn ein “Kombaianer” den Bundesvorsitz übernimmt, wer kommt dann für den Fachvorstand Tarifpolitik infrage? Ein weiteres Komba-Mitglied scheidet aus, da werden die anderen

Mitgliedsverbände nicht mitmachen. Eine Lösung scheint nach der letzten Sitzung des Bundeshauptvorstandes im März gefunden: Volker Geyer, derzeitiger Bundesvorsitzender der Kommunikationsgewerkschaft DPV (DPVKOM), stellt sich zur Wahl. Damit würde der Posten des Fachvorstandes Tarifpolitik wieder mit einem Vertreter der Fachgewerkschaft für die Beschäftigten der Branchen Post/ Logistik, Postbank, Telekommunikation und Callcenter besetzt werden. Denn auch Willi Russ war bis 2007 Vorsitzender der DPVKOM. Eine weitere Lücke entsteht durch den Weggang des BadenWürttembergers Volker Stich. Er vereinigte in seiner Person zwei Merkmale. Zum einen ist er der Vertreter der Landesverbände, zum anderen steht er auch für die Lehrer in der Beamtenschaft, obwohl das Themengebiet auch von Astrid Hollmann bearbeitet wird. Gleich drei Gewerkschaftsvorsitzende streben seine Nachfolge an. Als Vertreter der Landesverbände steht Friedhelm Schäfer, DBB-Landesvorsitzender

in Niedersachsen, bereit. Für die Vertreter der Lehrer wollen einerseits Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), und sein Konkurrent Jürgen Böhm, Chef des Verbandes Deutscher Realschullehrer (VDR), antreten. Wer hier am Ende die Nase vorn hat, ist derzeit nicht absehbar. Böhm setzte sich allerdings vor fünf Jahren bei der Besetzung eines internen Arbeitsgremiums gegen Beckmann durch.

Vier bekannte Gesichter Parallel dazu treten vier Mitglieder der bisherigen Bundesleitung zur Wiederwahl an. Als Vertreter der Deutschen Steuergewerkschaft (DStG) deren Bundesvorsitzender Klaus Eigenthaler. Ebenso kandidiert Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft (GDL), wieder. Zuvor muss er sich im Rahmen des 150. Geburtstages seiner Organisation auf dem Gewerkschaftstag in Ludwigshafen wiederwählen lassen. Das dürfte aber nur eine Formalie sein, kann Weselsky doch in seiner aktuellen Amtszeit auf einige Er-

folge in den Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn und anderen Schienenverkehrsunternehmen verweisen. Und auch die beiden Frauen im jetzigen Gremium, Kirsten Lühmann als Mitglied der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) und Astrid Hollmann, Mitglied in der VRFF – Die Mediengewerkschaft, treten wieder an. Dabei war über Lühmann lange spekuliert worden, wegen des vorher anstehenden Bundestagswahlkampfes. Allerdings scheint es keine Alternative zu geben. Rainer Wendt, dem nachgesagt wurde, Ambitionen für einen Posten in der Bundesleitung zu haben, hat aufgrund der aktuellen Causa keine Erfolgsaussichten.

Überraschend Nicht zur Wahl tritt überraschenderweise der aktuelle Fachvorstand Beamtenpolitik, Hans-Ulrich Benra, an. Damit wird das hauptamtliche Dreigestirn der Bundesleitung komplett neu besetzt. Als sein Nachfolger will sich Waldemar Dombrowski, Vorsitzender der VBBA Gewerkschaft Arbeit und

KNAPP

Soziales, dem Delegiertenvotum stellen. Eines ist aber schon bei der letzten Sitzung des Bundeshauptvorstandes beschlossen worden: Wenn der Vorsitzende ein Angestellter ist, soll der Zweite Vorsitzende ein Beamter, sprich der Fachvorstand Beamtenpolitik sein. Eine Entscheidung, die logisch ist, schließlich sind im DBB Beamtenbund und Tarifunion beide Personalgruppen, Beamte und Angestellte, vertreten. Dieser Schritt muss in der Satzung des gewerkschaftlichen Dachverbandes noch geändert werden. Darüber, wie auch über die einzelnen Kandidaten, entscheiden die Delegierten auf dem Gewerkschaftstag vom 19. bis 22. November 2017. Fest steht, von den bisherigen zehn Kandidaten wird einer oder eine am Ende das Nachsehen haben. Wobei es aus Sicht der DBB-Frauenvertretung ein Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung wäre, würde es eine der beiden Frauen treffen. Es können jedoch noch mehr werden. Denn bis zu den einzelnen Wahlgängen können noch weitere Personen ihre Kandidatur verkünden.

(BS/jf) Die sachgrundlose Befristung im Arbeitsrecht hat auch weiter Bestand. Niedersachsens Finanzminister PeterJürgen Schneider hatte in der letzten Tarifrunde noch betont, dass die Abschaffung nur per Gesetzesänderung möglich ist. Entsprechende Anträge von Grünen (Bundestagsdrucksache 18/11608) und Linken (Drucksache 18/11598) sind vom Ausschuss für Arbeit und Soziales mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen jedoch abgelehnt worden. Zwar plädiere die SPD ebenfalls für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, stimme aber auf Rücksicht auf den Koalitionsvertrag und den Koalitionspartner gegen die Anträge, heißt es. Die CDU/CSU-Fraktion sieht in dieser Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses “das einzige unbürokratische Instrument für Arbeitgeber”. Dr. Matthias Zimmer (CDU) hofft, dass angesichts der jetzigen Situation auf dem Arbeitsmarkt “die sachgrundlose Befristung möglichst schnell in der Asservatenkammer der Geschichte verschwindet”.

Neues Karriereportal (BS/jf) Nordrhein-Westfalen hat ein neues Karriereportal eröffnet. Schulabgänger, Studierende und Berufserfahrene können Angebote des Öffentlichen Dienstes als größten Arbeitgeber in NRW nun über die Seite www. karriere.nrw abrufen. Insgesamt 91 verschiedene Jobprofile werden Stellensuchenden und Interessierten auf der zentralen Anlaufstelle geboten. Die Inhalte zielgruppenspezifisch aufbereitet. So gibt es auf der Startseite eigene Menüfelder für Schulabgänger, die entweder einen Ausbildungs- oder einen Studienplatz suchen. Studienabsolventen finden über die Optionen “Ausbildung beim Land”, “Studieren beim Land” sowie “Karriere nach dem Studium” zahlreiche Angebote. Darüber hinaus ist der separat bestehende “Stellenmarkt.NRW” ebenfalls in das neue Portal integriert worden. Weitere Informationen unter www.karriere.nrw

In Curricula aufnehmen (BS/jf) Die Linke-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern möchte den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) stärken. In einem Antrag, der in den Landtag eingebracht wurde, fordert sie die Landesregierung auf, die Einflussmöglichkeiten auf die Medizinausbildung zu nutzen, um einerseits das öffentliche Gesundheitswesen in die Studienordnungen aufzunehmen. Zum anderen soll der ÖGD als Station für Famulaturen und das praktische Jahr zur Wahl stehen. Die Mitarbeiter des ÖGD sollen zudem die Möglichkeit erhalten, Aus-, Fort- und Weiterbildungen an der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf nutzen zu können. Und schlussendlich soll das Land prüfen, inwiefern die Kommunen bei der Lösung der Personalprobleme im ÖGD unterstützt werden können.


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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Behörden Spiegel / April 2017

Menschen im Blick behalten

“Wir sind es Ihnen schuldig!”

Mitbestimmung bei Digitalisierung und Arbeit 4.0

Höhere Mindeststrafen bei Gewalt gegen Polizisten / Zulage in Hessen

(BS/Jörn Fieseler) Wenn ein Gesetz 47 Jahre Bestand hat, ohne novelliert zu werden, ist es entweder besonders (BS/Jörn Fieseler) “Wir sind der Auffassung, dass wir diejenigen, von denen wir erwarten, dass sie für Recht gut gelungen und es gibt keinen Änderungsbedarf. Oder es fehlt der politische Wille zum Überarbeiten. Beim und Ordnung und für Sicherheit in unserem Land sorgen, in Zukunft besser schützen”, sagte BundesjustizmiBundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) traf Letzteres zu. Das könnte sich bald ändern. nister Heiko Maas. Deshalb soll der Schutz von Polizisten, Feuerwehr- und Rettungskräften verbessert werden. Was für die einen Wasser auf die Mühlen und schon längst überfällig ist, ist für andere noch nicht ausgereift. So habe Bundesinnenminister und des Umgangs mit entspre- An Kritik wird jedenfalls nicht gespart. Dr. Thomas de Maizière gegenüber Gewerkschaftsvertretern von Deutschem Gewerkschaftsbund und DBB Beamtenbund und Tarifunion verlauten lassen, dass er sich in der nächsten Legislatur eine Novellierung des BPersVG vorstellen könne, wie DBB-Chef Klaus Dauderstädt auf dem diesjährigen 11. Forum Personalvertretungsrecht verkündete. Im Kern gehe es um “unterlappende Zuständigkeiten bei überlappenden Entscheidungen”, so Dauderstädt. Einerseits regle das BPersVG u. a. die Mitbestimmung des Personalrates gegebenenfalls per Abschluss einer Dienstanweisung bei Gestaltung des Arbeitsplatzes (§ 75) bzw. der Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden (§ 76). Andererseits könne es nicht sein, dass bei der Einführung einer bundesweiten Software ein Nein z. B. aus Oldenburg den gesamten Prozess stoppe. Deshalb müsse die “Revolution durch die IT im Öffentlichen Dienst” dem rechtlichen Rahmen der Mitbestimmung gegenübergestellt und Letzterer angepasst werden.

24 Tage mobil arbeiten “Es gehört sich nicht, vor einer Bundestagswahl die volle Gestaltungsmacht anzunehmen”, betonte BMI-Staatssekretär Klaus-Georg Engelke. Trotzdem bestätigte er, dass es innerhalb des Hauses Sympathien gebe, die Formen der Mitbestimmung zu überarbeiten. Zum einen sollen für Großprojekte andere

chenden Anträgen. Vieles müsse noch geklärt werden, so Engelke, etwa die Frage, ob jeder Antrag automatisch bewilligt werde. Gleichzeitig sei die Entgrenzung von Arbeit zu verhindern.

Virtueller Übungsplatz

Sieht die Notwendigkeit, das Personalvertretungsrecht an die Digitalisierung anzupassen: Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im BMI. Foto: BS/Jan Brenner

Formen der Mitbestimmung gefunden werden. Zum anderen verändere sich die Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung, weshalb auch die Personalvertretung angepasst werden müsse. Durch die Digitalisierung änderten sich Arbeitsverhältnisse. Mehr Flexibilität beim Arbeitsort und hinsichtlich der Arbeitszeit sei die Folge. Im BMI ist deshalb die Dienstvereinbarung zur Arbeitszeit von 2013 erst evaluiert und nun geändert worden. Zukünftig ist es jedem Mitarbeiter erlaubt, anlass- und begründungsfrei 24 Tage im Jahr mobil zu arbeiten. “Für unsere Verhältnisse ist das revolutionär”, unterstreicht Engelke. Damit liege viel Verantwortung bei den direkten Vorgesetzten hinsichtlich der Funktionsweise eines Teams

“Wir müssen uns darauf einstellen, dass eine Führungskraft um acht Uhr ins Büro kommt, keiner da ist und um zehn Uhr die Arbeit trotzdem erledigt ist”, sagte Roland Ledinger, Leiter des Bereichs IKT-Strategie des Bundes im österreichischen Bundeskanzleramt. Ebenso seien Prozesse in der Verwaltung neu zu denken, wie z. B. als in Österreich die Papierakte vor 17 Jahren abgeschafft und die Prozesse elektronifiziert worden seien. Doch “die heutigen Digital Natives, die bereits als Kollegen in der Verwaltung arbeiten”, würden gänzlich anders mit den digitalen Mitteln umgehen. Darüber hinaus müsse die Verwaltung sich auf neue Prozesse und Technologien einstellen. “Wie können wir Steuern mit Bitcoins erheben? Wie wirkt sich das Thema Blockchain auf die öffentliche Verwaltung aus?”, fragte Ledinger. Um diese Fragen zu klären, sei in Österreich ein “govlab” eingerichtet worden, ein “virtueller Probierraum für die öffentliche Verwaltung”, so Ledinger. In einem Punkt stimmte auch Ledinger zu: “Verwaltung 4.0 geht nicht mit Beteiligung 1.0”, wie es Hans-Ulrich Benra, Fachvorstand Beamtenpolitik im DBB, formulierte.

Übergang in “engagierten Ruhestand” Regelungen bei Postnachfolgeunternehmen verlängert und modifiziert (BS/jf) Der versorgungsabschlagsfreie Übergang in den Vorruhestand bei Beamten der Postnachfolgeunternehmen ist zum 31. Dezember 2016 ausgelaufen. Noch vor der Bundestagswahl soll nun die alte Regelung verlängert werden. Mit einer Neuerung. Beamtinnen und Beamten, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, sollen bis 2020 ohne Pensionsabschläge in den Ruhestand gehen können. Wenn sie sich ehrenamtlich engagieren. Entweder für zwölf Monate im Rahmen einer Tätigkeit beim Bundesfreiwilligendienst. Oder bei einer vergleichbaren ehrenamtlichen Tätigkeit von mindestens 1.000 Einzelstunden bei einer Einrichtung, die ausschließlich gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgt. “Die Beamten können dadurch ihre vielfältigen Fähigkeiten und langjährigen beruflichen Erfahrungen weiterhin aktiv einbringen, in dem sie sich im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich, im Sport, der Integration oder im Zivil- und Katastrophenschutz für das Allgemeinwohl engagieren”, heißt es in der Begründung des Gesetzesentwurfes (Drucksache 18/11559). Als alternative Voraussetzung gilt eine familienbedingte Beurlaubung. Diese ist gegeben, wenn ein noch minderjähriges Kind oder sonstige Angehörige tatsachlich betreut oder gepflegt werden müssen. Ein Rechtsanspruch leitet sich daraus aber nicht ab. Die Staatsdiener bei den Postnachfolgeunternehmen müssen sich selbst eine Tätigkeit und Einsatzstelle aussuchen. Grundsätzlich soll der Dienst ganztäglich geleistet werden. Teilzeitdienste sind nur in Abstimmung mit der Einsatzstelle möglich, wenn in der Person des Dienstleistenden liegende Gründe dies erfordern,

64.371 Polizisten sind 2015 laut Polizeilicher Kriminalstatistik Opfer von Gewalt geworden – 176 pro Tag. Im Vergleich zu den Vorjahren ist diese Zahl weiter gestiegen. Deshalb soll nun das Strafgesetzbuch – genauer die §§ 113, 114 und 115 StGB – verschärft werden. Bislang waren Polizisten nur bei Vollstreckungshandlungen besonders geschützt. Dieser Bezug soll nun wegfallen. Jeder tätliche Angriff auf Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Rettungskräfte während einer Diensthandlung soll eine Mindeststrafe von drei Monaten nach sich ziehen. Bei besonders schweren Fällen wie gemeinsamen Angriffen sowie beim Führen einer Waffe ist eine sechsmonatige Mindeststrafe vorgesehen. “Wir sind das den Polizeibeamten, den Rettungskräften und den Vollzugsbeamten schuldig”, sagte Maas im Bundestag. Damit spricht er den Vertretern der Polizei, allen voran den Gewerkschaften, aus der Seele. Sowohl die Gewerkschaft der Polizei (GdP) als auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) begrüßen die geplante Änderung und erwarten sich damit einen Rückgang von Angriffen auf Polizisten.

StGB) Behinderung von hilfeleistenden Feuerwehrleuten (Nötigung, § 240 StGB) seien bereits erfasst. Zudem blieben andere Berufsgruppen im Öffentlichen Dienst, wie Zugbegleiter oder Lehrer, außen vor. Dieser Kritik schließt sich auch der DBB Beamtenbund und Tarifunion an. Seine Forderung: Diese und weitere Berufsgruppen, wie die Mitarbeiter in Jobcentern, Finanzämtern und Rathäusern (inklusive Bürgermeister), ebenfalls mit aufzunehmen.

Anerkennung anders erreichen Für all diese Gruppen brauche man keinen eigenen Paragrafen im Strafgesetzbuch, meint der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele mit Verweis auf die

rechtskollegin Dr. Dorothea Magnus. Sie geht davon aus, dass bei der jetzigen Formulierung die Richter den § 114 StGB kaum anwenden werden. Noch deutlicher wurde Strafrichter Ruben Franzen, Mitglied im Bundesvorstand der Neuen Richter Vereinigung e. V. Er sieht in der neuen Regelung einerseits eine Gefahr für den Rechtsstaat, wenn sich die politische Konstellation in Deutschland ändern sollte. Andererseits sei sie ein Beitrag zur Eskalation. Schon bei der letzten Gesetzesverschärfung 2011 habe die Gewalt gegen Polizisten weiter zugenommen. Diese Folge sei hier nicht auszuschließen. “Schlicht überflüssig”, lautet daher das Fazit der Oppositionsparteien. Anerkennung müsse anders gemacht

Umsetzung fragwürdig “Gewalt gegen Polizisten ist nicht hinnehmbar”, betonte stellvertretend für alle Parteien Frank Tempel (Die Linke). Dennoch sei aus seiner Sicht eine Verschärfung des Strafgesetzbuches nicht zielführend. Zum einen würden Straftäter im Vorfeld nicht überlegen, ob, und wenn ja wie lange, sie “hinter Gitter” wandern. Zum anderen gebe es “keine einzige Möglichkeit, die nicht bereits strafbar sei”, so der gelernte Polizist. Pöbeleien und Bespucken (Beleidigung, § 185 StGB) Ohrfeigen und Schubsen (tätliche Beleidigungen), Angriffe mit tätlicher Gewalt (einfache, gefährliche oder schwere Körperverletzung, §§ 223, 224, 226

Angriffe, wie hier mit einem geworfenen bengalischen Feuer, gehören leider längst zum Polizeialltag. Deshalb soll der Schutz vor Gewalt nicht länger nur auf Vollstreckungsmaßnahmen begrenzt werden, sondern auf alle Diensttätigkeiten. Foto: BS/Medien AG, Anarchistische Gruppe Freiburg; flickr.com; cc-by-nc-sa-2.0

von Tempel genannten Tatbestände. Kritik kommt auch aus der Rechtswissenschaft. Jeder Angriff sei zwar ein Akt gegen einen Repräsentanten des Staates, sagte Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel von der Universität Köln während einer Anhörung. Die neue Regelung müsse aber wesentlich präziser gefasst werden. Ansonsten drohe eine uneinheitliche Rechtsprechung. Ähnlich sieht es seine Hamburger Straf-

werden, so Ströbele, zum Beispiel durch eine bessere Schutzausrüstung der Polizei. Oder wie in Hessen. Das Land hat beschlossen, die Zulage für Beschäftigte im Strafvollzugsdienst an die Zulage für den Polizeivollzugsdienst anzugleichen. Die Stellenzulage für die Beamten der hessischen Justizvollzugsanstalten wurde um 32,80 Euro pro Monat auf 131,20 Euro angehoben.

Schluss mit dem “EDEKA-Effekt” Compliance als Chance nutzen (BS/jf) Der Begriff Compliance stammt eigentlich aus dem Wirtschaftsrecht. Er umfasst aber viel mehr als die weitläufig damit gemeinte Korruptionsprävention. Es geht um regelkonformes Verhalten. Und trotz des ausdifferenzierten Beamten- und Tarifrechts ist sie auch im Öffentlichen Dienst sinnvoll und notwendig.

Nicht nur beamtete Postboten sollen auch weiterhin ohne Abzüge vorzeitig in den Ruhestand gehen können, sondern auch die früheren Staatsdiener bei Postbank und Telekom. Foto: BS/Elisabeth Patzal, pixelio.de

z. B. ein pflegebedürftiger Angehöriger oder eine verminderte körperliche Leistungsfähigkeit. Das Ruhestandsgehalt wird während dieser Tätigkeit nicht reduziert. Zudem dürfen die Beamten ein monatliches Taschengeld von derzeit 450 Euro pro Monat hinzuverdienen, sofern ein solches mit der Einsatzstelle vereinbart wurde. Seitens der Kommunikationsgewerkschaft wird das Vorhaben begrüßt: “Die DPVKOM hat sich bereits im vergangenen Jahr für eine Verlängerung der Vorruhestandsregelung stark gemacht. Es freut uns, dass hierzu nun ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgelegt wurde”, sagte deren Bundesvorsitzender Volker Geyer. Er geht davon aus, dass der Entwurf noch vor der Bundestagswahl verabschiedet

wird. “Die Beamtinnen und Beamten, die die Vorruhestandsregelung in Anspruch nehmen wollen, brauchen Rechtssicherheit. Außerdem bedarf es klarer Festlegungen für die praktische Umsetzung des engagierten Ruhestands.” Darüber hinaus müsse feststehen, in welchen Bereichen und Organisationen eine ehrenamtliche Tätigkeit ausgeübt werden könne. Deutlich kritischer äußerste sich in der Vergangenheit HansUlrich Benra, Fachvorstand Beamtenpolitik beim DBB Beamtenbund und Tarifunion: “Ohne eine gemeinnützige Tätigkeit infrage zu stellen, werden mit dem Gesetzentwurf zwei Sachverhalte verbunden, die keinerlei Bezug zueinander aufweisen”, sagte Benra, der rechtliche Zweifel hat, ob das gehe.

“Der Begriff Compliance beschreibt bei Unternehmen die Gesamtheit aller Maßnahmen zur Gewährleistung der Einhaltung rechtlicher Gebote und des Nichtverstoßens gegen gesetzliche Verbote durch das Unternehmen selbst, seine Organmitglieder und seine Mitarbeiter”, erläuterte Robin Melchior, Richter am Amtsgericht Berlin, im Rahmen der Gesprächsreihe VBB (Verband der Beamten der Bundeswehr) im Dialog. Damit sei mehr gemeint als das Aufwärmen von Selbstverständlichkeiten. Stattdessen beschreibt der Begriff aus Sicht des Richters auch Pflichten für die Organisation.

Gefährdungsatlas und Verhaltenskodex Für den Rechtsanwalt und Mediator Holger-Michael Arndt ist entscheidend, dass Regeln nicht nur eingehalten, sondern vor allem auch vermittelt würden. Nur wer die Regeln kenne, könne sich auch integer verhalten. Unlauteres Verhalten fange nämlich schon im Kleinen an. Drei Dinge seien deshalb maß-

geblich, quasi für jede Organisation die drei Kardinalpflichten. Zuerst sei für die gesamte Verwaltung eine Risikoanalyse zu erstellen, ein sogenannter Gefährdungsatlas. Entsprechend den Ergebnissen sei zweitens eine Organisationsstruktur aufzubauen, die Maßnahmen der Prävention, der Aufdeckung und der Reaktion auf Fehlverhalten umfasst. “In der Regel wird dies in einem Verhaltenskodex zusammengefasst”, so Arndt. Damit beginne die eigentliche Arbeit. Das Compliance-Programm müsse in die Arbeitsabläufe implementiert, sprich “gelebt und permanent angepasst werden”. Der Mediator, der auch an der mitveranstaltenden DBBAkademie als Dozent tätig ist, sieht hier vor allem Führungskräfte in der Pflicht.

Remonstration stärken “Das Beamtenrecht ist klar geregelt, was Pflichtverletzungen angeht”, sagt Günter Schönwald, Leiter des Geschäftsbereichs Grundsatz im DBB Beamtenbund und Tarifunion. “Gleichwohl gibt es Grauzonen.” Der

Jurist betont jedoch, dass Compliance schon im Vorfeld wirke, da sie auch die Gebiete umfasse, die – auch mittelbar – dienstliches Handeln beeinflussen könnten. “Wir müssen Compliance als Chance verstehen”, betont Thomas Kleinschnittger, Mitglied des Vorstands des VBB im BMVg. Dazu gehöre auch, die Remonstrationspflicht zu stärken und positiv zu besetzen. Prof. em. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis merkte in dem Zusammenhang an: “Bislang ist allerdings mit der Remonstration der sogenannte EDEKA-Effekt verbunden – Ende der Karriere. Damit muss dann Schluss sein.” Die Schwierigkeit bei der Remonstration sei, das Fehlverhalten der Vorgesetzten anzuzeigen, erläutert Schönwald. Eine zweite Anlaufstelle außerhalb des Dienstweges, etwa ein Beauftragter für Verwaltung, ein Ombudsmann oder die stellenweise eingerichteten Korruptionsbeauftragten, würden aus Sicht des DBB das Remonstrationsrecht ergänzen und aufwerten.

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Behörden Spiegel / April 2017

Integration muss gelingen!

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abei gilt es, aus den Fehlern, die in früheren Zeiten bei der Einwanderung der “Gastarbeiter” begangen wurden, zu lernen und es jetzt besser zu machen. Es hängt von einer gelungenen Integrationspolitik ab, ob die Kinder der Neuzuwanderer eine Chance im Leben erhalten, ob es gelingt, Konflikte in der Gesellschaft zu lösen oder zu vermeiden, ob das Zusammenleben aller funktioniert oder nicht. Eine gelungene Integrationspolitik forciert das Erlernen der Sprache, eröffnet Zugänge zu Bildung, ermittelt einen gemeinsamen Wertekanon und, nicht zuletzt, befähigt zur Erwerbstätigkeit und somit zur eigenen Existenzsicherung. Diese Faktoren sind allentscheidend dafür, dass auch neu Zugewanderte gesellschaftlich teilhaben können. Das ist auch das Fundament für ein gutes Miteinander, in der Nachbarschaft, im Ort, in den Arbeitsstätten, in den Kitas, Schulen und Vereinen. Damit dieses Fundament gefördert und erhalten bleibt, müssen wir in all diese Orte, in die soziale Infrastruktur, in die Träger unseres Staatswesens investieren.

Menschen im Mittelpunkt Eine gelungene Integration braucht soziale Infrastrukturen, das heißt Angebote und Dienstleistungen, die das notwendige Rüstzeug vermitteln. Diese Infrastruktur ist eine Grundvoraussetzung für das Gelingen von Integration, gestaltet aber noch kein Miteinander. Sie muss genutzt werden. Damit das wechselseitig gut gelingt, müssen jedoch insbesondere die Strukturen in den Infrastruktureinrichtungen mit den Veränderungen mitgehen und der gewachsenen gesellschaftlichen Vielfalt Rechnung tragen. Interkulturelle Kompetenz, Kenntnisse über Herkunftskulturen, biografische Gegebenheiten und nicht zuletzt ein Verständnis für die aktuelle gesellschaftliche Lage sind essenziell, damit die dortige Arbeit ihre Wirkung entfalten kann. Die öffentliche Infrastruktur muss kompetent und verlässlich sein, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und erhalten. Es müssen daher unbedingt Menschen darin tätig sein, die in diesen Einrichtungen Brücken zwischen den Kulturen bauen und gestalten. Sie müssen in der Lage sein, Vorurteile abzubauen und daran arbeiten, dass sie künftig vermieden werden. Und sie sollten glaubhaft und überzeugend unsere Werte

Herausforderung für Bund, Länder und Kommunen (BS/Ekin Deligöz) Deutschland verändert sich. Der demografische Wandel sowie die Zuwanderung durch Geflüchtete wird die Zusammensetzung dieser Gesellschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten stärker denn je verändern. Während der Anteil der älteren Menschen stetig wächst, wird der von Menschen im erwerbsfähigen Alter weiter absinken. Diese Tendenz wird auch durch neu Zugewanderte nicht umgekehrt, die Gesellschaft wird aber durch sie bunter und vielfältiger, als sie ohnehin schon ist. Dieser Entwicklung ist ein Auftrag an die Politik immanent: Sie hat die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Integration gelingt. vertreten und vermitteln. Wir brauchen Menschen, die selbst Migrationserfahrung haben, die in den Strukturen des Öffentlichen Dienstes und der staatlichen Infrastrukturen (Mit-) Verantwortung übernehmen. Es braucht Menschen mit Kenntnissen über die Hintergründe von Zuwanderung, Menschen, die die Grundlagen unserer Gesellschaftsordnung verstehen und vermitteln können. Soziale und kulturelle Kompetenzen spielen hierbei eine sehr große Rolle. Mehr solcher Personen wären auch wünschenswert in der Politik, in Vereinen und Verbänden oder auch in allen denkbaren Zusammenschlüssen der Zivilgesellschaft.

Schere schließen Der Alltag sieht bisher aber ganz anders aus. Migrantinnen und Migranten sind in der Politik und Verwaltung noch immer eine Randerscheinung. Ihr Anteil in der Verwaltung und im Öffentlichen Dienst ist noch sehr gering. Rund 17,1 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund (nicht berücksichtigt ist die Flüchtlingswelle aus 2016). Dies entsprach im Jahr 2015 einem Bevölkerungsanteil von 21,0 Prozent. Die Mehrheit der Personen mit Migrationshintergrund hatte einen deutschen Pass (54,6 Prozent). Gleichzeitig haben lediglich zwei Prozent der politischen Mandatsträger und Mandatsträgerinnen in deutschen Parlamenten einen Migrationshintergrund. Ihr Anteil liegt im Bereich der politischen Interessensvertretung also deutlich unter dem, den sie in der Bevölkerung haben. Zu einem Miteinander auf Augenhöhe gehört aber, dass sie politische Verantwortung übernehmen können und auch sollen. Deshalb sollten mehr Migrantinnen und Migranten die Chance bekommen, im Öffentlichen Dienst, z. B. in Rathäusern, Bürgerämtern und Ausländerbehörden, beschäftigt zu werden. Gleichzeitig müssen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den sozialen Einrichtungen und Behörden für die

MELDUNG

Experten sehen unklare Regelungen (BS/jf) Die Ausgestaltung der Infrastrukturgesellschaft Verkehr war Thema einer Anhörung im Bundestag. Im Fokus standen vor allem Möglichkeiten der Privatisierung. Und auch über den Einfluss der Länder wurde diskutiert. “Für die SPD ist schon immer klar gewesen, dass die Autobahnen und Bundesstraßen in Deutschland dauerhaft zu 100 Prozent in öffentlicher Hand bleiben müssen”, sagten Kirsten Lühmann, Sprecherin für Verkehr und digitale Infrastruktur bei den Genossen, sowie Bettina Hagedorn und Sebastian Hartmann (beide SPD) nach der Anhörung. Schon innerhalb der Bundesregierung habe man die Absicht von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verhindert, 49 Prozent der Anteile an private Investoren zu veräußern. Dennoch sehen mehrere Rechtswissenschaftler weitere Möglichkeiten zu Privatisierungen bei der noch zu gründenden

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Gesellschaft. Eine Möglichkeit ist laut Prof. Dr. Thorsten Beckers von der Technischen Universität Berlin der Abschluss Öffentlich Privater Partnerschaften (ÖPP). Eine andere Option die Frage, ob die im Gesetz erlaubten Tochtergesellschaften privatisiert werden dürften. Der Gesetzestext sei an dieser Stelle nicht eindeutig. Lediglich der Bundesrechnungshof (BRH), vertreten durch Romy Moebus, hält es für sinnvoll, einzelne Strecken “funktional zu privatisieren”. Eine Privatisierung von Teilnetzen lehnt der BRH jedoch ab. Keinen Grund gibt es aus Sicht der Kontrollbehörde jedoch für die Gründung von Tochtergesellschaften. Selbst Regionalgesellschaften müssten aus Sicht des Rechtsanwalts Dietrich Drömann von der Kanzlei Graf von Westfalen nicht sein. Ebenso wenig sind seiner Meinung nach Minderheitsbeteiligungen durch die Länder notwendig.

Migrantinnen und Migranten zur aktiven politischen Teilhabe durch Mentoren-Programme, Praktika und gezielte Ansprache ebenso wie zu Kandidaturen für politische Mandate ermuntert werden.

Möglichkeiten schaffen und investieren

Ekin Deligöz, MdB Bündnis 90/Die Grünen, ist Diplom-Verwaltungswissenschaftlerin und war jahrelang in der Sozialpolitik engagiert. Sie ist stellvertretende Vorsitzende im Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages und Mitglied im Haushaltsausschuss. Foto: BS/privat

Belange der Migrantinnen und Migranten durch Schulungen

und Fortbildungen sensibilisiert werden. Außerdem sollten

Um die Vielfalt der Gesellschaft auch im Öffentlichen Dienst widerzuspiegeln, sind Stipendien und Berufsförderprogramme für Migranten und Migrantinnen notwendig, um den Einstieg in den Öffentlichen Dienst zu erleichtern. So kann beispielsweise die Anzahl der Polizisten und Polizistinnen mit Migrationshintergrund erhöht werden. Jede Kommune sollte eine/n Integrationsbeauftragte/n ernennen, die/der dafür verant-

wortlich ist, die Vernetzung und Koordinierung von haupt- und ehrenamtlicher Integrationsarbeit aufzubauen. Auf Bundesebene muss ein Integrationsministerium den Auftrag der Koordination der unterschiedlichen Behörden und Verantwortungsebenen und regelmäßiger Berichterstattung über Integration und Migration in Deutschland übernehmen. Auch das zivilgesellschaftliche Engagement braucht Orte, an denen es gelebt werden kann, z. B. Frauencafés, Jugendtreffpunkte, Nachbarschaftshäuser, MehrGenerationen-Häuser oder ehrenamtliche Netzwerke. Zudem müssen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Lehrerinnen und Lehrer und Erzieherinnen und Erzieher systematisch in ihrer interkulturellen Kompetenz geschult werden. Wir müssen in die soziale Infrastruktur jetzt investieren. Demokratie leben bedeutet, die Strukturen für die Gesellschaft zu öffnen und Möglichkeiten für eine Identifikation mit der selbigen zu schaffen. Wer sich in die Gesellschaft einbringen und so an ihr teilnehmen kann, verteidigt auch deren Regeln und akzeptiert ihre Bedingungen.


Länder

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ehörden Spiegel: Herr Lindner, was halten Sie eigentlich von Beamten und Beamtinnen?

Lindner: Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zum Funktionieren des Staates. Gute Beamtinnen und Beamte können mitunter schlechte Gesetze kompensieren. Dies haben wir gerade im vergangenen Jahr bei der Flüchtlingskrise auch wieder gesehen. Die katastrophalen Fehlentscheidungen der Politik wurden von Beamtinnen und Beamten auf der Ebene von Bund, Ländern und Kommunen aufgefangen. Dank der Beamtenschaft sind wir haarscharf am staatlichen Organisationsversagen vorbeigeschrammt. Behörden Spiegel: Momentan sprudeln die Steuereinnahmen. Das weckt Lust, Mehrausgaben des Staates zu beschließen. Auch der Personalkörper soll drastisch erweitert werden. Man kann sicherlich von 100.000 Neueinstellungen ausgehen. Verschiebt sich da das Gewicht zwischen Zivilgesellschaft und starkem Staat zu Letzterem?

Behörden Spiegel / April 2017

Anhänger des starken Staates Christian Lindner zum Öffentlichen Dienst in Deutschland

Funktionäre kleinerer Gewerkschaften auf Kosten des Landesetats freigestellt. Halten Sie das für richtig?

Lindner: Das muss man sehr differenziert sehen und von der derzeit öffentlichen Aufregung loslösen. Wenn im Personalvertretungsrecht das Prinzip “The Winner takes it all” gilt, kann le Benachteiligungen von Frauen man darüber nachdenken. Denn im Öffentlichen Dienst auch aus dies bedeutet ja, dass kleinere familienpolitischen Erwägungen Gewerkschaften wie zum Beiheraus. Wir halten diese Her- spiel die Deutsche Polizeigeangehensweise für falsch und werkschaft (DPolG) keine Freischlagen folgendes Gegenmodell stellungen erhalten. Dies wäre aber durchaus sinnvor: Die Bewertung im Öffentlichen Dienst muss modernisiert voll, um deren Beteiligung am werden. Teilzeitarbeit und die Meinungsprozess zu garantiefamilienbedingte Abwesenheit ren. Daher rege ich eine Debatte über das aus dem Beruf Personalvermüssen anders “Jede Freiheit ist tretungsrecht in die BewerFraglich tung einfließen auch an den verantwort- an. ist, ob künftig und dürfen lichen Umgang mit ihr auch kleinere nicht zu einer gebunden.” Gewerkschafnegativen Beten anhand wertung führen. Darüber hinaus sollten die ihres prozentualen Anteils am Prinzipien der Leistungsgerech- Gesamtergebnis der Personaltigkeit nicht angetastet werden. ratswahlen mit Freistellungen berücksichtigt werden. Behörden Spiegel: Das TaBehörden Spiegel: Sie treten rifeinheitsgesetz sieht vor, dass nur eine Gewerkschaft, die über derzeit als Listenführer für die die Mehrheit ihrer Mitglieder in Landtagswahl in Nordrheineinem auch öffentlichen Betrieb Westfalen an. Sie haben bereits verfügt, tariffähig ist. In Ham- erklärt, dass Sie danach unmitburg hat nun die DAK erklärt, telbar als Listenführer für die kandidieren nicht mehr mit dem Deutschen Bundestagswahl Beamtenbund reden zu wollen, werden. Ist das gegenüber dem sondern nur noch mit der dort Wähler in Nordrhein-Westfalen vorherrschenden Gewerkschaft zu rechtfertigen? Verdi. Das würde die GewerkLindner: Wir wollen in Nordschaftsvielfalt stark einschränrhein-Westfalen einen politiken. Wie stehen Sie dazu? schen Wechsel erreichen. Ich will Lindner: Die Koalitionsfrei- während der Zeit der Regierungsheit ist eines der wesentlichen bildung hier voll handlungsfähig Grundrechte für unsere Wirt- sein und mein Mandat als Landausüben. schaftsordnung. Dennoch bin tagsabgeordneter ich oft darüber empört, wie Spar- Außerdem können alle, die ein tengewerkschaften die Flughä- Comeback der FDP wünschen, fen lahmlegen und auch andere bei der Landtagswahl bereits ein Teile der Mobilität in Geiselhaft Signal in die Republik senden. nehmen. Jede Freiheit ist auch Völlig klar ist aber, dass ich ab an den verantwortlichen Um- Herbst meine politische Arbeit gang mit ihr gebunden. Nicht im Bundestag fortsetzen will. immer ist das eine Frage des Darüber gibt es kein Wackeln. Und mein Wort gilt selbst für den Gesetzgebers. Fall, dass die FDP in NordrheinBehörden Spiegel: Um die Westfalen Teil einer Regierung Gewerkschaftsvielfalt zu erhal- wäre. Kein Ministeramt der Welt ten, haben einige Bundesländer könnte mich umstimmen.

(BS) Bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl und bei der Wahl zum Deutschen Bundestag tritt Christian Lindner als Bundesvorsitzender der FDP jeweils auf dem Listenplatz eins an. Der Behörden Spiegel sprach mit ihm über seine politische Zukunft, die Rolle der Beamten, deren Besoldung, Laufbahnen und die dazugehörenden Eingangsvoraussetzungen, Frauenförderungen und Freistellungen von Personalräten. Die Fragen stellte Behörden Spiegel-Chefredakteur R. Uwe Proll. te. Um die Sicherheit weiter zu steigern und um die massiven Überstunden in den Griff zu bekommen. Die Polizei muss auch als Arbeitgeber attraktiver werden. Da müssen wir die Laufbahn meiner Überzeugung nach auch wieder für gute Realschüler öffnen. Ansonsten werden wir nicht alle Stellen dort besetzen können. Behörden Spiegel: Es gibt einige Bundesländer, die nach wie vor eine dreigliedrige Laufbahn für die Polizei vorsehen und damit einen breiteren Bewerberkorridor ansprechen können. Die zweigliedrige Laufbahn, also der Beginn der Karriere eines Polizeibeamten als Kommissar, steht für Sie dabei zur Debatte?

Lindner: Wir sollten an der Lindner: Ich bin ein Anhänger der Idee des starken Staates, zweigeteilten Laufbahn festhalten, so wie das der in seinen Kernfeldern “Ich bin strikt dagegen, auch in Nordrhein-Westfadurch gute Ergebnisse über- dass Eingangsvorausset- len der Fall ist. zeugt. Dazu zungen gesenkt werden.” Dennoch sollte hier der Einzählen Polizei tritt für gute und Justiz, gewiss auch das Bildungswesen Realschüler mit Möglichkeiten und die Garantie unserer äuße- des Aufstiegs Schritt für Schritt ren Sicherheit. Das Gegenteil ist möglich sein. der ausufernde Staat, der sich Behörden Spiegel: In Berlin überall einmischt und unter der mangelnden Fokussierung lei- wird aufgrund der mangelnden det – das ist leider dichter an Bewerberlage die Eingangsvoder Realität. Denken Sie an die raussetzung für den Polizeidienst übermäßige Bürokratisierung, gesenkt. Sprachliche Kompetenwie wir sie mitunter in der staat- zen werden hintangestellt. Aber lichen Umweltverwaltung etwa es ist doch gerade die Sprache, in NRW erleben. Oder auch die die die wichtigste Waffe eines 2.000 Neuanstellungen beim Polizeibeamten in der KommuniZoll für die Kontrolle der Min- kation mit dem Bürger ist, oder? destlohn-DokumentationsverLindner: Ich bin strikt dagegen, ordnung. Das halte ich persönlich für entbehrlich, weil wir an dass Eingangsvoraussetzungen anderen Stellen sicherlich einen gesenkt werden. Der Öffentlidringenderen Personalbedarf che Dienst ist attraktiv und wir haben. Das gilt insbesondere müssen mit Respekt über ihn für den Sicherheitsbereich. Wir sprechen und die Vorteile und brauchen mehr Polizei-Beam- Stärken betonen. Sicherlich hat

Seit Dezember 2013 Bundesvorsitzender der FDP: Christian Lindner Foto: BS/www.christian-lindner.de

es in den letzten Jahren in vielen Ländern Sparmaßnahmen gegeben, die an der falschen Stelle angesetzt haben. Hier insbesondere im Land Nordrhein-Westfalen, wo Beamtinnen und Beamte keine angemessene Anpassung ihrer Bezüge erfahren haben. Ab der Besoldungsgruppe A13 galt man im rot-grün regierten Land bereits als Besserverdiener, der noch nicht mal einen Inflationsausgleich verdient hat. Behörden Spiegel: Sind föderale Strukturen in Anbetracht der terroristischen Herausforderungen eigentlich noch zeitgemäß? Lindner: Wir müssen die Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz stärken. Außerdem muss es mehrere länderübergreifende, nach regionalen Gesichtspunkten organisierte Zusammenschlüsse geben. Das würde auch den Abstimmungsbedarf minimieren. Das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum hingegen halte ich für dysfunktional und legitimatorisch für problematisch. Und wie wir es erleben, ist auch die politische Verantwortung unklar. Deshalb soll-

te dieses Provisorium in seiner jetzigen Form nicht fortgesetzt werden. Behörden Spiegel: Die Politik fordert von der privaten Wirtschaft über eine Quotenregelung mehr Teilhabe von Frauen in Führungspositionen. Schaut man sich auf Bundes- und Landesebene die Besetzung der Abteilungsleiterposten an, stellt man schnell fest, dass Frauen hier unterrepräsentiert sind. Jetzt hat die Landesregierung in NordrheinWestfalen den Mut aufgebracht und ein Gesetz verabschiedet, das Frauen bei der Besetzung von Führungspositionen ausdrücklich befürwortet. Das halten Sie für falsch? Lindner: Die Landesregierung hat hier ohne Not die Grundsätze des Berufsbeamtentums mit Füßen getreten. Denn dazu gehört nun einmal auch das Leistungsprinzip – und das Gesetzesvorhaben der NRW-Landesregierung verstößt dagegen. Hier wird auch unter bestimmten Umständen eine schlechter bewertete Frau einem männlichen Bewerber vorgezogen. Der Grund sind offensichtlich befürchtete strukturel-

Jenseits der großen Zentren

Eingriff in Bestenauslese

Hessische Steuerverwaltung wird reformiert

Leistungsgrundsatz zählt mehr als Frauenförderung

(BS/jf) “In einem ersten Schritt werden wir rund 200 Arbeitsplätze raus aus den Ballungszentren in die ländlichen Räume Hessens verlagern”, (BS/Prof. Dr. Klaus Herrmann) Der Öffentliche Dienst soll eine Vorreikündigte Finanzminister Dr. Thomas Schäfer anlässlich der Strukturreform der hessischen Steuerverwaltung an. Doch was des einen Freud’, ist terrolle bei der Gleichbehandlung der Geschlechter einnehmen. Nun des anderen Leid. ist die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen über dieses Ziel hinausgeschossen. Sie hat im Landesbeamtengesetz geregelt, ßert. Aktuell sind bei den Fi- dass Frauen bei im Wesentlichen gleicher Eignung und fachlicher LeisDer Staat könne den Menschen nanzämtern entsprechende An- tung bei Beförderungen bevorzugt werden sollten. Diese Regelung sei nicht vorschreiben, wo sie lefragen angelaufen. “Wir haben verfassungswidrig, entschied das Oberverwaltungsgericht Münster in ben möchten. Aber: er müsse uns auf sozialverträgliche Über- mehreren Entscheidungen, die Ende Februar 2017 ergangen sind. Angebote machen, damit junge Familien sich auch für ländliche Regionen entscheiden könnten, so der CDU-Politiker, der die “Arbeit zu den Menschen bringen” will. Ziel ist insbesondere die Stärkung kleinerer Städte und vermeintlich abgelegenerer Regionen. “Damit lassen sich in der Fläche positive Personalentwicklungsmöglichkeiten schaffen”, betont Michael Volz, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft in Hessen. Generell verfüge der ländliche Raum über ein hohes, qualifiziertes Bewerberpotenzial, heißt es aus dem Finanzministerium. Im mittleren Dienst gehen auf einen freien Ausbildungsplatz rund zehn Bewerbungen ein, im gehobenen Dienst gibt es ein Verhältnis von eins zu sieben. Es gehöre zwar nicht zur Kernaufgabe der Steuerverwaltung, den ländlichen Raum zu stärken, dennoch könne dies durch eine Reform erreicht werden. “Aufgaben werden gebündelt und gezielt abseits der Zentren vergeben.” Schäfer sieht in der Zentralisierung von Aufgaben

Neue Richtungen für Hessens Finanzämter: Die Steuerverwaltung an Weser, Eder, Fulda, Lahn, Werra, Main und Oberrhein soll reformiert und in die Fläche verteilt werden. Foto: BS/Torben Wengert, pixelio.de

einen weiteren Effektivitätsgewinn für die Verwaltung. Von Gewinn spricht auch Volz. Allerdings nur für die aufnehmenden Finanzämter. Bei den abgebenden Behörden herrsche teilweise Betroffenheit. Schließlich gehe jeder Beamte und Tarifangestellte davon aus, in den vergangenen Jahren einen guten Job gemacht zu haben, berichtet der Personalrat aus Gelnhausen.

Dialogorientiertes Verfahren Stichtag für die Zuständigkeitsverlagerung ist der 1. Januar 2018. Dann soll in Lauterbach die Zentralstelle für Grunderwerbssteuer eingerichtet und rund 100 Mitarbeiter in die

osthessische Kleinstadt (rund 14.000 Einwohner) wechseln. Allerdings hängt der Umzug von der Schaffung notwendiger Unterbringungsmöglichkeiten ab. Es muss gebaut werden. Interimsweise ist die Anmietung von Büroflächen vorgesehen. Dadurch könnten 40 Personen bereits in diesem Jahr den beruflichen Umzug antreten. Bei der Personalgewinnung setzt die Landesregierung auf das aus der Region um den Vogelsberg stammende Personal. Zahlreiche Beamte und Tarifbeschäftigte würden seit Jahren zu anderen Dienststellen pendeln und hätten in der Vergangenheit schon den Wunsch für eine heimatnahe Verwendung geäu-

gänge geeinigt”, so Volz und weiter: “Wenn es Verwerfungen gibt, dann schaffen wir Lösungen.” Zugleich lobt er die gute Einbindung der Personalvertretungen, schon bei der Erstellung der Konzepte seien die Gremien beteiligt worden, hätten den Prozess insgesamt positiv begleitet.

Umzüge an vier Standorte Die land- und forstwirtschaftliche Betriebsprüfung als Fachprüfung habe sich zwar an vier Standorten, den Sitzen der drei Regierungspräsidien Kassel, Gießen und Darmstadt sowie in der Landeshauptstadt Wiesbaden, bewährt, zukünftig soll sie aber dort verortet werden, wo die entsprechenden Betriebe angesiedelt sind. Nämlich in Fritzlar (Nordhessen), Nidda (Osthessen), Limburg-Weilburg (Westhessen) und Michelstadt (Südhessen). “Hier zeigen Tendenzen, dass der überwiegende Teil der Prüferinnen und Prüfer den Dienststellenwechsel vollziehen möchte”, teilt das Ministerium auf Nachfrage des Behörden Spiegel mit.

Es bestätigte damit zugleich Beschlüsse der Verwaltungsgerichte Düsseldorf, Köln, Aachen und Gelsenkirchen, in denen unterlegene männliche Bewerber gegen die Auswahlentscheidung geklagt hatten. Die Neuerung im Landesbeamtengesetz (§ 19 Absatz 6 LBG n. F.), die der nordrhein-westfälische Gesetzgeber mit dem Dienstrechtsmodernisierungsgesetz vom 14. Juni 2016 erlassen hatte, betrifft Beförderungsauswahlentscheidungen von Landesbeamten mit gleichwertigen Gesamtnoten in den aktuellen dienstlichen Beurteilungen. Danach sollen in diesen Fällen zukünftig regelmäßig Frauen bevorzugt werden, soweit nicht ausnahmsweise in der Person eines männlichen Bewerbers liegende Gründe überwiegen. In der Begründung des Gesetzes stützte sich die Landesregierung auf den Regelungsauftrag im Grundgesetz, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern för-

Prof. Dr. Klaus Herrmann ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Dombert Rechtsanwälte in Potsdam. Er berät bundesweit Dienstherren und Beamte zu rechtlichen Fragen des Öffentlichen Dienstes. Foto: BS/privat

dern und auf die Beseitigung tatsächlich bestehender Nachteile hinwirken soll. Die Landesregierung versuchte damit zugleich, eine gefestigte verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu überwinden. Den vollständigen Artikel lesen Sie auf www.behoerdenspiegel. de, Suchwort “Frauenförderung”.


Finanzen

Behörden Spiegel / April 2017

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Bundesfinanzhilfen für Schulen

Bund verspricht Schwarze Null auch bis 2021

Neuregelungen zur Schulsanierung sind umstritten

Kritiker fordern mehr Sparanstrengungen statt Rückgriff auf Rücklagen

(BS/lkm) Der Bund darf bald in Schulbauten investieren. Möglich wird das durch die Neuregelung der BundLänder-Finanzen. Bund und Länder einigten sich nach jahrelangem Ringen auf einen neuen Bund-LänderFinanzausgleich. Im Gegenzug für mehr Gelder vom Bund gaben die Länder als Teil des Kompromisses einen Teil ihrer Kompetenzen ab. Der Bund kann nun unter anderem Hilfen für finanzschwache Kommunen zur Sanierung der Bildungsinfrastruktur zur Verfügung stellen. Bei Sachverständigen stößt dieses Vorhaben auf geteiltes Echo.

(BS/lkm) Das Bundeskabinett hat Ende März die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2018 und für den Finanzplan bis 2021 beschlossen. Der Bundeshaushalt kommt demnach auch bis 2021 ohne neue Schulden aus. Doch im Vergleich zum Vorjahr hat sich das Defizit im Bundeshaushalt 2018 erhöht. Während Bundesfinanzmister Dr. Wolfgang Schäuble von solider Haushaltspolitik spricht, sind für den Bund der Steuerzahler (BdSt) die Bundesfinanzen so nicht “zukunftsfest”.

Der Bundesrechnungshof sieht die geplante Neuregelung kritisch. Das Vorhaben stelle einen “weitreichenden Schritt” dar, “der von der klaren verfassungsrechtlichen Aufgabenzuweisung im föderalen System wegführt”. Es fehle in den Entwürfen an “ausreichenden Steuerungsund Kontrollmöglichkeiten, die es dem Bund ermöglichen würden, einen sachgerechten und wirtschaftlichen Mitteleinsatz sicherzustellen”.

Kritik an Mittelverwendung Um die Unterstützung der Kommunen zu ermöglichen, soll ein neuer Artikel 104c in das Grundgesetz eingeführt werden. Zum anderen sind Änderungen der Gesetze zum Kommunalinvestitionsförderungsfonds geplant. Über dieses 2015 eingerichtete Sondervermögen des Bundes soll das Geld von den Ländern für ihre Kommunen abgerufen werden können. Im Nachtragshaushalt 2016 stellte der Bund dafür 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Aktuell ist vorgesehen, die Mittel zu je einem Drittel nach Einwohnerzahl, Höhe der Arbeitslosigkeit und Höhe der Kassenkredite an die Länder zu vergeben. Prof. Thiess Büttner von der Universität Erlangen-Nürnberg sieht darin ein Problem. Mache man die Mittelverteilung teils an der Höhe der Kassenkredite fest, wäre dies “Finanzausgleich nach dem Rückspiegel”. Das Geld fließe dann dahin, “wo in der Vergangenheit mehr ausgegeben wurde. Dies müssen aber keineswegs Gemeinden sein, die einen ungedeckten Investitionsbedarf haben.” Zudem würden jene Länder “bestraft”, die ihren Kommunen nicht gestattet hät-

ten, Kassenkredite in Anspruch zu nehmen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) und der Deutsche Städtetag begrüßen das Vorhaben im Grundsatz, bemängeln aber, dass die Regelungen nicht weit genug gingen.

Kooperationsverbot komplett abschaffen Der DStGB fordert, das bestehende Kooperationsverbot im Bildungsbereich gänzlich aufzuheben. Direkte Zahlungen des Bundes an die Kommunen seien “vorzugswürdig”, denn damit wäre sichergestellt, “dass die Bundesmittel vollständig in den Gemeinden investiert werden”, schreibt der DStGB in einer Stellungnahme. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) favorisiert die komplette Abschaffung des Kooperationsgebotes. Der Verband gibt zudem zu bedenken, dass die dafür vorgesehenen 3,5 Milliarden Euro nicht zur Sanierung der Bildungsinfrastruktur ausreichen würden. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beziffert allein den Sanierungsbedarf an Schulen mit rund 34 Milliarden Euro. Dauerhafte Lösungen könnten aus Sicht der GEW durch eine Erhöhung der Steuereinnahmen, etwa bei hohen Einkommen sowie bei der Neujustierung der Gewerbesteuer, erreicht werden.

Verfassungsrechtliche Bedenken Der Deutsche Landkreistag spricht sich – anders als Städtetag- und Gemeindebund – gegen die Einführung des neuen Grundgesetzartikels aus. Laut Landkreistags-Präsident

Hans-Günter Henneke würden damit “bewährte Verantwortungsstrukturen” zerstört. Die Länder, die schon bisher ihre Kommunen nicht angemessen ausgestattet hätten, würden in Zukunft umso lauter auf eine Investitionshilfebefugnis des Bundes nach Einfügung eines Art. 104c GG verweisen. Wenn der Bund die Kommunen unterstützen wolle, dann sei es sinnvoller, Mittel über eine Erhöhung der sogenannten Entflechtungsmittel zur Verfügung zu stellen. Dies sei auch schon beim Sozialen Wohnungsbau praktiziert worden, so Henneke. Auch Prof. Christian Waldhoff, von der Berliner HumboldtUniversität stellte sich gegen die Einführung des geplanten Grundgesetz-Artikels. Für den Rechtswissenschaftler ist der geplante Grundgesetz-Artikel aus verfassungssystematischen und demokratietheoretischen Gründen abzulehnen.

Dauerhafte Hilfe statt Befristung Der Rechtswissenschaftler Prof. Joachim Wieland von der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer äußerte sich hingegen positiv im Hinblick auf die geplanten Änderungen im Grundgesetz. Kritisch sieht er es aber, die Unterstützung finanzschwacher Kommunen zu befristen und degressiv zu gestalten. Der Finanzbedarf der finanzschwachen Kommunen müsse “dauerhaft sein und auch in der Höhe nicht abnehmen”. Befristung und Degression sollten laut Wieland nicht im Grundgesetz geregelt, sondern dem politischen Prozess überlassen werden.

“Her mit den maßgeschneiderten EPSAS!” Hessischer LRH-Präsident: für bewährte deutsche Grundsätze eintreten (BS/ein) Nur vergleichbare Daten schaffen Transparenz: Der Präsident des Landesrechnungshofs, Dr. Walter Wallmann, sieht sich deshalb gefordert, die eigenen Erfahrungen bei der Doppik-Einführung einzubringen, wenn nun harmonisierte Rechnungslegungsgrundsätze in der EU entwickelt werden. Bei einer Veranstaltung in der Hessischen Landesvertretung im März in Berlin unterstrich Wallmann mehrmals die Bedeutung eines gemeinsamen europäischen Rechnungslegungssystems. Auch wenn die Diskussion um die European Public Sector Accounting Standards (EPSAS) vor dem Hintergrund zahlreicher EU-Probleme in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werde, sei es wichtig, die öffentlichen Haushalte durch eine gemeinsame Rechnungslegung EU-weit zu standardisieren.

Die EU-Kommission will nicht länger warten Aus Sicht Wallmanns kann nur so Klarheit über die tatsächliche Vermögens-, Finanz- und Ertragslage hergestellt werden. Das Beispiel Griechenlands zeige, welche fiskalischen und staatlichen Risiken anderweitig bestünden. Der notwendige Durchblick lässt sich laut LRHPräsidenten aber nicht mit der Kameralistik herstellen. Das müssten viele Bundesländer und auch der Bund einsehen. “Ein klarer Überblick über die Staatsfinanzen ist nur mit der Doppik möglich”, so Wallmann. Während sich Deutschland den Luxus einer langwierige “Doppik-versus-Kameralistik-Dis-

dards gründeten zwar auf doppischer Rechungslegung. Die Bundesrepublik müsste aber auf die bewährten Grundsätze des Handelsgesetzbuchs (HGB) verzichten. Das heißt: kein Vorsichtsprinzip und größere Ermessens- und Bewertungsspielräume. “Und damit gerade keine Standardisierung, denn jeder Mitgliedsstaat könnte sein Vermögen unterschiedlich bewerten!”

Grundsätze des HGB in Europa vertreten

Weder Kameralistik noch IPSAS: Hessens Rechnungshofspräsident Dr. Walter Wallmann forderte auf einer Veranstaltung des hessischen Finanzministeriums und Rechnungshofs einen maßgeschneiderten europäischen Rechnungslegungsstandard für die öffentliche Hand, an dessen Entwicklung Deutschland maßgeblich mitwirken müsse. Foto: BS/LRH Hessen

kussion” gönne, hätten andere europäische Mitgliedsstaaten gehandelt. “Die Kommission beabsichtigt, nicht länger auf uns zu warten.” Als Übergangslösung und Vorbereitung für EPSAS empfiehlt die EU, für fünf Jahre IPSAS einzuführen. Die International Public Sector Accounting Stan-

Wem diese “elementaren Grundsätze” aus dem HGB teuer seien, der dürfe sich jetzt aus der Debatte nicht heraushalten und hoffen, dass die dann eingeführten IPSAS in fünf Jahren noch einmal grundlegend auf den Prüfstand gestellt würden. “Wir müssen jetzt für unsere bewährten Grundsätze eintreten!”, fordert Wallmann. Das gelinge weder mit der Kameralistik noch mit einem “Probieren wir halt mal die IPSAS!”, sondern nur mit einem “Her mit den maßgeschneiderten EPSAS!”. Mehr zum Thema EPSAS auf dem Verwaltungsmodernisierungskongress Digitaler Staat am 9.und 10. Mai 2017 in Berlin. Weitere Informationen unter: www.digitaler-staat.org.

Holznagel. Die Koalition “Wir werden Ende Septemsei mit ihrer expansiven ber auf eine gesamte WahlAusgabenpolitik zurück periode ohne neue Schulauf dem Weg in die Neuden zurückblicken können. verschuldung. “Die große Diese solide HaushaltsKoalition muss ihre Ausgapolitik setzen wir auch in benwut stoppen!”, fordert den nächsten Jahren fort. Holznagel. “Wer Jahr für Schwerpunkte bleiben die Jahr neue Rekordeinnahzentralen Politikfelder Innemen erzielt und gleichzeire und Äußere Sicherheit. tig strukturelle Defizite im Außerdem investieren wir Haushalt fabriziert, hat weiter auf hohem Niveau in kein Einnahmenproblem, Infrastruktur sowie in Bilsondern ein gravierendung und Forschung. Diese des Ausgabenproblem.” Politik ist der Erfolgsgarant Der BdSt fordert deshalb für Wachstum und Arbeitsstrukturelle Einsparunplätze – und damit für eine gen im Bundeshaushalt. sichere und wohlhabende Der Verband hat hierbei Zukunft Deutschlands”, so der Bundesminister Der Bund plant zum fünften Mal in Folge die vor allem Förderprogramder Finanzen Dr. Wolfgang “Schwarze Null” im Bundeshaushalt. Dafür hin- me und Subventionen der Schäuble bei der Vorstel- terlässt er aber eine Haushaltslücke und zehrt Bundesregierung im Blick. zudem die Rücklagen für die Flüchtlingsausga- Jedes Ministerium habe lung der Finanzplanung. Die Ausgaben des Bundes ben auf. Foto: BS/Initiative Echte Soziale Martkwirtschaft, hier enormes Einsparpobetragen demnach 2018 cc by sa 2.0, flickr.com tenzial. Insgesamt hat der BdSt eine Einsparsumme 335,5 Mrd. Euro. Bis zum Ende des Finanzplanungszeit- Sozialleistung ist der Zuschuss von rund 22 Milliarden Euro raums im Jahr 2021 steigen sie an die Rentenversicherung mit errechnet, darunter 145.000 auf 355,6 Mrd. Euro an. In allen fast 94 Mrd. Euro im Jahr 2018. Euro für eine ComputerspieleJahren des Finanzplanungszeit- Es folgen die Ausgaben für das Sammlung, 237.000 Euro für raums bis 2021 werden keine Arbeitslosengeld II mit 21,5 Mrd. Chiles Kupferbergbau, 935.000 neuen Schulden aufgenommen. Euro und der Zuschuss zum Ge- Euro für Markenfleisch von sundheitsfonds mit 14,5 Mrd. Edeka, 4,2 Millionen Euro für Steigende Ausgaben ein Strohheizkraftwerk in PoEuro. für Sicherheit Die flüchtlingsbezogenen Leis- len, 16,9 Millionen Euro für eiDie Ausgaben des Verteidi- tungen des Bundes betragen nen Autopiloten, 25 Millionen gungsministeriums werden 2018 rund 20 Mrd. Euro. Bis Euro für Fahrrad-Autobahnen 2018 um weitere 1,4 Mrd. Euro 2021 sollen sie kontinuierlich und 462 Millionen Euro für die auf 38,5 Mrd. Euro steigen. Die bis auf 15 Mrd. Euro zurück- großen Stiftungen der Parteien. “Die gute Konjunktur und die NATO-Quote erreicht bereits in gehen. Niedrigzinsphase täuschen dadiesem Jahr einen Wert von 1,23 rüber hinweg, dass jetzt große Prozent des Bruttoinlandspro- Rücklage aufgebraucht und vergrößertes Defizit Sparanstrengungen im Bundukts, nach 1,18 Prozent im vergangenen Jahr. “Wir werden den Überschüsse aus den Vor- deshaushalt gefragt sind. Wer Wert in den nächsten Jahren jahren hatte der Bund in eine künftig stabile Bundesfinanzen stabilisieren und auch weitere Rücklage für die Flüchtlingsaus- haben will, kommt an EinspaSchritte in Richtung zwei Pro- gaben überführt. Zur Erzielung rungen nicht vorbei!”, mahnte zent angehen müssen”, so das des Haushaltsausgleichs ohne BdSt-Präsident Holznagel. Bundesfinanzministerium in ei- Neuverschuldung 2018 ist ein ner Mitteilung. Rückgriff auf diese Rücklage in Nachfolger erbt Haushaltslücke Die Ausgaben für die Innere Höhe von 8,1 Mrd. Euro vorgeSicherheit steigen 2018 gegen- sehen. Für 2019 ist eine weitere Der Bundeshaushaltsplan über dem geltenden Finanzplan Entnahme von 3,8 Mrd. Euro soll Ende Juni vom Kabinett nochmals um rund 500 Mio. Eu- aus der Rücklage vorgesehen. verabschiedet werden. Die alte ro. Der Etat des Bundesinnen- Die Rücklage ist damit vollstän- Bundesregierung hinterlässt ministeriums ist von 5,85 Mrd. dig aufgebraucht. der neuen damit nur eine KalEuro im Jahr 2013 auf 9,16 Der Bund der Steuerzahler kulationsgrundlage. Denn der Mrd. Euro im Jahr 2018 deutlich (BdSt) kritisiert die Finanzpla- Haushalt 2018 wird von einer um rund 57 Prozent gestiegen. nung der Bundesregierung. Eine neuen Regierung Anfang 2018 Die Sozialleistungsquote – der Analyse der Eckwerte offenbare verabschiedet. Anteil der Sozialausgaben an ein Loch von mehr als 13 MilliSchäuble hinterlässt der Nachden Gesamtausgaben – beträgt arden Euro im Haushalt 2018. folgeregierung mit den Eckwerim Bundeshaushalt 2018 rund “Das ist ein deutlich größeres ten eine Haushaltslücke von 4,9 51,8 Prozent. Mehr als jeder Defizit als im aktuellen Haushalt Milliarden Euro für 2018. Im zweite vom Bund ausgegebene 2017 mit rund zehn Milliarden kommenden Jahr sind die MiEuro fließt damit in den Sozial- Euro”, schreibt der Verband in nisterien aufgefordert, 4,9 Millibereich. 2021 wird dieser Anteil einer Mitteilung. Die Schwarze arden Euro einzusparen, nachauf 52,5 Prozent weiter steigen. Null könne jeweils nur gehal- dem sie schon 2017 im Laufe des In absoluten Zahlen betragen ten werden, weil auf temporär Jahres 3,1 Milliarden Euro eindie Sozialausgaben im Haus- verfügbare Reserven, hier die sparen sollen. Ohne diese sogezurück- nannte globale Minderausgabe haltsjahr 2018 mehr als 173,6 Flüchtlingsrücklage, Mrd. Euro. Bis 2021 werden die gegriffen werde. “Die Bundesfi- würde der Haushalt 2018 nicht Sozialausgaben auf 186,6 Mrd. nanzen sind nicht zukunftsfest”, wie in den Vorjahren mit einer Euro ansteigen. Die wichtigste kritisiert BdSt-Präsident Reiner schwarzen Null abschließen.

Öffentliche Schulden gesunken Sachsen und seine Kommunen mit größtem Rückgang (BS/lkm) Die Verschuldung der öffentlichen Hand betrug im 4. Quartal 2016 knapp über zwei Billionen Euro und ging damit im Vergleich zum Vorjahresquartal leicht zurück. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte, sank der Schuldenstand gegenüber dem 31. Dezember 2015 um 0,8 Prozent beziehungsweise 16,1 Milliarden Euro. Dabei konnten alle Ebenen ihre Verschuldung verringern. Die Verschuldung des Bundes verringerte sich gegenüber dem 31. Dezember 2015 um 6,1 Milliarden Euro beziehungsweise 0,5 Prozent auf 1,2 Billionen Euro. Die Länder verringerten ihren Schuldenstand um 1,3 Prozent (7,7 Milliarden Euro) auf 605,2 Milliarden Euro. Hohe prozentuale Rückgänge gab es in Sachsen (minus 19,3 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (minus 10,3 Prozent) und Bayern (minus 8,7 Prozent). Die prozentual höchsten Zuwächse hatten Hamburg (plus 8,9 Prozent) und Schles-

wig-Holstein (plus 6,1 Prozent). Grund hierfür sei im Wesentlichen die Übertragung von notleidenden Altkrediten der HSH Nordbank an die neu gegründete “hsh portfoliomanagement AöR” im dritten Quartal 2016 gewesen. Der Schuldenstand der Kommunen sank gegenüber dem Jahresende 2015 mit minus 1,6 Prozent (2,3 Milliarden Euro) auf 141,9 Milliarden Euro prozentual am stärksten. Am höchsten waren die prozentualen Rückgänge der kommunalen Schul-

denstände in Sachsen (minus 19,2 Prozent), MecklenburgVorpommern (minus 6,9 Prozent) und Baden-Württemberg (minus 4,9 Prozent). Bei Sachsen zählte allerdings ein bedeutender Extrahaushalt 2016 nicht mehr zum Sektor Staat; würde dieser aus dem Schuldenstand des Vorjahres herausgerechnet, läge der Rückgang bei minus 6,7 Prozent. Die prozentual höchsten Schuldenzuwächse gab es in Schleswig-Holstein (plus 2,3 Prozent) und Rheinland-Pfalz (plus 0,8 Prozent).


Beschaffung / Vergaberecht

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Baumpfleger: Dienstleister mit Qualitätssiegel Orientierungshilfe für Vergabestellen durch RAL Gütezeichen (BS/Arne Neuendorff*) Konkurrenz belebt das Geschäft – einerseits. Andererseits gestaltet sich für öffentliche Auftraggeber in wettbewerbsintensiven Märkten der Überblick über die vielen Anbieter oftmals nicht ganz einfach. Die große Zahl von potenziellen Auftragnehmern stellt die Vergabestellen bei Ausschreibungen vor hohe Anforderungen und macht die Auswahl des besten Unternehmens für den definierten Auftragsumfang zu einer aufwendigen und fachlich diffizilen Angelegenheit. Das gilt beispielsweise für die Beauftragung von Betrieben, die die Pflege der kommunalen Baumbestände in Parks, auf Friedhöfen, städtischen Grundstücken und an Straßenrändern übernehmen sollen. Mit der Baumpflege sind durchaus anspruchsvolle Aufgabenstellungen verbunden. Viele dieser Aufgabenstellungen erfordern neben einer ausgewiesenen fachlichen Expertise auch einen geeigneten Maschinenpark. Und vor dem Hintergrund der vielfach speziellen Arbeitssituationen ist natürlich die Arbeitssicherheit ein sehr wichtiges Thema für Auftraggeber und Auftragnehmer. Darüber hi­ naus spielt es gerade für öffentliche Auftraggeber eine wichtige Rolle, dass das beauftragte Baumpflege­Unternehmen die Arbeitsabläufe und Arbeitsleistungen korrekt dokumentiert. Angesichts des sich aus diesen Anforderungen ergebenden Kriterienkatalogs im Bieter­Pool einer Ausschreibung den Betrieb zu identifizieren, der sich für die ausschreibende Verwaltung als optimaler Dienstleister im Bereich der Baumpflege erweist, ist für Behörden und öffentliche Unternehmen kein einfaches Unterfangen.

Anforderungen und Qualifikationen definiert Öffentlichen Auftraggebern bietet sich jedoch bei der Lösung der genannten Aufgabe eine wesentliche Orientierungshilfe: die Qualifizierung von Baumpflegebetrieben nach den Festlegungen der RAL Gütegemeinschaft Baumpflege. In der Gütegemeinschaft haben sich aktuell mehr als 120 Fachunternehmen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengeschlossen. Die Gütegemeinschaft hat einen Anforderungs­ und Qualitätskatalog festgelegt, dem die Mitgliedsunternehmen gerecht werden müssen. Entscheidend: Die Einhaltung dieses Katalogs müssen die Betriebe der Gütegemeinschaft in einer strengen Anerkennungsprüfung nachweisen. Anschließend kontrollieren externe Sachverständige in regelmäßigen zeitlichen Abständen, ob die Unternehmen die Qualitätsstandards dauerhaft erfüllen. RAL­geprüfte Baumpflegebetriebe integrieren die festgelegten Standards der Gütegemeinschaft als elementare Arbeitsgrundlage in ihre betrieb-

entwickelten Arbeitsorganisation und einer Durchführung der Leistungen auf dem geforderten hohen Qualitätsniveau. Neben der optimalen fachlichen Umsetzung der Arbeiten stehen die RAL­geprüften Baumpflegefirmen auch für eine fachgerechte technische Ausstattung und die sichere Abwicklung von Baustellenabläufen. Auf die geprüfte Sachkenntnis eines Mitgliedsbetriebs der RAL Gütegemeinschaft kann sich ein öffentlicher Auftraggeber in jedem Fall verlassen.

RAL Gütezeichen kommt an

Zur Baumpflege gehören anspruchsvolle Aufgabenstellungen. Qualitätskriterien für diese Aufgaben hat die RAL Gütegemeinschaft Baumpflege festgelegt. Foto: BS/©A. Rochau, Fotolia.com

lichen Abläufe. Dank der gemeinsamen verbindlichen Qualitätsregeln haben die Kunden aus dem öffentlichen Bereich so die Gewähr, dass der jeweilige Anbieter die baumtechnischen und fachlichen Kompetenzen nachweisbar erfüllt.

Leistungsspektrum abgedeckt Die Qualitätskriterien der RAL Gütegemeinschaft Baumpflege erstrecken sich auf alle relevanten Bereiche des Leistungsspektrums der entsprechenden Fachfirmen: Neben der Baumpflanzung, der Baumpflege und der Baumfällung gehören dazu auch die Baumkontrolle und die Erstellung von Baumgutachten. Die Betriebe verpflichten sich mit der RAL Prüfung zu einer einheitlichen, sorgfältig

Terminhinweis Die RAL Gütegemeinschaft Baumpflege präsentiert sich Interessenten am Stand C23 auf den Augsburger Baumpflegetagen vom 25. bis 27. April 2017.

Diese Erkenntnis hat sich inzwischen auch in vielen Vergabestellen durchgesetzt. Immer mehr öffentliche Auftraggeber stützen sich bei der Ausschreibung von Aufträgen zur Baumbewirtschaftung auf die Güte­ und Prüfbestimmungen der RAL Gütegemeinschaft Baumpflege. Sie können so das RAL Gütezeichen als Nachweis der Bieterqualifikation und der Lieferbedingungen heranziehen. Besonders wichtig: Dieses Verfahren erfüllt alle Anforderungen des Vergaberechts. Die Vorteile dieser Orientierung der Ausschreibungskriterien an den Qualitätsfestlegungen der RAL Gütegemeinschaft liegen auf der Hand: Einer solchen Ausschreibung liegen zuverlässige Kriterien für die Bietereignung zugrunde, die geforderten Leistungen entsprechen dem aktuellen Stand der Technik und reichen in der Regel über Normen und gesetzliche Bestimmungen hinaus. Die klaren Qualitätsbestimmungen führen in der Regel zu schnelleren und effizienteren Ausschreibungsverfahren. Und das Ergebnis der Ausschreibung auf der Basis der Gütebedingungen des RAL Baumpflegerverbunds sind zuverlässige Vertragspartner für die öffentlichen Auftraggeber und eindeutige Lieferbedingungen für die Auftragsrealisierung. Weitere Informationen unter: www.ral-baumpflege.de *Arne Neuendorff ist Vorsitzender der RAL Gütegemeinschaft Baumpflege e.V.

Schwarze Schafe strafen Einigkeit: bestehende Landesregister abschaffen (BS/jf) Das Wettbewerbsregister ist im Bundeskabinett beschlossen worden. “Damit tragen wir effektiv zur Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität bei”, sagte Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD). Das Vorhaben erhält viel Zustimmung. Aber auch Kritik. “Schwarze Schafe dürfen für ihre Taten nicht auch noch belohnt werden. Daher ist es grundsätzlich richtig, das Wettbewerbsregistergesetz jetzt auf den Weg zu bringen”, sind sich Joachim Pfeiffer, wirtschafts­ und energiepolitische Sprecher der CDU/CSU­Bundestagsfraktion und die zuständige Berichterstatterin Herlind Gundelach einig. Das Register dürfe aber keine politische Spielwiese werden. Eintragungen dürften nur bei bestandskräftigen Bußgeldentscheidungen aufgrund bestimmter Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erfolgen. Genau hier sieht Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Diskussionsbedarf. “Das Problem ist, dass nicht bestandskräftige Bußgeldbe-

scheide des Bundeskartellamts bereits ab 2.500 Euro eingetragen werden sollen. Wer weiß, welch hohe Bußgeldbescheide in Wettbewerbsangelegenheiten erlassen werden, der versteht, dass Unternehmen nicht wegen “Bagatellfällen”, die nicht abschließend geklärt sind, in eine existenzbedrohende Situation gebracht werden dürfen.” Hier gelte es, Augenmaß zu behalten. Niemandem nutze es, wenn ein neues Register bereits wegen geringfügiger Verstöße ansonsten grundsolide Unternehmen in die Insolvenz treibe. Ähnlich argumentiert Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes Deutsches Handwerk (ZDH): “Die Schaffung eines Wettbewerbsregisters kann zur Sicherung eines fairen Wettbewerbes um öffentli-

che Aufträge beitragen. Das liegt im Interesse der rechtstreuen Bieter aus dem Handwerk. Angesichts der für Unternehmen potenziell weitreichenden Folgen einer Eintragung sind aber eine enge Fokussierung auf schwere Rechtsverstöße und ein sachgerechter Rechtsschutz sicherzustellen. Im Zuge der Einführung des Bundesregisters sollten die Register der Länder vollständig abgeschafft werden.” Der Deutsche Industrie­ und Handelskammertag (DIHK) und der Deutsche Städtetag (DST) votieren für den Gesetzesentwurf, fordern beide aber die Abschaffung der bisherigen Register. Mehr zum Thema unter www. behoerdenspiegel.de, Suchwort “Wettbewerbsregister”

Behörden Spiegel / April 2017

► Entscheidungen zum Vergaberecht ►DUMPING

►PRODUKTNEUTRALITÄT

►NEBENANGEBOT

Billig oder preiswert?

Nicht rieselfähig

Chinesische LEDs sind zulässig

Klumpendes Streusalz ausgeschlossen

Vor einigen Jahren haben kostengünstige Solarmodule aus China die hiesige Solarindustrie in Bedrängnis gebracht. Steht uns desgleichen nun bei LEDs bevor? Das Vergaberecht jedenfalls kann den Siegeszug chinesischer Billigimporte nicht bremsen. Das musste ein Auftraggeber lernen, der ein solches Billigangebot ausschließen wollte. Er hatte neue Straßenbeleuchtungskörper mit LED­Technik ausgeschrieben. Ein Angebot lag bezogen auf die Errichtungskosten fast um die Hälfte billiger als alle Konkurrenten, bezogen auf die Lebenszykluskosten immerhin noch rund ein Sechstel unter der Konkurrenz. Der Auftraggeber begehrte die Aufklärung des Preises und erhielt als Antwort, der Einstandspreis für die LEDs dieses Bieters sei entsprechend niedrig. Er hielt auch ob dieser Erklärung das Angebot für nicht auskömmlich, fragte auch nicht weiter nach und schloss es aus. Vor der Vergabekammer hat der Bieter Erfolg: Der niedrige Preis ergebe sich dadurch, dass er zu einem chinesischen Konzern gehöre, der selbst LEDs herstelle. Nachdem in der Vergabeakte keine technischen Gründe erkennbar waren, die auf eine Minderwertigkeit des Materials schließen ließen, kann der niedrige Preis allein einen Ausschluss nicht rechtfertigen. VK Thüringen (Beschl. v.08.11.2016, Az.: 250­4002­7852/2016­N­012­KYF)

► ZUSTÄNDIGKEIT

Wenn der Winter kommt, muss der Winterdienst die Straßen schnell und zuverlässig abstreuen. Das geht nur, wenn das Streusalz richtig aus den Streufahrzeugen rieselt. Klumpendes Salz ist daher nicht nur ärgerlich. Es ist auch eine Gefahr für die Autofahrer, wenn die Straßen deswegen glatt bleiben. Eine Straßenmeisterei hatte zwei Winter lang Probleme mit Salz aus einer ganz bestimmten Lagerstätte. Weder sie noch der Lieferant konnten herausfinden, was die Ursache für die Verklumpung war. Für den folgenden Winter hat die Vergabestelle nun im Leistungsverzeichnis ausdrücklich Salz dieser Lagerstätte ausgeschlossen. Dagegen wehrt sich der Lieferant. Er hält den Ausschluss für wettbewerbsschädlich, weil er als einziger davon betroffen sei. Nur er bezieht nämlich sein Salz aus der bewussten Lagerstätte. Das OLG Celle gibt letztlich der Vergabestelle Recht. Nachdem alle Analysen keinen messbaren Grund für die Ungeeignetheit des Salzes erkennen ließen, habe der Auftraggeber ja gar keine andere Wahl als das Salz vollständig auszuschließen. Der Erfahrungswert mit diesem Salz obsiegt sozusagen über die objektiven Messwerte, die alle in Ordnung waren. Der Ausschluss verletzt auch nicht das Gebot der Produktneutralität, denn er nimmt nur ein einzelnes Produkt aus dem Wettbewerb heraus. OLG Celle (Beschl. v. 10.11.2016, Az.: 13 Verg 7/16)

Vereinbarung möglich Deutsche Baustelle – belgische Nachprüfung Für die neue Hochspannungstrasse zwischen Deutschland und Belgien müssen auf beiden Seiten zwei gleichartige Converter gebaut werden. Beide Converter werden in einem gemeinsamen Verhandlungsverfahren ausgeschrieben. Vertragspartner werden jedoch nach jeweils nationalem Recht der deutsche bzw. der belgische Netzbetreiber. In der Belehrung über die Nachprüfungsstelle, die in französischer Sprache gehalten ist, wird ein Gericht in Brüssel angegeben. Im Laufe des Verfahrens entbrennt ein Streit über den Converter auf deutscher Seite. Ein Bieter stellt einen Nachprüfungsantrag bei der VK Westfalen, die für den Sitz des deutschen Auftraggebers örtlich zuständig wäre. Die Vergabekammer weist den Antrag als unzulässig zurück. In Ermangelung einer anderen anwendbaren Norm über die Zuständigkeit der Nachprüfungsstellen bei derartigen grenzüberschreitenden Verfahren müsse die EuGVVO angewendet werden. Sie ermögliche den Parteien die Vereinbarung über die Zuständigkeit. Diese Vereinbarung sei dadurch zustande gekommen, dass sich der Bieter rügelos auf das Verfahren eingelassen hatte, welches das belgische Gericht als Nachprüfungsinstanz vorgab. Die Kammer hat auch keine Zweifel daran, dass die belgischen Kollegen das genauso sehen werden und das Verfahren in Brüssel annehmen werden. Der Rechtsschutz sei damit sichergestellt.

►ZUSCHLAGSVERBOT

Missachtung lohnt nicht Auftragsdurchführung untersagt Für den Neubau des Berliner Stadtschlosses will der Auftraggeber Leistungen der Gebäudeautomatisation vergeben. Doch alle Bieter des zunächst begonnenen Offenen Verfahrens scheiden nach und nach aus, nachdem sie sich gegenseitig mit Zweifeln über die Konformität ihrer Angebote überzogen hatten. Der Auftraggeber hebt darauf das Verfahren auf und beginnt ein neues als Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit den bisherigen Bietern. Gegen die Aufhebung beantragt einer der Bieter die Nachprüfung. Er hält sein Angebot weiterhin für zuschlagsfähig, sodass es an einem Aufhebungsgrund mangelt. Mit dem Antrag unterliegt er und reicht sofortige Beschwerde ein. Das OLG hält seinen Vortrag für chancenreich und verfügt ein Zuschlagsverbot bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens. Das dauert dem Auftraggeber zu lange. Er glaubt, das Zuschlagsverbot umgehen zu können. Schließlich will er ja nicht den Zuschlag in dem angegriffenen offenen Verfahren erteilen, sondern im nachfolgenden Verhandlungsverfahren. So erteilt er dem hier erfolgreichen Bieter den Zuschlag, hat dabei aber die Rechnung ohne den Vergabesenat gemacht. Der sieht das Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers gefährdet. Das Zuschlagsverbot wirke daher auch auf das Folgeverfahren. Der bereits erteilte Zuschlag ist daher nichtig.

VK Westfalen

OLG Düsseldorf

(Beschl. v. 28.06.2016, Az.: VK 2­24/16)

(Beschl. v. 16.11.2016, Az.: VII­Verg 40/16)

Gleichwertigkeitsnachweis... ...kann nicht nachgebessert werden Für den Bau einer Spundwand hatte der Auftraggeber ein Mindestwiderstandsmoment von 830 cm³/m vorgeschrieben und ein bestimmtes Spundwandprofil vorgegeben. Nebenangebote waren zugelassen. Ein Bieter bot im Nebenangebot ein anderes Profil, das ausweislich des beigelegten Datenblattes nur 820 cm³/m aufwies. Das Nebenangebot wurde wegen dieser Abweichung nicht gewertet, wogegen der Bieter die landesrechtliche Nachprüfung beantragte. Doch vor der Vergabekammer unterliegt er. Mit der Vorlage des Datenblattes hatte er Un­ terlagen beigefügt, die zur Gleichwertigkeitsprüfung herangezogen werden konnten, jedoch negativ ausfielen. Eine weitere Aufklärung war demnach nicht erforderlich. Auch biete der § 16a VOB/A keine Grundlage, einen weiteren Gleichwertigkeitsnachweis nachzufordern. Dessen Nachforderung würde eine unzulässige Nachbesserung des Angebotes darstellen. Sie wäre nur möglich gewesen, wenn gar keine Unterlagen zur Prüfung der Gleichwertigkeit vorgelegen hätten. VK Sachsen­Anhalt (Beschl. v. 30.11.2016, Az.: 3 VK LSA 44/16)

►AUFTRAGGEBER

Es kann nur einen geben Organe sind unselbstständig Deutschland ist unteilbar! Das ist keineswegs ein politischer Kampfruf, sondern vielmehr das Ergebnis einer Vergabenachprüfung vor dem OLG Düsseldorf. Anders formuliert: Eine Gebietskörperschaft zerfällt als Auftraggeber nicht in ihre Organe, selbst dann nicht, wenn sie jeweils aus eigener Hoheit heraus handeln. Der Hintergrund ist folgender: Der Deutsche Bundestag will den Fahrdienst für Abgeordnete nicht mehr wie bisher einem privaten Unternehmen überlassen, sondern nach Ende der laufenden Verträge dem Bundeswehr Fuhrpark Service übertragen. Dieser als GmbH organisierte Betrieb gehört zu 75,1 Prozent dem Verteidigungsministerium, zu weiteren 24,9 Prozent der Deutschen Bahn, die ihrerseits vollständig dem Bund gehört. Der bisherige Leistungserbringer vermutet, dass der Auftrag hätte ausgeschrieben werden müssen. Das OLG verwirft dieses Ansinnen. Es handele sich auch dann um ein Inhouse­Geschäft, wenn ein Verfassungsorgan (der Bundestag) einem anderen (einem Ministerium) einen Auftrag erteilt. Das gleiche gelte auch für die jeweiligen Töchter. Gleich welches Organ handelt, so handeln sie doch immer für die Bundesrepublik. So gibt hier also die Bundesrepublik den Auftrag an eine von ihr völlig beherrschte Gesellschaft. Die Inhouse­Voraussetzung ist erfüllt. OLG Düsseldorf (Beschl. v. 02.11.2016, Az.: Verg 23/16)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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Behörden Spiegel / April 2017

B

ehörden Spiegel: Herr Lau, welche Bilanz ziehen Sie zur aktuellen Kartellrechtsnovelle? Lau: Das Kartellrecht dient dem Schutz des Marktes. Es ist insofern Wirtschaftsverwaltungsrecht. Im Vordergrundsteht die Wettbewerbsordnung. Im Rahmen dieser Novelle stellen wir jedoch an mehreren Stellen einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel fest.

Beschaffung / Vergaberecht

“Unbehagen ist schlechter Ratgeber”

pliance-Programme nicht bußgeldmindernd aus.

Niels Lau über die Kartellrechtsnovelle und das geplante Wettbewerbsregister

Behörden Spiegel: Also ein gutes Vorhaben am Ende der Legislatur?

(BS) Mit der neunten Kartellrechtsnovelle sollte eigentlich die EU-Schadensersatzrichtlinie im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) umgesetzt werden. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurden weitere Aspekte geändert, wie die Fusionskontrolle, die Überwachung digitaler Märkte, die Ministererlaubnis und die Schließung der sogenannten “Wurstlücke”. Durch letztere verschärft sich die Haftung von Unternehmen, wodurch theoretisch auch mehr Einträge in das vom Bund geplante Wettbewerbsregister möglich sind. Niels Lau, Abteilungsleiter Recht, Wettbewerb und Verbraucherpolitik des Bundesverbands der Deutschen Industrie e. V. (BDI), erläutert im Gespräch mit dem Behörden Spiegel rechtliche Spannungsfelder und die Position des BDI. Die Fragen stellte Jörn Fieseler. für andere Rechtsgebiete geschaffen wurde, bisherige Prinzipien zu durchbrechen. Dagegen stellen wir uns ausdrücklich.

Behörden Spiegel: Inwiefern? Lau: Mit der EU-Schadensersatzrichtlinie sind bestimmte spezifische Elemente ins deutsche Kartellrecht aus dem anglo-amerikanischen Recht übernommen worden, die es bislang so bei uns nicht gab. Dazu zählt die Offenlegungspflicht für relevante Informationen, die bislang nicht zugänglich waren. In dieser Stärkung des Klägerschutzes sehen wir den ersten Paradigmenwechsel. Das entspricht nicht dem ursprünglichen Sinn des Kartellrechts. Auch birgt diese Neuerung eine Missbrauchsgefahr. Die Zahl von Schadensersatzprozessen wird ansteigen. Vor allem für die Anwaltschaft öffnet sich damit ein neues Geschäftsfeld.

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Behörden Spiegel: Die Haftung von Unternehmen und deren Übertragung auf Mutterkonzerne sind bereits angesprochen worden. Ein anderer Aspekt ist der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen. Dazu soll auf Bundesebene noch in dieser Legislatur ein Wettbewerbsregister eingeführt werden. Ihre Einschätzung? Niels Lau, Abteilungsleiter Recht, Wettbewerb und Verbraucherpolitik im BDI, zieht eine kritische Bilanz. Foto: BS/Fieseler

Lau: Das euphemistisch so genannte “Wettbewerbsregister” ist für die Durchsetzung gesellschaftspolitischer Ziele ein sehr starkes Instrument. Wenn es stimmt, dass Unternehmen sich “unzuverlässig” im Sinne von rechtswidrig verhalten und somit vergaberechtlich ausgeschlossen werden können, ist grundsätzlich gegen einen Ausschluss von der öffentlichen Auftragsvergabe nichts einzuwenden, wenn dieser Zustand durch “Selbstreinigung” überwunden werden kann. Aber das muss rechtssicher ausgestaltet sein. Aus unserer Sicht wäre es verfehlt, wenn damit lediglich eine Prangerwirkung für Verdachtsmomente erzeugt wird. Fraglich ist auch, ob ein weiteres Register überhaupt notwendig ist. Wir haben u. a. ein Gewerbezentralregister und ein Handelsregister. Wichtig ist, dass nach der Einführung eines Bundesregistergesetzes die Landesregistergesetze beseitigt werden. Wenn durch ein Bundesregister das deutsche Recht harmonisiert wird, mit festen Kriterien, und dadurch Rechtssicherheit vermittelt wird, begrüßen wir es. Ansonsten wäre

Lau: Richtig. Im Fokus steht in einer neunten Kartellrechtsdie Frage, ob vermeintlich un- novelle vollzogen werden sollen. entgeltliche Dienstleistungen Dieser Wandel bedarf einer inauf digitalen Plattformen und tensiven Diskussion vor allem über Social Media überhaupt ein auch mit Verfassungs- und GeMarkt im Sinne des Kartellrechts sellschaftsrechtlern. Die sog. Behörden Spiegel: Aber es sind. Es geht um Datenbestände Wurstlücke ist entstanden, weil handelt sich um eine umzuset- und deren wirtschaftliche Nut- bei einer Tochtergesellschaft ein zung. Nach der GWB-Novellie- Kartellrechtsverstoß nachgewiezende EU-Richtlinie. rung wird dies so gesehen. Da- sen wurde, der Bußgeldbescheid aber nicht Lau: Ja. Die EU-Kommission mit kann das mehr zugehatte gemeint, dass die An- B u n d e s k a r “Damit wird das und vollFälle spruchsdurchsetzungsrechte tellamt Kartellamt zu einer Art stellt zogen werden die für Geschädigte in den Natio- prüfen, Gewerbeaufsichtskonnte, weil nalstaaten unterschiedlich ef- nicht unmitdas Tochterfektiv sind. Durch die Richtlinie telbar an Leisbehörde. Das ist aber unternehmen sollten diese harmonisiert und tung und Genicht seine Aufgabe.” zwischenzeitverstärkt werden. Das gilt aber genleistung in lich insolvent nicht für das deutsche Recht. Geld geknüpft Rechtsdurchsetzung war hier sind. Auch die Fusionskontrol- – also nicht mehr existent – war. schon vorher möglich. Jetzt le knüpft nun auch an andere Der Übergang der Haftung könnsind diese vereinfacht worden. Kriterien an. Anlass dafür war te in solchen Fällen aber auch Spezialisierte, ursprünglich aus die Übernahme von WhatsApp durch Heranziehung eines Orden USA stammende Kanzlei- durch Facebook. WhatsApp ge- ganverschuldens geregelt weren haben deshalb auch schon neriert keine messbaren Umsät- den, wenn nachgewiesen wird, Dependancen in Deutschland ze in Deutschland, hatte aber dass der Mutterkonzern von den einen Marktwert von 19 Mrd. US- Machenschaften wusste. Die jetgegründet. Im Zuge des Gesetzgebungs- Dollar. Zukünftig werden nicht zige Lösung ist unverhältnismäprozesses in Deutschland ka- nur die Umsatzschwellen als ein ßig. Auch durch diese Regelung heranzuziehen wird der Standort Deutschland men Vorschläge auf, die das Prüfkriterium Bundeskartellamt mit weiteren sein, sondern auch der Wert der unattraktiver. Und schließlich besteht die GeKompetenzen ausstatten woll- Transaktion. Auch diese Regelung ist aus fahr, dass damit eine Blaupause ten. Etwa bei der Bekämpfung anglo-amerikanischen des unlauteren Wettbewerbs dem und der Missbrauchskontrolle Recht übernommen worden; sie Allgemeiner Geschäftsbedin- soll in Deutschland ab einem gungen. Damit wäre eine Behör- Wert von 400 Mio. Euro gelten. de beauftragt worden, Dinge für Wir halten sie nicht für richtig. Das FestVerbraucher zu “Der beste Korruptions- machen an von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune prüfen, die dieeinem Kaufse vermeintlich schutz ist kriterium ist nicht selbst Die Forderung nach der Einder Rechtsschutz.” eine Momenthinterfragen führung eines bundesweiten Dr. Stefanie betrachtung können. Das Korruptionsregisters sowie Lejeune ist Präginge aber über die Vorgaben der und schwierig. Start-ups und nach einem Lobbyistenresidentin des EU-Richtlinie hinaus. Danach große Unternehmen werden sich gister hat schon einen etwas Vereins qanuun sollten private Instrumente ge- zukünftig überlegen, ob sie bei – Institut für inter“längeren Bart”, um im aktustärkt werden, die Geschädigte – einer Fusion oder Übernahme disziplinäre Korellen Modebild zu bleiben. Inetwa Endverbraucher – nach ei- einer kartellrechtlichen Prüfung ruptionsprävention in der Verwalsoweit ist es beeindruckend, ner Kartellrechtsentscheidung unterliegen. Also entsteht ein tung e. V. In jeder Ausgabe des dass die Bundesregierung einklagen können. Mit einer Standortproblem. Behörden Spiegel kommentiert zum Ende der Legislaturperisie aktuelle Entwicklungen rund weiteren Kompetenzregelung ode den interessierten Leser Behörden Spiegel: Wie sieht um die Themen Compliance und für das Kartellamt würden aber gleich über drei GesetzentKorruptionsprävention. Prüfungskompetenzen einer es mit der Schließung der sowürfe informiert: Erstens soll Behörde ausgeweitet. Letztlich genannten “Wurstlücke” – der nach dem Willen des BundesFoto: BS/www.qanuun.org wurden dem Amt lediglich wei- Ausweitung der Haftung von ministeriums der Finanzen tere Möglichkeiten für Sektor- Töchtergesellschaften auf den zur Umsetzung der vierten tenzielle Auftragnehmer schon untersuchungen zur Informa- Mutterkonzern – aus? EU-Geldwäscherichtlinie ein einmal im Zusammenhang mit tionsbeschaffung eingeräumt. Transparenzregister einge- Korruptionsdelikten aufgefalLau: Es wird eine verschulZudem darf sich die Behörde führt werden, wodurch mit- len ist. Konzernan Verfahren als “Amicus Cu- dungsunabhängige Drittens hat die SPD-Buntels eines elektronischen Reriae” beteiligen und gegenüber haftung eingeführt. Das widergisters die sog. wirtschaftlich destagsfraktion einen Gesetzden Gerichten Stellungnahmen spricht aus unserer Sicht nicht Berechtigten von juristischen entwurf zur Einführung eines nur dem Schuldprinzip, sondern abgeben. Personen des Privatrechts etc. Lobbyistenregisters für den Auch das war gar nicht durch auch dem gesellschaftsrechtliBundestag auf den Weg geerfasst werden. die EU-Richtlinie indiziert. Da- chen Trennungsprinzip. Es hat Zweitens will das Bundesmi- bracht. mit wird das Kartellamt zu einer schließlich gute Gründe, dass Interessant ist für die Bürgenisterium für Wirtschaft und Art Gewerbeaufsichtsbehörde. es vertikale Konzernstrukturen Energie in konsequenter Linie rinnen und Bürger – wie immer Das ist aber nicht seine Auf- gibt. Zunächst war auch diese zur Reform des Vergaberechts – der Zeitpunkt der politischen gabe. Dieses Thema muss in sog. Lückenschließung nicht ein Wettbewerbsregister ein- Geistesblitze und ihrer Umsetder nächsten Legislaturperiode durch die EU-Richtlinie vorgerichten. Dieses soll bundesweit zung. Es wäre schön, wenn der geben. nochmals diskutiert werden. dafür sorgen, dass öffentliche aktuelle Anlauf der BundesreAber vor allem widerspricht die Auftrags- und Konzessionsge- gierung nicht der sachlichen Behörden Spiegel: Sie spra- nun eingeführte Lösung dem ber sich über vergaberechtli- Diskontinuität anheimfallen chen von einem tiefgreifenden Schuldprinzip, weil ein Fehlche Ausschlussgründe und würde. Dann hätte man zwar Paradigmenwechsel. Ein we- verhalten klar zuzuordnen sein mögliche Selbstreinigungs- wieder ein Signal an die eine sentlicher Bereich der Novelle muss. Ein Verschulden darf maßnahmen von Unterneh- oder andere Wählergruppe gewar die Ausweitung des Kartell- nicht einfach auf andere übermen informieren können, also sendet, aber der Korruptionsrechts auf digitale Märkte. Gehört tragen werden. Ein so starker insbesondere dazu, ob der po- prävention wenig gedient. Paradigmenwechsel hätte nicht dieses Thema ebenfalls dazu?

qanuun-aktuell

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es ein Argument dafür zu sagen, das Vergaberecht sei so kompliziert. Auf diesem Feld hätten wäre das dann so. Gleiches gilt übrigens für die Landesvergabegesetze an sich. Behörden Spiegel: Sie haben die Selbstreinigung angesprochen. Wie beurteilen Sie diese Möglichkeit? Lau: Die Selbstreinigung ist wichtig und gut. Sie schafft Raum für wettbewerbsfördernde Maßnahmen und belohnt diejenigen, die diese vorsehen und vollziehen. Es ist allerdings bemerkenswert, dass die Selbstreinigung im 4. Teil des GWB anerkannt wird, im Kartellrecht des 1. bis 3. Teils jedoch nicht. Dort wirken sich effektive und effiziente Com-

Lau: Nicht unbedingt. Zum Ende der Legislaturperiode sollen offenbar noch viele schwierige Themen “abgeräumt” werden. Die Angst vor der zwischen laufender und neuer Legislaturperiode drohenden sogenannten Diskontinuität ist aber eine schlechte Begründung. Weniger wäre mehr. Qualität geht vor Schnelligkeit. Unbehagen ist immer ein schlechter Ratgeber für Gesetzesänderungen. Ein Beispiel: Mit dem Wettbewerbsregistergesetz lenkt das Bundeswirtschaftsministerium eigentlich von einer viel wichtigeren Frage ab: dem Rechtschutz unterhalb der Schwellenwerte. Vor allem deshalb, weil der Anteil aller Vergaben unterhalb der Wertgrenzen rund 90 Prozent ausmacht. Das wäre eine vielversprechende Lösung gewesen. Denn der beste Korruptionsschutz ist der Rechtsschutz. Das vollständige Interview lesen Sie auf www.behoerdenspiegel. de, Suchwort “Kartellrecht”.

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Diplomaten Spiegel

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egen dieser Vielzahl von Eilanden und zerklüfteten Schären ergibt sich die enorme Küstenlänge von über 7.000 km. Die Grenze zu uns, die einzige Landgrenze überhaupt, beträgt gerade mal 67 km. Dänischer Frontmann in der Berliner Rauchstraße ist Botschafter Friis Arne Petersen. Der heute 64-jährige studierte Volkswirt kommt 1978 zum Nationalen Rechnungshof und ein Jahr später in den diplomatischen Dienst. Von 1981–84 an die Dänische Botschaft in Kairo, dann als Staatssekretär wieder zurück ins Kopenhagener Außenministerium und vertritt dort u. a. von 1997 bis 2005 den Minister im Rat der EU. Der schickt ihn als Botschafter in die USA, 2010 in die Volksrepublik China und 2015 zu uns. Petersen findet beste gutnachbarliche, bilaterale Beziehungen und vier große Bereiche für seine Tätigkeit.

Behörden Spiegel / April 2017

Wir arbeiten für ein besseres Europa Ein Gespräch mit dem dänischen Botschafter Friis Arne Petersen in Berlin (BS/ps) Die Dänen waren laut UN in den letzten drei Jahren die glücklichsten sechs Millionen der Welt und haben heuer, nach den Norwegern, einen glücklichen zweiten Platz inne. Wir granteln dagegen auf dem sechzehnten rum... “Beatus Dania” – das sind zweieinhalb Millionen Quadratkilometer “glückliches Dänemark”, von Jylland bis Bornholm, den Färöern und Grönland, in die wir sieben Mal reinpassten. Das “Kernland”, zwischen Nord- und Ostsee, ist “nur” etwa so groß wie Niedersachsen. Was es nicht übersichtlicher macht. Denn außer den beiden Inseln im Nordatlantik gehören unserem Nachbarn jenseits von Schleswig-Holstein noch weitere 1.419, von denen immerhin 443 einen Namen haben und 72 davon sogar bewohnt sind.

Deutschlandstrategie “Für meine Regierung ist die Deutschlandstrategie von 2016 am wichtigsten. Dabei geht es um breit angelegte Bereiche in Politik, Wirtschaft und Kultur. Für unsere Wirtschaft ist die Bundesrepublik der größte Absatzmarkt, politisch der wichtigste Partner in Europa und in der Nato. Die Politik kam zum richtigen Zeitpunkt, denn die internationalen politischen Entwicklungen in der EU oder den USA sind nicht einfacher geworden. Sie schafft auch einen wichtigen bilateralen Rahmen und definiert unser Verhältnis. Der zweite große Bereich, der mit der Unterzeichnung des Staatsvertrags 2008 für uns sehr wichtig ist, ist der Bau der Fehmarnbelt-Querung. Wir Dänen wollen dieses Großprojekt gern finanzieren und implementieren, weil wir glauben, dass es auch bei der Umsetzung der Deutschlandstrategie hilft. Kopenhagen rückt näher an Hamburg und Berlin. Ebenso wird das transeuropäische Netzwerk beispielsweise mit einem schnelleren Transport nach Stockholm gestärkt. Das bringt mehr wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze. Und wenn in den nächsten Jahren die Baugenehmigung von Deutschland vorliegt, könnte die neue Verbindung 2028 fertig sein und wir alle davon profitieren.”

Seit 2015 vertritt er Dänemark in Deutschland: Botschafter Friis Arne Petersen.

Botschafters Rezept Gebratenes Fischfilet Zutaten: Vier große Fischfilets (zum Beispiel Scholle), Fett zum Braten Für die Soße: ein wenig Butter, Saft einer Zitrone Zubereitung: Die Filets säubern, säuern und salzen. Den Fisch sofort in heißem Fett braten. Beidseitig zunächst auf guter Mittelhitze bräunen, danach die Hitzezufuhr reduzieren und weitere fünf Minuten durchbraten. Am besten den Fisch pur genießen – ohne Remoulade und Mayonnaise, nur mit ein wenig Butter und Zitrone. Dazu passend: Bier und ein Aalborg. Skål!

Im EU-Digitalisierungsranking ganz vorne “An dritter Stelle würde ich die Koordinierung der Europa-Politik nennen, weil eine gemeinsame Haltung, etwa durch die Entwicklungen nach dem Brexit, im Verhältnis zur Türkei oder Russland beziehungsweise mit dem neuen Präsidenten in den USA, nötig ist. Von dänischer Seite gibt es den Anspruch, mit den zentralen deutschen Ministerien und Stellen engen Kontakt zu halten. In Berlin ist das mit den deutschen Behörden sowie Ministerien sehr gut möglich und wir sind für die offenen Türen vonseiten der Deutschen, die uns aufgehalten werden, sehr dankbar. Das machen wir vonseiten der Botschaft immer vor den einzelnen Ministertreffen in Brüssel, bevor der Europäische Rat tagt. Wir nehmen einerseits die deutschen Positionen auf und versuchen sie mit unseren abzustimmen – ein sehr wichtiger Teil der bilateralen EU-Zusammenarbeit. Es geht darum zu verstehen, in welche Richtung Deutschland sich entwickelt und was das dann für uns bedeutet. Als Botschafter eines kleinen Landes ist es wichtig festzuhalten, dass Deutschland eine gut funktionierende ZweiWege-Kommunikation mit uns aufrechthält. Bei langfristigen Projekten, wie unserer positiven Haltung zum Freihandel,

Fotos: BS/Dombrowsky

auch die Kultur für uns hier an der Botschaft eine große Rolle. Wir sind mit vielen Aktivitäten in ganz Deutschland präsent. Unsere Königin Margrethe I., war beispielsweise im letzten Herbst zu den Feierlichkeiten des Reformationsjubiläums in der Lutherstadt Wittenberg. Ihr wurde die Ehre zuteil, für den Altar in der Schlosskirche ein neues Antependium (reich verzierter und bestickter Vorhang aus Stoff an der Vorderseite oder den Seiten des Unterbaus eines Altars d. Red.) zu gestalten.” Die allseits beliebte, hoch angesehene Monarchin hat auch als Grafikerin, Malerin und Übersetzerin reüssiert, Briefmarken entworfen und zahlreiche Bücher illustriert, so 1977 unter dem Pseudonym Ingahild Grathmer die dänische Ausgabe von “Der Herr der Ringe”, sowie Kirchengewänder, Theaterkostüme und Bühnenbilder gestaltet.

“Wir sind in Dänemark sehr protestantisch”

Unverkennbar: In Dänemark wird Rad gefahren.

zur Nachhaltigkeit, zu “Green Tech”, zur Energiewende und sozialer Gerechtigkeit, sind Dänemark und Deutschland nicht weit voneinander entfernt. Auch die Digitalisierung ist ein Thema, bei dem wir uns in der EU weit vorn positionieren wollen. Bislang ist uns dies auch ganz gut gelungen, wir müssen aber noch besser werden. Wir liegen beim Digitalisierungsranking der EU-Kommission schon jetzt auf dem ersten Platz in Europa. In anderen Bereichen wie “Open Government Partnership”, bei dem auch Deutschland jetzt Mitglied geworden ist, haben wir ebenso ein großes Interesse an der Zusammenarbeit mit der deutschen Seite.”

Trennung zwischen Flucht und Migration “Ein vierter Bereich, der in den letzten anderthalb Jahren viel Zeit kostete, ist die Flüchtlingspolitik. Europa war durch den Strom der Flüchtlinge überfordert, was auch zu schwerwiegenden politischen Entschei-

dungen führte. Wir haben uns nicht leicht getan, eine gemeinsame Linie zu entwickeln. Es gibt weiterhin große Herausforderungen wie bei der Immigration oder der Kontrolle der äußeren Grenzen. Wir sind aber schon weit gekommen. Es gibt jetzt die EU-Türkei-Absprachen, den Schwerpunkt der Migrationspartnerschaften mit Afrika und Entwicklungshilfen. Mit der Stärkung von Frontex und einer ganzen Reihe weiterer Instrumente haben wir eine europäische Antwort auf die Herausforderung des Flüchtlingsstroms gefunden. Wir trennen jetzt genauer zwischen Flüchtlingen und Migration, haben bessere Integrationsmaßnahmen und aus den ersten Fehlern gelernt. Wir haben uns auch mit den Asylpaketen einander angenähert. Aber es bleibt noch viel zu tun – etwa bei den Fragen der Abschiebung und wie man mit denjenigen umgeht, die keinen Flüchtlings- bzw. Asylstatus erhalten haben.” “Neben alle dem spielt aber

“Wir sind in Dänemark sehr protestantisch, lutherisch. Das prägt unsere Politik und Gesellschaft. Aber auch unseren Zugang zu zentralen deutschen Tugenden und Charaktereigenschaften wie Fleiß, Tüchtigkeit, Gewissenhaftigkeit, soziale Haltungen. Und wir sind uns auch bewusst, dass diese Gemeinsamkeiten dabei helfen, uns eng mit großen Teilen der deutschen Kultur zu identifizieren. Deswegen genießt die Kulturarbeit der Botschaft eine hohe Priorität. Kultur spielt eine so große Rolle bei der Entstehung eines neuen europäischen Bewusstseins. Es sind in den letzten Jahrzehnten mehr dänische Künstler nach Berlin gezogen als in irgendeine andere europäische Stadt. Und das liegt natürlich daran, dass diese Stadt attraktiv und spannend für unsere Kultur ist. Ebenso haben wir eine lebhafte deutsche Kulturszene in Kopenhagen.” Botschafter Friis Arne Petersen könnte sich eigentlich in seinem schönen Büro “zurücklehnen”, wenn da nicht diese Europamüdigkeit und antieuropäischen Befindlichkeiten wären. Den ausgemachten Europäer treiben der Brexit sowie die Herausfor-

derungen in Frankreich, Griechenland, Holland, Polen und Ungarn erheblich um. “Ich habe aber auch gesehen, dass die Bevölkerung vieler Mitgliedsländer durchaus eine positive Lehre aus dem BrexitEntscheid vom 23. Juni letzten Jahres zieht und nun die EUZusammenarbeit erst recht weiter unterstützt. Dazu gehören u. a. Dänemark und Deutschland.”

“Zu überzeugten Europäern geworden” “Dänemark trat wie Großbritannien vor 44 Jahren der EU bei. In diesen vier Jahrzehnten sind wir zu überzeugten Europäern geworden und haben verstanden, warum die EU gerade im internationalen Wettbewerb gegenüber China und den USA so entscheidend ist. Diese europäische Entwicklung ist gerade gegenüber den nationalistischen, populistischen Tendenzen wichtig. Es wirkt derzeit so, als ob sowohl auf dem rechten wie eigentlich auch auf dem linken Flügel die Popularität nationaler Lösungsansätze sich in Deutschland reduziert. Das Schicksal will es so, dass der Europäische Gipfel im März den 60. Geburtstag

der Rom-Verträge gefeiert hat. Und wenn Europa oder die EU vielleicht nicht unbedingt ein riesiger Erfolg ist, so sind wir mit ihnen weitergekommen, als die meisten erwartet haben. Es ist uns geglückt, Europa friedlich sowie stabil zu halten und gleichzeitig die ökonomische Integration nach vorn zu bringen. Und ja, es gibt Teile der europäischen Zusammenarbeit, die nicht sonderlich populär sind. Nichtsdestotrotz sind alle 27 EU-Mitgliedsstaaten in einer verbindlichen Zusammenarbeit vereint. Und das hat dazu beigetragen, eine europäische Idee innerhalb der Wirtschaft und der politischen Entwicklung zu schaffen, die ungeachtet aller Kritik einen riesigen Fortschritt für Europa bedeutet.” Während also in Europa “die Kuh irgendwie vom Eis ist”, wissen wir angesichts der Politik der Regierung Trump noch nicht so recht, wie es mit uns da so weitergeht. Bisheriges präsidiales Washingtoner Amtswalten hat viele Europäer jedenfalls nicht überzeugt, sondern eher besorgt. “Der neue amerikanische Präsident hat viele der klassischen amerikanischen Haltungen herausgefordert, für die sich Dänen jeder politischen Couleur begeistern konnten. Gleichzeitig müssen wir versuchen, die Amerikaner zu überzeugen, auch auf unsere nationalen Interessen wie Freihandel, die Mobilität des internationalen Kapitals, Klimapolitik oder solidarische Sicherheitspolitik innerhalb der Nato zu hören – mit Hinblick auf den Versuch, unseren Einfluss geltend zu machen. Und es sieht fürs Erste danach aus, dass viele der US-Minister, wie Verteidigungsminister James Mattis, Außenminister Rex Tillerson oder Heimatschutzminister John F. Kelly, in großen Teilen das fortsetzen wollen, was wir als amerikanische Außenund Sicherheitspolitik kennen. Das ist natürlich gut. Dänen und Deutsche sind von dieser Drehung in der amerikanischen Politik überrascht worden. Wir sind erstaunt, wie Donald Trump die US-Presse behandelt.” Fast 40 Jahre ist Botschafter Petersen im Dienste Dänemarks in der Welt unterwegs und blickt “voller Stolz darauf zurück” und kann sich “beim besten Willen keine schönere Aufgabe vorstellen”. Allenfalls vorübergehend würde er mal was ganz anderes machen: “Wenn Sie mich nach einem Deutschen fragen, mit dem ich gern für einen Tag tauschen würde, ist meine Antwort einfach: Bundestrainer Joachim Löw. Es muss einfach großartig sein, mit solch talentierten Sportlern zusammenarbeiten zu dürfen. Da ich selbst sehr sportbegeistert bin, wäre das bestimmt ein tolles Erlebnis.”

MELDUNG

Dänemark Partnerland bei “Digitaler Staat” (BS/ckö) Dänemark ist 2017 das offizielle Partnerland des Fachkongresses Digitaler Staat am 9./10. Mai in Berlin. Das nördliche Nachbarland belegt den ersten Platz im DESI-Index der EU, der die wesentlichen Indikatoren für die digitale Entwicklung der EU-Mitgliedsstaaten zusammenfasst. Und auch für die Digitalisierung der Verwaltung ist Dänemark aus mehreren Gründen spannend: Unter www. borger.dk können die Dänen Verwaltungsangelegenheiten in einem Portal zentral online erledigen. Hier kommt die NemID zum Einsatz, die von 4,6 Millionen der insgesamt 5,6 Millionen Dänen genutzt wird. Alle Kommunen, Regionen und alle Mi-

nisterien sind, sofern sie “Selbstbedienungslösungen” anbieten, an das Portal angebunden. 90 Prozent aller Bürger und so gut wie alle Unternehmen verfügen über einen digitalen Briefkasten. 80 Prozent der Kommunikation mit der Verwaltung laufen mittlerweile digital ab. Auf dem 1. Fachkongress Digitaler Staat, werden eine Reihe von Referenten aus Dänemark erwartet, allen voran der Direktor der Digitalisierungsbehörde (CIO), Lars Frelle-Petersen. Er ist zuständig für die digitale Strategie aller Verwaltungsebenen in Dänemark. Weitere Informationen zu Programm und Anmeldung unter: www.digitaler-staat.de


Personelles

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Senatsverwaltung für Inneres und Sport Senatsverwaltung für Inneres und Sport Klosterstraße 47 10179 Berlin Tel. Amt: 030/90223-0 Tel. intern: 030/9223-Durchwahl

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Senatsverwaltung für Inneres und Sport Stand: April 2017

Senator für Inneres und Sport Andreas Geisel Foto: Senatsverwaltung für Inneres und Sport

LdB Teodora Gionova-Busch

SenPersRef Jana Neskovic

PressRef Martin Pallgen

SenRef GR Dr. Marcel Tietz

StS Inn Ref Lovis Rieck -2728

StS Sport Ref Kian Niroomand -2901

StS IKT Ref Fides Marie Brückner -2753

StS Inn Torsten Akmann Innenrevision Verfassungsschutz Jürgen Gabsch -2183

Abteilung I Staats-, Verwaltungsu. Dienstrecht Dr. Petra Michaelis-Merzbach -2063/64

Referat I A Staats- u. Verwaltungsrecht, Bezirksangelegenheiten, Wahlen u. Volksbegehren, Melderecht, Vereinsverbote Michael Theis -1410

StS Sport Christian Gaebler Landeskommission “Berlin gegen Gewalt” Ute Vialet -2910

Abteilung II Verfassungsschutz Bernd Palenda

Abteilung III Öffentliche Sicherheit und Ordnung Klaus Zuch -2224/2273

Referat II A Grundsatz, Recht, Verwaltung, IT, Öffentlichkeitsarbeit, Gremien

Referat III A Brand-und Katastrophenschutz, Zivilverteidigung, Rettungsdienst, Aufsicht Feuerwehr Anja Brammann -2100

Referat II B Rechtsextremismus Referat I B Ausländer- u. Asylrecht, Fachaufsicht über das LABO; Staatsangehörigkeitsrecht Peter Marhofer -2038

Referat I D Öffentliches Dienstrecht Beamtenrecht und Nebengebiete, Besoldung, Versorgung, Senatorengesetz Dr. Günter Bochmann -2057

Referat I E Korruptionsbekämpfung, Glücksspielaufsicht und Personenstandsrecht N.N. -1044

Geschäftsstellen Personalkommission Senat Landespersonalausschuss und Einigungsstelle für Personalvertretungssachen

Projekt Personenstandswesen Simone Kleeberg -2357

StS IKT Sabine Smentek

Referat II C Ausländerextremismus, Terrorismus, Islamismus

Referat II D Spionageabwehr Geheimschutz (GSB) Mitwirkungsangelegenheiten

Referat II E Beschaffung

Referat III B Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Waffenrecht, Aufsicht über den Polizeivollzugsdienst Lagezentrale Dirk Sokolowski -2170

Referat III C Aus- und Fortbildung, Dienstrecht, Ressourcen, Ausrüstung, IT für Polizei und Feuerwehr, Organisation der Polizei Kerstin Alms -1137

Abteilung IV Sport Dr. Herbert Dierker -2930

Referat IV A Sportförderung, sportfachliche Rechtsberatung, Beteiligungsunternehmen Sport Harald Bösch–Soleil -2933

Referat IV B Betrieb überregionaler Sportanlagen, Sportanlagenbau u. Sportinfrastruktur, Sportmuseum Dr. Herbert Dierker (in Personalunion) -2930

Abteilung ZS Landesweite, ressortweite und hausinterne Querschnittsaufgaben Dr. Erik Nils Voigt (komm.) -2580

Referat ZS A Personal, Innerer Dienst, Finanzen u. Controlling, Justiziariat Dr. Erik Nils Voigt -2580

Referat ZS B Landesweites Personal- und Organisationsmanagement, Infrastrukturleistungen (ohne IT Aufsichten) Kirsten Dreher -1075

Abteilung V Verwaltungsentwicklung, IKT-Steuerung, E-Government, Geschäftsprozessmanagement Manfred Pasutti (komm.) -1500

Referat V A Verwaltungsentwicklung, E-Government-Projekte Manfred Pasutti (in Personalunion) -1500

Referat V B Berliner IKT-Strategie, IKT-Recht und Haushaltsangelegenheiten Manfred Pasutti (in Personalunion) -1500

Referat IV C Sportentwicklung, Sportstandortmarketing, Informationsstelle, Behindertensport Gabriele Freytag -2957

II F Linksextremismus III EU Europäische Angelegenheiten Internationale Zusammenarbeit Hans Richter -2662

III Cyb Cyber-Sicherheit Stephan Elsner -2279

IT-Managerin für das Ressort Inneres und Sport Kerstin Alms -1137

Verehrte Leserinnen und Leser! Sollten Sie Interesse an Organigrammen haben, die in früheren Ausgaben veröffentlicht wurden, besteht die Möglichkeit, diese über ein Abonnement der Behörden Spiegel-App zu erhalten. Dort finden Sie rückwirkend bis Januar 2014 alle Ausgaben. Die App ist erhältlich im Apple App Store, Google Play Store und Amazon Appstore.


Gesundheit / Versorgung

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“D

ie Monopolkommission spricht sich dafür aus, zunächst die vielfältigen Wettbewerbsprobleme innerhalb des bestehenden privaten und gesetzlichen Krankenversicherungssystems anzugehen”, heißt es in dem jüngst veröffentlichten Sondergutachten des Gremiums. Systemveränderungen sollten vorher nicht angegangen werden, wie eben der Einstieg in eine Bürgerversicherung (siehe dazu Behörden Spiegel, Februar 2017, Seite 15). Solange die Krankenkassen nur die bestehenden Gesetze anwenden und keinen Einfluss auf Beitragshöhe, Leistungsumfang und Verwendung der Mittel haben, kommt im Verhältnis zwischen GKV und Privater Krankennversicherung (PKV) das europäische Wettbewerbsrecht nicht zur Anwendung. “Daran ändert sich nichts, wenn der Gesetzgeber den Krankenkassen die Möglichkeit zu einem gewissen Wettbewerb auf Beitragsseite einräumt, um die Kosteneffizienz nach Wirtschaftlichkeitsgrundsätzen zu steigern”, so die fünfköpfige Kommission in ihrem Bericht “Stand und Perspektiven des Wettbewerbs im deutschen Krankenversicherungssystem”.

Anreize beim Morbi-RSA So könne die Wirksamkeit des Risikostrukturausgleichs (RSA) verbessert werden, indem Anreize für präventive Maßnahmen gesetzt würden. Dazu käme eine zweistufige Berechnung in Betracht. Nach der, wie bisher

Mehr Wettbewerb statt Systemlösungen Monopolkommission zum Krankenkassenversicherungssystem (BS/Jörn Fieseler) Das Land Berlin will über den Bundesrat den Einstieg in eine Bürgerversicherung vorantreiben, die Fraktion Die Linke im Bundestag per Antrag. Beide eint der Gedanke, den Beamten von Bund und Ländern einen Wechsel in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zu ermöglichen bzw. sie zu überführen. Das weist die Monopolkommission der Bundesregierung zurück. Sie fordern stattdessen, ungenutzte Potenziale zu nutzen. stattfindenden, Verteilung und Standardisierung der Zuschläge würden diese in einem zweiten Schritt um die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen der Kassen korrigiert werden. Zudem sollten regionale Faktoren im RSA berücksichtigt werden. “Sowohl die Einführung einer Regionalkomponente im RSA als auch regional differenzierte (Zusatz)-Beiträge sind verfassungsrechtlich unbedenklich.” Seitens des Verbandes der Ersatzkassen e. V. werden die Vorschläge positiv bewertet: “Die Ersatzkassen begrüßen die wettbewerbliche Orientierung im Gesundheitswesen, sofern es sich um einen Wettbewerb um gute Qualität, Effizienz, Innovation, Service und eine stärkere Patientenorientierung handelt. Aber ein funktionierender Kassenwettbewerb braucht faire Wettbewerbsbedingungen. Der Morbi-RSA, der dies eigentlich sicherstellen soll, verfehlt derzeit sein Ziel und muss dringend reformiert werden. Dazu bieten die Vorschläge der Monopolkommission eine gute Grundlage”, sagt VDEK-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner. Weiteres Potenzial sieht die Mo-

Mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen in Deutschland fordert die Monopolkommission der Bundesregierung. Foto: BS/Tim Reckmann, pixelio.de

nopolkommission durch mehr Wettbewerb im Leistungsmarkt. Bei der GKV gebe es Handlungsspielräume bei der Organisation der Versicherungsleistung und Servicequalität, beim Angebot von Selbstbehalt-, Beitragserstattungs- und Kostenerstattungstarifen, individuellen Satzleistungen und selektivvertraglicher Versorgungssteuerung. Dazu sollen jedem GKVVersicherten sämtliche Tarife als

Medizin im digitalen Wandel Datenaustausch in der Behandlungskette sichert Versorgung nachhaltig (BS) Mehr ältere Menschen, mehr Chroniker, höhere Erwartungen an die Qualität der Behandlung: Diesen wachsenden Bedarf und die erhöhten Anforderungen kann unser Gesundheitswesen bei zunehmendem Fachkräftemangel und gedeckelten Budgets nur durch Produktivität und Arbeitsteilung meistern. Weitgehende IT-Unterstützung für die Prozesse und die Kommunikation der Beteiligten am Patientenfall ermöglichen im digitalen Wandel diese Vorteile. Ein Zusammenspiel der Softwaresysteme – Interoperabilität – ist hierfür die Voraussetzung. Für eine nahtlose, transparente Zusammenarbeit über die verschiedenen Einrichtungen und Sektoren hinweg bilden digitale Patientenakten die Grundlage. Interoperabilität ist eine maßgebende Voraussetzung dafür, dass die Beteiligten an der Behandlungskette Zugriff auf die behandlungsrelevanten Patienteninformationen erhalten. International aktive Gremien arbeiten an Standards und Prozessprofilen, die Interoperabilität ermöglichen. Zu ihnen zählt die Initiative “Integrating the Healthcare Enterprise” (IHE). Auf Basis von IHE-Architekturen, unter Einbezug von Standards etwa der Benutzergruppe Health Level sieben (HL7), entstehen in Deutschland interoperable Patientenakten – wie bereits längst in unseren Nachbarländern in Europa oder auch in Amerika und Asien. Einen zentralen Baustein für Interoperabilität und die erfolgreiche digitale Transformation stellen Plattformen wie HealthShare® von InterSystems dar. Ihr entscheidender Vorteil besteht in ihrer Flexibilität. Das heißt, sie unterstützt die im Gesundheitswesen gängigen lokalen und internationalen Standards und ermöglicht so die Vernetzung von Daten unterschiedlicher Herkunft.

Mehrwerte und Lösungen für die Menschen Die InterSystems-Plattform bündelt internationale Erfahrungen aus rund 40 Jahren Technologie für das Gesundheitswesen. Mit HealthShare lassen sich viele Anwendungsszenarien umsetzen, die den

Behörden Spiegel / April 2017

Wahltarife diskriminierungsfrei angeboten werden. Zu diesen sollen ein verpflichtend anzubietender Standardtarif sowie weitere optionale kassenindividuelle oder auch regionale Tarife für besondere Versorgungsformen gehören. “Dieser Vorschlag geht uns zu weit. Wahltarife in der GKV kann es nur on top geben”, betont ein Sprecher der VDEK. Denn in einer solidarischen GKV müssten alle Versicherten eine umfassende und qualitativ hochwertige Versorgung erhalten. Grundlage dafür seien Kollektivverträge. Ergänzende Serviceverträge könnten jedoch ein sinnvolles Instrument zur Weiterentwicklung der Versorgung sein.

Bestandskundenwettbewerb öffnen Des Weitern sollten im Bereich der PKV die Gebührenordnungen der Ärzte und Zahnärzte mit Öffnungsklauseln erweitert sowie ein besserer Wettbewerb um Bestandskunden ermöglicht werden. Letzteres könne durch die Mitgabe einer prospektiven individualisierten Altersrück-

stellung geschehen. “Wenn die theoretischen Vorschläge der Monopolkommission in die Praxis umgesetzt würden, hätte das extrem unsolidarische Auswirkungen ausgerechnet zulasten der älteren und kränkeren Versicherten”, warnt Volker Leienbach, Direktor des PKV-Verbandes. Die Alterungsrückstellungen seien Bestandteil einer gemeinsamen Risikovorsorge für die späteren Krankheitskosten derjenigen aus der Gemeinschaft, die besonders krank werden. Zudem würden fast nur junge und gesunde Menschen zu einer anderen Krankenkasse wechseln. “Damit führt jeder Wechsel zu einer Verschlechterung der Risikomischung.” Außerdem würde es erstens kein praktikables Modell für eine Portabilität geben. “Alle Theoriemodelle sind mit negativen Nebenwirklungen behaftet”, so Leienbach, der sich auf ein entsprechendes Gutachten von Prof. Dr. Jürgen Wasem beruft.

zusammenfassen: Entsolidarisierung auf breiter Front. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind dabei nicht im Ansatz geeignet, bestehende Probleme des Krankenversicherungssystems einschließlich der GKV zu lösen, sondern werden Ungleichgewichte und Tendenzen zur Zwei-Klassen-Medizin durch das Setzen von Fehlanreizen sogar noch verstärken”, sagt Verdi-Sprecher Jan Jurczyk. Aus Sicht der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) müsse stattdessen das Solidarsystem umfassend ausgebaut werden, um die Versorgung mit medizinisch notwendigen Leistungen für die Bevölkerung auf qualitativ hohem Niveau sicherzustellen. Auf der Reformbedarfsliste ganz oben stehe daher im Unterschied zur Meinung der Monopolkommission die Wiederherstellung einer echten paritätischen Finanzierung der GKV. Auch sollten die Leistungen generell allen Versicherten zustehen und nicht noch weiter in Basisversorgung plus Wahltarife aufgeteilt werden, wie es der Kommission vorschwebe. “Eine Krankenversorgung nach Portemonnaie lehnt Verdi ab”, so Jurczyk.

Umsetzung

“Die Ergebnisse des Sondergutachtens der Monopolkommission lassen sich einfach

“Die Auffassung der Gutachter, dass Wettbewerb im Bereich des Krankenversicherungssystems ein wesentlicher Baustein für die Weiterentwicklung einer innovativen und effizienten medizinischen Versorgung ist, wird geteilt”, heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG). Jetzt werde das Gutachten sorgfältig analysiert. “Die darin enthaltenen Handlungsempfehlungen werden in die politischen Entscheidungsprozesse eingebracht, sofern sie geeignet erscheinen, innerhalb des sozialen und solidarischen Rahmens der gesetzlichen Krankenversicherung den Wettbewerb im System zur Erhöhung von Effizienz, Qualität und Innovation der medizinischen Versorgung weiter zu verbessern”, teilte eine Sprecherin des Ressorts mit. Hierzu seien auch Gespräche auf Fachebene mit der Monopolkommission geplant.

es für Überstunden einen Zuschlag von 15 Prozent und für Nachtarbeit von 20 Prozent. Der Marburger Bund beschränkt sich auf monetäre Forderungen. Grund seien besondere kündigungsrelevante Bedingungen. Dabei dürfte auch die rechtliche Diskussion um das Tarifeinheitsgesetz beim Bundesverfassungsgericht eine Rolle spielen. Deshalb werde die Arbeitszeit von Ärzten auch außerhalb der

Tarifrunde thematisiert. Großen Nachholbedarf sieht der MB hinsichtlich einer objektiven und manipulationsfreien Arbeitszeiterfassung. Eine Mitgliederbefragung habe ergeben, dass nur in einem Drittel der Unikliniken eine elektronische Arbeitszeiterfassung vorhanden ist. Bei einem weiteren Drittel werde noch händisch erfasst, ein weiteres Drittel zeichne die Arbeitszeit überhaupt nicht nach.

Kartellrecht und bessere Aufsicht Und auch im Bereich der Aufsicht sieht das Gremium Verbesserungspotenzial. Einerseits durch die Definition von Krankenkassen als Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne. Andererseits durch Standardisierungen bei den Aufsichtsbehörden von Bund und Ländern. Die Analyse hinsichtlich der Aufsicht stimme, so der VDEKSprecher. Gleiche Wettbewerbschancen ließen sich nur durch einheitliche Prüfkriterien erreichen. Hier sei der Gesetzgeber gefordert, für eine gleichgerichtete Aufsichtspraxis zu sorgen.

Untaugliche Rezepte

MELDUNGEN

Startschuss gefallen (BS/jf) Das Rennen um 5,9 Prozent mehr Gehalt für rund 20.000 Ärzte an den etwa 20 Universitätskliniken hat begonnen. Der Marburger Bund (MB) ist in die Tarifverhandlungen mit der Gemeinschaft deutscher Länder (TdL) eingetreten. Neben der linearen Erhöhung fordert die Ärztegewerkschaft, den Überstunden- und den Nachtzuschlag jeweils um fünf Prozent anzuheben. Derzeit gibt

Versorgungsalltag weitgehend bestimmen. Fragen und Anforderungen wie ... • Wie waren die letzten Blutdruckwerte, HbA1c-Werte, die Sauerstoffsättigung etc. des Patienten? • Ich brauche einen schnellen Überblick über die Diagnosen und Prozeduren der letzten drei Jahre! • Zeige mir alle Befunde zu folgenden Diagnosen des Patienten, in chronologischer Reihenfolge! ... lassen sich standardkonform und anwenderorientiert umsetzen und lösen das Nutzenversprechen von E-HealthInfrastrukturen ein. Ziel aller Lösungen auf Basis

von HealthShare ist die Verbesserung der Versorgung von Bürgern und Patienten durch die Bereitstellung qualifizierter und strukturierter Informationen. In Deutschland nutzen Kliniken die Plattform, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern und für künftige Serviceangebote gerüstet zu sein. Die digitale Vernetzung im Gesundheitswesen in Deutschland entwickelt sich inzwischen dynamisch weiter. Das Team von InterSystems steht bereit, den digitalen Wandel mit praxiserprobten Lösungen zu unterstützen. www.intersystems.de/ healthshare

1.666 Stellen Lehrerreserve (BS/jf) Seitens baden-württembergischer Schulen gibt es derzeit nur eine Überlastungs-

anzeige im Regierungsbezirk Freiburg. Dies geht aus einer Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport als Reaktion auf einen Antrag zum Thema Überlastungsanzeigen hervor. “Der betroffenen Schule wurde Unterstützung durch das zuständige Staatliche Schulamt, insbesondere durch Fortbildungen und Beratung der Lehrkräfte, angeboten”, führt das Ministerium weiter aus. Um Unterrichtsausfälle zu vermeiden, hat das Land eine fest installierte Lehrerreserve. Diese wurde zuletzt 2012 um 400 Stellen aufgestockt, auf nunmehr 1.666 Stellen für alle Schularten. Mit diesen fest eingestellten Lehrern könne flexibel und

rasch reagiert werden. Sie würden zu Beginn eines Schuljahres auf die Schulen verteilt. Zudem stehen im Etat des Ministeriums Mittel für befristete Verträge zur Verfügung, mit denen speziell Vertretungskräfte finanziert werden können. Aktuell 68,4 Mio. Euro. Über deren Verwendung entscheide die Schulverwaltung auf Antrag der Schule. Darüber hinaus unternimmt das Land zahlreiche Maßnahmen, um die Gesundheit der Lehrkräfte im Rahmen eines Gesundheitsmanagements zu erhalten. Dazu zählt auch eine Befragung zu psychosozialen Faktoren bei der Arbeit zum Zweck der Gefährdungsbeurteilung. Diese wird bereits zum zweiten Mal durchgeführt.


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / April 2017

Haarige Eichenprozessionsspinner-Plage

KNAPP Grüne Oasen, fränkische Mundart

Altmärkische Kommunen fühlen sich allein gelassen / Brandenburg gut aufgestellt (BS/Julian Einhaus) Alle Jahre wieder – das gilt auch für den Eichenprozessionsspinner (EPS). Zumindest in einigen Regionen Deutschlands. Städte und Gemeinden aus der Altmark in Sachsen-Anhalt wollen der Raupenart mit ihren unzähligen Brennhaaren stärker zu Leibe rücken, fühlen sich aber vom Landesumweltministerium im Stich gelassen. In ihrer Not drohen sie damit, den Elbradweg zu sperren. Und schauen neidisch nach Brandenburg. Seit Jahren macht der EPS den Behörden auch dort zu schaffen. Land und Kommunen ziehen aber weitaus stärker an einem Strang – und feiern Erfolge. “Spätestens seit vergangenem Jahr haben wir bereits einen Image-Schaden erlitten”, erklärt Rüdiger Kloth, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Seehausen in Sachsen-Anhalt. Einige Urlauber hätten wegen ihrer Hautirritationen befürchtet, mit ihrer Unterkunft sei hygienisch etwas nicht in Ordnung gewesen. “Stellen Sie sich das mal vor!”

Altmark: mehr Eichen als Menschen Grund ist der Eichenprozessionsspinner. Eine Schmetterlingsart, dessen Raupen in Nestern an Eichenbäumen leben. Im Frühjahr schlüpfen die Raupen und verlieren Brennhaare. Das kann beim Menschen zu Juckreiz, schmerzhaften Hautverletzungen und allergischen Reaktionen führen. Nun liegt Seehausen in der Altmark, einer strukturschwachen Region: Die Zahl der Eichen übertrifft in der Verbandsgemeinde bei Weitem die 10.000 Einwohner der fünf Kommunen. Umso höhere Bedeutung kommt dem naturnahen Tourismus zu: Der bekannte Elbradweg wurde in der Travelbike-Radreiseanalyse des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs jüngst zum 13. Mal zum deutschlandweit beliebtesten seiner Art gewählt. “Unsere Gemeinden können es sich aber nicht mehr leisten, Bäume außerhalb der Ortslagen auf allen öffentlichen Wegen einzeln zu behandeln, um Gesundheitsgefahren abzuwehren.” Das gelte auch für den Elbradweg, so Kloth. Denn um die Gesundheit von Bürgern und Gästen zu schützen, haben seine Kommunen in den letzten sechs Jahren insgesamt 200.000 Euro ausgegeben. Ohne wirklichen Nutzen. “Es überleben einfach zu viele

Die Brennhare der Raupen des Eichenprozessionsspinners lösen bei Berührung der Haut schmerzhafte Reizungen aus. In großer Zahl können die Tiere ganze Eichen kahl fressen. Foto: BS/Albrecht E. Arnold, pixelio.de

Exemplare und die Population erholt sich wieder.” Im Juli 2016 hatte er deshalb bereits einen “Brandbrief” an das Landesumweltministerium geschrieben. Weder die versprochene und notwendige Koordination der unterschiedlichen Maßnahmen noch eine flächendeckende Bekämpfung habe es in der Region gegeben. Kloth: “Einzelmaßnahmen bringen nichts, es muss ein übergreifender Ansatz her!” In Magdeburg sieht man zwar auch ein Problem. Umweltministerin Prof. Dr. Claudia Dalbert habe aber keine flächendeckende EPS-Bekämpfung versprochen, teilte ein Sprecherin mit. Eine breite Koordinierung sei aber über die zuständigen Forstämter erfolgt, das Landeszentrum Wald sei als zentraler Ansprechpartner installiert worden. Das Umweltressort sei ohnehin nur für Maßnahmen zuständig, die den Staatsforst beträfen. Einzelbäume im privaten und kommunalen Bereich sowie Straßenbegleitgrün lägen in der Verantwortung der jeweiligen

Grundstückseigentümer und im Landesverkehrsressort. Es handelt sich um ein kompetenzübergreifendes Problem. Das weiß auch Bürgermeister Kloth – und verweist auf das Nachbarland Brandenburg. Zwischen Oder und Havel haben Landesbehörden und Kommunen in den vergangenen Jahren konzertierte Maßnahmen durchgeführt. “Es ist ein Lernprozess”, erklärt Dr. Carsten Leßner, zuständiger Referatsleiter im Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft Brandenburg. “Wir haben frühzeitig alle betroffenen und zuständigen Akteure auf Landes- und kommunaler Ebene an einen Tisch geholt.” Es sei überaus wichtig, den Einsatz von Forst- und Ordnungsämtern, dem Straßenbetrieb, Feuerwehren, Hubschraubern und Unternehmen genau zu terminieren. Wenn die Eichen kleine Blattöhrchen bildeten und die Raupen schlüpften, sei die Zeit gekommen, so Leßner. Das könne aber auf großer Fläche, nach Wetterlage und von Norden nach

Süden variieren. “Ein Mitarbeiter ist dann bei uns ausschließlich für die richtige Koordination des Hubschraubers zuständig.” Keine triviale Aufgabe.

Brandenburg unterstützt Kommunen Zwar greift auch Brandenburg seinen Städten, Gemeinden und Landkreisen nicht finanziell unter die Arme, betont Leßner. Das Land hat aber etwa Hubschrauber-Dienstleistungen europaweit ausgeschrieben, woran sich mehrere Landkreise und Gemeinden nach Bedarf beteiligen konnten. Vielerorts sind die Ressourcen gerade für aufwendige und ungewöhnliche Vergaben kaum vorhanden. “Auch einige Kommunen wie die Gemeinde Schwielowsee bei Potsdam bieten nun ihren Bürgern an, Maßnahmen gegen den EPS gebündelt einzukaufen und später per Kostenbescheid mit ihnen abzurechnen.” Dadurch sinken die Kosten pro Einsatz und Grundstück erheblich. Mit viel Abstimmung und unzähligen Maßnahmen gelang

es, die EPS-Plage in Brandenburg einzudämmen. Der Befall schrumpfte von fast 6.000 Hektar 2012 auf gut 1.000 Hektar im letzten Jahr. Trotzdem gelingt es auch in Brandenburg bislang nicht, dem EPS gänzlich den Garaus zu machen. Das hänge mit Abstandsregeln des Umweltschutzes zusammen, erklärt Leßner. So sind Maßnahmen rund um Gewässer und in direkter Umgebung von Wohnbereichen untersagt. “An diesen Stellen ist die Population geschützt und kann sich von dort erneut ausbreiten.” Ziel der Maßnahmen von Gesundheits- wie Pflanzenschutz ist es eben nicht, den EPS zu vernichten, sondern die Gefahren für den Menschen und Wälder weitestgehend zu reduzieren. Für betroffene Kommunen wie Seehausen ist das wiederkehrende Problem unbefriedigend. “Aus unserer Sicht ist es nicht mehr verständlich, dass viele Fördermittel für die Wiederansiedlung des Wolfes und die Verwilderung von Waldgebieten ausgegeben werden”, sagt Kloth, “die Bedürfnisse der Menschen vor Ort – und in diesem Fall sogar die Gesundheit! – jedoch vergessen werden.” Eine schnelle Lösung scheint nicht in Sicht. Vielleicht ist in Sachsen-Anhalt noch zu wenig Druck im System? In Brandenburg nahm der Kampf gegen des EPS erst richtig an Fahrt auf, nachdem Bürger mehrere Tausend Unterschriften bei der Potsdamer Staatskanzlei abgeliefert hatten. Die Landesregierung nahm daraufhin von 2013 bis 2016 mehr als acht Millionen Euro in die Hand. Viel hilft eben viel. Selbst wenn die haarigen Raupen auch in Brandenburg wiederkehren werden.

(BS/ein) Der Nürnberger Servicebetrieb Öffentlicher Raum richtet seit Ende März grüne Oasen aus Ruhebänken und mobilen Bäumen im Stadtgebiet ein. Die Provisorien zeigen, an welchen Stellen künftig zusätzliches Stadtgrün entstehen soll. In den gelben Töpfen sind Baumarten wie Kupfer-Felsenbirne, Tokyo-Kirsche und Blasenbaum gepflanzt. Diese mehrstämmigen Gehölze seien resistent gegenüber dem Stadtklima und sollen besondere Akzente zu jeder Jahreszeit setzen, teilte die Stadtverwaltung mit. In die Bänken werden zudem Sprüche in fränkischer Mundart eingefräst, die Ortsverbundenheit und kulturelle Identität widerspiegeln. QR-Codes informieren Interessierte zudem über die Hintergründe und die Eckpunkte des “Masterplans Freiraum”. Ziel des 25-Mio.-Euro-Programms ist es, neue Grün- und Freiflächen zu schaffen und bestehende Anlagen zu sanieren.

Maerker-Nutzerkreis ausgeweitet (BS/mfe) Vier weitere brandenburgische Kommunen beteiligen sich künftig an dem Bürgerportal “Maerker”. Die Potsdamer Innenstaatssekretärin Katrin Lange schaltete die Städte Angermünde und Fürstenwalde/ Spree sowie die Ämter Odervorland aus dem Landkreis OderSpree und Joachimsthal im Landkreis Barnim online. Damit wirken in der Mark nun 97 Ämter, amtsfreie Gemeinden und Städte an dem kostenlosen Portal mit. Mithilfe der Anwendung können Bürger ihre gemeindlichen Verantwortlichen zum Beispiel über Schlaglöcher und wilde Mülldeponien informieren. Die teilnehmenden Kommunen haben sich verpflichtet, innerhalb von drei Werktagen über das weitere Vorgehen zu informieren.

Fotos: Stadt Leipzig; BEM; BS/SMWA

Neue Mobilität

Strategien für Kommunen und öffentliche Fuhrparks 4. Mai 2017, Hotel Westin, Leipzig

Top-Referenten:

Eine Veranstaltung des

Uwe Albrecht, Bürgermeister, Beigeordneter für Wirtschaft und Arbeit, Stadt Leipzig

Kurt Sigl, Vorsitzender des Bundesverbandes eMobilität

Dr. Hartmut Mangold, Staatssekretär, Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr

www.kommunale-mobilitaet.de


Kommunalpolitik

Seite 14

S

eit Februar lässt Mönchengladbach seine Ratssitzungen aufzeichnen. Bis zum Sommer werden vier aufeinanderfolgende Termine probeweise von einer Kamera begleitet. Ratsmitglieder und Verwaltungsangehörige mussten dafür ihr Einverständnis geben, können dies aber jederzeit widerrufen, erklärt Stadtsprecher Dirk Rütten. Für “spontane Willensbekundungen” haben die Räte in M‘Gladbach aber die Möglichkeit, eine blaue Karte hochzuheben – das Signal für einen temporären Aufnahmestopp. “Zuschauer werden überhaupt nicht gezeigt”, so Rütten. Auch müssen die Aufnahmen nach der Testphase Ende Juli gelöscht werden. Die Opposition kritisiert das Vorgehen.

M‘Gladbach zeigt die Blaue Karte Die Übertragung habe erst spät zur Verfügung gestanden und sei von 24 auf neun Tagesordnungspunkte gekürzt worden, erklären einhellig die Ratsherren Reiner Gutowski (FDP) und Torben Schultz (Linke). Von 100 Minuten blieben 46 Minuten übrig, selbst Oberbürgermeister Wilhelm Reiners (CDU) habe sich rausschneiden lassen. “Sie haben keinen Grund, ihre Beiträge zu verstecken, also denken sie an die Menschen in unserer Stadt und erteilen für die nächste Ratssitzung auch die Erlaubnis zum Speichern ihrer Beiträge!”, appellieren die Politiker. Die Wirkung des RatsTVs bleibe unter ihren Möglichkeiten, den Bürgern Entscheidungsprozesse transparent zu machen. Mehr Demokratie und Transparenz, dafür weniger Persönlichkeitsrechte? Diese Frage hat so manche Kommune schon in Bedrängnis gebracht. Zum Beispiel Seelbach.

“Seelbach-TV”: Pionier mit Unterbrechung Die badische Kleinstadt übertrug bereits seit 2004 ihre Gemeinderatsitzungen live, als die

Behörden Spiegel: Worin liegt der Mehrwert Ihrer Arbeit für die Öffentlichkeit? Seidel: Wir wirken am demokratischen Willensbildungsprozess mit. Die Öffentlichkeit hat bei uns die Möglichkeit, über die digitale Welt an den jährlich rund 14 Bürgerschaftssitzungen der Hansestadt Rostock stärker teilzuhaben. Bürger, Politiker und Journalisten können jederzeit frühere Sitzungen aufrufen und sich darüber informieren, was und wie genau gesagt wurde. Das hat es zuvor nicht gegeben. Behörden Spiegel: strahlen Sie aus?

Wann

Seidel: Die Bürgerschaftssitzungen werden in voller Länge jeweils in der der Sitzung folgenden Nacht von ein bis fünf Uhr morgens ausgestrahlt. Es ist gesetzlich so vorgegeben, dass wir erst danach eine dann auch nutzerfreundliche Version auf die Homepage unseres Senders sowie in die Mediathek der Medienanstalt MV einstellen dürfen. Behörden Spiegel: Welche Kosten entstehen der Stadt Rostock dafür? Seidel: Wir erhalten von der Hansestadt eine geringe Aufwandsentschädigung von durchschnittlich 300 Euro für alle Sitzungen. Behörden Spiegel: Inwiefern werden die Audio-Aufnahmen dabei von Ihnen bearbeitet? Seidel: Im Studio schneiden

Behörden Spiegel / April 2017

Wenn der Stadtrat liveschaltet Über Persönlichkeitsrechte, Kamerawinkel, Kosten und Klicks (BS/Julian Einhaus) Warum laufen Ratssitzungen eigentlich nicht regelmäßig im Fernsehen? Kommunale Belange scheinen kaum für einen größeren Umkreis interessant. Aber gerade in den Stadtparlamenten fallen wichtige Entscheidungen: Wie hoch sind die Anlieger-Beiträge für die Straßensanierung? Wann kommt endlich die neue Kita? Nimmt die Gemeinde Flüchtlinge auf? Einige größere Städte nutzen Live-Stream, Audio-Podcast und YouTube-Kanäle, um Ratssitzungen einer größeren Zuhörerschaft zugänglich zu machen. Vielfalt und Regelungen sind groß – das zeigt eine kleine Tour durch Kommunen, die Erfahrungen mit der Übertragung und Aufzeichnung von Ratssitzungen gemacht haben. Aufnahmen 2011 gestoppt wurden. Der Landesdatenschutzbeauftragte hatte Auflagen verordnet, die den Machern des Projekts zu radikal erschienen. Die Behörde nahm Bezug auf ein Urteil von 1990, in dem das Bundesverwaltungsgericht das Recht eines Gemeinderats auf freie Rede empfindlich berührt sah, selbst wenn ein Journalist Tonspuren aufnimmt. Gleiches müsse für Video-Aufnahmen gelten. Zudem könnten Einverständniserklärungen, etwa von geladenen Fachleuten, unter Druck zustande kommen. Die Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl, die das Medienprojekt trug, zog sich zurück. Mittlerweile hat man sich geeinigt: “Seelbach-TV” überträgt die Aufnahmen mit geringer zeitlicher Verzögerung im Netz, das ermöglicht gezielte Einschnitte. In Braunschweig geht man ein bisschen anders damit um. “Die Live-Übertragung wird unterbrochen, wenn ein Ratsmitglied dies bei seinem Redebeitrag möchte”, erklärt Stadtsprecher Rainer Keunecke. Von diesem Recht wurde allerdings noch kein Gebrauch gemacht. Das mag in der niedersächsischen Stadt auch an entsprechenden Vorkehrungen liegen: Der Ratssaal wird nicht aus der Totalen eingeblendet, sondern nur der aktuelle Redner. Verwaltungsangehörige können sich nach Wunsch so hinsetzen, dass sie nicht im Bild erscheinen. Zudem stehen den Bürgern nach den Live-Schaltungen im Netz ausschließlich Audio-Aufnahmen zur Verfügung. Alles in al-

Eine Umfrage des Behörden Spiegel unter den 20 deutschen Großstädten zwischen 200.000 und 300.000 Einwohnern ergab, dass mehr als die Hälfte von ihnen ihre Ratssitzungen übertragen. Während Ratssäle oft nur ein paar Dutzend Zuschauer fassen, bieten verschiedene mediale Kanäle nahezu unbegrenzte Teilnehmerzahlen. Aber auch viele Dinge zu beachten: Räte sind keine Parlamente, sondern Teil der Exekutive. Es gilt ein besonderer Persönlichkeitsschutz. Foto: BS/Michael Panse, CC BY-ND 2.0, flickr.com

lem lässt sich die Löwenstadt das pro Ratssitzung 1.600 Euro kosten. Auch in M‘Gladbach, wo man noch in der Pilotphase steckt, spricht man von Kosten zwischen 1.200 und 1.600 Euro je Aufnahme. Es geht aber auch günstiger. Magdeburg stellt jede Aufzeichnung auf dem eigenen YouTube-Kanal zur Verfügung. Dafür musste die Landeshauptstadt zwar einmalig 10.000 Euro für Technik aufwenden. Für einzelne Aufnahmen und Veröffentlichungen entstünden aber keine zusätzlichen Kosten. Ein geschulter städtischer Mitarbeiter übernimmt die Aufgabe. Selber machen oder einkaufen? Diese Frage steht bundesweit im Raum. In Halle an der Saale hat man sich für eine dritte Variante ent-

schieden: Die Stadt überlässt die Übertragung einem lokalen TV-Sender, kostenlos und zeitversetzt. Auch für Live-Schaltungen müssen Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt keine Zustimmung mehr einholen. Nach der Novelle des Kommunalverfassungsgesetzes 2014 sind nicht nur Ton- und Bildaufzeichnungen von öffentlichen Sitzungen durch Presse, Rundfunk und ähnliche Medien zulässig, sondern auch eigens veranlasste Übertragungen und Aufnahmen.

Offene Kanäle für umfängliche Übertragungen Auch die Bürgerschaft in Rostock ist eine Kooperation eingegangen. Die Audio-Aufnahmen werden vom gemeinnützigen

“Internetradio Warnow” ausgestrahlt und stehen der Öffentlichkeit danach auf der Website des Senders mehrere Monate zur Verfügung (siehe Interview unten). Die Hansestadt zahlt dem Verein dafür eine Aufwandspauschale von 300 Euro pro Sitzung. Jährlich 1.700 Euro bringt die Landeshauptstadt Kiel für “anteilige Leitungskosten” auf, die beim Offenen Kanal des Landes anfallen. Die Ratsmitglieder müssen zu Beginn der Wahlperiode einmalig ihre Zustimmung für die Audio-Übertragung der Sitzungen geben. Das ist weitaus einfacher als nebenan in Lübeck. Vor jeder Bürgerschaftssitzung muss hier neuerlich abgestimmt werden, obwohl die Hansestadt ihre Bürgerschaftssitzungen nur aufzeichnet, um danach eine möglichst genaue “Niederschrift” sicherzustellen.

Im Süden wird getickert Für einen ganz anderen Ansatz hat man sich im Süden entschieden. In Augsburg erstellt der Leiter der Online-Redaktion regelmäßig einen Live-Ticker. Auch in Karlsruhe können Bürger Stadtratssitzungen auf diese Weise in Echtzeit verfolgen. “Das ist mittlerweile etabliert”, erklärt Sprecher Bernd Wnuck. Das Instrument gibt nicht den genauen Verlauf der Debatte wieder, sondern bietet eher eine Orientierungsmöglichkeit. “Für Leute, die an bestimmten Punkten interessiert sind und überlegen, ob sie hingehen oder nicht”, sagt Wnuck. Die Abstimmungsergebnisse werden später ins

Den akustischen Nachweis im Hinterkopf Per Internetradio: Rostocker Bürgerschaftssitzungen erhalten 200 bis 1.500 Klicks pro Sitzung

Netz gestellt. Laut Stadtverwaltung schwankt die Zahl je nach Themenfeld zwischen 500 und maximal 10.000 Aufrufen. “Der Mittelwert bewegt sich um 1.500 Seitenbesuche pro Sitzung.” Die Zahl macht einen Unterschied zur Zuschauermenge in den oft beengten Sitzungssälen. Ein Unterschied, dessen Aufwand für die vielen besonders kleinen Kommunen in Deutschland natürlich erst einmal sehr hoch zu sein scheint. Offenbar auch für Großstädte. Laut einer Umfrage des Behörden Spiegel unter den 20 deutschen Kommunen zwischen 200.000 und 300.000 Einwohnern überträgt nur etwa die Hälfte von ihnen Ratssitzungen. So steht das “Rats-TV” in den Räten in Kassel, Mainz, Krefeld, Freiburg, Aachen, Gelsenkirchen und Wiesbaden aktuell nicht zur Debatte.

Technische Entwicklung erweitert Möglichkeiten Die technische Entwicklung wird die Möglichkeiten allerding weiter erhöhen, nicht nur geschrumpfte Inhalte über Twitter, Facebook & Co. in der Welt zu verbreiten. Schon jetzt zeigen Kommunen, wie Offene Kanäle und YouTube auch für ausführliche Sendungen zu lokalen Belangen genutzt werden können. Während Ratssäle oft nur ein paar Dutzend Zuschauer fassen, bieten mediale Kanäle nahezu unbegrenzte Teilnehmerzahlen. In Münster prüft man deshalb gerade, wie viele Ratsmitglieder einer Übertragung zustimmen würden. Kommt eine “überwiegende Mehrheit” zustande, soll auch in der Universitätsstadt der genaue Aufwand ermittelt und dem Stadtparlament ein Konzept vorgeschlagen werden. In Krefeld lotet die IT-Abteilung schon aus, welche technischen Möglichkeiten die Stadt besitzt, selbst aktiv zu werden. Die beiden Städte in NordrheinWestfalen werden hier nicht die letzten sein.

Behörden Spiegel: Hat sich aus Ihrer Sicht auch die Arbeit der Lokal-Journalisten verändert, die über die Bürgerschaft berichten?

(BS) Burghard Seidel ist Leiter des Internetradios Warnow Rostock, einem Offenen Kanal, der seit mehreren Jahren die Sitzungen der Bürgerschaft in Rostock überträgt. Anfänglich “tingelte” der ausgebildete Rundfunkjournalist von Fraktion zu Fraktion, um die Kommunalpolitiker der Hansestadt von seiner Idee zu überzeugen. Heute hat sich das Projekt etabliert. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel erklärt er nicht nur den Mehrwert für Seidel: Es hat sich zumindest an einem Punkt etwas getan: Bürger und Journalisten, sondern auch für die Qualität der politischen Debatte. Die Fragen stellte Julian Einhaus. wir längere Pausen heraus, etwa den Gang zum Mikrofon oder Zählpausen, um für die Hörer den Spannungsbogen nicht abreißen zu lassen. Die Redebeiträge werden aber eins-zu-eins ausgestrahlt. Auf unserer Homepage gliedern wir die Hörbeiträge nach Tagesordnungspunkten, sodass die Hörer nach Interesse auch einzelne Themen anklicken können und nicht die komplette Sitzung verfolgen müssen. Behörden Spiegel: Wie viele Menschen nutzen Ihr Angebot? Seidel: Das hängt stark von den Themen, dem Sitzungsverlauf und den Rede-Duellen ab. Wie viele Hörer bei unseren Erstausstrahlungen dabei sind, wissen wir nicht. Für die danach zur Verfügung stehenden Einstellungen auf der Mediathek und unserer Radio-Webseite www. rueck-spiegel.de schwanken die Zahlen nach bisherigen Erfahrungen zwischen 200 und 1.500 Klicks. Bei den Bürgerschaftssitzungen der vergangenen zwölf Monate liegen wir durchschnittlich bei jeweils 586 Klicks. Das ist ein gehöriger Unterschied zum Fassungsvermögen des Bürgerschaftssaals, in den maximal 60 Zuschauer passen!

Burghard Seidel macht Radio und überträgt die Rostocker Bürgerschaftsitzungen. Foto: BS/Internetradio Warnow, Rostock

Behörden Spiegel: Hat sich seit Beginn Ihrer Übertragungen der Umgang der Ratsmitglieder untereinander verändert? Seidel: Ich war schon sehr erstaunt, welcher Umgangston während der ersten Sitzungen herrschte: Bei vielen Debatten war es längst nicht die hohe Schule der Redekunst, sondern eher eine flache Kunst des emotionalen Austauschs. Wenn ich diese Anfangserfahrung mit heutigen Debatten vergleiche, so hat sich das Niveau aus meiner Sicht äußerst positiv entwickelt. Behörden Spiegel: Die rhetorischen Fähigkeiten haben sich verbessert? Seidel: Vor allem ist der Ton untereinander und zwischen

den Fraktionen ein anderer geworden. Wenn einzelne Bürgerschaftsmitglieder das Wort ergreifen – unabhängig vom rhetorischen Talent – ist die An- und Zurede zueinander nicht mehr feindlich, sondern viel sachlicher. Es geht mehr um das Thema als um die persönliche Ebene. Aus meiner Sicht ist mehr Sachverstand, Vernunft und Kooperationswillen eingekehrt. Das mag aber zusätzlich mit der Verjüngung in einigen Fraktionen nach der letzten Kommunalwahl zusammenhängen. Behörden Spiegel: Eine Professionalisierung also? Seidel: Ich denke, im Unterbewusstsein hat sich etwas verändert: Wenn alle kommunalpolitischen Beiträge plötzlich

nachvollziehbar und hörbar sind, tritt beim Einzelnen größere Vorsicht ein. Gleichzeitig ziehen die Bürgerschaftsmitglieder eigenen Nutzen daraus. Wenn sie sachlich formulieren, hört man ihnen anders zu, nimmt man ihre Argumentation ernster. Darüber hinaus können die Kommunalpolitiker mithilfe unserer Aufzeichnungen akustisch nachweisen, was sie wortwörtlich wann gesagt haben. Bei falscher Wiedergabe ihrer Positionen und Unterstellungen müssen sie nicht mehr gegen etwas ankämpfen, ohne einen wirklichen Gegenbeweis liefern zu können. Behörden Spiegel: Und wie gehen die Bürgerschaftsmitglieder mit Ihnen als “Fremdkörper” in ihren Reihen um? Seidel: Als Rundfunkjournalist bin ich beim Bürgerschaftspräsidenten gelistet und die Übertragungen sind genehmigt. Nach fünf Jahren habe ich mir meines Erachtens zusätzlich eine Vertrauensposition erarbeitet. So ist es möglich, im Voraus der Sitzungen Nachfragen zu Tagesordnungspunkten und Informationsmaterial zu stellen, auf die sich die Bürgerschaftsmitglieder berufen. Das erleichtert es mir, die Sitzungen für unsere Hörer verständlicher aufzuarbeiten und darzustellen.

Die wörtlichen Zitate sind aus meiner Sicht genauer geworden. Damit will ich nicht sagen, dass Kollegen erst unsere nächtliche Übertragung abwarten, um Zitate zu nehmen – die Zeitungen liegen ja schon am nächsten Tag auf dem Tisch. Ich nehme jedoch wahr, dass viele Journalistenkollegen nun selbst kleine Aufnahmegeräte nutzen, um Töne mitzuschneiden um nachhören zu können. Denn anders als früher können wörtliche Zitate jetzt nachgeprüft werden. Behörden Spiegel: Was planen Sie in Zukunft? Seidel: Das Angebot soll so aufrechterhalten bleiben. Aktuell erarbeite ich darüber hinaus einen Förderantrag, der bei der Medienanstalt MecklenburgVorpommern um Mittel für die Ausbildung von Medienkompetenz in der Bevölkerung werben soll (Medienkompetenz und Kommunalpolitik). Die Idee: Ich möchte interessierte Bürger anlernen und in die Lage versetzen, ebenfalls rundfunktechnische Beiträge einstellen zu können. Ziel ist es, ehrenamtlich und aus der Bevölkerung heraus für die Bevölkerung über kommunalpolitische Belange zu berichten und in den Offenen Kanal der Medienanstalt MecklenburgVorpommern einzustellen.


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / April 2017

Marshallplan mit Afrika

A

uch im tansanischen Mwanza sind Fachleute aus deutschen Kommunen im Einsatz und beraten ihre Kollegen beim Aufbau von Photovoltaikanlagen. Und in Daressalam, Tansania, wird mit Unterstützung aus Hamburg eine Kompostierungsanlage für Marktabfälle gebaut. Alle drei Projekte sind durch “Klimapartnerschaften” zwischen deutschen und afrikanischen Kommunen entstanden, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fördert. Die Idee dahinter: Viele globale Probleme können nur lokal gelöst werden – und deutsche Kommunen verfügen über genau das Know-how, das in unseren Partnerländern gebraucht wird. Dieses Wissen müssen wir nutzen – nicht nur im Bereich Klima und Energie, sondern auch bei Themen wie Rechtsstaatlichkeit, Stadtentwicklung und Mobilität, Trinkwasserversorgung und Abfallmanagement oder bei der Integration von Flüchtlingen.

Neue Partnerschaft für Entwicklung und Frieden Wir fördern daher den Aufund Ausbau von Know-howPartnerschaften, in denen sich Kommunen in Deutschland und in Entwicklungsländern auf Au-

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Know-how von Kommunen für Entwicklung nutzen (BS/Dr. Gerd Müller) Nördlich der südafrikanischen Stadt Durban wurde in den vergangenen Jahren der Natur ein großes Feuchtgebiet zurückgegeben. Es kann künftig wieder Regenwasser zurückhalten und hilft, Überschwemmungen zu vermeiden. Vor Ort im Einsatz: kommunale Experten aus Bremen. Gemeinsam mit ihren Kollegen aus der Stadtverwaltung Durbans arbeiten sie daran, die südafrikanische Großstadt gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen. genhöhe begegnen, voneinander lernen und mit gemeinsamen Projekten Verantwortung für die Welt von morgen übernehmen. Kommunen sind wichtige Kräfte bei der Umsetzung des “Marshallplans mit Afrika”, den das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zur Diskussion stellt. Ziel ist eine neue Dimension der Zusammenarbeit mit unserem Nachbarkontinent: Eine Partnerschaft für Entwicklung, Frieden und Zukunft.

“Reformchampions” gezielt unterstützen Die rasante Urbanisierung in Afrika hat große Potenziale, die wir für die zukünftige Zusammenarbeit nutzen können. Dazu werden wir bestehende kommunale Partnerschaften ausbauen und Kommunen darin unterstützen, neue zu initiieren. Dabei werden wir eng mit kommunalen Spitzenverbänden und den Bundesländern zusam-

Unterstützung für Kommunen Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bietet Ihnen: • Finanzielle Förderung Wir bieten Ihnen unkomplizierte Möglichkeiten, Ihr entwicklungspolitisches Engagement finanziell zu unterstützen. • Personelle Unterstützung » Erfahrungslernen für junge Menschen in Ihrer Partnerkommune, sowie Kurzzeiteinsätze für Fach- und Führungskräfte im Ruhestand, » längere Einsätze von Fachkräften in Ihrer Partnerkommune, » Kürzere Aufenthalte von Fachleuten aus Entwicklungsländern in Ihrer Kommune. • Beratung Wir erarbeiten gemeinsam mit Ihnen Möglichkeiten, wie sich Ihre Kommune in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren kann. • Vernetzung mit Gleichgesinnten und Partnern Wir fördern Ihren Erfahrungsaustausch untereinander, bilden Netzwerke und bieten Ihnen interessante Veranstaltungen und Fortbildungen an – in Deutschland und international. Kontakt: Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine Mail, wir beraten Sie gerne: ENGAGEMENT GLOBAL gGmbH SKEW – Servicestelle Kommunen in der Einen Welt Telefon: 0228 / 20 717 670 E-Mail: anfrage@service-eine-welt.de www.service-eine-welt.de

und Togo, Ruanda und Namibia. Der Maghreb gehört zu den Regionen mit den am schnellsten wachsenden Städten weltweit. Bis 2050 rechnen die Vereinten NaFoto: BS/BMZ tionen mit einem Zuwachs von circa 100 Millionen Menschen in den Städten rund um das südliche und östliche Mittelmeer. Traditionell zentralstaatliche Strukturen haben dazu geführt, dass Kommunen im Maghreb wenig Kompetenzen und Kapazitäten zur Steuerung ihrer Entwicklung und Daseinsvorsorge haben. Seit dem Arabischen Frühling verlangen Bürgerin-

Dr. Gerd Müller ist seit Dezember 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Seit 1994 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages für seinen Wahlkreis Kempten, Lindau und Oberallgäu.

menarbeiten, die Partnerschaften mit afrikanischen Ländern unterhalten. Im Rahmen der Umsetzung des Marshallplans werden wir dieses Potenzial nutzen und mit regionalen Schwerpunkten innovative Akzente setzen. Wir wollen “Reformchampions” gezielt unterstützen, z. B. Marokko und Tunesien, Burkina Faso

nen und Bürger zunehmend Qualität und Effizienz bei den kommunalen Dienstleistungen, sowie Bürgernähe, Transparenz und Mitwirkungsmöglichkeiten in der Kommunalpolitik. Eine Mammutaufgabe für die Kommunen in Tunesien. Vor diesem Hintergrund wollen wir sowohl bestehende Partnerschaften zu Know-how-Partnerschaften ausbauen, aber auch neue Partnerschaften initiieren, um so den Wissens- und Erfahrungsaustausch zu Abfallwirtschaft, Energie und Klima, Mobilität, Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung zu ermöglichen.

Gestalten Sie mit! Mehr als 500 Kommunen sind in unseren Programmen bereits aktiv. Mein Ziel ist es, viele wei-

tere Städte und Gemeinden für Partnerschaften mit einer Kommune in einem Entwicklungsland zu gewinnen. Wir leisten Anschubfinanzierungen für solche Projekte und begleiten sie inhaltlich. Direkte und passgenaue Beratung gibt es online auf www.skew.engagement-global. de oder telefonisch über die Hotline 0228 /20717 670. Dafür haben wir unsere Mittel für die Zusammenarbeit mit Kommunen deutlich aufgestockt: von fünf Millionen Euro im Jahr 2014 auf 15 Millionen Euro 2017. Denn die Kommune ist der Ort, an dem wir Zukunft gestalten!

Fördern Sie Nachhaltigkeit! Übrigens: Veränderungen können Sie auch im Rahmen Ihrer täglichen Arbeit anstoßen, zum Beispiel durch die Beachtung von Umwelt- und Sozialstandards bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Unser OnlineTool unter www.kompass-nach haltigkeit.de hilft Ihnen dabei: Vom Papier bis zum Pflasterstein, vom Kaffee bis zum Computer informiert das Portal über Nachhaltigkeitskriterien und Gütezeichen.


Kommunalpolitik / Demografie

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Behörden Spiegel / April 2017

Sorgende Gemeinschaften

Wir gestalten unsere Stadt!

Strategien gegen wegbrechende soziale Infrastrukturen

Inklusion vor Ort erlebbar machen / 5. Mai ist Europäischer Protesttag

(BS/ckö) Wie können Kommunen weiter gestärkt werden, um bessere Voraussetzungen für selbständiges Leben im Alter zu schaffen? Das diskutierten Dr. Matthias von Schwanenflügel, Abteilungsleiter Demografischer Wandel im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Christian Kipper, Geschäftsführer der Deutschen Fernsehlotterie und der Stiftung Deutsches Hilfswerk, sowie Roland Schäfer, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, am Rande des Demografiegipfels der Bundesregierung.

(BS/Oyindamola Alashe*) Der 5. Mai ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Die Aktion Mensch bündelt die zahlreichen Aktionen von Organisationen der Behindertenhilfe und -selbsthilfe, die zu diesem Tag bundesweit stattfinden. Das Ziel: Inklusion soll vor Ort erlebbar werden.

JungeMenschenziehenindiegrößeren Städte, um dort zu arbeiten oder zu studieren. Und selbst die ältere Generation sucht verstärkt die Nähe zur Stadt. Denn eine zunehmend wegbrechende soziale Infrastruktur, Ärztemangel und Mangel an Pflegepersonal sind schon heute die Folge dieser Entwicklung und verstärken sie gleichzeitig noch. “Die Städte und Gemeinden sollten sich gemeinsam mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement vor Ort, den Vereinen, Verbänden, Kirchen als “sorgende Gemeinschaften” intensiv um die Belange älterer Menschen mit oder ohne Pflegebedarf kümmern –, empfiehlt Roland Schäfer, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und Bürgermeister der Stadt Bergkamen. Seit vergangenem Jahr unterstützt das Projekt Demografiewerkstatt Kommunen (DWK) ausgewählte

Modell-Kommunen dabei, “demografiefest” zu werden. Das Projekt wird vom BMFSFJ getragen und von der Deutschen Fernsehlotterie gefördert.

Demografiewerkstatt Kommunen Im Fokus stehen dabei acht Kommunen, die mit ganz unterschiedlichen Auswirkungen des demografischen Wandels konfrontiert sind: Adorf im Vogtland kämpft beispielsweise mit dem Risiko einer unzureichenden Ärzteversorgung, Grabow in Mecklenburg-Vorpommern arbeitet mit Hochdruck daran, ein attraktiver Wohnort für Pendler und Familien zu werden, und in Riesa drohen fehlende Bauplätze die Ansiedlung junger Familien zu be- oder gar zu verhindern. “Der demografische Wandel findet vor allem in den Kommunen statt. Daher unterstützen wir mit

der Demografiewerkstatt dort, wo es am ehesten ankommt – direkt vor Ort in den Städten, Kreisen und Gemeinden”, erklärt Dr. Matthias von Schwanenflügel. “Aufgabe der Fernsehlotterie ist es, das solidarische Miteinander im Land zu fördern, erläuterte Christian Kipper. Dafür gab die Soziallotterie 2016 90 Millionen Euro in insgesamt 600 Projekten aus. “Die Förderung von Projekten aus dem Bereich Quartiersmanagement ist uns schon seit Jahren ein wichtiges Anliegen”, so Kippers. Hier flossen 2016 rund sechs Millionen Euro in 53 Projekte. Weitere Informationen: Am 1. und 2. Juni findet in Berlin der 1. Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen des Behörden Spiegel statt. Weitere Informationen gibt es unter www.kongresssoziale-infrastrukturen.de .

Grüne Lebensphasen-Politik

Jeder kann etwas bewegen

Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen legt Demografiekonzept vor (BS/Carsten Köppl) “Mit unserem neuen Konzept wollten wir weg von einer regionalen Betrachtung und mehr den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellen”, erläuterte Doris Wagner, Sprecherin für Demografiepolitik, Bündnis 90/Die Grünen. Es ist die bislang einzige Bundestagsfraktion, die zum demografischen Wandel ein dezidiertes Konzept erarbeitet hat. Die neue Strategie reicht von einer Absenkung des Wahlalters bis zur Weiterentwicklung der Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung. Wie schon in den Strategien zuvor, fordert das neue Demografiepapier der Grünen gleich zu Beginn einen Demografiebeauftragten im Bundeskanzleramt. “Die Bundesregierung beweist, dass die ressortübergreifende Steuerung der Demografiestrategie der Bundesregierung aus dem Bundesinnenministerium heraus nicht gelingt”, heißt es dazu. Weiter gliedert sich die Grünen-Demografiestrategie in vier Lebensphasen. Im Bereich “Gut aufwachsen – Kinder und Jugendliche” geht es hauptsächlich um eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, eine Verankerung der Rechte von Kindern im Grundgesetz, den stärkeren Ausbau der Ganztagsschulen mit jährlich zwei Milliarden Euro und eine Ausbildungs-

platzgarantie für jeden jungen Menschen nach der Schule. Die “Generation Mitte – arbeiten und leben im demografischen Wandel” soll vor allem mit “flexiblen Vollzeitstellen” gestärkt werden. In einem Korridor von 30 bis 40 Stunden soll die Arbeitszeit bedarfsgerecht angepasst werden können. Der bestehende Rechtsanspruch auf Teilzeit soll zudem um ein Rückkehrrecht auf den früheren Stundenumfang ergänzt werden. Mit der “KinderZeitPlus” soll das bestehende Elterngeld länger und flexibler in Anspruch genommen werden können. Für die “Generation 50+” sieht die Grünen-Demografiestrategie vor, die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung umzugestalten. Sie soll Erwerbstätige bei der Weiterbil-

Seit mehr als 20 Jahren dreht sich am 5. Mai alles um die Rechte von Menschen mit Behinderung. Sie sind in vielen Lebensbereichen noch immer mit Barrieren und Unsicherheiten konfrontiert. Ein Grund: fehlende Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Umfragen zeigen, dass hierzulande nur etwa ein Drittel der Menschen ohne Behinderung häufig Kontakt zu Menschen mit Behinderung hat. Die Aktion Mensch möchte das ändern. Sie macht sich stark für eine vielfältige Gesellschaft, in der jeder gleichberechtigt leben kann. Armin v. Buttlar, Vorstand der Aktion Mensch, ist überzeugt: “Inklusion beginnt in den Köpfen und in den Herzen der Menschen. Der Schlüssel dazu liegt in persönlichen Begegnungen. Wir möchten deshalb dazu beitragen, dass Menschen mit und ohne Behinderung sich begegnen.” Das ist auch das Ziel des diesjährigen Aktionszeitraums zum 5. Mai.

dung unterstützen, noch bevor sie arbeitslos werden. Hier setzt auch die “BildungsZeitPlus” an, die mit einem Mix aus Darlehen und Zuschüssen auch einkommensschwachen Menschen Weiterbildung ermöglicht. “Für ein gutes Leben im Alter” wollen die Grünen eine Garantierente einführen, die ein Mindestniveau in der Rente gewährleistet, und mittelfristig die Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung umbauen, in die auch Selbstständige, Abgeordnete und Beamte einzahlen. Die Verkehrsinfrastruktur soll barrierefrei ausgebaut und der ÖPNV in ländlichen Regionen gestärkt werden. Zudem soll das KfW-Angebot “Altersgerecht Umbauen” durch mehr Zuschüsse deutlich ausgebaut werden.

Mehr als 600 Organisationen im gesamten Bundesgebiet beteiligen sich inzwischen mit lokalen Aktionen am Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Die Bandbreite reicht von Podiumsdiskussionen über Infostände bis hin zu Demonstrationen. In diesem Jahr stehen sie alle unter dem Motto “Wir gestalten unsere Stadt”. Denn jeder kann einen Beitrag leisten, um seine Straße, sein Viertel, sein Dorf oder eben eine ganze Stadt positiv zu verändern. Die Initiative soll Begegnungen fördern und Lust machen, gemeinsam etwas zu verändern. Kleine Dinge und Gesten können dabei viel bewirken. Ein Kompliment für den Nachbarn kann der Anfang einer Freundschaft sein. Freundlichkeit und Aufmerksamkeit für andere schaffen eine gute Atmosphäre. Und wo sich Menschen besser verstehen, können sie kleine und große Aktionen oder Projekte in die Tat umsetzen. Gelegenheit dazu gibt es vom 29. April bis zum 14. Mai, dem

Vom 29. April bis 14. Mai 2017 können Menschen an verschiedenen Aktionen in ganz Deutschland teilnehmen. Die Aktion Mensch stellt Teilnehmern Aktionspakete und Informationsmaterialien zur Verfügung und bietet eine finanzielle Unterstützung für Projekte zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen. Foto: BS/Jennifer Rumbach

Aktionszeitraum zum 5. Mai 2017. Dann können Menschen an Aktionen in ganz Deutschland teilnehmen. Die Aktion Mensch bündelt das Engagement rund um den 5. Mai. Sie stellt Teilnehmern Aktionspakete sowie Informationsmaterialien zur Verfügung und bietet finanzielle Unterstützung für Projekte zum Protesttag.

Großer OnlineIdeenwettbewerb Doch wie kann in der eigenen Stadt auch über den 5. Mai hinaus konkret etwas verändert werden? Was braucht es, damit hier alle gleichberechtigt und gerne leben? Dafür sind viele gute Ideen gefragt. Neue und unkonventionelle Ansätze tragen dazu bei, Berührungsängste zwischen Menschen mit und ohne Behinderung abzubauen. Um das zu unterstützen, ruft die Aktion Mensch zu einem Online-Wettbewerb auf. Jeder kann Vorschläge einreichen, mit welchen Aktionen in seiner Stadt oder im Heimatdorf etwas verändert werden sollte. Viele Ansätze sind denkbar – denn weder in der Schule, am Arbeitsplatz, im Wohnviertel oder in der Freizeit sollen Menschen ausgeschlossen werden. Dafür braucht es die richtigen Rahmenbedingungen. Mehr Barrierefreiheit und Toleranz sorgen für ein besseres Miteinander. Ob eine gemeinsame Blumenpflanz-Aktion oder ein

Konzert, bei dem Musiker mit und ohne Behinderung auf der Bühne stehen, oder ein Einkaufsservice für Menschen, die Unterstützung bei Erledigungen brauchen – alle Ideen, die ein inklusives Zusammenleben fördern, sind gefragt. So sollen Barrieren abgebaut und der Kontakt zwischen den Menschen erleichtert werden. “Jeder ist anders, mit eigenen Stärken und Talenten. Wir möchten, dass Menschen einander begegnen und ihre Verschiedenheit als Bereicherung erkennen”, so Christina Marx, Leiterin der Aufklärung der Aktion Mensch. “Im Team kann man seine Umgebung am besten positiv verändern und aktiv etwas gestalten.” Über alle Ideen, die eingereicht werden, kann die Internetgemeinde abstimmen. Aus den zehn Vorschlägen mit den meisten Stimmen wählt die Aktion Mensch am Ende drei Gewinner aus. Ihre Ideen werden mit finanzieller Unterstützung der Bonner Organisation realisiert. Vorschläge können vom 24. April bis zum 1. Juni 2017 unter www.aktion-mensch.de/5mai online eingereicht werden. Übrigens: Mit dem Hashtag #wirgestaltenhier teilen Menschen ihre Erlebnisse rund um den Aktionstag in den Sozialen Netzwerken Facebook und Twitter. *Oyindamola Alashe ist freie Redakteurin.

Aus Demografiekongress „Best Age“ wird 1. Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen

THEMEN u.a.:

Altersgerechtes Wohnen ▪ Quartiersentwicklung ▪ (frühkindliche) Bildung ▪ Integrationskonzepte ▪ neue Wege in der Pflege ▪ familienfreundliche Kommune ▪ vernetzte Nachbarschaften ▪ medizinische Versorgung ▪ Chancen der Digitalisierung

REFERENTEN u.a.: Dr. Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Cornelia Rundt, Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Niedersachsen

Dr. Jürgen h. C. Gohde, Kurator im Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA)

Weitere Informationen unter www.kongress-soziale-infrastrukturen.de In Kooperation mit

Eine Veranstaltung des


Personelles

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Städte, Gemeinden und Landkreise

Stellenmarkt MELDUNG

MELDUNG

Hannover: von der Ohe designierter Stadtrat

Pauli gewinnt in Neu-Anspach

(BS/mfe) Der bisherige Leiter der Zentralen Steuerung bei der Region Hannover, Dr. Axel von der Ohe, soll neuer Hannoveraner Finanz- und Ordnungsstadtrat werden. Der Sozialdemokrat würde die Nachfolge von Prof. Dr. Marc Hansmann antreten, der in den Vorstand der Stadtwerke Hannover wechselt. Von der Ohe wird sich nun den Fraktionen im Rat der niedersächsischen Landeshauptstadt präsentieren. Der 39-Jährige wurde in Wolfsburg geboren und studierte von 1997 bis 2002 in Hannover Po-

litikwissenschaften und Deutsche Literaturwissenschaft. Zwischen Oktober 2005 und Juli 2008 war er Büroleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter des SPD-Bundestagsabgeordneten Rolf Hempelmann. 2007 promovierte von der Ohe zudem. Ab August 2008 arbeitete er als Persönlicher Referent des Dezernenten für Umwelt, Planung und Bauen der Region Hannover. Seit 2010 leitet von der Ohe den Fachbereich Zentrale Dienste bei der Region Hannover.

Dr. Axel von der Ohe soll neuer Ordnungsstadtrat in Hannover werden. Foto: BS/Landeshauptstadt Hannover, Christian Burkert

(BS/ein) Der Sozialdemokrat Thomas Pauli ist zum neuen Bürgermeister der hessischen Stadt Neu-Anspach gewählt worden. Der 50-Jährige setzte sich in einer Stichwahl Ende März mit 56,1 zu 43,9 Prozent der Stimmen gegen Amtsinhaber Klaus Hoffmann (CDU) durch. Die Wahlbeteiligung betrug 52,9 Prozent. Im ersten Wahlgang hatte sich der 63-jährige Hoffmann, der seit zwölf Jahren Stadtoberhaupt ist, noch gegen vier Bewerber durchgesetzt. Neu-Anspach liegt im Hochtau-

nuskreis und genießt seit Ende 2007 Stadtrecht, nachdem die Kommune eine Zahl von 15.000 Einwohnern erreicht hatte. Auch in Wald-Michelbach im Landkreis Bergstraße setzte sich mit Sascha Weber ein SPD-Kandidat durch. In der Stichwahl holte er 73,7 Prozent der Stimmen und schlug den unabhängigen Kontrahenten Matthias Schimpf deutlich. Die rund 10.600 Bürger zählende Gemeinde liegt im hessischen Odenwald ganz im Süden des Landes.

Thomas Pauli wird neues Stadtoberhaupt in Neu-Anspach. Foto: BS/Thomas Pauli


Kommunaler Haushalt

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L

aut Statistischem Bundesamt (Destatis) stiegen die Einnahmen der Kommunen im vergangenen Jahr um sieben Prozent auf 247,1 Milliarden Euro an. “So positiv diese Entwicklung ist, so klar müssen wir aber auch sagen, dass ein solcher Überschuss über längere Zeit verstetigt werden muss, um die jahrelange kommunale Finanzmisere und den gewaltigen Investitionsrückstand abarbeiten zu können. Und nicht zuletzt: Die kommunalen Sozialausgaben explodieren förmlich!”, mahnte Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB). Laut Landsberg bräuchten die Kommunen fast zehn Jahre solche Überschüsse, um den Schuldenberg für die kommunalen Kassenkredite abbauen zu können. Diese belaufen sich gegenwärtig auf rund 50 Milliarden Euro. Grund für das Einnahmeplus waren laut Destatis vor allem die Zuweisungen sowie Kostenerstattungen von Bund und Ländern gewesen. Im Vergleich zum Vorjahr wurden diese um zwölf Prozent auf 89,7 Milliarden Euro erhöht. Darunter machten die Schlüsselzuweisungen der Länder mit einem Anteil von 39 Prozent den größten Anteil aus. Das Plus bei den Steuereinnahmen um knapp sechs Prozent auf 89,8 Milliarden Euro ist den Statistikern zufolge vor allem auf den Anstieg der Gewerbesteuereinnahmen um 9,7 Prozent auf 38,3 Milliarden Euro zurückzuführen.

Ungenügende Finanzierung der Integration DemkommunalenEinnahmenplus von sieben Prozent steht ein Ausgabenanstieg um 6,1 Prozent gegenüber. Sie betrugen 2016 241,7 Milliarden Eu-

Engpässe trotz Milliardenüberschuss Kommunale Finanzen 2016 (BS/lkm) Deutschlands Kommunen wiesen 2016 einen Überschuss in Höhe von rund 5,4 Milliarden Euro aus. Laut Statistischem Bundesamt war das Plus damit 2,2 Milliarden Euro höher als im Vorjahr. Die Kommunalverbände aber geben keine Entwarnung: Trotz Überschuss bedürfe es einer grundlegenden Verbesserung der kommunalen Finanzsituation. tionen bayerischer Kommunen einerseits und nordrhein-westfälischer Kommunen andererseits bei mehr als 300 Euro. “Das Investitionsvolumen bayrischer Kommunen ist je Einwohner weit mehr als doppelt so hoch wie in Nordrhein-Westfalen”, betont Dedy: “Die Zahlen unterstreichen, wie richtig und notwendig die Förderung der Investitionen strukturschwacher Kommunen durch den Bund ist.

Großer Investitionsrückstand

Obwohl sich der Finanzierungssaldo der Kommunen verbessert habe, reiche er nicht an die Überschüsse aus den Jahren 2007 und 2008 heran, gab der Städtetag zu bedenken. Foto: BS/Tim Reckmann, Pixelio.de

ro. Besonders stark stiegen die Ausgaben für soziale Leistungen an. Sie erhöhten sich um knapp zehn Prozent auf 59,3 Milliarden Euro. Besonders stark nahmen auch die der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu. Sie erhöhten sich um 76,5 Prozent auf 5,5 Milliarden Euro. Der Deutsche Städtetag betonte, dass die Kommunen angesichts der hohen Integrationskosten auch “weiterhin auf eine auskömmliche Finanzierung ihrer Integrationsanstrengungen angewiesen” seien. “Die bislang getroffenen Finanzierungsregelungen genügen dazu nicht”, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy. Die Integration der Menschen in die Stadtgesellschaften werde noch

viele Jahre dauern und eine Vielzahl an Maßnahmen erfordern, so Dedy weiter. Leicht rückläufig waren wegen der günstigen Arbeitsmarktlage die kommunalen Ausgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sie reduzierten sich um knapp zwei Prozent auf 12,3 Milliarden Euro. Die günstigen Verhältnisse am Kreditmarkt ermöglichten zudem eine Reduktion der Zinsausgaben um 9,6 Prozent auf 3,6 Milliarden Euro. Der Städtetag betonte, dass ein genauerer Blick auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zudem zeige, dass die Unterschiede zwischen finanzstarken und strukturschwachen Städten und Regionen unverändert seien. So liege der Abstand etwa zwischen den Pro-Kopf-Investi-

Die Kommunalverbände machten darauf aufmerksam, dass der kommunale Investitionsrückstand in Höhe von 136 Milliarden Euro nach den Zahlen des KfW-Kommunalpanels 2016 zeige, dass trotz der Steigerung bei den kommunalen Investitionen noch keine Entwarnung gegeben werden könne. Zudem zeigt sich immer mehr, dass u. a. wegen der Planungsund Personalkapazitäten in den Rathäusern, aber auch in den zu beauftragenden Privatunternehmen der Abbau des Investitionsstaus ein langjähriger Prozess sein werde. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben die Kommunen im vergangenen Jahr 25,8 Milliarden Euro für Sachinvestitionen ausgegeben, das waren 4,5 Prozent mehr als im Jahr 2015. “Auch wenn diese Steigerung zu begrüßen ist, reicht eine solche Investitionstätigkeit nicht aus, um den auf der kommunalen Ebene bestehenden erheblichen Investitionsstau abbauen

“Straßenunterhalt”

Das Für und Wider der wiederkehrenden Straßenbeiträge von Dr. Ulrich Keilmann

Die Aufrechterhaltung der Straßeninfrastruktur ist eine wichtige kommunale Aufgabe. Ihr Zustand trägt zur Attraktivität des Wirtschaftsstandorts bei. Auch die Bürger sind gegenüber einem schlechten Straßenzustand sensibel. Um den Ansprüchen an das kommunale Straßennetz gerecht zu werden, sind Ausgaben zu tätigen. Diese Ausgaben werden hauptsächlich aus Steuern und Straßenbeiträgen finanziert. Straßenbeiträge können wiederkehrend oder einmalig erhoben werden. Beide Varianten haben sowohl Vor- als auch Nachteile. Wiederkehrende Straßenbeiträge werden in regelmäßigen, meist jährlichen Abständen von allen Grundstückseigentümern eines Abrechnungsgebiets erhoben. Als Abrechnungsgebiet können homogene Teile (etwa einzelne Ortsteile) der Kommune dienen. Dies führt zu einer Verteilung der Belastung aufgrund der höheren Zahl potenzieller Abgabenschuldner. Das “Wesen” des Beitrags als Geldleistung zur Möglichkeit der Inanspruchnahme wird dabei auf alle Mitglieder der Gemeinschaft verteilt und nicht nur auf diejenigen, die durch ihre Anliegerschaft unmittelbar vom Ausbau profitieren. Aufgrund der in der Regel jährlichen Erhebung fallen die wiederkehrenden Beiträge geringer aus als Einmalzahlungen bei entsprechender Ausbaumaßnahme.

Wiederkehrende Beiträge: Vor- und Nachteile Aus Sicht der Beitragsschuldner können jährlich regelmäßige Zahlungen weniger

Behörden Spiegel / April 2017

belastend wirken und somit die Akzeptanz der Beitragserhebung erhöhen. Andererseits fordern die Beitragszahler die Umsetzung von Investitionsmaßnahmen auch “direkt vor der Haustür” ein. Aus Sicht der Kommune ermöglichen regelmäßige Erhebungen ein langfristiges Straßenbaukonzept und Kontinuität beim Straßenbau mit positiver Folgewirkung für die gemeindliche Planung. Andererseits ist die Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Da in Hessen – anders als beispielsweise in Rheinland-Pfalz – nicht die Möglichkeit besteht, das gesamte Gemeindegebiet als Abrechnungsgebiet zu bestimmen, stehen die Kommunen vor der Herausforderung, rechtssichere Abrechnungsgebiete zu bilden. Hinsichtlich der Bildung von Abrechnungsgebieten hat das Bundesverfas-

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/Hessischer Rechnungshof

sungsgericht entschieden, dass “die Bildung einer einzigen Abrechnungseinheit im gesamten Gemeindegebiet durch Satzung […] dann gerechtfertigt [ist], wenn mit den Verkehrsanlagen ein Vorteil für das beitragsbelastete Grundstück verbunden ist. Besteht ein solcher Vorteil wie in Großstädten oder Gemeinden ohne zusammenhängendes Gebiet nicht, läge in der Heranziehung aller Grundstücke zur Beitragspflicht eine Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte.” Bei der Bildung der Abrech-

Vor- und Nachteile der wiederkehrenden Straßenbeiträge Aus Sicht der Kommune

Aus Sicht der Beitragsschuldner

Vorteile

Nachteile

Vorteile

Nachteile

- Langfristige Ausrichtung - Kein Hinausschieben notwendiger Baumaßnahmen - Kontinuität beim Straßenausbau - Verstetigung der Beitragshöhe

- Konfliktpotenzial in der Anfangsphase - Zusätzlicher Verwaltungsaufwand

- Hohe Einmalbelastung entfällt - Keine Zufallsbelastung bei Kauf und Verkauf von Grundstücken - Nur einfache Belastung bei mehrfach erschlossenen Grundstücken

- Abweichen vom bekannten System - Individuelle Erschließungssituation bleibt weitestgehend unberücksichtigt - Auch Beiträge an klassifizierten Straßen (Kreis-, Landesund Bundesstraßen) - Evtl. höhere Belastung größerer (Gewerbe-) Grundstücke

Grafik: BS/Dach, Quelle: eigene Berechnung

nungsgebiete ist insbesondere die erstmalige Erfassung der Flächen mit verhältnismäßig hohem Aufwand verbunden. Sämtliche im jeweiligen Abrechnungsgebiet vorhandenen beitragspflichtigen Grundstücke sind zu identifizieren und mit einem zutreffenden Nutzungsfaktor zu bestimmen. Der Nutzungsfaktor berücksichtigt das Maß der Nutzung. Mit ihm wird die Grundstücks- bzw. Geschossfläche vervielfacht. In der Regel setzt sich der Nutzungsfaktor aus der Anzahl der auf dem Grundstück zulässigen bzw. vorhandenen Vollgeschosse und der Nutzungsart (etwa reine Wohnnutzung, gewerbliche oder landwirtschaftliche Nutzung) zusammen. Darüberhinausentstehtfürdie Pflege des Datenbestands sowie die jährliche Beitragserhebung ein dauerhafter Personalbedarf. Die erstmalig ermittelten Flächen müssen jedes Jahr geprüft, ergänzt und angepasst werden. Mögliche Änderungen an den Bestandsdaten ergeben sich durch mögliche Änderungen beim Nutzungsfaktor, dem Auslaufen der Übergangsregelung einzelner Grundstücke oder dem Zugang von Flächen aufgrund von Neubauten. Die Vor- und Nachteile der wiederkehrenden Beiträge sind in nebenstehender Ansicht dargestellt. Lesen Sie mehr zum Thema “Straßenunterhalt” im Kommunalbericht 2016, Hessischer Landtag, Drucksache 19/3908 vom 2. Dezember 2016, S. 300 ff. (abrufbar unter www.rech nungshof-hessen.de).

zu können”, so Dr. Hans-Günter Henneke vom Deutschen Landkreistag. Große Investitionslücken sieht der Landkreistag vor allem im Schulbereich, bei der Straßeninfrastruktur und bei der Versorgung mit medizinischen Leistungen, insbesondere in der Fläche.

Neuordnung der Kommunalfinanzen notwendig Der Landkreistag mahnte, dass die weitere Entwicklung der Kommunalfinanzen keineswegs frei von Risiken sei. Finanzielle Risiken ergäben sich bspw. aus den Integrationsaufgaben, aber auch insgesamt aus der

Entwicklung der Sozialausgaben. Die Entwicklung der Sozialausgaben verlaufe weiterhin ungebremst und übersteige die regulären Zuwächse der kommunalen Einnahmen deutlich. “Ohne die auch jetzt wieder maßgeblichen Zuwendungen von Bund und Ländern droht eine deutliche Verschlechterung der kommunalen Finanzsituation”, zeigte sich Henneke überzeugt. Um das zu verhindern sei eine grundsätzliche Neuordnung der Kommunalfinanzen notwendig: “Weg von ständigen, punktuellen Zuwendungen, hin zu einer grundsätzlichen Lösung”, forderte Henneke. Dazu sollten die Kommunen stärker als bisher an der Umsatzsteuer beteiligt werden. Diese Steuerbeteiligung sollte stärker nach der Einwohnerzahl, nicht nach der Wirtschaftskraft verteilt werden. So würden gerade die Kommunen mit hohen Sozialausgaben von vornherein besser ausgestattet.

Neuer Förderrekord NRW.Bank-Finanzbericht 2016 (BS/lkm) Die NRW.Bank stellte kürzlich ihren aktuellen Finanzbericht vor. Im Jahr 2016 konnte die Förderbank für Nordrhein-Westfalen erneut eine sehr hohe Nachfrage nach ihren Förderinstrumenten verzeichnen. Mit einem Nettoneuzusagevolumen in Höhe von 11,2 Milliarden Euro (Vj. 9,7 Mrd. Euro) hat sie das Ergebnis des Vorjahres noch einmal um 15 Prozent übertroffen. “In NRW soll keine gute Idee an der Finanzierung scheitern”, erklärte Eckhard Forst, seit 1. November 2016 Vorsitzender des Vorstands der NRW.Bank, auf der Jahrespressekonferenz. Das volumenstärkste Förderfeld “Wohnen & Leben” stieg um 32 Prozent auf 6,8 Milliarden Euro, das Förderfeld “Entwickeln & Schützen” um 13 Prozent – auf 1,3 Milliarden Euro. Das Förderfeld “Gründen & Wachsen” gab um neun Prozent auf drei Milliarden Euro nach. “In diesem Jahr haben wir insbesondere das gefördert, was in Nordrhein-Westfalen am meisten fehlt: ausreichender sozialer Mietwohnraum und funktionierende Infrastrukturen”, so Forst. Im Förderfeld “Wohnen Leben” konnte die NRW. und ­ Bank einen starken Anstieg in allen Förderfeldern verzeichnen. “Wohnen und Leben” ist das Förderfeld, in dem wir das

größte Wachstum verzeichnen”, erklärte NRW.-BankVorstand Dietrich Suhlrie. Am stärksten legte das Förderfeld “Infrastruktur” mit einem Plus von 66 Prozent zu. Die Förderthemen “Wohnraum” und “Kommunen” verzeichneten jeweils ein Plus von 27 Prozent. Gut angenommen wurden hier auch die zinslosen Programme für Flüchtlingsunterkünfte. Mit insgesamt 372,5 Millionen Euro verzeichnete die Förderbank hier im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 55 Prozent. Obwohl in NRW sehr viel gebaut werde, gebe es immer noch zu wenig Wohnraum, gab Suhlrie zu bedenken. Ursache sei vor allem der Engpass an verfügbarem Bauland. “Hier muss viel stärker über interkommunale Kooperationen nachgedacht werden. Die Kommunen können den Bedarf nicht alleine decken”, mahnte der Volkswirt.

Den nächsten Schritt gemacht Themenkanal “Haushalt und Finanzen” (BS/gg) In den vergangenen drei Jahren wurde der Bundeskongress Haushalt und Finanzen parallel zum Verwaltungskongress “Effizienter Staat” ausgetragen. Ziel der räumlichen Zusammenlegung dieser beiden Behörden Spiegel-Veranstaltungen war es, den gegenseitigen Dialog zwischen Haushältern und Modernisierern zu intensivieren. In diesem Jahr wird nun der nächsten Schritt vollzogen: “Haushalt und Finanzen” wird, neben “Digitale Verwaltung” und “Arbeit und Personal”, einer der drei Themenkanäle sein, die im Rahmen des neu konzipierten Kongresses “Digitaler Staat” am 9. und 10. Mai in Berlin diskutiert werden. Die Interdependenzen zwischen Haushalt und Digitalisierung sind zahlreich. Die Steuerung über die Finanzen ist eine ganz wesentliche Stellschraube bei allen Digitalisierungsprojekten. Dies zeigt nicht zuletzt das Projekt IT-Konsolidierung Bund. Aber auch originäre Haushalts- und Finanzthemen werden in zahlreichen Fachforen in Berlin Gegenstand der Diskussion sein. Etwa das Thema Zinsund Schuldenmanagement, zu dem u. a. Berlins Finanzsenator Dr. Matthias Kollatz-Ahnen und der ehemalige BA-Vorstand Heinrich Alt sprechen werden. Auch die “Förderung kommunaler Investitionen in der Praxis” ist Thema, u. a. mit Kölns Stadtkämmerin Gabriele C. Klug und Axel Papendieck, Experte von der KfW-Bank.

Dass Organisationen wie etwa der Hessische Rechnungshof und die Gemeindeprüfungsanstalt NRW (gpaNRW) neben der Prüfung auch immer mehr in beratender Funktion tätig sind, wird eine Diskussion zeigen, an der u. a. Dr. Walter Wallmann, Präsident des Hessischen Rechnungshofes, und Christoph Gusovius, stellvertretender Präsident der gpaNRW, teilnehmen werden. Die Zukunft der Kommunen im Hinblick auf wichtige Weichenstellungen für das kommende Jahrzehnt wird im Rahmen einer Kämmerer-Diskussionsrunde erörtert. Weitere Informationen zum Themenkanal “Haushalt und Finanzen” sowie zur Gesamtveranstaltung “Digitaler Staat” stehen online unter www.digitalerstaat.de zur Verfügung.


Kommunaler Haushalt

Behörden Spiegel / April 2017

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Stadt blieb auf Asyl-Kosten sitzen

Beschränkung der Einlagensicherung

Gießen klagt gegen 13 Bundesländer wegen unbezahlter Rechnungen

Öffentliche Hand nicht schutzbedürftig

(BS/Julian Einhaus) Mit fast 17 Millionen Euro ist die Stadt Gießen in Vorleistung gegangen. Tausende unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) mussten in den vergangenen Jahren untergebracht und betreut werden. Vor allem strandeten solche Flüchtlinge in der Universitätsstadt, die über die Balkanroute nach Deutschland kamen. Von dort wurden sie in alle Teile der Republik weiterverteilt. Nur bezahlen wollte lange keiner. Deshalb klagt die hessische Kommune seit Dezember 2016 gegen 13 Bundesländer.

(BS/lkm) Die Deutsche Bank, Commerzbank und andere Privatbanken wollen die Garantien für Kommunen streichen. Der Bundesverband deutscher Banken (BdB) will den freiwilligen Einlagensicherungsfonds reformieren und konzentriert sich dabei auf den Schutz privater Kunden. Bund, Länder und Kommunen sollen ab dem 1. Oktober nicht mehr an dem freiwilligen Schutz partizipieren. Kommunen könnten dadurch verstärkt zu den Sparkassen und Volksbanken abwandern.

Gießen, 84.000 Einwohner, trug maßgeblich dazu bei, den Flüchtlingszustrom aus Südosten 2015 und 2016 in geordnete Bahnen zu lenken. Aufgrund seiner Erstaufnahmeeinrichtung und der Clearingstelle für allein geflüchtete Jugendliche stellte die Universitätsstadt neben Frankfurt das hessische Drehkreuz für Flüchtlinge dar. Das Jugendamt musste sich 2015 um die vorläufige Inobhutnahme von rund 1.450 unter 18-Jährigen kümmern. 2016 waren es 880 junge Asylbewerber. Nach Angaben der Stadt kostete das pro Person im Schnitt etwa 214 Euro – für Unterbringung, Verpflegung und pädagogische Betreuung. Bis Ende Juli 2016 machte die Stadt deshalb 16,7 Millionen Euro gegenüber anderen Bundesländern geltend. Am 29. August 2016 standen in mehr als 900 Fällen noch Rechnungen von 13,9 Mio. Euro offen – für diese Summe drohte die Stadt mit Klagen. Daraufhin seien bis Mitte Dezember 2016 10,5 Mio. Euro eingegangen. Seither stehen noch 3,4 Mio. Euro offen. Die seit Dezember letzten Jahres eingeklagt werden, teilte die Stadtverwaltung mit. Die Länder begründeten die schleppenden Zahlungen mit personeller Überlastung.

Bei der freiwilligen Einlagensicherung handelt es sich um Zusagen privater Banken, die über die gesetzliche Einlagensicherung hinausgehen. Per Gesetz werden in Europa 100.000 Euro je Kunde und Bank garantiert. Was darüber hinausgeht, ist im Fall einer Bankeninsolvenz verloren, kann mit der freiwilligen Einlagensicherung aufgefangen werden. Der Bankenverband begründet die Beschränkung der freiwilligen Einlagensicherung mit den steigenden Kosten durch die Regulierung: “Wir mussten das Thema angehen, denn das Umfeld der freiwilligen Einlagensicherung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gravierend verändert. Ob Bankenabgabe, Eigenkapitalerhöhungen oder gesetzliche Einlagensicherung – die Kosten für die Banken sind durch die Regulierung drastisch gestiegen. Die Niedrigzinsphase erhöht außerdem den Kostendruck. Wir wollen jetzt die Kräfte bündeln und die Finanzkraft des Einlagensicherungsfonds für jene Kunden stärken, die tatsächlich Schutz bedürfen”, erklärt Hans-Walter Peters, Präsident des Bankenverbandes.

Zahlungsrückstände nicht akzeptabel “Wir sahen uns leider gezwungen, diese für uns sehr aufwendigen Verfahren zu betreiben, erklärte Gießens Bürgermeisterin, Gerda Weigel-Greilich. Bund und Länder hätten den Städten einerseits enge Fristen gesetzt, innerhalb derer sie ihre Ansprüche geltend machen mussten. Selbst aber hätten sich die Länder nicht in der Lage gesehen, die Ansprüche fristgerecht zu erfüllen. Statt

Rund um den Gießener Stadtkirchturm herrscht positive Hoffnung, die Mittel gerichtlich zurückzuholen, die zur Unterbringung und Betreuung von minderjährigen Flüchtlingen aufgewendet werden mussten. Foto: BS/Holger Seeger

zu zahlen, hätten sie formularmäßige Verjährungsverzichtserklärungen abgegeben, so Weigel-Greilich. Diese habe der Bund aber nur wenige Monate zuvor als rechtsmissbräuchlich bezeichnet. Die Länder hätten zudem erwartet, dass sich die Stadt bei millionenhohen Zahlungsrückständen auf derartige Risiken einlasse. “Das war angesichts der Höhe der Zahlungsrückstände und der Haushaltssituation der Stadt nicht darstellbar.” Mit Ausnahme von Hamburg, Bremen und dem Saarland laufen nun Gerichtsverfahren gegen alle Bundesländer. Etwa 260.000 Euro fordert die Stadt auch vom eigenen Land, vertreten durch den Regierungsbezirk Kassel. Der Fall wird derzeit

vor dem Kasseler Verwaltungsgericht verhandelt. Das Land begleiche aber auch während des Verfahrens ausstehende Beträge. Und in einigen Fällen habe der Regierungsbezirk um die Übersendung von Rechnungen gebeten, erklärte Claudia Boje, Sprecherin der Stadtverwaltung. Zu den eigentlichen Forderungen der Stadt summieren sich zudem mittlerweile Gerichtskostenvorschüsse von insgesamt 60.000 Euro. Man rechnet in Gießen mit weiteren Kosten von etwa 10.000 Euro. “Das Gericht entscheidet mit Verfahrensabschluss darüber, wer die Gerichtskosten zu tragen hat”, so Boje. Das ist üblicherweise die im Prozess unterlegene Partei. “Wir hoffen zuversichtlich, dass das im Regelfall nicht die Stadt sein wird.”

Neue Gesetzeslage seit Ende 2015 Weitere Fälle sollte es vorerst nicht geben. Denn seit einer Gesetzesänderung im November 2015 (Asylpaket I) verbleiben UMF maximal vier Wochen in der Stadt. Diese Kosten würden ausschließlich mit dem Land Hessen bzw. dem Regierungspräsidium Kassel als Kostenschuldner abgerechnet. Die Stadt muss dadurch nicht mehr in Vorleistung für andere Bundesländer treten. Spätestens nach vier Wochen sollen die jungen Menschen bundesweit verteilt und von dem jeweiligen Jugendhilfeträger in Obhut genommen werden. Ob es bei einem erneuten Zustrom unbegleiteter Minderjähriger wieder zu hohen Rückständen kommen kann, hinge also vom Land Hessen ab. Der Stadt bleibt auch hier “positive Hoffnung”, dass sie nicht noch mal von einer solchen Kostenlawine überrollt wird.

Umsatzsteuer für jur. Personen öff. Rechts § 2b UStG – Schreiben des BMF zu Anwendungsfragen (BS/Silvia Michel) Das Bundesministerium für Finanzen (BMF) hat im Dezember 2016 ein zweites Schreiben zu Anwendungsfragen des § 2b Umsatzsteuergesetz veröffentlicht. Dieses enthält gegenüber dem auf diversen Ebenen diskutierten Entwurf aus dem September 2016 einige Ergänzungen, die von Interesse für die Praxis sein können. So werden z. B. Fragen des zukünftigen Vorsteuerabzugs bei Gebäuden oder des Widerrufs der Optionserklärung erläutert. Das neue BMF-Schreiben zu Anwendungsfragen des § 2b UStG füllt einige Rechtsbegriffe des neuen Umsatzsteuerrechts für juristische Personen öffentlichen Rechts (jPöR) mit Leben, indem es diese definiert und anhand von Beispielen konkretisiert. Insbesondere wird versucht, Umfang und Grenzen hoheitlichen Handelns zu umreißen, sei es bzgl. eigener Aufgaben oder bei öffentlichen Kooperationen. Aber auch Fragen des Vorsteuerabzugs durch die öffentliche Verwaltung oder des Widerrufs der Optionserklärung nach § 27 Abs. 22 UStG werden thematisiert. Die meisten jPöR werden bis zum Dezember 2016 gegenüber der Finanzverwaltung erklärt haben, die Altregelung des § 2 Abs. 3 UStG weiter anzuwenden. Diese Optionserklärung kann nach dem BMF-Schreiben auch rückwirkend widerrufen werden. Dies gilt allerdings nur für solche Veranlagungszeiträume, deren Steuerfestsetzung nach den Regelungen der Abgabenordnung noch änderbar ist. Sinnvoll kann ein solcher Widerruf zum Beispiel sein, wenn

Veranschaulicht wird dies durch Beispiele für die Errichtung und Vermietung von Gebäuden. Es wird verdeutSilvia Michel ist Wirtlicht, dass ein schaftsprüferin, SteuerberaVorsteuerabzug terin und Partnerin bei der oder – je nach Trinavis GmbH & Co. KG. Fallgestaltung – Foto: BS/Trinavis eine (jährliche) Berichtigung des auf Grundlage des neuen Um- Vorsteuerabzugs nach § 15 a satzsteuerrechts der öffentliche UStG zugunsten der jPöR mögHaushalt durch einen bisher lich ist, wenn diese künftig – nicht möglichen Vorsteuerabzug aufgrund der Anwendung des entlastet werden kann. Am größ- neuen Umsatzsteuerrechts für ten sind solche Effekte sicher bei jPöR – umsatzsteuerpflichtig bedeutsamen Investitionen, z. B. vermietet. Gleiches muss gelbei der Errichtung oder Sanie- ten, wenn aus anderen Grünrung von Gebäuden. Das Recht den in einem gewissen Umfang auf Vorsteuerabzug (Erstattung umsatzsteuerpflichtige Umsätze von an Unternehmer gezahlte erzielt werden. Bei geplanten Investitionen Umsatzsteuer durch die Finanzverwaltung) ist jedoch bei jedem sollten deshalb die MöglichkeiUnternehmer an bestimmte Vo- ten des Vorsteuerabzugs regelraussetzungen gebunden. Diese mäßig überprüft werden. Dabei müssen teilweise über einen län- müssen die Voraussetzungen für eine umsatzsteuerpflichtige geren Zeitraum erfüllt sein. Zu diesen Voraussetzungen Vermietung und der geforderte und den jeweiligen Folgen wird Umfang der unternehmerischen im BMF-Schreiben erstmals um- Nutzung in die Prüfung einbezofangreich Stellung genommen. gen werden.

Kritik an Anlagepolitik der Gebietskörperschaften Grund für die Reform waren aber auch die letzten Sicherungsfälle. So fielen für Lehman Brothers rund sechs Milliarden Euro und bei der ungleich kleineren Maple Bank rund 2,7 Milliarden Euro Entschädigungssummen an. Nach der Insolvenz der Maple

Bank hatte es im Bankenverband vor allem Verärgerung über die Anlagepolitik der Kommunen gegeben. Die Kämmerer hätten bewusst bei der wackligen Maple Bank Summen bis zur Einlagensicherungsgrenze angelegt, weil diese in der Regel höhere Zinsen zahlte als die soliden Institute. Ohne den Einlagensicherungsfonds des Bankenverbandes hätten sich die Kommunen das nicht getraut, meint BdB-Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer. Bund, Länder und Kommunen verfügen laut Bankenverband als professionelle Marktteilnehmer über die notwendigen Kenntnisse, um Risiken einschätzen zu können. Sie seien deshalb als nicht schutzbedürftig anzusehen und sollen deshalb im Zuge der Reform von der freiwilligen Einlagensicherung ausgenommen werden. Für vor dem 1. Oktober 2017 getätigte Einlagen, die über dieses Datum hinauslaufen, gilt jedoch noch ein Bestandsschutz. “Das führt dazu, dass die Banken ihre Mittel auf den Schutz privater Kunden fokussieren und ihren Schaden begrenzen können”, erklärt Peters. Der Schutz für Unternehmen, Institutionen und halbstaatliche Stellen wie Versorgungswerke bleibe grundsätzlich erhalten, werde aber angepasst. Die künftige Beschränkung des Schutzumfangs sei näher an der Realität, betonte Kemmer. “Wir wollen mit diesen Maßnahmen den Einlagensicherungsfonds wetterfest machen und ihn an die neue Zeit anpassen, an das neue

regulatorische Umfeld”, erklärte er weiter. Über den Reformvorschlag, mit dem die Summe der abgesicherten Einlagen um einen “deutlichen dreistelligen Milliardenbetrag”, abschmelzen werde, will der BdB im April abstimmen.

Nutznießer Sparkassen und Volksbanken Für die Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken könnte die Reform der Einlagensicherung zusätzliche Einlagen mit sich bringen. Mit der Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der Volksbanken und Raiffeisenbanken und dem Haftungsverbund der Sparkassen-Finanzgruppe garantieren die beiden Institute weiterhin sämtliche Einlagen. Durch den Haftungsverbund und die Sicherungseinrichtung verpflichten sich beide Verbünde, jedes in eine Schieflage geratene Mitgliedsinstitut aufzufangen, um die Abwicklung einer Sparkasse oder einer Volksbank zu vermeiden. Die Entscheidung der privaten Banken, Institutionelle mit ihrem Schutz ab Oktober nicht mehr abzudecken, werde “sicher” zu Marktbewegungen führen, erklärte Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), Anfang März auf der Bilanzpressekonferenz. Seiner Einschätzung nach werden die Kommunen vor dem Hintergrund ihrer Anlagevorschriften bereits vor Oktober reagieren und von den Privatbanken abwandern.


Kommunaler Haushalt / Stadtwerke

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Behörden Spiegel / April 2017

Sinkende Gewinnabführungen der Stadtwerke Mehr Management für den Öffentlichen Dienst Kommunale Haushalte unter dem Einfluss der Energiewende

Peter Eichhorn fordert radikale Kehrtwende

(BS/lkm) Im Zuge der Energiewende werden auf die Kommunen mehr Ausgaben als Einnahmen zukommen. Ergebnisrückgänge werden sich zuerst bei den jeweiligen Stadtwerken zeigen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie, die das Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. der Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO, E.ON und der Thüringer Aufbaubank erstellt hat.

(BS/Gunnar Schwarting*) Seit 2008 veröffentlicht Peter Eichhorn, einer der wichtigsten Vertreter der öffentlichen Betriebswirtschaftslehre im deutschsprachigen Raum, in der Zeitschrift “DVP-Deutsche Verwaltungspraxis” monatlich kurze lexikalische Beiträge zu einem breiten Themenspektrum aus dem Bereich des Verwaltungsmanagements. Sie sind in Form eines Glossars zusammengestellt, das sich somit auch als Nachschlagewerk eignet.

Die Einnahmen-AusgabenSituation der 24 untersuchten Kommunen und die ihrer öffentlichen Unternehmen wird von den Analysten infolge der Energiewende als angespannt eingeschätzt. Der Anteil der aus der Energiewende resultierenden Mehreinnahmen sei grundsätzlich eher gering, konstatieren die Analysten. In lediglich zehn von 17 untersuchten kommunalen Aufgabenbereichen konnten Mehreinnahmen infolge der Energiewende festgestellt werden. Die entsprechenden Anteile der Kommunen, welche Mehreinnahmen infolge der Energiewende aufwiesen, seien in den einzelnen Sparten häufig kleiner als zehn Prozent. Der über alle kommunalen Aufgabenbereiche hinweg durchschnittliche Anteil der Kommunen, die aus der Energiewende resultierende Mehrausgaben aufwiesen, betrage 40,76 Prozent. Die Gründe für die aufgrund der Energiewende auftretenden Mehrausgaben in den kommunalen Aufgabenbereichen seien vielschichtig. Am häufigsten wurden steigende Energiepreise, höhere Anforderungen im Rahmen der Energiewende, aus der Energiewende resultierende kleinere Gewinnmargen, schwierige energiewirtschaftliche Rahmenbedingungen sowie Mindereinnahmen in diversen öffentlichen Bereichen genannt.

Rückläufige Gewinnabführungen “In den nächsten Jahren könnte sich infolge der Energiewende und damit verbundener Maßnahmen und Erfordernisse für die Kommunen sowie deren Unternehmen ein erhöhter Finanzbedarf ergeben”, schreiben die Autoren der Fallstudie. Dies werde ebenfalls durch die Entwicklung der Gewinnabführungen der Stadtwerke an die Kommunen deutlich. Während

sich die Gewinnabführungen der Stadtwerke an die Kommunen der Verbrauchsregion mit einem lediglich marginalen Rückgang grundsätzlich konstant fortentwickelt hätten, seien die Gewinnabführungen der Stadtwerke an die Kommunen in der Erzeugungsregion zwischen 2011 und 2015 signifikant gesunken. “Zwar werden viele Kommunen ihren Stadtwerken die notwendigen finanziellen Mittel für die Anpassung ihrer Geschäftsmodelle

Die Studie zeigt, dass die Auswirkungen der Energiewende zunächst bei den jeweiligen Stadtwerken spürbar sind. Sie spielen im Rahmen der Quersubventionierung eine wichtige Rolle für die Kommunalfinanzen. Foto: BS/Karl-Heinz Laube, pixelio.de

zur Verfügung stellen. Flächendeckend ist dies allerdings nicht möglich. So werden die prognostizierten Gewinneinbußen ihrer Stadtwerke in zahlreichen Kommunen zwangsläufig zu Haushalts- und damit Leistungskürzungen führen”, kommentiert André Horn, Leiter des Branchencenters Energiewirtschaft der BDO AG, die Ergebnisse. Da die Fallstudie mit lediglich 24 Kommunen und deren öffentlichen Unternehmen statistisch nicht signifikant ist, können die Schlussfolgerungen nicht auf alle Kommunen in Deutschland

übertragen werden. Zur Analyse der kommunalen Haushalte unter dem Einfluss der Energiewende liefert sie aber gute Ansatzpunkte.

Erzeuger verschuldeter als Verbraucher Die Analyse der untersuchten Kommunen hat ebenfalls ergeben, dass die Verschuldung in den Kommunen der Erzeugungsregion größer ist als die Verschuldung in den Kommunen der Verbrauchsregion. Hinsichtlich der mittelfristigen Finanzplanung rechne die Hälfte der untersuchten Kommunen aus der Erzeugungsregion bis 2020 mit Defiziten im Ergebnishaushalt. Hingegen erwarte die Mehrheit der Kommunen in der Verbrauchsregion eine Kostendeckung oder sogar Überschüsse im Ergebnishaushalt. Während im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung zwei Drittel der Kommunen aus der Erzeugungsregion von einer künftigen Kostendeckung oder sogar Überschüssen im Finanzhaushalt bis 2020 ausgingen, erwarte die Mehrheit der Kommunen der Verbrauchsregion Defizite im Finanzhaushalt bis zum Jahr 2020. Laut Studie müsse folglich mit einem Mehraufwand der kommunalen Unternehmen in allen Sparten sowie einem finanziellen Mehrbedarf der Kommunen infolge der Energiewende gerechnet werden. Unter Berücksichtigung der noch nicht vollständig vollzogenen Energiewende könne dieser finanzielle Mehraufwand in der Zukunft sogar deutlich höher ausfallen. Es bestehe zudem die Gefahr, dass die Kommunen bei einer konstanten oder sogar sinkenden Einnahmensituation und einer konstanten oder sogar steigenden Verschuldung diesemsteigenden finanziellen Mehraufwand künftig nicht mehr nachhaltig begegnen könnten.

Enthielt die Vorauflage aus dem Jahr 2011 die Beiträge der Jahre 2008 bis 2010, so sind nunmehr die bis zum Dezember 2015 erschienenen Beiträge hinzugekommen. Dabei wurden – soweit erforderlich – auch die älteren Texte auf den aktuellen Stand gebracht.

Heimatministerium und Pflegekammern neu dabei Gegenüber der Vorauflage hat sich der Umfang des Buches mehr als verdoppelt; die Zahl der behandelten Stichworte ist mit fast 400 außerordentlich hoch. Dabei versteht es Eichhorn, die Darstellung zu jedem Stichwort sehr knapp zu halten, um den Rahmen des Werkes nicht zu sprengen. Eichhorn beschränkt sich keineswegs nur auf klassische Themen der öffentlichen BWL; vielmehr versteht er öffentliches Management in einem sehr weiten Sinne. So finden auch fachübergreifende Fragestellungen wie die “Green City”, das “Migrationsmanagement” oder “Demografiestrategien” Eingang in seine Darstellung. Auch neue Institutionen wie das bayerische Heimatministerium oder die in einigen Ländern inzwischen eingerichteten Pflegekammern werden von ihm behandelt. Damit kann Eichhorn zeigen, wie vielfältig und zugleich dynamisch öffentliches Management ist.

Peter Eichhorn, “Mehr Management im öffentlichen Dienst”, Schriftenreihe DVP-Handbuch, 2. überarb. und erw. Aufl., Hamburg 2016, 331 Seiten, 24,90 Euro Foto: BS/Einhaus

In einer kurzen Einführung macht Eichhorn deutlich, was er vom Öffentlichen Dienst erwartet. Er soll der Allgemeinheit dienen und (gute) Dienstleistungen erbringen. Dabei soll er sich moderner Managementmethoden bedienen und langfristig strategisch denken. Ganz entscheidend sind dabei die Mitarbeiter in den Verwaltungen, die diese Maximen “leben” sollen.

Kritik am “Finanzausgleichs(un)system” Die Realität entspricht dem nach Eichhorns Einschätzung jedoch nicht, weshalb er eine “radikale Kehrtwendung” in den

Aufgabenstellungen, den gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie im Denken und Handeln aller Akteure einfordert. Eichhorn belässt es nicht bei bloßen Beschreibungen; in vielen Passagen spürt der Leser seine Ungeduld mit bestehenden Verhältnissen. So spart er auch nicht mit kritischen Tönen, wenn er z. B. den Kommunalen Finanzausgleich als “Finanzausgleichs(un)system” bezeichnet. Die Texte zu den einzelnen Stichworten sind sehr verständlich und ermöglichen es auch dem interessierten Laien, sich mit den einzelnen Themen zu befassen. Dabei muss man nicht jede Einschätzung Eichhorns teilen; seine Ausführungen regen jedoch auf jeden Fall zum Nachdenken und zur Diskussion an. Wenn eine Verbesserung für eine mögliche Folgeauflage angeregt werden kann, dann sind es Querverweise zwischen den einzelnen Stichworten, um auf diese Weise Zusammenhänge sichtbar zu machen. Doch unbeschadet dessen ist dieses Lexikon nicht nur für Fachkenner empfehlenswert. *Prof. Gunnar Schwarting war u. a. Geschäftsführer des Städtetages Rheinland-Pfalz und ist seit seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst 2014 Honorarprofessor an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

Wo liegt die Zukunft der Daseinsvorsorge? Neue Geschäftsmodelle – mehr Kundenorientierung (BS/lkm) In Nordrhein-Westfalen wird mehr Energie umgewandelt und genutzt als in jedem anderen Bundesland. Die Stadtwerke stehen dabei immer stärker unter dem Druck der privater Großkonzerne. Doch statt sich neu aufzustellen, halten viele Stadtwerke zu sehr an dem Glauben fest, auch in Zukunft unersetzbar zu sein, findet Eric Weik, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet. Stadtwerks-Vertreter sehen hier eher die Gemeindeordnung des Landes als Hinderungsgrund, sich strategisch neu aufzustellen. Die Kommunale Infrastruktur sei ein “Schatz unter der Erde”, der angemessen bewahrt werden müsse, betonte Michael Wübbels, stellvertretender Geschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), auf dem diesjährigen NRW.Bank Stadtwerke-Forum. Laut einer Forsa-Umfrage haben die Bürger großes Vertrauen in kommunale Unternehmen. 91 Prozent seien zudem mit der Arbeit der kommunalen Unternehmen vor Ort sehr zufrieden. “Die Bürger “kennen” ihre Versorger und schätzen kommunale Unternehmen”, so Wübbels. Eric Weik, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet, kritisierte, dass man heute zu häufig über das Bewahren des Schatzes unter der Erde rede, anstatt über das Potenzial des Schatzes. “Wir haben das riesengroße Vertrauen der Kunden. Wir haben die Zugänge in fast alle Haushalte. Da stecken so viel Potenzial und so viele mögliche Geschäftsmodelle drin. Die sind bisher fast ungenutzt”, betonte Weik. Es sei zu

Eric Weik, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet, vertrat den Standpunkt, dass sich die Stadtwerke stärker einer Veränderungsdiskussion stellen müssten.

Um Stadtwerke wettbewerbsfähiger zu machen, forderte Guntram Pehlke von den Dortmunder Stadtwerken eine Modernisierung der Gemeindeordnung. Fotos: BS/studio schmidt-dominé

begrüßen, dass die Stadtwerke neue Geschäftsmodelle entwickelten und sich mehr an den Wünschen des Kunden orientieren wollten. “Sie müssen aber die Annahme über Bord werfen, dass man die Stadtwerke in Zukunft immer noch brauchen werde. Das geht vorbei.” Diese letzte Bastion, dass der Staat das machen müsse, werde es nicht mehr geben, mahnte Weik. Notwendig sei deshalb eine offene Veränderungsdiskussion. Guntram Pehlke, Vorsitzender des Vorstands DSW 21 Dortmunder Stadtwerke AG, gab sich jedoch überzeugt, dass die Menschen “bei aller Neigung zum Internet” immer noch jemanden haben möchten, den sie ansprechen könnten. “Die Stadtwerke haben das Grundvertrauen des Bürgers. Deshalb werden wir auch Erfolg haben”, so Pehlke. Ein Problem sieht er jedoch in der kommunalen Gemeindeordnung NRWs. Paragraf 107 regelt dort die Zulässigkeit der

wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen. “Viele unserer Dienstleistungen werden in Zukunft sehr komplex sein. Wir stoßen da sehr schnell an die jetzigen Grenzen in der kommunalen Gemeindeordnung in NRW”, so Pehlke. Paragraf 107 der Gemeindeordnung schreibt vor, dass Kommunen sich nur wirtschaftlich Betätigen dürfen, wenn ein öffentlicher Zweck dies erfordert. Wübbers machte deutlich, dass mit der voranschreitenden Digitalisierung eine wachsende Zahl an Marktakteuren an Geschäften im Netz der kommunalen Unternehmen interessiert sei. Pehlke forderte, dass auch Stadtwerke die Möglichkeit haben müssten, den Kunden diese neuen Dienstleistungen anzubieten. Weik pflichtete Pehlke in diesem Punkt bei: “Es geht gar nicht mehr, dass der, der den Zugang zum Haushalt hat, nicht auch noch mehr anbietet, sonst wird er uninteressant.”



Kommunale Infrastruktur

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Behörden Spiegel / April 2017

Weniger Baustellen, weniger Belastung Webbasierter Atlas macht Untergrund transparenter

MELDUNG

Nürnberg testet E-Lastenräder (BS/ein) In der Stadt Nürnberg

(BS/Jürgen Besler*) Baustellen sorgen in den Straßen der Großstädte oft für schlechte Laune. Sie blockieren Straßen, sorgen für Lärm- und Luftbelästigungen und schaden Anliegern verteilen die Paketdienstleister und der Umwelt. Seit Januar 2016 macht es sich der webbasierte Baustellenatlas (BSA) der infrest – Infrastruktur eStrasse GmbH zur Aufgabe, die Koordinierung von Baustellen zu DPD und GLS ihre Waren pivereinfachen und ihre Durchführungsdauer abgestimmt zu verkürzen. lotweise mit Lastenfahrrädern. Neben der infrest haben die Berliner Wasserbetriebe, die Berliner Verkehrsbetriebe, die NBB Netzgesellschaft Berlin Brandenburg, Stromnetz Berlin und Vattenfall Fernwärme sowie Alliander Stadtlicht den Baustellenatlas in die Wege geleitet. Seit Anfang 2017 können sich auch bundesweit Bauplaner von den Vorzügen des BSA überzeugen.

Mehrjähriges Aufgrabeverbot

Dateischnittstelle in den BSA übertragen werden. Im Fall einer örtlichen Überlappung von Ereignissen werden die entsprechenden Planer per E-Mail informiert. Anschließend beginnt die Abstimmung zur Koordinierung. Hierfür wurde von den teilnehmenden Netzbetreibern eine Koordinierungsvereinbarung unterzeichnet, die die “Spielregeln” für das weitere Vorgehen festlegt. In diesem Zusammenhang stellt die infrest erarbeitete Vorlagen für z. B. Absichtserklärungen zur Koordinierung bzw. Koordinierungsverträge zur Verfügung. Des Weiteren beschäftigt sich ein Lenkungskreis mit den aktuell zu koordinierenden Maßnahmen. Dieser soll beschleunigen, schlichten und weitere Erfahrungen in die Best-Practice-Umsetzung aufnehmen und somit verstetigen.

Anlass zur Entwicklung des BSA gab eine Änderung des Berliner Straßengesetzes im Jahr 2014, als das Land Berlin ein Aufgrabeverbot beschlossen hatte. Nach einer Baumaßnahme darf gerade erst geöffnetes Straßenland fünf Jahre (bei Fahrbahnen) bzw. drei Jahre lang (Geh- und Radweg) nicht erneut aufgegraben werden. Das Gesetz sieht Nicht alle Jahre wieder aufreißen, sondern kovor, dass sich die einzel- ordiniert vorgehen: Seit letztem Jahr erleichtert nen Grundversorger vor ein webbasierter Baustellenatlas die Abstimmung der Öffnung des Straßen- und Durchführung von Untergrundarbeiten in Perspektivische Lückenschlüsse einbeziehen landes untereinander ab- Berlin. Foto: BS/Einhaus stimmen müssen. Durch Zudem besteht die Mögeine transparente Koordilichkeit, ein Beobachtel- und langfristigen Planunnierung sollen die Tiefbauarbei- gen eintragen. Dabei werden tungsgebiet einzurichten. Dies ten pro Jahr reduziert werden. die Ereignisse grafisch mit allen wird z. B. in Gebieten verwenwichtigen Sachdaten angezeigt. det, in denen Lückenschlüsse So funktioniert der BSA Alternativ können Baustel- perspektivisch geplant sind. Bei Auf einer Karte werden kurz- lenereignisse auch über eine neu eingestellten bzw. geänderals auch mittel- und langfristi- Schnittstelle aus den Geoin- ten bestehenden Ereignissen ge Baumaßnahmen angezeigt. formationssystemen der Netz- wird dem Nutzer eine automaHier kann der Nutzer seine mit- betreiber oder mittels einer tisierte E-Mail zugeschickt.

So ist er stets auf dem aktuellsten Stand und kann bedarfsweise weitere Schritte zu Abstimmung einleiten. Auch die Anzeige von Bauvorhaben einer bestimmten Sparte ist im BSA möglich. Jede Sparte kann auf der Karte in einem Layer ein- oder ausgeblendet werden. Auch einen Layer für Veranstaltungen wie Demonstrationen oder Straßenfeste gibt es – hier stehen diese Flächen temporär für Maßnahmen nicht zur Verfügung. Zudem zeigt der BSA ungenutzte Rohrleitungen und Leerrohre zur Tiefbauminimierung dar, die zugeschaltet werden können. Gleiches gilt für weitere Webdienste wie Aufgrabeverbote und klassifizierte Straßennetze. Über eine Schnittstelle wird bei einer Erstellung einer Leitungsauskunftsanfrage im Leitungsauskunftsportal eStrasse das Ereignis mit seinen Basisdaten automatisiert in den BSA übertragen. Im Leitungsauskunftsportal wird eine Leitungsanfrage vor Beginn eines Bauvorhabens gebündelt an alle zuständigen Netzbetreiber gesendet. Auch die Erteilung von Genehmigungen zu Aufgrabungen über das Webportal wird

dank des Leitungsauskunftsportals vereinfacht.

Umleitungskataster in Planung Für den Raum Berlin befinden sich im BSA aktuell 700 Ereignisse in mittel- und langfristiger Planung. Aus dem Leitungsauskunftsportal wurden zudem bereits weit über 7.800 tagesaktuelle Baustellen übertragen. Im Archiv finden sich über 13.600 abgeschlossene Ereignisse. Mithilfe des BSA sollen die Dauer von Baustellen verkürzt und deren Anzahl verringert werden. Die Absprache mehrerer Bauplaner untereinander spart dazu Zeit und Kosten, entlastet die Straßen und schont nicht zuletzt Umwelt und Anwohner. Der BSA wird dazu stetig weiterentwickelt. In Planung ist beispielsweise, ein Umleitungskataster auf Basis der bestehenden Daten zu integrieren. Weiterhin finden aktuell Abstimmungen mit einem Navigationsanbieter zur Nutzung der im BSA eingestellten Daten statt. *Jürgen Besler ist Geschäftsführer der infrest – Infrastruktur eStrasse GmbH in Berlin.

Bis Oktober soll geprüft werden, welche Kosten und Emissionen sich dadurch einsparen lassen. Zunächst beschränkt sich der Probelauf auf die Nürnberger Innen- und ein Wohngebiet in der Südstadt. Die Pakete sollen in kleinen Depots zwischengelagert werden. Neben Anhängern und Containern auch in Gebäuden. Von dort holen die Fahrer ihr Transportgut mit Lastenfahrrädern ab und bringen es bis zur Haustür. “Die Nürnberger Innenstadt beherbergt eine der größten zusammenhängenden Fußgängerzonen in Deutschland”, sagt Christian Vogel, zweiter Bürgermeister der Stadt Nürnberg. Damit einher gingen aber viele Anlieferungen vor allem für kleine Läden, die durch ihre Vielfalt den besonderen Reiz der Innenstadt ausmachten. “Mit dem neuen Konzept der Lastenfahrräder kann den Wünschen der Ladner und den Bedürfnissen der Bewohner ideal und nachhaltig entsprochen werden”, so Vogel. An dem Projekt sind, neben den beiden Logistik-Unternehmen und dem bayerischen Verkehrsministerium, die Stadtverwaltung und die Technische Hochschule Nürnberg beteiligt.

Miteinander statt Gegeneinander Kompetenzverteilung bei öffentlichen Bauprojekten (BS/Dipl.-Ing. Thorsten Heidrich*) Sind deutsche Fachleute überfordert, Großbauprojekte erfolgreich und zielorientiert beenden zu können? Dem ist nicht so. Die Fragen sind: “Was ist ein Großprojekt?” Und: “Was sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren?” Die “Reformkommission Bau von Großprojekten” des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) konnte sich in ihrem Abschlussbericht 2015 nicht auf eine einheitliche Definition eines Großprojektes einigen. Als grobe Annahme gilt ein Investitionsvolumen von mehr als 100 Mio. Euro. Aber: Die Definition eines Großprojektes sollte für eine Millionenstadt anders sein als für eine Kleinstadt. Bauprojekte in Kleinstädten könnten schon ab einem Investitionsvolumen von mehr als zehn Mio. Euro zu einem Großprojekt zählen. Großprojekte sind demnach Projekte unterschiedlicher Größenordnung in Abhängigkeit zur “Größe” der Bauherren, welche das normale Tagesgeschehen übersteigen. Kommunale Großprojekte stehen zudem immer im Fokus von Politik und Öffentlichkeit. Zwei der wesentlichen Erfolgsfaktoren des Projektmanagements in Bauprojekten sind der Umgang und die Kommunikation der Beteiligten miteinander. Wenn sich alle Beteiligten auf Augenhöhe begegnen, rückt das eigentliche Projekt in den Mittelpunkt. Begegnung auf Augenhöhe bedeutet, dass ein ausgewogenes Verhältnis in Bezug auf Kompetenzen und Personalmenge zwischen Auftraggeber- und Auftragnehmerseite besteht und alle nach Möglichkeit die gleiche Fachsprache sprechen. Das sollte sich auch in ausgewogenen Verträgen widerspiegeln. Denn Vertrag kommt von vertragen und nicht von streiten. Je mehr Auftraggeber und Auftragnehmer mit sich selbst und der Interpretation des geschlossenen Vertrags beschäftigt sind, desto mehr rückt das Projekt aus dem Fokus und wird zur Nebensache. Solche Projekte werden nur mit erheb-

lichen Schwierigkeiten beendet. Deshalb ist es empfehlenswert, ein Großprojekt auch auf Auftraggeberseite mit ausreichend kompetentem Personal zu besetzen und nicht beispielsweise nur mit einer Halbtagesstelle oder mit einer fachfremden Person. Wenn man bedenkt, wie viele Planungs- und Baubeteiligte heutzutage an einem Bauprojekt beteiligt sind, ist schnell ersichtlich, dass nur mit einem entsprechend gut besetzten und ausgebildeten AuftraggeberTeam die schnelle Abfolge heutiger Bauprozesse realistisch zu begleiten ist. Hier sind übliche Verwaltungsprozesse den Gegebenheiten der jeweiligen Projekte anzupassen, damit die häufig sehr kurzfristigen Entscheidungsprozesse von solch großen Bauprojekten flexibel und schnell bedient werden können. Die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement benennt in ihrem Handbuch für Projektarbeit als wesentliche Kompetenzen die formale Kompetenz in Zuständigkeit und Befugnis, also dem Dürfen, und die Handlungskompetenz in Form von Einstellung und den Fähigkeiten Wissen, Können und Er-

Save the Date Der Autor thematisiert ab September in Bonn und Frankfurt am Main in vier Seminaren die Vorbereitung und Durchführung von öffentlichen Bauprojekten und geht insbesondere auf das Projekt- und Risikomanagement sowie das Besprechungswesen ein. Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefteforum. de, Suchwort “Bauprojekte”.

fahrung, also dem Wollen und Können. Die formale Kompetenz wird auf Arbeitgeberseite den Projektmitarbeitern zugewiesen. Hierbei ist auf ein dem Projekt angemessenes Kompetenzniveau zu achten. Wenn Projektleiter von Großprojekten, mit einem Investitionsvolumen von mehr als 100 Mio. Euro nur begrenzte Freigaben von 2.000 bis 10.000 Euro tätigen dürfen, kann nicht von “Verhältnismäßigkeit der Mittel” dem Projekt gegenüber gesprochen werden. Es ist daher unabdingbar, dass öffentliche Gremien ihre eigene formale Kompetenz in begrenztem Umfang dem Projektteam übertragen und diesem das nötige Vertrauen entgegenbringen. Denn die Einstellung und Motivation von Projektbeteiligten geht oft mit der zugewiesenen formalen Kompetenz einher. Die Handlungskompetenz (technische Kompetenz, Verhaltens- und Kontextkompetenz) kann durch kontinuierliche Weiterbildung und Erfahrung in Bauprojekten geschult und ausgebaut werden. Dies darf sich nicht nur auf den vertrags- und vergaberechtlichen Teil beziehen. Im Fokus muss die Handlungskompetenz mit all Ihren Facetten stehen, um Projekterfolge zu erreichen. Verwaltungen, die die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter nutzen, eine ständige Weiterbildung ermöglichen sowie ihre Bauprojekte mit einem leistungsfähigen, kommunikativen, interdisziplinären Teams, interner und externer Mitglieder ausstatten, haben die Chancen auf eine erfolgreiche Umsetzung von Großprojekten. *Dipl.-Ing. Thorsten Heidrich ist Geschäftsführender Gesellschafter der Bauprojekt & Training GmbH.


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / April 2017

B

ehörden Spiegel: Inwieweit sind Städte, Gemeinden und Landkreise gefordert, die Mobilitätswende “auf die Straße” zu bringen? Ringwald: Wir dürfen die eigentliche Triebfeder nicht vergessen: Klimaschutzziele sind zu erreichen und CO2-Emissionen zu verringern – eine Energiewende ist ohne Mobilitätswende nicht möglich. Aber auch bei der Vermeidung von Belastungen durch Feinstaub und Stickoxide – für Großstädte oft noch wichtiger – ist ein kommunales Engagement unmittelbar gefordert.

De Wyl: Kommunen sind zunächst Vorbild – man denke an die drei Mio. Fahrzeuge in öffentlicher Hand. Die Umstellung auf CO2-arme Mobilität erfolgt viel zu zögerlich, der Hamburger Weg einer Beweislastumkehr beim Beschaffungsvorgang ist hier beispielhaft. Zudem sollte Effizienz ganz generell eine größere Rolle spielen – hier kann ein sinnvolles Flottenmanagement helfen. Es gibt nicht nur Kauf oder Leasing, auch die Ausschreibung von Mobilitätsoptionen ist ein sinnvoller Weg. Vorgaben zum CO2-Ausstoß pro Kilometer können dann – ohne Mehrkosten oder Komfortverluste – zu einem sinnvollen Gesamtportfolio führen. Ringwald: Zudem ist bei der Mobilitätswende der Bereich der Daseinsvorsorge berührt: die Konzeptionierung und Umsetzung von moderner Mobilität als Partner des ÖPNV, die Nutzung des öffentlichen Raumes etwa für Ladeinfrastruktur und Carsharing sowie verpflichtende Vorgaben und Anreize für CO2arme Mobilität sind dabei nur einige Beispiele. Wichtig ist dabei: Daseinsvorsorge bedeutet nicht, dass die Kommunen alles selber erledi-

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“Die Reichweiten-Angst nehmen!” Stadtentwicklung Schlüssel für Mobilität / Vertragsmodalitäten entscheidend (BS) Stadtentwicklung, kommunale Fahrzeugflotten, Ladeinfrastruktur – Kommunen können einiges bewegen, wenn es um die Ausrichtung ihrer künftigen Mobilität geht. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel machten Dr. Roman Ringwald und Dr. Christian de Wyl deutlich, dass es darauf ankommt, frühzeitig Konzepte zu erstellen, die vor allem im urbanen Umfeld Stadtentwicklung, Mobilität und Energieversorgung aufeinander abstimmen. Auch wenn der ordnungspolitische Rahmen vielfach noch nicht so ausgereift ist, unterstreichen die Vergabe- und Energieexperten von Becker Büttner Held die vielen vertraglichen Möglichkeiten, die Kommunen schon jetzt zur Verfügung stehen. Die Fragen stellte Julian Einhaus. Lademöglichkeiten vorgehalten werden. Welchen Herausforderungen sehen sich die Städte hierzulande gegenüber?

gen müssen – denken sie an die Energiewende. Behörden Spiegel: Welche Mittel haben Kommunen, um neuer Mobilität einen möglichst großen Spielraum einzuräumen? Ringwald: Aus unserer Erfahrung ist es wichtig, dass sie regeln, in welchem Rahmen Sondernutzungen im öffentlichen Straßenraum möglich sind oder städtebauliche Investitionen erfolgen dürfen. Der klassische ÖPNV wird bereits als Gestaltungsaufgabe wahrgenommen – eine Verbindung mit ganzheitlichen Mobilitätsansätzen findet aber noch zu selten statt. Denkt man an die Veräußerung von Grundstücken oder die Nutzung öffentlichen Raumes ist es wichtig, von Anfang an ein integriertes Konzept zu verfolgen. Ansonsten ergibt sich ein Flickenteppich. De Wyl: Dies ist für die vielen Städte relevant, die aktuell ganze Stadtteile neu entwickeln. Soll z. B. Individualverkehr durch ein effektives stationsbasierte Carsharing ersetzt werden, dürfen die Überlegungen nicht erst beginnen, wenn die neuen Eigentümer und Mieter eingezogen sind, sonst verliert man sich im Kleinklein. Gerade für große, quartiersübergreifende Lösungen müssen die Weichen gestellt sein, bevor die Tinte unter den Verträgen getrocknet ist. Vor dem Kauf eines Grund-

Dr. Roman Ringwald (links) und Dr. Christian de Wyl sind Rechtsanwälte bei Becker Büttner Held in Berlin. Foto: BS/BBH

stückes ist ein Investor bereit, Zugeständnisse hinsichtlich der Überlassung von Stellplätzen oder der Ausrüstung mit Ladeinfrastruktur zu machen und sich ggf. dauerhaft mit anderen Eigentümern zu binden. Behörden Spiegel: Auch ein Schritt, um die Emissionswerte in den Städten zu senken? Ringwald: Eines ist klar: Der beschriebene Hebel der Quartierserschließung ist zwar nur ein Ansatz, aber ein wichtiger. Sie können Vorgaben zur Ausrüstung von Parkplätzen mit Ladeinfrastruktur machen und so den Einstieg in die Elektromobilität erleichtern, über die Zahl der verfügbaren Stellplätze lässt sich die Bereitschaft zur Teilnahme am Carsharing erhöhen, schließlich lassen sich im Rahmen des Carsharings kon-

krete Quoten für Null-Emissions-Fahrzeuge festlegen. Zudem haben Kommunen aber auch schärfere Schwerter, etwa die Möglichkeit, Innenstadtbereiche für Fahrzeuge mit (hohem) CO2Ausstoß zu sperren oder umgekehrt Elektromobilität oder Carsharing durch freies Parken oder Sonderrechte anzureizen. Hier hat und wird der Gesetzgeber ja Hilfestellungen geben, etwa durch das Carsharing-Gesetz. Diese Möglichkeiten sind für Großstädte auch in der Argumentation gegenüber den Verwaltungsgerichten bedeutsam, vor denen viele wegen überhöhter Abgaswerte von Umweltverbänden verklagt werden. Behörden Spiegel: Metropolen in China sind bei der Anzahl von EFahrzeugen und den Ladepunkten schon weiter: In Neubaugebieten müssen teils vorinstallierte

De Wyl: Wenn die Zahl der EFahrzeuge steigt und diese mehr oder weniger zeitgleich nach Feierabend an der heimischen Station geladen werden, bekommen wir Probleme mit der Netzstabilität. Hier existiert bislang kein passender Ordnungsrahmen, der Netzbetrieb und breitflächige private Ladeaktivitäten sinnvoll und volkswirtschaftlich optimiert aufeinander abstimmt. Das wird es mit Blick auf die Entflechtung im Energiebereich so schnell wohl auch nicht geben. Aber schon jetzt ist es im Rahmen gezielter Quartiersentwicklung möglich, die notwendigen Ladevorgänge über privatrechtliche Verträge zu bündeln und so ein Lastmanagement zu implementieren. Aber auch hier gilt, wenn Sie damit anfangen, wenn jeder seine Säule gebaut hat, ist es zu spät. Behörden Spiegel: Spielt der kommunale Raum überhaupt eine Rolle, um künftig eine ausreichende Versorgung mit ElektroTankstellen zu erreichen? De Wyl: Ein Großteil der Nutzer wird seine Elektro-Autos sicherlich im privaten oder halböffentlichen Raum laden, meist zu Hause oder am Arbeitsplatz. Für diejenigen aber, die keinen eigenen Ladepunkt haben, ge-

nauso wie für Taxi-, Carsharingund ÖPNV-Fahrzeuge, muss es Angebote im öffentlichen Raum geben. Ringwald: Es geht in der Hochlaufphase aber auch darum, Elektromobilität sichtbar zu machen und den Nutzern die “Reichweiten-Angst” zu nehmen. Die allermeisten Fahrten sind zwar sehr kurz. Trotzdem ist es wichtig, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie im Zweifel flexibel sind, vielerorts laden können und sich bei Bedarf auch über die Stadtgrenzen hinaus bewegen können. Behörden Spiegel: Kommunen gewähren bislang zumeist straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnisse zum Bau und Betrieb von Ladeinfrastruktur. Ein passendes Instrument? Ringwald: Uns erscheint es nicht sinnvoll, über jede Erlaubnis grundsätzlich neu zu entscheiden. Besser ist es, einmal über den Gesamtrahmen zu entscheiden, in dem die Infrastruktur stehen soll. Ähnlich wird es seit Langem bei vielen kommunalen Werbeflächen gehandhabt. Wir reden ja über öffentlichen Raum! De Wyl: Die Bedarfe werden sich in Zukunft zudem noch vielfach verändern. Kommunen sollten deshalb darauf achten, ihr Vorgehen alle paar Jahre zu evaluieren. Von Verträgen, die die öffentliche Hand im Sinne von Pfadabhängigkeiten unflexibel binden, ist hier abzuraten. Die Verhandlung einer Regelung für das Vertragsende ist insoweit nach unserer Erfahrung ein nicht zu unterschätzender Punkt bei einer Vergabe. Das vollständige Interview finden Sie auf www.behoerdenspie gel.de, Suchwort “BBH”.


Kommunale Ordnung

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war handelt es sich bei diesen schweren Vorfällen, die vor allem durch mediale Berichterstattungen bekannt wurden, um Ausnahmen und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in Deutschland ist mit Abstand sicherer als etwa das Auto- oder Fahrradfahren. Gleichwohl zeigen diese Beispiele, dass auch dort im öffentlichen Raum von Haltestellen des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) Gefahren vorhanden sind, die nicht durch organisatorische, bauliche oder sonstige Maßnahmen der Verkehrsunternehmen ohne Weiteres abzustellen sind.

Kunden sind für Videokameras Diese Gefahren resultieren unter anderem aus der dem ÖPNV spezifischen Verdichtung sowie der Systemoffenheit, dessen Nutzung allen Bürgern nahezu uneingeschränkt möglich ist. Dies, verbunden mit der Tatsache, dass es sich bei dem ÖPNV um eine Kritische Infrastruktur (KRITIS) handelt, bedingt richtigerweise eine besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich der Sicherheit durch die Verkehrsunternehmen sowie die staatlichen Organe. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die weit überwie-

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ie überaus erfolgreiche Inbetriebnahme eines Videosystems in Essen verstärkt die bundesweite Signalwirkung des Dallmeier-Konzepts. Neben Köln hat sich auch die Ruhrmetropole Essen für den Einsatz der patentierten Panomera®Technologie entschieden, um die Polizei bei der Wahrnehmung ihres Schutzauftrages zu unterstützen. Das Multifocal-Sensorsystem Panomera® wurde insbesondere für die flächendeckende Absicherung weitreichender Areale entwickelt. Mit Panomera® werden enorme Weiten und auch Flächen mit großen Distanzen in einer vollkommen neuen Auflösungsqualität dargestellt, und zwar in Echtzeit und bei hohen Frameraten von bis zu 30 Bildern pro Sekunde (fps).

Große Areale zu überblicken Ein entscheidender Vorteil dieser Technologie ist, dass mit ihr von einem einzigen Standort aus ein riesiges Areal überblickt werden kann. Die Auflösung kann dabei nahezu beliebig ska-

Behörden Spiegel / April 2017

Handlungsspielräume zurückgewonnen Videoüberwachungsverbesserungsgesetz schafft neue Möglichkeiten für ÖPNV-Betreiber (Dr. Jan Schilling) Verschiedene Ereignisse im öffentlichen Nahverkehr fanden im vergangenen Jahr große mediale Beachtung: Ein islamistischer Angriff auf Zugreisende bei Würzburg in Bayern sowie Übergriffe in der Berliner U-Bahn, bei denen eine Frau und ein Obdachloser angegriffen und verletzt wurden. gende Mehrheit der Bürger und Kunden, die eine verstärkte Videoüberwachung im ÖPNV befürworteten, war die zunehmend restriktive Haltung der Datenschutzbehörden der Länder mit Blick auf die Videoüberwachung bei Verkehrsunternehmen nicht mehr sachgerecht. Dies zeigte sich insbesondere bei der Interessenabwägung in Paragraf 6b des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Hier wurde von den Datenschutzbehörden das virtuelle Interesse auf informationelle Selbstbestimmung eines fiktiven Bürgers im öffentlichen Raum, nicht von einer Kamera aufgenommen zu werden, stärker gewichtet als das reale Interesse der Sicherheit der Bürger. Diese restriktive Auslegung der Zulässigkeit einer Videoüberwachung mündete schließlich in einer sogenannten Orientierungshilfe Videoüberwachung in öffentlichen Verkehrsmitteln des Düsseldor-

fer Kreises, in dem die Datenschutzbeauftragten der Länder zusammengeschlossen sind. Entsprechend verwunderte es nicht, dass die Politik auf die veränderte Sicherheitslage und die Haltung der Datenschutzbehörden reagierte und eine Klarstellung anstrebte. Mit dem beschlossenen Videoüberwachungsverbesserungsgesetz wird das Sicherheitsinteresse des Einzelnen sowie der verfassungsrechtlich geschützten Rechtgüter Leben, Gesundheit und Freiheit dadurch betont, dass sie im Gesetz als ein besonders wichtiges Interesse festgeschrieben werden. Hierdurch werden die weiterhin notwendigen Abwägungen im Einzelfall determiniert sowie die Abwägungsgüter durch die Wertungen des Gesetzgebers entsprechend gewichtet. In der Vergangenheit hatten die Datenschutzbeauftragten zudem immer wieder konkre-

entsprechende Zukunftsprognose gesetzlich nicht gefordert waren und sind, Dr. Jan Schilling ist Gewar dieses Verschäftsführer Öffentlilangen schon cher Personennahverkehr in der Vergan(ÖPNV) des Verbandes Deutgenheit nicht scher Verkehrsunternehmen sachgerecht, e. V. (VDV). Foto: BS/VDV da Vorkommnisse zwar möglicherweise te Belege für eine Gefahrenla- auf eine Gefährdungslage hinge angefordert. Die durch das weisen können, fehlende VorVideoüberwachungsverbesse- kommnisse jedoch kein Indiz rungsgesetz vorgenommene ge- für eine Nichtgefährdung darsetzgeberische Nachjustierung stellen. Denn die Tatorte im Umder Abwägungsgesichtspunkte feld der und in den öffentlichen lässt nunmehr hoffen, dass der Verkehrsmitteln sind räumlich Nachweis einer besonderen Ge- unspezifisch und konzentrieren fahrenlage für die Zulässigkeit sich nicht auf einzelne Hotspots. einer Videoüberwachung von Hiermit unterscheiden sich öfden Datenschutzbeauftragten fentliche Verkehrsmittel etwa künftig nicht mehr verlangt wer- von Banken oder Juwelieren, bei denen sich die besondere den wird. Denn davon abgesehen, dass Gefährdung auf den Geldschaleine konkrete Gefahr sowie eine ter und die Auslage fokussiert.

Kameras schaffen sichere öffentliche Räume Modernste Panomera®-Technologie auch in Essen im Einsatz (BS/Sebastian Alt*) In Köln hat Dallmeier nach kurzer Einarbeitungszeit in die Projektanforderungen ein zukunftsweisendes Videobeobachtungssystem zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit realisiert. Durch den Einsatz der patentierten Panomera®-Technologie war es möglich, eine umfassende und dennoch diskrete Videolösung aufzubauen, welche die gestellten Anforderungen nicht nur erfüllt, sondern sogar übertrifft. Dallmeier hat damit ein Zeichen gesetzt und gezeigt, wie eine sinnvolle Videobeobachtung im öffentlichen Raum aussehen kann. Die Stadt Essen profitiert nun ebenfalls vom Konzept des Regensburger Herstellers. liert werden, um den jeweiligen polizeilichen Beobachtungsauftrag optimal erfüllen zu können. Im Vergleich zu konventionellen Planungen mit Single-SensorKameras, bei denen zur Abdeckung größer Areale oftmals Dutzende Geräte benötigt werden, kann die Anzahl der Installationspunkte durch den Einsatz von Panomera® drastisch reduziert werden. Die Essener Polizei wählte einen als Kriminalitätsschwerpunkt charakterisierten Bereich der nördlichen Innenstadt als erstes Einsatzgebiet für die neue Videolösung. “Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist beeinträchtigt, und deswegen haben wir in diesem Bereich des sogenannten Rheinischen

die mit bis zu acht Objektiven ausgestattet sind, ersetzen bis zu 30 Einzelkameras. Die Multifocal-Sensorsysteme bieten der Polizei Aufnahmen mit höchster Detailauflösung in jeder Entfernung.

Absolut datenschutzkonform

Rund um den Rheinischen Platz in Essen und die dortige U-Bahn-Station (Foto) sind Kameras mit der Panomera®-Technologie im Einsatz. Sie ermöglichen das Überblicken großflächiger Areale. Foto: BS/Dallmeier

Platzes die Videobeobachtung installiert”, so ein Vertreter der

Polizei. Die um den Platz herum installierten Kameragehäuse,

Selbstverständlich wurden auch bei der Planung für das Essener System die in Deutschland gesetzlich verankerten hohen Anforderungen an den Schutz personenbezogener Daten in vollem Umfang berücksichtigt. So können bestimmte Bildbereiche von der Kameraerfassung vollständig ausgeblendet oder Gesichter und Kfz-Kennzeichen

Für den ÖPNV bedeutet die Gesetzesänderung, dass die Verkehrsunternehmen künftig wieder ihre ganzheitlichen Sicherheitskonzepte umsetzen können, ohne dass wichtige Bausteine infrage gestellt werden. Neben dem Sicherheitsgewinn sollte sich hieraus auch eine Bürokratieentlastung ergeben, da ineffiziente Streitigkeiten mit Datenschutzbehörden hoffentlich reduziert werden.

ÖPNV-Betreiber nicht alleine lassen Die Verkehrsunternehmen dürfen nicht mit der Gewährleistung der Sicherheit mehr oder weniger allein gelassen werden. Denn das Gewaltmonopol obliegt dem Staat – verbunden mit einer grundgesetzlich begründeten Schutzverpflichtung für seine Bürger. Dieser Verpflichtung muss unabhängig von den Bemühungen der Verkehrsunternehmen nachgekommen werden. Daher sind auch hier personelle, aber auch konzeptionelle Anpassungen an die geänderte Sicherheitslage notwendig. Videoüberwachung ist dabei nur eine, wenn auch zentrale Maßnahme eines umfangreichen Sicherheitskonzeptes für öffentliche Räume.

durch Verpixelung unkenntlich gemacht werden. Das Hauptanliegen des Projektes war es, das Sicherheitsempfinden der Bürger zu stärken und zu dafür zu sorgen, dass insbesondere der Bereich um den dortigen Zugang zur U-Bahn nicht länger als Angstraum wahrgenommen würde. Passive Videoüberwachung hat sich zu diesem Zweck in der Vergangenheit bereits andernorts als unzureichend erwiesen. Mit der durch die DallmeierSysteme ermöglichten aktiven Videobeobachtung gehen nun auch die Ermittlungsbehörden in Essen neue und nachhaltige Wege in der Verbrechensprävention und der Aufklärung von Straftaten. Erste Erfolge, die für mediales Interesse sorgten, waren die Vereitelung eines unmittelbar bevorstehenden Banküberfalls sowie Festnahmen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Rauschmitteln. *Sebastian Alt ist im Marketingbereich der Dallmeier electronic GmbH & Co. KG tätig.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / April 2017

“Wir brauchen jetzt Entscheidungen”

KNAPP

Özdemir (SPD) fordert Koordinierungsstelle “Digitale Verwaltung” im Kanzleramt

IT-Planungsrat setzt Schwerpunkte 2017

(BS) Deutschland ist im neuen EU-Digital-Index hinter anderen Staaten weiter zurückgefallen. Nur 19 Prozent der Bürger nutzten E-Government-Dienste, schreibt die EU-Kommission. Der (BS/gg) In seiner Sitzung am Behörden Spiegel sprach mit Mahmut Özdemir, Bundestagsabgeordneter der SPD und Mitglied im Innenausschuss, was getan werden muss, um die digitale Verwaltung in Deutschland Rande der CeBIT hat der IT-Plavoranzubringen. Das Interview führte Carsten Köppl. nungsrat, erstmals unter dem Behörden Spiegel: Was müsste eine digitale Verwaltung leisten können? Özdemir: Eine digitale Verwaltung bietet unter Einsatz moderner Technik einen Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger bei gleichzeitiger Gewährleistung der Sicherheit. Letztlich müssen wir Onlineportale der Verwaltung so adäquat an den Start bringen, dass wir beispielsweise demnächst einen Personalausweis online beantragen und durch einen sicheren Authentifizierungsweg und einen geeigneten Dienstleister dieses fertige Stück dann sicher dem Berechtigten aushändigen. Die Top-50-Dienstleistungen, die eine Verwaltung anbietet, müssen demnächst auf gesichertem, elektronischem Weg möglich sein. Behörden Spiegel: Nun sind Bund, Länder und Kommunen seit Jahren schon dabei, elektronische Dienstleistungen zu entwickeln, der Durchbruch lässt aber auf sich warten. Was muss dafür getan werden? Özdemir: Das wichtigste ist die Gewährleistung der Sicherheit. Dafür bedarf es einer geeigneten, sicheren Infrastruktur und eines Fokus auf Datenschutz für den Bürger. Und dann muss Interoperabilität gewährleistet werden. Da sprechen wir über Geld: Wir geben jährlich 13 Milliarden Euro für Informationstechnik aus. Wenn wir die räumlichen Verwaltungsprozesse bündeln wollen, um diese Kosten zu senken, muss man zu Beginn kräftig in IT-Strukturen investieren, die aufeinander abgestimmt sind. Behörden Spiegel: Da müsste

“Wenn der Bund möchte, dass die digitale Verwaltung Realität wird, muss er auch einen Milliardenbetrag in die Hand nehmen.” Schlägt ein gemeinsames Institut von Bund und Ländern für Softwareentwicklung vor: Mahmut Özdemir, Bundestagsabgeordneter der SPD. Foto: BS/privat

dann der Bund mehr in die Verantwortung... Özdemir: Genau, das ist meine Meinung. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Zeiten von Beiräten, von Beratungsgremien und Kommissionen vorbei sind. Es ist an der Zeit, dass sich die verantwortlichen Ministerien koordiniert um dieses Thema kümmern. Wenn der Bund möchte, dass die digitale Verwaltung Realität wird, muss er auch einen Milliardenbetrag in die Hand nehmen. Außerdem: Am Ende des Tages müssen es die Verwaltungsmitarbeitenden umsetzen und durchführen, d. h. wir müssen sie mitnehmen. Dazu brauchen wir auch eine entsprechende Gestaltung von Mitbestimmungstatbeständen. Behörden Spiegel: Auf Bundesebene haben wir schon mehrere Ansätze erlebt, z. B. den Ausschuss Digitale Agenda im Parlament. Hat sich der Ausschuss bewährt? Özdemir: Ich bin selber nicht Mitglied dieses Ausschusses. Aber aus meiner Sicht war es ein sinnvolles Gremium, um lange überfällige Debatten ins parlamentarische Leben zu bringen.

Der Ausschuss ist allerdings zerrieben worden, denn “Digitale Agenda” kann alles oder nichts bedeuten. Tatsächlich sind es die verantwortlichen Ministerien, zuvorderst das Bundesministerium des Innern, das im Hinblick auf Datensicherheit, Sicherheit von IT-Netzen und -Strukturen, aber auch im Hinblick auf die Bereitstellung von IT-Lösungen, deutlich stärker in die Verantwortung muss.

Legislaturperiode ein sicherer Zugang zu Verwaltungsdienstleistungen für den Bürger gewährleistet wird. Solche Lösungen müssen jetzt auf dem Weg von Hierarchien gelöst werden.

Behörden Spiegel: Sollte dann Verantwortung für die “Digitale Verwaltung” in den Bundesministerien anders verteilt werden?

Özdemir: Wir müssen im Rahmen geeigneter rechtsverbindlicher Vereinbarungen Vergaben, Beschaffungen und Beschaffungsstrukturen aufeinander abstimmen, damit alle Verwaltungen in Bund, Ländern und Kommunen ohne Datenbrüche, ohne Systembrüche und ohne Inkompatibilitäten miteinander kommunizieren können. Das ist das A und O. Wir brauchen klare Standards. Es kann nicht sein, dass eine Verwaltung ein PDF-Dokument erzeugen kann und die andere wiederum nicht. Solche Unterschiede verzögern den Ablauf. Ganz zu schweigen von den Sicherheitsbehörden, die wegen solcher Inkompatibilitäten nur verzögert Datensätze von Gefährdern austauschen können.

Özdemir: Wir brauchen jetzt Entscheidungen. Daher bin ich der Überzeugung, dass eine Koordinierungsstelle im Kanzleramt dringend notwendig ist. Dies könnte ein Staatssekretär für Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung der Verwaltung sein, der dann die Koordinierung übernimmt, aber nicht als Querschnittsfunktion, sondern die Verantwortlichen tatsächlich an Handlungsempfehlungen bindet, die wir bereits auf dem Tisch liegen haben. Zum Beispiel bei Ende-zu-Ende-Verschlüsselung: Hier müsste dann aus dem Kanzleramt die klare Erwartung kommen, dass in der

Behörden Spiegel: Für die Ausgestaltung der föderalen IT ist eigentlich der IT-Planungsrat zuständig. Wie sollte die föderale IT-Zusammenarbeit in Zukunft geregelt werden?

Behörden Spiegel: Eigentlich sind Standards die Aufgabe des IT-Planungsrates… Özdemir: Die Zeit solcher Gremien, in die man die IT-Fragen abgeschoben hat, ist vorbei. Der IT-Planungsrat muss endlich durch politische Entscheidungen abgelöst werden. Wenn es in der Vergangenheit einen politischen Willen gegeben hätte, dann hätten Bundes- und Landesministerien die getroffenen Entscheidungen unverzüglich umsetzen können. Allerding hatte der Bund bisher keine klaren Vorstellungen: Wo ist die Bundescloud geblieben? Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung? Die höhere Akzeptanz des E-Personalausweises? Hier besteht politischer Handlungsbedarf, der zuvorderst beim BMI angesiedelt ist. Eine kreative Idee wäre, für Verwaltungsdienstleistungen eine verwaltungseigene Softwareentwicklung zu gewährleisten. Wieso gründen Bund und Länder nicht ein Institut, das für die Top-Verwaltungsdienstleistungen interoperable IT-Lösungen selber entwickelt? Auf diese Weise würde die Verwaltung auch ein Stück weit unabhängiger von kommerziellen Anbietern. Behörden Spiegel: Würde das nicht das Geschäftsmodell vieler Unternehmen schädigen? Özdemir: Wenn wir wirklich wollen, dass alle Verwaltungen miteinander digital kommunizieren können, dann ist das eine staatliche Aufgabe. Dann muss der Staat auch die Bedarfe decken und neben kommerziellen auch hauseigne Lösungen vorhalten – schließlich reden wir nicht über Wirtschaftsgüter, sondern hoheitliche Tätigkeiten.

Vorsitz von Brandenburgs ITStaatssekretärin Katrin Lange, seine Arbeitsschwerpunkte für 2017 festgelegt. Übergeordnete Ziele sind die Stärkung der Offenheit und Transparenz des Verwaltungshandelns sowie die bürger- und unternehmesfreundliche Gestaltung elektronischer Zugänge zu Verwaltungsdienstleistungen. In diesem Zusammenhang haben sich Bund und Länder auf Eckpunkte verständigt, um das Koordinierungsprojekt “Portalverbund” effektiv voranzubringen.

Blaupause für die E-Rechnung (BS/lkm) Das Bundesinnenministerium (BMI) und Bremen haben auf der CeBIT ein gemeinsames Architekturkonzept für eine Rechnungseingangsplattform zur föderalen Umsetzung in Deutschland vorgestellt. Das von BMI und Bremen erarbeitete Konzept soll schnellstmöglich umgesetzt und in den Verwaltungen eingesetzt werden; zunächst im Bund und in Bremen, perspektivisch dann auch in den übrigen Bundesländern und Kommunen. Das Architekturkonzept setzt auf bereits bestehende IT-Komponenten auf.

935 Millionen Euro für Glasfaserausbau (BS/lkm) Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), hat Mitte März 165 Förderbescheide aus dem milliardenschweren Bundesprogramm für den Glasfaserausbau in unterversorgten Regionen vergeben. Damit überreicht das BMVI in der dritten Runde rund 935 Millionen Euro Fördermittel an Landkreise und Kommunen.


Organisation & Management

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Behörden Spiegel: Dänemark ist ein europäischer Vorreiter bei der Digitalisierung. Was sind die zentralen Erfolgsfaktoren? Frelle-Petersen: Einer der ganz wesentlichen Erfolgsfaktoren ist sicherlich, dass es uns – also dem Staat – im Jahre 2001 gelungen ist, mit den Kommunen eine Vereinbarung zu schließen, IT-Lösungen in Zukunft gemeinsam zu bauen und auch die Strategien für die zukünftige IT-Infrastruktur der öffentlichen Verwaltung zusammen auf den Weg bringen. Wir haben damals erkannt, dass nicht jede Kommune oder der Staat Insellösungen schaffen kann, sondern wir alle zusammenstehen müssen, damit die digitale Verwaltung Realität werden kann. Eine weitere wichtige Grundlage des Erfolgs unserer digitalen Verwaltung liegt in unserem Umgang mit Daten. Es gab von Anfang an das Verständnis, dass gute Daten notwendig sind, um eine digitale Verwaltung sukzessive zu erschaffen. Wir haben bereits in den 1970erJahren große Register gebaut, etwa mit Einwohner-, Gebäudeund vielen weiteren Daten. All diese Daten sind in großen Registern gespeichert. Die Qualität der Daten ist sehr gut. Daher werden sie nicht nur von der öffentlichen Verwaltung genutzt, sondern auch von privaten Unternehmen, sofern es sich nicht um Personendaten handelt und die Unternehmen das Recht haben, diese Daten zu verwenden. Ein drittes bedeutendes Element ist, dass die Bürger in Dänemark ein generelles Vertrauen in die öffentliche Verwaltung haben. Für uns war es daher wichtig, dieses Grundvertrauen von der analogen in die digitale Verwaltung zu transferieren. Dass es dieses Vertrauen gibt, speziell auch im Umgang mit Daten, macht es uns in Dänemark sicherlich um vieles leichter als den Verantwortlichen in Deutschland. Behörden Spiegel: Die Nutzung der digitalen Signatur – der NemID – ist zentral für den Erfolg des dänischen E-Governments. Wie haben sie es geschafft, dass so viele Bürger diese eID nutzen? Frelle-Petersen: Wir haben in Dänemark in den vergangenen 15 Jahren eine Entwicklung vollzogen, die anfangs Parallelen zur Diskussion in Deutschland aufwies. Die digitale Signatur in Deutschland ist bislang unheimlich sicher, aber sehr kompliziert und hat dementsprechend auch nur wenige Nutzer. Uns ging es mit der ersten Generation der digitalen Signatur in Dänemark im Jahre 2001 ähnlich. Diese war ebenfalls sehr sicher und kompliziert, wurde wenig genutzt und folglich gab es nur sehr wenige Angebote der Behörden. Daraus haben wir unsere Lehren gezogen. 2007/2008 haben wir entschieden, die nächste Generation der digitalen Signatur so zu gestalten, dass sie nicht nur bei Behördenkontakten verwendet werden kann, denn sonst hätte es nie die Zustimmung der Bürger in Dänemark gefunden. Es ist uns seinerzeit gelungen, mit den Banken einen Vertrag zu schließen und eine gemeinsame Lösung auf den Weg zu bringen. Dies war für die Akzeptanz sehr entscheidend, da die Bürger ja wesentlich mehr Kontakte zu ihrer Bank als zu Behörden haben. Zudem haben wir statt der Sicherheit die Nutzerfreundlichkeit in den Vordergrund gestellt. Das Credo war damals, wenn es sicher und gut genug ist für die Banken, ist es auch sicher und gut genug für uns. Ich weiß nicht, ob man dies in Deutschland genauso sehen würde.

Behörden Spiegel / April 2017

Digital by default Positive Erfahrungen mit obligatorischem E-Government in Dänemark (BS) Während die E-Government-Community lange Jahre nach Österreich oder Estland blickte, wenn es darum ging, Vorbilder für eine Digitalisierung von Staat und Verwaltung zu finden, gerät in letzter Zeit Dänemark zunehmend in den Fokus. Unser nördlicher Nachbar – diesjähriges Partnerland des Kongresses Digitaler Staat im Mai – hat hier in den vergangenen Jahren wesentliche Weichenstellungen vorgenommen, die der digitalen Verwaltung dort zum Durchbruch verholfen haben. Maßgeblich verantwortlich für diesen Prozess ist die im Finanzministerium des Königreiches angesiedelte Digitalisierungsbehörde. Der Behörden Spiegel sprach mit deren Generaldirektor Lars Frelle-Petersen. Das Interview führte Guido Gehrt.

“Vielleicht kann man in Deutschland von Dänemark lernen, weniger komplizierte Lösungen zu bauen, pragmatischer zu sein und einfach mehr zu versuchen.” Lars Frelle-Petersen, hier im Gespräch mit Guido Gehrt, ist Generaldirektor der 2011 eingerichteten, 225 Mitarbeiter starken Digitalisierungsbehörde im Finanzministerium des Königreiches Dänemark. Er spricht auch am 9. Mai in Berlin auf dem Kongress Digitaler Staat. Foto: BS/lkm

Dieser Pragmatismus ist jedoch entscheidend dafür, dass uns die Verbreitung der digitalen Signatur gelungen ist. Sie wird heute von den Bürgern beinahe täglich genutzt. Zudem nutzen mehr als 400 Privatunternehmen die digitale Signatur für die Interaktion mit dem Kunden. Dies geht sogar so weit, dass man Friseurtermine mit der Signatur vereinbaren kann. Behörden Spiegel: Was bedeutet Nutzerfreundlichkeit in diesem Zusammenhang? Frelle-Petersen: Wir wollten die digitale Signatur nicht auf Hardware packen, um nicht zu hohe Anforderungen an deren Nutzung zu stellen. Deswegen haben wir uns 2008 für eine simple Pappkarte entschieden. Man braucht keine zusätzliche Hardware und auch keine Software zu installieren, um diese zu nutzen. Diese Einfachheit der Lösung ist ein großer Teil des Erfolgs. Ein weiterer ist die Kommunikation. Wir haben im ganzen Rollout-Prozess 7.000 Multiplikatoren ausgebildet, die den Mitarbeitern den Umgang mit der NemID erklärt haben, damit diese wiederum auch die Kunden in den Bürgerservices entsprechend beraten und diesen weiterhelfen können. Das große Engagement der Kommunen war hier ein ganz wesentlicher Faktor für den Erfolg der NemID. Entscheidend war dabei auch, dass wir die digitale Signatur seitens der öffentlichen Verwaltung gemeinsam erschaffen und auch finanziert haben. Wir haben ein Prinzip bei den öffentlichen Gebietskörperschaften in Dänemark, nach dem wir Infrastruktur gemeinsam finanzieren: 40 Prozent Staat, 40 Prozent Kommunen, 20 Prozent Regionen. Die NemID ist somit kein Projekt des Staates, sondern aller Behörden in Dänemark. Behörden Spiegel: Die Kommunikation von Bürgern und Verwaltung findet mittlerweile nahezu ausschließlich digital statt. Nicht zuletzt, weil der digitale Kanal oftmals obligatorisch ist. Warum ist man diesen Weg der Verpflichtung gegangen? Frelle-Petersen: Für die 2001 eingeführte erste Generation der digitalen Signatur gab es, wie beschrieben, kaum Kunden. Noch bis zum Jahr 2010 konnten wir sehen, dass die Akzeptanz der Angebote stagnierte. Dementsprechend hatten die Behörden auch kein Interesse daran, in ihr digitales Angebot zu investieren, um dieses zu verbessern. Wir haben aber an das Kun-

denpotenzial geglaubt und uns deshalb dazu entschlossen, die Nutzung obligatorisch zu machen. Zwischen 2012 und 2015 wurden die entsprechenden Gesetze verabschiedet. Durch diesen Schritt zu digital by default bekam der digitale Kanal nun in den Behörden oberste Priorität, mit der Folge, dass auch deren Angebote besser wurden. Behörden Spiegel: Wie war Reaktion der Bürger auf die Nutzungsverpflichtung? Frelle-Petersen: Damals dachten wir, über 20 Prozent der Bürger würden die digitalen Angebote nicht akzeptieren und nutzen, darunter vornehmlich die älteren Bürger. Wir dachten somit, dass dies ein Übergangsproblem sei. Mittlerweile haben wir festgestellt, dass fast 90 Prozent die digitalen Angebote nutzen und nur zehn Prozent nicht. Diese werden nach wie vor analog betreut. Einige Services kann man aber – zumindest bislang – nicht digitalisieren, etwa die Abholung des Ausweises oder des Kfz-Kennzeichens. Behörden Spiegel: Also kein großer Aufschrei in der Bevölkerung? Frelle-Petersen: Nein. Die ersten Schritte in Richtung einer verpflichtenden Nutzung haben wir bereits 2005 gemacht. Damals wurden die Unternehmen verpflichtet, den Behörden fortan nur noch E-Rechnungen zu stellen. Dies gab seinerzeit einen Aufschrei. Zumal es eingangs, in den ersten vier Monaten, auch nicht richtig funktioniert hat. Dann wurde es jedoch sukzessive besser und heute ist die ERechnung nicht nur im Verhältnis zu den Behörden, sondern auch im Wirtschaftsverkehr in Dänemark Standard. Im gleichen Jahr haben wir auch die Bargeldauszahlung der Behörden an die Bürger abgeschafft und das Geld nur noch elektronisch auf deren Konten überwiesen. Dies hat für die Bürger sehr gut funktioniert und bei den Behörden zu großen Einsparungen geführt. Vor dem Hintergrund dieser positiven Erfahrungen war der Aufschrei nicht sehr groß, als wir 2011 unsere Planungen bekannt gegeben haben. Wir haben zudem mit den “low-hanging-Fruits” begonnen, etwa mit der Schulanmeldung. Die Verfahren, die sich vornehmlich an ältere Menschen richten, haben wir ans Ende gestellt. Gleichzeitig haben wir eine große Kampagne lanciert und eine Vereinbarung mit den Interessenverbänden für ältere

Menschen abgeschlossen. Diese waren sehr daran interessiert, Kurse für Ältere anzubieten. Zwischen 2011 und 2015 haben entsprechend über 200.000 Menschen über 70 einen solchen Kurs absolviert. Am 1. November 2014 wurde das digitale Postfach in Dänemark verpflichtend eingeführt. Als wir es im September zuvor gemessen haben, waren 97 Prozent der Menschen über 70 genau darüber informiert. Auch bei Menschen mit Behinderung haben wir Probleme erwartet und sogar daran gedacht, diese generell von der Verpflichtung anzunehmen. Aber als wir den Dialog mit den Interessenverbänden für Menschen mit Behinderung aufgenommen haben, gab es von diesen sehr viel Unterstützung für die Digitalisierung der Verfahren, zumal diese barrierefrei ausgestaltet sind und somit über entsprechende Tools genutzt werden können. Je nach Grad der Behinderung gibt es aber natürlich auch die Möglichkeit, sich von der Verpflichtung entbinden zu lassen. Diese Opt-out-Möglichkeit gibt es grundsätzlich für alle Bürger. Behörden Spiegel: Die digitale Signatur soll in den kommenden Jahren erneuert werden. Wie gehen sie dabei vor? Frelle-Petersen: Wir entwickeln zurzeit in enger Partnerschaft mit den Banken die dritte Generation. Hierzu haben wir im vergangenen Sommer einen Vertrag mit allen in Dänemark vertretenen Banken geschlossen. Die Entwicklung selbst wird durch ein privates Unternehmen geleistet. Die Kosten teilen sich die öffentliche Verwaltung und die Banken 50:50. Gesteuert wird der gesamte Prozess durch ein Lenkungsgremium, dessen Vorsitz zwischen meiner Behörde und den Banken halbjährlich wechselt. Die entsprechende Projektgruppe ist ebenfalls in meinem Hause angesiedelt. Wichtig ist, dass auch alle anderen privaten Unternehmen diese Infrastruktur – gegen Bezahlung – nutzen können. Wir wollen dadurch jedoch nichts verdienen, sondern diese Infrastruktur weiter vorantreiben und möglichst breit zur Verfügung stellen. Der Rollout dieser eIDAS-konformen Lösung ist für Ende 2019/Anfang 2020 geplant. Behörden Spiegel: Welche nächsten Schritte im Bereich der Digitalisierung der Verwaltung nehmen Sie sich vor? Frelle-Petersen: Wir wollen viele unserer Services automa-

tisieren, um diese den Bürgern in Realtime anbieten zu können. Hierfür sind zahlreiche gesetzliche Änderungen notwendig. Von dieser Automatisierung erwarten wir uns große Ersparnisse sowie einen noch besseren Service für unsere Bürger und Unternehmen. Ein wichtiges Thema der nächsten Zeit ist digitale Bildung. Wir wollen bis 2019 eine neue Generation unserer E-Learning-Plattform auf den Weg bringen, an die sich die Kommunen und somit alle Schulen in Dänemark anbinden können. Der Staat unterstützt die Kommunen zudem bei der Beschaffung von digitalen Lehrmitteln, indem er bis zu 50 Prozent der Beschaffungskosten übernimmt. Diese Entwicklung wollen wir durch das neue Portal noch weiter beschleunigen und auch Unternehmen animieren, sich im Bereich der digitalen Bildung für unsere Schulen stärker zu engagieren. Behörden Spiegel: Das Rückgrat der Digitalisierung ist Breitband. Wie sieht es mit der flächendeckenden Versorgung in Dänemark aus? Frelle-Petersen: Wir sind zwar beim Breitbandausbau schon sehr weit vorangeschritten, doch speziell im ländlichen Raum ist dies immer noch ein Thema. Hier wird die Entwicklung allerdings im Grunde nicht von unserer Digitalisierung vorangetrieben, sondern vom Wunsch, Fernsehen zu schauen. Man könnte überspitzt sagen, Netflix ist der größte Treiber des Breitbandausbaus in Dänemark. Das Angebot ist bei uns ungemein populär. Bei der Nutzung liegen wir weltweit in der Spitzengruppe. Nichtsdestotrotz ist es unser staatliches Ziel, bis 2020 Bürgern und Unternehmen flächendeckend 100 MBit/s anbieten zu können. Hier sind wir auf einem sehr guten Weg. Behörden Spiegel: Wo, glauben sie, kann Deutschland von Dänemark lernen? Frelle-Petersen: Vielleicht kann man in Deutschland von Dänemark lernen, weniger komplizierte Lösungen zu bauen, pragmatischer zu sein und einfach mehr zu versuchen. Vielleicht kommt einem der Bürger dann auch entgegen. Das ist jedenfalls die Erfahrung, die wir in Dänemark gemacht haben. Wir brauchen Deutschland, damit wir zum Beispiel einen starken digitalen Binnenmarkt schaffen können. Wir brauchen die deutschen Unternehmen in diesem Bereich. Hier sehe ich bislang bei der Digitalisierung

eine große Kluft zwischen der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung in Deutschland. Gerade im Dialog mit Google, Microsoft und anderen großen Unternehmen der Branche ist es für Europa wichtig, gemeinsam aufzutreten, auch im weltweiten Wettbewerb mit Asien. Wir müssen zusammenstehen und neue digitale Entwicklungen beschleunigen. Hierzu brauchen wir gemeinsame europäische Standards und eine Gesetzgebung, die diese Entwicklung vorantreibt. Behörden Spiegel: Sie haben den Dialog mit Google & Co. angesprochen. In Dänemark soll es hierfür zukünftig im Außenministerium den Posten eines Botschafters für Digitalisierung geben. Wie ist hier der aktuelle Stand? Frelle-Petersen: Zurzeit ist die Stelle noch nicht besetzt. Das Bewerbungsverfahren lief bis Ende März. Geplant ist, die Stelle bis Juni zu besetzen. Der Hintergrund ist, dass wir die Zusammenarbeit mit großen privaten Unternehmen wie Google, Microsoft, Amazon zukünftig weiter verbessern wollen, da deren Entscheidungen mitunter von größter Bedeutung für unser Land bzw. unser Handeln im Zuge der Digitalisierung sind. Wir brauchen daher eine Person, die Dänemark repräsentiert und mit diesen großen Unternehmen in den Dialog tritt, sowohl um sie für mehr Engagement im Lande zu gewinnen als auch um Kritik zum Ausdruck zu bringen. Wie diese Funktion konkret ausgestaltet wird, werden wir noch sehen. Wir stehen ja noch ganz am Anfang. Sicherlich wird dieser Botschafter aber auch ein wichtiger Ansprechpartner für mich werden. Behörden Spiegel: Insbesondere zu Wahlkampfzeiten taucht in Deutschland immer wieder die Forderung nach einem Digitalisierungsministerium auf. Kennen Sie diese Diskussion in Dänemark auch? Frelle-Petersen: Ja, diese Forderung gibt es auch bei uns regelmäßig. Sie klingt vordergründig gut, wird aber in der Praxis nicht funktionieren. Eine solche Forderung verkennt, dass Digitalisierung nicht nur mit Technik verbunden ist, sondern mit Wandel. Die Macht, diesen Wandel voranzutreiben, hat in Dänemark und in den meisten europäischen Ländern der Finanzminister, denn es geht um Geld und den Willen zu Veränderung. Dies muss man – griffig formuliert – in dem Ministerium ansiedeln, welches die größte Peitsche hat. Ich denke, wenn man in Dänemark nicht 2001 die Entscheidung gefällt hätte, zunächst die Task Force und später die Digitalisierungsbehörde im Finanzministerium zu verorten, wäre keines der Projekte, über die wir gesprochen haben, gelungen. Bei uns war von vornherein klar, dass wir die Digitalisierung nutzen wollen, um mehr Effizienz in die öffentliche Verwaltung zu bringen und Geld einzusparen. Da war es nur logisch, diese Institution beim Finanzminister anzudocken. Aber natürlich sind derzeit alle Ministerien mit der Digitalisierung beschäftigt, vom Wirtschaftsministerium, wenn es um Industrie 4.0 geht, bis hin zum Außenministerium mit dem zukünftigen Botschafter für Digitalisierung. Ich finde diese Entwicklung in den verschiedenen Ministerien überaus positiv, weil dadurch die Bewegung insgesamt breiter und durchschlagskräftiger wird. Dies könnte die Digitalisierungsbehörde mit ihren 225 Mitarbeitern alleine gar nicht stemmen.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / April 2017

W

ulff war seit 2009 Geschäftsführerin von Vitako, der Bundes-Arbeitsgemeinschaft der IT-Dienstleister e. V. Davor arbeitete die promovierte Politologin 19 Jahre für die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGST). Zuletzt als Leiterin der Programmbereiche Informations- und Organisationsmanagement. Ihr Nachfolger als Geschäftsführer bei Vitako wird Dr. Ralf Resch. Nach dem Studium der Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz und Stationen im Nahverkehr in Leipzig und Berlin vertrat er drei Jahre die Interessen der öffentlichen Arbeitgeber und der Daseinsvorsorge in Brüssel als Generalsekretär der CEEP (Europäischer Verband der Europäischen Arbeitgeber der Öffentlichen Unternehmen). Zuletzt verantwortete er das Marketing und die Public Affairs bei einem IT-Systemhersteller für den Nahverkehr. Resch gilt als exzellenten Kenner der Berliner Szene, hat kommunale Erfahrungen und tritt nun in die großen Fußstapfen seiner Vorgängerin. Bei einer Abschiedsveranstaltung für Dr.

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Marianne Wulff wechselt zu Dataport Ralf Resch tritt ihre Nachfolge als Vitako-Geschäftsführer an (BS/rup) Dr. Marianne Wulff ist zum 1. April zum norddeutschen IT-Dienstleister Dataport gewechselt. Die E-Government-Expertin wird dort fortan den Digitalisierungsprozess verantwortlich unterstützen, wohl aber auch als Ansprechpartnerin des großen IT-Dienstleisters in Berlin fungieren. Wulff, die Mitte März im Roten Rathaus in Berlin stattfand, gab es viel Lob und eine launige Laudatio von Matthias Kammer, jetzt Direktor des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI), früher Dataport-Chef. Mit einer Revue der Themen des letzten Jahrzehntes porträtierte Kammer die bescheidene Herangehensweise an das Thema Kommunale IT, aber gleichzeitig deren rasante Entwicklung und großen Herausforderungen heutzutage. 2003 habe man sich mit dem Thema “Nicht die Homepage ist E-Government, sondern Technik imitierte Verwaltungsaufgaben” beschäftigt. 2004 folgte das Thema “Hart auf die Füße stellen” da ging es dann schon um IT-Strukturen. 2005 sei das Thema “www.gehtsonoch verwaltung.de” auf die Tagesordnung gekommen. 2007 habe man sich dann mit Geodaten,

Dr. Marianne Wulff und ihr Nachfolger als Geschäftsführer von Vitako, Dr. Ralf Resch; im Hintergrund (von links) die Vitako-Vorstände William Schmitt (KIVBF), Reinhold Harnisch (krz) und Bernd Landgraf (ITEBO) Foto: BS/Vitako

später dann mit Open Data und noch später mit Social Media beschäftigt. Dr. Marianne Wulff stellte während der Verabschiedung vier Thesen auf: Verwaltung 4.0 werde häufig

als Disruption, als Transformation und digitale Revolution begriffen. Mit diesen Worten seien Ängste verbunden, besonders bei den Mitarbeitern in der kommunalen Verwaltung, diese

Bilder strahlten nicht. Wulff plädierte dafür, schöne Bilder der Digitalisierung zu malen, Ängste zu nehmen und die Vorteile des digitalen Arbeitens auch im Sinne von Entlastung und mehr Freiheit zu begreifen. Veränderungen müssten sein, aber die Mitarbeiter müssten mitgenommen werden. Vernetzung sei heute ein alles entscheidendes Thema. Die kommunale Netz-Community funktioniere und müsse weiter ausgebaut werden. Einige Kompetenzen müssten und könnten an Maschinen abgegeben werden, dafür müsse Verständnis und Akzeptanz geschaffen werden. Der Konflikt zwischen den beiden Lagern, einerseits fehlertolerante Verwaltung, andererseits rechtssichere Verwaltung, müsse austariert sein. Natürlich müsse eine fehlerfreie Verwaltung existieren, Bürger und

Unternehmen müssten sich auf eineindeutige Bescheide verlassen können. Doch Mischformen und Experimentierräume seien notwendig, um die Digitalisierung, die unumgänglich sei, voranzutreiben. Beide Ansichten müssten miteinander versöhnt werden und dies könne auch gelingen. Ein Chancenmanagement müsse den Digitalisierungsprozess begleiten. Akzeptanz sei ein schlechtes Wort in diesem Zusammenhang, meinte Dr. Wulff. Besser sei es, von Chancen auch für einzelne Mitarbeiter zu reden. Die Vorbildfunktion der Leitungskräfte werde dabei vorausgesetzt. “Inkubatoren” müssten ins Haus geholt werden, die Bereitschaft zu Experimenten steigen, gleichzeitig aber müsse der Respekt für die ganz klassische Verwaltung , die ihren Dienst so versehen wolle wie bisher, weiterhin existieren. Innerhalb der kommunalen Gemeinde müsse nach den besten Lösungen Ausschau gehalten werden: “Klauen lohnt sich. Schauen wir doch, wer es besser machen kann, lernen davon und machen es nach”, so Wulff. Ihr letzter Satz war dann: “Digital bleibt, digital geht nicht mehr weg!”

Innovations-Plattform meinlinz.at Studie evaluiert modernen Ansatz der Bürger-Partizipation (BS/Mag. Dr. Jürgen Tröbinger/Prof. Dr. Dennis Hilgers) Auf neue Formen der Beteiligung setzt seit einiger Zeit die oberösterreichische Landeshauptstadt Linz. Auf der Web-Plattform www.meinlinz.at werden regelmäßig Vorschläge zu den wichtigsten Zukunftsthemen des urbanen Raums öffentlich generiert und diskutiert. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt des Magistrats-Geschäftsbereichs Kommunikation und Marketing der Stadt Linz vom Institut für Public und Nonprofit Management der Johannes Kepler Universität. Die Ergebnisse einer ersten Studie zeigen die hohe Akzeptanz und Identifikation mit dem neuen Ansatz.

D

ie Zustimmung des Linzer Gemeinderats gab Ende 2014 den Startschuss für die Einführung der neuen Art der Bürger-Partizipation. Damit reagierten die politisch Verantwortlichen der Stadt auf das geänderte Kommunikationsverhalten der Gesellschaft und neue IT-gestützte Möglichkeiten des Informationsaustausches. Hinter dem Beschluss stand auch das Bekenntnis des Gemeinderates zu einer verstärkten Einbindung der in Linz lebenden Menschen bei Entscheidungsprozessen über die bereits bestehenden, “analogen” Möglichkeiten, wie etwa Volksbefragungen, hinaus. Design und Handling des Online-Tools sind übersichtlich und intuitiv. Nutzer können sich unter Angabe weniger Pflichtdaten registrieren. Nach Erhalt einer Bestätigungsmail haben

sie sofort die Möglichkeit, Ideenprozess zum Thema ihre Ideen und Kommen“Freiräume” in der Stadt. tare direkt zu posten – Diesmal beteiligten sich rund um die Uhr. Um die in dem ebenfalls zwei eigenen Standpunkte Monate laufenden Onbesser zu verdeutlichen, line-Dialog bereits 1.100 können neben dem TextInteressierte mit 230 Posting auch FotomateVorschlägen. Die Ergebrial, Dateien hochgelanisse der beiden Runden den und Links etwa auf sind in AbschlussberichVideos, wie Youtube, geten zusammengefasst, setzt werden. Die Plattdie veröffentlicht und der form ist in Responsive Stadtpolitik als zusätzliWebdesign umgesetzt, che Entscheidungshilfen das heißt, es besteht eine Weitere Ergebnisse der Studie zu meinlinz.at wird Lisa übergeben wurden. optimierte Darstellung Schmidthuber, Johannes Kepler Universität Linz, am Die breite mediale Befür mobile Endgeräte wie 10. Mai auf dem Verwaltungskongress Digitaler Staat richterstattung machte Smartphone und Tablet. in Berlin vorstellen. Grafik: BS/Landeshauptstadt Linz schließlich das Institut “Mein Linz” steht auch für Public und Nonproohne Registrierung offen. Alle es um die Entwicklung des Ha- fit Management auf die neue Inhalte können von Besuchern fenviertels, das in den kommen- Partizipationsmöglichkeit der aktuell eingesehen und Diskus- den Jahren wiederbelebt werden Stadt Linz aufmerksam. Die Zusionen mitverfolgt werden. soll. Innerhalb der zweimona- sammenarbeit zwischen Stadt Bisher wurden zwei Zukunfts- tigen Live-Phase brachten 780 und Universität mündete in eithemen über “Mein Linz” zur Dis- User insgesamt 140 Ideen ein. ner Studie, bei der nach Enkussion gestellt: Mitte 2015 ging Mitte 2016 startete der Online- de der zweiten Ideenrunde im

September vergangenen Jahres insgesamt 1.168 auf der Ideenplattform registrierte User eingeladen wurden. Dabei ging es um die Beweggründe für die Beteiligung, die Zufriedenheit mit der Plattform und die zukünftige Teilnahmebereitschaft. Die Ergebnisse zeigen, dass den Usern die Teilnahme an der Ideenplattform Spaß und Freude macht, sie die Möglichkeit der Teilnahme an sich schätzen und eine Beteiligung am Ideengenerierungsprozess als wichtig empfinden. Die Vorteile des Mitmachens sehen die User vor allem im Austausch von Ideen mit anderen sowie in der Beteiligung an der Entscheidungsfindung. Nachteilig werden unsachliche Ideen von anderen Usern empfunden. Nichtsdestotrotz überwiegen die Vorteile der Beteiligung bei Weitem. Die Mehrheit der Befragten gibt auch an, bei einer nächsten

Runde des Ideenwettbewerbs wieder mitmachen zu wollen. Die Auswertung der Umfrageergebnisse zeigte des Weiteren, dass die Ideenplattform von einer sehr breiten Bevölkerungsschicht genutzt wird. Weder Alter noch Bildungsstand scheinen ein signifikanter Faktor für die Teilnahme zu sein. Auffällig ist jedoch, dass der Großteil der Befragten seit mindestens zehn Jahren in Linz lebt und angibt, auch in den nächsten Jahren dort bleiben zu wollen. *Mag. Dr. Jürgen Tröbinger ist Leiter für Kommunikation und Marketing des Magistrats der Landeshauptstadt Linz. Prof. Dr. Dennis Hilgers ist Vorstand des Instituts für Public und Nonprofit Management an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz.

11. Juli 2017 in Stuttgart

Baden-Württemberg 4.0 Der Staat als Treiber digitaler Innovationen

Der neue Kongress wird die Erarbeitung und Umsetzung der Digitalisierungsstrategie digital@bw fortan begleiten und zusätzliche Impulse setzen – natürlich insbesondere mit dem Fokus auf die öffentliche Verwaltung und die digitale Transformation in den Behörden des Landes und der Kommunen. Schirmherr:

Referenten u.a.: Thomas Strobl, Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg

Eine Veranstaltung des

Stefan Krebs, CIO/CDO des Landes Baden-Württemberg

››› www.bw-4-0.de ‹‹‹

Gunter Czisch, Oberbürgermeister der Stadt Ulm

in Zusammenarbeit mit


Informationstechnologie

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Behörden Spiegel / April 2017

I

m Wahlkampf um den Brexit sowie um das Weiße Haus wurden zahlreiche Roboter zur Meinungsmache, sogenannte Social Bots, eingesetzt. Social Bots sind Programme, die nach der Programmierung z. B. selbstständig und enorm schnell in Sozialen Netzwerken zustimmende oder ablehnende Kommentare erzeugen können. Dabei ist es auf den ersten Blick schwer zu erkennen, ob Kommentare von einem Menschen oder einer Maschine stammen. Durch die Masse an Nachrichten, die die Bots innerhalb kürzester Zeit absetzen können, kann der Eindruck entstehen, dass in der Bevölkerung ein bestimmtes Thema enorm wichtig ist und/oder eine bestimmte Meinung vorherrscht. Kritisch hierbei ist, dass der Meinungsbildungsprozess jedes einzelnen – aber auch für politische Handlungsfelder – verfälscht werden kann.

Fake News sind ein Problem des Internets Schon immer versuchten Politik und Wirtschaft die öffentliche Meinung durch ihre Themensetzung zu überzeugen. Auch im Wahlkampf werden Aussagen überspitzt oder Inhalte unterschiedlich interpretiert – positiv bei der eigenen Position, negativ bei der gegenteiligen. Von Fake News, also Falschmeldungen, ist das allerdings weit entfernt. Nicht jede unpassende oder fragwür-

Gesucht Wahrheit in Zeiten von Fake News und Social Bots (BS/Sabrina Dietrich*) Es ist Wahlkampfzeit und nie zuvor gab es so viele Diskussionen über den Einfluss und die Möglichkeiten von Medien und Technologien bei Wahlen. Vor allem die Möglichkeit zu gezielten Manipulationen durch sogenannte Fake News und Social Bots verunsichert Deutschland vor den anstehenden Bundestagswahlen. Was also tun? Müssen Gesetze her, um vor Fake News zu schützen oder liegt es in der Hand der Internetnutzenden? dige Aussage ist gleich eine Lüge oder bewusste Täuschung. Dennoch sind mit dem Internet, hier vor allem durch Soziale Medien, bisher ungeahnte Beteiligungs- und Verbreitungsmöglichkeiten hinzugekommen. Jeder kann Fake News produzieren und streuen, die bewussten Lügen können sich rasend schnell verbreiten und Wirkung entfalten – vor allem wenn z. B. Social Bots zu ihrer Verbreitung und Bekräftigung eingesetzt werden. Fake News sind somit in ihrer Dynamik vor allem ein Problem des Internets.

Du bist, was du teilst Dabei sind die Fake-News-Produzierenden, die bewusst fehlinformieren und verunsichern wollen, nur eine Hälfte des Problems. Fake News müssen auch auf eine Leserschaft treffen, die darauf hereinfällt und sie weiterverbreitet. Die Gründe für

eine entsprechende Anfälligkeit sind vielfältig. Soziale Medien sind eben immer sozial, das bedeutet, dass es auch um Identität geht, um Selbstdarstellung. Wenn Fake News im Kern nicht völlig absurd sind, kann es für die Glaubwürdigkeit schon ausreichen, wenn sie von einer Person geteilt wurden, die der Lesende als vertrauenswürdig einstuft: “Also, wenn Person XY das geteilt hat, dann muss das stimmen. Die kennt sich aus”. Oder wenn die Information zum eigenen subjektiven Weltbild passt: “Ich habe doch schon immer gesagt, dass Person XY ein Schuft ist”. Durch das Fehlen alter Vertrauensanker in Zeiten der Informationsflut können diese Dinge bereits ausreichen, um fragwürdige und denunzierende Informationen kaum kritisch zu hinterfragen und schnell weiterzuverbreiten. Was bei Sozialen Medien noch begünstigend hinzukommt,

ist die Geschwindigkeit. Behauptungen können innerhalb kürzester Zeit tausendfach geteilt werden. Wenn sich diese Informationen dann aber als unwahr herausstellen, erreicht diese Meldung kaum noch einen Bruchteil derer, die die Behauptung teilten. Die Geschwindigkeit bewirkt nicht nur ein schnelles Streuen, sondern auch das schnelle Abebben. Wenige Tage später ist eine Richtigstellung also auch deshalb uninteressant, weil in der Zeitrechnung Sozialer Medien die Behauptung bereits zu weit in der Vergangenheit liegt.

Fake News? Ohne uns! Fake News und Social Bots und der damit einhergehende Versuch der manipulierten Meinungsbildung erscheint gerade im Jahr der Bundestagswahl als große Bedrohung. Manche sehen gar die Demokratie in Gefahr. Was kann uns

also retten? Fakt ist: Soziale Medien sind kein rechtsfreier Raum! Alle Internetnutzenden müssen dementsprechend handeln. Die Politik steht vor der Herausforderung, bestehende rechtsstaatliche Regelungen zu prüfen und entsprechend der Dynamik des Internets anzupassen. Die staatliche Verantwortung liegt ebenso in der Bildung und Aufklärung der Bevölkerung. Zum Bildungsauftrag der Schule gehört es, junge Menschen auf das Leben in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts vorzubereiten. Die jährliche Erhebung des D21-Digital-Index zeigt aber, dass die deutsche Gesellschaft immer nur gerade so mit den Anforderungen mithalten kann, die ein digitalisierter Alltag mit sich bringt. Und die auftretenden Probleme mit Fake News und Social Bots sind nur eine Symptomatik der mangelnden Digitalkompetenz

in Deutschland. Schulbildung, aber auch die Aus- und Weiterbildung Erwachsener muss dringend gegensteuern. Dafür muss der Staat die nötigen Rahmenbedingungen schaffen: Eine zukunftsfähige technische Infrastruktur, entsprechend ausgebildete Lehrkräfte und eine im Lehrplan verankerte digitale Bildung, die Inhalte, aber auch Praxis vermittelt. Darüber hinaus müssen sich nun aber auch alle Internetnutzenden antrainieren, bei Informationen nicht gleich unüberlegt weiterzuverbreiten, sondern gesunde Skepsis walten zu lassen und kritisches Quellenstudium zu betreiben, so wie sie lernen mussten, nicht auf unbekannte Downloadlinks zu klicken. Unterstützung könnten bald auch technische Mittel bieten. So wird bereits vielfältig daran gearbeitet, Informationen automatisch und softwaregestützt zu verifizieren und so Fake News leichter erkennbar zu machen. Am Ende ist es also ein Zusammenspiel aus gesetzlichen Rahmenbedingungen und umfassenden Digitalkompetenzen mit Hilfestellung technischer Möglichkeiten. Dennoch: Beim eigenen Umgang mit Informationen kann bereits ab sofort der Kampf gegen Fake News stattfinden: Nicht alles sofort glauben, nicht alles sofort teilen! *Sabrina Dietrich leitet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Initiative D21.

Der Behörden Spiegel ist Medienpartner der Initiative D21.

Event statt Messe – Sommer statt Frühling

Erste Erfolge sichtbar

Deutsche Messe mit neuem Konzept für die CeBIT 2018

Staatssekretär Matthias Machnig zur Trusted Cloud

(BS/rup/gg) Oliver Frese, Vorstand des CeBIT-Veranstalters Deutsche Messe AG, kündigte noch mitten während der laufenden Messe in Hannover “die größte Veränderung der CeBIT seit 1986” an. So wird die CeBIT ab dem kommenden Jahr nicht mehr im März, sondern im Juni stattfinden. Termin für 2018 ist 11.–15. Juni. Auch das Messekonzept wird sich grundlegend verändern.

(BS) Auf der CeBIT wurden im Rahmen des Trusted-Cloud-Forums zahlreiche Praxisbeispiele zum Einsatz von Cloud-Lösungen präsentiert. Der Behörden Spiegel nahm dies zum Anlass, um mit Staatssekretär Matthias Machnig aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) über das Label Trusted Cloud und die damit verbundenen Aktivitäten zu sprechen. Die Fragen stellte Guido Gehrt.

Herz der neuen CeBIT soll das einer Messe zukünftig ein Tech- auch die Messeanteile aus WisFreigelände am Expo-Holz- nologieevent anzubieten. Die senschaft & Forschung, könndach werden, wo ein zentraler Motivation liegt vielmehr darin ten zusammen mit Politik und “d!campus” eingerichtet wird. begründet, dass Informations- Behörden Denkansätze liefern: Rund um diesen sollen in den technologie an sich kein Grund Society 5.0 (Vorschlag des jaHallen die drei zukünftigen Ele- mehr für eine Ausstellung ist. panischen Ministerpräsidenten mente “d!economy”, “d!tec” und IT ist längst Mittel zum Zweck, Aber bei der CeBIT-Eröffnung). “d!talk” platziert werden. Der ers- nicht Selbstzweck und Faszi- Demografie, Migration, digitale te Tag soll zukünftig (nur presse- nation. Mehr und mehr verab- Arbeit und Ausbildung, indiviöffentlich) den Fokus auf den schiedeten sich IT-Aussteller duelle und staatliche SicherDialog zwischen Topentschei- von der CeBIT, um bei der Indus- heit – alles verändert sich und dern aus Industrie und Politik trie-Messe, wo sich jährlich in braucht nicht nur technische legen und mit der Welcome Night Hannover die Industrie-Kunden Möglichkeiten und Rahmen, enden. Dienstag bis Donners- der IT-Branche treffen, anzudo- sondern gesellschaftliche, politag soll dann das B2B-Geschäft cken. Spätestens als die Deut- tische und regulatorische. im Vordergrund stehen. Freitag sche Telekom diesen Schritt der Industrie 4.0 – Society 5.0. sollen Teile der neuen CeBIT Deutschen Messe AG ebenfalls Denkwerkstatt könnte der und der “d!campus” dann für ankündigte, war der Zeitpunkt- Public Sector werden, dafür den Publikumsverkehr geöffnet gekommen, handeln zu müssen. müssten allerdings Behörden werden. Durch die Neuerungen Auch bei IBM, SAP und anderen befähigt und Politik bereit sein. wolle sich die CeBIT “fit machen Großen denkt man wie bei der Kundenbegegnungen zwischen für die Generation Y” und nicht Telekom. Daher kursierte seit Auftragnehmern und Auftragnur “Eventplattform” und “Inno- zwei Jahren der Vorschlag, die gebern werden weniger. Kunden vationsgipfel”, sondern vor allem CeBIT wieder in die Hannover treffen die Anbieter auf Special Messe zu reintegrieren. “cooler” werden, so Frese. Events, nicht auf so generalisWo bleibt im neuen Konzept der tischen Veranstaltungen wie Die Zeit für tiefgreifende Veränderungen war längst überfäl- Public Sector Parc? Er gerät in ei- der CeBIT, die auch im neuen lig. Die CeBIT wurde mehrfach ne Sandwich-Position zwischen Konzept wieder versucht, allen umgebaut, erhielt ein Facelift Industrie und Endverbraucher. und jedem gerecht zu werden als Fachbesuchermesse, doch Das wirft neue Fragen auf. Kon- und daher in Formate wie Diein wirklich individuelles Pro- sequent wäre, Industrie 4.0 auf alog, Messe und Party sowie in fil fehlte. Faszination und An- der Industriemesse zu bündeln, Zielgruppen wie Politik/Presse, ziehung auszustrahlen, fiel ihr die digital economy. Die Halle 7, Business und Consumer unimmer schwerer. Es terteilt. Industrien ging immer auch wandeln sich. Noch um Zahlen. 2001 bis in die 90er-Jahre kamen 830.000 Bewaren die Programsucher, letztes Jahr mierer die Experten noch ca. 280.000. der DatenverarbeiAuch die Zahl der tung. Heute startet genutzten Hallen jeder sein Tablet oder sank. Doch das wäSmartphone und bere alles nicht Anlass treibt Datenverarbeigenug für die Orgatung, ohne zu wissen, nisatoren gewesen, wie das Gerät techdie CeBIT nicht nur Mit neuem Konzept und neuem Termin will die CeBIT im kom- nisch funktioniert. zu verändern, son- menden Jahr wieder attraktiver werden – für Aussteller und Be- Auch die IT ist zu eidern neu zu ent- sucher. Man darf gespannt sein, wie sich der Public Sector darin ner Alltäglichkeit gewerfen und statt wiederfindet. Foto: BS/Deutsche Messe worden.

Behörden Spiegel: Trusted Cloud, auf der CeBIT 2016 gestartet, soll Vertrauen und Transparenz schaffen und dadurch Unternehmen den CloudEinstieg erleichtern. Nach einem Jahr, wie zufrieden sind Sie mit der Resonanz auf dieses Angebot bei Anbietern und Anwendern? Machnig: Die Aktivitäten des BMWi, insbesondere im Kontext von Trusted Cloud, zeigen nun erste Erfolge. Auch die deutsche Wirtschaft erkennt zunehmend, dass die digitale Transformation ohne die Nutzung von Cloud Computing nicht zu meistern ist. Das Label Trusted Cloud und die vielen Aktivitäten im Kontext des Labels haben bei Anbietern und Anwendern vor allem aus dem Mittelstand viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Angebote auf der Webseite www.trusted-cloud.de werden oft nachgefragt und intensiv genutzt, das bestätigt auch die vergleichsweise lange Verweildauer auf den Themenseiten. Eine Steigerung des Vertrauens in Cloud Computing erreichen wir, wenn wir ausführliches Orientierungswissen und Transparenz über Cloud-Service-Angebote anbieten. Ich bin mir sicher, dass Trusted Cloud dazu schon jetzt einen wesentlichen Beitrag geleistet hat.

Matthias Machnig ist Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Foto: BS/BMWi, Michael Voigt

Behörden Spiegel: Was sollte Anbieter oder Anwender auch aus wirtschaftlichen Erwägungen dazu bewegen, auf Trusted Cloud zu setzen?

tatsächlich ein Glücksfall. Mit Unterstützung des BMWi kann der gemeinnützige Verein Kompetenznetzwerk Trusted Cloud (KN TC e. V.) heute ein Label anbieten, das auch für mittelständische Cloud-Anbieter mit nur geringen Kosten verbunden ist. Dies bestätigen der Austausch mit den Anbietern und der internationale Vergleich der Kosten. Außerdem ist der Verein unabhängig und hat im Gegensatz zu anderen Zertifikats-Anbietern keine Gewinnabsicht. Der wirtschaftliche Aspekt für die Anwender liegt auf der Hand, denn bei den gelisteten Cloud-Services kann der Anwender mehr über den Anbieter und die Versprechen zu dessen Cloud-Service erfahren, sodass sein Risiko bei der Auswahl einer Lösung deutlich sinkt. Mit der Nutzung des angebotenen Orientierungswissens, als Hilfe zur Selbsthilfe, kann er ebenfalls Kosten sparen.

Machnig: Wirtschaftlich sind die Trusted-Cloud-Plattform und das Trusted-Cloud-Label

Behörden Spiegel: Welche Neuerungen gibt es in diesem Jahr?

Machnig: Neu ist dieses Jahr die Listung von Dienstleistungsanbietern, die im Umfeld der Einführung von Cloud Computing Beratungs-, Integrations- und Schulungsleistungen anbieten. Ansatz für die Listung dieser Anbieter ist auch hier die Schaffung von Transparenz. Die Anbieter müssen einen Kriterienkatalog mit von Trusted Cloud erarbeiteten Mindestanforderungen erfüllen und sich zu den angegebenen Leistungsversprechen vertraglich verpflichten. Damit ist das Trusted-Cloud-Directory für Dienstleister ein gutes Auswahlkriterium für die Anwender auf der Suche nach kompetenten Cloud-Beratern. Behörden Spiegel: Welche nächsten Schritte stehen bevor? Machnig: Mit der EU-Datenschutzgrundverordnung (EUDSGVO), die 2018 in Kraft tritt, wird der Datenschutz in den Ländern der EU gestärkt. Das ist gleichzeitig eine Herausforderung für die Anbieter und Anwender von Cloud Computing. Hier wird das Label Trusted Cloud hilfreich sein. Mit der dafür notwendigen Akkreditierung des Labels bei der Deutschen Akkreditierungsstelle wird jetzt begonnen. Wir gehen davon aus, dass dann die Erfordernisse der EUDatenschutzgrundverordnung in Sachen Auftragsdatenverarbeitung insbesondere für Anwender aus dem Mittelstand erfüllt sind, wenn sie einen bei Trusted Cloud gelisteten CloudService nutzen. Trusted Cloud soll das maßgebliche Label für den Mittelstand werden.


Öfit

Behörden Spiegel / April 2017

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Monatliche Themenseite in Kooperation mit:

KOMPETENZZENTRUM ÖFFENTLICHE IT (ÖFIT)

April 2017 beim Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme

Guter Bot, böser Bot: Automatisierte Kommunikation im Netz Während Chatbots Einzug in Verwaltungen halten, stehen Social Bots im Verdacht, Meinungsmache zu betreiben. Mit der gleichen Technologie lässt sich sowohl die Servicequalität verbessern – als auch an demokratischen Grundfesten rütteln.

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ot or not? Diese Frage beschäftigt in letzter Zeit vor allem Internet-Nutzer, die sich viel in Sozialen Netzwerken bewegen. Auf digitalen Plattformen trifft man immer häufiger auf Computerprogramme, die selbstständig mit anderen Nutzern interagieren und kommunizieren. Bemerkenswert ist dies vor allem deshalb, weil die Nutzer ihre Kommunikationspartner oftmals für menschlich halten. Ihnen bleibt nicht selten verborgen, dass es Software ist, die ihnen folgt, mit der sie diskutieren oder die ihnen eine Freundschaftsanfrage sendet. Solche Computerprogramme werden aktuell unter dem Begriff der Social Bots stark diskutiert. Expertenschätzungen zufolge könnten 20 Prozent bis 25 Prozent der Accounts auf Twitter Bots sein, also automatisierte Profile, deren Aktionen von Algorithmen gesteuert werden. Wenn Social Bots – oder besser: die Betreiber solcher Social Bots – es darauf anlegen, können sie mittlerweile typisches, menschliches Kommunikationsverhalten imitieren. Social Bots agieren also nicht nur automatisiert, sondern immer menschen-

ähnlicher und natürlicher. Dabei gibt es eine große Spannbreite hinsichtlich ihrer technischen Komplexität und Funktionalität mit entsprechend vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten. Einfache Bots sind in ihrem Handlungsrepertoire stark beschränkt. Sie können etwa den Nachrichtenstrom in einem Sozialen Netzwerk beobachten, um bei bestimmten Stichworten im Vorfeld definierte Inhalte zu posten oder die Nachrichten weiterzuleiten. Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz (KI) bilden die Grundlage für komplexere Bots, die Textkörper analysieren und durch Rückgriff auf Websites und Datenbanken eigene Inhalte generieren. So können Social Bots auch längere Wortwechsel führen, ohne dabei den menschlichen Beobachtern als Bot aufzufallen. Der Verweis auf Zeitgeschehen und aktuelle Ereignisse, detaillierte Nutzerprofile oder die Berücksichtigung von Tageszeiten erschwert ihre Identifizierung zusätzlich. Um sie dennoch erkennen zu können, werden wiederum KI-Methoden und Mustererkennung angewendet: Hier ist ein Technologiewettlauf im vollen Gange. Der Betrieb eines Netzwerks aus Bots gestaltet sich recht einfach. Die massenhafte Erstellung von Nutzerkonten ist zu einem lukrativen Geschäft geworden. So können fertige Konten samt der Steuerungssoftware gekauft oder gemietet werden. Es finden sich zahlreiche Generatoren im Netz, die mitunter nach frei verfügbarer Anleitung programmiert werden können. Durch die Möglichkeit, eine Vielzahl an Nutzerkonten zu betreiben und Inhalte in potenziell beliebig hoher Anzahl und Frequenz zu posten, kann ein aktives Social-

Gut oder böse: Manchmal lassen sich gleiche Technologien so oder so einsetzen. Foto: BS/alluregraphic design, pixabay.com

Bot-Netz zur gezielten Verbreitung von Informationen eingesetzt werden. Unternehmen und Personen können so Popularität vortäuschen oder Werbung verbreiten. Social Bots wurden zudem bereits genutzt, um Börsenkurse zu beeinflussen, Werbeeinahmen in die Höhe zu treiben und Malware zu verbreiten. Vor allem seit den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen und mit Blick auf die anstehenden Bundestagswahlen diskutieren Medien und Politik die sich hieraus ergebenden Möglichkeiten zur Desinformation, Täuschung und Manipulation von demokratischen Meinungsbildungsprozessen. Ob Social Bots durch ihre Aktivitäten tatsächlich menschliche Wahlentscheidungen beeinflussen können, konnte jedoch bisher nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden. Gleichwohl haben sich die meisten deutschen Parteien bereit erklärt, auf den verdeckten Einsatz von Social Bots zur

Meinungsmache im Wahlkampf zu verzichten. Sie wollen damit auch einer Polarisierung der Öffentlichkeit entgegenwirken. Ein solcher Verzicht schließt jedoch den für den Nutzer erkennbaren Einsatz von Bot-Technologien für andere Zwecke nicht aus. So wird aktuell unter den deutschen Parteien der Einsatz von Chatbots für eng definierte Aufgaben wie etwa die automatisierte Beantwortung von Informationsanfragen als legitime Anwendung diskutiert. Damit folgen die Parteien lediglich einem klar erkennbaren Trend der Technologiebranche. Automatisierte, text- und sprachverarbeitende Bots sollen in den kommenden Jahren im Sinne smarter Assistenten das mühsame Navigieren durch Apps und Websites überflüssig machen, in Organisationen Effizienz- und Reichweitenpotenziale freisetzen und unsere Interaktionen mit verschiedensten Geräten revolutionieren.

Es gilt also, nicht ausschließlich die Missbrauchsrisiken zu fokussieren, sondern auch die Potenziale von Bot-Technologien in den Blick zu nehmen. Sei es beim Suchen nach Formularen, bei Fragen zu Zuständigkeiten, Bearbeitungsständen oder Terminvereinbarungen: Der Einsatz von Bots für die Kommunikation und Interaktion mit Bürgern kann auch ein wichtiger Baustein bei der Modernisierung von Regierungsund Verwaltungshandeln sein. In jedem Fall zeichnet sich schon aufgrund der wirtschaftlichen Verwertung ab, dass automatisierte Kommunikation in verschiedenen Alltagsbereichen eine immer größere Rolle spielen wird.

Mehr zu diesem und anderen Trendthemen lesen Sie in der ÖFITTrendschau unter: http://www.oeffentliche-it.de/trendschau.

Praxisseminare im Mai 2017 Aus der Praxis für die Praxis Kompetenz für Fach- und Führungskräfte

www.fuehrungskraefte-forum.de Radikalisierung und extremistische Gewalt

Implementierung von Compliance- und KorruptionspräventionSystemen

Kosten senken im öffentlichen Einkauf

Social Media und öffentliche Verwaltung

03.05.2017 Bonn

03.05.2017 Berlin

10. ― 11.05.2017 Düsseldorf

16. ― 17.05.2017 Bonn

Traumatisierten und belasteten BOS-Einsatzkräften begegnen

IT-Management in der öffentlichen Verwaltung

Die Konditionenverträge des Bundes mit Microsoft

Stufenzuordnung im öffentlichen Dienst

Der richtige Preistyp bei öffentlichen Aufträgen

16. ― 17.05.2017 Berlin

16. ― 17.05.2017 München

29.05.2017 Berlin

30.05.2017 Berlin

30.05.2017 Frankfurt am Main Bildnachweis: Uetliberg Uto Kulm


Informationstechnologie

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ehörden Spiegel: Was sind die nächsten Schritte im großen Projekt der Konsolidierung der Berliner Verwaltungs-IT?

“Qualitativer Sprung” Das ITDZ Berlin steigt mit Pilotbezirk in die Konsolidierung ein

Behörden Spiegel / April 2017

mir sicher, dass das Bezirksamt einen qualitativen Sprung in Richtung neuer und moderner Verwaltungs-IT erleben wird.

Fromm: Um noch ein paar ZahFiedler: Grundlage für die Konsolidierung der Berliner (BS) Das Berliner Abgeordnetenhaus hat mit dem E-Government-Gesetz die Berliner-Verwaltungs-IT auf Neustart gesetzt. Künftig sind alle Berliner len zu ergänzen: Die Ist-Analyse Verwaltungs-IT ist das Berliner Verwaltungen, bis runter zu den Bezirken, verpflichtet, die Leistungen des IT-Dienstleistungszentrums Berlin (ITDZ) abzunehmen. Rund 40.000 des Bezirks CharlottenburgE-Government Gesetz, welches IT-Arbeitsplätze sollen in den nächsten Jahren vereinheitlicht werden. Eine herausfordernde Aufgabe, wie ITDZ-Vorständin Ines Fiedler und stell- Wilmersdorf hat ergeben, dass es dort ungefähr 1.800 IKT-Arseit Juni 2016 in Kraft ist. Seit- vertretender Vorstand Jens Fromm im Gespräch mit Carsten Köppl erläutern. beitsplätze gibt, die wir in den her arbeiten wir im ITDZ Berlin Behörden Spiegel: Sie haben nächsten Monaten migrieren daran, für die gesamte Berliner haben gemeinsam mit den Bemit einem Pilotbezirk bereits be- werden. Die Arbeitsplätze sind Verwaltung eine einheitliche zirksämtern und Senatsveran über 40 Standorten im Bezirk gonnen. Wie läuft es da? und verbindliche IT-Architektur waltungen bereits viele Schritte verteilt, teilweise sind es nur drei zu etablieren. Es ist unser Ziel, unternommen, um die entspreFiedler: Der Bezirk Charlotten- bis vier Arbeitsplätze am Standdurch die Standardisierung ei- chenden Fachkräfte für unser burg-Wilmersdorf wollte gerne ort. Wir werden in den nächsten ne moderne, noch sicherere und Haus und damit für Berlin zu einer der ersten Profiteure des Monaten wertvolle Erfahrungen wirtschaftlichere IT-Infrastruk- gewinnen. Was die Technik beE-Government-Gesetzes sein. sammeln. Erfahrungen, die wir tur für Berlin zu schaffen. Das trifft, steht das ITDZ Berlin beDer Bürgermeister hat erkannt, für die Migration in den nächsist einmalig für die Verwaltung reits heute gut da: Wir betreuen dass IT eine Schlüsselrolle für ten Jahren bei den anderen der Hauptstadt und ein hartes derzeit fast 40.000 Telefonanerfolgreiche Bürgerdienste und Bezirken und Senatsverwaltunschlüsse, 2.200 Server und über Stück Arbeit. moderne Verwaltung einnimmt. gen benötigen werden. Darum Konkret sprechen wir hier über 520 erschlossene Standorte im Charlottenburg-Wilmersdorf versuchen wir, das musterhaft 40.000 Arbeitsplätze, die wir in Berliner Landesnetz. Durch hat nun die Ist-Aufnahme abge- umzusetzen und uns folgende den nächsten fünf Jahren stu- die Migration werden es künfschlossen. Wir haben gemein- Fragen zu stellen: Welche Antig zwölfmal so fenweise konsolidieren wer“Durch die Migration wer- viele Anbin- Im Einsatz für den Neustart der Berliner Verwaltungs-IT: Ines Fiedler, seit Mai sam mit der IKT-Steuerung wendungen gibt es? Welche dungen ans 2016 Vorständin und Jens Fromm, seit Januar 2017 stellvertretender Vorstand musterhaft Projektstrukturen Verfahren können wir problemden. Insgesamt aufgesetzt, die wir zukünftig für los in unsere IT-Infrastruktur werden es über den es künftig zwölfmal L a n d e s n e t z , und Abteilungsleiter Kunden und Lösungen des ITDZ Berlin. 67.500 Arbeits- so viele Anbindungen ans doppelt so vieFoto: BS/ITDZ Berlin, Christoph Petras alle weiteren Senatsverwaltun- integrieren? Bei welchen haben gen und Bezirke bei der Mig- wir Probleme? Was für Sonderplätze sein. Das Landesnetz sein, die wir le Anschlüsse und 13 Prozent stadt zu gewährleisten. Ich Schritte in Richtung moderner ration in das ITDZ Berlin nut- arbeitsplätze brauchen wir? Das betrifft zum einen die reine zur Verfügung stellen.” mehr Serverka- sehe aber auch, wie das ITDZ und innovativer IT gemeinsam zen wollen. Nun geht es in den sind die konkreten Themen, die pazitäten sein, Berlin in seinem Handeln und mit allen Berliner Verwaltungen nächsten Monaten darum, Ar- wir gerade diskutieren. UnheimArbeitsplatzdie wir zur Ver- seiner internen Struktur im voranzutreiben. Ich freue mich, beitsplatz für Arbeitsplatz und lich spannend. Aber ich glaube technik, also beispielsweise den Arbeitsplatz- fügung stellen. Eine Herausfor- letzten Jahrzehnt durch Politik mit dem ITDZ Berlin nun ein Teil Standort für Standort in das IT- die Zahlen zeigen, wie viel HeDZ Berlin zu migrieren. Ich bin rausforderung da drin steckt. PC, Telefonie und Drucker, und derung, die uns die nächsten und Verwaltung geprägt wurde. des Ganzen zu sein. Das Haus jetzt auf die Anfordezum anderen die dazugehörigen Jahre motivieren wird! rungen vorzubereiten, die das IKT-Basisdienste wie das BürBehörden Spiegel: Herr ambitionierte E-Governmentgertelefon 115, Servicekonto, Zeitmanagementsystem und E- Fromm, Sie sind jetzt rund 100 Gesetz mit sich bringt, das ist Akte. Alle unsere Kunden wer- Tage stellvertretender Vorstand eine spannende und für mich den ans Berliner Landesnetz beim ITDZ Berlin. Wie sind Sie in persönlich auch herausfordernVerwaltung und Abwicklung von hohen Geld- und Wertbeträgen de Aufgabe, die ich gern annehangeschlossen. Und alle unsere Ihrer Rolle angekommen? me. Nach meinen ersten 100 Ta- (BS/Oliwia Zielinska/Christian Machatsch*) Die gerichtliche Hinterlegung kann in unterschiedlichen LebensKunden werden von den hohen Fromm: In den letzten Tagen gen bin ich sehr zuversichtlich, lagen auftauchen. Daher ist dieser Prozess nicht so abstrakt, wie er bei der bloßen Betrachtung des Begriffs Standards an IT-Sicherheit profitieren, wie sie im ITDZ Berlin und Wochen habe ich einen in- dass wir die Veränderungen im erscheinen mag. tensiven Einblick in die Arbeit ITDZ Berlin und der Berliner bereits seit Jahren gelten. Für die Zukunft heißt das, wir eines Landesdienstleisters be- Verwaltung schaffen können. Ist beispielsweise der Eigen- durch den jeweiligen Hinterleger terlegungsakte. In den Kopfdamüssen investieren: in Technik kommen: Ich bin begeistert, wie Gemeinsam mit meinen Kolle- tumsstatus eines bewohnten werden Geldbeträge und Wertge- ten sind die wichtigsten Kenndaund in Personal. Bei Letzterem viele motivierte und kompetente ginnen und Kollegen arbeiten Mietobjekts über einen längeren genstände durch die Mitarbeiter ten einer Akte wie Aktenzeichen erfahren wir viel Unterstützung Menschen im ITDZ Berlin jeden wir jeden Tag hart daran, das Zeitraum unklar, können fällige der Justiz geprüft und bei posi- oder die Massebezeichnung festdurch unsere IKT-Staatsse- Tag ihr Bestes geben, um den Vertrauen in das ITDZ Berlin Mietzahlungen solange durch tiver Entscheidung bei Gericht gehalten. Diese werden vom Syskretärin Sabine Smentek und IT-Betrieb der Bundeshaupt- zu stärken und die nächsten das Gericht verwaltet werden, hinterlegt. Von hier an haben tem automatisch erstellt. Die Home-Ansicht ermöglicht bis etwaige Zivilverfahren abge- berechtige Personen 31 Jahre schlossen sind. Danach gibt das lang Zeit, die hinterlegten Werte das Verwalten sowohl von NoGericht die hinterlegten Geld- auf Antrag zu erhalten. Sollte tizen als auch von Wiedervorbeträge an den nun zweifelsfrei sich nach Ablauf dieser Zeit kein lagefristen und Stellvermerken festgelegten Eigentümer heraus. Empfänger melden bzw. finden einer Akte. Ob Rechtspfleger, Ein weiteres Beispiel für die lassen, gehen die Gegenstände Mitarbeiter der Zentralkasse Brandschutzlösung für Darmstädter Rechenzentrum DARZ gerichtliche Hinterlegung tritt in den jeweiligen Landeshaus- oder Geschäftsstellenmitarbeiter: Anhand der Stellenvermerke (BS/Katharina Bengsch*) Die DARZ GmbH bietet seit ihrer Gründung im Jahr 2010 Colocation/Housing, Ma- oft im Falle des Ablebens eines halt über. naged Services und andere Datacenter-Dienstleistungen an. Das vom Unternehmen im Jahr 2014 errichtete Menschen ein. Gestaltet es sich Die Software depos.NET bildet und Notizen können der Vorgang Darmstädter Rechenzentrum (DARZ) besitzt ein ungewöhnliches Ambiente und vermutlich die höchste bauli- schwierig, Erben ausfindig zu den gesamten Hinterlegungs- und die dazugehörigen Aktivitäche Sicherheitsstufe aller Rechenzentren in Deutschland: Es hat seinen Sitz in dem ehemaligen Tresorgebäude machen bzw. diese überhaupt prozess ab und unterstützt den ten jederzeit von jedem Bearbeierst zu identifizieren, wird der Nutzer in vielen Bearbeitungs- ter nachvollzogen und nahtlos der Hessischen Landesbank. Nachlass der Verstorbenen schritten. Der eigens für die bearbeitet werden. durch ein beauftragtes Gericht Akten- und Antragserfassung Mit der Errichtung einer hochbis zur Klärung der Sache ver- entwickelte Assistent führt die Großer Mehrwert, wertigen Datacenter-Infraflexible Anpassung waltet. Dabei summieren sich Anwender bequem durch die jestruktur (TÜV Level III+/ Tier die Werte der Sparbücher, Kost- weiligen Bearbeitungsschritte. 3+) wollte das DARZ die DarmDepos.NET kann unter den barkeiten und Geldmittel schnell Hier erfolgt eine deutliche Ent- verschiedensten hardwareseitistädter IT-Landschaft abrunden lastung, denn der formularhafte gen Voraussetzungen eingesetzt zu beachtlichen Beträgen. – getreu seinem Motto: “Daten Aufbau des Assistenten erfasst werden. Durch den bewusst gesind wertvoller als Gold!” StraZeitgemäßes Softwaresystem schnell und einfach eine große wählten modularen Aufbau der tegisch günstig positioniert ist unabdingbar Anzahl an Akten. es außerdem nur rund 30 KiSoftware lässt sich diese schnell Der Verlauf einer Akte, der Sta- an die individuellen Bedürfnislometer vom größten InternetDie für eine Hinterlegung notaustauschknoten der Welt entwendigen Geschäftsprozesse tus der Gegenstände oder ent- se der Anwender anpassen. Dafernt, der DE-CIX in Frankfurt. sind sehr verwaltungsintensiv sprechend automatische und bei ist es unerheblich, ob der und mit enormen Aufwänden manuell erfasste Fristen in der Hinterlegungsprozess durch ein Kombination aus Brandververbunden. Papierbasierte Pro- Software können auf Mausklick zentrales Gericht wie beispielsmeidung, Löschanlage und zesse erweisen sich hier häufig einfach nachvollzogen werden. weise die Senatsverwaltung Ansaugrauchmelder Das Gebäude beherbergte bis 2005 Gold- und Bargeldreserven der Hessi- als ineffizient. In dem Bestreben, Auch das Erstellen der für den der Justiz in Berlin oder durch Für den IT-Bereich eignen schen Landesbank. Heute hat das Darmstädter Rechenzentrum DARZ dort die herkömmlichen papierba- Verlauf notwendigen Dokumen- räumlich verteilte Gerichte wie sich gasförmige Löschmittel, seinen Sitz. Foto: BS/Wagner Group sierten Prozesse abzulösen und te und Schriftstücke übernimmt beispielsweise in Mecklenburgdie Effizienz der Bearbeitung zu die Software zum Teil automa- Vorpommern verwaltet wird. die Brände effizient und rückstandsfrei bekämpfen. Stickstoff von über 130 dB(A) erzeugte und dort die Sauerstoffkonzentrati- steigern, ist die Nutzung einer tisch. Zudem können Doku- Auch die Anbindung von depos. als Inertgas nutzt zur effektiven dabei Schäden an Festplatten on auf 15,9 Vol.-Prozent ab. Für IT-Fachanwendung unabding- mentenvorlagen verwaltet und NET an das vom Anwender geBrandbekämpfung das Prinzip durch Vibrationen verursachte. das Darmstädter Rechenzent- bar. Denn die softwaregestützte an den relevanten Stellen durch nutzte HKR-System erfolgt ohne der Sauerstoffverdrängung. Im Dieses Problem ist im DARZ- rum war es ein wichtiges Ziel, Hinterlegung reduziert als Un- den Bearbeiter genutzt werden. Probleme. Weitere Beispiele für die Vielfalt Löschfall verteilt sich Stickstoff Rechenzentrum durch den Ein- möglichst schnell ein VdS-Zer- terstützung der Geschäfts- und *Oliwia Zielinska & Christian schnell und homogen im Raum, satz von speziell entwickelten tifikat für die verbaute Brand- Zahlstellen sowie der Rechtspfle- der Funktionen sind die sogeganz ohne Rückstände. Aus Schalldämpfern gelöst, die den schutzlösung zu bekommen. ger deutlich den Aufwand in den nannte Home-Ansicht sowie die Machatsch arbeiten für den ITKopfdaten einer konkreten Hin- Dienstleister DVZ M-V. diesen Gründen wurde für das Schalldruck auf ca. 98 dB(A) Mit der Lösung von Wagner war Gerichten. Mit der Software depos.NET Darmstädter Rechenzentrum verringern. Um Druckspitzen das machbar. Dennoch blieb die eine Stickstoffgaslöschanlage zu Beginn des Löschvorgangs Umsetzung spannend, beson- entwickelte die DVZ M-V GmbH verbaut – in Kombination mit zu minimieren, wurden an den ders aufgrund der einzigartigen eine umfassende Lösung. Das eihochsensiblen Ansaugrauch- Löschmittelflaschen außerdem Bausubstanz des Rechenzent- gens auf den Justizbereich ausmeldern, die Brände in einem Durchflussregler angebracht. rums. Michael Leibner, Wagner- gerichtete Betreuungssegment frühestmöglichen Stadium er- Durch diese Softflutung verrin- Niederlassungsleiter Frankfurt des IT-Dienstleisters von MeckProjektverantwortlicher, lenburg-Vorpommern bietet eigert sich die Größe der erfor- und kennen. Das Schutzkonzept reicht aber derlichen Druckentlastungsöff- resümiert: “Arbeiten in schuss- ne starke fachliche Durchdrinsicherem Spezialbeton hatten gung, wenn es darum geht, neue noch einen Schritt weiter: Gas- nungen erheblich. Im hermetisch abgedichteten wir bisher noch nie vorgenom- Justizlösungen gemeinsam mit löschanlagen müssen, um binnen kürzester Zeit den Raum zu Tresorraum setzt DARZ des men. Unter diesen Umständen den Ressorts zu entwickeln und fluten, das Löschgas mit hohem Weiteren auf eine aktive Brand- die Zeitpläne einzuhalten, war umzusetzen. Druck in den zu schützenden vermeidung durch Sauerstoff- eine spannende HerausfordeUmfassende Bearbeitung mit Bereich einbringen. So kam es reduzierung. Das patentierte rung.” depos.NET bei konventionellen Löschanla- OxyReduct-System von Wagner *Katharina Bengsch ist Refegen in der Vergangenheit vor, generiert Stickstoff aus der UmDer gerichtliche Prozess folgt dass das schnelle Einströmen gebungsluft, führt diesen in den rentin für Kommunikation bei der einem gesetzlich festgelegten Ab- Die softwaregestützte Hinterlegung reduziert deutlich den Aufwand in den des Gases einen Schalldruck Schutzbereich ein und senkt Wagner Group GmbH lauf. Nach der Antragsstellung Gerichten. Foto: BS/Fotolia, © alswart, Montage DVZ

Gerichtliche Hinterlegung im Alltag

“Daten sind wertvoller als Gold”


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / April 2017

Seite 31

Klein und ländlich

MELDUNG

E-Akte BaWü bis 2022 flächendeckend

Kein Hindernis mehr in einer digitalen Welt

(BS/gg) Der Ministerrat der Lan-

(BS) Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Thorsten Albig will bis 2018 landesweit freies WLAN einführen. Dazu hat er auf der diesjährigen CeBIT in Hannover eine Absichtserklärung desregierung Baden-Württemunterzeichnet. Im Behörden Spiegel-Interview spricht er u.a. über das neue E-Government-Gesetz des Landes und die Digitale Agenda. Die Fragen stellte R. Uwe Proll. berg hat im März der Einführung Behörden Spiegel: SchleswigHolstein ist das erste Land mit einem E-Government-Gesetz. Ein neues ist geplant. Wie ist hier der aktuelle Stand? Albig: Es geht dabei um die Modernisierung unserer rechtlichen Grundlagen. Wir passen das bestehende E-GovernmentGesetz und unser Landesverwaltungsgesetz an die aktuellen Anforderungen eines bürgerund wirtschaftsfreundlichen E-Governments an. Der Gesetzentwurf wird voraussichtlich Ende dieser Woche vom Landtag beschlossen. Behörden Spiegel: SchleswigHolstein ist klein und ländlich. Warum wird hier so massiv in neue Technologie investiert? Albig: “Klein und ländlich” ist in einer digitalen, vernetzten Welt kein Maßstab und vor al-

lem auch kein Hindernis mehr. Im Gegenteil. Die Menschen erhalten ganz neue Möglichkeiten, ein attraktives Lebensumfeld für sich und ihre Familie mit einem attraktiven Job zu kombinieren. Gerade Schleswig-Holstein wird überdurchschnittlich stark von der Digitalisierung profitieren. Dieses Potenzial werden wir aber nur heben können, wenn wir durch neue Technologie und leistungsfähige Infrastrukturen auch an weltweiten, digitalen Wertschöpfungsketten teilhaben können. Und wenn wir unsere weichen und harten Standortfaktoren so kombinieren, dass wir für Fachkräfte besonders interessant sind. Behörden Spiegel: Seit Kurzem hat Schleswig-Holstein eine Digitale Agenda. Was sind hier die drei wichtigsten Punkte? Albig: Über allem steht die

Sprachen auf der CeBIT über die Digitalisierung Schleswig-Holsteins: R. Uwe Proll, Chefredakteur des Behörden Spiegel, und Torsten Albig, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein. Foto: BS/lkm

Grundidee, dass wir die Digitale Agenda nicht in einzelne, fachliche Parzellen aufteilen, sondern Querschnittsthemen auch als solche behandeln. Wir haben in den letzten Jahren als erstes Land eine Landesentwicklungsstrategie erarbeitet, in der die wichtigen Trends und Entwicklungslinien für Schleswig-Holstein bis 2030 aufgezeigt werden. Auf dieser Grundlage betrachten wir in der Agenda die Digitalisierung in allen Politikfeldern. Unsere Schwerpunkte sind Digitale Infrastruktur, E-Government und Transparenz, Wirtschaft im digitalen Zeitalter, Medienkompetenz und Teilhabe, Lernen in einer digitalen Welt, Digitalisierung im Wissenschaftsbereich, Governance und Wandel der Gesellschaft. Behörden Spiegel: Wie weit ist die Digitalisierung der Ver-

waltung in Schleswig-Holstein? Albig: In vielen Bereichen der Digitalisierung der Verwaltung stehen wir sehr gut da. Seit Jahren haben wir konsequent daran gearbeitet, unsere internen Verwaltungsprozesse digital abzubilden. Wir haben die E-Akte in den Ministerien eingeführt und angefangen, unsere papiernen Archive durch eingescannte Akten zu ersetzen. Wir haben viele Verwaltungsprozesse in speziellen Fachverfahren abgebildet. Unsere großvolumigen Geschäftsprozesse sind digitalisiert. Aufholen müssen wir bei unseren Schnittstellen zu unseren Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft. Durch moderne Bürgerkonten und einen einheitlichen Verwaltungszugang über ein Internetportal wollen wir auch diese Lücke schließen.

Digitale Transformation in Bayern “Projekt E-Akte” bereits sehr weit fortgeschritten (BS/Wolfgang Bauer) Der Freistaat Bayern hat in den letzten Jahren intensiv die flächendeckende Einführung der E-Akte forciert und gilt heute als Vorreiter im Bereich der E-Verwaltungsarbeit und in der Umsetzung der Digitalisierungsstrategie wie durch die Realisierung des BayernPortals. Der Freistaat Bayern beschäftigt sich bereits seit den 2000er-Jahren mit dem Thema der digitalen Dokumentenverwaltung. Als im Jahr 2005 der Startschuss für das Projekt “Beschaffung und Einführung eines Dokumentenmanagement- und Vorgehensbearbeitungssystems” in der bayerischen Staatsregierung mit der Vergabe des Zuschlages an das Unternehmen Fabasoft fiel, war schwer vorstellbar, dass digitale Dokumente und deren Bearbeitung einmal fester Bestandteil des täglichen Lebens sein würden.

E-Akte im Freistaat Bayern Die operative Umsetzung startete nach einer längeren Vorprojekt- und Pilotierungsphase im Jahr 2008 basierend auf dem damals gültigen DOMEAKonzept und der Definition einer Standardlösung, die heute alle Module der E-Verwaltungs-

30.000 registrierte Nutzer zu verzeichnen, davon etwa 20.000 bei der Polizei, rund 1.000 bei der Justiz und um die 10.000 im Verwaltungsbereich. Im Rahmen der Konsolidierungsprojekte für die Foto: BS/Stmflh Rechenzentren und zur Projektsteuerung übernahm im Juli 2016 das Bayerische Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat die Zuständigkeit vom Bayerischen Staatsministerium des Innern. Digitalisierung ist im Bereich der Verwaltungen heute enorm wichtig, wie auch die erhobenen Zahlen belegen. Im Zeitraum 01.01.2016 bis 01.01.2017 stieg allein im Verwaltungsbereich die

Wolfgang Bauer war bis Mitte März Leiter Referat IT-Strategie, IT-Sicherheit, IT-Infrastruktur im Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat. Seitdem ist er Präsident des Bayerischen Landesamtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung.

arbeit abdeckt. Die Lösung ist als Standardprodukt definiert, erlaubt jeder Behörde, die Anwendung in einem festgelegten Rahmen an die erforderlichen Bedürfnisse im Sinne eines Mehrmandantensystems anzupassen. Im Januar 2013 erging mit Ministerratsbeschluss die Vorgabe, die E-Akte in Bayern flächendeckend einzuführen. Ende 2016 waren insgesamt

Zahl der in der E-Akte erfassten Dokumente um 22 Prozent auf ca. 8,4 Millionen und es wurden rund 3,6 Millionen Vorgänge (+elf Prozent) und ca. 600.000 Akten (+16 Prozent) erzeugt.

Herausforderungen für die Zukunft Das Bayerische Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat hat im Zuge der Übernahme des Projektes auch eine Neuausrichtung vorgenommen. Das Modul E-Akte wird heute von allen angeschlossenen Ministerien und Behörden im Freistaat Bayern genutzt. Die Anwendungsfälle E-Zusammenarbeit und EVorgangsbereitung haben sich etabliert und das Einsatzgebiet wird laufend erweitert. Für die nächsten Monate wurden strategische, betriebliche und organisatorische Ziele definiert, die mit einem höchst motivierten

Team umgesetzt werden. Neben der weiteren Standardisierung der Lösung und der Einbindung in die bayerische IT-Strategie stellt die Entlastung der Entscheidungsgremien ein wesentliches Ziel dar. Durch die Einführung einer neuen Gremienstruktur, insbesondere eines “Change Management Boards”, entstand bereits ein zentrales Gremium für die Weiterentwicklung der E-Akte Bayern. Auf betrieblicher Ebene werden die Einbindung von Fachverfahren weiter forciert, direkte und schnellere Kommunikationswege für schnellere Reaktionsund Durchlaufzeiten etabliert sowie die Verzahnung von IT und Fachbereichen vorangetrieben und auf organisatorischer Ebene die Einführung der Vorgangsbearbeitung. Es sind zwar bereits beachtliche Erfolge vorzuweisen, aber dennoch gibt es noch viel zu tun.

der landeseinheitlichen elektronischen Akte zugestimmt. Bis zum Jahr 2022 soll die Landesverwaltung flächendeckend mit der E-Akte arbeiten. Die Pilotphase zur Einführung der E-Akte soll Ende 2018 starten. Dabei sollen höchste Sicherheitsstandards gelten. Die Einführung der “E-Akte BW” soll in einem ressortübergreifenden Projekt unter Federführung des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration vorbereitet und umgesetzt werden. Für 2017 sind elf Stellen für das Projektteam veranschlagt. Es ist zudem eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von insgesamt 32 Millionen Euro vorgesehen. Im Juni 2017 soll das Vergabeverfahren starten, ab April 2018 die Entwicklung der speziell für die Landesverwaltung zugeschnittenen Software folgen. Ende 2018 soll dann die Einführung beginnen, zunächst in einzelnen Pilotbehörden. Die Behörden sollen ab 2019 sukzessive mit der E-Akte ausgestattet werden; ab 2022 soll die Landesverwaltung flächendeckend mit der E-Akte arbeiten. Die E-Akte soll genauso sicher wie die bewährte Papierakte sein. Die Landesregierung bringt daher gleichzeitig eine Verwaltungsvorschrift zur Informationssicherheit auf den Weg, mit der alle IT-Prozesse standardisiert für alle Landeseinrichtungen geregelt und umsetzt werden. “Bei der Sicherheit digitaler Daten machen wir keine Abstriche, ganz im Gegenteil”, betonte Digitalisierungsminister Thomas Strobl. Die Verwaltungsvorschrift sehe den Aufbau eines Informationssicherheitsmanagements vor. Zur Umsetzung erhielten die Ressorts insgesamt 29 Stellen für Beauftrage für Informationssicherheit, so Strobl weiter. Mehr zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Baden-Württemberg auf dem Kongress “Baden-Württemberg 4.0” (www.bw-4-0.de), den der Behörden Spiegel in Kooperation mit der Stabsstelle für Digitalisierung am 11. Juli in Stuttgart veranstaltet.


Informationstechnologie

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GovBot

B

is vor Kurzem hätte man bei solch einem Lösungsansatz noch an eine App oder den Aufbau eines responsiven E-Government-Portals gedacht. Doch die Umsetzung solch eines Prozesses scheitert – leider durch zahlreiche schlechte Beispiele belegt – auch heute noch daran, dass der Nutzer die Informationen und Angebote gar nicht findet. Ist er so weit gekommen, wird er von zu langen und komplexen Informationstexten, zahlreichen Systemsprüngen (von der Homepage zum Serviceportal und dann zum Fachverfahren) sowie einer uneinheitlichen und schlechten Usability überfordert. Auch aus Sicht der Service- und Callcenter in der Verwaltung bemerkt man diese Probleme in Form von vielen gleichartigen Anfragen zu einfach zu beantwortenden Fragestellungen, die die Telefonleitungen besetzen und Mail-Postfächer verstopfen.

Bot-Technologie auf dem Vormarsch Seit Neustem rücken daher Bots in den Fokus von Unternehmen und werden dort als “das nächste große Ding” gehandelt, um mehr Kundenfreundlichkeit bei gleichzeitigen Kosteneinsparungen zu erreichen. Die Bot-Technologie ist nun auch in einer für Behörden und Verwaltungen optimierten Form verfügbar: Der GovBot ist ein Dialogassistent für Bürger und Unternehmen. Er hilft bei Fragestellungen und Prozessen rund um Serviceleistungen der Verwaltung, für die bislang telefoniert oder durch zahlreiche

Behörden Spiegel / April 2017

Dialogisches E-Government (BS/Dr. Christian Knebel*) Stellen Sie sich vor, Sie möchten auf dem Weg zur Arbeit Ihren Anwohnerparkausweis erneuern. Sie bestätigen Ihren Wohnort per nPA-Login am einheitlichen Servicekonto Ihres Bundeslandes, geben Ihr Kfz-Kennzeichen an, zahlen die Verwaltungsgebühr via E-Payment und bekommen den Ausweis als PDF zum Ausdrucken zugesandt. Der ganze Prozess dauert nicht länger als fünf Minuten und kann vollständig per Smartphone abgewickelt werden. Internetseiten und Apps navigiert werden musste. Er hilft dabei, immer wiederkehrende und personalaufwendige Aufgaben effizienter zu gestalten und kann als ein weiterer Baustein zur Digitalisierung der Verwaltung beitragen. Der GovBot ist dabei über einen beliebigen Messenger (z. B. WhatsApp, Twitter, Facebook Messenger, Telegram, Alexa oder Google Home) oder eine Integration in den eigenen Internetauftritt erreichbar. Der GovBot soll E-Government “nah” an Bürger und Unternehmen bringen und alle Verwaltungsprozesse dialogisch abbilden. Die Anwendungsfälle für den GovBot in der Verwaltung sind dabei zahlreich: Ein Bot kann simple Informationen einfach verfügbar machen. Dabei interagiert er mittels “Small Talk” mit dem Benutzer, gibt Auskünfte zum Wetter oder zur Verkehrslage oder pariert Fragen mit Zahlen und Fakten, z. B. zur Stadtgeschichte oder anderen wissenswerten Details. Auch die Abbildung von Entscheidungsbäumen ist mittels aneinandergereihter Frage/ Antwort-Optionen möglich, z. B. um den Geltungsbereich von Gesetzen und Verordnungen für Bürger und Unternehmen

Der GovBot hilft bei Fragestellungen und Prozessen rund um Serviceleistungen der Verwaltung, etwa bei der Beantragung eines Anwohnerparkausweises. Grafik: BS/publicplan

abprüfen zu können. Im Wahlkampf kann ein InformationsBot auch als interaktives Medium zu Parteiprogrammen oder politischen Standpunkten von Kandidaten genutzt werden.

Verwaltungsinformationen in Echtzeit Über eine Schnittstelle zu Zuständigkeitsfindern wie z. B. der “Linie6Plus” oder der Verwaltungssuchmaschine NordrheinWestfalen (oder anderen per API verfügbaren Systemen) kann der GovBot aber auch Verwaltungsinformationen zu häufigen Fra-

gen wie z. B. Zuständigkeiten, Kosten, Fristen und Öffnungszeiten in Echtzeit ausgeben. Neben diesen mächtigen Datenquellen können aber auch spezifischere/kommunale Informationssysteme und -datenbanken per Schnittstelle angebunden werden. Dazu gehören aber auch offene Datensätze (Open Data) in strukturierter Form wie z. B. die städtische Parkhausbelegung oder der Pegelstand des Rheins. Es können aber auch unstrukturierte Informationen im GovBot verarbeitet werden, wie sie sich beispielsweise in

FAQ-Datenbanken, Knowledge Base-Artikeln oder Gesetztestexten finden. Der eingangs beschriebene Verwaltungsprozess kann aber auch mit dem GovBot digitalisiert werden; ebenso wie zahlreiche andere formularbasierte Prozesse oder eine einfache Terminvereinbarung beim Amt. Dabei spielt die flexibel erweiterbare Chatbot-Plattform des GovBot ihre Stärken aus, denn damit können Fachverfahren, E-Payment-Dienste und Servicekonten in den Chatdialog integriert werden. Der GovBot verbindet damit die bereits vorhandenen Formulare und Dienste zu einem medienbruchfreien Prozess, der einfach zu bedienen und zu verstehen ist. Sein Wissen zieht der GovBot aus Daten, die mittels “machine learning” aufbereitet worden sind. Er lernt nicht auswendig, sondern erkennt Muster und Zusammenhänge, um konkrete Anliegen zu ermitteln. Wird der GovBot von Bürgern und Unternehmen verwendet, lernt er aus der Interaktion und verbessert sich ständig selbst. Bestes Beispiel dafür ist die eingebaute Erkennung von Verwaltungsanliegen namens “LeiKa-Magic”. Dabei wird eine Texteingabe so analysiert, dass als Ergebnis die korrekte Verwaltungsleistung samt des zugehörigen LeiKa-Codes ermittelt wird. Diese Funktion wird seit Sommer 2016 umfangreich im Praxiseinsatz trainiert und funktioniert daher sehr zuverlässig.

Datenschutzproblem gelöst Ein Problem fast aller Bots ist der Datenschutz: Durch die Nutzung der gängigen (amerikanischen) Messenger-Plattformen werden personenbezogene Daten erhoben und im Chatkontext

verarbeitet. Ebenso werden fast alle modernen Komponenten eines Chatbots, z. B. die Technologien für das “natural language processing” und das “machine learning”, oftmals nicht konform zum deutschen Datenschutz in der Cloud betrieben. Mit dem GovBot wurde dieses Problem gelöst, denn mit einer ausgefeilten “Micro-service”-Architektur werden alle für den Datenschutz relevanten Komponenten gekapselt und getrennt voneinander in Deutschland betreibbar gemacht. Diese Komponenten können “on premise” (z. B. in einem öffentlichen Rechenzentrum) oder in der Microsoft Cloud Deutschland liegen. Zusammenfassend kann man also sagen, dass Chatbots zahlreiche Vorteile mit sich bringen. Sie sind immer und überall verfügbar (24/7 auf zahlreichen Chatkanälen), barrierearm durch Sprachinterface z. B. mit Amazon Alexa und entlasten die Verwaltung, indem sie wiederkehrende Vorgänge automatisieren. Der GovBot unterscheidet sich dabei durch seine Spezialisierung auf die öffentliche Verwaltung von anderen Bot-Technologien, weil bei ihm bereits Verwaltungswissen in Form von LeiKa-Magic sowie den Schnittstellen zur Linie6Plus und der Verwaltungssuchmaschine NRW eingebaut ist. Er greift auf eine automatische Übersetzung mit hinterlegtem Verwaltungswörterbuch zu und wickelt den Chatdialog datenschutzkonform ab. Durch die Verwendung von “machine learning” handelt es sich um ein intelligenter werdendes System, das nicht nur starre Frage/Antwort-Optionen beherrscht. Die flexible Architektur und offene Schnittstellen ermöglichen es, verschiedene E-GovernmentDatenbanken und -Dienste in einem Chatprozess so zu verbinden, dass echtes E-Government entsteht. Mehr Informationen und eine Testversion des GovBot finden sich unter www.GovBot.io . *Dr. Christian Knebel ist Geschäftsführer der publicplan GmbH.

Servicekonto.NRW Absichtserklärung unterzeichnet (BS/gg) Im Rahmen des Kommunaltags NRW auf der CeBIT haben Vertreter des Landes und der Kommunen eine Absichtserklärung zum gemeinsamen Betrieb und der Weiterentwicklung des Servicekonto.NRW unterzeichnet. Das Land, vertreten durch Hartmut Beuß, CIO der Landesregierung, die kommunalen Spitzenverbände und den KDN als Dachverband der kommunalen IT-Dienstleister, bekräftigen mit der Vereinbarung ihren Willen, durch ein gemeinsames Vorgehen den Bürgern in NRW das Identifizieren und Authentisieren in digitalen Verwaltungsverfahren so leicht wie möglich zu machen. Die einmalige Registrierung soll genügen, um die so geschaffene digitale Identität in allen Online-Verfahren von Land und Kommunen nutzen zu können. Mit dem Servicekonto.NRW soll die aus dem E-Government-Gesetz NRW für Land und

Kommunen resultierende Verpflichtung erfüllt werden, bis 2018 den Bürgern ein Verfahren zur Online-Identifikation anzubieten. Die Verantwortung für den gemeinsamen Betrieb des Servicekonto.NRW liegt beim Land (MIK NRW). Der Betrieb selbst soll im Rahmen einer Datenverarbeitung im Auftrag an den KDN übertragen werden, der dazu das Kommunale Rechenzentrum Niederrhein und die citeq beauftragt. Die Komponenten des Servicekonto.NRW sowie den eID-Server hat die Governikus KG auf Basis der Produktfamilie Autent entwickelt, einer Anwendung des IT-Planungsrates.

Unterzeichneten die Absichtserklärung zum Servicekonto.NRW (v.l.): KDNGeschäftsführer Prof. Dr. Andreas Engel, NRW-CIO Hartmut Beuß, Andreas Wohland (Städte- und Gemeindebund NRW) und Dr. Marco Kuhn (Landkreistag NRW). Foto: BS/gg


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Behörden Spiegel / April 2017

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as Schlagwort Internet of Things fällt oft, wenn über Ideen für die Smart City und Industrie 4.0 geredet wird. Viele Anwendungsszenarien wie intelligente Parkraumbewirtschaftung, Abfallbeseitigung, Automatisierung von Wartungsabläufen in Fertigungsanlagen oder auch die Analyse von Wetter- und Bodendaten in der Landwirtschaft basieren auf dem Grundkonzept, Daten von unzähligen kleinen Messgeräten automatisiert zu sammeln und zentral auszuwerten. Diese Geräte (things) können je nach Anwendung kilometerweit voneinander beziehungsweise von einem zentralen Netzknoten entfernt liegen oder sich tief in Gebäuden oder sogar unter der Erde befinden. Eine Anbindung an Kommunikationsnetzwerke oder ans Stromnetz per Kabel ist häufig nicht praktikabel oder sogar unmöglich. Bei vielen IoTAnwendungen geht es also um batteriebetriebene Geräte, die per Funk Daten empfangen und senden und unter Umständen an Orten mit schlechter allgemeiner Netzabdeckung laufen sollen. Diesem Anforderungsprofil entsprechen sogenannte Low Power Wide Area Networks (LPWAN) – also NiedrigenergieWeitverkehrsnetze. Während bei WLAN oder den Mobilfunknetzen für Telekommunikation und Web-Anwendungen normalerweise auf möglichst hohe Datenübertragungsraten gezielt wird, reicht es für viele IoT-Szenarien aus, wenn die Geräte in größeren Zeitabständen

Funknetz für das Internet der Dinge Deutsche Mobilfunknetzanbieter setzen auf NarrowBand IoT (BS/Benjamin Stiebel) Auf dem Markt für Netzwerke für das Internet of Things (IoT) konkurriert der alte Mobilfunkstandard GSM bisher mit spezialisierten freien und proprietären Standards, die im lizenzfreien Netz angeboten werden. Mobilfunknetzanbieter setzen jetzt auf eine neue Funktechnologie im lizensierten Spektrum: NarrowBand IoT (NB-IoT). In Deutschland beginnt der Roll-out in Kürze. verhältnismäßige kleine Datenmengen senden oder empfangen können. Hier setzen LPWA-Netze an. Statt auf hohem Datendurchsatz liegt deren Fokus stärker auf enger Netzabdeckung, Zuverlässigkeit und hoher Gebäudedurchdringung. Die geringe Datenrate in Verbindung mit der guten Netzabdeckung bedingt auch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Der Betrieb der Geräte ist deutlich energieeffizienter, als es bei anderen Netztechnologien möglich wäre – mit einfachen Batterien können Laufzeiten von mehreren Jahren erreicht werden. LPWA-Netze ermöglichen also langlebige und wartungsarme IoT-Infrastrukturen – eine Voraussetzung für wirtschaftliche Geschäftsmodelle.

Neuling NB-IoT Der Markt für LPWA-Netze ist noch relativ jung. Trotzdem sind weltweit schon viele Pilotprojekte und erste kommerzielle Anwendungen in Betrieb. In den USA haben beispielsweise Dienste, die auf dem freiem Standard LoRaWAN basieren, einen Vorsprung vor NB-IoT. Weitere freie Standards wurden von Weighless SIG und der WiFi

Parkplatzsuche per App: 11.000 über NB-IoT vernetzte Sensoren sollen demnächst die Parkraumbewirtschaftung in Hamburgs Innenstadt optimieren. Foto: BS/Deutsche Telekom AG

Alliance veröffentlicht. Aufseiten der proprietären Standards ist zum Beispiel Sigfox zu nennen. Das Netzwerk des gleichnamigen französischen Start-ups ist nach eigenen Angaben bereits in 29 Ländern verfügbar, darunter auch in Deutschland. Ebenfalls mit geschlossenen Standards stellen sich WavIot und Ingenu dem weltweiten Markt für LPWA-Netze. Der erst im Sommer 2016 finalisierte NB-IoT Standard muss sich gegen die Wettbewerber erst

Steigende Produktivität – sinkende Resilienz Zentralisierung und Automatisierung in der Lebensmittelkette (BS/Jan Seitz/Felix Polla) Mit einem im Jahr 2015 laut Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie generierten Umsatz von 191 Mrd. Euro, wovon etwa 75 Prozent durch die “großen Fünf” (Edeka, Aldi, Schwarz-Gruppe, Rewe-Gruppe, Metro-Gruppe) realisiert werden, ist der Lebensmitteleinzelhandel eine wesentliche Säule der deutschen Wirtschaft und das maßgebliche “Gesicht” der deutschen Lebensmittelkette. Innerhalb der Unternehmen sind hochgradig vernetzte Prozesse und Strukturen vorherrschend: Automatisierung und Zentralisierung sind, aufgrund der möglichen Effizienzgewinne, die wesentlichen Entwicklungstreiber. Die Versorgung ganzer Bundesländer aus wenigen teilbis vollautomatischen Zentrallagern ist inzwischen gelebte Praxis. Diese Leistungsfähigkeit wird mit sinkender Resilienz erkauft, da immer größere Anteile des Leistungsportfolios von der Verfügbarkeit einiger weniger kritischer Ressourcen (in erster Linie Strom und Informationen) abhängig sind, auf deren dauerhafte Verfügbarkeit die Unternehmen in der Regel aber gar keinen Einfluss nehmen können. Dadurch droht im Ereignisfall – und das kann bereits die Beschädigung von Kabeln bspw. durch Bauarbeiten sein – der teilweise Zusammenbruch des Distributionsnetzes. In Sicherungssysteme, Redundanzen u. Ä. wird kaum investiert, da Prozesssicherheit auf dem heiß umkämpften, aber stabilen deutschen Markt “nur” Kosten verursacht und Investitionen in diesem Bereich daher potenziell die eigene Marktposition schwächen. Einer sehr hohen Leistungsfähigkeit im Normalfall, welche auch die Unwägbarkeiten des täglichen Geschäfts beherrschen kann, steht somit eine in Summe wesentlich geringere Leistungsfähigkeit im Krisenfall gegenüber. Kooperationskonzepte entlang der Warenkette (z. B. ECR und CPFR) sind zwar seit Jahrzehnten bekannt, ihre Umsetzung findet aber nur rudimentär statt. Hauptgründe dafür sind die tendenziell unsteten Geschäftsbeziehungen, der Mangel des

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noch behaupten. Für NB-IoT spricht die Freigabe im lizenzierten Spektrum. Im Gegensatz zu Netzen im unlizenzierten Spektrum können bei NB-IoT Frequenzen garantiert freigehalten werden – so kann prinzipiell eine bessere Dienstgüte erreicht werden. Als 3GPP-Standard hat die Technologie außerdem starke Rückendeckung. Das 3rd Generation Partnership Project ist das Standardisierungsgremium, das seit 1998 weltweit die Mobilfunkstandards wie UMTS und LTE festlegt und dem die meisten Mobilfunknetzbetreiber und Mobilfunkgerätehersteller angehören. Gegen den Vorsprung bereits kommerziell verwendeter unlizenzierter Standards haben die klassischen Netzbetreiber den Vorteil, auf ihre vorhandene Infrastruktur von Funkmasten für den Mobilfunk zurückgreifen zu können. Meist sind netzseitig nur Software-Updates vonnöten.

Roll-out bis 2018 Jan Seitz und Felix Polla arbeiten in der Forschungsgruppe Sichere Objektidentität an der Technischen Hochschule Wildau.

Dementsprechend zuversichtlich sind die Netzanbieter, was

Foto: BS/privat

für Kooperation notwendigen Vertrauens und die Frage der Verteilung erfolgreicher Einsparungen. Zudem ist die Prozessund Systemlandschaft sehr heterogen und Schnittstellen sind nicht immer standardisiert, sodass bereits die Umsetzung verhältnismäßig rückständiger Kooperationsmodelle, wie z. B. vollständig elektronischer Datenaustausch, bereits als großer Erfolg gewertet werden muss.

KMU im Nachteil Aus dieser Zweiteilung ergeben sich denn auch unterschiedliche Perspektiven im Hinblick auf die Digitalisierung, Big Data und Industrie 4.0. Großunternehmen können die sich aus diesen Ansätzen ergebenden Potenziale sehr viel besser nutzen als kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Durch die so steigende Leistungsfähigkeit, welche insbesondere durch intelligente Vernetzung der Systeme und prädiktive Verfahren erreicht wird, kann die jeweilige Marktposition verbessert werden. Für KMU hingegen ergibt sich eine düstere Zukunft, da ihnen in der Regel die Kapazitäten zur Umsetzung von Zukunftstechnologien und -konzepten fehlen und für Innovationen, oftmals eine Stärke von KMU, im Lebensmittelbereich nur geringer Spielraum besteht. Insgesamtbeschleunigtsichdadurch der Strukturwandel und

Arbeitsplätze werden verloren gehen, wobei aber gleichzeitig mit einer gesteigerten Gesamtproduktivität der Lebensmittelkette zu rechnen ist. Diese gesteigerte Gesamtproduktivität wird voraussichtlich, sofern die vergangenen Jahre und die allgemeinen Marktbedingungen ein Indikator sind, auf Kosten der Sicherheit erreicht werden: Bereits jetzt gibt es zu wenige realistische Krisenplanungen, zu wenig Kapazitäten zum Ausgleich unvorhergesehener Ereignisse (z. B. starke Unwetter) und erhebliche Probleme in der IT-Sicherheit. Durch die zunehmende Vernetzung, steigenden nationalen und internationalen Konkurrenzdruck sowie die derzeitige allgemeine politische und wirtschaftliche Instabilität ist mit einer weiteren Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Risiken und Möglichkeiten zu ihrer Beherrschung zu rechnen. Viele der hier skizzierten Herausforderungen wurden vom Verbundprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung NeuENV (Neue Strategien der Ernährungsnotfallvorsorge) adressiert und die Umsetzung einiger dort erarbeiteter Handlungsempfehlungen wird derzeit politisch unterstützt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit dies eine wirksame Gegenbewegung – hin zu mehr Resilienz und Sicherheit – darstellen kann.

das Tempo beim Ausbau angeht. Die Deutsche Telekom baut zurzeit Testnetze in Metropolregionen von acht europäischen Ländern aus; die flächendeckende Aufrüstung soll in der zweiten Jahreshälfte 2017 beginnen und bis spätestens Ende 2018 abgeschlossen sein. Auch Vodafone und Telefónica wollen NB-IoT in ihren Netzen noch 2017 in Deutschland verfügbar machen. Das Engagement für den neuen Standard geht aber bei allen drei Anbietern über die bloße Bereitstellung der Netzinfrastruktur hinaus. Durch Starthilfen für kleine Anbieter und Zusammenarbeit mit interessierten Partnern fördern sie innovative Anwendungen über NarrowBand IoT. So hat Telefónica den Schmalband-Standard in sein mit Huawei initiiertes 4,5G-Pilotnetz in München integriert. Neben dem schnellen Mobilfunkzugang für Endkunden wird in der sogenannten TechCity Munich also auch die Vernetzung bei IoT-Anwendungen erprobt. Erfahrungen

konnte Telefónica in Chile sammeln: Dort sind bereits smarte Wasserzähler im Einsatz. Die batteriebetriebenen Geräte lassen sich zentral steuern und sie übermitteln selbstständig Zählerstände von Privat- oder Industriekunden. Diese haben über ein Portal Zugang zu ihren Daten und können ihren Verbrauch komfortabel beobachten und kontrollieren sowie Tarife anpassen. Die Deutsche Telekom hat in einem Prototyping Hub 16 internationale Partner bei der Entwicklung von Geschäftsideen oder der Umsetzung bestehender Produkte für NB-IoT unterstützt. In Innovationslaboren hatten die Unternehmer Zugang zur neuen Technik und konnten in Kooperation mit Experten ihre Smart Solutions für Abfallmanagement, Parkraumbewirtschaftung oder Straßenbeleuchtung testen und weiterentwickeln. Mit Hamburg hat die Deutsche Telekom gerade eine Kooperationsvereinbarung für die Umsetzung einer smarten Lösung fürs innerstädtische Parken unterzeichnet. In den nächsten drei Jahren sollen 11.000 Parkplätze mit Sensoren vernetzt werden. Autofahrer sollen so mithilfe einer App schnell den nächsten freien Parkplatz finden, buchen und bezahlen können. Daten aus Parkplatzsensoren und Parkscheinautomaten sollen außerdem langfristig Analysen ermöglichen, die die Parkraumbewirtschaftung noch effizienter machen. Auch Vodafone fördert IoT-Geschäftsmodelle. In einem NarrowBand-IoT-Entwicklungszentrum wird in Kooperation mit Herstellern und Dienstleistern an smarten Anwendungen geforscht. Mit DB Systel, dem Digital-Dienstleister der Deutschen Bahn, wird ein Konzept für die Abfallbeseitigung erprobt: Mülleimer werden mit Sensoren ausgestattet, die ihren Füllstand überwachen. Die Daten werden in einer zentralen Anwendung gebündelt, die das Abfallaufkommen auswertet und Touren für die Leerung optimieren hilft.

Blockchain Hype oder Perspektive? (BS/ Bernd Baptist*) Menge und Wortlaut der Aussagen zur Blockchain in den Medien und von Marktforschern machen deutlich: die Blockchain ist aktuell der Hype. Es stellt sich die Frage, welche konkreten Perspektiven dieser Technologietrend der öffentlichen Verwaltung allgemein und für die Polizeiarbeit eröffnet. Eine Blockchain ist ein digitales Register, das an vielen Stellen den Knoten – parallel Einträge und deren Veränderung prüft und dokumentiert. Ein “Blockchain-Grundbuch” kann zum Beispiel Eigentumsübertragungen dokumentieren. Die Transaktion wird aber nicht von einem Notar beglaubigt und von einer Amtsperson in einem Grundbuch eingetragen. Alle Knoten prüfen sie gegen die Historie, führen sie bei Zustimmung der Mehrheit aller Knoten aus und speichern sie. Eine Manipulation ist praktisch unmöglich, da die Kompromittierung dieser Mehrheit notwendig und der Aufwand extrem hoch wäre. Zu diesen Eigenschaften der Blockchain-Technologie kommt die Möglichkeit, Smart Contracts zu hinterlegen, also Verträge, die ihre Regeln selbst umsetzen. Statt z. B. in aufwändiger Sachbearbeitung nach einem Unfall die Versicherungsprämie zu prüfen und zu erhöhen, führt das Ereignis automatisch zur Anpassung. Auch im Datenschutz bringt die Blockchain Vorteile. Da Transaktionen zwischen pseudonymisierten Konten ablaufen, ist es unnötig, seine Identität preiszugeben.

Vielversprechende Perspektiven für die Verwaltung … In vielen Ländern fehlen vertrauenswürdige Intermediäre. Wirtschaftliche, staatliche Entwicklung ist so unmöglich. Die Blockchain kann Grundlage für Aufschwung und verlässliche Staatlichkeit sein. Die Verwaltung hierzulande funktioniert fast optimal. Korruption spielt praktisch keine Rolle. Hier liegt das Potential in der Verschlankung von Prozessen und Kostenreduktion. Es würden beachtliche Kräfte, die heute Aufgaben als Intermediäre binden, für die Ausgestaltung der Verwaltung frei.

… und die Polizeiarbeit Für Polizeiarbeit sind Register wesentlich. Anwendungsfelder für Blockchains sind z.B.: Führerscheindaten können in einer Blockchain geführt werden. Die Überprüfung der Fahrerlaubnis erfolgt über ein mobiles Endgerät, ein Entzug ggf. direkt vor Ort. Abgabe, Verwahrung und Rückgabe des physischen Dokumentes entfallen. Der Lebenszyklus eines Asservats – wer es wann, wie und warum in Besitz hatte – ist in ei-

nem digitalen Asservatenbuch durchgängig, unveränderlich dokumentiert. Die Bekämpfung des illegalen Handels mit Diamanten ist ein weiteres Beispiel. Die Diamanten auszeichnenden Merkmale sind noch in Papieren festgehalten, die häufig gefälscht werden. Versicherungen regulieren hohe Schäden, Kriminelle aber tragen kaum Risiko. Eine Blockchain, die diesen illegalen Handel verhindern hilft, ist am Markt verfügbar. Ähnliches ist für Produktpiraterie denkbar. Vor zwei Jahren wurde auf dem Polizeikongress diskutiert, wie von Sensoren erfasste Daten für Ermittlungen aggregiert werden könnten. Als Hindernis wurde die schwierige gerichtsfeste Dokumentation genannt. Mit der Blockchain ist dies nun beweiskräftig umsetzbar. Bereits diese wenigen Szenarien verdeutlichen, dass viele recht schnell umsetzbar sind und die Blockchain – bei allem Hype – der öffentlichen Verwaltung interessante Perspektiven eröffnet. *Bernd Baptist, Head of Consulting Public Sector CEE, DXC Technology


IT-Sicherheit

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ehörden Spiegel: Herr von Notz, sind Fake News, Social Bots und Hasskommentare in Sozialen Netzwerken eigentlich notwendigerweise Gegenstand von Politik? Gelogen wurde doch immer.

Behörden Spiegel / April 2017

Große Probleme bei IT-Sicherheit Abgeordneter von Notz kritisiert zu starke BSI-Abhängigkeit vom BMI

(BS) “Fake News” sind – nicht zuletzt wegen US-Präsident Donald Trump – derzeit in aller Munde. Auch gibt es in Sozialen Netzwerken immer öfter offene Aufrufe zu Gewalt und Straftaten. Über Antwortmöglichkeiten der Politik darauf sprach der Behörden Spiegel mit dem Grünen-Bundestagsvon Notz: Das ist auf jeden abgeordneten Dr. Konstantin von Notz. Der Obmann seiner Fraktion im Ausschuss Digitale Agenda plädiert auch für eine unabhängigere Stellung Fall ein Gegenstand von Politik. des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Die Fragen stellten R. Uwe Proll und Marco Feldmann. Das Internet ist der wichtigste Kommunikationsraum unserer Zeit und man muss die einzelnen Probleme meiner Ansicht nach sehr scharf trennen. Das sind sehr unterschiedliche Phänomene. Bei sogenannter Hate Speech ist eines ganz klar: Wenn dort Persönlichkeitsrechte im Sinne des Strafgesetzbuchs verletzt werden, muss Strafverfolgung stattfinden. Außerdem müssen die Betreiber solcher Plattformen stärker in die Verantwortung genommen werden. Darüber hinaus sollten Beiträge von Social Bots gekennzeichnet werden. Der Nutzer muss erkennen können, wann er es mit einem Menschen und wann er es mit einem Computer zu tun hat. Behörden Spiegel: Gehen Sie von einer Beeinflussung des Bun­ destagswahlkampfes von außen aus? von Notz: Politische Propaganda hat es immer gegeben. Im Digitalen Zeitalter hat diese Problematik aber eine neue Dimension. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass wir in den kommenden Monaten mit Manipulationsversuchen im Digitalen im großen Stil konfrontiert werden. Ob das aber tatsächlich und vor allem wann es geschehen wird, vermag ich nicht vorherzusagen. Behörden Spiegel: Aktuell gibt es eine Sicherheitslücke bei einem Videoüberwachungsprogramm der US-amerikanischen

Firma Netbotz. Diese Technik wird auch von vielen großen deutschen Unternehmen zur Überwachung sicherheitskritischer Bereiche genutzt. Was muss die Politik tun? von Notz: Zu kritisieren ist, dass die Bundesregierung in diesem Bereich praktisch gar nichts tut. Und dabei lassen sich heutzutage jedes Haushaltsgerät und jeder Computer zu einer Wanze umfunktionieren. Da haben wir massive Probleme in der Sicherheit unserer IT-Infrastruktur. Kryptierung ist wichtig, bringt aber – zum Beispiel beim Einsatz von Keyloggern – nicht immer etwas. Behörden Spiegel: Wie bewerten Sie die Arbeit der Enthüllungsplattform Wikileaks? von Notz: Die Einäugigkeit von Wikileaks ist eindeutig und auch eine Schwäche der Plattform. Da geht es politisch immer nur in eine Richtung. Wikileaks hat in den letzten Jahren viel getan, um dem eigenen Ruf zu schaden. Immerhin haben die Verantwortlichen bei ihrer letzten Veröffentlichung versucht, Persönlichkeitsrechte zu schützen und sind mit den zugespielten Informationen deutlich verantwortungsvoller umgegangen als früher. Behörden Spiegel: Wie beurteilen Sie aktuell die Arbeit des Bundesamtes für Sicherheit in

“Die Einäugigkeit von Wikileaks ist eindeutig.” Dr. Konstantin von Notz ist seit 2013 stellvertretender Fraktionsvorsitzender und netzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Zudem ist er Mitglied im Innenausschuss. Foto: BS/von-notz.de

der Informationstechnik (BSI) und seines neuen Präsidenten Arne Schönbohm? von Notz: Ich schätze die Arbeit des BSI-Präsidenten und auch das neue Engagement der Behörde. Dennoch halten wir Grüne es für erforderlich, dass das BSI grundsätzlich unabhängiger sein sollte. Bis auf den sachlich gerechtfertigten Weisungsbereich für das Aufgabenfeld der bundeseigenen IT-Netze sollte das BSI ansonsten nicht mehr dem Bundesinnenministerium unterstellt sein. Es gibt einfach zu viele Interessenskonflikte, etwa zwischen dem ebenfalls dem Bundesinnenministerium unterstellten Bundesamt für Verfassungsschutz und dem BSI. Behörden Spiegel: Wie genau könnte diese Unabhängigkeit des BSI denn aussehen? von Notz: Das könnte man so organisieren wie bei der Bundesbeauftragten für den Daten-

schutz und die Informationsfreiheit (BfDI). Das wäre natürlich ein großer Schritt. Aber IT-Sicherheit ist eben auch eines der bedeutendsten Themen unserer Zeit. Das BSI muss über jeden Zweifel erhaben sein. Behörden Spiegel: Was halten Sie von Bestrebungen einzelner Bundesländer – vor allem Bayern – , eigene Landesämter für die Sicherheit in der Informationstechnik aufzubauen? von Notz: Eine Föderalisierung der IT-Sicherheit ist keine gute Idee. Davon rate ich strikt ab. Es ist gut, dass das BSI im Bereich der IT-Sicherheit die Standards setzt. Grundsätzlich bin ich nichtsdestotrotz ein Anhänger des föderalen Sicherheitsgefüges und glaube, dass dieses einer der Gründe ist, weshalb wir eigentlich eine so gut funktionierende Sicherheitsarchitektur haben. Behörden Spiegel: Wie stellen Sie sich die Organisation von IT und IT-Sicherheit auf Bundesebene in der kommenden Legislaturperiode vor? Plädieren Sie für einen IT-Minister auf Bundesebene? von Notz: Einen IT-Minister auf Bundesebene kann ich mir gut vorstellen. Insgesamt würde ich das aber undogmatisch sehen. Schließlich ist IT eine Querschnittsaufgabe. Es könnte also auch einen Staatsminister im Bundeskanzleramt geben, der das Thema prioritär und ganzheitlich behandelt. Auf eines kommt es mir aber an: Für die Bereiche IT und IT-Sicherheit muss es am Kabinettstisch künftig eine klare Verantwortlichkeit geben. Und das im Guten wie im Schlechten. Sowohl die Kompetenzen als auch die Verantwortlichkeiten in diesem Bereich müssen zentralisiert

werden. Bisher leidet die IT-Sicherheit in Deutschland noch zu stark unter den zersplitterten Zuständigkeiten und divergierenden Interessen. Behörden Spiegel: Wie würde Ihrer Meinung nach eine internationale Regulierung des digitalen Raums gelingen? von Notz: Wir brauchen bestimmte internationale Standards im digitalen Raum. Am besten sollten diese im Rahmen der Vereinten Nationen festgelegt werden. Das ist schließlich auch eine Frage von Werten. Da müsste es dann aber auch Sanktionsmöglichkeiten geben. Behörden Spiegel: Und wie sieht es mit der Wahrung der Bürgerrechte im digitalen Raum aus? von Notz: Die westlichen Demokratien müssen entscheiden, ob sie den Anspruch an Rechtsstaatlichkeit, den sie in der analogen Welt für sich in Anspruch genommen haben, auch in der digitalen Welt in Anspruch nehmen wollen. Oder ob festgestellt wird, dass das Internet ein rechtsfreier und eben auch ein grundrechtsfreier Raum ist. Davor kann ich nur warnen. Wenn sich alle Beteiligten im digitalen Raum gleich verfassungsrechtlich fragwürdig verhalten, relativieren sie die dortigen Standards. Wenn wir dort die Bürgerrechte verlieren, verlieren wir sie in allen Lebensbereichen. Behörden Spiegel: Inwiefern beeinflussen die großen Datenmengen heutzutage eigentlich die Arbeit der Sicherheitsbehörden? von Notz: Die Sicherheitsbehörden verfügen heutzutage nicht über zu wenige, sondern eher über zu viele Daten. Das

führt teilweise dazu, dass die Nadel im Heuhaufen nicht gefunden wird, weil schlicht zu viel Heu rumliegt. Deswegen sind massenhafte Datenerfassungen ein Irrweg, der dazu führt, dass der Fokus verrutscht. Wir brauchen präzise Kompetenzen und effektive Instrumente, damit wir den konkreten Verdachtsmomenten entschieden nachgehen können. Die Grundlage ist eine personell wie technisch top ausgestattete Polizei. Behörden Spiegel: Werden die Grünen eigentlich die Initiative ergreifen und versuchen, zum “Fall Amri” einen Untersuchungsausschuss einzurichten? von Notz: Der “Fall Amri” ist definitiv noch nicht abgeschlossen. Viele Fragen, die wir in diesem Zusammenhang haben, sind skandalöserweise weiterhin unbeantwortet. Die Bundesregierung leistet hier keine Aufklärung! Deshalb können wir uns in diesem Fall durchaus noch einen Untersuchungsausschuss noch in dieser Legislaturperiode vorstellen. Behörden Spiegel: Wie sind denn Ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Instrument Untersuchungsausschuss? von Notz: Mit diesem Instrumentarium muss verantwortungsvoll umgegangen werden. Natürlich sind Untersuchungsausschüsse unterschiedlich erfolgreich. Aber nichtsdestotrotz sind Untersuchungsausschüsse ein sehr wichtiges und richtiges Instrument parlamentarischer Aufklärung. Behörden Spiegel: In welchem Bundestagsausschuss werden Sie in der nächsten Legislaturperiode arbeiten und was sind die wichtigsten drei Punkte, die ein möglicher grüner Bundesinnenminister angehen müsste? von Notz: Ich hoffe, dass ich auch in der kommenden Legislaturperiode dem Innenausschuss angehören werde. Denn an diesem Ausschuss hängt mein Herz sehr. Die wichtigsten Aufgaben im Bereich der Innenpolitik sind meines Erachtens eine harte Aufgabenkritik der Sicherheitsbehörden sowie eine engere und funktionalere Verzahnung des Informationsaustausches der Behörden wie im Bereich des Gemeinsamen TerrorismusAbwehrzentrums (GTAZ) bei Achtung des Trennungsgebots. Außerdem müsste das Bundesinnenministerium sein Verhältnis zur Digitalisierung klären. Auch hier könnte ein neuer Staatsminister sehr helfen.

Gemeinschaftsaufgabe Cyber-Sicherheit Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik im Dialog mit Unternehmen (BS/stb) Voraussetzung für erfolgreiches Wirtschaften im digitalen Zeitalter ist die Sicherheit der Daten und IT-Systeme. Kleine und mittelständische Unternehmen für diese Erkenntnis zu sensibilisieren, ist eines der Ziele der Veranstaltungsreihe “BSI im Dialog mit der Wirtschaft” des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). In diesem Rahmen lud das BSI in die Geschäftsstelle der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Ingolstadt Interessierte aus Wirtschaft, Behörden und Politik zur Diskussion über Cyber-Sicherheit ein. “Leider zögern gerade viele mittelständische Betriebe nach wie vor bei Investitionen in eine sichere IT-Infrastruktur und betrachten das Thema zuallererst durch die Kostenbrille”, sagte Fritz Peters, Sprecher des IHK-Forums Region Ingolstadt, in seinem Grußwort. Dr. Reinhard Brandl, Mitglied des Deutschen Bundestags, betonte den Stellenwert des Themas

Cyber-Sicherheit für die Politik. BSI-Präsident Arne Schönbohm warb in einem Impulsvortrag für Kooperation zwischen Wirtschaft und Staat: “Cyber-Sicherheit ist für Unternehmen und Behörden eine Gemeinschaftsaufgabe”, betonte er. Zum Angebot des BSI sagte er: “Mit unseren Veranstaltungen treten wir mit Unternehmen vor Ort in Dialog. Konkrete Hilfestellungen bieten wir mit unseren Informationsangeboten sowie mit der Allianz für CyberSicherheit.” In einer Podiumsdiskussion diskutierten anschließend BSIPräsident Arne Schönbohm, Evi

Haberberger von der Zentralstelle Cybercrime am Bayerischen Landeskriminalamt, Thomas Reichert von Drivelock und Manfred Hoffmann von Hoffmann Mineral über die Herausforderungen der Digitalisierung und Möglichkeiten, IT-Systeme und Daten zu schützen. Fragen aus dem Publikum drehten sich um Mitarbeiter-Sensibilisierung und Schutz vor Cyber-Angriffen. Evi Haberberger sprach über die Schwierigkeiten im Umgang mit Cyber-Kriminalität und informierte über Kooperations- und Hilfsangebote der mit Cyber-Kriminalität beschäftigten Behörden für Unternehmen.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / April 2017

Strafverfolgung und Kryptografie

I

n einem Brief an die EUKommission forderten Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière und sein französischer Amtskollege Bruno Le Roux jüngst Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit in Europa. Unter anderem soll der Schutz der EU-Außengrenzen verstärkt werden und Informationssysteme sollen technisch und organisatorisch ausgebaut werden, um die operative polizeiliche Zusammenarbeit in den Mitgliedsstaaten zu verbessern. Um Gefahren frühzeitig erkennen und abwenden und bei Straftaten ermitteln zu können, fordern die Innenminister “rechtliche Mittel, um den Gebrauch von verschlüsselter elektronischer Kommunikation im Rahmen strafrechtlicher und administrativer Ermittlungen berücksichtigen zu können”.

Anbieter in die Pflicht nehmen Im Brief an die EU-Kommission nehmen die Innenminister Bezug auf eine deutsch-französische Erklärung und ein ausführliches Eckpunktepapier, das de Maizière und Le Rouxs Amtsvorgänger Bernard Cazeneuve bereits im Sommer 2016 vorgelegt hatten. Darin findet sich Näheres zu den geforderten rechtlichen Mitteln. Um Ermittlungen im Zusammenhang mit verschlüsselter Kommunikation zu ermöglichen, sollen die Anbieter der entsprechenden Dienste zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden verpflichtet werden – und zwar unabhängig davon, ob die

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Innenminister fordern EU-Regelungen zum Umgang mit verschlüsselter Kommunikation (BS/Benjamin Stiebel) Verschlüsselte Kommunikation, wie sie von kostenlosen Messenger-Diensten angeboten wird, stellt Ermittlungsbehörden vor große Herausforderungen im Kampf gegen Cyber-Kriminelle und Terroristen. Möglichkeiten, wie der Zugriff auf Nachrichten erleichtert werden könnte, werden derzeit von der EU-Kommission geprüft. Die Initiative dafür geht maßgeblich von den Innenministern von Deutschland und Frankreich aus. Anbieter ihren rechtlichen Sitz innerhalb oder außerhalb der EU haben. Wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums dem Behörden Spiegel mitteilte, solle die Europäische Kommission vor allem eine rechtliche Rahmengesetzgebung schaffen, die gleiche Pflichten für alle Kommunikationsdienstanbieter schafft. In Deutschland zum Beispiel regeln bislang das Telekommunikationsgesetz sowie die TelekommunikationsÜberwachungsverordnung die umfangreichen Pflichten der klassischen Telekommunikationsdienstleister gegenüber den Sicherheitsbehörden – internetbasierte Messenger-Dienste dagegen fallen gemeinsam mit Webshops, Suchmaschinen und anderen Angeboten unter das Telemediengesetz und unterliegen damit nicht denselben Vorgaben. Dass diese Trennung überholt und unsachgemäß sei, hatte de Maizière schon in Zusammenhang mit nationalen Vorschlägen zur Sicherheitspolitik betont. Für die geforderte Gesetzgebung auf EU-Ebene geht es vor allem darum, Regeln für eine effiziente Zusammenarbeit mit Kommunikationsdienstan-

mit denen verschlüsselte Kommunikation berücksichtigt und zugleich die Erhältlichkeit starker und zuverlässiger Kryptografie-Systeme gewährleistet werden kann.

Verschlüsselung umgehen oder knacken?

Viele Messenger-Dienste bieten standardmäßig starke Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Mitlesen können weder die Anbieter noch Ermittler ohne Weiteres. Foto: BS/William Hook, cc by-sa 2.0, flickr.com

bietern zu schaffen. Es müsse klare Ansprechpartner für Ermittlungsbehörden und klare Grundlagen für die Herausgabe von Daten und die Überwachung von Kommunikation geben, wie de Maizière und Cazeneuve im Herbst in einem weiteren Schreiben an die EUKommission forderten. Doch wie will man damit das Problem der Verschlüsselung umgehen? Frankreich hatte sich im Vorfeld der deutschfranzösischen Initiative für eine

IT für sichere Bundestagswahlen Schutz der IT-Infrastruktur des Bundeswahlleiters gegen Cyber-Angriffe

Verpflichtung der Dienstanbieter ausgesprochen, Wege in ihre Verschlüsselungstechnologien einzubauen, über die Ermittlungsbehörden Zugriff auf Klartextnachrichten bekommen können. Eine entsprechende Formulierung in der französischen Pressemitteilung zum gemeinsamen Eckpunktepapier der Innenminister sorgte hierzulande für Irritation, weil de Maizière solche Hintertüren wiederholt ausgeschlossen hatte. So wird in allen offiziellen Papieren und Erklärungen auch stets betont, dass Lösungen gefunden werden müssen,

Auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zu dem Thema antwortete die Bundesregierung, es solle “ein hohes Schutzniveau der Systeme gewährleistet werden, um die Verschlüsselungstechnologien für Benutzer und Wirtschaft nicht zu schwächen”. Dementgegen sieht Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der Fraktion Die Linke, in dem deutsch-französischen Vorstoß “einen Generalangriff auf verschlüsselte Telekommunikation”. Hintertüren, wie von Frankreich gefordert, erwartet Hunko zwar nicht, jedoch sei mit vermehrtem Einsatz staatlicher Trojaner-Software zu rechnen. Gemeint sind Programme, die es Ermittlungsbehörden ermöglichen, Nachrichten unbemerkt direkt von Geräten abzuschöpfen und mitzulesen, noch bevor sie von der Messenger-Software verschlüsselt und versendet werden. Diese Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) ist in Deutschland bereits möglich.

MELDUNG

(BS/stb) “Die hohen Sicherheitsanforderungen im Rahmen der IT-Unterstützung der Wahlen sind sowohl in der Gesamtarchitektur der informationstechnischen Realisierung als auch in speziellen Sicherheitsmaßnahmen berücksichtigt.” So steht es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Behörden gut aufgestellt Die Linke im Bundestag. (BS/mfe/stb) Infolge von Er- Spiegel-Ausgabe Gefragt wurde nach technischen Vorkehrungen gegen befürchtete Cyber-Angriffe und Falschmeldungen, die die Bundestagswahl im Herbst dieses Jahres beeinflussen könnten. Die Bundesregierung erklärt: “Die IT-Infrastruktur des Bundeswahlleiters wird stets unter der Prämisse einer sicheren Durchführung der Wahlen konzipiert bzw. fortentwickelt. Dies schließt eine hochverfügbare

Infrastruktur zur Ermittlung des Wahlergebnisses ebenso ein wie den Schutz der Integrität der Wahlergebnisse und die Vertraulichkeit der relevanten Daten.” Die Bundesregierung beruft sich auf umfangreiche Sicherheits- und Ausfalltests sowie auf Notfallvorsorgemaßnahmen, die bei früheren Wahlen überzeugt hätten. Auf dieser Grundlage erfolge derzeit eine Neuaufstellung

der Sicherheitskonzeption mit Blick auf aktuelle Erfordernisse für die Bundestagswahl 2017. Hervorgehoben wird die enge Zusammenarbeit des Bundeswahlleiters mit dem ITZBund, das das Verwaltungsnetz betreibt, und mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), “um auf neue Erkenntnisse reagieren zu können und in ausreichendem Maße Gegenstrategien sicherzustellen”.

mittlungen des brandenburgischen Landeskriminalamts und der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main gegen einen losen, bundesweiten Täterverbund, dem unter anderem Erpressungsversuche gegen die Flughäfen Schönefeld und Düsseldorf zugeschrieben werden, hatte es drei Verhaftungen und bisher eine Verurteilung gegeben. Zwar handelte es sich um keinen Fall von klassischem Cyber Crime (siehe Behörden

März 2017, Seite 44), jedoch hatten die Täter sich über die Hackerszene organisiert. Dr. Herbert Trimbach, Abteilungsleiter im brandenburgischen Innenministerium, erklärte gegenüber dem Behörden Spiegel: “Fälle wie dieser, bei dem wir tief innerhalb der Hackerszene ermittelt haben und am Ende Haftstrafen stehen, zeigen deutlich, dass wir im Land, aber auch länderübergreifend, gut aufgestellt sind.”

Ziel EU-Gesetz Ziel der Innenminister dürfte es also sein, schnell eine Rahmengesetzgebung zu schaffen, die auf EU-Ebene rechtlich regelt, was technisch möglich ist oder sein wird, und die die Zusammenarbeit der Behörden untereinander und mit den Dienstanbietern vor allem in Fällen grenzüberschreitender Kriminalität erleichtert. Inzwischen ist die deutschfranzösische Initiative sowohl in der EU-Kommission als auch im Rat für Justiz und Inneres behandelt worden. Die Kommission begrüßte die Vorschläge und kündigte neue Rahmenvorgaben zum Datenschutz für elektronische Kommunikation zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Anbieter von Kommunikationsdienstleistungen an. Wie ein Sprecher der Kommission dem Behörden Spiegel mitteilte, sei derzeit aber keine Gesetzgebungsinitiative im direkten Zusammenhang mit verschlüsselter Kommunikation geplant. Allerdings wird derzeit juristische und technische Expertise gesammelt, um Möglichkeiten zu sondieren, wie Ermittlungshindernisse durch Verschlüsselung überwunden werden können, ohne Vertrauen in digitale Dienste und deren Sicherheit zu gefährden. Dabei werde einerseits mit EU-Behörden wie Europol, Eurojust und der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) und andererseits mit Vertretern von Industrie und Zivilgesellschaft zusammengearbeitet. Ergebnisse will die Kommission in der zweiten Jahreshälfte 2017 vorlegen.

Münchner

Münchner Cyber Dialog 29. Juni 2017, München

Eine weitere Möglichkeit, verschlüsselte Kommunikation zu berücksichtigen, ohne Unternehmen zur Kompromittierung ihrer eigenen Produkte zu zwingen, besteht darin, bereits verschlüsselte Nachrichten zu entschlüsseln. Anbieter müssten dann lediglich Zugang zum Datenverkehr gewährleisten. Die Entschlüsselung müssten die Behörden selbst leisten. Hier entsprechende technische Möglichkeiten zu schaffen, ist Aufgabe der neu eingerichteten Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS), die unter anderem Methoden und Produkte zur Dekryptierung für Ermittlungsbehörden erforschen und entwickeln soll.

CYBER Dialog

GESTALTETER WANDEL ODER ADMINISTRIERTES CHAOS? Die sichere digitale Transformation in Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft ist entscheidend für die Zukunft des Standortes Deutschland. Gleichzeitig mangelt es oft an entsprechenden, zukunftsorientierten Digitalisierungsstrategien. Seien Sie dabei und diskutieren Sie mit, wenn sich hochrangige Vertreter aus Politik und

REFERENTEN

AUF DEM KONGRESS U.A.

Staatsminister Dr. Marcel Huber MdL, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei und Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Sonderaufgaben

Verwaltung, der Industrie und IT-Unternehmen zum Münchner Cyber Dialog 2017 treffen.

Peter Batt Abteilungsleiter Informationstechnik, Digitale Gesellschaft und Cybersicherheit; IT-Direktor, Bundesministerium des Innern

Univ.-Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek Direktorin des Forschungszentrums CODE, Universität der Bundeswehr München

Carsten Heitmann Vice President IT-Security Governance, Robert Bosch GmbH

www.muenchner-cyber-dialog.de

Veranstalter

Partner:


IT-Sicherheit

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IT-Sicherheit auf der CeBIT

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ie neu vorgestellte Lösung läuft allerdings nur auf Geräten von Samsung. Bei der bestehenden Infrastruktur, die zu Teilen auch aus Servern auf Anwenderseite besteht, können weiterhin die Blackberry SecuSuite sowie die neuen Geräte von Samsung betrieben werden. Grund ist, dass das koreanische Unternehmen die Sicherheitslösung Samsung Knox sowohl auf Smartphones wie Tablets eingeführt hat. Die Android-Variante der SecuSuite baut auf dieser Lösung auf. Heute sind bei den Bundesbehörden und der Bundeswehr über 15.000 Geräte im Einsatz.

Großer Fokus auf Sicherheitsbehörden Auch Rohde & Schwarz, vor allem von der Messtechnik im Mobilfunk her bekannt, aber genauso aus der hochsicheren Kommunikation und Kryptierung für die Streitkräfte, rechnet noch für dieses Jahr mit der Zulassung durch das BSI für “BizzTrust”, eine Lösung für sichere Kommunikation, die auch auf Tablets läuft. Grundlage von BizzTrust ist ein gehärteter Sicherheitskern, der durch zusätzliche State-of-theArt-Sicherheitsmechanismen und feingranulare Zugriffswege vor Angriffen wie Zero-DayExploits schützt. Unterstützt wird BizzTrust durch die Verwendung von Smartcards zum Schutz von Langzeitschlüsseln. Der Hersteller betont, dass eine Trennung von Daten und Apps in die Zonen “Restricted” und “Open” eingebaut sei. Der Zulassungsprozess beim BSI läuft schon seit geraumer Zeit. Rohde & Schwarz hat sich bei seinen Vorführgeräten auf der CeBIT auf die aus seiner Sicht bei den Kunden sehr beliebten Sony-Handhelds fokussiert, möchte seine Lösung aber für alle Android-Geräteanbieter realisieren. Secunet, Lieferant der sogenannten SINA-Box, die von der Bundeswehr, der Bundesregierung, insbesondere dem Auswärtigen Amt, aber auch zahlreichen Polizeibehörden verwendet wird, liefert seit Jah-

Zahlreiche neue Produkte vorgestellt (BS/R. Uwe Proll) Sicherheit ist einer der Innovationstreiber in der IT und damit auch auf der CeBIT. Die Blackberry-Tochter Secusmart hat auf der CeBIT die neue Generation ihrer Verschlüsselungslösung SecuSuite vorgestellt, die auch im Bereich Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD) zugelassen ist. Die neue mobile Sicherheitslösung zur Sprach- und Datenverschlüsselung ist für das Betriebssystem Android entwickelt worden. ren auch Tablets für den VSNfD-Betrieb. Das Unternehmen arbeitet parallel, denn auch physikalische Sicherung und Kryptierung findet sich im Portfolio für die Bundeswehr. Mit der SINALösung versieht das Essener Unternehmen aber auch schon seit Jahren verschiedene Lenovo-Laptops. Von diesen Workstations hat das Unternehmen für VS-NfD über 11.000 Stück verkauft. Nicht nur sichere Mobilkommunikation war ein Sicherheitsthema auf der CeBIT, sondern auch die Cloud. Während der Bund sich eine Bundes-Cloud bauen will, zusätzlich noch eine besonders vertrauliche Cloud für Sicherheitsbehörden, sind Landes- und Kommunalverwaltungen auf der Suche im Markt, das gilt auch für Landespolizeien. Das BSI hat hierfür einen Funktionalkatalog mit dem Titel C5 vorgelegt. Microsoft strebt mit seiner deutschen CloudLösung (der Behörden Spiegel berichtete mehrfach), bei der T-Systems den Treuhänder im Kontakt mit personenbezogenen Daten abgibt, eine C5-Zertifizierung bis Ende des Jahres an. Amazon, bzw. AWS, hat für eine Cloud-Lösung in Frankfurt a. M. bereits ein C5-Zertifikat erhalten. Auch die Bundesdruckerei bot auf der CeBIT eine sichere Cloud-Lösung nach “Security-by-Design” an. Die Daten werden am Arbeitsplatz verschlüsselt, danach auf Basis von RAIC (Redundant Array of Independent Clouds) verteilt und ausfallsicher bei mehreren Speicherdiensten in Deutschland abgelegt. Secunet liefert schon heute mit “easygate” automatisierte Personenkontrollsysteme für die Grenze. Mit “easykiosk” wird die

Einfacher Umstieg möglich Vom GS-Tool zum DocSetMinder (BS/Krzysztof Paschke*) Die Umsetzung der BSI-Standards 100-1 bis 100-4 in der öffentlichen Verwaltung unterstützt die Lösung DocSetMinder der GRC Partner GmbH. Ein grafischer Import-Assistent ermöglicht dabei eine reibungslose Step-by-Step-Übernahme der Daten aus dem GS-Tool. Hierbei kann der Nutzer selbst festlegen, welche IT-Verbünde, Zielobjekte und verwendete Bausteine mit den Maßnahmen übernommen werden sollen. In der SQL-Datenbank werden die erfassten Sicherheitskonzepte sicher nach ASE-256 verschlüsselt. Die BSI-Methodik des ITGrundschutzes, inkl. Notfallmanagement, wird von DocSetMinder konsequent abgebildet. Die Module “BSI 200-2”

Behörden Spiegel / April 2017

(Draft), “BSI 200-3”, “Krisenmanagement” und die “EU-Datenschutz-Grundverordnung” stehen bereits optional zur Verfügung. Für die unmittelbaren Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen in Deutschland fallen für das Modul “IT-Grundschutz” keinerlei Lizenzkosten an. Die Lösung bietet somit eine hervorragende Grundlage, um die Behörden sicher und “Ready for Audit” zu machen. *Krzysztof Paschke ist Geschäftsführer der GRC Partner GmbH.

Cyber-Sicherheit war eines der wichtigsten Themen auf der CeBIT. Etliche Hersteller von Sicherheitslösungen haben ihre neuen Produkte auf der CeBIT neben interessierten Besuchern auch den Polizeibehörden vorgestellt, die ebenfalls auf der CeBIT als Aussteller auftraten. Foto: BS/Stiebel

bisher automatisierte Identifizierung von Personaldokumen-

ten von Bürgern aus SchengenStaaten noch auf Drittstaaten

erweitert. Das Gerät ähnelt einer halboffenen Telefonzelle:

Es prüft den Pass auf Echtheit, biometrische Daten werden – je nach Anforderung Fingerabdruck, Iris oder Gesicht – erfasst und mit abgeglichen. Die Beantwortung der behördlichen Einreisebefragung erledigt der Einreisende selbständig an einem Touchscreen. Die Informationen werden im Hintergrund geprüft und zwischengespeichert. Der erste Schritt der Einreise ist gegeben. Vergleichbar vereinfacht der Vor-Prozess die weitere Einreiseabwicklung wie das US-Einreiseformular ESTA. Mobile Identifikationsverfahren bietet secunet in Kofferlösungen an. Auch eine neue Workstation für die Sicherheitsstufe Geheim präsentierte das Essener Unternehmen auf der CeBIT. Premiere hatte die deutsch-israelische Kooperation zwischen secunet und dem Halbleiterhersteller Mellanox, bei der es um die Übertragung von verschlüsselten Daten geht. Hier soll das Layer-3-Produkt mit Mellanox ein Angebot für sichere Rechenzeiten und den behördlichen Cloud-Betrieb darstellen. Eine Testmaschine schaffe eine Datenleistung für VS-NfD von 216 Gigabit direktional.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / April 2017

KNAPP

Berlin auf dem Holzweg?

Streit um Überstunden

Einsatz von Distanz-Elektroimpulsgeräten durch die Polizei eventuell rechtswidrig (BS/Marco Feldmann) Wann dürfen Elektroimpulsgeräte, die über mehrere Meter hinweg Pfeile verschießen können, von der Polizei in Bund und Ländern eingesetzt werden? Auf jeden Fall, wenn die gesetzlichen Grundlagen dafür stimmen. Doch genau hier liegt für die Landespolizei in der Bundeshauptstadt das Problem. Der Einsatz könnte nicht gesetzeskonform sein, die Rechtsgrundlage nicht eindeutig. Diesen Schluss legt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages nahe. Dass es anders geht, zeigen mehrere Regelungen in anderen Bundesländern. Zwar beschäftigen sich die Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes eigentlich mit der Frage, ob es für den Einsatz der Technik bei der Bundespolizei einer Rechtsgrundlage bedarf. Die Ausführungen sind aber auch für Berlin von großer Bedeutung. Schließlich ist die Gerätenutzung dort nur in einer Ausführungsvorschrift geregelt. Dieses Vorgehen kritisiert Prof. Clemens Arzt von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR). Der Direktor des Forschungsinstituts für Öffentliche und Private Sicherheit meint: “Wenn der Staat ein so schwerwiegend in die Grundrechte eingreifendes Mittel nutzen will, muss er dessen Einsatz explizit in einem Gesetz regeln. Das nur in einer Verwaltungsvorschrift zu tun, reicht nicht aus.” Hiergegen spreche nicht nur die Gesetzesgebundenheit der Verwaltung, sondern auch die sogenannte Wesentlichkeitstheorie. Zudem fordere auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei solch eingriffsintensiven Mitteln wie dem Distanz-Elektroimpulsgerät eine ausdrückliche gesetzliche Regelung. Die indes fehle in Berlin.

Beamte brauchen Rechtssicherheit Dabei geht es dem Juristen nicht um eine grundlegende Ablehnung der Technik aus rechtlichen Gründen: “Das DistanzElektroimpulsgerät per se ist nicht unzulässig. Es müsste nur das Berliner Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges geändert werden.” Dann wäre seine Nutzung rechtlich durchaus zulässig, meint Arzt, auch wenn er befürchtet, dass eine breite Ausstattung der Poli-

Einsatz kommen. Aus diesem Grunde halte man die Änderungen in den Ausführungsvorschriften des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges derzeit für ausreichend. Schließlich heiße es dort, dass Distanz-Elektroimpulsgeräte, die mithilfe von Druckgas oder einer Treibladung an Drähten geführte Elektroden verschießen, als Schusswaffen anzusehen sein, solange ihr Gebrauch nicht speziell im Gesetz geregelt sei.

Sachsen mit sehr liberaler Regelung Mit der rechtlichen Absicherung der Nutzung von Distanz-Elektroimpulsgeräten könnte das Land Berlin den Holzweg beschreiten. In der Bundeshauptstadt ist die Anwendung der Technik nämlich nur in einer Ausführungsvorschrift geregelt. Mehrere Juristen sind allerdings der Auffassung, dass die Nutzung der Geräte einer expliziten gesetzlichen Grundlage bedürfe. Foto: BS/Albrecht E. Arnold, pixelio.de

zei mit Elektroimpulsgeräten zu einer deutlichen Herabsetzung der Einsatzschwelle bei der Polizei führen könnte. Für die umgehende Schaffung einer soliden gesetzlichen Grundlage plädiert auch der Berliner Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Dessen Sprecher Benjamin Jendro fordert: “Wenn wir das Distanz-Elektroimpulsgerät an den Gürtel unserer Polizistinnen und Polizisten bringen wollen, muss die Grundlage für sie gegeben sein.” Außerdem betont er: “Die Veränderung einer Ausführungsvorschrift ist schön und gut. Sie ändert aber nichts daran, dass es eine gesetzliche Regelung braucht, damit das Distanz-Elektroimpulsgerät als zusätzliches Hilfsmittel im Dienst angewendet werden kann.” Das könne nur durch eine Veränderung des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges erfolgen. “Wir begrü-

ßen den Testlauf und nach entsprechenden Ergebnissen auch eine flächendeckende Anschaffung der Geräte für die Berliner Polizei”, bekräftigt Jendro. Dafür müssten sie gesetzlich allerdings als zusätzliches Hilfsmittel der körperlichen Gewalt und somit unterhalb der Schusswaffe eingeordnet werden. Ansonsten entfielen nämlich die Anwendungsmöglichkeiten, warnt der Gewerkschaftsvertreter. Und ohne exakte rechtliche Einordnung müsse das Pilotprojekt, das derzeit mit 20 Beamten in zwei Polizeiabschnitten stattfindet, sofort abgebrochen werden. Ähnlich äußert sich die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (siehe auch Seite 39), die das Gutachten beim Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages in Auftrag gab: “Wenn die Polizei schon mit den Distanz-Elektroimpulsgeräten schießt, dann sollte ja wohl klar sein, dass es hierfür

auch eine eindeutige rechtliche Grundlage gibt. Eine einfache Verwaltungsvorschrift reicht dafür nicht.”

Senatsverwaltung beschwichtigt In der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport kann man die Aufregung über die juristische Zulässigkeit des Pilotprojekts nicht ganz nachvollziehen. Seitens der Behörde heißt es: Die Distanz-Elektroimpulsgeräte seien gemäß des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bereits als Schusswaffe kategorisiert. Außerdem habe die Behörde der aufgesetzten Anwendungsweise als Elektroschocker ausdrücklich nicht zugestimmt. Des Weiteren dürften die Geräte nur von den bisher 20 speziell geschulten Polizeivollzugsbeamten verwendet werden und nur unter den gleichen Voraussetzungen wie die Dienstwaffe selbst zum

Dass es aber auch anders geht, zeigen die rechtlichen Bestimmungen in anderen Bundesländern. So lässt zum Beispiel Hamburg den Einsatz der Distanz-Elektroimpulsgeräte ausdrücklich per Gesetz zu. Dort sind sie explizit als Waffen eingestuft. Ähnlich sieht es in Bayern, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz aus. In Sachsen wiederum sind sie beim Spezialeinsatzkommando (SEK) sogar als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt kategorisiert. Damit stehen sie im Freistaat auf einer Stufe mit Pfefferspray und dem Einsatzmehrzweckschlagstock und dürfen deutlich schneller als im übrigen Bundesgebiet genutzt werden. Ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Zulässigkeit der Verwendung von Distanz-Elektroimpulsgeräte stehen neben Berlin übrigens auch noch Nordrhein-Westfalen und der Bund da. Immerhin eine Nutzung von anderen als im jeweiligen Polizeigesetz explizit zugelassenen Waffen – gegebenenfalls per Verwaltungsvorschrift – erlauben hingegen unter anderem Hessen und Thüringen.

(BS/mfe) Im Bundeskriminalamt (BKA) ist –nicht zuletzt nach dem Anschlag von Berlin – massiv Mehrarbeit angefallen. Für die Mitarbeiter bedeutet das: Sie tragen Hunderttausende Überstunden vor sich her. Besonders betroffen sind die Staatsschützer, die Kräfte der Mobilen Einsatzkommandos und die Personenschützer der Sicherungsgruppe. Nun droht die Situation zu eskalieren. Grund ist ein Erlass des Bundesinnenministeriums (BMI), wonach die bislang angefallen Überstunden innerhalb von 36 Monaten abzubauen seien. Für Mehrarbeit, die nach dem 1. August letzten Jahres geleistet wurde, gilt sogar nur eine Frist von einem Jahr. Ansonsten verfallen alle Ansprüche ersatzlos. Angesichts der weiterhin angespannten Sicherheitslage dürfte sich eine Umsetzung der BMI-Vorgaben im BKA jedoch als schwierig erweisen. Dies hat offenbar auch Behördenleiter Holger Münch erkannt. Er remonstrierte.

Rechtsstreit um Korvetten? (BS/por) German Naval Yards will Klage gegen eine Nachbestellung von fünf Korvetten des Typs K130 der Bundeswehr einreichen. Im Herbst 2016 war die Entscheidung der Bundeswehr bekannt geworden. Bei der deutschen Marine sind bereits fünf Schiffe dieses Typs im Einsatz. Sie wurden zwischen 2008 und 2012 ausgeliefert. Die neuen Korvetten sollen die Werften von Lürssen und TKMS bauen. Initiiert wurde das Vorhaben von den Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs (SPD) aus Hamburg und Eckhardt Rehberg (CDU) aus Mecklenburg. Die Opposition wittert bereits Wahlkreisgeschenke. German Naval Yards kritisiert, dass es sich nicht um eine Nachbestellung, sondern um Weiterentwicklungen handele, deren Beschaffung neu ausgeschrieben werden müsse.

Eine Veranstaltung des

Beschaffertage 2017 30. – 31. Mai 2017, Bonn

Weitere Informationen und Anmeldemöglichkeit unter: www.bos-beschaffertage.de

Fachliche Leitung:


Regulierung

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ktuelle Beispiele für den Einsatz ziviler Drohnen finden sich in fast allen wirtschaftlichen Branchen: Mit professionellen Drohnen ist es möglich, im Hoch- und Tiefbau dreidimensional und in höchster Genauigkeit Baustellen zu kontrollieren und zu planen. Für die Logistik können Drohnen ein Verkehrswege entlastendes Beschleunigungsinstrument sein. Außerdem schaffen sie neue Ansätze für Überwachungsaufgaben, in der Landwirtschaft ermöglichen sie etwa die Kontrolle von ökologischen Abständen und im Vermessungswesen beschleunigen sie besonders die Aufnahmen großer Flächen. Damit ist nur ein kleiner Teil der professionellen Anwendungen beschrieben. Den DrohnenDienstleistungen wird in den kommenden Jahren ein starkes Wachstum vorausgesagt.

Bundesregierung mit realitätsferner Annahme Es ist darum geboten, von einem kommenden Alltags- und Massenphänomen zu sprechen. Doch die Vorstellung des Bundeskabinetts, dieses Massenphänomen vor allem durch die Vorgabe von Drohnen-Gewichtsklassen unter und über fünf Kilogramm zu regeln, ist realitätsfern. Hier zeigt sich wieder einmal,

Ein untauglicher Versuch Drohnen-Verordnung überfordert Akteure (BS/Prof. Dr. Martin Maslaton*) Die neue Drohnen-Verordnung zeigt, dass der Gesetzgeber nicht erkannt hat, dass er hier ein künftiges Massenphänomen regulieren muss. Mit den auf sie zukommenden Einzelgenehmigungen werden die Behörden stark überfordert sein. wie schwer sich ein Gesetzgeber tut, neue technische Massenphänomene zu regulieren und auf eine kommende Realität frühzeitig zu reagieren. Erinnert sei etwa an die Sattelitenschüsseln. Als diese simplen Fernsehempfänger auf den Markt kamen, waren sie zunächst einem Regularium für Funk-Empfangsanlagen aus dem Kalten Krieg unterworfen. Nach dieser Vorgabe hätte jeder Besitzer einer solchen Anlage sie bei der zuständigen Behörde anmelden und in einem geregelten Verfahren genehmigen lassen müssen. Wo das passierte, wurde nicht nur über Genehmigungserfordernisse gestritten, es wurden auch Ordnungswidrigkeitsverfahren auf den Weg gebracht. Angesichts der Millionen von Satellitenempfängern, die dann im ganzen Land angebracht wurden, waren die Behörden aber bald völlig überfordert, der Gesetzgeber sah den Fehler ein und zog die Initiative zurück. Bei zivilen gewerblichen Droh-

nen wurde nun eine ähnliche sachfremde Regelung getroffen.

Einzelerlaubnis bei Drohnen sinnlos Im Entwurf der Regierung steht der Gefahrenbegriff im Vordergrund. Bei Drohnen ab fünf Kilogramm (einschließlich Nutzlast) ist durch eine Einzelerlaubnis der Landesluftfahrtbehörden zu klären, ob ein Risiko durch die gefährliche Annäherung einer Drohne an Flugzeuge im Einzelfall vorliegt oder nicht. Eine solche Einzelerlaubnis ist in der traditionellen Luftfahrt sinnvoll, um das Starten und Landen von kleinen und großen Passagierflugzeugen zu regeln. Sie ist aber nicht sinnvoll, um den vielfachen flexiblen Einsatz von ferngesteuerten Kleinstfliegern etwa auf Baustellen zu regulieren. Die Verordnung weist nun an einer einzelnen Stelle darauf hin, dass anstelle der Einzelerlaubnis womöglich mit einer sogenannten Allgemeinerlaubnis operiert werden soll. Im Bereich des bemannten Luftverkehrs

Wer haftet bei Unfällen? Automatisiertes Fahren mit zahlreichen offenen juristischen Fragen (BS/stb*) Abstand halten, Tempolimits beachten, einparken. Das können einige moderne Autos bereits weitgehend selbstständig erledigen – wenn die Verkehrssituation hinreichend übersichtlich ist. In Zukunft werden Fahrzeuge in jeder Situation autonom steuern können und den Fahrer überflüssig machen. Bis es so weit ist, sollen sich Fahrer und automatisierte Bordsysteme die Kontrolle teilen. Aber teilen sie sich auch die Verantwortung? Prinzipiell gilt in Deutschland ein System von Gefährdungs- und Verschuldungshaftung. Das heißt: Der Fahrzeughalter haftet grundsätzlich für Schäden, die beim Betrieb seines Fahrzeuges entstehen. Der Fahrzeugführer haftet für Schäden, die durch sein Verschulden – also durch Fahrlässigkeit oder Vorsatz – entstanden sind. Außerdem kommt eine Haftung des Herstellers in Betracht, wenn ein Unfall auf technische Fehler zurückgeführt werden kann. Geschädigte haben grundsätzlich einen Direktanspruch gegenüber der Kfz-Haftpflichtversicherung des Halters des Fahrzeugs, durch das ein Schaden entstanden ist. Die Versicherung kann dann gegebenenfalls Fahrzeugführer oder Hersteller in Regress nehmen. Wenn beim autonomen Fahren technische Systeme bald die vollkommene Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen, wird darüber nachzudenken sein, ob eine generelle Herstellerhaftung möglicherweise angemessener ist. Beim automatisierten Fahren liegt die Kontrolle aber zunächst nur zeitweise beim technischen System.

Übernahme muss immer möglich sein Rechtssicherheit für den Übergang soll die Gesetzesinitiative des Bundesministers für Verkehr und digitale Infrastruk-

Behörden Spiegel / April 2017

sind solche allgemeinen Erlaubnisse etwa bei der Nutzung von landwirtschaftlichen Hubschraubern und Flugzeugen bekannt. Zum Beispiel erhält ein Betrieb die Allgemeinerlaubnis für Flüge mit seinem Sprühflugzeug. Der einzelne Flug wird dann idealtypisch lediglich angezeigt.

Allgemeinerlaubnis endet an Ländergrenzen Auch die Allgemeinerlaubnis hat ihre Tücken, denn sie gilt nur für das jeweilige Bundesland. Darum wurden kürzlich gegen einen (an sich vernünftig handelnden) Hubschrauberführer ein Ordnungswidrigkeitsverfahren und ein Verfahren zur Einstellung seines Betriebes angestrengt. Der Pilot hatte auf Bitten der Eigentümer die frische Schneelast vom Dach einer großen Halle entfernt, indem er sie in niedriger Höhe überflogen hat. Andernfalls hätte möglicherweise Einsturzgefahr bestanden. Allerdings lag die Halle des Möbelhauses gerade hinter der Grenze zu Sachsen-Anhalt, und dort griff die Allgemeinerlaubnis aus Sachsen nicht. Der Verordnungsgeber kennt diese Problematik der Länderbegrenzung und regt an, dass die Länder sich über eine Allgemeinerlaubnis für Drohnen verständigen mögen. Das ist aber – wenn es überhaupt zustande kommt – ein langwieriger Prozess.

Gesetzt den Fall, der Verordnungsgeber zielt tatsächlich (und letztlich wider den aktuellen Verordnungstext) auf eine Allgemeinerlaubnis als Regelfall – wäre dann alles in Ordnung? Könnten die Landesluftfahrtbehörden dann (massenweise) Allgemeinerlaubnisse erteilen und die Drohnenwirtschaft könnte ihr Potenzial entfalten?

An der Realität vorbei Das Bundesverkehrsministerium scheint die Realität der Arbeit der Luftfahrtbehörden wenig zu kennen. Sie können bei vielen Regelungen kaum im Detail aus eigenem – weil fehlendem – luftfahrttechnischem Sachwissen schöpfen. Denn die Landesluftfahrtbehörden haben keine Mitarbeiter, die betriebliche Luftfahrttechnik einschätzen können. Dort arbeiten überwiegend Juristen und weniger Luftfahrtingenieure oder -praktiker. Die Behörden können deshalb von sich aus nicht beurteilen, ob eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Luftverkehrs vorliegt. Sie geben diese Genehmigungsanträge an die privatwirtschaftliche Deutsche Flugsicherung (DFS) ab, die ein komplexes internes Verwaltungsverfahren anstößt. Dafür, dass nun aber hunderte Anträge auf Allgemeinerlaubnisse für den Einsatz von professionellen, zivilen Drohnen eingehen, sind bei der DFS kei-

ne zusätzlichen Stellen vorgesehen. Es bleibt also festzustellen, dass es mit der DFS als Flaschenhals nicht möglich wäre, in kurzer Zeit eine große Zahl von Allgemeinerlaubnissen zu erteilen. Diesen Befund unterstellt, fragt sich, wie vorgegangen werden sollte, um einen gerechten Ausgleich zwischen Sicherheitsbedürfnis und Genehmigungsaufwand zu finden. Er kann sicherlich nicht darin liegen, dass – wie es die Verordnung vorsieht – fiktive Stundenzahlen von Behördenbediensteten hochgerechnet werden, um so den Verwaltungsaufwand als bewältigt vorzutäuschen. Denn letztlich fehlt es in den Behörden an Sachwissen.

Bundesländer gefordert Besser wäre es gewesen, eine Allgemeinerlaubnis als gesetzlich zwingend vorzusehen und durch ein Anzeigeverfahren fiktiv zu erteilen. Die Aufgabe der Landesluftfahrtbehörden wäre dann darauf beschränkt, in einer bestimmten Frist zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Allgemeinerlaubnis vorliegen. Eindeutig ist dabei eine Bundeszuständigkeit mit luftfahrttechnischem Sachwissen vorzusehen. Die Drohnenwirtschaft hat sich vergeblich gegen die Regelung gestemmt. Ihre Möglichkeiten werden nun erheblich eingeschränkt. *Prof. Dr. Martin Maslaton ist geschäftsführender Gesellschafter der Maslaton Rechtsanwaltsgesellschaft. Die Gesellschaft betreibt ein Geschäftsreiseflugzeug. Außerdem ist Maslaton Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Zivile Drohnen (BVZD) und Pilot.

Erste Ernte 2019 geplant Bund richtet Cannabisagentur für Anbau in Deutschland ein (BS/lkm) Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes “Cannabis als Medizin” wurde im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) kürzlich eine Cannabisagentur geschaffen. Sie soll den Anbau der Hanfpflanze zu medizinischen Zwecken in Deutschland steuern und kontrollieren. Zudem soll die Agentur ein EU-weites Ausschreibungsverfahren starten und anschließend Aufträge zum Anbau an geeignete Unternehmen vergeben. Ziel ist es, die Versorgung von Patienten künftig mit in Deutschland angebautem Cannabis in pharmazeutischer Qualität sicherzustellen.

Noch muss der Fahrer beim automatisierten Fahren jederzeit die Systeme übersteuern können. In Zukunft könnte sich das ändern. Foto: BS/Daimler AG

tur, Alexander Dobrindt (CSU), bringen. Der Gesetzesentwurf, der kürzlich mit umfangreichen Änderungen durch den Bundestag beschlossen worden ist, sieht vor, dass der Fahrer die Steuerung des Fahrzeugs in bestimmten Situationen dem technischen System übergeben kann. Er muss aber in der Lage sein, die Kontrolle jederzeit wieder zu übernehmen. Die Verantwortung soll damit grundsätzlich beim Fahrer verbleiben. Diese Regelung soll automatisiertes Fahren auf deutschen Straßen überhaupt erst rechtlich möglich machen. Der Fahrer dürfe “während der hochautomatisierten Fahrt die Hände vom Lenker nehmen, um etwa im Internet zu surfen oder EMails zu checken”, wie Dobrindt

Verschiedene Grade (BS/stb) Die Bundesregierung unterscheidet mehrere Automatisierungsstufen. Zum einen gibt es das teilautomatisierte Fahren. Hier muss der Fahrer das System dauerhaft überwachen und jederzeit die Steuerung übernehmen können. Zum anderen existiert das hochautomatisierte Fahren. Dabei ist der Fahrer zwar nicht verpflichtet, das System dauerhaft zu überwachen, er muss aber eingreifen können, wenn das System ihn warnt. Zudem kennt die Exekutive das vollautomatisierte Fahren. Dabei muss der Fahrzeugführer das System nicht überwachen, wenn er die Steuerung abgegeben hat. Schließlich existiert noch das autonome Fahren. Hier übernimmt das System das Fahrzeug vollständig, alle im Fahrzeug befindlichen Personen sind Passagiere.

es beschreibt. Allerdings müsse der Fahrer die Steuerung “mit ausreichender Zeitreserve” wieder übernehmen, wenn das System ihn dazu auffordere oder wenn er “erkennen muss, dass die Voraussetzungen für eine bestimmungsgemäße Verwendung der hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktion nicht mehr vorliegen”, wie es im Entwurf heißt. Solange der Fahrer diese Sorgfaltspflichten nicht verletzt, haftet er auch nicht, wenn das Fahrzeug während der automatisierten Fahrt einen Unfall verursacht.

Blackbox kann Schuldfrage klären Um nachweisen zu können, ob bei einem Unfall der Fahrzeugführer oder das Fahrsystem die Kontrolle hatte, sollen automatisierte Fahrzeuge über eine Blackbox verfügen. Das Gerät soll jederzeit Daten über die Fahrt aufzeichnen: Positionsund Zeitangaben, Wechsel der Steuerung, Angaben zu technischen Störungen und wann das System den Fahrer zur Übernahme aufgefordert hat. Die Daten sind den zuständigen Behörden auf Verlangen zu übermitteln. Bei Unfallfreiheit sollen sie nach sechs Monaten gelöscht werden. *Mit Unterstützung von Jenn Tran und Daniel Weiss

Deutschland geht diesen Schritt, da das Einheitsübereinkommen über Suchtstoffe der Vereinten Nationen von 1961 seine Mitgliedstaaten verpflichtet, eine staatliche Stelle einzurichten oder zu benennen, sobald innerhalb dieses Staates Cannabis zu anderen als industriellen Zwecken angebaut werden soll. Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium betonte: “Schwerkranke Patientinnen und Patienten können künftig nach ärztlicher Verordnung Cannabis in Arzneimittelqualität durch die Gesetzliche Krankenversicherung erstattet bekommen. Das ist ein guter und wichtiger Schritt, um Schmerzen und Leid zu lindern.” Die Cannabisagentur beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte werde dafür Sorge tragen, den Cannabisanbau in Deutschland zu kontrollieren und zu steuern. BfArMPräsident Prof. Dr. Karl Broich ergänzte, dass man mit der Cannabisagentur auch weitere Erkenntnisse zum medizinischen Nutzen von Cannabis gewinnen wolle. Ärzte melden dazu dem BfArM anonymisierte Daten zur Therapie mit Cannabisarzneimitteln, die über fünf Jahre gesammelt und dann ausgewertet werden sollen.

Derzeit Einfuhr aus den Niederlanden und Kanada Die Cannabisagentur wird als neues Fachgebiet in der Abteilung “Besondere Therapierichtungen” im BfArM eingerichtet. Weitere Aufgaben werden bei der

Bundesopiumstelle im BfArM angesiedelt. Wie bisher wird die Bundesopiumstelle die Importe von Cannabis überwachen, mit denen die Versorgung der Patienten sichergestellt wird, solange noch keine Ernte in Deutschland erfolgen kann. Laut BfArM werde ab 2019 Cannabis aus dem Anbau in Deutschland zur Verfügung stehen. Derzeit wird Cannabis zu medizinischen Zwecken aus den Niederlanden und Kanada importiert. Wenn der Anbau in Deutschland erfolgt, wird die Cannabisagentur die Ernte in Besitz nehmen und die Auslieferung an Apotheken zur Versorgung von Patienten steuern. Der Anbau erfolgt jedoch nicht im BfArM

Aus Hanfpflanzen (Foto) gewonnenes Cannabis ist in Deutschland künftig leichter für medizinische Zwecke nutzbar. Ihr Anbau für genau diese Anwendungsfelder wird von einer Agentur kontrolliert. Diese ist beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt. Foto: BS/Oliver Arndt, pixelio.de

oder durch das BfArM selbst, sondern durch Unternehmen, die im Ausschreibungsverfahren ausgewählt und von der Cannabisagentur beauftragt werden. Die Ernte wird nicht ins BfArM transportiert, nicht dort gelagert und auch nicht von dort aus weiterverteilt. Diese Schritte werden bei den jeweiligen Anbaubetrieben angesiedelt sein. Wie bei anderen Arzneimitteln auch, wird das BfArM nicht zur Therapie selbst oder zu den Anwendungsgebieten von Cannabisarzneimitteln beraten.

Bedarf liegt bei 365 Kilogramm pro Jahr Die Agentur wird das Cannabis aufkaufen, einen Herstellerabgabepreis festlegen und das Cannabis an Hersteller von Cannabisarzneimitteln, Großhändler oder Apotheken verkaufen. Dabei darf das BfArM keine Gewinne oder Überschüsse erzielen. Bei der Preisbildung werden jedoch die beim BfArM anfallenden Personal- und Sachkosten berücksichtigt. Auf den tatsächlichen Abgabepreis in der Apotheke hat das BfArM jedoch keinen Einfluss. Bisher haben in Deutschland etwa 1.020 Patienten eine Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabis zu medizinischen Zwecken. Laut BfArM werden bei einem durchschnittlichen Tagesbedarf von einem Gramm pro Person 365 Kilogramm pro Jahr benötigt, um alleine diese Patienten kontinuierlich über die Verordnung von Cannabis zu versorgen.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / April 2017

B

ehörden Spiegel: Frau Jelpke, für wie wirksam halten Sie das Instrumentarium des parlamentarischen Untersuchungsausschusses? Jelpke: Wir wollen parlamentarische Untersuchungsausschüsse nutzen, um Aufklärungsarbeit zu leisten. Aber gerade die Untersuchungsausschüsse dieser Wahlperiode haben zwar Informationen hervorgebracht, aber nicht die Fragen aufgeklärt, die man sich eigentlich vorgenommen hatte. Das gilt vor allem für den Untersuchungsausschuss zum “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU). Aus den Ergebnissen der Untersuchungsausschüsse werden wahrscheinlich auch keine wirklichen Konsequenzen gezogen. Behörden Spiegel: Fühlen Sie als Abgeordnete sich eigentlich von Regierungs- und Behördenvertretern ausreichend informiert? Jelpke: Nein. Das sieht man deutlich am Anschlag von Berlin. Dessen Aufklärung ist jetzt größtenteils in das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) verlegt worden. Das halte ich für absurd. Eigentlich müsste der Innenausschuss die Aufklärung dieses Anschlages übernehmen. Behördenversagen im Geheimen zu untersuchen, geht gar nicht. Nur wenn die Aufklärung transparent erfolgt, kann man auch die richtigen Schlussfolgerungen aus den

Eigentliche Ziele nicht erreicht Arbeit von Untersuchungsausschüssen bleibt wahrscheinlich folgenlos (BS) Sie ist für Abschiebestopps und die Nichtbeteiligung an Sammelabschiebungen. Außerdem hält sie eine Aufklärung möglicher Behördenfehler im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt ausschließlich im geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) für den falschen Weg. Das sei originäre Aufgabe des Innenausschusses im Deutschen Bundestag, meint Ulla Jelpke. Das Gespräch mit der innenpolitischen Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion führte Marco Feldmann. Geschehnissen in Berlin ziehen. Sowohl das Parlament als auch die Öffentlichkeit haben einen Informationsanspruch. Behörden Spiegel: Die Sicherheitsbehörden klagen regelmäßig darüber, dass vertrauliche Informationen aus dem Parlament in die Öffentlichkeit gelangen. Was entgegnen Sie diesem Vorwurf? Jelpke: Der ist immer relativ. Ich finde zum Beispiel, dass es nicht verboten werden kann, öffentlich über Verbindungen zwischen der Türkei und Dschihadisten zu diskutieren. Gleiches gilt für Waffenlieferungen aus der Türkei an den sogenannten Islamischen Staat. Aber natürlich ist das auch immer eine Frage der Abwägung. Behörden Spiegel: Warum lehnen Sie Abschiebungen nach Afghanistan grundsätzlich ab? Jelpke: Asylbewerber in ein Kriegsland wie Afghanistan abzuschieben, stellt einen Verstoß gegen die Prinzipien der Menschenrechtskonvention dar. Das ist eine nicht hinnehmbare Situation. Außerdem konnte mir bisher niemand sagen,

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion und gehört dem Hohen Haus seit 2005 an. Die gebürtige Hamburgerin ist strikt gegen Abschiebungen nach Afghanistan. Foto: BS/Feldmann

welche Regionen in Afghanistan tatsächlich sicher sind. Und das, obwohl ich dazu mehrere Anfragen gestellt habe. Behörden Spiegel: Halten Sie dann die Praxis einiger Bundesländer – trotz Ablehnungsbescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) – für richtig, die Abschiebungspraxis auszusetzen? Jelpke: Ja, das unterstütze ich ausdrücklich. Das gilt so-

Stillstand ist gefährlich Digitalfunknetze müssen fortlaufend modernisiert werden (BS) Die stetige Weiterentwicklung von sicherheitskritischen Kommunikationsnetzen ist aus vielen Gründen erforderlich und eine der spannendsten Herausforderungen unserer Zeit. Die unterbrechungsfreie Gewährleistung des Regelbetriebs, ohne Einschränkung von Diensten, ist eine Grundvoraussetzung. Allein die Planung erfordert detaillierte Kenntnisse über die taktisch-operative Nutzung der Systeme und ein hohes Maß an Erfahrung. künftigen, langfristigen Lösung mit Funktionalitätsgarantie.

Vor dieser Herausforderung stehen heute auch die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in Deutschland, die ihr bestehendes Netzwerk modernisieren müssen. Uwe Abend, Senior Pre-Sales Consultant von Motorola Solutions, beantwortet die wichtigsten Fragen zu Modernisierungsanforderungen in diesem Bereich. Wie wird eine Migration in einer Modernisierung professionell geplant? In Kommunikationsnetzen steigt der Grad der Komplexität mit der Anzahl von Nutzern, Vermittlungsstellen und Basisstationen sowie den angeschlossenen Leitstellen und anderen, bestehenden Betriebsplattformen (Subsystemen) wie zum Beispiel dem Network-Operation-Center (NOC) und dem Teilnehmer-Management-System. Daher kann die Konzeption nicht nur am Reißbrett stattfinden. Es ist unumgänglich, die heute eingesetzte Netzwerkumgebung zu kennen, Schwachstellen zu analysieren, Rerouting-Konfigurationen zu bewerten und vor allem das Gesamtbild in alle Planungsschritte einzubeziehen. Gerade hier benötigt es Planungsspezialisten, die eine realitätsnahe Erfahrung vorweisen können. Welche Herausforderungen sind speziell bei den Leitstellen zu beachten? Leitstellen sind der Mittelpunkt kritischer Kommunikationsinfrastrukturen. Ohne sie kann nur bedingt die erforderliche Koordination beziehungsweise Steuerung von Einsätzen stattfinden.

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Und wie sieht es mit Migration mit dem “Big Bang” aus? In einigen Netzen ist ein “Big Bang” durchaus sinnvoll. Das gilt zum Beispiel in CampusNetzen oder bei geringerer Komplexität. In jedem Fall sollte der Nutzer auf der Endgeräteseite möglichst nicht in seiner Arbeit beeinträchtigt werden. Uwe Abend ist Senior Pre-Sales Consultant bei Motorola Solutions. Er unterstreicht die Bedeutsamkeit der Kenntnis über die Netzinfrastrukturen für eine erfolgreiche Modernisierung der Kommunikationsnetze. Foto: BS/Motorola Solutions

Hier hat Motorola Solutions große Erfahrung bei der Anbindung moderner Leitstellensysteme, unter anderem mit dem Dispatch Communication System (DCS) in der Dimetra-Infrastruktur, und kann viele Kundenbeispiele für die erfolgreiche Modernisierung, den Austausch und die Adaption von TETRAVermittlungssystemen und Basisstationen vorweisen. Was sind die Kernfaktoren für eine erfolgreiche Umsetzung? Die Kernfaktoren sind die Kenntnis über die Netzinfrastrukturen, wie zum Beispiel ein Access-Netzwerk, und deren Dienstgüte, die Verifikation der bestehenden Netzinfrastruktur wie die Anzahl der Vermittlungsstellen und -topologie und die Optimierung des Core-Vermittlungssystems. Ebenfalls von Bedeutung sind die Planung der Testumgebung für die Umschaltung, die Planung der Logistik beim Aufbau der Basisstationen und eine klare Vision einer zu-

Wie steht es um regionale Migration? Anders sieht es bei Flächennetzen aus. Durch die höhere Teilnehmerdichte sowie die vielen angeschlossenen Subsysteme und -netze ist eine zeitlich begrenzte, aber gleichzeitige Migrationsphase unumgänglich. Wir sprechen hier von einer regionalen Modernisierung im laufenden Betrieb mit Interconnect-Szenarien wie zum Beispiel mit einer WAVE-7000-Lösung von Motorola Solutions, einer Gruppenkommunikation für den taktischen Betriebsablauf. Bei dieser Form der Modernisierung spielt die Technologie keine Rolle: Ob TETRA, P25 oder DMR-Systeme – alle Gruppenund Einzelgespräche können automatisch aufgebaut und geführt werden und der Nutzer erreicht immer seine aktuellen Gruppengesprächsteilnehmer. Generell gilt: Durch eine umfassende Evaluierung der Planungsschritte sowie die Kenntnis von Infrastrukturkomponenten und Besonderheiten der Leitstellen lässt sich die Modernisierung einer krisensicheren Kommunikation in ein zukunftsfähiges IP-Netzwerk reibungslos und ohne Ausfallrisiko gewährleisten.

wohl für Abschiebestopps, wie sie zum Beispiel Schleswig-Holstein erlassen hat, als auch für die Nichtbeteiligung an Sammelabschiebungen.

gen Geheimdienste – eben weil sie im Geheimen agieren – keine gerichtsverwertbaren Beweise. Das unterscheidet sie grundlegend von den Polizeibehörden.

Behörden Spiegel: Inwiefern behindert aus Ihrer Sicht das Trennungsgebot effektive Polizeiarbeit?

Behörden Spiegel: Wie bewerten Sie – nicht zuletzt aufgrund des Berliner Terroranschlags – die Arbeit des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums (GTAZ)?

Jelpke: Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienste ist von enormer Wichtigkeit. Darauf bestehen wir als Linke weiterhin. Die Trennung zwischen polizeilicher und nachrichtendienstlicher Arbeit muss unbedingt aufrechterhalten werden. Schließlich erzeu-

Jelpke: Wir als Linke lehnen das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum ab, eben weil es gegen das Trennungsgebot verstößt. Der Anschlag in Berlin hat zudem gezeigt, dass dieses Zentrum nicht funktioniert. Da sind 39 Behörden vertreten, von

denen viele Informationen zu Anis Amri hatten. Verhindert werden konnte das Attentat trotzdem nicht. Das sagt doch schon alles. Außerdem sind solche Gremien für das Parlament kaum zu kontrollieren. Was wir aber auf jeden Fall brauchen, ist eine Verbesserung der Datensysteme. Informationen müssen schneller und effektiver an Behörden in anderen Bundesländern weitergegeben werden. Behörden Spiegel: Und was halten Sie von Transitzonen und Bundesausreisezentren? Jelpke: Davon halte ich gar nichts. Schließlich haben wir derartige Einrichtungen bereits, etwa im bayerischen Manching. Und die Verhältnisse dort sind meines Erachtens menschenunwürdig. Da gibt es keine fairen Asylverfahren. Das gesamte Interview finden Sie auf www.behoerdenspiegel. de, Suchbegriff: “Jelpke”.

Face-Check by Gauselmann System zur Eingangskontrolle auf hohem Datenschutzniveau (BS/Rüdiger Schink*) In Kooperation mit dem führenden Unternehmen für biometrische Kontrollsysteme wurde das gästeorientierte Einlasskontrollsystem Face-Check entwickelt. Dieses ist bisherigen Systemen in puncto Handling, Sicherheit und Datenschutz weit überlegen. Die Entwicklung und Nutzung moderner und sicherer Gesichtserkennungssysteme ist in den letzten Jahren stetig vorangetrieben worden und heutzutage in nahezu allen Lebensbereichen – etwa an Flughäfen, in Sportstadien oder auf öffentlichen Plätzen – zu finden. Pathologische Spieler sollen bestmöglich geschützt werden. Deswegen hat die Deutsche Automatenwirtschaft (DAW) beschlossen, sich für eine niedrigschwellige bundesweite und spielformübergreifende SpielerSelbstsperre einzusetzen, wo es gewünscht wird. Ziel ist es, ein biometrisches Einlasskontrollsystem branchenweit einzuführen.

Alle Besucher werden gescannt Das Face-Check-System bietet die Möglichkeit, die Einlasskontrolle in Spielstätten effizient, zuverlässig und völlig kontaktlos zu gestalten. Über eine Minikamera scannt das System alle Besucher beim Betreten der Spielstätte, erstellt eindeutige digitale Gesichtsmuster (Templates) und verarbeitet diese in Sekundenschnelle. Spielgäste, die sich selber vom Glücksspiel ausschließen lassen oder vom Betreiber ein Hausverbot erhalten, werden mit ihrem individuellen Template in der Sperrdatei regional, besser noch überregional (bundesweit), gespeichert. Der Abgleich der Spielgäste mit der Sperrdatei erfolgt auf Basis dieser Templates. Die Templates von Personen, die nicht gesperrt sind oder kein Hausverbot haben, werden nach dem Abgleich unverzüglich gelöscht.

innerhalb der Spielstätten und reduziert gleichzeitig die Fehlerquote von manuellen Spielgastüberprüfungen. Face-Check erfasst nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Personengruppen. Der zuverlässige Abgleich mit der Sperrdatei sowie eine Alterseinstufung der Spielgäste innerhalb von wenigen Sekunden ist sichergestellt. Sämtliche Systemmeldungen werden dem Personal in Bild und Ton über einen PC oder mobile Geräte gemeldet beziehungsweise angezeigt. Gesperrte Spieler oder Minderjährige werden so erkannt und vom Personal aktiv angesprochen, überprüft und gegebenenfalls der Spielstätte verwiesen. Der Abgleich mit der Sperrdatei ist nicht abhängig vom Personal, sondern erfolgt automatisiert und ohne Ausnahmen durch das Einlasskontrollsystem. Alle Systemmeldungen sowie die Laufzeit des Einlasskontrollsystems werden lückenlos protokolliert und können den zuständigen Aufsichtsbehörden zu Kontrollzwecken, auch nachträglich, zugänglich gemacht werden. Testpersonen etwa vom TÜV prüfen als Gesperrte, ob die Systemmeldungen (rot und gelb) vom Personal umgesetzt werden.

Schrittweise bundesweite Einführung Zurzeit wird Face-Check in den CASINO MERKURSPIELOTHEKEN in BadenWürttemberg, Thüringen und Nordrhein-Westfalen sowie in den Merkur-Spielbanken in

Sachsen-Anhalt eingesetzt. Es wird sukzessive bundesweit in allen CASINO MERKUR-SPIELOTHEKEN implementiert. Zukünftig soll Face-Check auch direkt in Spielautomaten integriert werden. Erste Prototypen gibt es bereits. Die Funktionalität ist dabei deckungsgleich mit der Nutzung als Einlasskontrolllösung. Gesperrte Spieler können effektiv vom Spiel ausgeschlossen und Jugendliche am Spiel gehindert werden. Die Vorteile... ... für Spielgäste: • einfacher und barrierefreier Zugang ohne Wartezeiten, • datenschonendes Verfahren ohne Preisgabe der persönlichen Daten, • Entkopplung von persönlichen Daten und Sperrdaten. ... für Betreiber: • Vereinfachung und Beschleunigung der Zugangskontrolle, • Sicherstellung von Spielerund Jugendschutz, • eindeutige Identifizierung von gesperrten Spielern, • zielgerichtete Ansprache von minderjährig anmutenden Spielgästen (U25), • sichere Durchsetzung von Hausverboten. ... für Behörden: • ausnahmslose Überprüfung aller Spielgäste, • kontinuierliche Protokollierung der Systemmeldung (analog zu Fahrtenschreibern im Lkw), • effiziente Kontrollmöglichkeiten der Spielstätten, *Rüdiger Schink ist Unternehmensbeauftragter für Sicherheit bei der Gauselmann GmbH.

Gute Alterserkennung Darüber hinaus erkennt FaceCheck das Alter der Spielgäste ziemlich genau, sodass dadurch zielgerichtet minderjährig anmutende Spielgäste – zum Beispiel Personen unter 25 Jahren – angesprochen und überprüft werden können. Minderjährige werden nach Ausweiskontrolle der Spielstätte verwiesen. Unter 25-jährige Erwachsene werden über Gefahren und Risiken des Spielens aufgeklärt. Die Nutzung von Face-Check ermöglicht den Spielgästen einen anonymen Zutritt ohne Wartezeiten. Darüber hinaus optimiert es die Einlasskontrolle

Mit dem Face-Check-System von Gauselmann kann der Einlass in Spielstätten zuverlässig, datenschutzkonform und komplett kontaktlos kontrolliert werden. Das ermöglicht eine schnelle Identifizierung von minderjährigen oder gesperrten Spielern. Foto: BS/Gauselmann GmbH


Innere Sicherheit

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Behörden Spiegel / April 2017

Andere Wege gehen

Dissens über neues BKA-Gesetz

Auch der Bund benötigt gebündeltes IT-Management

Datenschützer üben Kritik / Christdemokraten und BMI verteidigen Vorhaben

(BS/Marco Feldmann) Die Digitalisierung ist eine Art vierte industrielle Revolution. Einerseits macht sie es möglich, wieder völlig neu auf jedes Individuum zu schauen. Zum anderen muss Gefahren, die durch sie drohen, heute bereits möglichst früh und proaktiv begegnet werden. Das dürfte auch tiefgreifende Veränderungen für den Öffentlichen Dienst mit sich bringen. So dürfte auch auf Bundesebene wohl kein Weg an einem gebündelten Management der Informationstechnologie vorbeiführen.

(BS/mfe) Über die Neufassung des Gesetzes über das Bundeskriminalamt (BKA) ist Streit ausgebrochen. Während die Mitglieder der Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzentwurfes verlangen und vor einer Beschneidung von Grundrechten warnen, stellen sich der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und das Bundesinnenministerium (BMI) schützend vor das Vorhaben.

Das prognostiziert jedenfalls Andreas Könen, Leiter der Stabsstelle für IT, Cybersicherheit und sichere Informationstechnik im Bundesinnenministerium (BMI). Er unterstrich kürzlich in Berlin: “Wir werden in der IT des Bundes auch organisatorisch neue Wege gehen müssen.” So benötigten etwa die Polizeien und Nachrichtendienste eine operativ ausgerichtete IT-Aufstellung und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) müsse jederzeit die Kommunikations- und Datensicherheit gewährleisten können. Gleiches gelte für die Sicherstellung der Cyber- und Krypto-Sicherheit. Künftig werde es für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) vor allem darum gehen, schnelle Reaktionsfähigkeiten für den Notfall vorzuhalten, zeigte sich Könen überzeugt.

So bemängeln die Datenschützer unter anderem, dass der Entwurf den bisher vorhandenen Informationsverbund für alle Polizeibehörden massiv verändere, da dieser in Zukunft nicht mehr nach einzelnen Dateien untergliedert sein soll. Außerdem bestehe durch die geplante Reform die Gefahr unverhältnismäßig weitreichender Speicherungen, hieß es. Des Weiteren beanstanden die Datenschützer verkürzte Kontrollmöglichkeiten für sie und den im Gesetzentwurf vorgesehenen Verzicht auf Errichtungsanordnungen. In diesen wird bisher festgelegt, zu welchen Zwecken personenbezogene Daten gespeichert werden.

Der Leiter der Stabsstelle für “IT, Cybersicherheit und sichere Informationstechnik” im Bundesinnenministerium (BMI), Andreas Könen, zeigte sich überzeugt, dass auch bei der Bundes-IT in Zukunft neue Organisationsformen und -wege beschritten werden müssen. Fotos: BS/Dombrowsky

Polizei braucht die Cloud Auf eine weitere Herausforderung der Zukunft wies in diesem Zusammenhang der nordrheinwestfälische Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann hin: “Die Polizei wird Daten aus unterschiedlichen Quellen für eigene Auswerte- und Ermittlungstätigkeiten integrieren müssen.” Nicht nur dafür sei man auf sichere und flexible Cloud-Lösungen angewiesen. Würden diese nicht bereitgestellt, bekomme die Polizei große Probleme. Denn: Schon heute sei es für die Sicherheitsbehörden schwierig, angemessen und effektiv in digitalen Räumen präsent zu sein. Und außerdem gilt laut Schürmann: “Es gibt keine analoge Kriminalität mehr. Cyber Crime ist ubiquitär und allgegenwärtig.” Das habe zur Folge, dass sich die Polizei mit riesigen Datenbeständen beschäftigen und mit ihnen forensisch korrekt umgehen müsse.

Hohe Investitionen in Cyber-Sicherheit Hier könne ihre Firma helfen, erläuterte Renate Radon, Mitglied der Geschäftsleitung im Bereich Public Sector der Microsoft Deutschland GmbH. Immerhin investiere das IT-Unternehmen jährlich eine Milliarde Euro in die Cyber-Sicherheit. Ganz besonders engagiere sich Microsoft, das über das zweitgrößte Glasfasernetz der Welt verfüge, auch im Bereich der Cloud-Technologie. Ausdruck dessen seien zwei Rechenzent-

Renate Radon, Mitglied der Geschäftsleitung im Bereich Public Sector der Microsoft Deutschland GmbH, unterstrich die Bedeutsamkeit von CloudTechnologie für ihr Unternehmen.

ren in Frankfurt am Main und Magdeburg, die nur für die “Microsoft Cloud Deutschland” genutzt würden. Dabei wies Radon auf zwei Besonderheiten hin. Zum einen verwalte Microsoft die Daten an beiden Standorten nicht selbst, sondern überlasse diese Aufgabe treuhänderisch T-Systems. Zum anderen könne ihr Unternehmen in den Rechenzentren, die vollständig den Bestimmungen des deutschen Datenschutzrechts unterlägen, nicht alleine auf die Daten zugreifen. Sofern dies gewünscht sei, müsse grundsätzlich ein T-Systems-Mitarbeiter mit anwesend sein. Nicht nur dieses Vorgehen zeige, dass Sicherheit bei Microsoft schon immer großgeschrieben worden sei und das Unternehmen sehr wohl bereit sei, in diesem Bereich Verant-

wortung zu übernehmen. Einen anderen Fokus setzte ihr Kollege Thomas Langkabel. Der National Technology Officer von Microsoft Deutschland unterstrich die Bedeutsamkeit von Daten. Er verdeutlichte, dass Künstliche Intelligenz (KI) zu erheblichen Effizienz- und Effektivitätssteigerungen führen könne. Dies sei etwa bei der Detektion von Gesichtern oder Waffen sowie bei der Analyse großer Menschenmengen der Fall. Denn inzwischen könnten KI-Systeme Bilder teilweise besser auswerten als der Mensch. Gleichwohl stehe fest: “Künstliche Intelligenz soll den Menschen nicht ersetzen, sondern seine Fähigkeiten ergänzen und verstärken.”

KI kann helfen, aber nicht ersetzen Im Hinblick auf DatenwolkenLösungen ergänzte Langkabel zudem die Ausführungen seiner Kollegin Radon, indem er sagte: “Bei der Cloud darf nicht nur über die Infrastruktur gesprochen werden. Das wäre eine zu eindimensionale Betrachtung.” Vielmehr handele es sich bei dieser Technologie auch um einen Treiber künftiger Innovationen. Dabei sehe man im technologischen Bereich bereits heute eine rasante Entwicklung, ergänzte Michael Kranawetter, National Security Officer bei Microsoft Deutschland. Er verlangte für die Zukunft: “Wir müssen weniger forschen und eher schauen, wie wir etwas in die Anwendung bringen.” Von entscheidender Bedeutung seien dabei die Reaktionsfähigkeit auf eine Attacke und die Informationssicherheit. Diese zu bewahren, sei sogar noch zentraler als die Gewährleistung der IT-Sicherheit. Denn Vertrauen könne nur durch Handeln geschaffen werden. Wie wichtig das rasche Ergreifen von Gegenmaßnahmen im Falle von Angriffen aus dem digitalen Raum sei, verdeutlichte schließlich der Bundestagsabgeordnete Ansgar Heveling (CDU). Der Vorsitzende des Innenausschusses kritisierte im Hinblick auf den mutmaßlich durch einen osteuropäischen Nachrichtendienst initiierten Hackerangriff auf das Parlament: “Der Deutsche Bundestag hätte darauf schneller reagieren müssen.” Zugleich verlangte der Christdemokrat: “Bei der Informationssicherheit müssen Staat und private Unternehmen stärker zusammenarbeiten.”

Im BMI verfängt diese Kritik nicht. Dort heißt es, der Gesetzentwurf sehe keine neuen Speicherbefugnisse für die Bundesoberbehörde vor. Vielmehr würden die Bedingungen für eine Datenspeicherung an zentraler Stelle zusammengeführt. Außerdem verspricht man sich im Ministerium von der Novelle bessere Analysemöglichkeiten für phänomenübergreifende Zusammenhänge. Dies soll durch eine Zusammenführung personenund ereignisbezogener Daten sowie durch eine Abkehr vom Dateibegriff als Kernelement der Datenverarbeitung erfolgen. Und der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundes-

tagsfraktion, Stephan Mayer, sagte dem Behörden Spiegel: “Mit dem Gesetzentwurf setzen wir nicht nur die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sowie der neuen Richtlinie zum Datenschutz bei Polizei und Justiz um, sondern passen die Informationsverarbeitung des Bundeskriminalamtes auch an die heutige Zeit an.” Außerdem habe man mit der Novelle schnell auf den Berliner Anschlag Ende letzten Jahres reagiert. Dies zeige sich in der geplanten Befugnis für das Bundeskriminalamt, islamistische Gefährder in Zukunft per elektronischer Fußfessel überwachen zu können, so Mayer.

MELDUNG

Neuer Abteilungsleiter in Erfurt – Schulze kommt aus Sachsen-Anhalt (BS/mfe) Der bisherige Magdeburger Landespolizeidirektor Michael Schulze (55) wechselt als Leiter der Polizeiabteilung ins Thüringer Innenministerium. Schulze kam 1981 zur Polizei. 1992 ging er nach SachsenAnhalt und wurde im Landeskriminalamt Sachgebietsleiter für Raubdelikte. Anschließend absolvierte er an der heutigen Deutschen Hochschule der Polizei in Münster den Aufstieg in den höheren Polizeidienst und war ab 1995 in verschiedenen Funktionen in der Polizeidirektion Dessau tätig. Ab 2008 leitete der Beamte in der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost die Zentrale Kriminalitätsbekämpfung. Zwischen 2011 und 2012 stand Schulze an der Spitze des Polizeireviers Halle an der Saale, war Abteilungsleiter Polizei der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt

Michael Schulze (55) wird neuer Abteilungsleiter für Polizeiangelegenheiten im Thüringer Innenministerium. Zuvor war er als Landespolizeidirektor SachsenAnhalts tätig. Foto: BS/TMIK, Torsten Stahlberg

Ost und Vertreter des Polizeipräsidenten. Im Januar 2013 wurde er Präsident der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost, im September des gleichen Jah-

res Referatsleiter im Innenministerium. Im Dezember 2014 schließlich wurde Schulze zum sachsen-anhaltinischen Landespolizeidirektor ernannt.

Taser bietet einiges Vernetzte Technologien zum Schutz und zur Beweismittelsicherung (BS/Sarah Ruiz*) „Taser hat 1993 als Start-up in einer Garage begonnen. Bei der Gründung war die Idee ausschlaggebend, sich selbst schützen zu können, ohne tödliche Gewalt anwenden zu müssen“, sagt Mitbegründer Rick Smith. Mittlerweile ist der Harvard-Absolvent CEO eines börsennotierten Unternehmens und Taser steht global als Marke für Schutz und Beweismittelerhebung im Polizeidienst. Taser expandiert – jedes Jahr erzielt das Unternehmen mit Stammsitz in Scottsdale, Arizona, hohe zweistellige Zuwachsraten – und hat mittlerweile auch den europäischen Markt im Visier. Das Geschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortet Country Manager Christian Scherf. Weltweit hat sich der Name Taser umgangssprachlich als Synonym für DistanzElektroimpulsgeräte etabliert, die aktuell auch in Deutschland in zahlreichen Pilotprojekten erprobt werden. Für DiplomBetriebswirt Scherf ist das zwar im Prinzip erfreulich, greift aber zu kurz: “Der Name Taser wird mit dem Produkt gleichgesetzt. Das zeigt die Bekanntheit unserer Marke. Gleichzeitig reduziert der Sprachgebrauch jedoch das Unternehmen Taser International auf unsere Distanz-Elektroimpulsgeräte. Das wird unseren vernetzten Sicherheitstechnologien und der aktuellen Nachfrage danach nicht gerecht.”

Weltmarktführer bei Bodycams Tatsächlich sind die DistanzElektroimpulsgeräte nur Teil eines integrierten Angebots. Taser ist Weltmarktführer bei Bodycams. Auch europaweit

Country Manager Christian Scherf ist bei Taser für das Geschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz zuständig. Er kritisiert, dass die breite Angebotspalette seines Unternehmens in der Öffentlichkeit oftmals übersehen werde. Foto: BS/Taser

sind sie zum Schutz von Polizeibeamten und zur Beweismittelerhebung gefragt. Allein beim aktuell weltweit größten Bodycam-Projekt beim Metropolitan Police Service in London werden bis Mitte des Jahres rund 22.000 Body-Cams der TaserMarke Axon eingesetzt. In Zürich startete in diesem Jahr das erste Bodycam-Pilotprojekt der Schweiz. In Deutschland haben einige Bundesländer bereits die flächendeckende Verwendung beschlossen. Doch der Taser-Geschäftsbereich Axon stellt nicht nur Bodycams her, sondern kombiniert sie mit intelligenten Technologien bis hin zur Integration Künstlicher Intelligenz (KI). Herzstück dieser Lösungen ist die IT-Plattform für digitales Beweismanagement “evidence. com”. Mit ihr können Behörden Beweismittel sicher speichern

als 20.000 zeitgleich werden.

oder Filmmaterial editieren. Ein gesichertes Verfahren ermöglicht “evidence. com” zudem das Weiterleiten digitaler Beweismittel direkt an Ermittlungsstellen oder Strafverfolgungsbehörden. Mehr Bodycams können effizient verwaltet

Mehr Präsenz im öffentlichen Raum Der flächendeckende Einsatz von Body-Cams führt im Polizei-Innendienst zu einer neuen Situation: Video-Massendaten müssen zeitintensiv verarbeitet werden. Für Scherf greift hier die Stärke der weltweit erprobten End-to-End-Lösung von Taser: “All unsere Produkte greifen automatisiert ineinander. Der Zeitaufwand für Administration und Verarbeitung auch großer Datenvolumen ist gleichbleibend gering. So entsteht mehr Zeit für Polizeipräsenz auf der Straße, das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger steigt.” *Sarah Ruiz ist Marketing Specialist EMEA bei Taser.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / April 2017

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Bundesweit im Einsatz

Tausende Polizeinotrufe laufen ins Leere

Das behördliche Pistolen-System SFP9

Leitstellenanbindung an den Digitalfunk in Nordrhein-Westfalen risikobehaftet

(BS/Marc Roth*) Alleine im Jahr 2015 beschafften vier Länderpolizeien neue Standard-Dienstpistolen. In allen (BS/Gerd Lehmann) Die nordrhein-westfälische Polizei koordiniert in ihren Leitstellen jährlich rund 3,9 MillioAusschreibungen erhielt die Heckler & Koch-Pistole SFP9-TR den Zuschlag – insgesamt 50.000 Stück. nen Einsätze. 2,2 Millionen davon beginnen mit dem Notruf 110. Die Beamten nehmen diese Anrufe entgegen, bewerten sie und veranlassen die erforderlichen Schritte zumeist über Funk. Sie entsenden je nach Anlass zivile oder uniformierte Einsatzkräfte, fordern Hubschrauber, Diensthunde oder Spezialeinheiten an und informieren andere Behörden, Organisationen oder Hilfs- und Unterstützungskräfte.

Die SFP9 ist das Kernstück eines behördlichen Pistolen-Systems auf Basis des P30-Magazins. Alle SFP9-Modelle sind jeweils mit TR- oder SF-Abzug verfügbar beziehungsweise auf Werkstattebene ohne Veränderung von Griffstück oder Verschluss umrüstbar. Das System umfasst dabei folgende Modelle: • SFP9-SF: “Special Forces”, mit sogenanntem SF-Abzug (kurzer Auslöse- und Resetweg). • SFP9M: “Maritim”, störungsfreie Waffenfunktion unter Wasser und volle Nutzungsfähigkeit der Waffe nach NATOLangzeit-Salzwassertest. • SFP9SD/SFP9SD-OR: Schalldämpfer-Version mit langem SD-Rohr und erhöhter mechanischer SD-Visierung. Die OR-Version verfügt über einen modifizierten Verschluss zur Aufnahme eines RotpunktVisiers. • SFP9SK: Subkompakt-Modell mit identischer Magazinschnittstelle wie SFP9. • SFP-FX/SFP-UTM/SFP-CM: Üb-Systeme zur Farbmarkierung. • SFP-H: “Handling”, Handhabungswaffe, die voll funktions-

Das Polizeipistolen-System SFP9 von Heckler & Koch umfasst unter anderem die Modelle SFP9-TR, Üb-System SFP-Color Marker und SFP9-Subkompakt. Foto: BS/Heckler & Koch

fähig, jedoch nicht schussfähig ist. Bei der SFP9 handelt es sich um ein starr verriegeltes, modifiziertes Browning-System. Das Polymergriffstück nimmt das Stahlblechmagazin der Polizeipistole P30 auf und fasst 15 Patronen. Im gefrästen Stahlverschluss befindet sich das gehärtete Polygonrohr mit der Schließfederführungsstange aus Stahl.

Maximale Zerlegesicherheit Bei der SFP9 muss vor dem Zerlegen nicht nur der Verschluss in vollständig geöffneter Stellung arretiert werden, sodass eine im Patronenlager befindliche Patrone zwangsläufig ausgeworfen ist. Zusätzlich muss das im Griffstück befindliche Magazin entfernt werden. Erst dann kann der Zerlegehebel betätigt und der Verschluss mit Rohr und Schließfeder nach vorn vom Griffstück abgenommen werden. Es ist somit ausgeschlossen die Waffe geladen zu zerlegen.

Durch das einzigartige Griffsystem kann die Griffergonomie nach drei Seiten durch austauschbare Griffrücken, und Seitenschalen in mindestens 27 bis maximal 45 Volumenkonfigurationen variiert werden.

Durchladehilfe als Alleinstellungsmerkmal Ebenfalls einzigartig sind die sogenannten Durchladehilfen, welche unter enger Einbindung einer Damen-ProbandenGruppe entwickelt wurden und sich auf Werkstattebene nach Abnahme der Kimme von oben beidseitig in den Verschluss einsetzen lassen; auch asymmetrisch. *Marc Roth ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für militärische und polizeiliche tragbare Schusswaffen und Munition ab 1945 und als Prokurist in den Funktionen Leiter Produktstrategie und Leiter Sonderaufgaben der Heckler & Koch GmbH tätig.

Nur Heckler & Koch bietet CM-System (BS/Marc Roth) Heckler & Koch bietet als einziger Hersteller das in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei entwickelte “Low-Energy”-Üb-System “Colour Marker” (CM) an, das für Nutzer konzipiert wurde, die an jedem beliebigen Ort (außerhalb zugelassener Schießstände) mit minimaler Schutzbekleidung, ohne schädlich Emissionen, bei identischer Waffenhandhabung, realitätsnah trainieren wollen. Modelle: SFP9-TR / SFP9-SF / SFP9M / SFP9SD Kaliber: 9 mm x 19 (TR / NATO / CIP / SAAMI) Systemverträglichkeit (Auswahl): Polizeimunition, MEN – PEP II / 2.0 (TR Polizeipatrone 2009), RUAG – “Action 4” (TR Polizeipatrone 2009), RUAG – “Action 5” = Bw DM101, RUAG “Green Range”,

Militärmunition (Bundeswehr), NATO AD60 = Bw DM51/DM41 (Weichkern), NATO AD62 = Bw DM31 (Leuchtspur), NATO AD63 = Bw DM91 (Hartkern) Magazinkapazitäten: SFP9 – 10 / 15 (standard) / 20 Patronen, SFP9-SK – 10 / 13 / 15 / 20 Patronen Abzugsystem: SA – Single Action mit vollständiger Vorspannung Abzugsentspannung: Automatisch beim Zerlegen Abzugswiderstände: ca. 32N (SFP9-TR) / ca. 24N (SFP9-SF) Zündsystem: Schlagbolzenschloss Rohrlängen: 104 mm (Standard) / 120 mm (SDRohr) Visierlinie: 162 mm Leergewicht: 710 g

Dass Tausende dieser Notrufe ins Leere laufen und auch die Einsatzbearbeitung mangels regelkonformer Anbindung an den Digitalfunk risikobehaftet ist, stellt für die Polizei ein Dauerärgernis und für die Bürger eine latente Gefahr dar. Hauptursache dieses Missstandes: Die bereits vor Jahren angekündigte Modernisierung der Leitstellentechnik ist noch immer nicht umgesetzt. Sie lässt weiter auf sich warten. Im November 2009 beauftragte das nordrhein-westfälische Innenministerium die Firma Thales Deutschland mit der Modernisierung und Vereinheitlichung der Leitstellentechnik der Polizei. Auftragswert: 15 Millionen Euro. Landesweit sollten alle 50 Polizeileitstellen mit modernster digitaler Leitstellentechnik ausgestattet, an ein einheitliches zentrales System an fünf Technikstandorten angeschlossen, leitungsgebunden an den Digitalfunk angeschaltet und miteinander vernetzt werden. Nach Ansicht des damaligen Innenministers Ingo Wolf hätten die Leitstellen der nordrhein-westfälischen Polizei mit dieser innovativen technischen Ausrüstung eine Leuchtturm-Funktion übernommen und bundesweit an der Spitze gestanden. Nach einer Projekt-

laufzeit von 60 Monaten sollte die neue Technik 2014 in Betrieb genommen werden. Aufgrund massiver technischer Probleme mit der Stabilität und Funktionalität war eine Inbetriebnahme des neuen Systems aber bislang nicht möglich.

rungsreichsten deutschen Bundesland ist stark gefährdet.

Kein Plan B in der Schublade

Experten zweifeln inzwischen offen an, dass die technischen Probleme überhaupt behoben werden können und stellen darüber hinaus die ZukunftsfähigDigitalfunkgeräte keit der Lösung infrage. Damit als Provisorium stehen auch die anstehende UmDie Bestandstechnik in den stellung des BOS-Digitalfunks nordrhein-westfälischen Po- auf All-IP und dessen LTE-Intelizeileitstellen ist seit Jahren gration auf dem Prüfstand. Auf abgängig, äußerst störanfällig Anfrage teilte die Firma Thales und nur noch mit hohem Auf- mit, dass die Projektrealisierung wand betreibbar. Eine sichere nunmehr für Ende des Jahres leitungsgebundene redundan- angestrebt werde. Nach Aussate Anschaltung der Leitstellen gen eines Vertreters des zustänan den Digitalfunk über LS 1/2 digen nordrhein-westfälischen existiert noch immer nicht. Um Landesamtes für Zentrale Poliden Leitstellen überhaupt Zu- zeiliche Dienste (LZPD) in Duisgang zum Digitalfunk zu ver- burg soll daher zunächst weiter schaffen, wurden zusätzlich am Projekt festgehalten werden. rund 1.000 Digitalfunkgeräte Für den Fall des Scheiterns sei als Übergangslösung beschafft. vorsorglich aber schon mal die Über die Datenschnittstelle (PEI) international tätige Wirtschaftsdieser Funkgeräte sind die Leit- kanzlei Bird & Bird eingeschalstellen seither ohne Redundanz tet worden. Einen Plan B gäbe es aber nicht. und die damit verbundenen Risiken an den Digitalfunk ange- Das nordrhein-westfälische Innenministerium wollte keine schaltet. Anstelle des angestrebten Spit- Stellungnahme abgeben. Inzenplatzes im bundesweiten zwischen haben die Missstände Ranking tragen die Leitstellen auch die Opposition im Düsder nordrhein-westfälischen seldorfer Landtag erreicht. Sie Polizei nunmehr die rote La- fordert Aufklärung. Eine Kleine terne. Schlimmer noch, die Anfrage an den Innenminister Sicherheitslage im bevölke- ist bereits auf dem Weg.

OK entdeckt digitalen Raum Cyber Crime für Täter sehr lukrativ (BS/mfe) Immer öfter agieren Gruppierungen, die früher ausschließlich im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) aktiv waren, auch im Bereich des Cyber Crime. Auf diese verschwimmenden Grenzen zwischen den Kriminalitätsformen wies kürzlich auch der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, hin. Zudem betonte er, dass es sich bei der Kriminalität im und aus dem digitalen Raum um einen wachsenden Industriezweig handele, der große Erträge bei gleichzeitig geringen Risiken ermögliche. Allein 2015 habe seine Behörde fast 46.000 Cyber Crime-Fälle im engeren Sinne mit einem Gesamtschaden von mindestens 40,5 Millionen Euro festgestellt. Er räumte allerdings ein: “Bei Cyber Crime gibt es ein enorm großes Dunkelfeld.” Und Münch unterstrich:“DerFaktorMensch spielt weiterhin eine große Rolle.” Des Weiteren wies der BKAPräsident darauf hin, dass alle

Elemente von Cyber Crime in der sogenannten Underground Economy des Darknets erworben werden könnten. Dabei handele es sich um “Crime-asa-Service”. An die anwesenden Industrievertreter appellierte Münch: “Sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung im Bereich des Cyber Crime erfordern die Kooperation zwischen Polizei und Wirtschaft.” Geschädigte müssten

solche Delikte auch zur Anzeige bringen. Aber auch die Sicherheitsbehörden selbst nahm der BKA-Präsident nicht aus. Er betonte: “Wir müssen technikoffen Recht anpassen.” Und: “Wir als Polizei müssen bei Cyber Crime deutlich schneller handlungs- und anpassungsfähig werden.” Schließlich sei auch eine verstärkte internationale Zusammenarbeit der Polizeibehörden notwendig.

31. Mai − 1. Juni 2017, Bonn

Bundeskongress

Kommunale Verkehrssicherheitt Die Informations- und Diskussionsplattform zur Verkehrs- und Geschwindigkeitsüberwachung

> www.kommunale-verkehrssicherheit.de

Eine Veranstaltung des:


Innere Sicherheit / Katastrophenschutz

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A

uch sein Nachfolger Abu Bakr al-Baghdadi, der 2014 in Mosul das Kalifat des Daesh verkündete und sich selbst zum Kalifen Ibrahim ausrief, hatte nach ersten terroristischen Erfahrungen in der Kampftruppe “Ansar al-Sunna – seine eigentliche Karriere bei einem relativ kurzen Aufenthalt in irakischen US-Gefängnissen gestartet. Er war 2004 in Abu Ghraib und/ oder im Camp Bucca inhaftiert worden. Beide Gefängnisse waren klassische Dschihad-Universitäten, in denen die Insassen planmäßg indoktriniert, für den Dschihad rekrutiert und für den Kampf ausgebildet wurden. Schon im November 2014 veröffentlichte die Soufan Group eine Liste von neun höchsten Daesh-Führungsoffizieren, darunter Kalif al-Baghdadi und der sogenannte stille Architekt des Daesh, Haji Bakr, die alle im Camp Bucca zusammenfanden.

Haftanstalten als Rekrutierungsreservoir Mohamed Merah, der im März 2012 bei mehreren Anschlägen im Großraum der französischen Stadt Toulouse sieben Menschen tötete, um gegen das Burkaverbot, den Einsatz der französischen Armee und die Situation in Palästina zu demonstrieren, wurde in afghanischen und französischen Gefängnissen zum Mudschahed (Gotteskrieger) geschult. Der französische Syrien-Rückkehrer Mehdi Nemmouche, der verdeckt über Malaysia, Thailand, Deutschland und Belgien wieder nach Frankreich einreiste und im Mai 2014 bei dem Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel vier Menschen mit einer AK-47 erschoss, wurde im Hochsicherheitsgefängnis von Brügge radikalisiert. Dort knüpfte er auch Kontakte mit dem Terroristen Salah Abdeslam.

Behörden Spiegel / April 2017

Gefängnisse als Brutkästen des Terrors? Zahlreiche Attentäter in Haftanstalten radikalisiert (BS/Uwe Kranz) Der “Vater” des Daesh, der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi, war ein gewöhnlicher Krimineller. Er trug den Spitznamen “Der grüne Dieb”, weil er sich das Kennzeichen seiner Bande – drei grüne Punkte – in die linke Hand tätowieren ließ. Seine Karriere als Führer der Terrorzelle Al Tawhid wa Al Jihad, als “Schlächter Allahs”, beginnt während eines Gefängnisaufenthalts im jordanischen Swaqa. Dort arbeitete er sich bis zum Emir empor. Im Zuge einer Generalamnestie wurde er jedoch schon 1999 vorzeitig aus der Haft entlassen. Anschließend schloss er sich mit seinem im Gefängnis geschmiedeten Netzwerk in Afghanistan Osama bin Ladens Al-Qaida an und gründete 2004 die Terrorfiliale Al-Qaida im Irak (AQI).

Serie TERRORZIELE (TEIL 8)

Auch die Kouachi-Brüder Chérif und Saïd, die im Januar 2015 den blutigen Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo verübten, wurden erst durch einen salafistischen Hassprediger radikalisiert und später im Gefängnis Fleury-Mérogis von dem Al-Qaida-Rekrutierer Djamel Beghal (alias Abou Hamza) angeworben. Chérif Kouachi lernte dort auch Amedy Coulibaly kennen, der später in Paris das Attentat auf die Polizistin und den koscheren Supermarkt beging. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Eine gute Basis für vertiefende Studien bietet der Report “Profiles of Islamic State Leaders”.

Gefängnisse dienen als Durchlauferhitzer Es sind Gefängnisse wie Abu Ghraib, Camp Bucca, Brügge, Fleury-Mérogis und viele andere, die als Durchlauferhitzer für den terroristischen Nachwuchs galten – und immer noch gelten! Die Daesh-Führung legt seit nunmehr über zehn Jahren einen besonderen Schwerpunkt auf die Gefängnisse. Die strategisch angelegten Befreiungsaktionen (“Destroy the Gates”), bescherten dem Daesh in den Jahren 2012 bis 2016 zu Tausenden hoch qualifiziertes und

motiviertes neues Personal. Die Bedeutung der Gefängnisse für Indoktrination und Rekrutierung lässt sich zumindest seit 2011 in diversen Handbüchern des Daesh belegen. Das alles ist nun nicht gerade eine neue Erkenntnis. Unter anderem hatte schon 2010 Peter R. Neumann vom International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence (ICSR) am King’s College in London hierzu eine umfangreiche Studie vorgelegt. Diese umfasste unter anderem auch vier EUMitgliedsstaaten und die USA. Diese wissenschaftliche Abhandlung untersuchte sehr differenziert die besondere Bedeutung der Gefängnisse. Zugleich versuchte Neumann in der Studie, Lösungsansätze zu erarbeiten. Dabei befasste er sich zum Beispiel mit grundsätzlichen Fragen des Gefängnisregimes für Terroristen sowie mit Fragen der De-Radikalisierung, Rehabilitation und Bewährungshilfe. Feste Regeln ließen sich zwar aus dieser Untersuchung nicht ableiten, doch eine Vielzahl von Empfehlungen. Diese scheinen jedoch nur unzureichend Eingang in die europäische Kriminalpolitik gefunden zu haben.

Französisches Guantanamo verlangt Versuche – etwa der französischen Regierung – mit millionenschweren spezifischen De-Radikalisierungs- und Präventionsprogrammen gegen-

Emire) und islamistische Terroristen von anderen Häftlingen isoliert unterbringen. In England und Wales sind mehr als 12.300 Gefangene muslimischen Glaubens. Über 130 davon sind Gefährder oder Terroristen. Die Regierung befürchtet, dass in Kürze rund 1.000 Gefangene zusätzlich radikalisiert werden könnten.

Der Terrorexperte des Behörden Spiegel, Uwe Kranz, warnt vor Radikalisierungsprozessen auch in deutschen Gefängnissen. Zugleich kritisiert er, dass es der Terrorprävention hierzulande an Einheitlichkeit fehle. Das habe einen Flickenteppich von Maßnahmen zur Folge. Foto: BS/Dombrowsky

zusteuern, scheinen nicht zu greifen. Ratlosigkeit greift angesichts der immer größer werdenden Zahlen um sich. Nach einer neueren Untersuchung sollen zum Beispiel 50 bis 80 Prozent aller französischen Gefängnisinsassen muslimischen Glaubens sein, obwohl sie nur zwischen sieben und acht Prozent der Bevölkerung ausmachen. Französische Sicherheitsexperten klagen, die Gefängnisse seien zu Universitäten des Dschihads und Brutkästen des Terrorismus geworden. Über 1.400 Gefangene gelten als radikalislamisch, 300 als konkrete Gefährder – die in den Gefängnissen als Helden gefeiert werden. Inzwischen wird sogar die Forderung laut, man brauche vielleicht ein französisches Guantanamo. Auch in England wurde 2016 die zunehmende Radikalisierung in den Gefängnissen von einer unabhängigen Kommission untersucht. Als Konsequenz will das britische Justizministerium strafgefangene IS-Propagandisten (selbst ernannte

Keine Einheitlichkeit in Deutschland Auch Deutschland steht vor ähnlichen Problemen. Zwar gibt es vereinzelte Beratungsstellen und Präventions- beziehungsweise Bildungsprogramme. Doch noch immer stehe die wissenschaftliche und praktische Auseinandersetzung mit der Radikalisierungsprävention weitgehend am Anfang, wie die Kriminologin und Präventionsexpertin Dr. Wiebke Steffen bereits auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes 2015 feststellte. Es fehlt an bundeseinheitlicher Struktur, am ganzheitlichen Ansatz, an einer nationalen Strategie, an Personal und vor allem an solider Finanzierung, um sich der stetig wachsenden Zahl von extremistischen Wahhabiten (streng konservative Muslime) und Salafisten in erforderlichem

Maße widmen zu können. Das gilt übrigens nicht nur für Gefängnisse. Die Terrorprävention gleicht einem Flickenteppich. Außerdem greifen die vorhandenen Programme bei überzeugten Salafisten nicht immer und die Justizverwaltungen sind immer wieder zum letzten Hilfsmittel, der Isolierung beziehungsweise Verlegung des Gefangenen, gezwungen. Bedenklich: Hunderte von Verfahren sind nach Auskunft des Generalbundesanwaltes noch in Vorbereitung. Erschwerend kommt hinzu: der Verfassungsschutz berichtet von einer überaus dynamisch wachsenden Salafistenszene. Der Aufbau eines Netzes aus Gefängnis-Seelsorgern soll zum aktuellen Zeitpunkt noch in der Pilotphase sein. Das wird schwerlich ausreichen, um die Wirkkraft der internationalen Gefangenen-Initiative “Ansarul Aseer” von inhaftierten salafistischen “Selfmade-Predigern”, von einzelnen, betreuenden Wander-Predigern oder der neu entstandenen Gefangenenhilfsorganisation “Muslimische Gefangene” zu begrenzen oder gar aufzuheben. “Ein Salafist geht rein, fünf kommen raus” – ein ernüchternder Kommentar eines Insiders.

Die Hoffnung stirbt zuletzt Es bleibt die vage Hoffnung, dass sich das neue Bundesprogramm “Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit” oder die Resolution des EUParlaments für eine gemeinsame umfassende EU-Strategie gegen Extremismus, die in Gefängnissen und durch Bildung sowie soziale Inklusion zur Anwendung kommen soll, vielleicht irgendwann doch noch mit Leben füllt. Hier sind insbesondere auch die Justizminister und -verwaltungen gefragt.

Wird der Krisenfall zum Normalfall?

MELDUNGEN

Deutsches Rotes Kreuz braucht in Zukunft mehr Eigenständigkeit

Weniger FKS-Kontrollen

(BS/Christian Reuter) Wir alle sind heute Beobachter der Tatsache, dass die sicherheitspolitische Lage erheblich vielschichtiger geworden ist als noch vor einigen Jahren. So beobachten wir zum Beispiel die zunehmende Gleichzeitigkeit von Ereignissen, die unser Handeln erfordern, oder stellen fest, dass der Umgang mit einer Sicherheitslage kaum noch innerhalb (BS/mfe) Die Zollkräfte der eines bestimmten Fachstranges erfolgen kann. Wir werden Zeuge eines erheblichen Umbruchs im Bereich der Gesundheitsversorgung und müssen letztlich auch zur Kenntnis nehmen, Finanzkontrolle Schwarzardass es sein könnte, dass der Krisenfall zukünftig eher zum Normalfall wird und wir nicht einfach und schnell zu einer ruhigen Ausgangslage zurückkehren können. beit (FKS) haben im vergangeAuch wenn das Deutsche Rote Kreuz (DRK) entsprechend den Grundsätzen und Idealen der weltweiten Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung seit jeher Leistungen für Menschen erbringt, die Hilfe benötigen, sich aktiv in die weltweite Hilfe für die bedürftigsten Menschen einbringt und seine Strukturen und Prozesse darauf ausgerichtet hat, so ist doch zu spüren, dass Krisen und Konflikte zunehmen, die unseres Handelns und unserer Unterstützung bedürfen.

Ohne Ehrenamt geht es nicht Dies stellt auch das DRK vor Herausforderungen. Einerseits wird es als großer Akteur “gelebter Menschlichkeit” gesehen, wie es Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) formulierte, auf dessen Leistungsfähigkeit man sich stets und allerorten verlassen kann. Andererseits begrenzen abnehmende Jahrgangsstärken und eine geringere zeitliche Verfügbarkeit der ehrenamtlich Tätigen die praktischen Möglichkeiten der rein ehrenamtlichen Leistungserbringung. Nach wie vor ist das deutsche System der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr aber auf ehrenamtliches Engagement ausgelegt und angewiesen. Die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DRK eröffnen in diesem Sinne ein Zeitfenster, um dieses Engagement in den systemisch vernetzten Aufgabenfeldern des

andererseits die Konzentration der Strukturen Christian Reuter ist seit und finanziellen April 2015 Generalsekretär Ressourcen aldes Deutschen Roten Kreuzes. Zuvor war er über vier lein auf staatliche Jahre lang BundesgeschäftsAkteure der unführer des Arbeiter-Samariterschiedlichen ter-Bundes Deutschland. Ebenen nicht das Mittel der Wahl Foto: BS/Michael Handelmann, DRK sein. Es ist daher an der Zeit, diesen DRK sicherzustellen. Nur durch Prozess, der weitgehend nach das richtige Zusammenspiel ist Kassenlage verlief, neu zu bedas DRK jederzeit in der Lage, werten und im Sinne der heuauf dynamische Lagen und die tigen Herausforderungen und vielfältigen Entwicklungen ziel- Bedrohungen neu aufzusetzen. genau und flächendeckend als Aus Sicht des Deutschen Roten “Hilfsgesellschaft der deutschen Kreuzes muss dies in erster Linie Behörden im humanitären Be- zu einer Revitalisierung seiner reich” zu reagieren. auxiliaren Beziehung zum Staat Diese Lagen und Entwicklun- führen, der dem DRK eine augen werden absehbar dazu füh- tarke Aufgabenwahrnehmung ren, dass das DRK seine Auf- nach eigenen Führungsgrundgaben nach dem DRK-Gesetz sätzen ermöglicht und dafür den aus dem Jahre 2008 noch um- erforderlichen Rahmen zur Verfassender, flexibler und dabei fügung stellt. eigenständiger als bisher wahrAusbildung wird immer nehmen muss.

Nicht nur auf staatliche Akteure konzentrieren Wenn der Staat nach der aktuellen Bedrohungseinschätzung der Bundesregierung, wie sie im Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik dargestellt ist, zudem kein universeller Problemlöser mehr sein soll oder kann, und wenn es darüber hinaus richtig ist, dass staatliche Aufgaben immer mehr im vernetzten Ansatz gelöst werden, dann kann

zentrale Bedeutung zu. Selbst die Experten in diesem Themenfeld erkennen an, dass es eine immer umfangreichere und spezialisiertere Ausbildung der Helferinnen und Helfer erfordert, je höher der Grad der Komplexität oder der Gefährlichkeit des Einsatzes beziehungsweise auch des Einsatzortes ist. Dabei geht es nicht ausschließlich um reine Fachqualifikation, sondern um den Umgang mit Stress, die Fähigkeit zur Lageund Gefährdungseinschätzung und nicht zuletzt um das Führungskönnen auf den verschiedenen Ebenen. Diese Mischung wird vor allem die Aufgaben mit medizinischem Hintergrund prägen und das DRK und die anderen Akteure im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz vor große Herausforderungen stellen. Dass diese im vernetzten An-

satz zu bewältigen sind, hat die Flüchtlingslage der Jahre 2015 und 2016 eindrucksvoll bewiesen. Als einer der großen und wichtigen Hauptakteure konnte das DRK zusätzliche personelle und materielle Ressourcen ohne weitere Belastung der örtlichen Strukturen in die medizinische Versorgung einbringen, um so zum Beispiel den erhöhten Zustrom von Flüchtlingen zu bewältigen oder den örtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit zur Wiederherstellung der eigenen Einsatzbereitschaft zu geben. Um den Herausforderungen unserer Zeit wirksam zu begegnen, braucht es deshalb in Deutschland den vernetzten Ansatz mit starken Akteuren, die über eigene Handlungsfähigkeit und Spielräume verfügen, um flexibel und jederzeit agieren zu können.

spezieller

Hybride Bedrohungen, zunehmende Cyber-Angriffe, terroristische Lagen und die Refokussierung auf die Aufgaben im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung definieren dabei ein Qualifikationsniveau, das weit über bildhafte Jedermann-Aufgaben im Katastrophenschutz hinausgeht. Folgerichtig kommt der passgenauen Qualifikation von Haupt- und Ehrenamt für diese Aufgaben

Trotz zahlreicher neuer zu bewältigender Herausforderungen wird das Deutsche Rote Kreuz (DRK) auch in Zukunft auf Unterstützung durch ehrenamtliche Kräfte, die sich zum Beispiel im Rettungsdienst engagieren, angewiesen sein. Foto: BS/kosmolaut, CC BY 2.0, flickr.com

nen Jahr weniger Arbeitgeber überprüft als noch im Vorjahr. Während 2015 noch 43.637 Unternehmer kontrolliert wurden, waren es 2016 nur noch 40.374. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor (Drucksache 18/11475). Die mit Abstand meisten Überprüfungen (13.473) entfielen dabei im vergangenen Kalenderjahr auf das Bauhaupt- und -nebengewerbe. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Gaststätten- und Beherbergungsbetriebe (6.030 Kontrollen) sowie das Speditions- und Transportgewerbe (4.635). Im Anschluss an diese Kontrollen hat die FKS 2016 insgesamt 126.315 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auch das ist ein Rückgang: 2015 waren es noch 128.432.

Viele illegale Einreisen (BS/mfe) Im vergangenen Jahr haben die Polizeibehörden in Deutschland in grenzüberschreitenden Fernbussen insgesamt 5.933 unerlaubt ins Bundesgebiet eingereiste Personen festgestellt. Und die Zahlen nehmen nicht ab: Allein im Januar dieses Jahres wurden 707 illegal eingereiste Migranten in diesen Verkehrsmitteln aufgegriffen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag hervor (Drucksache 18/11491).


Katastrophenschutz

Behörden Spiegel / April 2017

Seite 43

In Wachtberg war “Land unter”

Schnell und sicher im Einsatz

Vorwarnzeiten bei Hochwasserlagen verbessern

Rettungsdatenblätter per Kennzeichen für alle Fahrzeuge abrufbar

(BS/Marco Feldmann) Die nordrhein-westfälische Gemeinde Wachtberg bei Bonn wurde in ihrer Geschichte bereits mehrfach massiv von Hochwasserereignissen getroffen. Jedes Mal waren große Schäden zu beklagen. 2016 aber erreichten die Überschwemmungen eine neue Qualität. Denn: Im letzten Jahr trat ein weiteres Gewässer über die Ufer.

(BS/Georg Heyne*) Bei einem Verkehrsunfall leistet die Feuerwehr schnelle und fachkundige Hilfe. Um rasch zu einem in seinem Fahrzeug eingeklemmten Unfallopfer vordringen zu können, ist das Wissen um speziell gehärtete oder versteifte Fahrzeugteile notwendig. Die Sicherheit der Retter darf dabei auf keinem Fall außer Acht gelassen werden. Bei der Rettung dürfen potenziell gefährliche Fahrzeugbauteile, wie etwa nicht ausgelöste Airbags oder Kraftstoffbehälter, nicht beschädigt werden.

Hatte zuvor immer nur der Mehlemer Bach Hochwasser geführt, sei 2016 erstmals auch der Godesbacher Bach betroffen gewesen, erläuterte Jörg Ostermann, Beigeordneter der Gemeinde mit rund 20.000 Einwohnern im Rhein-Sieg-Kreis. Das sei für die Verantwortlichen überraschend gekommen, auch wenn die örtliche Feuerwehr nach den Überflutungen von 2010 mit neuem Gerät ausgestattet worden sei. Um den Betroffenen dennoch effektiv zur Seite stehen zu können, habe die Gemeinde die Wachtberger bei den Aufräumarbeiten unterstützt. “Uns war es wichtig, dem Bürger zu zeigen, dass die Verwaltung für ihn da ist.” Und noch etwas habe man getan, so Ostermann auf dem zehnten Bürgermeisterkongress des Behörden Spiegel in Bonn: “Es wurde ein Hochwasserfonds eingerichtet. Dieser speiste sich aus Mitteln des Kreises, der Gemeinde und aus Spenden.” Um in Zukunft weitere Überschwemmungen zu verhindern, fänden inzwischen unter ande-

rem Gewässerausbaumaßnahmen statt. Aber ein Punkt sei besonders wichtig: “Wir müssen unbedingt versuchen, die Vorwarnzeiten bei Überflutungen zu verringern.”

“Es wird ungemütlicher” Starkregenereignissen und Hochwassergefahren widmete sich auch der Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes (DWD), Dr. Paul Becker. Er machte dabei klar: “Starkregen kann überall auftreten!” Und Becker räumte ein: “Wir werden nie perfekt sein. Es gibt immer Grenzen der Vorhersage.” Zugleich warnte der Meteorologe, dass es künftig wahrscheinlich mehr Überschwemmungen geben werde. Ähnlich äußerte sich der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Christoph Unger. Er betonte: “Wir glauben, dass es ungemütlicher wird. Wir müssen uns auf eine neue Bandbreite an Herausforderungen einstellen.” Dazu zählten neben dem Ausfall von Kritischen

Der Wachtberger Beigeordnete Jörg Ostermann berichtete von seinen Erfahrungen mit Hochwasserlagen. Foto: BS/Feldmann

Infrastrukturen (KRITIS) unter anderem Angriffe aus dem digitalen Raum sowie terroristische Bedrohungen. Um auf all das angemessen reagieren zu können, seien Reformen erforderlich. So müssten etwa die Zivilverteidigung verbessert und Gesetze angepasst werden. Des Weiteren würden nun gemäß der “Konzeption Zivile Verteidigung” (KZV) in einem ersten Schritt mehrere Referenzszenarien mit Bund und Ländern entwickelt.

Krisensicher kommunizieren Technisches Hilfswerk zeigt sich erfreut über CeBIT-Resonanz (BS/Matthias Groß*) Gerätekraftwagen, Funktechnik und krisenfeste Kommunikation: All das konnten tausende Besucher der Technologiemesse CeBIT an drei Stationen des Technischen Hilfswerks (THW) am Stand des Bundesinnenministeriums (BMI) bewundern. Dabei bildete krisensichere Kommunikation den Schwerpunkt des THW-Messeauftritts. Die technischen Grundlagen erklärten Kräfte der Bundesanstalt interessierten Gästen mithilfe des GerätekraftwagenSchnittmodells. Das Modell ist der Längsschnitt eines ausgesonderten Gerätekraftwagens (GKW), dessen Rollkästen durch Vitrinen ersetzt sind. In den Schaukästen wurden zudem analoge und digitale Funkgeräte ausgestellt. Anhand der Exponate konnten die Besucher nachvollziehen, wie sich die Kommunikationstechnik im Bevölkerungsschutz in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat.

Standgäste überrascht Viele Interessierte zeigten sich verblüfft angesichts der einfachen, aber zuverlässigen Technik, die es den Einsatzkräften im Notfall ermöglicht, auch dann zu kommunizieren, wenn die

Im GKW-Schnittmodell präsentierte die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) auf der CeBIT in Hannover unter anderem analoge und digitale Funkgeräte. Außerdem wurden dort die technischen Grundlagen einer krisensicheren Kommunikation erläutert. Foto: BS/THW, Britta Kindler

Stromversorgung und die digitale Infrastruktur zusammen-

brechen. Denn die Feldtelefone sind über einen einfachen Klingendraht miteinander verbunden, sodass THW-Kräfte über Kilometer hinweg miteinander kommunizieren können, ohne dabei auf ein Funknetz angewiesen zu sein. Betreut und koordiniert wurde der Stand von Hauptamtlichen aus der THW-Leitung sowie dem Landesverband Bremen/Niedersachsen. Auf die einzelnen Messetage verteilt informierten insgesamt 22 ehrenamtliche THW-Kräfte sowie zwei Experten für Digitalfunk und Informationstechnik auf der CeBIT über die Kernkompetenzen des THW. *Matthias Groß ist im Leitungsstab sowie in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) tätig.

Auch die zunehmende Elektrifizierung der Fahrzeuge stellt mit den zum Teil hohen Spannungen und Strömen ein Risiko für Retter und Unfallopfer dar. Um dieses Wissen für die verschiedensten Fahrzeugmodelle parat zu haben, bietet die sächsische Feuerwehr-App FwA 16/1 das Modul der Rettungsdatenblätter an. Es verfügt zu allen Fahrzeugen über die in Deutschland vorhandenen Rettungsdatenblätter. Über einen Suchbaum kann schnell auf verschiedene Fahrzeugmodelle zugegriffen werden. Alle Informationen sind dabei auf den mobilen Endgeräten der Rettungskräfte gespeichert, sodass die Informationen auch ohne Internetanbindung abrufbar sind.

Baujahr es sich handelt, schon bei völlig intakten Fahrzeugen schwierig. Ungleich komplizierter gestaltet sich die Ermittlung bei verunfallten und stark deformierten Autos. Um dieser Herausforderung zu begegnen, wurde nun eine neue Funktion innerhalb des Rettungsdatenblatt-Moduls der FwA 16/1 vorgestellt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) verfügt als Bundesbehörde über alle erforderlichen Informationen, um das Kennzeichen dem jeweiligen Fahrzeugtyp zuordnen zu können. So ist es den sächsischen Rettungskräften in Zukunft möglich, im Einsatz das richtige Rettungsdatenblatt schnell und zuverlässig zu finden.

KBA-Daten zur Unterstützung

Abfrage erfolgt datenschutzkonform

Die einzelnen Fahrzeugmodelle unterscheiden sich jedoch technisch selbst bei gleichen Modellen in den verschiedenen Baujahren oder in den individuellen Ausführungen und Konfigurationen. Dabei ist das Erkennen, um welches Modell aus welchem

Dafür müssen die Helfer das Kennzeichen in die FeuerwehrApp eingeben und die Abfrage starten. Nach kurzer Zeit bekommt der Nutzer das richtige Datenblatt präsentiert. In Fällen von nicht eindeutigen Zuordnungen kann der Feuer-

wehrmann durch Vergleichen der angegebenen Merkmale, wie Motorisierung oder Anzahl der Türen, aus wenigen Rettungsdatenblättern das richtige auswählen.

Datenschutzrechtlich unbedenklich Bei dieser Abfrage werden keinerlei persönliche Informationen über den Halter oder den Fahrer des Fahrzeugs übermittelt. Die Daten beschränken sich auf das Kennzeichen selbst und als Antwort auf die Informationen zum jeweiligen Rettungsdatenblatt, die jeweils verschlüsselt übertragen werden. Aufgrund der Datensparsamkeit ist diese Funktionalität auch bei eingeschränkter, langsamer Internetverbindung nutzbar. Sollte im jeweiligen Einsatz keine Internetverbindung bestehen, bleibt die Benutzbarkeit mit dem Suchbaum weiterhin bestehen. *Georg Heyne ist Diplom-Ingenieur. Er arbeitet am Institut für Informatik der Technischen Universität Bergakademie Freiberg.

MELDUNG

App auch für Windows verfügbar (BS/mfe) Die WarnWetter-App des Deutschen Wetterdienstes (DWD) kann künftig auch von Besitzern von Windows Phones verwendet werden. Außerdem wurde eine Desktop-Version für Laptops und PCs mit dem Betriebssystem Windows 10 prä-

sentiert. Des Weiteren sorgt der DWD durch Texte, die Grafiken und Icons erklären, künftig für einen barrierefreien Zugang zur App. Zudem erhalten die Nutzer jetzt noch schneller einen Überblick über die relevanten Warnmel-

dungen. Dafür sorgt ein sogenanntes Widget mit individuell ausgewählten Warnungen auf dem Startbildschirm. Darüber hinaus kann die Vorabinformation “Unwetter” in Zukunft als Push-Nachricht abonniert werden.


Wehrtechnik

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Behörden Spiegel / April 2017

Neues aus der Wehrtechnik Neues Flugzeug für den “Offenen Himmel”

Wideband Global SATCOM Satellite in Orbit gebracht

BAAINBw

Boeing

(BS) Ende März unterzeichnete das BAAINBw einen Vertrag mit der Firma Lufthansa Technik AG zur Beschaffung eines Beobachtungsflugzeugs für die deutsche Beteiligung am Vertrag über den Offenen Himmel. Beim ausgewählten Luftfahrzeug handelt es sich um einen gebrauchten Airbus vom Typ A319CJ (Foto), der nun für die Aufgabe als Beobachtungsplattform umgebaut wird. Der Umbau umfasst u. a. die Einrüstung von digitaloptischen Kamerasystemen für drei verschiedene Flughöhen und einen digitalen Infrarotsensor. Der Vertrag über den Offenen Himmel wurde 1992 von den Staaten der NATO und des ehemaligen Warschauer Paktes geschlossen und dient als vertrauensbildende Maßnahme. Zuständig für die Planung und Koordinierung aller Flüge im Rahmen jenes Vertrags auf nationaler und inter-

nationaler Ebene ist das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr. Im Anschluss an die Übergabe des Flugzeugs muss ein militärisches Foto: BS/Bundeswehr, Petersen Zulassungsverfahren durchlaufen werden. Vor dem ersten Einsatz als Beobachtungsluftfahrzeug muss der Airbus dann noch durch die 34 Vertragsstaaten akkreditiert werden. Beobachtungsflüge werden voraussichtlich ab Ende 2020 möglich sein. Mehr Informationen unter www.baainbw.de

(BS) Boeings neunter “Wideband-GlobalSATCOM”-Satellit (WGS) wurde Mitte März in seine Umlaufbahn gebracht, um den sieben Nutzernationen erweiterte Kommunikationsfähigkeiten zu bieten, die dazu beitragen können, Angriffe zu verhindern, sich gegen diese zu schützen oder auf sie zu reagieren. Der WGS-9-Satellit wurde im Rahmen einer Vereinbarung zwischen den USA und Kanada, Dänemark, Luxemburg, den Niederlanden und Neuseeland finanziert und wird auch Australien unterstützen. Australien hatte den WGS-6-Satelliten finanziert. Jedes Partnerland erhält Zugang zu den Fähigkeiten des kompletten WGS-Systems. WGS-9 startete von Cape Canaveral in Florida aus mit einer Delta-IV-Rakete der United Launch Alliance. Boeing hat einen Vertrag für zehn WGS

Satelliten abgeschlossen. Der Start des letzten WGS-Satelliten ist derzeit für 2018 geplant. Im Vergleich zu früheren Satelliten der Serie haben die WGS-Satelliten Nummer acht, neun und zehn durch die Integration von modernisierter digitalisierter Anwendungssoftware eine nahezu doppelt so große verfügbare Bandbreite. Mehr Informationen unter www.boeing.com

31. Fachausstellung in Bonn

Vier neue Executive Committee-Mitglieder

AFCEA Bonn

Airbus Defence and Space

(BS) Am 26. und 27. April findet die 31. AFCEA Fachausstellung, d.h. die sogenannte “grüne CeBIT” – statt. Ihr Motto nimmt das Jahresthema von AFCEA Bonn e. V. auf: “Innere und äußere Sicherheit 4.0 – Schlüssel zur digitalen Souveränität”. Einige Unternehmen hatten im Vorfeld um größere Stände nachgefragt und einige Firmen konnten aufgrund fehlender Ausstellungsfläche 2016 nicht berücksichtigt werden. Deshalb wird die AFCEA Fachausstellung 2017 erstmalig im Maritim Hotel Bonn stattfinden, und zwar mit 137 Ausstellern. Im vergangenen Jahr fanden mehr als 2.450 Teilnehmer aus Bundeswehr, Polizei, Behörden im Sicherheitsumfeld, Forschung und Industrie den Weg zur AFCEA Fachausstellung nach Bonn. Aus diesem Anlass bringt der Behörden Spiegel

in Zusammenarbeit mit AFCEA Bonn zur Fachausstellung das Sonderheft “AFCEA 2017” – diesmal unter Mitwirkung der BWI Informationstechnik GmbH – he­raus. Bestellinformationen unter www.behoer den-spiegel.de/Son derpublikationen/ AFCEA/ Mehr Informationen zur Fachausstellung unter www.afcea.de

Grafik: BS/Liesegang

(BS) Airbus Defence and Space hat Ende März Jana Rosenmann, Grazia Vittadini, Bernhard Brenner und Peter Weckesser zu neuen Mitgliedern seines Executive Committee berufen. Die Nominierung erfolgte im Rahmen der Reorganisation infolge des Strategie-Updates der Division. Die neue Organisation besteht aus vier Geschäftsbereichen: Military Aircraft, Space Systems, CIS (Communications, Intelligence and Security) und Unmanned Aerial Systems. Der vierte Bereich wurde als Ergebnis der Strategie-Aktualisierung neu hinzugefügt. Das Executive Committee besteht nunmehr aus: Dirk Hoke (CEO), Julian Whitehead (Finanzen), Fernando Alonso (Military Aircraft), Nicolas Chamussy (Space Systems), Evert Dudok (CIS), Jana Rosenmann (Unmanned Aerial Systems), Lars

Immisch (Personal), André-Hubert Roussel (Operations), Grazia Vittadini (Engineering), Bernhard Brenner (Marketing & Sales), Peter Weckesser (Digital Transformation Officer), Antoine Noguier (Strategie), Dirk Erat (Communications), Andreas Riecker (Legal & Compliance) und Chantal Jonscher (Corporate Secretary). In den vergangenen Monaten hat Airbus Defence and Space eine Strategieaktualisierung vorgenommen, die nach Jahren der Konsolidierung nun einen Schwerpunkt auf Wachstum setzt. Hauptpfeiler der Strategie sind intelligentere Produkte, ein stärker servicebasiertes Angebot und die Beschleunigung der digitalen Innovation. Mehr Informationen unter www.airbusdefenceand ­space.com

Sicherheit in der “Industrie 4.0”

Mobiles Simulatorsystem an KSM übergeben

Rohde & Schwarz Cybersecurity

Thales

(BS) Rohde & Schwarz Cybersecurity präsentiert auf der Hannover Messe Ende April ein mehrstufiges Sicherheitskonzept für den Netzwerkschutz in der “Industrie 4.0”. Das Angebot umfasst zum einen die Lösung R&S Industrial Network Analytics, bestehend aus der IP Probe “R&S®Net Sensor” und der Analyseplattform “R&S®Net Reporter” (Foto), welche in Echtzeit Informationen über den Zustand eines Netzwerkes liefert. Damit werden frühzeitig Probleme erkannt, die aus infizierten Maschinensteuerungen, Fehlkonfigurationen oder potenziellen Cyber-Angriffen resultieren können. Zum anderen lassen sich auf Basis dieser Analyse mit den gateprotect Firewalls der “Specialized Line”, die notwendigen Schutzmaßnahmen einrichten und Angreifer schnell und sicher abwehren. Die Firewalls wurden speziell

(BS) Das Kommando Spezialkräfte Marine (KSM) der Bundeswehr erhielt Mitte März von Thales Deutschland die mobile Version des Small-ArmsTrainers “Sagittarius Evolution”, eine Weiterentwicklung des bei der Bundeswehr eingeführten AGSHP (Ausbildungsgerät Schießsimulator Handwaffen/Panzerabwehrhandwaffen). Nach der Auslieferung des Systems an das KSK in Calw zu Beginn des vergangenen Jahres ist dies bereits die zweite mobile Variante der Thales-Simulationsplattform, die sich im Einsatz befindet. Neben dem KSM wird auch das ebenfalls in Eckernförde stationierte Seebataillon (SeeBtl) den Simulator insbesondere für die realitätsnahe Ausbildung am Wirkmittel 90 mm nutzen. Insbesondere für spezialisierte Kräfte kann das System u. a. mit besonderen Trainingsszenari-

Foto: BS/Rohde & Schwarz

für komplexe industrielle Umgebungen mit hohem Schutzbedarf konzipiert und unterstützen SCADA-Protokolle. Mehr Informationen unter https://cybersecurity. rohde-schwarz.com/de

en (Combat Search and Res­cue, Eskortierung von Schiffskonvois etc.) ausgestattet werden, um ein noch realitätsnäheres Training absolvieren zu können. Das mobile System ist die kleinste und mobilste Variante der ThalesSimulationsplattform für Handfeuerwaffen vom Typ “Sagittarius Evolution”.

Großauftrag aus den USA

Mehrere Großaufträge in Arbeit (BS/por) Nach Informationen aus dem BMVg soll noch in diesem ersten Halbjahr 2017 die Ausschreibung für die neue Standardwaffe der Bundeswehr erfolgen. Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen hatte 2015 entschieden, die bisherige Standardwaffe – das Sturmgewehr G36 von Heckler & Koch (HK) – auszumustern. Grund hierfür waren Meinungsverschiedenheiten zwischen Hersteller und Nutzer über die Einsatzfähigkeit bei Dauerfeuer und heißen klimatischen Bedingungen. Diese führten zu einem Rechtsstreit um Schadensersatz vor dem Landgericht Koblenz, in dem die öffentliche Hand unterlag. Chancen aus. Auch SIG Sauer soll Interesse bekundet haben, mit ihrer neuen Langwaffe MCX an den Start gehen zu wollen. Als weitere mögliche Mitbieter aus dem Ausland gelten u. a. auch die belgische FN Herstal, die tschechische CZ und die italienische Beretta Defence. Gleichwohl soll Heckler & Koch bei diesem Beschaffungsvorhaben mit dem Sturmgewehr HK433 ins Rennen gehen. Dieses modulare Sturmgewehr wurde Anfang dieses Jahres erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Großteil der Waffe ist aus faserverstärktem Kunststoff und hochfestem Aluminium gefertigt, weshalb es bei ei-

Während die Selbstladepistole P320 (links) von SIG Sauer die US-Auswahl bereits gewonnen hat, ist die Bundeswehr-Nachfolge für das Sturmgewehr G36 noch ungeklärt. Foto links: BS/U.S. Army

nem 16,5-Zoll-Lauf nur 3,5 Kilo wiegt. Das HK433 ist, wie auch das G36 und das HK416, ein

Foto oben: BS/vhmh, CC BY-NC-ND 2.0, flickr.com

aufschießender Gasdrucklader mit Impulsgaskolben. Das HK416 – die deutsche mi-

Foto: BS/Thales

Mehr Informationen unter https://www.thalesgroup.com/de

Handfeuerwaffen gefragt

A

b 2020 soll einerseits damit begonnen werden, das G36 außer Dienst zu stellen, während andererseits ab jenem Jahr das Nachfolgemuster ausgeliefert werden soll. Innerhalb von sechs Jahren sei dann die Auslieferung beendet. Dabei ist allerdings noch nicht offiziell bekannt, wie viele neue Sturmgewehre beschafft werden sollen. Schätzungen sprechen von bis zu 160.000 Exemplaren in einem Gesamtwert von rund einer halben Milliarde Euro. Während in den vergangenen Jahrzehnten HK aus dem schwäbischen Oberndorf mit dem G36 und dessen Vorgängermodell G3 gleichsam “Hoflieferant” der Bundeswehr für die jeweilige Standardwaffe war, stehen diesmal die Chancen aufgrund des Streits über die Zuverlässigkeit der bisherigen Standardwaffe weniger günstig. Rheinmetall und sein österreichischer Partner Steyr Mannlicher rechnen sich daher mit ihrem Sturmgewehr RS556

Foto: BS/U.S. Air Force Space Command

litärische Bezeichnung lautet G38 – wurde im September des vergangenen Jahres vom französischen Beschaffungsamt DGA (“Direction générale de l‘armement”) für das Programm “Arme Individuelle Future” (AIF) als neue Standardwaffe für sämtliche Teilstreitkräfte ausgewählt. Das Gesamtvolumen des Auftrages beläuft sich auf rund 100.000 Stück zu einem Preis von ca. 300 Millionen Euro. Das G36 war ab den 1990erJahren produziert und ab 1996 in der Truppe als Nachfolger für das G3 eingeführt worden. Aktuell besitzt die Bundeswehr noch rund 167.000 Exemplare dieses Sturmgewehrs.

Ende Januar war bekannt geworden, dass die SIG Sauer GmbH & Co. KG aus Eckernförde ein jahrelanges Auswahlverfahren über eine neue Pistolengeneration für die USStreitkräfte gewonnen hat. In den nächsten zehn Jahren soll das Unternehmen in seinem US-Werk in Newington im Bundesstaat New Hampshire die Selbstladepistole P320 fertigen. Die Handfeuerwaffe mit Kaliber 9 mm Parabellum wird die italienische Beretta 92 – die US-Bezeichnung lautet “M9” – ersetzen. Es geht dabei um einen Auftrag über insgesamt 492.000 Pistolen, einschließlich Munition und Zubehör, im Umfang von 580,217 Millionen US-Dollar. Allein das amerikanische Heer soll 280.000 Stück von diesem modularen Handfeuerwaffensystem (MHS) erhalten. Auftraggeber ist hier das Army Contracting Command im Picatinny Arsenal in New Jersey.


Wehrtechnik

Behörden Spiegel / April 2017

Neues Cyber-Kommando

“I

n den kommenden drei Monaten”, so General Leinhos, “werden wir uns als Kommando finden müssen, denn bereits im Juli wird uns die Führung zahlreicher Kräfte des Cyberund Informationsraums aus allen Teilen der Bundeswehr übertragen.” Startsignal war die Aufstellung der neuen Abteilung Cyber- und Informationstechnik (CIT) im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) gewesen. Die Bundeswehr stellt ein hochrangiges Ziel für die Akteure im Cyber- und Informationsraum dar und muss jederzeit mit komplexen und professionellen Cyber-Angriffen rechnen. Um sich diesen Herausforderungen zukünftig wirkungsvoll weiter entgegenzustellen, werden die Fähigkeiten in einem neuen militärischen Organisationsbereich CIR gebündelt.

“Auf Augenhöhe” Ähnlich wie Heer, Luftwaffe und Marine für die Dimensio-

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Generalleutnant Ludwig Leinhos erster Inspekteur (BS/Dr. Gerd Portugall) “Heute ist ein historischer Tag für die Bundeswehr.” Mit diesen Worten begann Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen ihre Rede anlässlich der Indienststellung des Kommandos Cyber- und Informationsraum (KdoCIR) im Rahmen eines feierlichen Appells Anfang April in Bonn. Dabei ernannte sie Generalleutnant Ludwig Leinhos zum ersten Inspekteur des neuen militärischen Organisationsbereichs CIR. In jedem Fall ist es ein wichtiger Meilenstein für die deutschen Streitkräfte.

Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen gratuliert Generalleutnant Ludwig Leinhos (rechts) zur Ernennung als erster Inspekteur des Organisationsbereichs CIR. Foto: BS/Portugall

nen Land, Luft und See zuständig sind, werden die Angehörigen dieses neuen militärischen Organisationsbereiches für die Dimension Cyber- und Informationsraum verantwortlich sein. Das Kommando CIR soll überdies in Fragen der CyberSicherheit als Schnittstelle für andere Ressorts des Bundes, für die Wirtschaft und für die internationalen Verbündeten “auf Augenhöhe” fungieren. Der Cyber- und Informationsraum wird der sechste militärische Organisationsbereich der Bundeswehr werden. Der neue Inspekteur steht auf einer Ebene

mit den anderen Inspekteuren der drei genannten Teilstreitkräfte sowie von Sanitätsdienst und Streitkräftebasis (SKB). Die zunächst rund 260 Angehörigen des Kommandos CIR sollen in der “Startaufstellung” eine Erstbefähigung zur Führung des nachgeordneten Bereichs gewährleisten.

Weitere Planungen Ab Juli werden dem neuen Kommando dann das Kommando Strategische Aufklärung, das Führungsunterstützungskommando der Bundeswehr, das Zentrum Operative Kommunika-

tion und das Zentrum für Geoinformationswesen unterstellt. Dabei soll es keine Auswirkungen auf Standorte der Bundeswehr geben. Der Organisationsbereich CIR wird etwa 13.500 Dienstposten umfassen. In den Jahren bis 2021 soll das KdoCIR weiter aufwachsen, bis auf 700 bis 800 Stellen. In vier Jahren ist dann auch die volle Einsatzbereitschaft des gesamten neuen Organisationsbereichs geplant. An der Universität der Bundeswehr in München wird zudem ein Forschungszentrum der deutschen Streitkräfte und des Bundes für den Cyber-Raum eingerichtet. Dazu wird dort gegenwärtig der Fachbereich “Informatik und Cybersicherheit” weiter ausgebaut. Dieser neue “Cybercluster” ist als ressortübergreifende Einrichtung geplant, die neben klassischer Forschung auch aktives Management von Innovationen im Bereich CyberAbwehr, Digitalisierung und IT betreiben soll.

MBDA-Jahrespressekonferenz

Jeder ist persönlich betroffen

Wachstum und mehr Einstellungen für 2017 erwartet

Zweiter Sicherheitspolitischer Dialog am BiZBw

(BS/Dr. Gerd Portugall) “2016 war ein entscheidendes Jahr”, sagte Antoine Bouvier, Aufsichtsratsvorsitzender der MBDA Deutschland GmbH, anlässlich der Jahrespressekonferenz des Unternehmens im oberbayerischen Schrobenhausen. “Die positiven Zukunftsaussichten ergeben sich durch eine effektivere industrielle Organisation, welche die europäische Zusammenarbeit fördert, durch die Verjüngung der Belegschaft und ein Auftragsbuch, das einen historischen Höchststand erreicht hat.”

(Oberstleutnant Thilo Koch*) Die tiefgreifenden globalen Veränderungen erfordern weiterhin eine breit angelegte sicherheitspolitische Diskussion. Das Bildungszentrum der Bundeswehr (BiZBw) lädt hierzu regelmäßig Experten zu aktuellen Themen ein. Mit dieser Veranstaltungsreihe sollen Verantwortliche aus dem Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik mit Führungskräften aus der Region zusammengebracht werden. In diesem Jahr konnte Präsident Christoph Reifferscheid erneut mehr als 100 interessierte Gäste aus allen gesellschaftlichen Bereichen in Mannheim begrüßen. Thema dieses zweiten “Sicherheitspolitischen Dialogs in der Metropolre“Diese MBDA wird die Zusam- per großer Reichweite SCALP/ BAE Systems (weitere 37,5 Pro- gion Rhein-Neckar” Mitte März war die IT-Sicherheit. menarbeit mit den Export- und Partnerländern unserer Heimatländer forcieren. Diese MBDA wird ihre kritische Größe von Jahr zu Jahr festigen, um ihren europäischen Kunden auf nachhaltige Weise den Zugang zu Schlüsseltechnologien zu ermöglichen, die unsere Streitkräfte zur Erfüllung ihrer Aufträge benötigen”, so Bouvier. Im vierten aufeinanderfolgenden Jahr habe MBDA 2016 einen Auftragseingang verbucht, der den Umsatz deutlich überschreite, so der Franzose vor Vertretern der deutschen Fachpresse. Der Auftragseingang stieg demnach auf 4,7 Milliarden Euro, der Umsatz lag bei 3,0 Milliarden Euro. Der gesamte Auftragsbestand stieg zum 31. Dezember des vergangenen Jahres auf 15,9 Milliarden Euro. Die Auftragseingänge in den Heimatmärkten – Frankreich, Großbritannien, Italien, Deutschland und Spanien – erreichten einen besonders hohen Wert von 3,2 Milliarden Euro. Das Vereinigte Königreich hat die Entwicklung des Lenkflugkörpers “Spear” unter Vertrag genommen, der dem neuen Kampfflugzeug F-35 “Lightning II” eine hohe Präzisions- und Abstandsfähigkeit verleihen soll. Außerdem wurden Verträge für die Luft-Luft-Lenkflugkörper-Familie ASRAAM/ CAMM unterzeichnet. Letztere werden in Großbritannien in die F-35 und in die Fregatte Typ 26 integriert werden. Die “Aster”Familie wird in Frankreich und Italien weiterentwickelt, um die Leistungsfähigkeit gegen neue, schnell manövrierende ballistische Flugkörper zu steigern. Das 2003 gestartete französisch-britische Programm für Flugkör-

Storm Shadow wird bis 2020 modernisiert werden. Darüber hinaus hat Frankreich die Nutzungsdauerverlängerung der ASMPA-Flugkörper (“Air-Sol Moyenne Portée”) bekanntgegeben. In den Heimatmärkten war das vergangene Jahr von den Fortschritten der französisch-britischen Zusammenarbeit geprägt: Es wurde ein Regierungsabkommen verabschiedet, das den unternehmensinternen Austausch zwischen den beiden Ländern vereinfachen und der MBDA die Optimierung ihrer industriellen Organisation ermöglichen soll. Dies ist in diesem Sektor ein Novum.

Export Die Exportaufträge im Wert von 1,5 Milliarden Euro enthalten die Ausrüstung und die Lenkflugkörper der im September von Indien erworbenen 36 “Rafale”-Kampfflugzeuge. Darin nicht enthalten sind die umfangreichen Verträge für die Küstenverteidigungssysteme MCDS (“Marte Coastal Defence System”) und die Bewaffnung der Schiffe der italienischen Fincantieri-Werft für das Golfemirat Katar. Die Verträge wurden 2016 unterzeichnet und in diesem Jahr verbucht. Im Export setzt MBDA die Aktivitäten in den wichtigsten Kundenländern fort und hat mit Polen, Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten Vereinbarungen unterzeichnet. Ziel ist es, die Zusammenarbeit mit diesen Ländern zu vertiefen.

MBDA S.A.S. MBDA ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Airbus (mit einem Anteil von 37,5 Prozent),

zent) und Leonardo (25 Prozent). Insgesamt bietet das europäische Unternehmen 45 Flugkörpersysteme und Produkte für Gegenmaßnahmen für alle Teilstreitkräfte – d. h. Luftwaffe, Heer und Marine – an, die bereits im operationellen Einsatz sind. 15 weitere Systeme sind in der Entwicklung. Um das Wachstumspotenzial zu stützen, sind 2017 weitere Neueinstellungen geplant. Diese beliefen sich bereits von 2013 bis 2015 auf jeweils 600 pro Jahr und stiegen im vergangenen Jahr auf 1.000 neue Mitarbeiter. Für 2017 sind weitere 1.100 Neueinstellungen vorgesehen.

MBDA Deutschland Als Reaktion auf das “Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr” folgt MBDA nach eigenen Angaben der Forderung nach mehr europäischer Zusammenarbeit und Stärkung der verteidigungstechnologischen und industriellen Basis Europas (EDTIB). Das MBDA Executive Committee hat vor diesem Hintergrund entschieden, die MBDA Deutschland GmbH stärker in die MBDA Gruppe einzubinden. Ziel ist es, die Zusammenarbeit der Teams zum gemeinsamen Vorteil zu stärken. Die Änderungen sind zum Jahresanfang in Kraft getreten. Im Rahmen der nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrichtlinien soll die Stärke der gesamten Gruppe genutzt werden, um die technischen Herausforderungen des TLVS Programms (Taktisches Luftverteidigungssystem) zu meistern und der Bundeswehr ein leistungsfähiges System zur Verfügung zu stellen.

Antoine Bouvier (Mitte) bei der MBDA-Jahrespressekonferenz, rechts Thomas Gottschild (Geschäftsführer) und links Dr. Roland Kuntze (Leiter Unternehmenskommunikation) Foto: BS/Portugall

Die Bedeutung des Cyber- und Informationsraums (CIR) für die Informationssicherheit der Bundesrepublik wurde in diesem Jahr bewusst als inhaltliche Grundlage für die Veranstaltung gewählt. Wurde doch jetzt das neue Kommando CIR in Bonn in Dienst gestellt. Von den Herausforderungen im Cyber-Raum ist aber nicht nur die Bundeswehr als Organisation betroffen. Jedes Unternehmen und auch jeder Einzelne kann die negativen Folgen von CyberAttacken unmittelbar zu spüren bekommen. Auch die Privathaushalte kommen heutzutage ohne IT nicht mehr aus. Von der elektrischen Zahnbürste über den Kühlschrank bis hin zu den Fernsehgeräten, Mobiltelefonen und Computern gibt es viele Einfallstore für potenzielle CyberAngriffe.

Die Bundeswehr im Cyberund Informationsraum Der damals designierte Inspekteur des neuen Organisationsbereichs CIR und heutige Generalleutnant Ludwig Leinhos stellte als Hauptredner des Abends in seinem Vortrag zunächst die Vorteile der zunehmenden Digitalisierung für den Einzelnen, aber auch für die Bundeswehr heraus. Bei seinen weiteren Ausführungen ging Leinhos dann auf die Kehrseite der Medaille ein, indem er diverse Gefahrenpotenziale benannte, die tagtäglich und vor allem weltweit eingesetzt werden. Als Beispiele nannte der General Daten- und Identitätsdiebstahl, Datenmanipulation und absichtliche Datenverschlüsselung auf Laufwerken, Hackerangriffe auf IT-Systeme von Firmen und der Verwaltung bis hin zur physischen Zerstörung von IT-Systemen. Auch und gerade deshalb sei die Gründung des neuen Organisationsbereiches überfällig gewesen, so Leinhos. Hinzu komme, dass viele Großwaffensysteme der Bundeswehr wie Flugzeuge, Schiffe oder Panzer aus einer Vielzahl von ITKomponenten bestünden, die es zu schützen gelte. Mit der neuen Organisationsstruktur könnten bereits vorhandene Fähigkeiten in der Bundeswehr effektiv zusammengeführt werden, um auch ressortübergreifend zusammenzuarbeiten.

Der Präsident des BiZBw, Christoph Reifferscheid, begrüßte die Gäste zum “Sicherheitspolitischen Dialog”. Foto: BS/BiZBw, Gudula Hertzler-Heiler

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion übernahm, wie im vergangenen Jahr, erneut Dr. Christian Mölling, mittlerweile stellvertretender Direktor am Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin, die Moderation. Gerold Hübner, Chief Security Officer bei SAP, betonte, dass es wichtig sei, die digitale Transformation angemessen auszugestalten. Dabei sei es entscheidend, wie man diese angehe und welche Mittel dafür eingesetzt würden, so der gelernte Jurist. Erwin Becher, Chief Information Security Officer bei der BASFGruppe, stellte fest, dass sich keine Firma allein gegen CyberAngriffe schützen könne. Die BASF-Gruppe arbeite deshalb schon mehrere Jahre lang mit zwölf anderen deutschen DAXUnternehmen zusammen, um sich besser schützen zu können. Der regelmäßige Austausch sei dabei sehr wichtig. Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek von der Universität der Bundeswehr München wies in ihren Ausführungen auf die riesigen Datenmengen hin, die tagtäglich durch die IT-Systeme strömten. Deshalb sei das Vertrauen in die digitalen Systeme von immenser Bedeutung, so die Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationssysteme und Netzsicherheit – und dies erfordere Investitionen in Technologie, Forschung, Entwicklung und Innovationsfähigkeit. Aus Sicht von Thomas Steckenborn, Firmengründer der CEMA AG, gibt es in Deutschland einen erheblichen Nachholbedarf im IT-Bereich. Als Beispiele nannte er Defizite bei der Ausbildung von IT-Spezialisten mit hoher Kompetenz. Stecken-

born wünschte sich, dass bereits in der Schule entsprechende Grundlagen gelegt und schon die Kinder für die Technik sowie deren Möglichkeiten und Gefahren sensibilisiert würden.

Großes Interesse beim Publikum Bei einer lebhaften und engagierten Frage-Runde konnten weitere Aspekte rund um das Thema “Cyber- und Informationsraum” vertieft und auf die speziellen Interessen der Besucher eingegangen werden. Herausforderungen bestehen demnach u. a. bei der Gewinnung von geeignetem IT-Personal, bei der schnellen und angemessenen Abwehr von Cyber-Angriffen bis hin zu rechtlichen Bedenken beim Vorgehen gegen einen Hacker-Angriff und der Frage nach wirksamen Schutzmechanismen für IT-Systeme schon bei deren Entwicklung. General Leinhos stellte dabei klar, dass jede eigene Handlung immer den rechtlichen Erfordernissen des Grundgesetzes entsprechen müsse, räumte aber ein, dass ein möglicher sog. “digitaler Verteidigungsfall” Grundlage für eine weiterführende Diskussion unter Experten und zusammen mit der Politik sein müsse. Im Bereich der Personalgewinnung sei die Bundeswehr seit einiger Zeit sehr aktiv und auch erfolgreich. Als Beispiele führte er die Kampagnen der Arbeitgebermarke Bundeswehr und die “Cyber Days” an der Universität der Bundeswehr München an. *Oberstleutnant Thilo Koch ist Leiter der Informationsarbeit am Bildungszentrum der Bundeswehr in Mannheim.


Wehrtechnik

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Behörden Spiegel / April 2017

Verteidigungspolitik in Zahlen (BS/por) Die Forderung der NATO nach einem Anteil der Verteidigungsausgaben aller Bündnispartner von zwei Prozent am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist in aller Munde. Unter dem Eindruck der gewaltsamen Krim-Annexion durch Russland hat sich die NATO auf ihrem Gipfeltreffen in Wales 2014 dazu verpflichtet, “sich innerhalb eines Jahrzehnts auf die Zwei-Prozent-Richtlinie zuzubewegen“.

Zielgröße zwei Prozent

in Prozent

4,0

2014 2015 2016

3,61

3,5

Auf der Grundlage von konstanten Preisen und Wechselkursen für 2010 sind hier die Prozent-Anteile der Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten am jeweiligen BIP für die Jahre 2014 bis 2016 ersichtlich. Danach haben bisher erst fünf der 28 Bündnispartner die

3,0 2,38

2,5

Zielgröße von zwei Prozent erreicht. 2,21

2,16

2,0

NATO-Ziellinie 2 %

2,00 1,78 1,56

1,5

1,54

1,49

1,48

1,45

1,38

1,35

1,23

1,21

1,19

1,17

1,17

1,16

1,11

1,04 1,01

1,0

0,99

0,94

0,91

0,85 0,44

Tü rke i No rw eg en Lit au en Ru mä nie n Le ttl an d Po rtu ga l Bu lga rie n Kro ati en Alb an ien De uts ch lan d Dä ne ma rk Nie de rla nd e Slo wa ke i Ita lie n Tsc he ch ien Un ga rn Ka na da Slo we nie n Sp an ien Be lgi en Lu xe mb urg

Gr

Ve rei nig te

Sta ate n Ve i e ch rei en nig lan tes d Kö nig rei ch Est lan d Po len Fra nk rei ch

0,5

Die “Großen Drei“

BIP-Anteil in Prozent 4,0 3,5 3,0

USA 3,61 %

Vergleicht man die Prozent-Anteile der Verteidigungsausgaben der USA, Russlands und Chinas am jeweiligen BIP im Jahr 2016, so fällt auf: Während die ersten beiden fast gleichauf sind, liegt der chinesische Wert deutlich niedriger. Insbesondere letzterer ist aber in Bezug auf Verlässlichkeit “mit Vorsicht zu genießen“. China Chi

Russland 3,55 %

2,5 2,0 1,5

1,28 %

1,0

Friedensdividende

Bundeshaushalte im Vergleich

1988 war das letzte ganze Jahr des Kalten Krieges vor den Freiheitsrevolutionen in Ost- und Mitteleuropa; 2016 ist das letzte bisher abgeschlossene Jahr. Die Grafik zeigt die Werte des militärischen Personalbestands und ausgesuchten schweren Materials der Bundeswehr proportional für die Jahre 1988 und 2016.

Während der Einzelplan 14 (Verteidigung) 1988 noch einen Anteil von 19 Prozent im Haushalt der “alten“ Bundesrepublik ausmachte, waren es im vergangenen Jahr nur elf Prozent, d. h. dieser Anteil wurde fast halbiert. Dafür wurde der ohnehin größte Einzelposten (Arbeit und Soziales) im gleichen Zeitraum von 22 auf 41 Prozent praktisch verdoppelt.

Jahr 1988

Soldaten

488.700

178.573

Kampfpanzer

4.937

328

Bundeshaushalt 2016

275,4 Mrd. DM

316,9 Mrd €

47 % Sonstiges 2 % Inneres 7 % Gesundheit und Familie 22 % Arbeit und Soziales

459

41 % Arbeit und Soziales

Bundeshaushalt 1988

3 % Entwicklungshilfe

Kampfflugzeuge

11 % Verteidigung

19 % Verteidigung

Jahr 2016

225

Illustration: BS/Liesegang; Piktogramme: © egorvector, Fotolia; Quellen: NATO, The World Defence Almanac, The Military Balance, Der neue Fischer Weltalmanach Alle Grafiken und bildlichen Darstellungen unterliegen dem Copyright. Nachdruck oder andere Vervielfältigungen nur mit Genehmigung des Behörden Spiegel.

8 % Gesundheit (und Familie) 3 % Inneres 2 % Entwicklungshilfe 35 % Sonstiges


Verteidigung

Behörden Spiegel / April 2017

D

iese bedarf also der militärischen Vorsorge, aber militärische Landesverteidigung alleine ist sinn- und wirkungslos. Nur eine Kombination von militärischen und zivilen Verteidigungsanstrengungen ermöglicht eine Landes- oder auch eine Bündnisverteidigung. In dem unter Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), einem der Väter der Notstandsverfassung, in seiner Zeit als Verteidigungsminister erschienenen Weißbuch 1971/72 lässt sich dazu nachlesen: “Moderne Kriege gefährden alle Bürger und den Staat als Ganzes. Darum ist Zivilverteidigung ebenso notwendig wie militärische Verteidigung. (…) Die Bundesregierung hält zivile Verteidigung für einen untrennbaren und unverzichtbaren Teil der Gesamtverteidigung.” Dies ist bis Anfang der 1990er-Jahre nur eine beispielhafte Äußerung von vielen.

Unterschiedliche Komponenten müssen zusammenwirken Das Zusammenspiel der Verteidigungsanstrengungen, zu Zeiten des Kalten Krieges als Gesamtverteidigung bekannt, umfasst neben der militärischen Verteidigung die Zivilverteidigung, die ihrerseits vier große Bereiche beinhaltet: Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen, Aufrechterhaltung der Versorgung, Unterstützung der Streitkräfte und Zivilschutz. Der Polizei fällt dabei eine wichtige Rolle zu. Und: Ohne Zusammenarbeit der verschiedenen Komponenten ist ein Chaos vorprogrammiert. In Folge der vom Bundeskabinett im Januar 1989 verabschiedeten “Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung” fing man sogar an, den Schutz von wichtigen Objekten für den Verteidigungsfall zwischen Polizei und Streitkräften konkret im Detail festzulegen. All diese Aktivitäten wurden dann als

Nicht nur auf Landesverteidigung setzen Gemeinsame Übungen von Polizei und Bundeswehr begegnen dennoch Vorbehalten (Dr. Alexander Poretschkin) Das Grundgesetz verpflichtet geradezu, die Zusammenarbeit von Streitkräften und Polizei zu üben und dennoch bestehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen den derzeitigen Umgang mit dem Thema. Unser Grundgesetz hat sich für die wehrhafte Demokratie nicht nur nach innen, sondern auch nach außen entschieden. So entnimmt ihm das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung einen Verfassungsauftrag zur wirksamen Landesverteidigung. sogenannte Friedensdividende eingestellt und waren bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 weitgehend vergessen. Die theoretischen Zusammenhänge bestehen jedoch naturgemäß weiter.

Übungen als gesamtstaatliche Verpflichtung Üben ist eine wichtige Voraussetzung für ein Funktionieren der Praxis und zugleich eine Möglichkeit, theoretische Systemfehler konstruktiv zu offenbaren, sodass sie rechtzeitig umgestellt werden können. Ein Üben der Zusammenarbeit von Streitkräften und anderen gesellschaftlichen und staatlichen Stellen, wie eben der Polizei, ist somit unerlässlich für den verfassungsgemäßen Auftrag der Bundeswehr. Das Trainieren der Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Polizei stellt daher im Grundsatz keine verfassungsrechtliche Besonderheit, sondern eine gesamtstaatliche Verpflichtung dar. Allerdings ist dies nur der Fall – und hier liegt das aktuelle Problem –, solange und soweit es mit dem Ziel der Stärkung der Landesverteidigung geschieht.

Im Inneren nur in Ausnahmefällen zulässig Aus historischen, wohlbedachten Gründen ist der Einsatz von Soldaten im Inneren in Deutschland nur in engen Grenzen zulässig. Das Grundgesetz ist da strikt und bestimmt in seinem Artikel 87a Absatz 2, dass außer zur Landesverteidigung al-

91 geforderte Voraussetzung “zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes” Foto: BS/privat wirklich schon erfüllt ist. Die Artikel 87a IV und 91 sind jedenfalls eine saubere, im Weißbuch von 2016 korrekt genannte Rechtsgrundlage für den Einsatz der Bundeswehr, die jetzt für die Übungen herangezogen wird. Und dennoch sind die derzeitigen Übungen, so wie sie in der Öffentlichkeit dargestellt und offenbar zumindest in Teilen von den Übenden wahrgenommen werden, verfassungsrechtlich bedenklich.

Direktor a. D. Dr. Alexander Poretschkin wurde über das Verhältnis von Grundgesetz und Gesamtverteidigung promoviert. Er hat einen Lehrauftrag für Wehrrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer.

le Einsätze deutscher Soldaten verboten sind, wenn sie nicht durch das Grundgesetz selber ausdrücklich erlaubt sind. Eine solche Erlaubnis findet sich im vierten Absatz dieses Artikels 87a, der bestimmt: “Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Absatz 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.” Das ist eine klare Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz von Streitkräften im Inneren, auch wenn man im Einzelfall sehr wohl darüber streiten mag, ob und ab wann die von den Artikeln 87a und

Aufstellen nur zu Verteidigungszwecken Das Grundgesetz setzt nämlich weitere Schranken, um einem leichtfertigen Einsatz von Streitkräften entgegenzuwirken. Der bereits zitierte Artikel 87a bestimmt in seinem ersten Satz, dass ein Aufstellen von Streitkräften ausschließlich für Verteidigungszwecke geschehen darf. Streitkräfte dürfen zwar auch ausnahmsweise für andere Zwecke eingesetzt werden. Das Vorhalten von Dienstposten, die anderen als Verteidigungszwecken dienen, ist danach jedoch nicht zulässig. Auch ein bewusstes Üben der Truppe von Dingen,

Wissenschaftliche Unterstützung Nicht-Technisch Neuordnung des Studienmanagements der Bundeswehr (BS/Kapitänleutnant Christian Splieth*) Mit Herausgabe der neuen Zentralen Dienstvorschrift A-450/1 “Wissenschaftliche Unterstützung NichtTechnisch” wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2017 das nicht-technische Studienwesen in der Bundeswehr neu geordnet. Darunter wird nun die gemeinsame Steuerung und zielgerichtete Anwendung der wissenschaftlichen Methoden Concept Development and Experimentation (CD&E), Modellbildung und Simulation (M&S), Operations Research (OR), Architekturen sowie der nicht-technischen Studien zur Deckung bestehenden Erkenntnisinteresses verstanden. Nichtministerielle Bedarfe wurden bisher durch zwei unterschiedliche Gremien geprüft und priorisiert: Nicht-technische Studien durch den Studienausschuss und Vorhaben der wissenschaftlichen Methoden CD&E durch die gleichnamige, Bundeswehr-gemeinsame Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Planungsamtes. Neu ist, dass zukünftig alle nicht-ministeriellen Bedarfe der nicht-technischen wissenschaftlichen Unterstützung nach ihrem Bundeswehr-gemeinsamen Erkenntnisgewinn einheitlich priorisiert und abschließend im Planungsamt der Bundeswehr durch eine Steuergruppe bewertet werden. Diese “Steuergruppe WissUstg NT” besteht aus dem Amtschef des Planungsamtes, seinen Abteilungsleitern, den Vorsitzenden der methodenspezifischen Facharbeitsgruppen und dem Leiter der Vergabestelle. Ein Sekretariat unterstützt dieses Gremium dabei administrativ und erstellt die Entscheidungsgrundlagen zur Priorisierung.

Bundeswehr-gemeinsamer Erkenntnisgewinn Die Steuergruppe verantwortet die Anerkennung und Ablehnung aller durch den nichtministeriellen Bereich eingereichten Bedarfe, die in Form von nicht-technischen Studien, CD&E- und Architekturprojek-

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ten, Modellbildung, Simulation und Operations-Research-Projekten auf Haushaltsmittel des Kapitels/Titels “Zukunfts- und Weiterentwicklung der Bundeswehr” zugreifen. Das Sekretariat ermittelt dazu durch Beteiligung der für die Methoden verantwortlichen Facharbeitsgruppen, der fachlich zuständigen Referate im Planungsamt und gegebenenfalls anderer Dienststellen den Bundeswehrgemeinsamen Erkenntnisgewinn. Bei dieser Bewertung sind insbesondere die Verknüpfungen zu den Themen der Zukunftsentwicklung zu berücksichtigen, zu denen unter anderem das Weißbuch, die Konzeption der Bundeswehr und die Leitlinie Zukunftsentwicklung einen strategischen Rahmen und konkrete Vorgaben geben. All dies steht unter dem Dach der “Modernisierung der Truppe”, denn die Bundeswehr muss dauerhaft in der Lage sein, flexibel auf neue oder veränderte Anforderungen zu reagieren. Nur so kann sie sich nachhaltig den Herausforderungen der kontinuierlichen Modernisierung stellen und gleichzeitig ihre Qualität steigern. Dazu stützt sich die Bundeswehr bereits seit Jahren auf die Expertise von externen Forschungs- und Studieneinrichtungen ab, um gesichert fortschreitende technologische

Entwicklungen berücksichtigen zu können. In diesem Zusammenhang kommt der methodischen Unterstützung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren Verfügbarkeit eine besondere Bedeutung zu. Die nicht-technische wissenschaftliche Unterstützung ist Bundeswehr-gemeinsam ausgerichtet. Sie liefert entsprechende Erkenntnisse und kann darüber hinaus entscheidend bei der Entscheidungsfindung unterstützen.

Architekturen als Ausgangsbasis für funktionale Forderungen Im Jahr 2017 bezieht sich ein großer Teil der Unterstützung durch externe Studieneinrichtungen auf die Modellierung von Architektursichten. Die Methode Architektur unterstützt die modellhafte Beschreibung komplexer funktionaler Zusammenhänge und dient der Analyse, Dokumentation, Kommunikation und Entscheidungsunterstützung durch visuelle Darstellung eines Systems und somit der umfassenden Untersuchung einer vorhandenen Fähigkeitslücke in den durch den Integrierten Planungsprozess vorgegebenen Planungskategorien Betrieb, Organisation, Personal, Infrastruktur sowie Rüstung. Auf ihrer Basis erfolgt die sachgerechte Ableitung von Anforderungen an Systeme und

IT-Services in der materiellen Realisierung von Rüstungsprojekten mit dem Ziel einer resilienten Planung aufgrund besserer Entscheidungsqualität und minimierten Risiken. Dieses Vorgehen bedingt die konsequente Anwendung methodischer Standards im Zuge der Architekturerstellung sowohl durch Bundeswehr-interne als auch -externe Architekten und Modellierer. Ein aktuelles Beispiel ist das Vorhaben “Elektronische Personalakte”. Ausgehend von der Bedarfsanmeldung prüften die Studienplanungsoffiziere – in enger Abstimmung mit den Wissensträgern über Architekturmodellierung im Planungsamt – die Leistungsbeschreibung auf Vergabefähigkeit und Verständlichkeit für potenzielle externe Auftragnehmer. Der Bedarf wurde anerkannt und das Referat Studienmanagement initiierte die Ausschreibung. Dies ist nur eines von zahlreichen Projekten, in denen Architekturen unterstützen, indem sie Grenzen, Lücken und Schnittstellen eines Systems transparent aufzeigen und somit qualitativ eine Lösung darstellen. *Kapitänleutnant Christian Splieth gehört dem Referat I 5 (Studienmanagement der Bundeswehr) des Planungsamtes der Bundeswehr in Berlin an.

die nicht dem Verteidigungsauftrag dienen, ist mit einem Aufstellen “zur Verteidigung” schwerlich zu vereinbaren.

Soldaten sind keine Beamten Bei einem gezielten Vorhalten von Soldaten für Polizeieinsätze ergeben sich weitere verfassungsrechtliche Hindernisse, insbesondere aus den Artikeln 65a und 33 Absatz 5 des Grundgesetzes. Die Verteidigungsministerin ist Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt nach Artikel 65a. Diese kann sie nicht einfach aufgeben. Das polizeiliche Handeln der Soldaten muss sich am Polizeirecht und nicht am Kriegsrecht ausrichten. Es muss daher inhaltlich unter der Regie der zuständigen Polizei ablaufen. Jedoch bedarf es unter Artikel 65a zusätzlich der Zustimmung der Verteidigungsministerin. Auch wenn sie polizeiliche Tätigkeiten nicht selbständig anordnen kann, bleibt sie verfassungsrechtlich verantwortlich für alles Tun ihrer Soldaten und muss somit das Handeln von Soldaten jedenfalls jederzeit untersagen können. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass Polizeiarbeit eine typische Arbeit von Beamten und dies sogar im Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes

verankert ist. Soldaten sind aber keine Beamten. Ihr Dienstrecht weicht entscheidend vom Beamtenrecht ab. Deutsche Beamte sind im Interesse des Rechtsstaates höchstpersönlich verpflichtet, Weisungen auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu prüfen und gegebenenfalls vor der Ausführung zu remonstrieren. Demgegenüber bedingt eine funktionierende militärische Verteidigung, dass Soldaten großflächig einheitlich agieren, was sich nur durch Verlagerung der Verantwortung auf Vorgesetzte über das System von Befehl und Gehorsam erreichen lässt. Soldatengesetz und nationales wie internationales Wehrstrafrecht tragen dem für Soldaten Rechnung. Sie verpflichten den Soldaten, zu gehorchen und ziehen grundsätzlich alleine den Vorgesetzten für seine Befehle zur Verantwortung. Auch dieser fundamentale Unterschied im Dienstrecht, der in Friedenszeiten wenig Beachtung findet, müsste bedacht und geregelt werden

Grundgesetz Art. 33 Abs. 5: Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln. Art. 65a: Der Bundesminister für Verteidigung hat die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte. Art. 87a Abs. 1 Satz 1: Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.

Besoldungsneuregelung Zuschlag bei einsatzgleichen Verpflichtungen (BS/jf) Soldaten der Bundeswehr, die bei mandatierten Auslandsmissionen im Einsatz sind, erhalten einen Besoldungszuschlag. Andere Soldaten im Ausland, deren Aufenthalt nicht durch einen Parlamentsauftrag legitimiert ist, nicht. Das ändert sich. “Künftig werden alle Soldaten der Bundeswehr, die sich im Ausland in Verwendungen befinden, die mit einem Einsatz vergleichbar sind, einen Auslandsverwendungszuschlag (AVZ) erhalten”, erklärte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Henning Otte. Damit werde der sich ändernden sicherheitspolitischen Realität Rechnung getragen. Der AVZ wird aufgrund materieller Mehraufwendungen und immaterieller Belastungen unabhängig von Funktion oder Dienstgrad einheitlich und steuerfrei gewährt. Grund für die Ausweitung ist, dass die Bundeswehr immer öfter im Ausland aktiv ist, ohne dass diese Einsätze durch ein Mandat des Bundestages vorgegeben sind. Dazu zählen etwa die Präsenz des verstärkten Bataillons in Litauen zur Absicherung der NATO-Ostgrenze oder die Teilnahme an der Luftraumüberwachung in Estland. Bei beiden Missionen handelt es sich um einsatzgleiche Auslandsverpflichtungen.

Deren Zahl werde in Zukunft steigen, weil Deutschland zunehmend mehr Verantwortung in der Welt übernehme, so der CDU-Abgeordnete. Statt früherer Ausgleichsmaßnahmen wie Auslandsdienstbezügen, Vergütung zeitlicher Mehrbelastung und Reisekostenerstattung wird zukünftig der Auslandsverwendungszuschlag gezahlt. Dies sorge nach Otte für mehr Vergleichbarkeit und mehr Gerechtigkeit bei der Besoldung. Darüber hinaus gibt es weitere Veränderungen bei den Berufsfeuerwehren der Bundeswehr. Einerseits wird die Möglichkeit der freiwilligen Erhöhung der Arbeitszeit bis Ende 2019 verlängert. Andererseits werden rund 600 neue Dienstposten eingerichtet. Ersteres werde als Übergangslösung gesehen, bis das neue Personal für den mittleren und gehobenen feuerwehrtechnischen Dienst zur Verfügung stehe, so der verteidigungspolitische Sprecher der Union im Bundestag.

Ob bei mandatierten Auslandseinsätzen, wie in Afghanistan, oder bei einsatzgleichen Auslandsverpflichtungen: Es wird künftig ein einheitlicher Zuschlag gezahlt. Foto: BS/Bundeswehr, cc-by-nd-2.0, flickr.com


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Unter dem Radar der Kommilitonen

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abei hat der 25-Jährige eigentlich schon genug mit dem Modernen Fünfkampf zu tun. Schließlich sind hier nacheinander 200 Meter Freistilschwimmen, Degenfechten, Springreiten und ein drei Kilometer langer sogenannter Combined-Lauf, bei dem auch mit Laserpistolen auf Ziele geschossen werden muss, zu bewältigen. Dogue sagt zu dieser Abfolge: “Das erfordert eine große Vielfältigkeit des Athleten und einen hohen Trainingsaufwand.” Über sich berichtet der in Ludwigshafen am Rhein Geborene selbstkritisch: “Beim Schwimmen geht es für mich eigentlich immer nur darum, nicht zu viele Punkte zu verlieren.” Seine Stärke sieht der heute in Potsdam Lebende und Trainierende im Combined. Gleichzeitig gibt der Soldat zu: “Das Fechten ist oftmals meine Wackeldisziplin. Wenn ich da nicht gut kämpfe, bin ich vorne nicht mit dabei.”

Behörden Spiegel / April 2017

Sportsoldaten oftmals an mehreren Fronten gleichzeitig gefordert (BS/Marco Feldmann) Zwei Mal täglich drei bis vier Stunden Training. Zwischendurch Kurse an der Universität und an den Wochenenden Wettkämpfe im In- und Ausland. Patrick Dogue hat einen vollgepackten Terminkalender. Der Moderne Fünfkämpfer ist Sportsoldat bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr Berlin. Nicht nur in seiner aus mehreren Disziplinen bestehenden Sportart muss der Stabsgefreite unterschiedliche Herausforderungen bewältigen.

Bundeswehr ist, im vergangenen Jahr seine Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Das vielleicht auch, weil er erst als Nachrücker und aufgrund seiner hervorragenden Platzierung beim Wettkampf in Sarasota und dem damit einhergehenden Aufstieg in der internationalen Qualifikationsrangliste nach Brasilien fahren durfte. Dort wurde Dogue, dessen drei Jahre jüngerer Bruder Marvin auch Moderner Fünfkämpfer und Sportsoldat ist und ebenfalls am Potsdamer Olympiastützpunkt trainiert, Sechster. Eine Medaille verpasste der Stabsgefreite dabei nur um Gute Platzierung im Weltcup neun Sekunden. Dogue zeigt Seinem sportlichen Erfolg tut sich deshalb aber keineswegs das jedoch keinen Abbruch. enttäuscht. Vielmehr unterstre2013 und 2015 wurde Dogue jew- icht er: “Mit meinem Auftritt bei eils Deutscher Meister in seiner meiner ersten Olympia-TeilSportart. Im vergangenen Jahr nahme war ich sehr zufrieden. wurde der 1,97-Meter-Hüne Das gilt vor allem für die ErgebZweiter beim Weltcup-Finale im nisse beim Fechten und Reiten.” US-amerikanischen Sarasota. Weniger erfolgreich sei in Rio de Das war eines der besten Resul- Janeiro sein Abschneiden beim tate der deutschen Fünfkämpfer Schwimmen gewesen. In dieser Teildisziplin seit rund zehn kam Dogue Jahren. Sogar “Es war eine richtig nur auf Platz Erster wurde schöne Veranstaltung.” 31. Und dender Stabsgefnoch meint reite 2016 der Soldat, der beim Einladungswettkampf “Champions in seiner wenigen Freizeit gerne of Champions” in Doha. Nicht Volleyball spielt und etwas mit ganz so gut lief es hingegen bei Freunden unternimmt, in Bezug der Weltmeisterschaft im letzten auf die Olympischen Spiele: “Es Jahr. Dort kam Dogue, der Mit- war eine richtig schöne Veranglied des A-Kaders und Teil des staltung. Bei der Eröffnungsfeivierköpfigen Top-Teams 2016 er waren alle deutschen Athleten glücklich.” Es habe während ist, nur auf den 32. Rang. der gesamten Veranstaltung nur Schwärmen von Kleinigkeiten zu beanstanden Olympia-Teilnahme gegeben, so Dogue, der in BrasilEin ganz besonderes Erlebnis ien auch noch an der Abschlusswar für den Sportsoldaten, der feier teilnahm. Sein nächstes seit September 2013 bei der großes Ziel ist nun die Qualifika-

Eigentlich bezeichnet Patrick Dogue (l.). das Fechten als seine Wackeldisziplin. Mit dem Resultat des Degenkampfs bei den Olympischen Spielen war der Sportsoldat allerdings äußerst zufrieden.

Patrick Dogue ist seit September 2013 Sportsoldat der Bundeswehr. Seither trainiert der 25-jährige Stabsgefreite alle Disziplinen des Modernen Fünfkampfs am Olympiastützpunkt in Potsdam. Auch sein jüngerer Bruder Marvin ist Sportsoldat und in der gleichen Sportart aktiv.

tion für die Olympischen Spiele 2020 im japanischen Tokio.

Jahr für Jahr Leistung bringen Auch im Hinblick auf seine Karriere als Sportsoldat hat Dogue, der seine Athletenlaufbahn im Alter von zwölf Jahren beim TSC Erding in Bayern begann, ehrgeizige Ziele: “Ich möchte Sportfeldwebel werden. Dafür muss ich verschiedene Lehrgänge, sowohl mit militärischem als auch mit zivilem Inhalt, absolvieren.” Diese muss er außerhalb der Saison, die von Februar bis September dauert, belegen. Und auch ansonsten verlangt die Bundeswehr viel. So wird sein Dienstverhältnis auf Zeit nur dann jeweils um ein Jahr verlängert, wenn Dogue die sportlichen Qualifikationsrichtlinien erfüllt. In den ersten elf Monaten ihrer Verwendung werden die Sportsoldaten zudem als Freiwillig Wehrdienstleistende beschäftigt. Außerdem besteht für Dogue und seine Kameraden die dauerhafte Verpflichtung zur Aufrechterhaltung bestim-

mter individueller Grundfertigkeiten eines jeden Soldaten. Dazu zählen unter anderem die Sanitätsausbildung, das Schießtraining sowie das regelmäßige Belegen einer Ausbildung im Umgang mit atomaren, biologischen oder chemischen Stoffen. Die Sportsoldaten müssen nur eine verkürzte BundeswehrGrundausbildung von sechs Wochen durchlaufen und erhalten während ihrer Karriere einen regulären Sold. Unabhängig von ihrer Bezahlung durch die Bundeswehr können die Angehörigen der Streitkräfte Unterstützung durch die Deutsche Sporthilfe erhalten. Bei Dogue ist dies allerdings nicht der Fall: er erhält keine finanziellen Mittel von der Deutschen Sporthilfe.

Viele Möglichkeiten nach Karriereende Eingestellt werden können Sportsoldaten in der Regel frühestens mit 18 Jahren, in Ausnahmefällen auch schon ein Jahr früher. Und insbesondere nach der Karriere “stehen uns

Die Sportförderung der Bundeswehr (BS/mfe) Die Bundeswehr unterstützt im Rahmen ihrer Sportförderung vorrangig Athleten, deren Disziplinen Bestandteil des olympischen Programms sind. Außerdem werden in den Sportfördergruppen der Bundeswehr – aus Eigeninteresse der Streitkräfte heraus – Sportler sogenannter Militärsportarten gefördert. Dazu gehören insbesondere der militärische und der maritime Fünfkampf sowie das Fallschirmsportspringen. Zuständig für die Spitzensportförderung in der Bundeswehr ist das Referat Sport/ Spitzensport im Kommando Streitkräftebasis. Um in eine der 15 Sportfördergruppen der Bundeswehr aufgenommen zu werden, müssen Athleten olympischer Sportarten entweder Mitglied des Top-Team-Kaders des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) oder der Spitzenverbände für Olympische Spiele sein. Alternativ können sie auch Angehörige deutscher Nationalmannschaften sein. Hierfür ist eine Mitgliedschaft in einem Bundeskader erforderlich. Den individuellen Aufnahmeantrag für einen Spitzensportler in eine Sportfördergruppe stellt dabei der zuständige

Spitzenverband über den DOSB. Dieser begutachtet das Ersuchen und schlägt den Athleten dann anlassbezogen dem Referat im Kommando Streitkräftebasis vor. Dort wird im Rahmen regelmäßig stattfindender Personalplanungsgespräche mit dem Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr endgültig über die Aufnahme in die Sportfördergruppe entschieden. Gleiches gilt für den Verbleib dort, der nur gesichert ist, sofern die sportlichen Qualifikationsrichtlinien immer wieder erfüllt werden. Wie viele Athleten insgesamt gefördert werden, ist im Wesentlichen von der maximalen Anzahl an Förderplätzen abhängig. Im Dezember 2016 förderte die Bundeswehr im Rahmen ihrer Spitzensportförderung 744 Athleten und Trainer. Davon waren 232 weiblich. Darüber hinaus unterstützten die Streitkräfte bis zu 40 Soldaten in den Militärsportarten. Des Weiteren standen 43 Dienstposten für das erforderliche Führungspersonal in den Sportfördergruppen, die

grundsätzlich im Einzugsbereich von Olympiastützpunkten und Leistungszentren liegen, zur Verfügung. Außerdem werden den Sportsoldaten für die Vorbereitung auf sowie die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen, dazu gehören Olympische Spiele sowie Welt- und Europameisterschaften, pro Jahr 2.500 Wehrübungstage zur Verfügung gestellt. In Jahren, in denen Olympische Sommerspiele stattfinden, sind es sogar 3.500. Die jährlichen Ausgaben der Bundeswehr für die Spitzensportförderung belaufen sich auf rund 35 Millionen Euro. Sportsoldaten, die zunächst für elf Monate als Freiwillig Wehrdienstleistende eingestellt und nach einer verkürzten Grundausbildung in die jeweilige Sportfördergruppe versetzt werden, unterliegen grundsätzlich einer geteilten Führung. (Sport-)fachlich unterstehen sie dem Referat Sport/Spitzensport im Kommando Streitkräftebasis.Truppendienstlich werden sie durch die ihnen zugeordnete militärische Dienststelle geführt.

ler ist, erhält der Sportler drei zusätzliche Punkte. Jeweils drei Punkte Abzug gibt es für jede Sekunde, die der Athlet langsamer ist. Beim Fechten mit dem Degen wiederum gilt der Modus “jeder gegen jeden”. Landet einer der beiden Athleten innerhalb von einer Minute einen Treffer, ist der Kampf beendet. Ansonsten wird die Auseinandersetzung für beide als verloren gewertet. Kann ein Sportler 70 Prozent der möglichen Siege eines Wettkampfs für sich verbuchen, werden ihm 250 Punkte gutgeschrieben.

grundsätzlich alle Türen in der Bundeswehr offen”, berichtet der Stabsgefreite. Dogue erläutert: “Nach unserem Karriereende können wir sowohl Zeit- als auch Berufssoldat werden. Zudem können wir als Trainer arbeiten, sofern der jeweilige Fachverband das wünscht.” Des Weiteren Auch vom Losglück abhängig sei ein Wechsel ins FunktionsSeit 2015 findet darüber hiteam der Sportfördergruppen naus eine Bonusrunde statt. Sie möglich. Die Unterstützung wird gemäß dem sogenannten der Bundeswehr beschränke Leiter-System absolviert. Dabei sich allerdings trifft der Letze keineswegs der Platzie“Die Universität ist für nur auf die Zeit rungsrunde nach der Karmich auch ein Ausgleich z u n ä c h s t riere. Vielmehr auf den Vorzum Sport.” betont Dogue, letzten. Geder sich durwinnt er chaus schon Gedanken über diesen Kampf, erhält er einen seine Zukunft nach dem Aktiven- Zusatzpunkt und darf auf der status macht: “Sportsoldaten Planche bleiben. Für jeden können sich bereits während weiteren Sieg erhält er dann jeihrer Zeit im Sport beruflich wei- weils einen zusätzlichen Punkt. terbilden. Das geht zum Beispiel Unterliegt er, scheidet er aus und über den Berufsförderungs- der jeweils siegreiche Athlet darf dienst der Bundeswehr im Rah- weiterkämpfen. Der Erstplatmen eines (Teilzeit-)Studiums zierte der vorausgegangenen an einer regulären Universität. Platzierungsrunde absolviert bei dieser Bonusausscheidung Studium als Ausgleich hingegen nur einen Kampf. GeGenau diesen Weg hat der Mod- staltet er diesen siegreich, erhält erne Fünfkämpfer eingeschla- er zwei Zusatzpunkte. Beim Springreiten müssen gen. Seit dem Wintersemester 2014/2015 studiert er Sportler und Pferd einen 350 Physikalische Ingenieurswis- bis 400 Meter langen Parcours senschaften an der Technis- mit zwölf bis 15 Hindernissen chen Universität Berlin. Dazu absolvieren. Die Pferde werden sagt Dogue, der zum Start seiner dabei durch den Veranstalter

Seit einigen Jahren besteht der Moderne Fünfkampf eigentlich nur noch aus vier Einzelwettwerben. Schon seit 2009 wird das früher eigenständige Schießen (Foto) nur noch in Kombination mit einem drei Kilometer langen Querfeldeinlauf durchgeführt. Fotos: BS/Feldmann

Zeit an der Hochschule bereits ein Jahr lang Sportsoldat war: “Ich habe an der Universität hohe Ansprüche an mich selbst, auch wenn ich sie zuletzt etwas heruntergefahren habe.” Ungeachtet der Tatsache, dass er aktuell kaum Kurse an der Hochschule belege und deshalb dort nur selten anwesend sei, gelte weiterhin: “Ich gehe immer noch gerne zur Universität. Das ist auch ein Ausgleich zum Sport für mich.” Und noch etwas räumt der Sportsoldat ein: “Die meisten meiner Kommilitonen wissen gar nicht, dass ich Leistungssportler bin.”

Kaum Pausen während der Saison Dabei identifiziert sich Dogue absolut mit seinem Sport: “Ich trainiere eigentlich immer und setze selten aus. Nur nach Olympia in Rio de Janeiro habe ich mir zwei Wochen Pause gegönnt.” Längere Pausen sind anscheinend auch nicht drin. Schließlich muss etwa beim Schwimmen über 200 Meter im Freistil eine Zeit von höchstens 150 Sekunden erreicht werden. Nur dann kommt der Athlet in den Genuss von 250 Punkten. Für jede Sekunde, die er schnel-

des Wettbewerbs gestellt und dem einzelnen Athleten zugelost. Für einen fehlerfreien Ritt erhalten Dogue und seine Konkurrenten 300 Punkte. Für jedes abgeworfene Hindernis werden sieben, pro Verweigerung oder Sturz zehn Punkte abgezogen. Wird der Parcours von einem Teilnehmer entweder gar nicht beendet oder es kommt zu vier Verweigerungen beziehungsweise zwei Stürzen, erhält der Athlet null Punkte. Außerdem wird er dann in dieser Einzeldisziplin disqualifiziert. Die übrigen beiden Disziplinen des Modernen Fünfkampfs – Laufen und Schießen – finden seit 2009 in Kombination statt. Bei diesen Combined-Wettbewerben absolvieren die Athleten einen drei Kilometer langen Querfeldeinlauf, der von vier Schießeinheiten mit Laserpistolen unterbrochen wird. Jede der vier Einheiten ist beendet, wenn entweder alle fünf Scheiben getroffen wurden oder 50 Sekunden verstrichen sind. Für eine Zeit von 13:20 Minuten erhält der Sportler in dieser Disziplin 500 Punkte, für jede Sekunde mehr oder weniger einen Punkt Zuschlag oder Abzug.


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