Behörden Spiegel Januar 2022

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. I / 38. Jg / 3. Woche

Berlin und Bonn / Januar 2022

Fordern, aber nicht überfordern Dr. Ruth Brand zu Nachhaltigkeit bei Beschaffungen....................................... Seite 7

Zukunftskonzept fehlt (BS/bt) Zur Pandemiebekämpfung fehle nach wie vor ein Zukunftskonzept von Bund und Ländern, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), Dr. Gerd Landsberg. Er kritisierte einen fehlenden Zukunftsplan zur Bewältigung der vielen Herausforderungen während der Pandemie. Aufgrund der stetig steigenden Infektionszahlen sei der Zugang zur Gastronomie ausschließlich für Geimpfte, Genesene und Geboosterte aktuell richtig. Weitere Beiträge für das Zukunftskonzept zur Eindämmung der Pandemie seien die Verkürzung der Quarantänefristen, die Fortsetzung der Impfkampagne und die Ermöglichung von Homeoffice durch die Arbeitgeber. Landsberg kritisiert, dass Bund und Länder nicht die Chance genutzt hätten, den Bürgern klare Zukunftsperspektiven aufzuzeigen.

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Es gilt das Recht des Staates

“Wir stehen auch an den Abfluggates”

Herbert Reul über den Kampf gegen Clan-Kriminalität........................................ Seite 32

Jan Rademacher zu den Barmittelkontrollen des Zolls .................... Seite 40

Anerkennung oder Sonntagsrede?

Forschungsprojekt im BKA gestartet (BS/mfe) Das Bundeskriminalamt (BKA) und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treten für eine offene, freie und demokratische Gesellschaft ein. Welche Werte den Beschäftigten bei der Erledigung ihrer vielfältigen Aufgaben wichtig sind, lässt das BKA ab sofort in einer groß angelegenen Studie eruieren. Das Forschungsprojekt “Werte im BKA” beleuchtet das Werteverständnis der BKA-Beschäftigten und wird sich auch mit den Wertevorstellungen von Nachwuchskräften befassen. Das Projekt beinhaltet eine amtsweite Befragung aller Beschäftigten des BKA. Der Abschlussbericht zu den Ergebnissen soll Ende dieses Jahres vorliegen. Ebenfalls vom Projekt umfasst ist das Werteverständnis und dessen Entwicklung bei Berufsanfängern. Hierfür werden 40 angehende Kriminalkommissarinnen und -kommissare in qualitativen Interviews Auskunft zu ihren Wertevorstellungen geben. Dieser Teil der Studie ist auf sieben Jahre angelegt.

G 1805

Klares Bekenntnis zum Öffentlichen Dienst (BS/Jörn Fieseler) In Krisenzeiten ein gefragter Helfer und leider auch Blitzableiter der Politik, in guten Zeiten wenig beachtet im Abseits – so ist es um den Öffentlichen Dienst in Deutschland bestellt. Nach zwei Jahren Pandemie wird er wieder als Standortfaktor deklariert, den es zu erhalten und attraktiv zu gestalten gelten. Aussagen, die in den Jahren 2005 / 2006 schon einmal weit verbreitet waren. Die damalige Sparwelle ging trotzdem weiter. Entsprechend groß sind heute Skepsis und Frust unter den Beschäftigten. Den Worten müssen Taten folgen. Der Status quo klingt nicht sehr verlockend. Im Gesundheitswesen und im Pflegebereich verlassen die Menschen den Öffentlichen Dienst, auf das Klatschen zu Beginn der Pandemiebewältigung sei die Klatsche gefolgt, bilanziert Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion (DBB) anlässlich der 63. Jahrestagung der Interessenorganisation. Die Gesundheitsberufe seien nicht aufgewertet worden, außer einer Einmalzahlung habe es keine weitere Anerkennung gegeben. Im Bildungsbereich habe die Hälfte aller Lehrkräfte immer noch kein vom Dienstherrn bereitgestelltes mobiles Endgerät für den Digitalunterricht. Es fehle insgesamt an genügend Ressourcen für die Umsetzung aller öffentlichen Aufgaben. “Der Öffentliche Dienst ist im Dauerstress.” Hinzu komme die Verantwortungslosigkeit der politischen Entscheidungsträger. Diese hätten den Eindruck erweckt, ein Kindergeburtstag sei besser organisiert als das Krisenmanagement der Pandemie. Parallel schlage den Gewerkschaften die Ignoranz der Arbeitgeber gegenüber den Beschäftigten entgegen. “Wir waren mal Vorbild in der Welt, heute sind wir das Land der Funklöcher und nicht mehr sicher!” Das Vertrauen in

Aktuell ist der Öffentliche Dienst ein umjubelter Star und gilt als Standortfaktor für Deutschland. Doch Die Erfahrung zeigt: wenn Krisen gebannt sind, wird er schnell wieder fallen gelassen. Foto: BS/Complot, stock.adobe.com

den Staat schwinde, ebenso die Achtung vor Recht und Gesetz sowie der Respekt gegenüber anderen. Es brauche klare Schritte, um Deutschlands Öffentlichen Dienst personell und technisch in die Zeit zu stellen und damit attraktiver zu gestalten. Dafür bedürfe es attraktiverer Arbeitsbedingungen, sowohl Homeoffice-Angebote als auch den Wegfall der 41-Stunden-Woche für die Bundesbeamten. 15 Jahre dauere dieses Sonderopfer zur

Haushaltskonsolidierung an. Das sei lange genug. Es bedürfe aber auch einer Kultur des Res­ pekts und der Wertschätzung sowie eines kräftigen Schubs bei der Digitalisierung. Die Botschaft ist angekommen. Sowohl die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser als auch Berlins neue Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (beide SPD) und ihr nordrhein-westfälischer Amtskollege Hendrik Wüst bekräf-

tigten einstimmig: “Wir wollen einen modernen Öffentlichen Dienst, der attraktiv für junge Menschen ist.” Faeser will dafür zehn Punkte angehen. Diese sehen unter anderem vor, die Tarifautonomie zu stärken und gemeinsam mit den Gewerkschaften die Arbeitsbedingungen und Belastungssituation zu verbessern. Dazu gehören auch eine verfassungsfeste Besoldung oder die Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage, vor allem aber

der Schutz der Beschäftigten vor Gewalt und Bedrohungen und eine entschiedene Abwehr jeder Art von Extremismus. Zu Letzterem gehöre auch, jeden aus dem Öffentlichen Dienst zu entfernen, der nicht für die freiheitlich demokratische Grundordnung stehe. Ein weiterer Punkt sei, das Personalmanagement zu bündeln. “Das Ressortprinzip heißt, dass jedes Ressort seinen Verantwortungsbereich frei gestalten kann. Es heißt aber nicht, dass jedes Haus das Personalmanagement eigenständig machen muss.” Deshalb solle die Personaladministration stärker im Bundesinnenministerium gebündelt werden. Am Ende ist es eine Frage der Prioritätensetzung. Insbesondere vor dem Spagat, eine solide Haushaltsführung unter Einhaltung der Schuldenbremse mit den Investitionswünschen in Einklang zu bringen. Das ist Sache des Finanzministers Christian Lindner (FDP). Der hat sich nicht nur klar zum Berufsbeamtentum bekannt, sondern auch versprochen, alles Notwendige für einen leistungsstarken und attraktiven Öffentlichen Dienst zu unternehmen. Damit steht der Öffentliche Dienst als umjubelter Star im Mittelpunkt. Doch genauso schnell kann der Hochgelobte wieder fallen gelassen werden.

Kommentar

Datenschutz oder Corona-Verordnung? (BS) Für öffentliche wie private Arbeitgeber gelten die Corona-Verordnungen, insbesondere die Arbeitsschutzverordnung. Doch der Verordnungsgeber hat die Rechnung ohne die Datenschützer gemacht. Der Arbeitgeber kann zur Verhinderung der weiteren VirusAusbreitung den Impfstatus seiner Beschäftigten abfragen. Verlangt werden sogar die Überprüfung der Gültigkeit des Status sowie die Dokumentation. Für die Bereiche, in denen eine Impfpflicht eingeführt wird, also Gesundheitswesen und Pflege, ist diese Prüfung des Impfstatus sogar zwingend erforderlich, um zu vermeiden, dass irregulärer Weise Ungeimpfte die Arbeitsstätte betreten. Jedoch: Datenschützer gehen in diesen Tagen auf breiter Front gegen Arbeitgeber vor, die nach dem Impfstatus ihrer Mitarbeitenden fragen. Dazu gehören auch Behörden von Bund und Ländern und städtische Einrichtungen. Die Bundeswehr impft das mi-

litärische Personal durch. Die zivlien Kräfte unterliegen weder der Duldungspflicht noch lässt sich ihr Impfstatus überprüfen bzw. zur Person zugeordnet abspeichern. Beim Betreten der Gebäude und Kasernen soll der Status “geimpft”, “genesen” oder “getestet” geprüft werden, eine allgemeine Abfrage zum Impfstatus sei allerdings nicht durchführbar. Ein Sprecher des BMVg erläutert dies: “Mit Wirksamwerden der 3G-Arbeitsstättenverordnung wird vor Betreten einer militärischen Liegenschaft der gültige 3G-Status eines bzw. einer jeden Beschäftigten – zivil und militärisch – erhoben. Eine Impfquote für die zivilen Kräfte im Geschäftsbereich des BMVg wird dabei jedoch aus datenschutzrechtlichen Grün-

den nicht erhoben.” An diesem Punkt scheiden sich die Geister. Wenn der Impf- bzw. Genesenen-Status einer Person erfasst wird, handelt es sich nach Ansicht der Datenschützer um eine Verarbeitung personenbezogener Gesundheitsdaten. Diese aber sind von besonderer datenschutzrechtlicher Relevanz. Hier überwiege das Interesse des Mitarbeiters, dass seine Gesundheitsdaten nicht verarbeitet werden, da sie nicht zur Erfüllung von Pflichten und Rechten des Arbeitsgebers erforderlich seien. Genauso steht es aber in der Corona-Verordnung. Was gilt? Absolute Vorfahrt für Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie statt Vorfahrt für den Datenschutz! Uwe Proll

Achtung Hochspannung!


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / Januar 2022

Nachhaltigkeit wird seit Jahren diskutiert. Auch im Öffentlichen Dienst hält das Thema verstärkt Einzug. Eine nachhaltige Verwaltung lässt sich jedoch nicht mit einer einzelnen Maßnahme erreichen. Vielmehr müssen verschiedene Vorhaben und Lösungen bei Beschaffung, Digitalisierung oder kommunalen Fuhrparks zielgerichtet ineinandergreifen. Dabei funktioniert an vielen Stellen die Verzahnung noch nicht vollständig. BS/BillionPhotos.com, stock.adobe.com

Verzahnte Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit öffentlicher Finanzanlagen

Der Markt gibt es noch nicht her

Umdenken oder Greenwashing?............................................................ Seite 7

Nachhaltiger Katastrophenschutz in Berlin geplant ........................................ Seite 20

Klimawandel und Schuldenbremse

Unerlässlich, aber energiefressend

Klimaschutz muss mit regulären Haushaltsmitteln geleistet werden ................................................................................................. Seite 7

Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit bei Rechenzentren ist lang .......................... Seite 21

Finanzströme Richtung Nachhaltigkeit

Niederschwellig und eigenverantwortlich

Nachteile für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.................... Seite 37

Der kommunale Handlungsspielraum beim Klimaschutz ist begrenzt ........... Seite 11

Green Bundeswehr Vorteile für den militärischen Bereich .................................................. Seite 38

Innen Spiegel

Digitaler Start 2022 Zu Jahresbeginn stehen Online-Events im Fokus (BS/Guido Gehrt) Nach den “Corona-Jahren” 2020 und 2021 steht auch das neue Jahr bislang im Zeichen der Pandemie. Diese Entwicklung hat insgesamt zu einem grundlegenden Wandel der gesamten Veranstaltungslandschaft geführt und auch die Angebote des Behörden Spiegel in diesem Bereich maßgeblich verändert und letztlich – durch eine konsequente und nachhaltige Neuausrichtung – sowohl inhaltlich als auch umfänglich bereichert. Online-Veranstaltungen haben derzeit Konjunktur. Hierfür gibt es mindestens zwei zentrale Gründe. Einerseits ist an die Durchführung von größeren Realveranstaltungen derzeit nicht zu denken. Andererseits haben sich verschiedene OnlineFormate in den letzten zwei Jahren fest etabliert und erfreuen sich einer großen Nachfrage und Beliebtheit. Entsprechend setzt der Behörden Spiegel auch 2022 im Veranstaltungsbereich auf eine Mischung aus Online- und Präsenzveranstaltung. Pandemiebedingt sind dabei allerdings für die ersten drei Monate dieses Jahres keinerlei Veranstaltungen vor Ort geplant.

Breites Angebot – intensive Nutzung Die zentralen Säulen der Online-Events des Behörden Spiegel sind aktuell die Plattformen “Digitaler Staat Online” und “NeueStadt.org”. NeueStadt.org, im April 2021 gestartet, widmet sich in regelmäßigen Online-Diskussionen verschiedensten kommunalen Aspekten. Von der Rolle der Spontanhelfer als Einsatzkräfte im Katastrophenmanagement über den Umgang mit Liegenschaften der öffentlichen Hand bis hin zu Radschnellwegen in der Fläche wird hier mit Experten und Fachleuten aus Rathäusern, Gemeinde- und Stadtparlamenten sowie Landratsbehörden, kommunalen Zweckverbänden und Unternehmen diskutiert. Gleich in den ersten Wochen des neuen Jahres erwartet die Teilnehmenden

schen Ausland souverän handlungsfähig bleiben? Hier muss auch über ONLINE den Einsatz von Open Source gesprochen werden. Die “Digitale Akademie” ergänzt das Angebot der Plattform (www.digitaler-staat. online) um eine große Zahl von Fort- und Weiterbildungs-Webinaren (Digitale Akademie) im Kontext der Digitalisierung. Mittlerweile haben rund 350.000 Userinnen und User die Angebote (über 800 Stunden Sendezeit) auf “Digitaler auf der Plattform (www.neuestadt.org) ein Staat Online” genutzt. Hier ist im verganvielseitiges Programm zu Nachwuchsför- genen Jahr das Sonder-Format “Defence derung, Klima- und Lärmschutz sowie Day” gestartet, welches als halbtägige hybriden Gremiumssitzungen. Konferenz auch 2022 wieder verschiedene Auch die bereits im Juni 2020 ins Leben wehrtechnische und verteidigungspoligerufene Plattform Digitaler Staat Online tische Themen aufgreift. Hierzu zählen wird 2022 wieder mit einem interessan- beispielsweise “Neuaufstellung der Territen Mix aus Online-Diskussionsrunden, torialen Verteidigung” (18. Mai), “Aufbau Partner-Webinaren und Chef-Gesprächen der Systemhäuser Heer, Luftwaffe, Marine an den Start gehen. Zu den inhaltlichen und CIR” (27. Juli) und “Auslandseinsätze Schwerpunkten wird dabei u. a. das The- der Bundeswehr – Lessons Learned” (28. ma Digitale Souveränität zählen. Wie September). kann der Staat auch im digitalen Zeitalter Durch die vielfältigen Erfahrungen mit angesichts immer größer werdender Ab- Online-Formaten und das entsprechende hängigkeiten von Innovationen, Technik technische Know-how und Equipment und Konzernen aus dem außereuropäi- ist der Behörden Spiegel auch in der

Lage, flexibel eine große Präsenzveranstaltung kurzfristig in ein Online-Event umzuwandeln, sofern die pandemische Lage dies erforderlich macht. Jüngstes Beispiel: Der 8. Zukunftskongress Bayern, ursprünglich für den 17. Februar als Präsenzveranstaltung in München geplant, wurde vor dem Hintergrund der Omikron-Entwicklung in einen OnlineKongress transformiert (www.zukunfts kongress.bayern).

Rückkehr in Präsenz Im weiteren Verlauf des Jahres werden zu den digitalen Angeboten dann zunehmend wieder Präsenzformate treten. Zum Thema Verwaltungsdigitalisierung macht der Kongress “Digitaler Staat” am 3./4. Mai den Anfang, der an neuer Veranstaltungsstätte im bbc Berlin Congress Center in Berlin stattfinden wird (www.digitaler-staat.org). In der Woche darauf (11./12. Mai) findet in der Berliner Messe der diesjährige Europäische Polizeikongress statt (www.europaeischerpolizeikongress.de).

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/BeschA Foto 2: BS/Giessen Foto 3: BS/Feldmann Der Gesamtauflage des Behörden Spiegel liegt eine Beilage des zfm – Zentrum für Management- und Personalberatung Edmund Mastiaux & Partner bei. Einer Teilauflage liegt eine Beilage der Technischen Akademie Wuppertal bei.

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Dorothee Frank (Verteidigung, Wehrtechnik), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Ann Kathrin Herweg (Online-Redaktion), Malin Jacobson (Kommunen, Online-Redaktion), Bennet Klawon (Katastrophenschutz), Tanja Klement (Online-Redaktion), Matthias Lorenz (Digitalisierung), Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Dr. Gerd Portugall (Sicherheitspolitik), Tim Rotthaus (Online-Redaktion), Paul Schubert (IT, IT-Sicherheit), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Büsra Tasdemir (OnlineRedaktion), Dr. Barbara Held (Innenpolitik), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller, Kerstin Wegner Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige AnzeigenPreisliste Nr. 32/2021, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz. B.igadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

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Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Januar 2022

KNAPP

Die Crux mit dem gordischen Knoten Zunehmende Komplexität des Tarifrechts im Öffentlichen Dienst / Plädoyer für die Tarifautonomie

Zufriedenheit wird häufig vernachlässigt (BS/mj) Demografische Entwick-

(BS/Jörn Fieseler) Je komplexer Regelwerke, desto geringer die Zahl derjenigen, die sich in diesen auskennen. Dies trifft inzwischen auch auf das Tarifgefüge im Öffentlichen Dienst zu. lungen und die Attraktivität der Ewa bei der Stufenzuordnung im Rahmen der Eingruppierung und der Anerkennung einschlägiger Berufserfahrung, insbesondere von Wanderarbeitnehmern. Oder bei der Abgeltung Privatwirtschaft stellen immer von Überstunden bei Teilzeitbeschäftigung. Eine Lösung scheint vorerst nicht in Sicht. größere Herausforderungen für Früher klagten die Tarifbeschäftigten im Öffentlichen Dienst vor den Arbeitsgerichten wegen ihrer Eingruppierung in die Entgeltgruppen. Heute richten sich die Klagen gegen detailliertere Regelungen, nämlich die Stufenzuordnung. “Allgemein kennt man Eingruppierungsklagen, wir haben immer mehr Stufenzuordnungsklagen”, bestätigt Karin Spelge, Vorsitzende Richterin des 6. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Kern dieser Klagen ist in den meisten Fällen die Anerkennung der einschlägigen Berufserfahrung.Dies ist zugleich Ausdruck für den demografischen Wandel auf dem Arbeitsmarkt und den Personalmangel im Öffentlichen Dienst (siehe dazu auch Seite 13). Vor zehn Jahren sei es um die Frage gegangen, was der Arbeitnehmer fordern könne, heute darum, was der Arbeitgeber bieten könne, so Spelge.

Drei Anerkennungsvarianten Generell stehen den Arbeitgebern in den Tarifverträgen des Öffentlichen Dienstes (TVöD für Bund und Kommunen und TV-L für die Länder) drei Stellschrauben zur Verfügung, einschlägige Berufserfahrung anzuerkennen. Der einfachste Fall ist der Wechsel bei gleicher Arbeit. Wenn ein Sachbearbeiter etwa aus dem Sozialamt einer Kommune in das Sozialamt einer anderen Kommune wechselt und die gleiche Arbeit wie vorher ausführt, ist seine Berufserfahrung einschlägig. Dafür braucht man keinen Juristen. Schwieriger wird es, wenn er beim vorherigen Arbeitgeber anders eingruppiert wurde. “Wer in einer niedrigeren Entgeltgruppe (EG) war, kann nie einschlägige Berufserfahrung vermitteln”, so die Vorsitzende Richterin. Denn die Tätigkeit bestimmt in den Tarifverträgen des Öffentlichen Dienstes die Eingruppierung. Eine einschlägige Berufserfahrung kann es aber nur geben, wenn die vorherige Tätigkeit qualitativ – dem Inhalt nach – die gesamte Bandbreite der neuen Tätigkeit abdeckt. Das kann bei einer niedrigeren Entgeltstufe nicht der Fall sein. Quantitative Unterschiede,

zum Beispiel eine Teilzeitbeschäftigung, schaden hingegen nicht.

Verschiedene Systeme widersprechen Einschlägigkeit Was einfach klingt, ist, angesichts der zu bildenden Arbeitsvorgänge (siehe dazu Behörden Spiegel, Dezember 2021, Seite 3), eine komplexe Materie. Schließlich beinhalten TVöD und TVL über 1.000 Merkmale in den Entgeltordnungen, aus denen Arbeitsvorgänge gebildet werden können. Die Vergleichbarkeit der Tätigkeiten beim vorherigen Arbeitgeber wird durch die zunehmende Vielzahl der Entgeltordnungen noch erschwert, etwa durch die Tabelle Pflege (P) oder für den Sozial- und Erziehungsdienst (S & E). So verdient beispielsweise jemand in der EG 8a der Tabelle S & E mehr Geld als in der EG 9a des TV-L. Ab der dritten Stufe fällt das Grundgehalt um rund 30 Euro höher aus. “Was ist dann eine niedrigere Entgeltgruppe?”, stellt Spelge die entscheidende Frage, die jüngst in einem Fall des BAG geklärt werden musste. Klar beantwortet hat das Gericht diese Frage aber nicht. So heißt es in der Urteilsbegründung vom 15. Oktober 2021 (BAG 6 AZR 268/20): “Grundsätzlich kann einschlägige Berufserfahrung auch bei anderen Arbeitgebern in Tätigkeiten erworben werden, die in einem anderen Entgeltsystem vergütet werden.” Aber: Mit den unterschiedlichen Entgelttabellen haben die Tarifvertragsparteien grundlegend verschiedene Eingruppierungsvoraussetzungen geschaffen und damit ihre Vorstellung zum Ausdruck gebracht, dass sich die jeweiligen Tätigkeiten, bezogen auf die Anforderungen und Inhalte, so maßgeblich unterscheiden, dass keine einschlägige Berufserfahrung im Sinne des Tarifrechts vorliegen kann.

Tarifvertragsparteien am Zug Ebenfalls komplex ist die Rechtslage bei der Anerkennung einschlägiger Berufserfahrung bei Wanderarbeitnehmern. Im Tarifvertrag der Länder werden

Kreieren die Tarifvertragsparteien einen gordischen Knoten, wenn sie das Vertragswerk immer weiter ausgestalten? Die Gefahr besteht. Sie führt dazu, dass selbst Gerichte ihre eigenen Entscheidungen revidieren müssen. Foto: BS/Sofiia, stock.adobe.com

maximal drei Jahre einschlägige Berufserfahrung anerkannt. Diese Regelung ist im TVöD für Bund und Kommunen nicht enthalten. Damit werden Beschäftigte belohnt, die den Arbeitgeber nicht wechseln und somit in die Stufen vier und fünf aufsteigen können. Diese Regelung aus § 16 Abs. 2 TV-L ist jedoch nicht mit dem Europarecht vereinbar und widerspricht der primärrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit als Grundfreiheit aus Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Hat ein Beschäftigter mehr als drei Jahre Berufserfahrung in einem europäischen Land außerhalb Deutschlands gesammelt, hat er einen Anspruch, über die Stufe drei hinaus in seiner Entgeltgruppe eingruppiert zu werden. Dieser Ansicht ist das BAG gefolgt und hat für eine Lehrerin, die 17 Jahre in Frankreich tätig war, bevor sie nach Deutschland wechselte, entschieden, dass sie in die Stufe fünf einzuordnen sei. Unklar ist, welche Auswirkungen dieses Urteil auf Inlandsbewegungen hat. “Wir haben den Ball dahin gespielt, wo er hingehört, nämlich zu den Tarifvertragsparteien”, un-

terstreicht Spelge. Diese müssten nun eine neue Begründung finden oder sich der Sicht der Gerichte anschließen und die zeitliche Begrenzung streichen.

Endkampf der Tarifautonomie Der Fall steht sinnbildlich für ein tiefergehendes Problem. “Es geht um den Endkampf der Tarifautonomie”, bringt es Spelge auf den Punkt. Und damit um die Abwägung, welchen rechtlichen Status sie in Zukunft haben wird. Muss sich die Tarifautonomie dem europäischen Recht unterordnen oder haben die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Autonomie Dinge anders zu regeln? “Wir vom 6. Senat sagen, es gibt die Tarifautonomie”, unterstreicht die Vorsitzende Richterin. Dies darf aber nicht dazu führen, dass die Komplexität der Verträge undurchschaubar wird. Wie bei der Bezahlung von Überstunden von Teilzeitbeschäftigten im Schicht- und Wechselschichtdienst nach § 7 Abs. 8 c TVöD / TV-L. Seit 2017 hat das BAG dazu fünf Entscheidungen gefällt. Danach wurden Überstunden bei Teilzeitbeschäftigten erst bezahlt, wenn die reguläre Arbeitszeit von

Vollzeitbeschäftigten überschritten wurde. Stunden, die über die reguläre Teilzeitbeschäftigung hinausgingen, aber unter der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten lägen, seien Mehrarbeit, aber keine Überstunden.

Norm ist unwirksam Mit seiner letzten Entscheidung hat das BAG diese Norm für unwirksam erklärt, da sie gegen das Gebot der Normenklarheit verstoße. In den vorangegangenen Entscheidungen hatte das BAG zwischen ungeplanten und geplanten zusätzlichen Stunden unterschieden. Diese Unterscheidung entspreche aber nicht dem Regelungswillen der Tarifparteien, da dies nicht im Tariftext ausreichend Niederschlag gefunden habe. Das schließe nicht aus, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften unterschiedliche Regelungsbereiche für Voll- und Teilzeitbeschäftigte schafften. Sie müssten diese nur unmissverständlich deklinieren. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Tarifparteien das Vertragswerk nicht noch komplizierter ausgestalten und damit einen sprichwörtlichen gordischen Knoten kreieren.

Versorgungsempfänger rücken in den Fokus

Bindung und Rekrutierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Behörden dar. Das “Bleibebarometer Öffentlicher Dienst 2022”, eine aktuelle Studie der Next:Public, untersuchte, “welche Erwartungen die Beschäftigten an ihren Arbeitgeber haben und wie die Personalbindung gelingen kann”. Rund 7.500 Beschäftigte aus dem Öffentlichen Dienst in Bund, Ländern und Kommunen haben an der Studie teilgenommen. Davon können sich 80 Prozent vorstellen, den Arbeitgeber zu wechseln, rund 30 Prozent der Beschäftigten sogar in die Privatwirtschaft. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Zum einen fehlt es laut Bleibebarometer über der Hälfte der Befragten an Wertschätzung und individueller Förderung, zum anderen identifizierten sich die Beschäftigten kaum mit der eigenen Behörde, da deren Ziele oftmals nicht vollumfänglich bekannt seien. Das führe auch dazu, dass Behörden nicht als Arbeitgeber weiterempfohlen würden.

Weniger Widersprüche und Klagen

(BS/bt) Im Vergleich zum Jahr 2020 wurden 2021 weniger Widersprüche und Klagen in der Grundsicherung eingereicht. Besonders gesunken seien Widersprüche gegen die Aufhebungsund Erstattungsbescheide und Einkommen und Vermögen. Auch bei Klagen gegen Kosten der Unterkunft wurde ein Rückgang verzeichnet. Der Gesetzgeber vereinfachte zudem den Zugang in die Grundsicherung. So werde darauf verzichtet, das Vermögen zu prüfen, wenn es nicht erheblich sei. Einen leichten Anstieg gab es bei den Widersprüchen gegen Sanktionen im Vergleich zum Jahr 2020, allerdings sei hier im Ganzen die Anzahl dennoch niedrig. Die Ermittlung der Quote für Widersprüche und Klagen könne nur für die 302 gemeinsamen Einrichtungen verantwortet werden. Die Bundesagentur für Arbeit hat im letzten Jahr über 439.800 Widersprüche entschieden, davon wurden zwei Drittel der Widersprüche zurückgewiesen oder durch den Kunden zurückgezogen.

Ausbildungsreform

Erste Länder übertragen Tarifergebnis eins zu eins

(BS/akh) In der Kindertagesbe-

(BS/jf) Bayerns Finanzminister Albert Füracker war einer der Ersten, der die inhalts- und wirkungsgleiche Übertragung des Tarifergebnisses auf die Beamten versprach. Inzwischen treuung werden künftig mehr sind die Ersten nachgezogen. Nur eine Gruppe hat das Nachsehen. Fachkräfte benötigt. Die VereiniAb dem 1. Oktober 2021 gibt es für die Tarifbeschäftigten eine 14-monatige Nullrunde. Erst zum 1. Dezember 2022 steigen die Gehälter um 2,8 Prozent, bei einer Gesamtlaufzeit von 24 Monaten. Hinzu kommt eine steuerfreie Corona-Einmalzahlung in Höhe von 1.300 Euro für die rund 1,1 Mio. Tarifbeschäftigten in den 15 Bundesländern, die der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) angehören.

Bayern und MecklenburgVorpommern legen vor “Die bayerische Staatsregierung hält auch diesmal Wort”, unterstrich Füracker. Die Tarifübertragung sei ein deutliches

Signal an alle Beamtinnen und Beamten in Bayern. Die Bayerische Staatsregierung schätze die wertvolle Leistung und entlohne sie angemessen. Die Chancen, dass dieses Ergebnis in den Mitgliedsländern der TdL für die insgesamt rund 1,3 Mio. Beamtinnen und Beamte eines zu eins übertragen wird, stehen gut. Denn neben dem Freistaat Bayern hat am gleichen Tag Mecklenburg-Vorpommerns neuer Finanzminister Dr. Heiko Geue angekündigt, mit den Gewerkschaften das Gespräch zu suchen, um den Abschluss systemgerecht zu übertragen. Ebenfalls inhalts- und wirkungsgleich wird der Abschluss in Nie-

dersachsen übertragen. Finanzminister Reinold Hilbers kündigte gegenüber den Gewerkschaften an, das vereinbarte Tarifergebnis im Rahmen eines bereits abgestimmten Haushaltsbegleitgesetzes ins Landesparlament einzubringen. Alexander Zimbehl, Erster Landesvorsitzender des Niedersächsischen Beamtenbundes und Tarifunion (NBB), zeigte sich mit dem vereinbarten Ergebnis insoweit zufrieden, dass die Beamtenschaft des Landes nicht noch weiter von den Einkommensentwicklungen abgehängt werde. Und auch das Saarland (im Dezember 2021) und NRW (am 5. Januar 2022) haben angekündigt, das Ergebnis für die

aktiven Beamten ohne Abstriche zu übertragen. Im kleinsten Flächenland ist es die erste inhaltsund wirkungsgleiche Übertragung seit zehn Jahren und auch im größten Flächenland ist dies in den letzten Jahren nicht immer der Fall gewesen.

Keine Sonderzahlung für Pensionäre Allerdings werden die Versorgungsempfänger nicht in den Genuss der Corona-Sonderzahlung kommen können. Die Gewerkschaften fordern zwar, dass die Pensionäre insbesondere vor dem Hintergrund des dringend erforderlichen Inflationsausgleiches – im Schwerpunkt bedingt durch

steigende Energieverbrauchs- und Lebenshaltungskosten – von der allgemeinen Entwicklung nicht abgeschnitten werden dürften, wie Zimbehl aus Niedersachsen es erläutert. Allerdings kann die Sonderzahlung rechtlich nur an die aktiven Bediensteten ausgezahlt werden. Doch während Roland Staude, Landesvorsitzender des DBB NRW, hier von der Landesregierung eine gewisse Kreativität fordert, bei den Versorgungsempfängern für einen angemessenen Ausgleich zu sorgen, ist man im Saarland schon einen Schritt weiter. Dort hat man sich bereits darauf geeinigt, zu Beginn des Jahres 2022 nach Lösungen zu suchen.

gung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) spricht sich gemeinsam mit dem Deutschen Städtetag (DST), dem Deutschen Landkreistag (DLT), dem Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) für eine Neugestaltung der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern aus. In einem gemeinsamen Eckpunktepapier fordern die Akteure einen bundeseinheitlichen Rahmen für die Reform der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung. Außerdem appellieren sie für eine Reform der Ausbildungsbedingungen, durch die die Ausbildung kostenfrei sowie angemessen vergütet wird.


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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O

b Bundestag, Justizministerium, BMWi oder Bundeszentralamt für Steuern: Sie alle haben eines gemein. Sie sind fünf von insgesamt 19 Bundesbehörden, die 2021 an Tech4Germany oder Work4Germany teilgenommen haben. Die Themen beim Work4Germany Fellowship 2021 waren so vielfältig wie die Aufgaben in der Verwaltung selbst: vom ReDesign ministerieller Gesetzesvorbereitung und digitalstrategischen Projekten über den Aufbau eines Zuwendungsregisters, die Konzipierung eines Innovation Labs bis hin zu modernen Zielsetzungsmethoden. Eines der bekanntesten Ergebnisse aus dem Tech4Germany Fellowship 2021 dürfte das Portal “Digitale Klagewege” (https://tech.4germany. org/project/digitale-klagewegebmjv/) am Bundesjustizministerium sein.

Behörden Spiegel / Januar 2022

Nutzerzentrierte Digitalisierung Tech4Germany und Work4Germany suchen wieder Digitalvorhaben auf Bundesebene (BS/Anika Wilczek) Bundesbehörden können sich derzeit wieder mit Projekten für die Teilnahme an Work4Germany (www.work4germany.org) und Tech4Germany (www.tech4germany.org) bewerben. Die Fellowship-Programme bringen zeitlich befristet externe Digitaltalente und erfahrene Veränderungsexpertinnen und -experten in die Bundesverwaltung und unterstützen die Digitalisierungsmacher/-innen der Bundesbehörden bei der erfolgreichen Durchführung und Umsetzung ihrer Digitalvorhaben. Die Fellowships werden seit 2018 von der bundeseigenen Digitalisierungseinheit DigitalService4Germany (www.digitalservice.bund.de) durchgeführt. Gesucht werden Projekte mit Digitalbezug.

Moderne Arbeitsmethoden Work4Germany unterstützt digitale Vorreiter/-innen der Bundesverwaltung darin, souverän und erfolgreich in MultiStakeholder-Projekten mit Digitalbezug zu agieren. Dafür bringt das sechsmonatige Fellowship methodenstarke Transformations-Expert/-innen aus der Privatwirtschaft mit Vorreiter/innen aus Bundesministerien

Fellows und Projektpartner/-innen bei Work4Germany treffen sich nach der Halbzeit zum Austausch über Fortschritte, Learnings und Herausforderungen. Foto: BS/DigitalService4Germany GmbH

Arbeit in den Fellowships findet immer auf Augenhöhe statt: Fellows und Projektpartner/-innen treiben als Team Projekte zusammen vorwärts. Foto: BS/DigitalService4Germany GmbH

zusammen. Die Tandems arbeiten gemeinsam an Projekten mit Digitalbezug, gestalten Arbeitsabläufe neu und setzen einen Fokus auf nutzerzentrierte und

der Verwaltung von innen heraus voran. Bundes-CIO Markus Richter sieht darin einen “wichtigen Baustein mit innovativer Kraft für die Modernisierung und

iterative Arbeitsweisen. Methoden werden dabei als Werkzeuge verstanden – auch über das Fellowship hinaus. So treibt Work4Germany die Modernisierung

Wichtige Weichen gestellt Hochschulen intensivieren ihre Zusammenarbeit (BS/jf) Die Hochschulen für den Öffentlichen Dienst (HÖD) haben die Weichen für die Zukunft gestellt. Drei Aktivitäten standen im Zentrum der letzten Konferenz der Rektorinnen und Rektoren. Wie in den vergangenen Jahren auch, prämierte die Konferenz die drei besten Abschlussarbeiten der HöD, um damit den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern. Die Jury tat sich bei der Auswahl unter den 21 eingereichten Arbeiten schwer, da alle Einreichungen durch ihre hohe wissenschaftliche, aber auch praktische Qualität überzeugt hätten, berichtete Prof. Dr. Jürgen Stember, Präsident der Rektorenkonferenz der Hochschulen für den Öffentlichen Dienst. Am Ende prämierte die Jury eine Diplomund zwei Bachelor-Arbeiten. Den ersten Preis erhielt Arne Rörtgen von der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen (HSVN) für seine Bachelor-Arbeit mit dem Titel “Optimierung von Verwaltungsprozessen durch Digitalisierung am Beispiel der Einführung in Stadthagen”. Platz zwei ging an den Studenten der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Johannes Krause, der in seiner Diplom-Arbeit den Streit um das Bundeswahlrecht beleuchtete und der Frage nachging, ob die Reformvorschläge im Sinne des Bürgers oder im

Das neue und alte Präsidium der Rektorenkonferenz der HÖD (v.l.n.r.): Prof. Dr. Frank Nolden, Prof. Dr. Dr. h.c. Erich Keller, Prof. Dr. Jürgen Stember (Präsident), Dr. Robert Klüsener und Klaus Weisbrod Foto: BS/RK HÖD

Sinne der Parteien seien. Den dritten Platz erreichte Sebastian Ruffer von der Hochschule der Akademie der Polizei Hamburg. Seine Bachelor-Arbeit befasste sich mit Arbeitsmotiven polizeilicher Nachwuchskräfte. Die ersten Gratulanten bei der Preisvergabe waren der damalige Staatssekretär Stephan Mayer aus dem Bundesinnenministerium, Jürgen Böhm, stellvertretender Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion, und Marcel Oehm, stellvertretender Bundesjugendleiter beim DBB. Sie überreichten nicht nur die

Auszeichnungen, sondern auch eine finanzielle Anerkennung, die der DBB gestiftet hatte.

Neuer Förderverein gegründet Darüber hinaus haben die Hochschulen für den Öffentlichen Dienst in Deutschland einen neuen Förderverein gegründet. Dessen zentrales Ziel ist die Förderung von Wissenschaft und Forschung u. a. durch gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, den Betrieb einer gemeinsamen Homepage, gemeinsame Tagungen und Konferenzen sowie durch die Entwicklung und Durchführung gemeinsamer For-

schungs- und Praxisprojekte. Der Förderverein soll den Anliegen der Konferenz dadurch noch mehr Durchschlagskraft verleihen. Zur Gründung traten 24 der insgesamt 37 Universitäten für den Öffentlichen Dienst dem Verein bei, wobei die übrigen 13 erklärt haben, nach der Gründung beizutreten. Zu guter Letzt wählten die Rektoren turnusgemäß ein neues Präsidium. Das bisherige Präsidium stellte sich erfolgreich zur Wiederwahl. Diese fiel einstimmig aus. Somit werden Prof. Dr. Frank Nolden, Rektor der Hochschule Meißen in Sachsen, Prof. Dr. Dr. h.c. Erich Keller, Rektor der Hochschule der Deutschen Bundesbank in Hachenburg, Prof. Dr. Jürgen Stember, Professor für Verwaltungswissenschaften an der HS Harz in Halberstadt, Dr. Robert Klüsener, Rektor der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Gotha, sowie Klaus Weisbrod, Direktor der Hochschule für öffentliche Verwaltung (HöV) im rheinland-pfälzischen Mayen für weitere zwei Jahre der Rektorenkonferenz vorstehen, wobei Prof. Stember ebenfalls durch das Präsidium im Amt des Präsidenten bestätigt wurde.

Strategisch steuern 9. Speyerer Tagung zu Public Corporate Governance (BS/gg) Die Leitung und Steuerung öffentlicher Unternehmen stehen im Fokus der diesjährigen Speyerer Tagung zu Public Corporate Governance, die am 4. und 5. April 2022 unter fachlicher Leitung von Prof. Dr. Michèle Morner, Deutsche Universität Speyer, stattfindet. Öffentliche Unternehmen müssen im Zuge einer guten Public Corporate Governance einerseits rasch auf Veränderungen reagieren und gleichzeitig zukunftsgerichtet Weichen stellen. Dies wird neben unvorhergesehenen Ereignissen wie der Corona-Pandemie auch durch langfristige Megatrends wie Digitalisierung, Klimawandel und Mobilitätswende deutlich. Gesellschafter, Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte haben in diesem Zusammenhang eine zentrale Funktion. Aber auch das Beteiligungsmanagement übernimmt eine wichtige Aufgabe bei diesem ständigen Anpassungs- und In-

novationsprozess. Gleichzeitig schaffen europäische Regelungen zu Compliance und Nachhaltigkeit wichtige Rahmenbedingungen für öffentliche Unternehmen, denen sie entsprechen müssen.

Leadership in turbulenten Zeiten Verantwortliches Handeln im Zuge einer guten Public Corporate Governance erfordert daher führungsstarke Akteure, die in der Lage sind, rasch auf Veränderungen zu reagieren und gleichzeitig zukünftige Ereignisse zu antizipieren. Hierzu zählen neben einem starken Beteiligungsmanagement auch qua-

lifizierte Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräte sowie eine kompetente Geschäftsführung. Im Zentrum der diesjährigen Speyerer Tagung zu Public Corporate Governance stehen daher u. a. diese Themen: • Corporate Governance vor Herausforderungen strategischer Steuerungserfordernisse, • Public Leadership und Aufsichtsratsarbeit in turbulenten Zeiten, • Corporate Governance und Compliance im Rahmen von EU-Regulierungen. Dabei stehen insbesondere Fragestellungen des strategischen Umgangs mit diesen Herausfor-

derungen im Fokus. Hierzu trägt u. a. ein Podium zur Aufsichtsratsqualifizierung bei. Aber auch konkrete Handhabungsprobleme und Lösungsansätze bei der Implementierung strategischer Zielvorgaben in Beteiligungsgesellschaften sollen im Rahmen eines Panels diskutiert und aufgezeigt werden. Der Behörden Spiegel ist Medienpartner der Fachtagung, die pandemiebedingt online angeboten wird. Weitere Informationen zum Programm sowie eine Anmeldemöglichkeit finden sich unter www.uni-speyer.de/weiterbil dung/weiterbildungsprogramm/-online-anmeldung.

aus den Bereichen Produktmanagement, Design und SoftwareEntwicklung für drei Monate mit Verwaltungsmitarbeitenden zusammen, um in interdisziplinären Teams an konkreten Digitalisierungsvorhaben der Bundesverwaltung zu arbeiten. Durch User-Research und Prototyping schaffen die Teams von der ersten Woche an neue Erkenntnisse und entwickeln digitale Prototypen, die Herausforderungen der Bundesministerien und -behörden mit nutzerzentrierten Lösungsansätzen adressieren. Damit werden die Digitalisierungsmacher/-innen der Bundesverwaltung bei der agilen, nutzerzentrierten Umsetzung ihrer Vorhaben gestärkt. Tech4Germany ist 2018 mit einem Pilotjahrgang gestartet und hat bisher mit 17 verschiedenen Bundesbehörden Prototypen entwickelt. Für Kurzentschlossene: Die Bewerbung für Tech4Germany ist noch bis zum 31.01.2022 über die Homepage des DigitalService4Germany möglich.

Informationen und Bewerbung

Im Zentrum beider FellowshipProgramme stehen die ProjektTeams aus Fellows und Verwaltungsmitarbeitenden. Beide Seiten müssen sich für eine Teilnahme bewerben, die Auswahl und das Matching geschehen durch den DigitalService4Germany mit Unterstützung einer Anika Wilczek ist Head of Growth Fellowships. externen Jury. Umfangreiche In Foto: BS/DigitalService4Germany GmbH formationen zum Bewerbungsverfahren für Ministerien und Bundesbehörden stehen auf der Webseite des sich Digitalisierungseinheiten DigitalService zur Verfügung. Bewerbungen für Tech4Gerauf Bundesebene ohne Projekt oder Einheiten in Ministerien many sind noch bis 31.01.2022 mit Digital-Projekten bewerben. möglich. Die Bewerbungsphase Die Bewerbung ist über die Home- für Work4Germany endet am page des DigitalService4Germany 04.02.2022. Die Fellowships (digitalservice.bund.de) möglich. selbst starten im Mai (Work4Germany) beziehungsweise Digitale Verwaltung August (Tech4Germany) 2022 Tech4Germany bringt die bes- und laufen für sechs respektive ten Talente und Expert/-innen drei Monate. Digitalisierung der Verwaltung. Mit frischen Ideen unterstützt das Programm die positive Arbeitskultur und stärkt die ressortübergreifende Zusammenarbeit.” Seit dem 01.01.2022 können

KOLUMNE

VUCA entzaubern (BS) Insbesondere die fortschreitende Digitalisierung bringt Nebeneffekte wie stärker ausgeprägte Schwankungen (Volatility), vermehrte Ungewissheit (Uncertainty), steigende Komplexität (Complexity) und häufiger auftretende Mehrdeutigkeit (Ambiguity) in den Fokus. Organisationen reagieren sehr unterschiedlich auf die Effekte. Einfach “Augen zu und durch” mit dem Digitalisierungsvorhaben ist meist kein guter Ansatz. Unterschwellige Bremsfaktoren und verborgene Ängste werden einen Abschluss erschweren, wenn nicht gar gänzlich verhindern. Doch wie kann man den VUCA-Mythos entzaubern? Das Wichtigste scheint zu sein, die beschriebenen Aspekte ernst zu nehmen und einen Umgang damit zu suchen. Zunehmend wichtig wird es, solch schwer greifbare Einflussfaktoren an die Oberfläche zu holen und besprech- wie behandelbar zu machen. Drehen wir das Akronym also einmal um und suchen nach konkreten Gegenmitteln. “A” wie Arbeitsprozesse analysieren – ein schlechter Prozess wird durch reine Digitalisierung nicht besser. Aber Veränderungen in den Arbeitsprozessen machen Angst und fördern Widerstände. Eine gemeinsame Analyse, in der auch die Reduktion der Komplexität mit im Vordergrund steht, kann aufkei-

Beate van Kempen ist IT-Architektin – LVR-Digitalisierungsdezernat. Foto: BS/privat

mende Widerstände abmildern. “K” wie Kernaspekte kommunizieren – Warum macht das Vorhaben Sinn? Wo liegen die Ziele bei der Umsetzung? Wenn das nicht klar kommuniziert und am besten auch diskutiert wird, sind insbesondere latente Widerstände vorprogrammiert. “U” wie Ursachen untersuchen – Ungewissheit und Unwägbarkeiten führen in der Regel zu Unzufriedenheit und Unsicherheit. Gemeinsame – und vor allem schonungslose – Ursachenanalyse kann zu mehr Klarheit, Stabilität und Orientierung führen. “V” wie Verlangsamen – Veränderungen haben ihre eigene Geschwindigkeit und Dynamik. Die Belegschaft braucht Zeit, um nicht nur die neuen Wege und Regeln kennenzulernen, sondern sich auch neu darin zurecht- wie wiederzufinden. Dieser Prozess braucht ausreichend Zeit und Raum – aber keinen Stillstand!


Bund/Länder

Behörden Spiegel / Januar 2022

D

as LAF wurde im Zuge der Flüchtlingskrise im Jahr 2016 gegründet und hat seine wesentlichen Aufgaben sowie das überwiegende Personal aus dem zuvor zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) übernommen. Neben der Bewältigung des enormen Aufgabenanfalls galt es, zügig belastbare Strukturen zu schaffen. Ebenso musste sich das übergewechselte Personal neu einordnen. Hinzu kam, dass das Amt von Beginn an mit einer großen Anzahl von Verwaltungsquereinsteigern arbeiten musste und noch muss. All dies stellte eine große Herausforderung für die Führungskräfte dar. Dabei standen die Führungskräfte der ersten Stunde noch stark unter dem Eindruck ihrer Erfahrungen in der Flüchtlingskrise und waren in ihren bisherigen Strukturen verhaftet. Dieses führte letztlich zu Akzeptanzproblemen nach innen und nach außen.

Es begann mit einer neuen Leitung Mit dem neuen Präsidenten Alexander Straßmeir, begann die personelle und strukturelle Umsteuerung des Amtes. Zwischenzeitlich sind alle drei Abteilungsleitungsfunktionen mit engagierten Kolleginnen besetzt. Ebenso sind viele der übrigen Führungsfunktionen, wie Referatsleitungen und Gruppenleitungen, neu besetzt. “Mich hat es immer gereizt, mit einem guten Führungsteam zu arbeiten und positive Verwaltungsveränderungen an konkreten Aufgaben zu erzielen”, beschreibt der ehemalige Berliner Staatssekretär für Justiz seine Motivation, die verantwortliche Leitung des Amtes zu übernehmen. “Deshalb war es mir wichtig, eine gute Führungskultur zu schaffen, die gelebt und auch von den Beschäftigten des Amtes erlebt werden muss”, so

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Es kommt auf gute Führung an Erfahrungen aus dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin

die durch die Corona-Pandemie und den wieder verstärkten Zuwanderungsdruck nach Europa und somit auch nach Berlin noch verstärkt wird.

(BS/Udo Rienaß*) Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) war beim Berliner Verwaltungspreis der Senatskanzlei gleich zwei Mal Führung während der Pandemie erfolgreich. Damit wurden die personellen und strukturellen Veränderungsprozesse gewürdigt, die die Behörde in den vergangenen fünf Jahren erfolgreich gestaltet hat. Hier versucht das Amt, ebenStraßmeir. Tatsächlich ist dies auch gelungen. Für ihn und die drei Abteilungsleiterinnen des Amtes heißt Führung, Strategien zu entwickeln und Ziele zu setzen, die Organisation weiterzuentwickeln und sich den notwendigen Veränderungen anzupassen sowie eine konsequente Personalentwicklung zu betreiben. Dies geschieht gemeinsam mit den übrigen Führungskräften des Amtes. So sind Führungsklausuren selbstverständlich. Dabei geht es aber nicht nur um das Amt, sondern die Führungskräfte nehmen auch gesamtstädtisches Denken und Handeln in den Fokus. Gerade im Zusammenhang mit der Unterbringung von Geflüchteten und Obdachlosen ist dies von besonderer Bedeutung.

Amt zum attraktiven Arbeitgeber entwickeln “Aus den Erfahrungen der Vergangenheit haben wir gelernt, wie wichtig es ist, den Bereich Flüchtlingsaufnahme und -unterbringung krisenfest zu machen”, erklärt Straßmeir eine Herausforderung für das LAF. In einem Projekt “Krisenfest” wurden zu diesem Thema erste Ergebnisse erzielt und konkrete Vorschläge erarbeitet. Dazu gehört, die jeweils aktuelle Situation und die bestehenden Risiken gegenüber der fachaufsichtsführenden Senatsverwaltung transparent zu kommunizieren. Mit einer Business Impact Analyse und einem Ampelsystem zur Risikobewertung wird somit der Handlungsrahmen bei bestimmten Szenarien erweitert.

Führung heißt, Strategien zu entwickeln und Ziele zu setzen, die Organisation weiterzuentwickeln und sich den notwendigen Veränderungen anzupassen sowie eine konsequente Personalentwicklung zu betreiben. Foto: BS/vegefox.com, stock.adobe.com

Ein weiteres großes Ziel ist die Entwicklung der Behörde zu einer agilen Organisation. Neben der Schulung der Führungskräfte zum “Agilen Führen” sollen mit dem Projekt “Anderes Arbeiten im LAF” die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, das Amt als einen konkurrenzfähigen und attraktiven Arbeitgeber mit flexiblen und modernen Arbeitsplätzen, modernen Arbeitsformen, einer digitalen Aktenführung sowie einer modernen und kompatiblen Ausstattung mit Mobiliar und Technik weiterzuentwickeln. Dazu wird in der Zentralabteilung des Amtes ein eigenes Referat eingerichtet. Dies alles hat natürlich auch Auswirkungen auf das Personalmanagement, da viele Bereiche des Amtes betroffen sind. Nicht nur für die Führungskräfte

gibt es besondere Schulungen, sondern die Qualifizierung der Beschäftigten auf allen Ebenen nimmt einen besonderen Stellenwert ein, zumal in dem Amt ein überproportional hoher Anteil von Quereinsteigern tätig ist. Gerade auch die Diversität der unterschiedlichen Biografien und Bildungsabschlüsse, aber auch die verschiedenen Herkunftsländer der Beschäftigten bilden eine gute Chance für das Amt. Eine eingehende Potenzialbetrachtung und Potenzialentwicklung sind dabei selbstverständlich.

Anerkennung und positives Feedback All diese Aktivitäten bleiben nicht unbeachtet. Bei dem diesjährigen Berliner Verwaltungspreis der Senatskanzlei wurde das Amt in der Kategorie

Personalmanagement sogleich zweimal ausgezeichnet. Für die Konzeption “Transformation einer Sozialbehörde in eine agile, kundenzentrierte Organisation” erhielten die drei Abteilungsleiterinnen den zweiten Preis. Die Personalmarketingkampagne des Personalreferats “LAF is the key to diversity – interne Einführung von Diversity als ArbeitgeberWert” wurde mit dem dritten Preis ausgezeichnet. Auch die Beschäftigten des Amtes bewerteten das Agieren der Führung in einer Mitarbeiterbefragung zum Thema “Führungskultur im LAF” im Sommer 2021 in allen wesentlichen Punkten positiv oder überwiegend positiv. Gleichwohl stehen sowohl die Führungskräfte als auch alle übrigen Beschäftigten unter einer großen Arbeitsbelastung,

falls organisatorisch gegenzusteuern. Mit dem Aufbau eines Ankunftszentrums und veränderten Prozessen im Leistungsbereich sollen diese Herausforderungen bewältigt werden. Dies erfordert aber auch noch einmal enorme Kraftanstrengungen. “Das LAF hat in den vergangenen Jahren situationsbedingt eine Vielzahl von notwendigen Organisationsmaßnahmen ergreifen müssen, um handlungsfähig zu bleiben. Mein Ziel ist es, nach dieser Phase der Veränderungen einmal innezuhalten, damit für die Kolleginnen und Kollegen des Amtes die Ergebnisse dieser Prozesse positiv erlebbar werden”, beschreibt Straßmeir seine Erwartung für die Zukunft. “Change Management ist für eine Behörde unabdingbar, aber eine gewisse Konstanz ist auch notwendig.” Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich das Amt in den letzten Jahren insgesamt gut auf den Weg gemacht hat und ein gutes Beispiel dafür abgibt, was gute Führung bewirkt. Nach dem Grundsatz, dass eine Führungskraft im wahrsten Sinne des Wortes die Kraft haben muss zu führen, auch führen darf und führen will, geschieht die systemische Führung im Amt, zu der selbstverständlich auch die Entwicklung von Zielvereinbarungen mit messbaren Indikatoren gehört. * Senatsdirigent a. D. Udo Rienaß, leitete bis 2013 die Abteilung ZS der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin. Seit 2017 ist er Berater des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin.


Zahlen & Daten

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Behörden Spiegel / Januar 2022

Der Bundeshaushalt im Überblick (BS/lkm) Nach der Verabschiedung des Nachtragshaushaltes 2021 arbeitet die neue Bundesregierung am Etat für das kommende Jahr. Dabei kann sie auf ein ordentliches Steuerplus hoffen. Die Steuereinnahmen stiegen 2021 stark an und überschritten das Niveau vor der Corona-Krise. Zugleich ist der Anteil wichtiger Handlungsfelder am Gesamthaushalt über die Jahre gestiegen – insbesondere im Gesundheitsweisen und beim Umweltschutz. Die Vorgängerregierung plante für 2022 einen Haushalt mit rund 445 Milliarden Euro und einer Neuverschuldung von rund 100 Milliarden Euro. Bundeshaushalt 2021

Eckpunkte Bundeshaushalt 2022*

(Soll-Werte und monatliche Ist-Werte bis Oktober 2021 in Mrd.

(Angaben in Mrd. Euro)

Soll 2021

Ist 2021 (Stand bis Oktober 2021)

Ausgaben

Einnahmen

307,3

davon Steuereinnahmen

236,6

Finanzierungssaldo

-240,4

Gesamtausgaben

401,3

547,7

255,2

Neuverschuldung

443

99,7

284 Investitionen

-146,1

51,8

Im Gesamtjahr war das Defizit erheblich niedriger als geplant.

Deutliche Ausgabensteigerung beim Bund

Deutlicher Zuwachs in zentralen Handlungsfeldern

Gesamtaugaben des Bundes 2020

+ 489,4 %

Gesamtaugaben des Bundes 2005

325,9

+ 301,3 %

508,2

Mrd. Euro

+ 35,8 %

Mrd. Euro

2005

+ 55,9 %

2020

Ausgaben Umweltschutz

Ausgaben Soziale Sicherung

Ausgaben Gesundheitswesen

Steuerschätzung für den Bund (in Mrd. Euro) **

Geplante Neuverschuldung (in Mrd. Euro) **

Steuereinnahmen

Nettokreditaufnahme

305,4

328,4

345,5

395,5

372,4

385,5

240,2

130,5

99,7 12

5,4 2021

2022

2023

2024

2025

2026

Ist 2020

Soll 2020

Entwurf 2022*

Finanzplan 2023

11,8

Finanzplan 2024

Finanzplan 2025

Geplante Einnahmen und Ausgaben (in Mrd. Euro) ** Einnahmen und Ausgaben

547,7 443

441,8

403,4

407,6

408,5

Geplante Investitionen (in Mrd. Euro) ** Ausgaben für Investitionen

Ist 2020

Soll 2020

Entwurf 2022*

Finanzplan 2023

Finanzplan 2024

Finanzplan 2025

50,3

59,3

51,8

50,9

50,8

50,8

Ist 2020

Soll 2020

Entwurf 2022*

Finanzplan 2023

Finanzplan 2024

Finanzplan 2025

*Die Werte beziehen sich auf den am 23. Juni 2021 in den Bundestag eingebrachten Entwurf des Bundeshaushalts 2022 der alten Bundesregierung. Erfahrungsgemäß gibt es nach der Bundestagswahl einen zweiten Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2022.

Grafik: BS/Hoffmann unter Verwendung von julvektoria, stock.adobe.com; micromaniac86, stock.adobe.com; Nikolai Titov, stock.adobe.com; j-mel, stock.adobe.com; Sir.Vector, stock.adobe.com; Abdulloh, stock.adobe.com

** Laut Finanzplan des Bundes (2021 – 2025) der Vorgängerregierung

Quellen: BS/ Arbeitskreis Steuerschätzungen, Bundesfinanzministerium, Bundeswirtschaftsministerium, Destatis

© Behörden Spiegel


Finanzen/Beschaffung

Behörden Spiegel / Januar 2022

Behörden Spiegel: Welches Potenzial sehen Sie für eine nachhaltige Beschaffung? Ist das Maximum schon ausgereizt bzw. was gibt der Markt her? Dr. Ruth Brand: Das ist sehr stark von der Branche und innerhalb einer Branche auch vom konkreten Produkt abhängig. In einigen Bereichen sehen wir, dass der Markt bereits ein großes Angebot an nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen anbietet. Aber auch dieses kann aus unserer Sicht durchaus noch weiterentwickelt werden. Wir konnten ebenfalls feststellen, dass Markteinschränkungen bei den bisherigen Nachhaltigkeitsanforderungen kaum ersichtlich

Fordern, aber nicht überfordern Nachhaltigkeit bei Beschaffungen (BS) Die Beschaffung von nachhaltigen Leistungen muss nicht teurer als die von konventionellen sein, sagt Dr. Ruth Brand, Präsidentin des Beschaffungsamtes des BMI (BeschA). Im Interview erklärt sie, was ihr Amt in Sachen Nachhaltigkeit unternimmt. Die Fragen stellte Bennet Klawon. waren und daher die Ausweitung der Anforderungen möglich ist, oftmals allerdings abhängig von der jeweils zu beschaffenden Leistung. Hierbei muss darauf geachtet werden, dass der Markt zwar deutlich und nachdrücklich gefordert, aber nicht überfordert wird. Wichtig ist, dass die Forderungen an den Markt kommuniziert und mögliche Lösungen ggf. auch im Dialog forciert werden. Hier befindet sich das BeschA mit seinen Marktdialogen und den Gesprächen mit dem Bitkom e. V. auf dem richtigen Weg. Behörden Spiegel: Das Kaufhaus des Bundes (KdB) soll nach der “Weiterentwicklung des Maßnahmenprogramms Nachhaltigkeit” weiterentwickelt werden. Dazu sind zusätzliche Personalund Sachausstattungen geplant. Welche Ausstattung ist nötig und wie weit ist dieser Prozess?

Dr. Ruth Brand ist seit 2020 Präsidentin des Beschaffungsamtes des BMI (BeschA). Foto: BS/BeschA

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Brand: Die Weiterentwicklung der Funktionalitäten des KdB ist ein wesentlicher Teilaspekt

der Nachhaltigkeitsoffensive des BeschA. Wir sehen uns mit dem bereits im letzten Sommer beschlossenen Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit in unseren Bemühungen bestärkt. Hierin wurde die klare Stärkung der nachhaltigen Beschaffung und der verpflichtende elektronische Abruf aus nachhaltigen Rahmenverträgen für die gesamte Bundesverwaltung aufgenommen. Durch die neue Bundesregierung wurden wesentliche Teile des Maßnahmenprogrammes noch einmal im Koalitionsvertrag verankert, sodass das BeschA – um alle neuen, aber auch ausgeweiteten Aufgaben im notwendigen Maß ausfüllen zu können – mit einem entsprechenden Haushaltsansatz für diese Themen in dem zweiten Aufstellungsverfahren angetreten ist. Der Prozess der Haushaltsaufstellung 2022 läuft aktuell noch, sodass zu dem Erfolg und den sich hieraus realisierenden, konkreten Maßnahmen an dieser Stelle noch keine Aussage getroffen werden kann. Da es sich aber um einen

ganzheitlichen Ansatz handelt, ist eine isolierte Betrachtung der Teilmaßnahme des KdB in diesem nur schwerlich möglich. Vielmehr handelt es sich um ein synergetisches Zusammenwirken verschiedener Stellen im BeschA. Um ein konkretes Beispiel für das KdB aufzuführen, ist hier die Implementierung eines Nachhaltigkeitsmonitorings bezüglich der im KdB bereitgestellten Rahmenvereinbarungen und der aus diesen erfolgten Abrufen zu nennen. Behörden Spiegel: Die standardisierten Produkte und Dienstleistungen im KdB sollen auf Nachhaltigkeitsaspekte überprüft und die Rahmenverträge auf ausschließlich nachhaltige Angebote umgestellt werden. Von was für einem Umfang sprechen wir hier? Brand: Die Produkte und Dienstleistungen im KdB auf Nachhaltigkeitsaspekte zu überprüfen und umzustellen, kann sich nur auf zukünftige Rahmenvereinbarungen beziehen. Wir werden

möglichst bald in Abstimmung mit dem einzurichtenden Interministeriellen Ausschuss für nachhaltige öffentliche Beschaffung und den anderen zentralen Beschaffungsstellen die Umstellung der Produktgruppen systematisch angehen. Ziel muss es sein, möglichst für alle Standardprodukte, die den Behörden im KdB zur Verfügung gestellt werden, Nachhaltigkeitskriterien in die Ausschreibungen aufzunehmen und diesen auch eine entsprechende Rolle bei der Wertung der Angebote zukommen zu lassen. Eine exakte Zahl lässt sich naturgemäß zum jetzigen Zeitpunkt nicht angeben. Behörden Spiegel: Wie viel Mehraufwand erwarten Sie durch die Dokumentation über die Prüfung von Nachhaltigkeitsaspekten in Vergabevermerken sowie durch eine Begründungspflicht bei etwaiger Nichtberücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten? Brand: Der Aufwand für die Dokumentation und Begründung ist

abhängig von der Komplexität des Verfahrens und der Etablierung eines standardisierten Vorgehens. Es kann davon ausgegangen werden, dass Routine den für die Dokumentation notwendigen Aufwand tendenziell verringern wird. Demgegenüber steht ein deutlich höherer Zeitaufwand für die notwendige fachliche Prüfung und die Festlegung der zu berücksichtigenden Kriterien für eine Ausschreibung. Entsprechend ist hier eine Unterstützung durch zusätzliches Personal erforderlich. Insbesondere bei Branchen/ Produkten, in denen bisher noch keine Gütezeichen etabliert sind, ist die Prüfung auf mögliche Kriterien und die zielgerichtete und eindeutige Ausformulierung sehr aufwendig. Der Aufwand ergibt sich dadurch, dass zum einen festgelegt werden muss, welche Nachhaltigkeitskriterien inhaltlich zielführend sind (z. B. Energieeffizienz, soziale Aspekte, Recyc­lingfähigkeit etc.). Zum anderen muss geprüft werden, wie sich der Markt entwickelt hat und welche künftigen Entwicklungspotenziale und Marktanreize möglich und zielführend sind. Natürlich muss auch der vergaberechtliche Rahmen eingehalten werden. Dabei ist insbesondere auch darauf zu achten, dass Transparenz und Vergleichbarkeit der Angebote gewährleistet werden.

Nachhaltigkeit öffentlicher Finanzanlagen

Klimawandel und Schuldenbremse

Umdenken oder Greenwashing?

Klimaschutz muss mit regulären Haushaltsmitteln geleistet werden

(BS/lkm) Milliardenbeträge werden derzeit auf den Finanzmärkten in Unternehmen investiert, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Ausbeutung und der Nutzung fossiler Ressourcen beruht. Doch nachhaltiges Wirtschaften wird immer wichtiger. Viele sehen den öffentlichen Sektor beim Thema Nachhaltigkeit in einer Vorbildrolle. Die öffentliche Hand müsse dafür sorgen, dass die eigenen Anlagen nicht die eigenen Anstrengungen für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit untergrüben. Doch dies gelingt nicht immer.

(BS/Arne Schneider/Dr. Stephan Stüber*) Die Schuldenbremse gilt für den Bund seit 2016 und seit Beginn des Haushaltsjahres 2020 auch in allen Ländern. Es stellt sich die Frage, ob der Klimawandel eine Ausnahme von der Schuldenbremse zu rechtfertigen vermag.

Der Sustainable-Finance-Beirat (SFB) der Bundesregierung hob die Vorbildrolle des Staates für mehr Nachhaltigkeit im Finanzsektor hervor: Bund, Länder und Kommunen seien wichtige Standardsetzer, an denen sich private Emittenten orientierten. Die größte öffentliche Kapital­ anlage liegt bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Sie verwaltet die betriebliche Altersvorsorge von fast fünf Millionen Angestellten des Öffentlichen Dienstes in Höhe von von rund 47 Milliarden Euro. Kritiker bemängeln jedoch die fehlende Transparenz der VBL bezüglich ihrer Anlagestrategie und attestieren ihr eine “AlibiNachhaltigkeitsstrategie”. Zwar gebe der Geschäftsbericht der VBL Auskunft darüber, dass Gelder zu einem geringen Anteil in Aktien-, Immobilien- und Rentenfonds investiert würden. Doch der Großteil – fast 90 Prozent des Investitionsvermögens – werde in sogenannten Mischfonds angelegt. In welche Branchen und Unternehmen aber genau investiert werde und woraus sich die Anlagestrategie der Mischfonds zusammensetze, werde im Einzelnen nicht ausgewiesen, kritisiert die Bürgerbewegung Finanzwende. Percy Bischoff, Sprecher der VBL, erklärte auf Nachfrage, dass die VBL bereits dabei sei, die Transparenz bei ihrer Kapitalanlage weiter auszubauen. Die Kritiker bemängeln jedoch auch den Stellenwert, den die Nachhaltigkeit bei der Investmentstrategie der VBL habe. Zwar werbe die VBL mit Nachhaltigkeitskriterien, diese seien der Bürgerbewegung zufolge jedoch “völlig unzureichend”. So schließe die VBL lediglich Produzenten von Waffen aus ihrem Portfolio aus. Diese seien jedoch ohnehin durch die Vereinten Nationen geächtet. Investitionen in Kohle, Rüstung oder Kinderarbeit seien damit nicht ausgeschlossen. Aus einer Kleinen Anfrage vom September 2021 an die Bundesregierung geht beispielsweise hervor, dass die VBL 386 Millionen Euro in Kohle-

Unternehmen investiert hat. Die VBL weist diese Kritik jedoch als unberechtigt zurück. So würden auch Aktien und Anleihen im gesamten Portfolio der VBL ausgeschlossen, wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Emittenten schwere und systematische Verstößen gegen die Menschenrechte begingen oder die durch die Internationale Arbeitsorganisation definierten Kernarbeitsnormen verletzt. Darunter falle auch das Verbot der Kinderarbeit. Darüber hinaus habe der Verwaltungsrat der VBL Ende 2021 einen Ausschluss von Neuinvestitionen in Unternehmen beschlossen, die über ein überwiegend kohlebasiertes Geschäftsmodell verfügen. Bereits bestehende Investments in solche Unternehmen sollen bis Ende 2025 zurückgeführt werden. Blickt man auf den Bund und seine Vorhaben bezüglich Nachhaltigkeit, sieht es hier auf den ersten Blick gut aus. Die Bundesregierung hat sich zur Umsetzung des 1,5 °C-Ziels im Paris-Klimaabkommen und zur Erreichung der Sustainable Development Goals verpflichtet. Auch das Bundesfinanzministerium verfolgt in seiner “Sutainable-Finance-Strategie” das Ziel, “Deutschland zu einem führenden Sustainable-FinanceStandort auszubauen”. Der Bürgerbewegung Finanzwende zufolge spiegele sich dieser Enthusiasmus für nachhaltige Anlagen jedoch nicht in der tatsächlichen Anlagestrategie der Bundesregierung wider. Auch eine Studie des Frankfurter Unternehmens right.based on science in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung Berlin kommt zu dem Schluss, dass die Anlagepolitik der öffentlichen Hand die Anforderungen des SFB zum Stand vom 31. Dezember 2018 nicht erfüllt habe. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Erderwärmung bis 2050 wahrscheinlich um vier Grad Celsius steigen würde, wenn alle Unternehmen weltweit so wirtschafteten wie jene in den staatlichen Aktiendepots.

In ihrer im Mai 2021 veröffentlichten Sustainable-Finance-Strategie hat die Bundesregierung jedoch angekündigt, für die Versorgungsrücklagen des Bundes das beschlossene Nachhaltigkeitskonzept durch Aktienanlagen in Nachhaltigkeitsindizes zeitnah umzusetzen und die Aktieninvestments schrittweise in zwei Nachhaltigkeitsindizes umzuschichten. Die Fonds und Rücklagen des Bundes hatten im August 2021 laut Deutscher Bundesbank ein Gesamtvolumen von rund 47,4 Milliarden Euro. In den Portfolios der Sondervermögen des Bundes sind laut Bundesregierung bereits seit Ende September 2019 keine Aktien von Unternehmen mehr enthalten, die Kernkraftwerke betreiben. Dies könnte sich nun ändern. Die EU will zukünftig auch Atomkraft und fossiles Gas als nachhaltig klassifizieren. Aufgrund der Endlagerproblematik ein Vorhaben, das auf viel Kritik stößt.

Absichtserklärungen statt echter Strategie Kritikern greifen die Maßnahmen aus der Sustainable-FinanceStrategie des Bundes zudem zu kurz. Die Strategie sei eine Reihe an wenig verbindlichen Absichtserklärungen, vergleichbar mit den Selbstverpflichtungen, zu denen sich Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit oft verpflichteten. Hier stehe infrage, inwieweit es sich dabei um echtes Umdenken oder eher um Greenwashing handelt. Im Juli 2020 unterzeichneten 16 Akteure des deutschen Finanzsektors eine Selbstverpflichtung zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens. Teile der Selbstverpflichtung würden jedoch kaum über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen. Unter den Erstunterzeichnern befindet sich zudem nur ein öffentliches Institut. Im Dezember 2020 präsentierten auch die Sparkassen eine eigene Selbstverpflichtung für nachhaltiges Wirtschaften. Öffentliche, messbare Kriterien würden jedoch bislang fehlen, so die Bürgerbewegung Finanzwende.

Der Klimawandel stellt keine “Naturkatastrophe” im Sinne der Schuldenbremse dar. Die Ausnahmeregelung soll die Handlungsfähigkeit des Staates bei der Krisenbewältigung gewährleisten. Damit ist eine akute Krisenbewältigung gemeint. Dies folgt daraus, dass der Grundgesetzgeber unter Naturkatastrophen “in Orientierung an die Rechtslage bei der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß, die durch Naturereignisse ausgelöst werden (z. B. Erdbeben, Hochwasser, Unwetter, Dürre, Massenerkrankungen)” verstanden hat. Soweit der Klimawandel bereits zu Schädigungen von erheblichem Ausmaß führt, wie z. B. der Starkregen im Sommer 2021 im Westen Deutschlands, stellen die daraus entstandenen Hochwasser eine Naturkatastrophe dar. Bezogen auf solche konkreten Schäden ist diese Tatbestandsvoraussetzung der Ausnahmevorschrift zur Schuldenbremse also bereits erfüllt, ohne dass es auf eine Kausalbeziehung zum Klimawandel ankommt. Aufgrund des Klimawandels gibt es aber keine unmittelbar drohenden Gefahrenzustände von erheblichem Ausmaß. Zwar werden höhere Durchschnittstemperaturen, stärkere Winde, Dürre, auch weitere Starkregen und andere extreme Wetterphänomene erwartet, die auch Auswirkungen auf Deutschland haben werden. Diese stehen aber nicht im Sinne der Gesetzesbegründung “unmittelbar bevor”, sondern sind in einem zeitlichen und zum Teil auch räumlichen Abstand zu erwarten, oder ihr Ausmaß ist noch nicht so erheblich, dass sie nicht mit den in den Haushaltsplänen zur Verfügung stehenden Mitteln abgewehrt werden können. Auch stellt der Klimawandel keine außergewöhnliche Notsituation dar. Die Begründung zur Grundgesetzänderung führt aus, dass andere außergewöhnliche Notsituationen beispielsweise besonders schwere Unglücksfälle im Sinne des Art. 35 Abs.

2 Satz 2 und Abs. 3 oder eine plötzliche Beeinträchtigung der Wirtschaftsabläufe in einem extremen Ausmaß aufgrund eines exogenen Schocks sein können. Der Klimawandel stellt weder einen schweren Unglücksfall noch eine plötzliche Beeinträchtigung der Wirtschaftsabläufe in einem extremen Ausmaß dar. Der Grundgesetzgeber hat die Notsituationen durch drei Kriterien eingegrenzt, die gleichzeitig erfüllt sein müssen: Die Notsituation muss außergewöhnlich sein, ihr Eintritt muss sich der Kontrolle des Staates entziehen und sie muss den Haushalt erheblich beeinträchtigen. Der Klimawandel ist schon keine “Notsituation”. Derzeit kann nicht unterstellt werden, dass der über das übliche Maß hinausgehende Klimawandel bisher zu einer in großem Ausmaß stattfindenden Verwerfung des gesellschaftlichen Normalzustands geführt hat. In der Föderalismuskommission II bestand Konsens, dass die Ausnahmeregel “nicht ein Einfallstor für unbegrenzte Kreditaufnahme” sein darf. Eine Notsituation ist ein plötzlich auftretendes Ereignis, das zeitlich begrenzt, also irgendwann auch wieder vorbei ist, auch wenn es lange Nachwirkungen haben mag. Entwicklungen, die lange absehbar sind, stellen keine außergewöhnliche Notsituation dar. Zudem müsste sich die Naturkatastrophe oder die Notsituation der Kontrolle des Staates entziehen. Naturkatastrophen entziehen sich schon begrifflich der Kontrolle des Staates. Notsituationen können nur gemeint sein, wenn diese schon in der (in der Regel kürzeren) Vergangenheit aufgetreten sind, ggf. in der Gegenwart andauern. Denn je weiter eine Notsituation Auswirkungen in der Zukunft zeitigt, desto eher können sich politische Entscheidungen im Allgemeinen und Haushaltsplanungen im Besonderen auf diese Entwicklung einstellen, also kontrollierbar werden. Mit den gegenwärtigen Maßnahmen zum Schutz des Klimas muss nicht auf akut

aufgetretene Schäden reagiert werden, sondern wird die Absicht verfolgt, künftige Schäden durch präventive Maßnahmen sowie eine Transformation der Wirtschaft und des Verhaltens der Menschen abzuwenden. Bei diesen Klimaschutzmaßnahmen wird davon ausgegangen, noch etwas ändern und bewirken zu können, also Kontrolle zu behalten bzw. wiederzuerlangen. Die Herausforderungen des Klimawandels beeinträchtigen schließlich nicht die staatliche Finanzlage erheblich. Dieses Erfordernis bezieht sich auf den Finanzbedarf zur Beseitigung der aus einer Naturkatastrophe resultierenden Schäden und etwaigen vorbeugenden Maßnahmen. Gleiches gilt zur Bewältigung und Überwindung einer außergewöhnlichen Notsituation. Unbestritten ist, dass der Klimawandel und die deshalb erforderliche Transformation der Wirtschaft sowie des Verhaltens der Menschen viel Geld kosten werden. Das ist aber bei anderen gesellschaftlichen Herausforderungen, wie der der Migration, der Sicherstellung der inneren, äußeren und sozialen Sicherheit sowie der Atommüllentsorgung, auch der Fall. Der Finanzbedarf entsteht nicht – wie bei einem plötzlich auftretenden Schadensfall – abrupt, sondern in einem mittelfristigen Zeitraum. Es ist gerade Aufgabe von Haushaltsplanung, die verschiedenen Bedarfe mit den regelmäßig zur Verfügung stehenden Finanzmitteln zum Ausgleich zu bringen. *Arne Schneider leitet in der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg das Amt für Haushalt und Aufgabenplanung. Dr. Stephan Stüber ist in diesem Amt als Abteilungsleiter zuständig für Haushaltssteuerung. Der Aufsatz gibt ihre persönliche Auffassung wieder. Die ausführliche Fassung dieses Beitrags ist mit dem Titel “Klimawandel als Ausnahme von der Schuldenbremse?” in der Fachzeitschrift “Die öffentliche Verwaltung” im September 2021 erschienen.


Beschaffung / Vergaberecht

Seite 8

Der Beschaffungsbeschleuniger

Behörden Spiegel / Januar 2022

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Leistungsbeschreibung auf Knopfdruck (BS/Matthias Berg*) Die neue Ampelkoalition hat ambitionierte Pläne für Bildung und Wissenschaft – der Digitalpakt 2.0 kommt. Der bisher äußerst zögerliche Mittelabruf soll beschleunigt und entbürokratisiert werden. Die Herausforderung des Digitalpakts ist nicht, ob genug Geld da ist oder nicht.

Einfacher, professioneller, digitaler, schneller

Die Crux mit der LB Ein großer Zeitfresser sind die produkt- und anbieterneutralen Leistungsbeschreibungen (LB), die Kernstück jeder Ausschreibung sind. Oft fehlt es den öffentlichen Auftraggebern an Fachleuten mit der Kombination aus Produkt- bzw. Technikexpertise und / oder juristischem Know-how, denn eine adäquate und vergaberechtskonforme Leistungsbeschreibung muss beides verbinden. So entstehen teils tage- und wochenlange Abstimmungsprozesse in den Häusern, was die Fertigstellung der Ausschreibungsunterlagen enorm in die Länge zieht und somit die Beschaffung dringend benötigter Produkte hemmt. Gerade in kleineren Kommunen oder in geförderten Projekten

Zoo-Umbau zu teuer Eigenmittel reichen nicht aus

Nach aktuellem Stand hat Bildungsministerin a. D. Anja Karliczek 6,5 Milliarden Euro von oben ins System digitale Schule gegeben – aber abgeflossen sind bundesweit nur rund 15 Prozent. Wenn man die Sachaufwandsträger fragt, “hätten Sie gerne weitere sechseinhalb Milliarden?”, dann würde man vermutlich hören: Mehr von demselben hilft nicht. Der Mittelabfluss muss begünstigt werden und dazu braucht es neue Ansätze.

Die Politik und die öffentliche Hand selbst haben sich klar das Ziel der Digitalisierung gesetzt: Besser werden, transformieren, nicht abgehängt werden. Um dies zu erreichen, ist es ein Anliegen der Ampel-Koalition, die öffentlichen Vergabeverfahren zu vereinfachen, zu professionalisieren, zu digitalisieren und zu beschleunigen. Die Bundesregierung möchte die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten und die Verbindlichkeit stärken, ohne dabei die Rechtssicherheit von Vergabeentscheidungen zu gefährden oder die Zugangshürden für den Mittelstand zu erhöhen. Klingt erst mal komplex – denn dazu müssen auch Prozesse und Tools überdacht werden. Es braucht also Innovationen und die richtigen Lösungen für die aktuellen Herausforderungen.

► FÖRDERQUOTE

Die Leistungsbeschreibung ist das A und O jeder Ausschreibung und damit auch am fehleranfälligsten. Doch das muss nicht sein. Foto: BS/WoGi, stock.adobe.com

zur Digitalisierung ist die Not zur Prozessoptimierung groß, da Routinen und Erfahrungen häufig fehlen. Mittlerweile gibt es innovative Unternehmen, die dem öffentlichen Sektor die Beschaffung erleichtern möchten. So hat sich das Münchner Unternehmen GovRadar aufgemacht, eben jene Leistungsbeschreibungen über eine Software quasi auf Knopfdruck zu erstellen. Da die Daten auf Basis einer umfangreichen, regelmäßig aktualisierten Datenbank von Referenzprodukten mit Hunderttausenden von Artikeln generiert werden, ist eine Produkt- und Anbieterneutralität jederzeit gegeben. Dabei werden die Anforderungen noch in Echtzeit mit dem verfügbaren Marktangebot abgeglichen und es wird ein einfacher, schneller und anonymer Marktabgleich durchgeführt. Diese einzigartige Funktionalität verhindert markt­ untypische Leistungsbeschreibungen, sichert eine Mindestanzahl an Angeboten und sichert vergaberechtliche Vorgaben ab. Um einen besseren Mittelabfluss zu gewährleisten und die Schulen und Kommunen nach vorne zu bringen, braucht es noch eine Vielzahl innovativer Lösungen und innovative Vorreiter aus dem öffentlichen Bereich, die diese Tools nutzen.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen

*Matthias Berg leitet das Kompetenzzentrum innovative Beschaffung (KOINNO).

Save the Date Mehr dazu gibt es in der vierteljährlichen Webinar-Reihe “Beschaffung neu gedacht”. Der nächste Termin findet am 22. Februar 2022 statt. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.fueherungskraefte-forum. de, Suchwort “neu gedacht”.

MELDUNG

5.000 Euro Preisgeld ausgelobt

(BS/jf) Auch in diesem Jahr sollen junge Akademiker, die sich wissenschaftlich mit dem Vergaberecht auseinandersetzen, gefördert werden. Dazu hat der Verein forum vergabe e. V. auch in diesem Jahr wieder den International Public Procurement Award (IPA) ausgelobt. Bewerben können sich junge Akademikerinnen und Akademiker bis zu 35 Jahren, die ihre Habilitationsschrift, Dissertation, Diplomarbeit, Master-Arbeit oder Monografie zwischen dem 01.10.2020 und den 31.03.2022 fertiggestellt und sich in ihren Werken mit nationalen, europäischen oder internationalen Vergabethemen befasst haben. Die Bewerbungsfrist für den 2004 vom forum Vergabe e. V. und der Ministerialdirigentin a. D. Dr. Brigitte Krause-Sigle ins Leben gerufene IPA endet am 31.03.2022. Anschließend wird eine international besetzte Jury unter dem Vorsitz der ­Vorstandsvorsitzenden des forums vergabe, der Ministerin für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz, Daniela Schmitt, die Gewinnerin oder den Gewinner küren. Der mit 5.000 Euro dotierte IPA wird im Rahmen der “forum vergabe-Gespräche” in Fulda im September 2022 vergeben. Die Gewinner erhalten im Rahmen dieser Veranstaltung die Möglichkeit, die wesentlichen Ergebnisse ihrer Arbeit vor den Teilnehmern aus Staat, Wirtschaft, Wissenschaft, Anwaltschaft und vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen vorzustellen. Weitere Informationen unter: www.tinyurl-com/IPA2022

Für die Umgestaltung des Zoologischen Gartens war ein Masterplan ausgearbeitet worden, der Investitionen von rund 60 Millionen Euro in den kommenden zehn Jahren vorsieht. Als erstes Projekt dieses Planes soll mit einer Bauzeit von vier Jahren eine neue Tropenhalle errichtet werden. Die Stadt wird an die privatrechtliche Zoogesellschaft vier Mal je fünf Millionen Euro Zuschuss zahlen. Die Baukosten der Halle werden auf 21 Millionen Euro veranschlagt. Über die Vergabe des Auftrages zur Errichtung eines Folienkissendachs für diese Halle entsteht eine Auseinandersetzung, in deren Verlauf ein Bieter die Nachprüfung beantragt. Ist dies überhaupt zulässig? Dazu muss geklärt werden, ob die Zuschüsse mehr als die Hälfte der Kosten betragen. Die Vergabekammer Westfalen nimmt nicht den Masterplan, sondern das konkrete Bauprojekt Tropenhalle zum Maßstab der Beurteilung. Ob der Masterplan so verwirklicht werden wird, steht zunächst in den Sternen. Das Einzige, was erkennbar umgesetzt wird, ist die Tropenhalle. Diese Halle, das zeigen die Unternehmensdaten der Zoogesellschaft, kann unmöglich aus deren Eigenmitteln finanziert werden. Vielmehr wird allein diese Halle den gesamten Förderbetrag von 20 Millionen Euro aufbrauchen. Nur so wird der Zoo in der Lage sein, die Bauhandwerker der Halle überhaupt zu bezahlen. Nach funktionaler Betrachtung sind also die vier Tranchen zu je fünf Millionen Euro komplett dem aktuellen Bauprojekt zuzuordnen, welches daher mit weit mehr als 50 Prozent der Kosten bezuschusst wird. Der Zoo ist demnach funktionaler öffentlicher Auftraggeber. Der Bieter hat mit seiner Nachprüfung Erfolg. VK Westfalen (Beschl. v. 05.05.2021, Az.: VK 1-10/20)

► KONZESSION

Strand-Café war vermietet Es fehlt die Beschaffungsabsicht Im Jahr 2012 hat die Vergabestelle einer Kommune den Betrieb eines Cafés am Strandbad ausgeschrieben. In der Ausschreibung war dies als “Dienstleistungskonzession” bezeichnet. Der Vertrag hingegen trug den Titel “Mietvertrag”. Er wurde seinerzeit auf ein Jahr geschlossen und mehrfach um jeweils ein Jahr verlängert. Im Jahr 2020 entschlossen sich die Vertragsparteien, den Vertrag um weitere 20 Jahre zu verlängern, mit einer Option für die Mieter von zusätzlichen zehn Jahren. Ein anderer Gastronom, der durch die Corona-Krise in Schwierigkeiten gekommen war, sah hier für sich die Chance auf einen Neuanfang: Er bemängelte die Verlängerung dieser vermeintlichen Konzession, die angesichts der Dauer den recht hohen EU-Schwellenwert überschreiten würde. Seine Nachprüfung blieb erfolglos. Das OLG bewertet nach Beweisaufnahme den fraglichen Vertrag als Mietvertrag, der nicht dem Vergaberecht unterliegt. Die wörtlichen Bestimmungen des Vertrages scheinen oberflächlich für eine Betriebspflicht zu sprechen und für die Absicht der Vergabestelle, die

Versorgung der Badegäste zu beschaffen. Bei näherem Hinsehen ist dem aber nicht so. Bei Vertragsschluss 2012 existierte nämlich ein Kiosk am Strand, der zur Versorgung vorgesehen war, worauf ausdrücklich im Mietvertrag hingewiesen war. Auch lag keine hinreichende Betriebspflicht vor: Einerseits erfasste sie nur zwei Monate im Jahr, andererseits war nicht definiert, was der Mieter in dieser Hauptsaison leisten müsse. Ohne Versorgungsauftrag und ohne Betriebspflicht fehlen aber wesentliche Bestandteile einer Konzession. OLG Schleswig (Beschl. v. 16.09.2021, Az.: 54 Verg 1/21)

► VERGABEBERATUNG

Beachtung des GWB Rechtstreue darf kein Malus sein Auf die Ausschreibung von Unterstützungsleistungen für die Vergabestelle bei komplexen Vergabeverfahren hatte sich eine Reihe von Bietern beworben, die jeweils zu einem Fachgespräch eingeladen wurden. Das Gespräch mit einem der Bieter nahm einen ungewöhnlichen Verlauf, der zwischen den Beteiligten strittig ist. So kritisiert der Bieter im Zuge der Nachprüfung der Zuschlagsentscheidung, dass das Protokoll des Gespräches nicht mit dem tatsächlichen Verlauf übereinstimme. Insbesondere seien komplexe juristische Fragestellungen aufgeworfen worden, obwohl die Beratung ausdrücklich keine Rechtsberatungsleistungen enthalten sollte. Der Vergabekammer ist vor allem eine Bewertung besonders aufgefallen. Dort hieß es sinngemäß, der Bieter verhalte sich nicht kundenorientiert, wenn er den Auftraggeber im Zuge seiner Beratungstätigkeit deutlich darauf hinweisen wolle, dass das Vergaberecht einzuhalten sei. Schließlich müssten auch politisch wichtige Aspekte des Ministeriums beachtet werden. Die Vergabestelle hätte zwar wohl noch den beabsichtigten Umgangston des Bieters (“harsches Auftreten”) kritisieren dürfen. Das Bemühen um Einhaltung des Vergaberechtes negativ zu bewerten, sei angesichts der Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz eine offensichtlich sachfremde Erwägung in der Beurteilung, heißt es im Beschluss der Vergabekammer. Dies allein genügt, um eine Wiederholung der Fachgespräche anzuordnen, wobei dann auch die weiteren Kritikpunkte beachtet werden müssen. VK Baden-Württemberg (Beschl. v. 05.08.2021, Az.: 1 VK 37/21)

► ZERTIFIKAT

Keine Täuschung

Mail-Signatur stört nicht Für die Sammlung von Alttextilien verlangte der Auftraggeber von den Bieten eine Reihe von Eignungsnachweisen. Der preisgünstigste Bieter war in Branchenkreisen aufgefallen, weil er in mehreren Kommunen einige Jahre zuvor eine mangelhafte Leistung erbracht hatte. Dennoch wolle der Auftraggeber ihm den Zuschlag erteilen. Dies führte zu einem Nachprüfungsantrag des Zweitplatzierten, der meinte, aufgrund der bekannten Schlechtleistungen hätte der Bestbieter ausgeschlossen werden müssen. Im Zuge der Akteneinsicht bemerkt der Antragsteller, dass in der Fußzeile der E-Mail des Bestbieters eine

Zertifizierung des Fachverbandes Textilrecycling ausgewiesen ist. Das stelle eine Täuschung des Auftraggebers dar, denn es sei bekannt, dass die Zertifizierung des Bestbieters zum Angebotszeitpunkt nicht mehr bestanden habe. Die Vergabekammer stört sich an dieser falschen Fußzeile nicht. Eine Täuschung des Auftraggebers, die zu einer unrichtigen Vergabeentscheidung hätte führen können, liegt nicht vor. Denn der Auftraggeber hatte dieses Zertifikat nicht verlangt. Weil es nicht verlangt war, durfte es auch nicht in die Wertungsentscheidung eingehen. Es kann also nicht der Grund dafür sein, dass dieser Bieter trotz bekannter Schlechtleistungen bezuschlagt werden sollte. Dennoch seien die Bieter gewarnt: Wenn die fragliche Zertifizierung in die Wertung eingehen soll, kann ein solcher Hinweis auf ein inzwischen obsoletes Zertifikat in der Standard-E-Mail-Signatur oder im Briefpapier durchaus zum Ausschluss führen! VK Baden-Württemberg (Beschl. v. 07.04.2021, Az.: 1 VK 7/21)

► ZEITDRUCK

Fünf Jahre ist nicht ­kurzfristig Dringlichkeit selbst verschuldet Im Jahr 2018 wurde das analoge Telefonnetz im Bereich des Auftraggebers abgeschaltet. Seitdem laufen alle Telefonverbindungen digital über IPAdressen. Das stellt ein Problem für die mehreren hundert Abwasser-Pumpstationen dar, die der Auftraggeber betreibt. Sie sind nämlich über herkömmliche Telefonleitungen an die Steuerungstechnik der Leitstelle angebunden. Deswegen entschloss sich der Auftraggeber seinerzeit, eine Technik einzuset-zen mit einer IP-gestützten Datenübertragung, aber mit eingehendem analogen Signal. Diese Technik stellt nach Mitteilung seines Telekommunikationsdienstleisters nur eine Übergangslösung dar, die nach einigen Jahren durch echte IPLösungen ersetzt werden müsse. Spätestens dann müsse auch neue Steuerungstechnik verbaut werden, die mit digitalen statt analogen Signaleingängen funktioniert. Im März 2021 beauftragt der Auftraggeber seinen Bestandsdienstleister ohne Ausschreibung mit der Umstellung auf IP-Technik. Er begründet dies damit, dass in der Kürze der verbleibenden Zeit kein anderer technisch geeigneter Anbieter diesen Auftrag werde bewältigen können, weil sich jeder andere erst in die Anforderungen einarbeiten müsse. Dafür reiche die Zeit nicht mehr. Auf Antrag eines Konkurrenten erklärt die Vergabeklammer den Zuschlag für nichtig. Es zeigte sich nämlich, dass auch der Bestandsdienstleister nicht garantieren konnte, rechtzeitig bis zum 31.12.2022 fertig zu werden. Zum anderen könne sich der Auftraggeber nicht auf Dringlichkeit berufen, wenn er drei Jahre gezögert hat, bevor er die Umstellung in Angriff nahm. VK Lüneburg (Beschl. v. 23.06.2021, Az.: VgK-19/2021)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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Organigramm

Behörden Spiegel / Januar 2022

Seite 9

Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein Brunswiker Str. 16-22 24105 Kiel Telefon 0431/988-0 Telefax: 0431/988-2533 E-Mail: poststelle@bimi.landsh.de

Stabsstelle Datenschutzbeauftragte im MBWK und die der Abt. III 4 nachgeordneten Dienststellen, für die öffentl. Schulen und das IQSH Torsten Mai, III DSB -2452 Stabsstelle Interne Revision Stephan Müller, III IR -2292

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein Stand: Januar 2022

Beauftragter für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus Peter Harry Carstensen Geschäftsstelle: Helge-Fabien Hertz, III 438 -2324

Ministerin Karin Prien Staatssekretärin Bildung Dr. Dorit Stenke

Staatssekretär Wissenschaft und Kultur Dr. Oliver Grundei

Foto: BS/ © Frank Peter

III MB Büro der Ministerin und der Staatssekretäre III LMB Leiterin des Büros der Ministerin und der Staatssekretäre Imke-Dorothea Baumgardt III PS Pressesprecher David Ermes

Projektgruppe Lehrkräftegewinnung Projektgruppe Landesprogramm Digitale Schule (Einheitliche Schulverwaltungssoftware, Schulportal Schleswig-Holstein)

-5812 -5805

III KSt Koordinierungsstelle und Bundesrat III KSt Leiter der Koordinierungsstelle Hauke Linning

-5810

Stephan Hohbein, III SVS L -2506

Abteilung III 1

Abteilung III 2

Allgemeine Abteilung

Jana Behrens

Bildungspolitische Querschnittsaufgaben, Lehrkräftenachwuchs, Lehrkräftepersonalverwaltung -2202

III 10 Organisation, Innerer Dienst Birgit Rixen

-2571

III 11 Personal der Allgemeinen Verwaltung Bernd Christ

-2391

III 12 Haushalt, Controlling Mark Jürgensen

-2286

III 13 Dienst- und Disziplinarrecht, Prozesse Michael Stotz

-2214

III 14 IT-Management, Landesnetz Bildung Janina Andresen

-2211

III 15 Rechtliche Grundsatzangelegenheiten der Digitalisierung der Schulen, Förderprogramme zur Digitalisierung der Schulen Dr. Sönke Gantz

-2279

Dr. Gabriele Romig

-2205

III 20 Ganztagsschulen, Schulsozialarbeit, schulische Assistenz, schulpsychologischer Dienst, Schulträgerschaft Landesförderzentren Dr. Heide Hollmer

2501

III 21 Integration, MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung), Demokratie- und Europabildung und Lehrkräfte an Schulen in freier Trägerschaft Ulrike Hensel

-2416

III 22 Ressourcencontrolling, Statistik, Prognosen im Schulbereich, Portal zur Unterrichtserfassung in Schleswig-Holstein (PUSH), Zusammenarbeit von Land und Schulträgern, Schulbauförderung, Schulentwicklungsplanung Jens Popken

-2503

II 23 Personalreferat schulamtsgebundene Schulen und Deutsche Schulen in Nordschleswig, Landesförderzentren Kommissarische Leitung Frank Oltmann

2321

III 24 Personalreferat Lehrkräfte an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe, Registraturen Lehrerpersonal Helge Tonnus

-2315

III 25 Lehrkräftegewinnung Frank Oltmann

III HPR (L) Hauptpersonalrat Lehrkräfte Christiane Petersen -2565 III HPR (V) Hauptpersonalrat Verwaltung Tatjana von Berckefeldt

-2287

-2321

Martin Zacharias -2569 III HSV (V) Hauptvertrauensperson der Menschen mit Behinderung (Verwaltung) Michaela Ziesmann -2357 III HSV (W) Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen (Wissenschaft) Joachim A. Rahn 0431/880-2796

III HPR (W) Hauptpersonalrat Wissenschaft Bert Schinkel-Momsen 0431/880-2771

III GB/M Gleichstellungsbeauftragte Ministerium Martina Fey -2413

III SV Vertrauensperson der Menschen mit Behinderung -2357 Michaela Ziesmann

III GB/B Gleichstellungsbeauftragte Schulen, IQSH Regine Plate -2345

III HSV (L) Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Lehrkräfte

Alexander Kraft

-2203

III 30 Grundschulen und Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe, Berufsorientierung

Abteilung III 4

Susanne Bieler-Seelhoff

-2353

III 32 Gymnasien, Prüfungsamt für Lehrerinnen und Lehrer Sieglinde Huszak

-2241

-2311

III 34 Oberste Schulaufsicht SHIBB mit Berufsbildenden Schulen, Übergang Schule Beruf, Berufsorientierung Jan Nissen

-2513

III 35 Schulische Qualitätsentwicklung und Bildungsmonitoring, Fachaufsicht Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (Bereich Qualitätsentwicklung) Dr. Désirée Burba

-2562

III 36 Schulartübergreifende Schulaufsichtsangelegenheiten, Personalentwicklung für schulische Führungskräfte -2521

III 37 Schulgesetz, Grundsatzangelegenheiten des Schulrechts, Schulrechtliche Angelegenheiten der allgemeinbildenden Schulen und der Förderzentren Christian Philipp Peters

-2294

III 38 Schulen in freier Trägerschaft, Schulrechtliche Angelegenheiten der berufsbildenden Schulen und Regionale Berufsbildungszentren, Minderheitenförderung Hauke Grundmann

-5704

III 40 Kulturelle Infrastruktur

-2347

Friederike Kampschulte

-5844 Dr. Daniela Heinemann

nicht besetzt

-5848

III 42 Kulturelles Erbe

-5823 III 52 Forschung

-5840

Sigrid Hemming

-5847

-2563

III 51 Universitäten, Künstlerische Hochschulen, Studienstrukturen nicht besetzt

III 43 Kulturentwicklung und Religionsangelegenheiten Dr. Philipp Salamon-Menger

-5702

III 50 Hochschul- und wissenschaftspolitische Grundsatzfragen, Qualitätssicherung

III 41 Kulturelle Bildung

Dr. Philip Seifert

III 33 Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe, Auslandsschulwesen Dörte Nowitzki

Wissenschaft

-2534

III 31 Förderzentren, Sonderpädagogische Förderung, Inklusion Dagmar Lorenzen

Abteilung III 5

Kultur

Dr. Ulrike Pluschke Hans Stäcker

Silke Kurda

Personal-/Schwerbehindertenvertretungen / Gleichstellungsbeauftragte III ÖPR Personalrat Ministerium Regina Fiß -2557

Abteilung III 3

Schulgestaltung und Schulaufsicht allgemein- und berufsbildende Schulen, Förderzentren, Qualitätssicherung

-5831

III 53 Fachhochschulen, Hochschulpersonal, studentische Angelegenheiten, Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht besetzt

-5827

III 54 Hochschulmedizin Arnd Weber

-5834

III 55 Hochschul- und Forschungsbauten; Strategische Bauentwicklungsplanung Dr. Anja Franke Schwenk

-4832

III 56 Hochschulgesetzgebung, Hochschulkapazitäten und Hochschulzulassung, Nachrichtenblatt Hochschule Christin Hartwig

-5750

III 57 Technologietransfer, Digitalisierung und Wissenschaftsstatistik, EFRE Dr. Bernd Roß

-5821


Diplomaten Spiegel

Seite 10

P

eking sieht Deutschland nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch als einen Schlüsselpartner in Europa. Es gibt also viel zu tun für seinen Botschafter bei uns. Seit März 2019 ist das in Berlin Wu Ken. Der 60-Jährige ist ein “erfahrener Fahrensmann”, der, einschließlich eines Studiums in Frankfurt, bis heute 18 Jahre oder die Hälfte seines beruflichen Lebens hierzulande, in Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden verbringt.

Respekt gehört zur Völkerverständigung Ein Gespräch mit dem Botschafter Chinas in Berlin Wu Ken (BS/ps) Deutschland und die Volksrepublik (VR) China haben seit 1972 vielfältige diplomatische Beziehungen von beachtlicher politischer Subs­ tanz. Mit 212 Milliarden Euro war es 2020 zum fünften Mal unser wichtigster Handelspartner. Bei internationalen Krisen und globalen Herausfor­ derungen, wie der Covid-19 Pandemie oder dem Klimawandel, kommt der bilateralen Zusammenarbeit und Abstimmung eine große Bedeutung zu.

Rezept der Botschaft Pekingente

Die bilaterale Beziehungen: China und Europa “Ich kann daher sagen, dass ich mich mit Deutschland und Europa in besonderer Weise verbunden fühle. Was meinen Eindruck von der EU und den chinesisch-europäischen Beziehungen rückblickend wohl am stärksten geprägt hat, sind zwei Veränderungen: Zum einen der riesige Wandel, den der europäische Integrationsprozess mit dem Binnenmarkt, dem Schengenraum und der Eurozone mit sich gebracht haben. Eine weitere große Veränderung ist die Geschwindigkeit, mit der sich die chinesisch-europäischen Beziehungen entwickeln. Das zeigt sich schon allein am Beispiel der Wirtschafts- und Handelszusammenarbeit. Mit einem bilateralen Handelsvolumen von annähernd 650 Milliarden US-Dollar war China im Jahr 2020 erstmals der größte Handelspartner der EU. Der beiderseitige Handel erreicht heute alle zwei Tage fast das Volumen des ganzen Jahres in den Anfangszeiten der ChinaEU-Beziehungen.” “Gleichzeitig gibt es zwei große Konstanten“, so Botschafter Wu weiter: “Zum einen bestehen nach wie vor keine substanziellen Interessenkonflikte oder geopolitischen Spannungen zwischen China und Europa. Zum anderen betrachtet China die Beziehungen zur Europäischen Union nach wie vor aus strategischer Warte. China unterstützt seit jeher die strategische Souveränität der EU, damit Europa eine größere Rolle auf der internationalen Bühne spielt.” Unsere bilateralen Beziehungen gelten, von Beginn im Jahre 1972 an, als gut, fest und vielfältig. Aus “Partnern mit globaler Verantwortung” wurden “strategische” bzw. “umfassende strategische Partner”. China ist seit fünf Jahren in Folge unser größter Handelspartner weltweit und wir sind seit geraumer Zeit der wichtigste Chinas in der EU. Dennoch gibt es Meinungsunterschiede bei den Menschen- und Freiheitsrechten oder der Geltung internationalen Rechts. “Es ist doch völlig normal, dass in einigen Fragen auch unterschiedliche Ansichten bestehen. Meinungsunterschiede sind aber keineswegs Stolpersteine im bilateralen Verhältnis, sondern vielmehr Prüfsteine für Verständnis und Freundschaft. Der Hauptgrund, weshalb die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern trotz aller Herausforderungen so erfolgreich sind, liegt darin, dass wir einander respektieren, nach Gemeinsamkeiten suchen und dabei gleichzeitig Differenzen zurückstellen. Beide Seiten vermeiden Nullsummenspiele und streben stattdessen nach gegen-

Behörden Spiegel / Januar 2022

Repräsentiert die Volksrepublik China in Berlin: Botschafter Wu Ken. Foto: BS/Botschaft der Volksrepublik China

seitigen Vorteilen und einer Winwin-Situation. Gemeinsam mit der deutschen Seite möchte China den Leitgedanken des Dialogs und der Zusammenarbeit fest verankern, damit sich diese auch in Zukunft stabil und weitreichend entwickeln. So werden wir auch das 50-jährige Jubiläum der Aufnahme unserer diplomatischen Beziehungen im noch positiveren Licht begrüßen können.”

Enge Zusammenarbeit wünschenswert Für Botschafter Wu Ken ist diese Entwicklung auch untrennbar mit dem pragmatischen und besonnenen Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel verbunden, die stets im Zeichen der Zusammenarbeit stand. “China betrachtet Deutschland nach wie vor als wichtigen Partner und ist bereit, engen Dialog und intensive Zusammenarbeit mit der neuen Bundesregierung, dem neuen Bundestag sowie allen Parteien zu pflegen. Wir hoffen, dass die neue Regierung die aktive und pragmatische Kooperationspolitik mit China fortsetzt. Gemeinsam möchten wir erreichen, dass unsere Beziehungen ihre Dynamik beibehalten, sich stabil entwickeln und weiter vertiefen. Zugleich gehen die chinesisch-deutschen Beziehungen aber auch weit über den bilateralen Rahmen hinaus. Mehr denn je sind gegenwärtig Vertrauen und Zusammenarbeit gefragt, um Multilateralismus und Freihandel zu schützen und globale Herausforderungen wie die Corona-Pandemie und den Klimawandel zu bewältigen. China und Deutschland sollten hier ihre Bemühungen unbeirrt fortsetzen.”

zulässt und den Patentschutz verbessert. “Chinas Vorstoß zur Optimierung seines Geschäftsumfeldes durch entsprechende Verordnungen geht ins dritte Jahr, gleiches gilt für die Umsetzung unseres Gesetzes über Auslandsinvestitionen.Unter anderem wurden die beiden Negativlisten für den Marktzugang und den Zugang ausländischer Investoren weiter reduziert und die geordnete Öffnung des Finanzsektors fortgesetzt.”

Die Interessen aus Sicht Chinas In Sachen Patentschutz liegt es auch in unserem eigenen Interesse, diese Rechte besser zu schützen. Nach einem Bericht der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) von Anfang des Jahres 2021 war China 2020 zum zweiten Mal in Folge Weltmeister bei den internationalen Patentanmeldungen. Laut dem jüngsten Global Innovation Index 2021 ist unser Land im Innovationsbereich weltweit auf Platz 12 vorgerückt. Als einzige Volkswirtschaft mit mittlerem Einkommen haben wir es damit unter die Top 30 geschafft. Öffnung ist der “Code” des chinesischen Wirtschaftswunders. Die 6. Plenartagung des XIX. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas wies darauf hin, dass Reform und Öffnung einen bedeutenden Schritt darstellten, der über die Zukunft und das Schicksal des heutigen Chinas entscheide. Dass China weiterhin eine offene Volkswirtschaft bleibt, ist für uns keine Option, sondern ein klares Muss.”

Die Interessen aus deutscher Sicht Für Berlin ist es daher von großem Interesse, dass Peking seine Märkte für deutsche Unternehmen weiter öffnet, mehr politische und ökonomische Teilhabe

Wahrzeichen chinesischer Kunst und Kultur: Die Kalligrafie (links) steht in engem Zusammenhang mit der chinesischen Malerei und das chinesische Porzellan besticht weltweit durch seine edlen und feinen Materialien. Fotos: BS/Botschaft der Volksrepublik China

Zutaten für 4 Portionen 1 Stück küchenfertige Ente, 100 g Datteln, 2 Esslöffel Sojasoße, 1/2 Tasse heißes Wasser, 4 Esslöffel Honig, 5 Esslöffel Reiswein, 2 Esslöffel frische Zitronensaft, 2 Teelöffel Speisestärke, 1 Teelöffel Sesamöl Zubereitung Entfernen Sie Fett, Halsknochen und Bürzel von der Ente sorgfältig. Übergießen Sie die Ente rundum mit heißem Wasser. Zum Trocknen hängen Sie das Tier an einem Haken auf oder einfach mit dem Föhn. Würzen Sie die Innenseite der Ente mit Sojasoße und füllen die Datteln ein. Dann verschließen Sie die Ente mit Küchengarn oder Holzspieße. Machen Sie die Spezialglasur für die Pekingente. Geben Sie 1/2 Tasse heißes Wasser in eine Schale, rühren Honig, Reiswein, Zitronensaft ein und fügen Sesamöl sowie

“Eine aktuelle Umfrage der Deutschen Handelskammer in China hat gezeigt, dass die meisten deutschen Unternehmen ihre Geschäftstätigkeiten in China optimistisch bewerten. Mehr als 70 Prozent wollen ihre Investitionen vor Ort aufstocken, fast 60 Prozent erwarten eine Gewinnsteigerung und 96 Prozent haben keine Pläne, China zu verlassen. Angesichts der stockenden Erholung der Weltwirtschaft zeigt diese optimistische Stimmung, dass Chinas Grad an Öffnung die Zustimmung der deutschen Unternehmen findet. Das chinesisch-europäische Investitionsabkommen, das vor einem Jahr geschlossen wurde, wäre ein guter Weg, um die Investitionszusammenarbeit zwischen Unternehmen beider Seiten weiter zu fördern und zu festigen. Leider wird das Thema jedoch durch künstliche politische Barrieren behindert.”

Mehr Sozialismus und Wirt­ schaftsregulierung gefordert Doch “fördern” allein reicht nicht. China fordert eine Begrenzung der Macht von Konzernen, mehr Sozialismus und Regulierung der Wirtschaft. “Chinas jüngste Schritte zur stärkeren Regulierung zielen auf illegales Vorgehen und Gesetzesverstöße einiger Unternehmen, die ihre Monopolstellung zum Nachteil von Wettbewerb, Innovation und Verbraucherinteressen missbrauchen. Die jüngsten Maßnahmen tragen dazu bei, einen breiteren Entwicklungsspielraum für alle Marktteilnehmer zu schaffen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Zudem werden die Rechte und Interessen der Verbraucher so besser geschützt. Ich habe verfolgt, dass auch die EU in den letzten Jahren eine standardisierte Regulierung digitaler Großkonzerne ausgelotet hat und diese befürwortet.”

Beginn des 14. Fünfjahres­ planes Das Jahr 2021 ist auch der Beginn des 14. Fünfjahresplanes gewesen, der hauptsächlich den heimischen Wirtschaftskreislauf stützen und durch einen Doppelkreislauf aus inländischem und internationalem Markt, die sich gegenseitig fördern, ergänzen soll. “Dabei halten wir an unserem neuen Entwicklungskonzept fest, das sich durch Innovation, Koordination, Umweltverträglichkeit, Offenheit und Teilhabe auszeichnet. Durch Entwicklung hoher Qualität möchten wir gemeinsamen Wohlstand schaffen. Dabei konzentrieren wir uns auf die

Speisestärke hinzu. Rühren Sie die Zutaten so lange, bis sich alle Bestandteile miteinander verbunden haben. Teilen Sie die Glasur in vier Portionen. Streichen Sie mit einem Pinsel eine Portion der Glasur über die ganze Ente und deponieren sie im Kühlschrank. Wiederholen Sie diese Prozedur ggf. mehrmals. wobei die Glasur komplett trocken sein sollte. Heizen Sie den Ofen auf 185 °C (Ober-Unterhitze) vor. Legen Sie die glasierte Ente auf die Mittelschiene und stellen auf dem untersten Einschub eine mit Wasser gefüllte Fettpfanne. Braten Sie die Ente mit der Brust nach oben liegend für 40 Minuten an. Anschließend drehen Sie sie um und braten die andere Seite weiter für 40 Minuten. Zum Schluss braten Sie die Ente bei einer Kerntemperatur von 83 °C, bis sie kross ist.

Lösung bestehender Schlüsselprobleme, etwa des Entwicklungsgefälles zwischen den Regionen sowie zwischen Stadt und Land, aber auch wachsender Einkommensunterschiede. Wir geben unser Bestes, damit alle Menschen noch stärker und gerechter an den Früchten der Entwicklung beteiligt werden.” Ambitioniert zeigt sich Peking auch beim Umweltschutz, will keine neuen Kohlekraftwerke mehr im Ausland bauen, setzt im Inland auf Solar- und Windkraft, um so den Höhepunkt seiner Kohlenstoff­e missionen vor 2030 zu erreichen und die Kohlenstoffneutralität vor 2060 anzustreben. “All dies demonstriert eindrucksvoll die Entschlossenheit Chinas für den Klimaschutz. Wir werden uns an das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung halten, unserem neuen Entwicklungskonzept folgen und die Energiewende wissenschaftlich und geordnet vorantreiben. Ziel ist es, ein sauberes, kohlenstoffarmes, sicheres und effizientes Energiesystem aufzubauen. Wir werden alles daransetzen, mehr Strom aus Wind- und Sonnenenergie zu gewinnen und den Bau von Kernkraftwerken in Küstennähe sicher und vorsichtig voranbringen. Auf diese Weise möchten wir einen noch größeren Beitrag zur Bewältigung des weltweiten Klimawandels leisten.” Versprochen? Versprochen! China und die USA wollen ihre Zusammenarbeit beim Klimaschutz verstärken. Die beiden größten Treibhausemittenten der Welt schlossen im November 2021 eine entsprechende Vereinbarung auf der UNO-Klimakonferenz in Glasgow. China erklärte, als die zwei großen Mächte in der Welt müsse man gemeinsam Verantwortung übernehmen, weil dies der einzige Weg sei, die Klimakrise zu bewältigen.

Die Taiwan-Frage Derweil harrt ein anderes Pro­ blem seit beinahe einem dreiviertel Jahrhundert einer Lösung: Taiwan. Die VR China betrachtet die Hightech-Insel als “untrennbaren Bestandteil des chinesischen Territoriums”. Neben dem Konflikt auf der koreanischen Halbinsel ist die Taiwan-Frage die größte sicherheitspolitische Herausforderung in Ostasien. In den 1950er-Jahren wurde der Taiwan-Konflikt militärisch ausgetragen, ab den 1980er-Jahren folgte ein Prozess der allmählichen Annäherung. 2008 verbesserten sich die Beziehungen der beiden

Seiten zunehmend, was sich vor allem in dem 2010 unterzeichneten Rahmenabkommen über Wirtschaftliche Zusammenarbeit (ECFA) manifestierte. Nach der Amtsübernahme von Tsai Ingwen im Jahr 2016 verschlechterten sich die Beziehungen wieder, nachdem Tsai deutlich das Recht von Taiwan auf politische Selbstbestimmung betont hatte. In Peking ist man darüber erfahrungsgemäß “not amused” und droht mit einer Invasion Taiwans.

“Das Ein-China-Prinzip” “Zunächst einmal muss ich richtigstellen, dass nur ein einziges China auf dieser Welt existiert. Taiwan ist untrennbarer Bestandteil des chinesischen Territoriums. Dies ist der allgemeine Konsens der internationalen Gemeinschaft, einschließlich Deutschlands. Es gibt also keine sogenannte “Drohung Chinas mit einer Invasion Taiwans.” Die Spannungen in den Beziehungen zwischen den beiden Seiten der Taiwan-Straße seien auf die Versuche der “Unabhängigkeit Taiwans” und die Abspaltung zurückzuführen. Sie stelle die größte Bedrohung für Frieden und Stabilität in der Region dar. Alle Seiten sollten sich an das Ein-China-Prinzip halten und mit der Taiwan-Frage behutsam umgehen. “Uns ist bewusst, dass eine deutsche Fregatte in den indo-pazifischen Raum entsandt wurde und durch das Südchinesische Meer fährt. Die Lage vor Ort ist derzeit allgemein stabil. Die Freiheit der Schifffahrt und des Überflugs sind gesetzlich geschützt, was den gemeinsamen Bemühungen Chinas und seiner Nachbarländer zu verdanken ist. Einmischungen von außen stören Ruhe und Frieden in der Region nur unnötig. Wir rufen deshalb alle Staaten außerhalb des Gebiets dazu auf, die Bemühungen Chinas und der ASEAN-Länder um die Wahrung von Frieden und Stabilität im Südchinesischen Meer zu respektieren.” Und Deutschland hatte frühzeitig klargestellt, dass die “Bayern", eine 25 Jahre alte Fregatte der Deutschen Marine, nicht durch die Taiwan-Straße fahren werde, um Deutschlands Ansehen in Peking nicht aufs Spiel zu setzen. “Unsere beiderseitig vorteilhafte Zusammenarbeit ist ein großer Gewinn, nicht nur für beide Völker, sondern auch für die übrige Welt. Gleichzeitig muss man aber auch erkennen, dass das ChinaBild der Deutschen noch immer stark von der Realität abweicht. Offen gesagt hängt diese Wahrnehmungsverzerrung stark mit der einseitigen Medienberichterstattung zusammen. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass es unseren Völkern gelingen wird, einander besser zu verstehen. Der Schlüssel hierfür ist gegenseitiger Respekt. Und die Weisheit und der Mut, unter Zurückstellung von Differenzen nach Gemeinsamkeiten zu suchen.” Der Botschafter deutete an, er hoffe, auch die neue Bundesregierung werde den Dialog mit China als großen Handelspartner weiterführen. Andere Akzente sind aber mit Blick auf die Menschenrechte schon erkennbar.

Hobbysportler statt Diplomat Letzte Frage – was wäre Botschafter Wu Ken geworden, wenn nicht Diplomat? “Ich bin begeisterter Hobbysportler. Schon als Kind hatte ich ein gewisses sportliches Talent im Mittelstreckenlauf. Wenn ich also nicht die Diplomatenlaufbahn eingeschlagen hätte, dann hätte ich wahrscheinlich hart trainiert, um Profisportler zu werden. Derzeit laufen in Beijing die Vorbereitungen für die Olympischen Winterspiele 2022 auf Hochtouren. Für die Wintersportler aus aller Welt ist das ein besonderes Highlight." Man wird sehen, ob die von vielen Regierungen politisch boykottierten Spiele in der sogenannten “Blase” für China ein Erfolg werden.


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Berlin und Bonn / Januar 2022

Niederschwellig und eigenverantwortlich Der kommunale Handlungsspielraum beim Klimaschutz ist begrenzt

KNAPP Baulandmobilisierungsgesetz

(BS/mj) “Ich appelliere drin-

(BS/Malin Jacobson) Maßnahmen für den Klimaschutz gibt es bereits einige. In manchen Gemeinden und Landkreisen mehr, in anderen weniger – aus den verschiedensten Gründen. gend an die Länder, den Städten Mit der Novellierung des Klimaschutzgesetzes gilt es nun, möglichst viele Klimaschutzmaßnahmen bundesweit umzusetzen, Überzeugungsarbeit zu öeisten und Bürokratie und dieses Instrument jetzt an die Investitionsstau zu überwinden. Hand zu geben”, sagt Helmut “Kommunen sind die Entscheidungsebene vor Ort und sollen subsidiäre Entscheidungen auch vor Ort treffen und umsetzen können”, erklärt Stefan Gelbhaar, MdB Bündnis 90/Die Grünen und Sprecher für Verkehrspolitik und Radverkehr, in einer Diskussionsrunde der Veranstaltungsplattform NeueStadt. org zu Pop-up-Radwegen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen beschränken jedoch seiner Meinung nach an vielen Stellen den Handlungsspielraum. Das sehe man auch an der Verkehrswende, die Kommunen nur langsam und Straße für Straße angehen könnten, auch weil der Begründungsaufwand sehr hoch sei. Auch Dr. Christoph Hoffmann, MdB der FDP, fordert dazu auf, nicht alle Maßnahmen im Deutschen Bundestag vorzudenken. “Die Kommunen können sehr gut selbst entscheiden ob und wo sie ein Wasserrückhaltebecken oder andere Klimaschutzmaßnahmen brauchen.”

Handwerker/-innen, Lieferdienste, die kommunale Abfallentsorgung und selbst Lastenräder bräuchten eine gute Infrastruktur und Zugang zu Wohn-, Handelsund Verwaltungseinheiten. Und Dr. Martin Gude, Leiter der Abteilung “Energie und Klima” des Thüringer Umweltministeriums, meint, für Städte und Ballungszentren sei es allein aufgrund der räumlichen Enge schwerer, klimaneutral zu sein. Es fehle beispielsweise der Platz zur Erzeugung Erneuerbarer Energien.

Kleine kommunale Erfolge

Während sich die Auswirkungen des Klimawandels vermehrt in lokalen Umweltkatastrophen zeigen, werden Vorgaben zu Klimaneutralität und CO2-Einsparung von oben erdacht und in komplexe Förderprogramme geschnürt. Der kommunale Handlungsspielraum bleibt auf der Strecke. Foto: BS/Zebor, stock.adobe.com

Finanzielle Hürden Neben rechtlichen behindern auch finanzielle Rahmenbedingungen den klimapolitischen Handlungsrahmen der Kommunen. Britta Haßelmann, MdB Bündnis 90/Die Grünen, sagt hierzu: “Städte, Landkreise und Kommunen können die Zukunftsherausforderungen wie Klimakrise oder Katastrophen wie die im Ahrtal nicht alleine und aus eigener Tasche bestreiten.” Ihrer Meinung nach stellen Altschulden und Investitionsstau große Hürden für die Kommunen bei der Umsetzung von Maßnahmen für Klimaschutz und -anpassung dar. Abhilfe schafft, dass viele Klimaschutzprojekte von EU, Bund und Ländern finanziell gefördert, wenn nicht sogar ideell und inhaltlich

unterstützt werden – sofern Förderberechtigungen und -richtlinien nachvollziehbar und die Kommunen personell in der Lage sind, Unterstützung anzufordern und die Projekte anschließend zu begleiten. “Die kleinen Verwaltungen sind beim Thema Klimaneutralität überfordert”, berichtet Helmut Krämer, Bürgermeister a. D. der Marktgemeinde Heiligenstadt in Oberfranken, auf dem Digitalkongress NeueStadt.org. “Wir haben vom Abwasser über die Straßen bis hin zum Ordnungs- und Gewerbeamt alles zu machen. Das zusätzliche Thema Energiewende muss professionell angegangen und umgesetzt werden.” Eine Problematik, die auch die kommunalen Spitzenverbände immer wieder thematisieren.

In seinen Erwartungen an die Bundespolitik in der neuen Legislaturperiode fordert der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) daher, Förderprogramme zu vereinfachen und zu bündeln. Der Deutsche Landkreistag kritisiert, dass die Kommunen nicht ausreichend befähigt würden, ihre Aufgaben und Herausforderungen aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln zu bewältigen, beispielsweise indem deren Steuereinnahmen erhöht würden. Dem schließt sich auch der Deutsche Städtetag an: “Die zentralen Themen unserer Zeit verlangen gerade von den Kommunen tatkräftiges Handeln. Das Geld hat der Aufgabe zu folgen – und zwar nicht als kurzfristiges Förderprogramm.”

Umsetzungsschwierigkeiten Aber selbst wenn es keine finanziellen oder rechtlichen Hürden gäbe, sind viele Maßnahmen nicht einfach umsetzbar. Auch wenn Dr. Uwe Brandl, Erster Bürgermeister der Stadt Abensberg und Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, scherzt: “Der beste Verkehr ist der, der nicht stattfindet”, weiß er, dass ländliche Gemeinden auch in Zukunft nicht ohne Privatverkehr auskommen werden. Sogar in Ballungsräumen lasse sich nicht aller Verkehr verbannen, argumentiert Dr. Julius Menge, Gruppenleiter Konzepte und Maßnahmen für den Wirtschaftsverkehr der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, bezüglich des Wirtschaftsverkehrs.

Da ist es gut, von kleinen, erfolgreichen und kostengeringen Projekten der Kommunen zu hören. “Pop-up-Radwege sind insofern sinnvoll”, meint Gelbhaar, “als dass Bevölkerung und Verwaltung sehr schnell ein Ergebnis sehen können. Dieses Ergebnis lässt sich zum einen sehr leicht reproduzieren, zum anderen dient es als eine Art Vorhut-Infrastruktur, in der man Schwächen und Fehler schnell erkennen und beheben kann.” Dr. Juliane Thimet, Stellvertretende Geschäftsführerin des Bayerischen Gemeindetags, berichtet von weiteren Handlungsoptionen: “In vielen Neubaugebieten gibt es bereits gute Ansätze, die das Abfließen des Wassers mit einbeziehen”, damit es nicht oberflächlich in Bäche und Flüsse abfließen könne. Zudem schlägt sie vor, Kinderspielplätze als Sicker- und Rückhaltebecken zu verwenden und landwirtschaftlich genutzte Flächen so zu gestalten, dass der Nährboden nicht auf die Straße geschwemmt werde. Es sind demnach die kleinen Maßnahmen, die Kommunalvertreterinnen und -vertreter niederschwellig und eigenverantwortlich umsetzen können, um klimaneutral, -schützend und -anpassend zu agieren.

Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, zum Umsetzungsstand des Baulandmobilisierungsgesetzes. Demnach hätten viele Länder die neuen Handlungsmöglichkeiten des Gesetzes noch nicht in Verordnungen übernommen. Das Baulandmobilisierungsgesetz soll Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt helfen mehr Einfluss zu nehmen, beispielsweise durch ein Vorkaufsrecht, das Baugebot oder ein Genehmigungsvorbehalt für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Dedy: “Es erweitert die kommunale Planungshoheit mit Augenmaß.” Hierfür müssen die entsprechenden Gebiete allerdings zunächst vom jeweiligen Land als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt bescheinigt werden. Entsprechende Verordnungen stehen in einigen Flächenländern, wie Hessen, Niedersachen und Bayern, noch aus.

Zukunftsplan Deutschland

(BS/bt) Der Deutsche Städteund Gemeindebund (DStGB) fordert einen Zukunftsplan, um die Herausforderungen in diesem Jahr zu meistern. Da die Pandemie auch in diesem Jahr ein zentrales Thema für Bund und Länder sein wird, braucht der Zukunftsplan eine langfristige und nachhaltige Pandemiestrategie. Dazu gehöre die Erweiterung der Impfzentren und mit Blick auf die Diskussion um die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, ein zentrales Impfregister. Auch sollen die kommunalen Investitionen erhöht werden, besonders was die Themen Klimaanpassung und Klimaschutz betrifft. Zudem soll der Zukunftsplan auch die wirksame Bekämpfung der Radikalisierung beinhalten.

Zukunft – Stadt und Region

Mehr Grün in der Stadt! Kommunalen Klimaschutz vor Ort gestalten 27.01.2022, 14.00-15.00 Uhr Mehr unter: www.neuestadt.org

Grafik: © VectorMine, stock.adobe.com

.org

Die neue Veranstaltungsplattform des Behörden Spiegel


Kommunalpolitik

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Behörden Spiegel / Januar 2022

Vier Fragen – vier Antworten Interview mit Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal

Foto: BS/Stadt Wuppertal

Wirksame Verwaltung

B

ehörden Spiegel: Herr Prof. Dr. Schneidewind, können Sie uns erklären, wie und warum Sie gerade auf diese Felder den Fokus legen? Und welche Projekte und Änderungsmaßnahmen wollen Sie im Jahr 2022 vorrangig umsetzen?

Veränderung kann nur funktionieren, wenn die Organisation dafür bereit ist

(BS) In wenigen Jahren, genauer 2029, feiert Wuppertal seinen 100. Geburtstag. Um die Stadt zukunftsfähig – sozial, ökologisch und ökonomisch – zu machen, wurden die 20er-Jahre als Schlüsseldekade definiert und unter dem Hashtag “Aufbruch Wuppertal” acht Handlungsfelder für die Stadt und ihre Verwaltung formuliert. Im Interview gibt Wuppertals Oberbürgermeister Prof. Dr. Uwe Schneidewind einen Einblick in das Konzept. Schneidewind: Ich glaube das Die Fragen stellte Malin Jacobson.

Wichtige ist, überhaupt erst mal einen Fokus zu legen. Ich habe in meiner bisherigen Arbeit in der Kommunalpolitik die Erfahrung gemacht, dass diese häufig reaktiv agiert, es aber keine längerfristige strategische Agenda gibt. Darum habe ich schon im Wahlkampf mit einem acht Schwerpunktbereiche umfassenden 100-Tage-Programm gearbeitet. Nach der Wahl haben wir uns dann mit Führungskräften der Verwaltung zusammengesetzt und erörtert, wie wir diese Themenstränge – für die es durch die Oberbürgermeisterwahl eine Legitimation gab – in ein DekadenProgramm für die Gesamtverwaltung umwandeln. Diese acht Felder sollen zum einen helfen, Energien nach innen zu konzen­ trieren, zum anderen die aktuellen Verwaltungsentwicklungen nach außen veranschaulichen und als Andockmöglichkeiten für externe Partner dienen. Zudem haben wir die Möglichkeit, zu überprüfen, wie sich die einzelnen Themenfelder über die Jahre hinweg entwickeln. Momentan sind wir vorrangig mit der Umstellung auf die digitale Akte in

allen Bereichen beschäftigt, beispielsweise im Personalamt. Da beginnen wir jetzt 2022 im Ausländeramt, in welchem wir derzeit hohe Fallzahlen registrieren und wo viele unterschiedliche Stellen auf eine Akte Zugriff benötigen. Das Gleiche erleben wir im Bereich der Bauverwaltung. Auch hier brauchen wir mehr Transparenz von Verfahrensständen, da Verzögerungen beim Bau oft weitreichende Konsequenzen mit sich bringen. Diese Teilbereiche stellen wir gerade mit Hochdruck um. Behörden Spiegel: Können Sie den Aspekt der Digitalisierung noch etwas ausführen? Und wo greifen Aspekte der Smart City und der digitalen Verwaltung bei Ihnen in Wuppertal ineinander. Schneidewind: Wir haben das Privileg, eine der digitalen Modellkommunen in NRW zu sein und werden sowohl vom Land als auch in den nächsten Jahren vom Bund unterstützt. Vor allem vom Innenministerium haben wir bereits eine hohe Smart-City-För-

Organisationskultur, in der all diese Umstellungen entsprechend mitgetragen werden. Behörden Spiegel: Wie erleben Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Veränderungen? Schneidewind: Weil diese Veränderungen bereits in den letzten Jahren eine sehr wichtige Rolle gespielt haben, erleben wir sehr viel Offenheit. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen die Chance für die eigenen Arbeitsabläufe. Wir sind uns bewusst, dass gerade in diesen Umstellungsphasen oft erhebliche Zusatzaufwände entstehen, wo dann vor allem die Führungskräfte gefragt sind, ein gutes Gleichgewicht zu finden. Aber insgesamt – ich bin ja erst vor einem Jahr von außen dazugekommen – muss ich sagen, war ich extrem positiv überrascht, mit welch hoher Digitalisierungsaffinität die Stadtverwaltung bereits arbeitet. Beispielsweise werden bei uns mit jeder Legislatur auch alle Vertreterinnen und Vertreter in den Bezirksvertretungen, die Ratsmitglieder ohnehin, mit ei-

Behörden Spiegel: Und das ist nicht der einzige Erfolg, den die Stadt Wuppertal für sich verzeichnen kann. Bei der Umfrage des Verbraucherschutzverbandes Berlin/Brandenburg (VSVBB) nach den beliebtesten Behörden haben die Bürgerbüros in Wuppertal bundesweit am besten abgeschnitten. Was war Ihrer Meinung nach ausschlaggebend für diese gute Zensur und welche Stellschrauben sollten als nächstes angegangen werden? Schneidewind: Das hat uns besonders gefreut, weil gerade das Einwohnermeldeamt in den letzten Jahren immer eher ein Amt war, das wegen langer Wartezeiten und vermeintlich hoher

Flutkatastrophe offenbart Gefahr für Archive und Registraturen

befindet sich noch eine Ebene zum Ableiten eindringenden Wassers”, betont Fischer.

(BS/Martin Lehrer) Akten haben es gern dunkel, kühl und trocken. Das Erstere bieten Kellerräume, weshalb landauf landab auch viel Archivgut und Anforderungen gesetzlich festschreiben? Altregistratur im Untergeschoss von Rathäusern landet. Doch mit dem “trocken” ist es oft nicht so weit her. Dies hat die Flutkatastrophe am 15. Juli 2021 auf drastische Weise vor Augen geführt. In der Bundeskonferenz der

Flut war schneller Nach der Überflutung im Sommer 2021 bildete sich jedoch rasch ein Stau vor den Gefriertrocknungsanlagen. Vier bis fünf Jahre werden in der Stadt Stolberg benötigt, um annähernd 2.000 Regalmeter Akten wiederherzustellen, schätzt deren Archivar Christian Altena. Die Stadt in der Nähe von Aachen hat es besonders hart getroffen. Hier ist der Vichtbach, ein meist flaches Gewässer im Stadtzen­ trum, auf nie dagewesene Höhen angestiegen. Das Stadtarchiv, in den 1970erJahren “außerhalb des Gefahrenbereichs eines 100-jährigen Hochwassers” angelegt, wurde komplett geflutet. Freilich hatte die Stadtverwaltung die Notwendigkeit einer Verlagerung längst erkannt. Ende Juni 2021 entschied der Hauptausschuss zugunsten eines Archivneubaus. Doch die Flut war schneller.

nem iPad ausgestattet. Und ich finde es sehr faszinierend, wenn dann auch ein über 80-jähriges Bezirksvertretungsmitglied mit aller Selbstverständlichkeit seine Vorgänge und die Vorlagen auf dem iPad aufruft. Das zeigt, glaube ich, wie weit wir insgesamt mit einer digitalen Kultur, nicht nur in der Stadtverwaltung, sondern auch in der Stadtpolitik, sind.

Wo sind Kommunalarchive wirklich sicher?

N

ach einem 24-Stunden-Dauerregen wurden zahlreiche Aktenlager überflutet – an der Ahr, im Rheinland, aber auch in Südwestfalen. Dabei betraf es gleichermaßen städtische Archive, etwa in Stolberg, wie auch Altregistraturen, so in Hagen. In diesen werden abgeschlossene Akten während der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist gelagert. Erst danach kommen sie auf Dauer ins Archiv oder werden vernichtet. Was einmal im Wasser gestanden hat, muss aufwendig restauriert werden. Trocknung mit heißer Luft ist kein gangbarer Weg, da es schlichtweg zu viel Zeit braucht und sich das Papier dabei wellt. Stattdessen werden die Aktenordner wie Gemüse eingefroren und danach in einem Vakuum getrocknet. Dabei verwandeln sich die Eiskristalle in Wasserdampf und lassen sich leicht absaugen.

derung erhalten, da das Thema Digitalisierung der Verwaltung bereits seit einigen Jahren von uns in den Fokus genommen wird. Das hat uns auch in der Corona-Phase sehr geholfen. Wir konnten weit über 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr schnell ins Homeoffice schicken, weil die digitalen Grundlagen vorhanden waren. Ende 2023 wollen wir mit vielen Serviceeinheiten in ein neues Servicecenter direkt am Hauptbahnhof im alten historischen Gebäude ziehen – ohne Papierakten, da wir planen, bis dahin die komplette Umstellung auf die digitale Akte erreicht zu haben. Für den Bearbeitungsverlauf hat diese Umstellung eine enorm hohe Bedeutung, weil dann Prozesse parallelisiert werden können, die sonst immer nur sequenziell möglich waren. Das beschleunigt und erhöht die Transparenz. Zudem gehen mit der Umstellung auch umfassende Analysen der bisherigen Prozesse einher. Darum bedeutet Digitalisierung nicht nur die Einführung von Technik, sondern bedarf einer ganz bestimmten

Inflexibilität unwahrscheinlich viel Kritik abbekam. Wir sind daher mit einem ganzen Strauß an Maßnahmen und der starken Unterstützung durch die Leitung des Amtes rangegangen. Nach einer genauen Analyse der Ablauf- und Aufbauorganisation haben wir die Expertenebene und das Frontoffice sehr viel klarer getrennt, um in beiden Bereichen mehr Produktivität zu ermöglichen. Zudem haben wir die Führungsspannen verkleinert und eine flexiblere und agile Führungskultur implementiert. Und dank Digitalisierung konnten wir das elektronische Terminmanagement optimieren, Überbuchungen vermeiden und Erfahrungswerte bei den Öffnungszeiten und sonstigen Bedarfen sammeln. Dafür wurden auch zusätzlich Stellen mit flexiblen Qualifizierungen geschaffen, sodass beispielsweise Bankkauffrauen oder Rechtsanwaltsgehilfen in komprimierten Schulungsprogramm auf die Aufgaben vorbereitet werden konnten. Man muss mit den jeweiligen Einheiten einen Prozess aufsetzen, der dann an vielen Stellschrauben dreht, die im Zusammenspiel den Unterschied machen. Ich glaube, in diesen Führungs- und Organisationsfragen liegen die Schlüsselhe­ rausforderungen. Denn alles, was dann folgt, kluges Prozess-Design oder die Möglichkeiten der Digitalisierung, kann nur funktionieren, wenn die Organisation dafür bereit ist.

Akten und Dokumente sind sehr anfällig für Feuchigkeit. Und sind sie erst einmal beschädigt, gibt es kaum eine Möglichkeit, diese zu restaurieren. Zudem breiten sich Schimmelsporen schnell aus und können weitere Papiere “infizieren“.

Erste-Hilfe-Container für Akten Bei den Fachleuten ist die Botschaft, dass viele Kommunalarchive bedroht sind, längst angekommen. Während die Standortfrage kompliziert ist und nur vor Ort gelöst werden kann, hat sich bei der Erstversorgung im Schadensfall einiges getan. “Wenn ein Archiv überflutet wurde, benötigt man vor allem gut ausgestattete Arbeitsplätze vor Ort”, sagt Nadine Thiel, Leiterin der Abteilung Bestandserhaltung im Kölner Stadtarchiv. Dafür hat der Notfallverbund Kölner Archive und Bibliotheken einen “ErsteHilfe-Container” entwickelt. Im Oktober 2020 vorgestellt, bestand diese mobile Werkstatt acht Mo-

Foto: BS/Peter H, pixabay.com

nate später in Stolberg ihre erste Bewährungsprobe. Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 hat die Bewältigung solcher Havarien erheblich professionalisiert. “Aus der Not heraus haben wir damals das System der Bergungseinheiten entwickelt”, berichtet Thiel. Archivgut, das gemeinsam geborgen und verpackt wurde, bleibt über den gesamten Restaurierungsprozess in dieser Paarung erkennbar. Ein solches Datenbanksystem hilft am Ende bei der Zusammenführung verstreuter Blätter und Aktenstücke.

Neuer Standort Hochbunker Das Archive und Altregistraturen oft in Kellern eingerich-

tet werden, geschieht nicht aus Nachlässigkeit oder Ignoranz. Eine wesentliche Anforderung an Archivräume ist dort schlichtweg am ehesten zu erfüllen: Tragfähigkeit des Bodens. Denn Papier, dicht gepackt, wiegt viel und überfordert die meisten Geschossdecken in Bürogebäuden. Zudem sollen Kommunalarchive auch für Bürger und Bürgerinnen gut erreichbar sein. Dies spricht gegen eine Unterbringung am Stadtrand oder in einem Gewerbegebiet. In Hagen wurden die trocken gebliebenen Akten aus überfluteten Kellern der Stadtverwaltung daher in einen Hochbunker gebracht. Für dessen Ausstattung und den Aktentransport sei ein niedriger

Kommunalarchive beim Deutschen Martin Lehrer M.A. ist freier Städtetag (DST) Journalist in Köln mit den ist die ProblemaSchwerpunkten öffentliche tik hinreichend Verwaltung und Informatibekannt. Für die onstechnologie. Bis 2019 wenigsten Komleitete er die Öffentlichkeitsmunalarchive gebe arbeit beim Städte- und Gees eigens errichmeindebund NRW. tete Gebäude, be Foto: BS/privat richtet Dr. Marcus Stumpf, Chef des Archivamtes des sechsstelliger Eurobetrag nötig Landschaftsverbandes Westfalengewesen, berichtet Archivar Hu- Lippe (LWL) und Leiter der Bunbertus Wolzenburg. Ein ähnlicher deskonferenz. Dies liege meist Betrag werde wohl auch für die an der Finanznot der Städte und Wiederherstellung von 400 lau- Gemeinden. fenden Metern Akten fällig. Im Häufig würden Archive in alten Vergleich zu den Gesamtschäden Schulgebäuden untergebracht. in Höhe von 18 Mio. Euro an Von der Statik meist ausreichend, städtischen Gebäuden in Hagen stellten dort aber die großen Fenster ein Problem dar. Auch sei die sei dies jedoch nicht so viel. Lage an scheinbar harmlosen Aus Erfahrungen gelernt Bächen nach der FlutkatastroAngesichts zunehmenden Stark­ phe neu zu bewerten. Manchmal regens und wachsenden Gefah- müsse man bei der Standortwahl renpotenzials wird die Stand- einfach Glück haben, so Stumpf. ortfrage bei Archiven auch auf Die Stadt Münster beispielsweise nationaler Ebene diskutiert. “In konnte eine leer stehende Kaserne den europäischen ISO-Normen für ihr neues Stadtarchiv nutsteht eigentlich alles drin, was zen. Deckentraglast und Hochman beachten müsste, um siche- wassersicherheit stellten hierbei re Archive zu bauen”, bestätigt kein Problem dar. In NordrheinDr. Ulrich Fischer, stellvertreten- Westfalen steht die Novellierung der Leiter des Kölner Stadtar- des Archivgesetzes von 2008 an. chivs. In diese Richtlinien seien “Hier könnte man das, was wir für auch Erfahrungen aus dem Köl- die Einrichtung von Kommunalner Archiv-Einsturz eingeflossen. archiven empfehlen, gleich hinHeikel sei nach wie vor die Unter- einschreiben”, schlägt Stumpf vor. bringung von Archivgut im Keller. Der Landesgesetzgeber wird dies Ein technischer Schutz gegen jedoch kaum als Verpflichtung Überflutung sei zwar möglich, formulieren. Denn sonst käme aber sehr aufwendig. Im neuen in NRW der KonnexitätsgrundArchivgebäude in Köln liegen satz zum Tragen und das Land vier von 28 Magazinräumen im müsste die daraus entstehenden Untergeschoss. “Aber darunter Mehrkosten übernehmen.


Digitalkongress NeueStadt.org

Behörden Spiegel / Januar 2022

“W

ir brauchen eine andere Nutzung und ein anderes Verständnis der Innenstadt und wir müssen sehen, dass wir wieder Menschen in die Innenstädte bringen und Dichte und Austausch erzeugen”, meint Hilmar von Lojewski, Dezernat Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr beim Deutschen Städtetag. Dem kann sich auch Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, anschließen: “Eine Stadt muss wirklich Stadt sein: In der man Wohnen und Einkaufen kann, in der Kinder aufwachsen können, wo man sich bilden und arbeiten kann. Die Charta von Leipzig zeigt es uns auf eindrückliche Art und Weise, diese wird aber noch nicht umgesetzt.” In diesem Zusammenhang berichtet sie von einem Projekt in München, in welchem ein großes Karstadt-Haus umgenutzt werden soll. Es werde dort Wohnungen, Bildungsangebote, Dachterrassen und Freiräume geben, “also eine kleine Stadt, die hier zusammengestellt wird“. Es seien gerade die kleinteiligen Strukturen, die langfristig Bestand hätten, führt Lojewski aus. “Alle kleinteiligen und inhabergeführten Strukturen, die ein lokales Colorit abbilden und unverwechselbar sind, sind deutlich stabiler – interessanterweise auch in alten städtebaulichen Strukturen.” Zudem argumentiert er, dass großteilige Strukturen bei Problemen meist einen größeren Abwärtstrend auslösten, der auch die Umgebung mit sich ziehe. Um die Nutzungsmischung und Parzellierung in den Städten zu unterstützen, ist es laut dem Dezernenten des Deutschen Städtetags entscheidend, die Kommunen beim Ankaufen und Bewirtschaften der innerstädtischen Flächen zu unterstützen. “Das bedeutet, wenn Geschäfte leerfallen und ein Abwärtstrend stattfindet, müssen wir in die

“F

ür mich stellt sich bei jeder Aufgabe die Frage, wie ich sie angehe”, berichtete Tanja Rönck, Bürgermeisterin der Gemeinde Malente. Denn ein Rückgriff auf freie Ressourcen sei nicht möglich, weder bei den Finanzen noch beim Personal. Rund 45 Menschen arbeiten in der Verwaltung der rund 12.000 Einwohner zählenden Gemeinde. Doch keiner ist nur für ein Thema zuständig. So gibt es keinen Chief Digital Officer in der Gebietskörperschaft östlich von Plön, geschweige denn eine Stelle. “Stellen oder Gelder für diese Aufgaben zu bekommen, ist in einer haushalterisch defizitären Kommune besonders schwer”, konstatierte Rönck und deutet damit eine weitere Herausforderung an: das kommunale Dilemma bei Förderprogrammen (siehe dazu Seite 11). Die besten Förderprogramme nützten nichts, wenn das Personal nicht vorhanden sei, um Gelder zu beantragen. Hinzu kämen die viel zu bürokratischen Antragsverfahren. Ähnlich sieht es Uwe Zimmermann: Anstatt den Kommunen immer neue Förderprogramme zu offerieren, sollten vielmehr die pauschalierten Finanzmittel der Kommunen verbessert werden, damit die Kommunen selbst entscheiden könnten, wofür sie diese einsetzten, so der stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB). Doch diesem langjährigen Wunsch der kommunalen Spitzenverbände ist noch nicht Rechnung getragen worden.

Treiber für Kooperationen Um die Aufgaben dennoch zu bewältigen, ist die Gemeinde auf Partner angewiesen. Wie beim Glasfaserausbau. 28 Gemeinden ist der holsteinischen Schweiz haben sich zusammengeschlos-

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Wie mit dem Wandel umgehen? Mehr Nutzungsflächen, schnellerer Umbau und sorgfältige Konzepte für Innenstädte (BS/Malin Jacosbon) Innenstädte sind im Wandel, darin waren sich alle Experten der Diskussionsrunde “Resilientere Innenstädte – Lehren aus dem Jahr 2021” auf dem ersten Digitalkongress NeueStadt.org einig. Konsens herrschte auch darüber, dass dieses Phänomen nichts Ungewöhnliches sei, schon vor einiger Zeit begonnen habe und durch die anhaltende Pandemie verstärkt werde. Wie mit diesem Wandel umgegangen werden soll, darüber scheiden sich die Geister.

in ihrer Verwaltung hätten, um sich des Themas Stadtentwicklung ausreichend anzunehmen, mehrere Aspekte in den Blick, berichtet Beckmann. “Wir haben Beratungskomponenten in unseren Programmen, um Projekte aufzustellen und dann auch tatsächlich im Tagesgeschäft nicht untergehen zu lassen, sondern zur Umsetzungsreife zu bringen.” Zudem legt man laut der Referatsleiterin Wert darauf, die Kommunen durch die Förderprogramme miteinander zu vernetzen und so Verbesserungsoptionen auszutauschen. Dem kann sich von Lojewski anschließen: “Es ist wichtig, interkommunal zu arbeiten, zu schauen, wie es in anderen Städten ist, wie man einander ergänzen kann und nicht die Konkurrenz zu sehen.”

Neu gedacht

Wie können unsere Innenstädte resilient werden? Welche Anforderungen ergeben sich daraus an die Stadtentwicklung und -planung? Gerade in Zeiten von Pandemien und Katastrophenlagen? Screenshot: BS/Jacobson, neuestadt.org

Lage versetzt werden, zu intervenieren.” Dann könne man wie in Lübeck aus einem Karstadt ein großes Bildungszentrum machen oder wie in Siegen leerstehende Kaufhäuser für die Universität nutzen. Voraussetzung sei allerdings, ergänzt der Vertreter des Deutschen Städtetags, “auch immobilienwirtschaftlich handlungsfähig zu sein und Kleingeld in die Hand nehmen zu können, um zu intervenieren: Um ankaufen zu können, um Nachnutzung organisieren zu können, um Planungskapazitäten zu aktivieren.”

Schnelle Umsetzung Oliver Wittke, Hauptgeschäftsführer beim Zentralen Immobi-

lien Ausschuss (ZIA), meint dagegen: “Das Vorkaufsrecht für Kommunen sollte wirklich die Ultima Ratio sein!” Kommunen sollten Immobilien nur erwerben, wenn es nicht anders ginge. Es sei viel intelligenter, private Investoren sowie Nutzer zu finden und das Planungsrecht so anzugleichen, dass eine schnelle Folgenutzung möglich sei. “Es kann nicht sein, dass, wenn ich in einem ehemaligen Ladenlokal eine Kindertagesstätte einrichten will, einen Papierwust erledigen muss und das Genehmigungsverfahren sich mitunter über ein Jahr hinzieht”, argumentiert er. Das müsse schneller gehen, denn der Veränderungsprozess in den

Innenstädten sei rasant und der Planungsprozess müsse damit mithalten. Dass Beschleunigung notwendig sei, bestätigt auch Dr. Wolfgang Hübschle, Wirtschaftsreferent der Stadt Augsburg: “Bei vielen Themen sind wir davon ausgegangen, die Veränderungen in der Stadt in fünf bis zehn Jahren bewältigen zu können. Jetzt müssen wir es eben in fünf bis zehn Monaten angehen. Die drei Treiber sind Pandemie, Mobilitätswende und Klimaresilienz.”

Umsichtige Maßnahmen “Ich möchte daran appellieren, sich gründlich mit der Situation der jeweiligen Stadt zu beschäftigen”, warnt Karin Beckmann,

Referatsleiterin des Niedersächsischen Ministeriums für Bundesund Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung, vor voreilig Maßnahmen. Heute rede man davon, dass die Einkaufsmalls nicht das Thema der Zukunft seien, während sie erst vor zehn Jahren überall eingerichtet worden seien, weil sie als das Modell der Zukunft gegolten hätten. “Wichtig ist daher, zu schauen, wie die Situation der jeweiligen Stadt ist und wo man hin will – gründlich!” Um die Städte in ihren Projektentwicklungen und -umsetzungen zu unterstützen, nehme man gerade bei Förderprogrammen für kleinere Städte, welche keine ausreichenden Kapazitäten

Für Augenhöhe in die Knie gehen Zukunft der Kommunen liegt in Kooperationen (BS/Jörn Fieseler) Digitalisierung, Daseinsvorsorge, Zukunftsfähigkeit, Nachhaltigkeit, grüne Infrastruktur – die Palette der Aufgaben für Landkreise, Städte und Gemeinden ist lang. Die Projekte sind allerorts die gleichen, doch der Hemmschuh der Innovations- und Entwicklungsfähigkeit drückt nicht nur an einem Fuß. Die Lösung liegt im Kooperieren, Vereinfachen und Lernen. Davon ist auch der Bund nicht ausgenommen.

Städte, Gemeinden und Landkreise werden immer stärker kooperieren müssen, darin waren sich die Diskutanten der Bürgermeisterrunde auf NeueStadt.org (links) einig. Ebenso, dass auf diesem Weg noch viel Potenzial zu nutzen ist. Das gleiche treffe auch auf die Baubranche und die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure zu, unterstrich Tim-Oliver Müller (rechts). Screenshots: BS/Fieseler, NeueStadt.org

sen, um die digitale Infrastruktur bereitstellen zu können. “Wir waren alle mit dem Ausbau durch die großen Netzbetreiber nicht zufrieden. Deshalb haben wir uns zusammengeschlossen”, nannte Rönck einen wesentlichen Treiber für die interkommunale Zusammenarbeit. Ein anderer sei der Flächenverbrauch, ergänzte Henning Brüggemann, Bürgermeister und Kämmerer der Stadt Flensburg. Wenn Flensburg weiter prosperieren wolle, sei man gezwungen, mit den Nachbargemeinden zusammenzuarbeiten, etwa bei der Entwicklung von Gewerbegebieten. “Es ist schwierig, Partner zu finden, allein schon wegen der Frage, wer Planungshoheiten abgibt”, so Brüggemann. Ein anderer Aspekt sei die Frage, was das Land an Kooperationen zulasse.

Unterstützung erhielt er vom stellvertretenden DStGB-Hauptgeschäftsführer. Es seien dringend Erleichterungen nötig, nicht nur im Planungs- und Genehmigungsrecht, sondern auch im Beihilfenrecht und im Steuerrecht. Seit Jahren würden die kommunalen Spitzenverbände für eine Reform des § 2b Umsatzsteuergesetz plädieren, um die Umsatzsteuerbeteiligung bei interkommunalen Kooperationen zu klären und zu vereinfachen. Und auch das Vergaberecht mache Kooperationen nicht gerade leicht, sodass teilweise aufwendige Konstrukte wie Inhouse-Vergaben entwickelt würden, um den rechtlichen Anforderungen genüge zu tun. Das erschwere die Arbeit nicht nur in den Kommunen, sondern auch die Entwicklung des ländlichen Raumes. Längst könnten Städte und Gemeinden nicht mehr in

den eigenen Grenzen der Gebietskörperschaft denken. Vor allem die Themen Bauen, Wohnen und Mobilität seien von elementarer Bedeutung.

Know-how frühzeitig einbinden Diese Ansicht teilte Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Bauindustrie. Umwelt- und Klimaschutz und die Mobilitätswende seien ohne die ländlichen Räumen nicht zu bewerkstelligen. Zugleich seien dies alles Themen, die auch die Bauindustrie beträfen. Mit Blick auf die Zusammenarbeit stellte er für den gesamten Baubereich jedoch fest: “Wir sind smart, aber nicht vernetzt.” Auftraggeber, Planer, Architekten, Ingenieure und die ausführenden Unternehmen würden noch viel zu wenig kooperieren und seien noch zu sehr in ihrem Silodenken verhaf-

tet. Gerade das Know-how der ausführenden Unternehmen werde erst viel zu spät einbezogen, kritisiert Müller. Dabei sehe das Vergaberecht Möglichkeiten vor, dies zu ermöglichen, sie würden nur nicht genutzt. Darüber hinaus sind auch die staatlichen Ebenen gefordert, stärker an einem Strang zu ziehen. Bund und Kommunen hätten in der vergangenen Legislatur in den Projekten, die seine Abteilung initiiert und durchgeführt habe, sehr gut und höchst effizient zusammengearbeitet, sagte Dr. Michael Frehse, Leiter der Abteilung Heimat im Bundesinnenministerium (BMI). Das gelte nicht für die Länder. “Ich habe den persönlichen Eindruck gewonnen, dass sich die Länder eher einmischen.” Doch auch im Bund sei nicht alles bestens, meint Dr. Gregor Langenbrinck, Geschäftsführer

Gebhard plädiert dafür nicht nur Plätze und Parks in die Überlegungen mit einzubeziehen. In Planerkreise diskutiere man, ob auch Läden als öffentliche Zonen zu sehen seien. “Das heißt, auch hier könnte die Städtebauförderung gerade den kleineren Geschäften, die in finanzielle Schieflage geraten sind, noch viel mehr helfen. Beispielsweise bei Renovierungen oder der Ermöglichung einer besseren Erreichbarkeit.” Und Hübschle berichtet vom Augsburger Projekt “Sommer in der Stadt”, welches Verwaltung, Handel und Gastronomie die Möglichkeit gegeben habe, neue Nutzungsformen des öffentliches Raumes auszuprobieren. “Wir als Kommune hätten uns in der Vergangenheit vermutlich gar nicht getraut, Umnutzung in so einem Maße einfach zu erlauben. Und jetzt können wir auf zweimal Sommer in der Stadt aufbauen – warum sollten wir Außengastronomie oder anderweitiger Nutzung von Plätzen und öffentlichen Räumen zukünftig also nicht zustimmen?”

des Beratungsunternehmens Urbanizers. Er erlebe es sehr häufig, dass die Bundesministerien nicht oder zu spät abgestimmt hätten. “Die Heimatabteilung hat ressortübergreifend gewirkt”, entgegnete Frehse. Vor allem mit dem Verkehrsministerium. Er gab aber zu, dass es am Anfang ein Kampf gewesen sei. “Sie kommen von der Seite und stellen unangenehme Fragen. Das greift das Selbstverständnis des anderen Ressorts an und führt zu Veränderungen.” Das brauche Zeit. Wenn diese Veränderungen jedoch stattgefunden hätte, dann seien auch Erfolge erzielt worden. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor dafür sei der direkte Dialog auf administrativer und fachlicher Ebene. Letztlich müsse es diesen intensiven Dialog geben, damit Kooperation überhaupt gelingen könne. Das sieht auch Gunter Czisch so. Wobei der Oberbürgermeister der Stadt Ulm auf einen wesentlichen Aspekt hinwies: “Damit Kooperationen gelingen, muss der große Partner auf die Knie gehen, um auf Augenhöhe mit den anderen Partnern zu sein!” Diese Erfahrung hat auch Langenbrinck gemacht. In einer Sache ist der Geschäftsführer jedoch anderer Ansicht als Zimmermann. Mehr pauschale Mittel seien nicht unbedingt der bessere Weg für die Kommunen. Für ihn liegt der richtige Ansatz für Kooperationen und Zusammenarbeit nach wie vor in langfristigen Programmen wie dem zur energetischen Stadtsanierung, welches er seit zehn Jahren begleite. “Wir haben in dem Programm eine sehr hohe Kooperationsbereitschaft”, stellte Langenbrinck heraus. Generell würden Förderprogramme, die gut aufgesetzt seien, einen Lernprozess bei den Akteuren initialisieren.


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Der digitale Stellenmarkt des Behörden Spiegel www.behoerden-spiegel.de/stellenmarkt

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15-Minuten-Stadt Wie lässt sich eine Stadt der kurzen Wege umsetzen? (BS/Uta Bauer) Die Vision der “Stadt der kurzen Wege” oder, neuerdings noch etwas präziser, einer “15-Minuten-Stadt” lässt sich schnell beschreiben: Alle für Bürger und Bürgerinnen wichtigen Alltagsziele sollten bequem zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sein. Das heißt: Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, Apotheken, Kindergärten und Schulen sind im Idealfall zu Fuß im Umkreis von 15 Minuten von der Wohnung entfernt. Auch Arbeitsplätze, Freizeitangebote, Cafés und Restaurants müssten sich in unmittelbarer Nähe befinden, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Die Idee ist nicht neu und spätestens seit der Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt (2007) von 27 europäischen Städten als Leitbild verankert. Viel passiert ist seitdem jedoch nicht, die Idee wird von manchen Politikern sogar als “Bullerbü” verspottet. Tatsächlich zeigt der Trend alles andere als in Richtung “Bullerbü”. Die Entfernungen zur Arbeit, die Zahl und Größe neu zugelassener Autos steigen ungebrochen an. Aber wächst damit unsere Lebensqualität oder vielmehr nur der Veränderungsdruck? In den Städten wird der Platz auf der Straße immer knapper, die Stimmung zunehmend aggressiver. Nicht zuletzt zwingen Lärm, Luftschadstoffe, Klimaschutz und Klimaanpassung zum Umdenken. Auch der aktuelle Wandel in der Arbeitswelt mit mehr Homeoffice richtet den Blick stärker auf die Wohnumgebung und ihre Qualitäten: Wo mache ich meine Mittagspause?

Barcelonas “Superblocks” Was also können Städte tun? Eine Blaupause für eine gelungene Umsetzung der Stadt der kurzen Wege bietet das Konzept der “Superblocks” aus Barcelona. Kurz zusammengefasst wird dort

zusätzlichen Baumpflanzungen, Grün- und Versickerungsflächen umgebaut werden.

Bundesweite und internationale Nachahmer

Karte des Superblocks Poblenou in Barcelona, die Pfeile zeigen jeweils Fahrtrichtungen für den Kfz-Verkehr an. Screenshot: BS/Dach, www.barcelona.cat

der öffentliche Straßenraum in Stadtvierteln nicht mehr allein als Durchfahrtsraum und Abstellfläche für private Autos begriffen, sondern als Bewegungsund Lebensraum der Menschen, die dort leben, gestaltet. Die Maßnahmen zur Umsetzung sind relativ simpel: In einem ersten Schritt wird der Durchfahrtsverkehr mittels Schleifenlösungen, Diagonalsperren, modalen Filtern oder Einbahnstraßen herausgehalten. Für Anwohnende, Besuchende, Rettungs- und Lieferfahrzeuge sowie Müllab-

fuhr bleiben selbstverständlich alle Gebäude mit Fahrzeugen erreichbar. Die Geschwindigkeit wird auf Tempo 30 reduziert, parkende Autos werden durch eine konsequente Bewirtschaftung der Stellflächen im öffentlichen Straßenraum möglichst auf private (Sammel-)Garagen umgelenkt. Der gewonnene Platz wird für attraktive, sichere Gehund Radwege, aber auch für den Aufenthalt genutzt. Bewähren sich die reversiblen Maßnahmen, können Straßen und Plätze dauerhaft auch im Hinblick von

Das oben beschriebene Konzept findet bundesweit und international Nachahmer. In Berlin haben sich bis Ende des Jahres 2021 in verschiedenen Bezirken bereits 52 Kiezblock-Initiativen formiert, die eine Umsetzung der Idee vorantreiben. Im Hamburger Stadtteil Ottensen wird der erfolgreich bewertete Verkehrsversuch “Ottensen macht Platz” dauerhaft realisiert, im Stadtteil Eimsbüttel soll nun “Superbüttel” folgen. Darmstadt arbeitet an “Heinerblocks”, Wien im Stadtteil Favoriten an einem “Supergrätzel”. In London sind die “Mini Hollands” oder “Low Traffic Neighbourhoods” ein ganzheitlicher Ansatz, der erfolgreich explizit in Außenbezirken umgesetzt wird. Und nicht zuletzt wurde die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo mit ihrer ambitionierten Vision der 15-Minuten-Stadt erst im letzten Jahr wiedergewählt. Die Vorteile der Stadt der kurzen Fortsetzung auf Seite 17


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Fortsetzung von Seite 16 Wege liegen auf der Hand. Statt Autos sind nun Menschen auf der Straße. Durch die Belebung werden Nachbarschaften, das lokale Gewerbe, der Einzelhandel und die Gastronomie gestärkt. Der Wirtschaftsverkehr findet mehr Platz. Die Luftqualität wird besser, die Unfallzahlen und die Lärmbelastung sinken. Die Herausforderungen, die das Konzept mit sich bringt, dürfen jedoch nicht verschwiegen werden. Die verkehrsberuhigten Blocks funktionieren nur, wenn

sie so miteinander vernetzt sind, dass insgesamt der motorisierte Verkehr zurückgehen kann, der öffentliche Nahverkehr und die Radverkehrsinfrastruktur auf den Hauptstraßen ausgebaut wird. Mehr Wohn- und Lebensqualität bedeutet jedoch vielerorts auch steigende Mieten und Immobilienpreise. Ein Phänomen, welches allerdings weniger mit verkehrspolitischen als mit wohnungspolitischen Maßnahmen zu steuern ist. Nicht zuletzt gehört auch jede/r Einzelne zu den Katalysatoren oder Bremsern einer Stadt der kurzen Wege. Die Entscheidung für die Grund-

Mobilität gelebt wird. Einige der geschilderten “Nebenwirkungen” Uta Bauer ist Teamleiterin im der Stadt der kurForschungsbereich Mobilität des Deutschen Instituts für zen Wege machen Urbanistik. darauf aufmerksam, dass ein inFoto: BS/David Aufhausser tensiver Kommunikationsprozess mit Anliegern und schule in der Nachbarschaft oder Anwohnenden als wichtiger Baufür eine bilinguale Schule am stein einzuplanen ist und die Rand der Stadt beispielsweise Realisierung von Beginn an eientscheidet, ob das Angebot um ne Gemeinschaftsaufgabe von die Ecke tragfähig bleibt und Stadt- und Verkehrsplanung Verkehr produziert oder aktive sein sollte.

Im Februar geht’s weiter Noch keine Einigung zwischen VKA und MB (BS/jf) Zu Beginn der dritten Verhandlungsrunde klang Wolfgang Heyl, Verhandlungsführer der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), noch optimistisch. “Auf der Basis unseres vorgelegten Angebotes lässt sich nun zügig ein Abschluss vereinbaren, der den bestehenden Rahmenbedingungen und der schwierigen finanziellen Lage der kommunalen Krankenhäuser gerecht wird.” Dazu ist es nicht gekommen. 3,3 Prozent aufgesplittet auf zwei lineare Erhöhungen zu je 1,65 Prozent am 1. Januar 2023 und 2024 bei einer Laufzeit von drei Jahren hatte die VKA angeboten, zuzüglich einer CoronaSonderzahlung von 1.200 Euro, die mit dem März-Entgelt 2022 ausgezahlt werden sollten. Außerdem sollten die Regelungen für Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienste weiter verbessert werden. Doch der Marburger Bund (MB) lehnte ab. “Die Mitglieder des Marburger Bundes empfinden das, was die VKA gestern prä-

sentiert hat, nicht nur als Zumutung, sondern als bewusste Provokation”, sagte dessen Verhandlungsführer Dr. Andreas Botzlar, 2. Vorsitzender des MB. Vor allem die zeitlichen Daten sorgen für viel Kritik. Die aktuelle Entgelttabelle hatte die ÄrzteGewerkschaft zum 30. September 2021 gekündigt. Die erste Entgelterhöhung komme daher viel zu spät, was für die Mediziner 15 sogenannte Leermonate zur Folge hätte. “Wenn man die von den kommunalen Arbeitgebern vorgesehene Gesamtlaufzeit von 39 Monaten zugrunde legt, wür-

den sich die Ärztegehälter im Jahresdurchschnitt um gerade einmal etwa ein Prozent erhöhen”, rechnet Botzlar vor. Bei der derzeitigen und aller Voraussicht nach auch zukünftigen Inflationsentwicklung würde dadurch noch nicht einmal die Preissteigerung kompensiert werden. Das werde auch nicht durch die Einmalzahlung einer Corona-Prämie wettgemacht. “Faktisch will die VKA den Ärztinnen und Ärzten in den kommunalen Krankenhäusern ein Gehaltsminus zumuten”, zieht der zweite Vorsitzende sein Fazit. Anders der Vorsitzende

des Gruppenausschusses für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen bei der VKA, Heyl: “Die Forderungen, auf denen die Gewerkschaft weiterhin beharrt, zeugen von Realitätsferne und sind in der Praxis nicht umsetzbar.” Am 14 Februar wollen beide Seiten zu einer vierten Verhandlungsrunde zusammenkommen. Dann soll auch über die Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaften weiter verhandelt werden. Der MB sieht in dem Angebot deutliche Verschlechterungen gegenüber dem Status quo.

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Kommunaler Haushalt/Kommunale Infrastruktur

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Kommunen reagieren auf Finanznot

Quartiersentwicklung

Gebührenerhöhungen vor allem bei Wasser, Müll und Grundsteuer

Handlungsansätze für Kommunen

(BS/lkm) Die Corona-Krise hat die finanzielle Schieflage vieler Kommunen verstärkt. Die Mehrheit von ihnen will laut einer Umfrage deshalb ihre (BS/Olaf Schnur) Quartiersentwicklung spielt seit vielen Jahren eine Steuern erhöhen. Teurer werden sollen zum Beispiel die Wasserversorgung und die Müllabfuhr. Auch örtliche Schwimmbäder sollen geschlossen zentrale Rolle in den Städten und Gemeinden. Mit der Neugliederung der werden. Städtebauförderung, der Neuen Leipzig Charta (2020) und dem Memorandum “Urbane Resilienz” (2021) wurde das Quartier als HandlungsDie Corona-Pandemie führt bei ten wollen. So planen 26 Prozent net laut Umfrage derzeit nicht Bei den kommunalen Leistun- ebene weiter gestärkt und fest im politischen Bezugsrahmen verankert. den deutschen Kommunen wei- der Städte und Gemeinden, im damit, ihre Schulden aus eigener gen ist mit weniger Einsparungen Auch die Transformation der Kommunen zu mehr ökologischer, sozialer terhin zu herben Einnahmever- laufenden und im folgenden Kraft zurückzahlen zu können. zu rechnen – nur 26 Prozent der und ökonomischer Nachhaltigkeit erhält dadurch – ausgehend von der lusten und zu einer sehr ange- Jahr kommunale Leistungen Besonders skeptisch zeigten sich Städte und Gemeinden planen Quartiersebene – mehr Gewicht.

spannten Haushaltslage. Laut einer Umfrage der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY rechnen 40 Prozent der Kommunen in den alten Bundesländern mit einem Anstieg ihrer Verschuldung in den kommenden drei Jahren und nur 29 Prozent mit einer sinkenden Schuldenlast. Im Osten Deutschlands wird die Lage positiver eingeschätzt: Hier rechnen nur 14 Prozent mit steigenden und 52 Prozent mit sinkenden Schulden.

Immer mehr Kommunen erwarten Defizit Aufgrund hoher Ausgaben und teils stark gesunkener Einnahmen steigt der Anteil der Kommunen, die das laufende Jahr voraussichtlich mit einem Haushaltsdefizit abschließen werden, erneut an: von 51 auf 55 Prozent. Zum Vergleich: Im Vor-CoronaJahr 2019 wiesen nur 13 Prozent der Kommunen ein Haushaltsdefizit auf. In der Umfrage unter 300 deutschen Kommunen mit mindestens 20.000 Einwohnern gaben viele Städte an, dass sie aufgrund der schwierigen Haushaltslage erneut harte Einschnitte vornehmen und unpopuläre Sparmaßnahmen einlei-

einzuschränken. Und 70 Prozent wollen die kommunalen Steuern und Gebühren erhöhen. “Viele deutsche Kommunen stehen heute mit dem Rücken an der Wand – zwar haben Bund und Länder im vergangenen Jahr mit erheblichen Mitteln eine Schuldenexplosion aufseiten der Kommunen verhindert. Aber auch im laufenden Jahr fehlt viel Geld in den Kassen der Städte und Gemeinden”, sagt Mattias Schneider, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector in Deutschland. Immer drängender stelle sich die Frage nach einer langfristigen finanziellen Perspektive für die Kommunen. “Selbst in konjunkturell sehr guten Jahren war nur ein langsamer Schuldenabbau möglich. Die aktuelle Krise zeigt, dass die finanzielle Ausstattung der deutschen Kommunen alles andere als nachhaltig ist – und dass die Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter auseinandergeht.”

Weiter steigende Schulden erwartet Viele Städte trauen sich den Schuldenabbau aus eigener Kraft nicht zu. Mehr als jede dritte Gemeinde in Deutschland rech-

die Kämmerer von Kommunen, die derzeit ein Haushaltsdefizit ausweisen. Von ihnen geht jede zweite Kommune davon aus, die Schulden nicht ohne Hilfe von Dritten begleichen zu können. Auffallend ist auch, dass der Anteil der Kommunen, die sich den Schuldenabbau aus eigener Kraft nicht zutrauen, in den alten Bundesländern mit 40 Prozent deutlich höher ist als in den neuen (24 Prozent).

Grundsteuer soll in jeder dritten Stadt steigen Angesichts der schwierigen Finanzlage plant eine deutliche Mehrheit von 70 Prozent, Steuern bzw. Abgaben zu erhöhen. Im Vorjahr habe der Anteil bei 64 Prozent gelegen. Teurer werden sollen insbesondere die Wasserversorgung sowie die Müllabfuhr bei jeweils 40 Prozent der Kommunen. Eine Anhebung der Grundsteuer planen 32 Prozent, die Gewerbesteuer soll in 29 Prozent der Kommunen angehoben werden; dahinter folgt die Straßenreinigung, die in 28 Prozent der Kommunen voraussichtlich teurer wird. Friedhofs- und Parkgebühren sollen in 18 bzw. 17 Prozent der Kommunen steigen.

neue Einschränkungen des kommunalen Angebots. Schneider sagt: “Viele Kommunen haben ihre freiwilligen Leistungen bereits stark reduziert, sodass an dieser Stelle kaum noch Einsparpotenziale bestehen. Besonders in strukturschwachen Gegenden bieten viele Kommunen inzwischen wenige Leistungen, die über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinausgehen.”

Teufelskreis für klamme Kommunen Am häufigsten stehe das kommunale Schwimmbad auf der Streichliste: 16 Prozent der befragten Städte und Gemeinden planen die Schließung oder einen eingeschränkten Betrieb. In 13 Prozent soll an der Straßenbeleuchtung gespart werden, jede neunte Kommune will Bibliotheken oder sonstige kulturelle Einrichtungen schließen. “Die Reaktionen auf die kommunale Finanznot sind seit Jahren ähnlich: Leistungen werden gestrichen und Steuern erhöht”, beobachtet Schneider. “Die Folge ist, dass gerade finanziell notleidende Kommunen sowohl für Bürger als auch für Unternehmen immer unattraktiver werden – das ist ein Teufelskreis.”

“Kommunale Infrastrukturen”

Instandhaltungsstrategien in Städten und Gemeinden von Dr. Ulrich Keilmann Zu einem guten kommunalen Immobilienmanagement gehört die Analyse der Aufwendungen und des Werterhalts des Immobilienbestandes. Je Gebäudekategorie sind die Instandhaltungsaufwendungen zu ermitteln und Referenzwerten gegenüberzustellen. Die Referenzwerte können mit dem analytischen Budgetierungsverfahren PABI (Praxisorientierte Adaptive Budgetierung von Instandhaltungsmaßnahmen) berechnet werden. Das PABI-Verfahren wurde von Prof. Dr. Carolin Bahr in Zusammenarbeit mit dem Steinbeis Transferzentrum Bau und Facility Management (BFM) entwickelt. Es beruht auf einer umfassenden Realdatenanalyse und 15-jähriger Forschungsarbeit. Werden die Ist-Instandhaltungsaufwendungen in Relation zu den Soll-Instandhaltungsaufwendungen nach dem PABIVerfahren gesetzt, lassen sich drei Instandhaltungsstrategien ableiten: 1. wertzehrende Instandhaltung (0 bis 80 Prozent), 2. werterhaltende Instandhaltung (über 80 bis 120 Prozent), 3. wertsteigernde Instandhaltung (über 120 Prozent). Niedrige Instandhaltungsquoten unter 80 Prozent können zu einem Wert- und Substanzverlust der Gebäude führen. Liegen die Instandhaltungsquoten im Bereich um 100 Prozent, wird eine werterhaltende Instandhaltungsstrategie verfolgt. Hohe Instandhaltungsquoten (über 120 Prozent) liegen bei wertsteigernder Instandhaltungsstrategie vor. Das könnte im Einzelfall indes darauf hinweisen, dass Instandhaltungsmaßnahmen für einen längeren Zeitraum nicht kontinuierlich durchge-

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

Abbildung: Instandhaltungsstrategien Quelle: BS/eigene Erhebungen; Stand:Februar 2021; Kommunalbericht 2021, Hessischer Rechnungshof

führt wurden und ein Instandhaltungsstau nun abgebaut werden muss. In der 226. Vergleichenden Prüfung “Immobilienmanagement” wurden die Instandhaltungsstrategien von 16 Städten und Gemeinden analysiert. Die jeweilige Instandhaltungsstrategie der Kommune wurde übergreifend am Median über die Gebäudekategorien abgeleitet (s. Abbildung). Erstaunlich war: Zwischen den Gebäudekategorien gab es erhebliche Unterschiede der Erfüllungsgrade. Das kann an gezielten Prioritätensetzungen oder unregelmäßigen Reparaturen liegen. Insgesamt verfolgten 13 Kommunen eine wertzehrende Instandhaltungsstrategie. Nur drei Kommunen hatten eine für alle Gebäudekategorien werterhaltende Instandhaltungsstrategie. Genau diese empfiehlt die Überörtliche Prüfung den Kommunen. Hierzu sind im Einzelfall die Instandhaltungsaufwendungen zu verstetigen oder zu steigern. Außerdem ist es ratsam, die Erfüllungsgrade zwischen den Gebäudekategorien zu vereinheitlichen und so den Gesamtbestand werterhaltend zu betreiben. Ausgenommen hiervon sind beispielsweise Gebäude, die aufgrund einer Flächenbedarfsanalyse perspektivisch abgestoßen werden sollen. In diesen Gebäuden wäre die Reduktion der Instandhaltungsaufwendungen nachvollziehbar. Lesen Sie mehr zum Thema “Instandhaltungsstrategien” im Kommunalbericht 2021, Hessischer Landtag, Drucksache 20/6484 vom 19. November 2021, S. 213 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.

Dass es sich bei der Quartiersentwicklung vor Ort um eine überaus komplexe Aufgabe handelt, zeigt sich beim näheren Hinsehen: Genauso unterschiedlich wie die Interessen und Aufgaben der “entwickelnden” Akteurinnen und Akteure im Quartier – von der Planungsamtsleiterin über den Quartiersmanager, die engagierte Bürgerin oder den Projektentwickler bis hin zur Sozialarbeiterin – sind deren Perspektiven auf das Sujet. Zwar dürfte vielen Beteiligten klar sein, dass es sich beim Quartiersbegriff und dem Quartier um eine “soziale Konstruktion” handelt. Wenn das “Quartier” jedoch gleichermaßen als administrativ abgegrenzter Planungsraum, als Immobilienportfolio oder als lebensweltliches Umfeld in Erscheinung treten kann, sind Komplikationen vorprogrammiert. Ähnlich wie man ein Smartphone mit Apps ausstatten kann, vermögen wir auch das Konzept Quartier mit vielerlei Bedeutungen aufzuladen: “Sanierungsgebiet”, “GentrificationAreal”, “benachteiligtes Viertel” oder “meine Heimat” sind nur ein paar mögliche Facetten eines einzigen Quartiers, die gleichzeitig und widersprüchlich ihre Wirkung entfalten können. Darüber hinaus unterscheiden sich Quartiere faktisch voneinander, etwa in Bezug auf die Lage, die Eigentümerstruktur, die Soziodemografie oder die Tatsache, ob es sich um ein Neubau- oder ein Bestandsquartier, ein Einfamilienhausgebiet oder eine Großsiedlung handelt.

Dimensionen der Quartiersentwicklung Die Frage, was wir an welchen Orten wie entwickeln wollen, hängt folglich von vielen Faktoren ab. Die klassischen Handlungsfelder lassen sich z. B. aus den Verwaltungsvereinbarungen der Städtebauförderung, den gängigen IHEKs und INSEKs oder aus oben genannten Policy Papers ablesen. Was angesichts der enormen Breite des Handlungsspektrums manchmal wünschenswert wäre, ist eine grundlegendere Orientierung, die auch gewisse Schwerpunktsetzungen begünstigt. Die nachfolgend skizzierten, eng miteinander verwobenen Dimensionen wirken – so hat es der Stadtforscher Dieter Läpple beschrieben – zusammen und “produzieren” Raum. Damit lassen sich auch Schnittstellen für kommunale Interventionen in Quartieren systematisch freilegen: • Zur baulich-materiellen Dimension (1) gehört u.a. das ganze Arsenal des Wohnungsneubaus, der Sanierung und Modernisierung im Bestand, des baulichen Klimaschutzes und der Klimaanpassung, des Baus von technischer und sozialer Infrastruktur bis hin zu den Investitionen in die Qualität des öffentlichen Raums. All dies sind die klassischen Ansätze der Städtebauförderung. • Zur sozialen Dimension (2) zählen einerseits soziale Praktiken, andererseits aber auch Sozialund Milieustrukturen. Kommunen können dazu beitragen, einen Ermöglichungsrahmen zu schaffen, etwa für die Entwicklung von Nachbarschaft und Kohäsion, zur Unterstützung des Austauschs zwischen unterschiedlichen Milieus, zur Stärkung von Netzwerken, insbesondere von brückenbildendem

PD Dr. Olaf Schnur leitet den Forschungsbereich im vhw Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. in Berlin. Weitere Infos: www. vhw.de, www.quartiersfor schung.de, www.olaf-schnur. com . Foto: BS/Schnur

Sozialkapital oder zur Förderung von Begegnung und Teilhabe. • Quartiersentwicklung kann unterschiedlich verlaufen, je nachdem ob ein Quartiersmanagement eingerichtet wird, das eine moderierende Funktion einnimmt, ob Beteiligung und Koproduktion großgeschrieben werden, wie das lokalpolitische Klima ist oder ob ressortübergreifendes Denken und Handeln vorherrscht. Naturgemäß haben Kommunen auf diese politisch-regulatorische Dimension (3) einen großen Einfluss. • Häufig vernachlässigt (aber nicht minder wichtig) ist die symbolische Dimension (4). Hierzu lassen sich Stimmungen und Atmosphären in Quartieren, dominante Narrative oder identifikatorische Orte rechnen. Kommunale Handlungsmöglichkeiten liegen zum Beispiel darin, stigmatisierende Diskurse und Images zu vermeiden und gegebenenfalls entgegenzusteuern. Es bietet sich auch an, symbolische Aneignungsversuche von Gruppen im Quartier konstruktiv aufzugreifen (z. B. Graffitis). Das Wichtigste an dieser – natürlich beliebig erweiterbaren – Auflistung ist: Quartiersentwicklung wird nur dann gut gelingen, wenn alle vier Dimensionen gleichermaßen mitgedacht und in ihren Zusammenhängen wahrgenommen werden. So wirken beispielweise eine positive Grundstimmung, eine kooperative, lokale Akteurslandschaft, eine aktive Nachbarschaft und eine geeignete Förderkulisse zusammen und schaffen ein gutes Umfeld für kommunale Initiativen zur Quartiersentwicklung (ganz anders sieht die Lage bei umgekehrten Vorzeichen aus). Es ist ratsam, gezielt und systematisch einzelne Parameter zu verbessern, um verstärkende Effekte hervorzurufen. Man könnte sogar noch grundsätzlicher herangehen und sich – ähnlich wie Jan Gehl aus der Perspektive von Architektur und Planung – in erster Linie am menschlichen Maßstab orientieren.

Verwirklichungschancen und Freiheitsgrade Um den Menschen in den Mittelpunkt gelingender Quartiersentwicklung zu rücken, eignet sich kaum ein Ansatz mehr als der Capability Approach des Wirtschaftsnobelpreisträgers Amartya Sen. Verkürzt gesagt: Folgte man diesem Ansatz, konzentrierte sich das kommunale Handeln auf die Verwirklichungschancen und Freiheitsgrade der Menschen. Wenn es gelänge, das kommunale Handeln noch konsequenter auf die Emanzipation der Subjekte und deren Miteinander im Quartier auszurichten und daran zu messen, führte dies zu einem Anstieg wertvoller Selbstwirksamkeitserfahrungen – und am Ende womöglich zu einer hohen sozialen Resilienz, also auch zu einer Ausweitung der Handlungsspielräume für Kommunen in Krisenzeiten wie einer Pandemie. Vor allem das Quartier als alltagspraktisches Umfeld erscheint ganz besonders geeignet, um solche Ziele umzusetzen.


Kommunale Infrastruktur

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Primat der Politik sicherstellen

Für einen lebenswerten ländlichen Raum

Leitbild für ein Modernes Beteiligungsmanagement

Das Saarland stellt sein Erfolgsrezept vor

(BS/Prof. Dr. Martin Richter) In der klassischen Organisationslehre würde man das Beteiligungsmanagement als Stabsstelle einordnen, die die vorgesetzten Instanzen unterstützt und berät, aber keine Entscheidungs- und Anordnungskompetenzen hat. Die Sichtweise als Stabsstelle entspricht dem Bürokratiemodell der traditionellen Verwaltung und einer “eigentümerzentrierten Sicht”. Es ist sehr zweifelhaft, ob mit der Charakterisierung als Stabsstelle die vielfältigen Funktionen, die das Beteiligungsmanagement ausübt bzw. ausüben sollte, zutreffend erfasst werden.

(BS/Reinhold Jost) Etwa 90 Prozent der Fläche Deutschlands zählen zum ländlichen Raum, wo mehr als die Hälfte der Einwohner leben. Vom anhaltenden Strukturwandel und dem damit verbundenen Arbeitsplatz- und Fachkräftemangel, über Abwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen – demografische Strukturveränderungen und Überalterung, Versorgungs- und Mobilitätsdefizite, Zunahme von Leerstand und sanierungsbedürftiger Bausubstanz, Image- und Wahrnehmungsverluste ländlicher Räume bis hin zu finanziellen Engpässen und mangelnden Investitionsspielräumen ländlicher Kommunen – so sieht vielerorts der Alltag im ländlichen Raum aus.

Das Beteiligungsmanagement ist “Scharnier” zwischen einer Vielzahl von Akteuren und Gremien. Sie lassen sich grob in Bürger (Öffentlichkeit), Politik (Gemeinderat und Parteien), Verwaltung (Verwaltungsführung, Kämmerei und Fachämter) und Beteiligungen gruppieren. Jede Gruppe ist geprägt durch sehr unterschiedliche Temperamente und individuelle Besonderheiten, Ausbildungen, Sozialisationen, Begrifflichkeiten, fachliche Spezialisierungen, Normen- und Wertesysteme und Interessen sowie Rationalitäten des Denkens und Handelns. Was z.B. für die Verwaltung politisch rational ist, kann auf das Management in den Beteiligungen irrational wirken und umgekehrt. Selbst innerhalb einer Akteursgruppe sind die Prägungen keineswegs homogen. So können z.B. spezialisierte Fachverwaltungen ihre eigenen Rationalitäten entwickeln. Vor diesem Hintergrund ist die Funktion des Beteiligungsmanagements sehr viel vielfältiger als die einer Stabsstelle. Sie ist eher mit einem Intermediär vergleichbar, d.h. mit einem Mittler zwischen den Akteuren bzw. mit einem “ehrlichen Makler”.

Übersetzungs- und Brückenfunktion

Zwei Hauptfunktionen des Beteiligungsmanagements sind zu unterscheiden, die Übersetzungsund die Brückenbauerfunktion. Unter der Übersetzungsfunktion ist die Transformation der – wechselseitigen – Erwartungen, Anforderungen und vielfältigen fachspezifischen Informationen in eine Sprache und Form zu verstehen, die für die Adressaten verständlich und in ihre Entscheidungen integrierbar ist. Grundlage dafür ist ein Informationssystem, das die verschiedenen Akteure und Handlungsebenen miteinander verknüpft und die erforderlichen Informationen zeitgerecht und verständlich zur Verfügung stellt. Grundlage sind weiterhin vielfältige formelle und informelle Kommunikationsprozesse. Ziel ist eine gemeinsame

Verständigungsbasis für eine Kommunikation ohne Missverständnisse. Die Brückenbauerfunktion geht davon aus, dass die Akteure sehr unterschiedliche, auch widerstreitende Interessen haben und über Machtpotentiale verfügen, um diese Interessen durchzusetzen. Grundlage für die Brückenbauerfunktion ist ein Netzwerk zwischen den Akteuren, das vom Beteiligungsmanagement aufgebaut und gepflegt werden muss. Netzwerke sind Ausdruck des Wandels vom Government- zum Governance-Konzept.

Versäulung entgegenwirken Mit dem Netzwerken soll der “Versäulung in den Verwaltungen” entgegengewirkt werden. Es gilt eine Gesprächsbasis zu schaffen, die Akteure “miteinander ins Gespräch zu bringen”, Kooperation und Offenheit zu fördern und sich mit unterschiedlichen Sichtweisen intensiv auseinanderzusetzen. Grundlage für die Brückenbauerfunktion ist weiterhin eine hohe Reputation der Mitarbeiter des Beteiligungsmanagements bei den übrigen Akteuren, wobei sich die Reputation einerseits auf einer unstrittig hohen Fachkompetenz

Mehr zum Thema: Wie die Effektivität des Beteiligungsmanagements verbessert werden kann, untersuccht der Autor in einer Studie. Erste Ergebnisse werden beim virtuellen Tag der Beteiligungsverwaltung des Behörden Spiegel am 22. und 23. Februar 2022 vorgestellt. Mehr unter: www.beteiligungsverwaltung.org

gründen muss und andererseits auf dem Vertrauen in die Person als unabhängigen, neutralen und unterstützenden Mittler zwischen den Akteuren.

Prof. em. Dr. Martin Richter ist ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung im privaten und öffentlichen Sektor an der Universität Potsdam. Foto: BS/privat

Zur Brückenbauerfunktion gehört auch, Konfliktpotentiale und Konflikte frühzeitig zu identifizieren. Ziel ist der Konsens sowie ein fairer und für die Beteiligten nachvollziehbarer Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Informationsständen, Überzeugungen und Interessen der Akteure. Handlungsmaßstab ist dabei das Gesamtinteresse der Kommune. Dabei hat das Beteiligungsmanagement (in aller Regel) keine direkten Weisungsbefugnisse. Die Hierarchie als Machtquelle scheidet aus. Trotzdem muss das Beteiligungsmanagement führen. Es muss andere Machtquellen nutzen. In Betracht kommen insbesondere die Expertise sowie die Gatekeeper-Funktion beim Informationssystem. Weitere Koordinationsmechanismen sind die Verständigung / Verhandlungen sowie Vertrauen. Erforderlich ist ein agiles Handeln. Zum agilen Handeln gehören eine schnelle Analyse der Sachverhalte und Entwicklungstendenzen, situative Konkretisierungen, Methodenvielfalt, die Suche nach Innovationen und nach pragmatischen und praktikablen Lösungen sowie eine Orientierung an Wirksamkeit, Resilienz und Zukunftsoffenheit. Nicht immer wird es gelingen, in allen strittigen Fragen Konsens zu erzielen. Dann muss das Beteiligungsmanagement das Primat der Politik sicherstellen. Der öffentliche Eigentümer muss sich letztlich mit seinen Interessen durchsetzen können.

Im Saarland lebt fast die Hälfte diese umfangreichen Aufgaben rarministerministerkonferenz der Bevölkerung im ländlichen bedarf es daher einer nachhal- unter saarländischem Vorsitz Raum. Trotz der zahlreichen tigen finanziellen Förder- und zugunsten eines neuen VerteiHerausforderungen sind unse- Investitionsstrategie. Deshalb lungsschlüssels nach objektire über 300 Dörfer Heimat und bietet das für die Dorfentwick- ven Kriterien herbeiführen. Für Wohlfühlorte. Dort sind Nachbar- lung im Saarland zuständige die EU-Förderperiode 2023 bis schaftshilfe, Zusammenhalt, re- Ministerium für Umwelt und 2027 stehen dem Saarland fast ges Vereinsleben und Ehrenamt Verbraucherschutz ein breites doppelt so viele ELER-Mittel wie wichtige Säulen, die eine bisher zur Verfügung. “Von einer wirklichen Gleichwertigkeit Mit dem Maximum der liebens- und lebenswernationalen Kofinante Heimat ausmachen der Lebensverhältnisse, ob zierung kommen wir und die Dorfstrukturen im Saarland oder im Vergleich mit auf eine Summe von stärken. Eine gute Inanderen Bundesländern, kann frastruktur ist enorm 131 Mio. Euro für alwichtig, aber allein nicht le ELER-Maßnahmen. aber noch keine Rede sein” Nach jetziger Planung ausreichend. So muss es unser Anspruch sein, die in- Spektrum an Förder- und Be- sollen hiervon in den nächsten vestive und die soziale Dorfent- ratungsmöglichkeiten. Unsere Jahren alleine 50 Mio. Euro wicklung zusammenzudenken, Förderrichtlinien werden immer für die Dorf- und Regionalentum den ländlichen Raum zu- wieder auf Herz und Nieren mit wicklung zur Verfügung gestellt kunftsfähig zu machen. Blick auf neue Bedarfe und Wei- werden. Neben der Optimierung Damit diesem Anspruch Rech- terentwicklungsmöglichkeiten und Verzahnung der eigenen Förnung getragen wird, haben wir im geprüft und auch angepasst, derprogramme werden wir das Saarland auch unsere Schwer- sodass wir viele Möglichkeiten zusätzliche Geld dazu nutzen, um punktziele in der Dorfentwick- haben, auf die Bedürfnisse von bald auch kleinere Sanierungslung daran ausgerichtet. Neben morgen zu reagieren. maßnahmen an Grundschulen der Verbesserung der Wohn- und Zwar steht die saarländische und Kitas oder Ertüchtigungen Arbeitsplatzbedingungen sowie Landesregierung in engem Schul- an multifunktional genutzten der Standortattraktivität auf dem terschluss mit dem Bund, wenn Sport- und Kulturhallen im FörLand, setzen wir Anreize für die es um die Schaffung gleichwer- derportfolio zu ergänzen. Menschen und Akteure, selbst tiger Lebensveraktiv zu werden und neue Ent- hältnisse in den wicklungsprojekte anzustoßen. ländlichen und städtischen GebieInvestitionsmodelle ten sowie zwischen Als Modell der optimalen Ver- den Regionen in zahnung haben wir das Drei- ganz Deutschland Säulen-Modell etabliert. Mit den geht. Von einer Reinhold Jost ist Minister für Umwelt und Verbraucherverfügbaren Mitteln aus dem wirklichen Gleichschutz des Saarlandes. Europäischen Landwirtschafts- wertigkeit der Lefonds für die Entwicklung des bensverhältnisse, Foto: BS/Daniel Bittner, MUV ländlichen Raumes (ELER), der ob im Saarland Gemeinschaftsaufgabe für Agrar- oder im Vergleich mit anderen Durch Bedarfszuweisungen des struktur und Küstenschutz (GAK) Bundesländern, kann aber noch saarländischen Innenministerisowie Landesmitteln unterstützen keine Rede sein, und deshalb ums kann die Förderquote im wir gezielt wichtige Investitionen sind wir auf die ländlichen Ent- Saarland für kommunale Vorhain die infrastrukturelle Basis in wicklungsprogramme des ELER ben auf 90 Prozent aufgestockt den Dörfern. Das sind Investi- dringend angewiesen, um mit werden, sodass den meist klamtionen in moderne Dorfgemein- passgenauen Förderungen Anrei- men Kommunen bei ihren Inschaftsinfrastrukturen, in die ze zu geben und Entwicklungen vestitionen stark unter die Arme Revitalisierung von Langzeitleer- in Gang zu setzen, die sonst nicht gegriffen wird. Dieses Erfolgsrezept hat sich in ständen, in Digitalisierung zur zustande kämen. den vergangenen Jahren bewährt Sicherung der Nahversorgung und in die Sicherung der Daseins- Zukünftige Optimierung und und zu einer großen Nachfrage Verzahnung vorsorge beispielsweise durch der Programme geführt, was wir Förderung von KleinstunternehDas Saarland als kleinstes nachhaltig fortführen möchten. men wie Bäcker oder Metzger. Flächenland hat aber einen So können wir im Saarland den Gleichzeitig investieren wir aber großen Erfolg errungen und ländlichen Raum gemeinsam fit auch in die Aufwertung der Orts- konnte durch harte Verhand- für die Zukunft und damit lebilder und das Wohnumfeld. Für lungen einen Beschluss der Ag- bens- und liebenswert machen.

→ 22.–23. Februar 2022, WEBKONFERENZ

Tag der Beteiligungsverwaltung Vom passiven Verwalten zum aktiven Steuern

DER Treffpunkt für das Beteiligungsmanagement, öffentliche Unternehmen, Politik und Aufsichtsrat Weitere Informationen zur Veranstaltung sowie Online-Anmeldemöglichkeit unter: www.beteiligungsverwaltung.org


Kommunale Sicherheit

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uf keinen Fall sinnvoll sei ein zivilrechtliches Überlassungsverbot derartiger Kraftfahrzeuge an Fahranfänger, wie es das Land Berlin im Rahmen einer Bundesratsentschließung vorgeschlagen hatte. Das Ansinnen fand in der Vertretung der Bundesländer auf Bundesebene nach einer entsprechenden Empfehlung des Rechtsausschusses auch keine Mehrheit und wurde nicht angenommen (Bundesratsdrucksache 540/21). Denn ein solcher Ansatz, der derartige Rechtsgeschäfte über das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verboten hätte, sei eine “Panikreaktion”, meint Prof. Dr. Dieter Müller von der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg/Oberlausitz. Außerdem sei sie nicht mit der Vertragsfreiheit vereinbar. Für zielführender hält der Jurist eine Regelung durch das Öffentliche Recht beziehungsweise das Gefahrenabwehrrecht.

Fahrprobe wäre rechtlich zulässig Er plädiert für eine Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und spezielle Einträge in die Führerscheine. Dann sollte es Fahranfängern auf diesem Wege nicht mehr erlaubt sein, hochmotorisierte Fahrzeuge zu mieten und zu führen. Eine solche Regelung, wonach in den ersten Jahren nach dem Führerscheinerwerb nur gedrosselte Maschi-

Behörden Spiegel / Januar 2022

Eher gefahrenabwehrrechtlich vorgehen? Zivilrechtliches Überlassungsverbot von Fahrzeugen schwierig (BS/Marco Feldmann) Inzwischen kommt es immer öfter zu Unfällen mit hochmotorisierten Fahrzeugen, an deren Steuer junge Menschen und Fahranfänger sitzen. Dabei werden in den letzten Jahren zunehmend Menschen gefährdet oder sogar verletzt. Auch ermittelt die Polizei vermehrt wegen verbotener Kraftfahrzeugrennen. Dieses Problems lässt sich jedoch kaum Herr werden. zeit allerdings noch zu selten gegriffen. “Auch weil das Fahreignungsrecht bei den Polizeien, sowohl in der Aus- als auch in der Fortbildung, kaum bekannt ist”, bemängelt Müller.

Polizeikontrollen würden erleichtert

Hochmotorisierte Fahrzeuge stellen immer wieder ein Problem für die Verkehrssicherheit dar, zumal wenn sie durch junge Fahranfänger gesteuert werden. Foto: BS/Pexels, pixabay.com

nen mit weniger Motorenleistung gefahren werden dürfen, existiert bereits für Motorradfahrer. Für Fahrer von Autos mit sehr hohen PS-Zahlen gibt es für die Polizei, sofern keine Ordnungswidrigkeiten oder gar Straftaten begangen wurden, aus Müllers Sicht bislang vor allem eine Möglichkeit. Die Beamtinnen und Beamten könnten die Fahrbefähigung des jungen Menschen am Steuer hinterfragen und an-

zweifeln. Dann bestünde nach einer entsprechenden Meldung für die Fahrerlaubnisbehörde die Möglichkeit, nach einer Anhörung des Betroffenen diesem eine Fahrprobe aufzuerlegen. “Bei dieser müsste er dann vor Prüfern nachweisen, dass er tatsächlich in der Lage ist, ein solch hochmotorisiertes Fahrzeug sicher zu führen”, erläutert der Verkehrsrechtsexperte. Zu diesem Instrument werde der-

Auch Marco Schäler, Mitglied der Verkehrskommission der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), hält eine Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung für den besseren Weg als ein zivilrechtliches Überlassungsverbot. Zwar sei Ersteres einschneidender als Letzteres. Aber: Eine novellierte Verordnung würde polizeiliche Kontrollen massiv erleichtern. Außerdem prognostiziert er, dass ein zivilrechtliches Überlassungsverbot nur schwer kontrollierbar sein dürfte und es immer schwarze Schafe unter den Autovermietern geben werde. “Außerdem hätte die BGB-Änderung wenig praktische Durchsetzungskraft, weil die Fahrzeuge derzeit oft innerhalb von Familien weitergegeben wer-

den”, so Schäler. Auch er sieht noch Verbesserungspotenzial bei der Vermittlung des Fahreignungsrechts bei den Polizeien, insbesondere in der Fortbildung. Schäler wünscht sich aber auch mehr Konsequenz aufseiten der Fahrerlaubnisbehörden. Die dortigen Verantwortlichen seien oftmals noch sehr vorsichtig, etwa wenn Polizeien Aggressionsdelikte meldeten. Hier sei ein gemeinsames Handeln gefragt. Denn: “Die Polizei kann gegen hochmotorisierte Fahrzeuge, an deren Steuer Fahranfänger sitzen, nur begrenzt vorgehen.” Einschreiten sei nur nach Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten oder aufgrund polizeilichen Gefahrenabwehrrechts möglich, etwa wenn ein durchgerosteter Auspuff abzufallen drohe.

Nur einzelfallbezogen Es gibt aber auch Stimmen, die den Weg über das öffentliche Recht und das Instrument der Anordnung einer Fahrprobe kritisch sehen. So hält zum Beispiel Siegfried Brockmann,

Leiter Unfallforschung beim GDV – Die Deutschen Versicherer, die Grenzziehung anhand der PSZahl für schwierig. Nur daran lasse sich keine erhöhte Unfallgefahr kausal nachweisen. Ein Stufenführerschein, wie beim Motorrad, sei daher nicht ausreichend zu begründen. Zudem sei eine Fahrprobe immer nur ein einzelfallbezogenes Instrument. Aus Brockmanns Sicht lässt sich das Problem derzeit nicht lösen. Timm Fuchs, Beigeordneter für Grundsätze der Verkehrspolitik beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB), sieht zunächst weiteren Aufklärungsbedarf. Vor einer Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung oder einem Überlassungsverbot sollte das Problem genau analysiert werden. Hierfür wünscht er sich eine bundesweite Untersuchung, um zu ermitteln, ob die Problematik auch außerhalb von Berlin relevant ist und was es für Handlungsmöglichkeiten gibt, etwa bei der personellen Ausstattung der Polizei. “Zumal das Phänomen auch viel mit Kontrollen und Kontrolldichten zu tun hat”, meint Fuchs. Ob es tatsächlich zu einem solchen Überlassungsverbot oder anderen Maßnahmen kommt, ist ungewiss. Das Land Berlin verfolgt die Initiative vorerst nicht weiter. Ob sich das im Zuge des jüngsten Regierungswechsels ändert, bleibt abzuwarten.

Der Markt gibt es noch nicht her

Ängste als ständiger Begleiter

Nachhaltiger Katastrophenschutz in Berlin geplant

Praxisbezogene Deeskalation als Selbstschutz

(BS/bk) Das Thema Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Auch in der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr gibt es erste Bestrebungen, das Thema voranzutreiben. Berlin will dabei ein Vorreiter sein. Doch stehen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgabe (BOS) gerade bei der Umstellung der Fahrzeugflotte vor Hindernissen.

(BS/Ronald Mikkeleitis) Die Gewalt gerade jetzt in Corona-Zeiten gegen Mitarbeitende des Öffentlichen Dienstes nimmt enorm zu. Beschäftigte der Ordnungsämter, der Polizei, Feuerwehr, Bahnpersonal, im Pflegebereich, in den Sozialämtern und mehr klagen über Verhaltensweisen von Kunden, die kaum noch zu ertragen sind. Angst vor Übergriffen, egal ob psychischer und/oder physischer Art, wird immer mehr zum alltäglichen Wegbegleiter im Dienst. Dies hat natürlich Folgen.

Im kürzlich geschlossenen Koalitionsvertrag der Berliner Regierungsparteien heißt es: “Die Koalition unterstützt die Berliner Polizei, Feuerwehr und Justiz beim Erreichen der Klimaziele. Wir werden alle Beschaffungen, insbesondere bei der notwendigen Erneuerung der Fahrzeugflotte und des Gebäudebestands, möglichst klimaneutral gestalten und verbindliche Klimaschutzkonzepte entwickeln.” Doch gerade eine klimaneutrale bzw. CO²-neutrale Beschaffung von Einsatzfahrzeugen ist derzeit noch schwierig. Der einfache Grund: Es gibt für die überwiegende Zahl der Einsatzfahrzeuge noch kein passendes Angebot auf dem Markt. Dies sagt selbst die Senatsverwaltung für Inneres in Berlin. Zwar werden schon momentan mehrere Einsatzfahrzeuge mit unterschiedlichen Kraftstoffen und Energiespeichern, wie vier wasserstoffelektrische Einsatzleitwagen, fünf batterieelektrische Wirtschaftsfahrzeuge oder das elektrische Löschhilfeleistungsfahrzeug (eLHF), bei der Berliner Feuerwehr getestet, doch stellen diese noch einen sehr kleinen Anteil dar. Die komplette Fahrzeugflotte umfasst in Berlin 865 Fahrzeuge. Vor allem Großfahrzeuge stellen eine Hürde bei der Flottenerneuerung auf CO ²-neutrale Fahrzeuge dar. Das eLHF ist als Großfahrzeug in der Bundesrepublik eine Ausnahme. Es wird seit 2020 im Berliner Programm für Nachhaltige Entwicklung getestet. Es hat

einen batteriebetriebenen Antrieb mit einem Range-Extender, also einem Dieselmotor. Doch auch wenn das eLHF im Einsatzbetrieb vielversprechende Ergebnisse vorweisen kann, werden nur die wenigsten Feuerwehren sich ein solches Fahrzeug leisten können. Das Projekt hat ein stolzes Gesamtbudget von 1,8 Millionen Euro. Die Kosten des Projekts werden zu 90 Prozent von der EU und vom Umweltsenat Berlin gefördert. Trotz hoher Kosten und eingeschränkter Produktauswahl plant das Land Berlin, bei zukünftigen Beschaffungen Fahrzeuge mit alternativen Antriebskonzepten in Dienst zustellen. Schließlich hat das Land nach dem Berliner Klimaschutz- Energiewendegesetz das Ziel, die öffentlichen Fahrzeugflotten bis 2030 vollständig auf CO²-freie Fahrzeuge umzustellen. Ausgenommen sind dabei Fahrzeuge mit besonderen Anforderungen, für die es kein Angebot auf dem Markt gibt. Dennoch sollen durch den Probebetrieb der Antriebsarten Erfahrungen gesammelt und die Umstellung schrittweise vollzogen werden. Der Vorstoß wird von der Berliner Feuerwehr trotzdem begrüßt Abseits der Angebots- und Kostenproblematik steht in diesem Zusammenhang auch immer die Frage nach der Katastrophenfestigkeit. “Die Fahrzeuge der Berliner Feuerwehr, die auch für den Einsatz in Katastrophenschutzlagen vorgesehen sind, werden aktuell mit Die-

selkraftstoff betrieben. Dies ist nach heutigem Stand des Katstrophenschutzsystems unabdingbar, weil Dieselkraftstoff den Energieträger des Systems darstellt”, erklärt Karsten Göwecke, Ständiger Vertreter des Berliner Landesbranddirektors. Gerade die Flutkatastrophe im vergangenen Jahr habe gezeigt, dass ein Großteil des Energienachschubs der Fahrzeuge durch mobile Tankstellen gewährleistet werden müsse. Göwecke sieht als Übergang zu emissionsärmeren Fahrzeugen hybride Antriebe als zielführend, die im Regelbetrieb weniger Emissionen durch andere Antriebe ausstoßen und in Katastrophenlagen mit Diesel betankt werden können. Als Alternative werden auch andere Kraftstoffe diskutiert. So könne eine Umstellung auf biologische oder synthetische Kraftstoffe sinnstiftend sein. Den Vorteil sieht Göwecke darin, dass Bestandssysteme für den Katastrophenschutz, wie z. B. Einsatzfahrzeuge oder Notstromgeneratoren, weiter genutzt werden könnten. Schließlich würden die jetzt beschafften Geräte rund 25 Jahre in Betrieb sein. Wasserstoff als Energieträger erteilt der Berliner zunächst eine Absage, da die aktuell verfügbare Wasserstoffinfrastruktur wie z. B. Tankstellen, Transporteinheiten, Lagerbestände oder die Erzeugung nach heutigen Maßstäben noch nicht katastrophenschutzfest sei. Hier gebe es noch Forschungsund Entwicklungsbedarf.

MELDUNG

Fehlende Impfpläne für BOS kritisiert (BS/bk) Die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) kritisiert die unzureichenden Impfpläne für Beschäftigte in Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Konkret fordert die Gewerkschaft Aufklärung über eine eventuelle Impfpflicht für Feuerwehr- und

Rettungsdienstkräfte. So seien Fragen nach dem Impfschutz oder der geforderten Anzahl an Impfungen unklar. Hier brauche es dringend mehr Transparenz. Die Gewerkschaft fordert deshalb ein bundeseinheitliches Konzept sowie eine detaillierte Aufklärung an den

Standorten. Ohne diese Planungen könne eine Impfpflicht nur abgelehnt werden, heißt es in einer Stellungnahme. DFeuGBundesvorsitzender Siegfried Maier erklärte dazu: “Uns erreichen derzeit täglich Anfragen von verunsicherten Kolleginnen und Kollegen.”

Dazu gehören unter anderem Traumatisierungen, undefinierte Ängste sowie unterschiedliche Erkrankungen. Fürsorgliche Vorgesetzte machen sich Gedanken, wie man diese Gemengelage für die Mitarbeitenden entschärfen kann. Die Überlegungen sind dabei vielschichtig. Mehr an Bewaffnung, Ausrüstung, Einsatztraining und Begleitung durch Polizei wird reflexhaft gefordert. Es gibt aber etwas, das häufig übersehen wird: Alle Mitarbeitenden verfügen längst über einen großen Fächer an Möglichkeiten, Gewalt im Dienst zu begegnen, den Angriff schon im Vorgriff zu verhindern, ohne selbst Gewalt anwenden zu müssen, das Gegenüber entsprechend sanft zu manipulieren, von Gewalt abzusehen usw. Hierzu existiert ein Fünf-Säulen-Modell. Bei den Säulen handelt es sich um Körpersprache, das Reden, die optische Darstellung, die Nachsorge und Abwehrtechniken.

Körpersprache hat einen großen Anteil an der gesamten Kommunikation und kann beim Gegenüber bereits aggressionsauslösend wirken. Bereits kleinste Fehler können ungewollt sehr negative Kräfte freisetzen und zu einem plötzlichen Angriff führen. Umgedreht kann man seine eigene Körpersprache positiv manipulierend einsetzen. Oftmals besteht das Geheimisnicht darin, gut zu reden, sondern gut zuzuhören. Besonders aggressives und lautes Verhalten des Gegenübers bringt häufig nur sichtbar/hörbar den Wunsch hervor, eben selbst gehört zu werden. Wer hier empathisch agiert oder spätestens reagiert, wird viel Schärfe herausnehmen können. Manchmal ist aber auch eine ganz gezielt eingesetzte und kurzfristige Eskalation die beste Art der Deeskalation. Auch hierfür ist ein Einfühlen in die Denkweise unseres Gesprächspartners unbedingte Voraussetzung für

Ronald Mikkeleitis ist ausgebildeter und langjährig tätiger Polizeivollzugsbeamter. Inzwischen arbeitet er als leitender Mitarbeiter in einem Berliner Ordnungsamt. Foto: BS/privat

ein konfliktfreies Miteinander. Mehr zum Thema Deeskalation auch auf einem Führungskräfte Forum des Behörden Spiegel am 7. und 8. April in Berlin. Weitere Informationen und Anmeldemöglichkeiten unter www. fuehrungskraefte-forum.de; Suchbegriff: Deeskalation

Waffenverbotszonen in NRW Temporäre Schaffung in Düsseldorf und Köln (BS/mfe) In Nordrhein-Westfalen sind drei Waffenverbotszonen eingerichtet worden: zwei in Köln und eine in Düsseldorf. Eine entsprechende Befugnis hat die Landesregierung dem Innenministerium erteilt. Eingerichtet wurden die Verbotszonen vom Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in Abstimmung mit den zuständigen Kreispolizeibehörden. Die Zonen befinden sich in der Düsseldorfer Altstadt sowie an den Kölner Ringen und an einer besonders belasteten Straße der Domstadt. Die Bereiche werden temporär an Wochenenden sowie vor und an Feiertagen (einschließlich Karneval) eingerichtet. Dort ist in den Abend- und Nachtstunden dann das Mitführen von Waffen sowie Messern mit einer feststehenden oder feststellbaren Klingenlänge von mehr als vier Zentimetern untersagt. Verstöße werden als Ordnungswidrigkeit geahndet und können ein Bußgeld von bis zu 10.000 Euro

zur Folge haben. Die Zonen sind mit Schildern gekennzeichnet. Ausgenommen von dem Verbot sind Anwohner, Mitarbeiter aus gastronomischen Betrieben sowie Handwerker. Das LZPD, das hier vor allem eine koordinierende Funktion wahrnimmt und die Umsetzung überprüft, soll dann gemeinsam mit den Kreispolizeibehörden fortwährend prüfen, ob vorhandene Waffenverbotszonen beibehalten werden. Außerdem soll geprüft werden, ob neue Zonen eingerichtet werden müssen. Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte: “Mit den Waffenverbotszo-

nen machen wir die Straßen ein Stück weit sicherer. Vor allem an Orten und Plätzen, an denen es immer wieder zu Straftaten kommt und an denen sich viele Menschen aufhalten, sollen sich die Bürgerinnen und Bürger wohlfühlen können.” Für die Polizei werde es künftig deutlich einfacher sein, präventiv einzuschreiten, zu kontrollieren und Verstöße zu sanktionieren, so der Ressortchef weiter. Auf Seite 32 findet sich ein Interview mit Innenminister Reul zu weiteren Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Januar 2022

Unerlässlich, aber energiefressend Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit bei Rechenzentren ist lang (BS/Matthias Lorenz) Im Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung sticht besonders ein Querschnittsthema hervor: Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Dies betrifft auch die Digitalisierung der Verwaltung, schließlich verbrauchen die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) laut Bundesumweltministerium (BMUV) in Deutschland rund 60 Terawattstunden Strom, was etwa dem gesamten jährlichen Stromverbrauch der Schweiz entspricht. Besonders viel Energie benötigen Rechenzentren, deswegen sollen neue nach dem Willen der Ampel ab 2027 klimaneutral betrieben werden. Wie kann das gelingen? Rechenzentren sind für die weitere Fortschreitung der Digitalisierung unerlässlich, vor allem, weil der Trend auch in der Verwaltung eindeutig in Richtung Cloud geht. Doch laut BMUV haben Rechenzentren am weltweiten IKT-Stromverbrauch schon heute einen Anteil von rund 20 Prozent. Damit die Verwaltungsdigitalisierung nicht zum Klimakiller wird, plant die Bundesregierung, für öffentliche Rechenzentren bis 2025 ein Umweltmanagementsystem einzuführen. Außerdem sollen für IT-Beschaffungen des Bundes Zertifizierungen wie der Blaue Engel Standard werden. Gerade für Rechenzentren ist dies allerdings schwer zu erreichen. “Das oberste Ziel des Blauen Engels für Rechenzentren ist es, die Effizienz im Bestand zu erhöhen”, erklärt Marina Köhn, die beim Umweltbundesamt (UBA) hauptverantwortlich für das Thema Green IT ist. Es gehe in erster Linie nicht darum, die Technik auszutauschen (Stichwort Ressourcenverschwendung), sondern das Vorhandene besser zu nutzen. Gerade die CPU-Auslastung von Rechenzentrumsservern sei oft noch sehr schlecht, bei Untersuchungen seien teilweise Serverauslastungen von unter fünf Prozent gemessen worden. Wollen sich Rechenzentren mit dem Blauen Engel zertifizieren lassen, müssen sie deswegen mindestens eine CPU-Auslastung aller Server von mindestens 20 Prozent über das komplette Jahr nachweisen. Eine bessere Serverauslastung sorgt für eine erhebliche Stromersparnis, da weniger Server für den gleichen Output betrieben werden müssen, aber zum Beispiel auch weniger Energie für die Klimatisierung benötigt wird. Ein Problem bei der nachhaltigen Umgestaltung von Rechenzentren sind laut Köhn die verschiedenen

obwohl sich gleichzeitig die ITLeistung um 200 Prozent erhöht habe.

Weitere Maßnahmen geplant

Die Informations- und Kommunikationstechnologien verbrauchen viel Energie. Besonders Rechenzentren stehen im Fokus, deren Server oftmals ineffizient arbeiten. Foto: BS/analogicus, pixabay.com

Rechenzentrumsmodelle. Neben klassischen Rechenzentren, die von Behörden oder Unternehmen selbst betrieben werden, gibt es im Wesentlichen zwei weitere Arten: Dienstleistungsrechenzentren, in die Kunden den Betrieb von Anwendungen auslagern, und sogenannte CoLocations-Rechenzentren, in denen der Betreiber lediglich die Rechenzentrumsumgebung stellt, in die Behörden und Unternehmen ihre eigenen Server platzieren können. “Hier kann der Betreiber dem Kunden ja nicht einfach vorschreiben, dieser solle mal seine Serverauslastung erhöhen”, sagt Köhn. Natürlich könne sich der Co-LocationsRechenzentrumsbetreiber so aber auch nicht komplett aus seiner Verantwortung entziehen, Optimierungspotenzial habe dieser zum Beispiel bei der Klimati-

sierung, Abwärmenutzung oder der Energiebereitstellung. “Die Klimatisierung findet oftmals noch mit klimaschädlichen Kältemitteln statt”, so Köhn. Seit 2020 gibt es deswegen nicht mehr nur den Blauen Engel für Rechenzentren, der bereits seit 2011 existiert. Neu geschaffen wurde ein spezieller Blauer Engel für Co-Location-Rechenzentren. Eine Voraussetzung für die Zertifizierung ist hier zum Beispiel, dass die Betreiber ihren Kunden mitteilen müssen, wie effizient sie sind. Als erstes Rechenzen­ trum dieser Art überhaupt erhielt 2021 ein Rechenzentrum des IT-Dienstleisters Akquinet das Prädikat. Hauptnutzer ist der öffentliche IT-Dienstleister Dataport, der dort mehr als 900 Fachverfahren für die Verwaltung betreibt. “Wir haben bei der Ausschreibung für das Rechenzen-

trum Nachhaltigkeit zu einem der Hauptkriterien gemacht”, sagt Manfred Reschka, der für Dataport das Rechenzentrum betreut. Deswegen sei schon der Baukörper als solcher sehr effizient. Den Großteil der Energieeinsparung realisiere Dataport allerdings über Virtualisierung. Auf einem physischen Server laufen also mehrere virtuelle Server. “2013 haben wir noch gut 2.300 physische Server betrieben, auf denen rund 350 Applikationen liefen. Jetzt sind es 950 Server und 1.200 Anwendungen”, führt Reschka weiter aus. Bedenken einiger Behörden hinsichtlich der Sicherheit der Vorgehensweise habe man ausräumen können: “Die virtuellen Einheiten sind vollständig voneinander getrennt, zum Beispiel über verschiedene Netzwerkzugänge.” Die Stromersparnis liege bei rund 50 Prozent,

Beim UBA sind zurzeit weitere Maßnahmen in Planung, um die Nachhaltigkeit von Rechenzen­ tren zu fördern. Unter anderem soll ein Rechenzentrumsregister erstellt werden. “Dabei handelt es sich um eine Art Karte, auf der Rechenzentren verzeichnet werden und Nachhaltigkeitsindikatoren wie die Energieeffizienz oder die Abwärmenutzung angegeben werden müssen”, erklärt die UBA-Mitarbeiterin Köhn. Darüber hinaus wolle man, ähnlich wie bei Haushaltsgeräten, ein Energieeffizienzkennzeichen für Rechenzentren einführen, um Transparenz zu schaffen und Wettbewerb zwischen den Zentren zu generieren. “Außerdem geht es um Fairness bei der Nachhaltigkeitsbewertung”, ergänzt Köhn. Bislang wird die Effizienz eines Rechenzentrums meist mit dem Power-Usage-Effectiveness (PUE)Wert angegeben. Dabei wird der Gesamtenergieaufwand des Rechenzentrums ins Verhältnis zum Energieverbrauch der ITInfrastruktur (z. B. Server und Switches) gesetzt. “Dieser Wert sagt allerdings nichts über das eigentliche Kerngeschäft eines Rechenzentrums aus”, so Köhn. Schließlich kann der Wert nicht angeben, wie effizient die Energie, die zum Beispiel in die Server gesteckt wird, genutzt wird. Hier ist Reschka teilweise anderer Ansicht: “Der Verbrauch eines Servers steigt mit seiner Last.” Der PUE sei der beste derzeit verfügbare Wert. Doch auch Reschka sagt, dass der PUE Schwächen habe. Die Entwicklung weiterer Möglichkeiten, die Nachhaltigkeit von Rechenzentren zu erfassen, ist also angebracht.

KNAPP Bund übernimmt Vorsitz im IT-Planungsrat (BS/lma) Turnusgemäß hat der Bund zu Jahresbeginn den Vorsitz im IT-Planungsrat übernommen. Bundes-CIO Dr. Markus Richter kündigte an, die Verwaltungsdigitalisierung weiter vorantreiben zu wollen. “Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung setzt hierfür neue Maßstäbe.” Laut ITPlanungssrat ist es das oberste Ziel im neuen Jahr, die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) zu beschleunigen, um die Frist Ende 2022 einhalten zu können. Die überwiegende Zahl der digitalisierten Verwaltungsdienstleistungen sei in diesem Jahr zu erwarten, weil aktuell laufende Umsetzungprojekte finalisiert würden.

Öffentliches Lobbyregister gestartet (BS/bt) Ab sofort gibt es ein Lobbyregister für die Interessenvertretung gegenüber dem Deutschen Bundestag und gegenüber der Bundesregierung. Für den Deutschen Bundestag haben mehr Lobbyisten einen Hausausweis als das Parlament Abgeordnete hat. Die Lobbyarbeit läuft nicht sehr transparent ab, dies soll sich künftig mit dem Register ändern und im Kontext der Interessenvertretung für mehr Transparenz sorgen, heißt es in einer Pressemitteilung des Deutschen Bundestages. Das entsprechende Gesetz trat zu Jahresbeginn in Kraft. Die Einträge der Interessenvertreter sind jederzeit öffentlich einsehbar. Dabei muss eine Vielzahl von Informationen von Interessenvertretern zu ihrer Person oder Organisation, über ihre Tätigkeit und Interessengebiete, Auftraggeberinnen und Auftraggeber sowie zum personellen und finanziellen Aufwand öffentlich gemacht werden. Die Lobbyisten haben aufgrund einer Übergangsvorschrift zwei Monate Zeit, um sich zu registrieren. Der Regis­ trierungsprozess wird mithilfe eines ausführlichen Handbuches, welches online heruntergeladen werden kann, unterstützt.

8. Zukunftskongress Bayern

Oans, Zwoa, Zack, OZG is! Mit neuem Schwung in die digitale Verwaltung

17. Februar 2022, München Webkonferenz www.zukunftskongress.bayern

Eine Veranstaltung des

#zkonbayern21

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Informationstechnologie

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resseberichten nach soll die Impfpflicht auch regelmäßige “Booster”-Impfungen umfassen, ohne die das Impfzertifikat nach Ablauf einer bestimmten Frist die Gültigkeit verlieren soll. Diese Fristen könnten durchaus auch je nach Impfstoff(kombination) variieren. Damit ist für die Behörden folgende Frage relevant: Wer wurde wann womit geimpft? Haben die Behörden diese Informationen überhaupt vorliegen? Die Corona Impfquoten Monitoring (COVIMO) Reports 6 und 7 des Robert Koch-Instituts (RKI) vom August bzw. Oktober 2021 sind hier recht aufschlussreich. Darin beschreibt das RKI den Einsatz von Meinungsumfragen, um die Impfquote in Deutschland zu schätzen, da die Daten des Digitalen Impfquotenmonitorings (DIM) offenbar nicht belastbar sind. In Report 7 schreibt das RKI auf Seite 5 dazu: “Diese Überlegungen legen nahe, dass die auf Grundlage der COVIMO-Daten berechneten Impfquoten eher eine Überschätzung darstellen, während die Meldungen im DIM die Impfquoten vermutlich unterschätzen.” Das bedeutet: Die oberste zur Seuchenbekämpfung berufene Behörde weiß nicht, wie viele in Deutschland lebende Menschen geimpft sind – geschweige denn Wer, wann und womit?

Warum nicht? Das RKI führt in COVIMOReport-7 einige Faktoren an, beispielsweise die nur teilweise erfolgende Meldung durch Betriebs- und niedergelassene Ärzte. Auch ist man sich einer gewissen Bias bei den eigenen Meinungsumfragen durchaus bewusst (etwa nur in deutscher Sprache durchgeführt). Die eigentlichen Ursachen liegen unserer Meinung nach allerdings tiefer und haben mit dem RKI selbst nichts zu tun. Wie bereits in einem Aufsatz der Autoren in der Juli-2021-Ausgabe des Behörden Spiegels (Seite 32) dargestellt, ist das Impfangebot in Deutschland nicht in der Lage, folgende Anforderungen zu erfüllen: • Ermittlung konkreter und realistischer Bedarfe anhand von belastbaren Daten der bereits Geimpften oder zu

Ein Blindflug auf Sicht?

auf zig unterschiedlichen Impfportalen und Telefonnummern konfrontiert ist. Damit bleibt leider nur das Fazit, dass – vollkommen unabhängig von politischen, (BS/Robert Müller-Török/Alexander Prosser) Bundestag und Bundesregierung planen eine allgemeine Impfpflicht. Unabhängig vom politischen ethischen und rechtlichen Entscheidungsprozess muss analysiert werden, ob die Verwaltung überhaupt in der Lage ist, eine solche Impfpflicht umzusetzen. “Umzusetzen” Debatten – mit dem derzeitibedeutet nicht nur die legistische Umsetzung, sondern vor allem die Kontrolle der Einhaltung durch die Rechtsunterworfenen und, wohl noch gen IT-Ausrüstungsstand eine wichtiger, die Ermöglichung der Einhaltung durch ein entsprechendes Angebot an Impfstoffen und verfügbaren Impfterminen. Impfpflicht rein handwerklich nicht administrierbar erscheint. Dass es auch anders Prof. Dr. Robert Müller-Török (links) lehrt an der Hochschule für geht, kann man in einem öffentliche Verwaltung und Finanzen anderen Land sehen: dort Ludwigsburg, Prof. Dr. Alexander existiert eine landesweite Prosser an der WirtschaftsuniversiAnmeldeapplikation für tät Wien. die Impfung, die auf der Fotos: BS/privat nationalen Personenidentifikationsnummer Aadhaar oder gleichwertigen, belastbaren Nachweisen basiert. Mit der Anmelnur, dass nicht im Zweifel mehr divide” in der Gesellschaft gibt. dung wird der Input für das bestellt wird – sondern zu wenig, Dass in der Praxis hier de facto Demand Management der Impfwie im Dezember 2021 der neue nur eine App akzeptiert wird, stofflogistik erzeugt; das System Gesundheitsminister nach Inven- erscheint befremdlich. Nicht jeder ist damit in der Lage, Bedarfshat ein Smartphone und gerade prognosen zu erstellen und auf tur bekannte. “Alte, Arme, Ausländer” haben allfällige Unterdeckung hinzuDie Kontrolle der Einhaltung häufiger keines. weisen. Mit dieser Applikation Hinzu kommt die EU-rechts- wird auch die erfolgte Impfung Eine Kontrolle kann auf zwei Mit dem derzeitigen IT-Ausrüstungsstand erscheint eine Impfpflicht rein hand- möglichen Wegen erfolgen, näm- konforme Umsetzung der Impf- sofort dokumentiert, das diwerklich nicht administrierbar. Foto: BS/Pixabay lich als vollständige und auto- pflicht. Ein polnischer Handwer- gitale Impfzertifikat erzeugt matisierte Kontrolle, wie bspw. ker arbeitet einige Wochen auf und dem Impfling (meist auf Personen verabreicht, von die Kontrolle der Einhaltung der einer Baustelle in Deutschland, das Smartphone) zugesandt. impfenden Personen. Die eidenen man keine Identifi- Steuerpflicht oder aber wie die ein französischer Entwickler an Jeder kann jederzeit abfragen, gene “Impfsurveillance” nach kationsdaten hat. Dass die Fahrkartenkontrolle im Bus: einem IT-Projekt und ein grie- wie viele Menschen in einem § 4 CoronaImpfV arbeitet mit Impfung einer in Berlin ge- durch Stichproben. Dass eine chischer Lkw-Fahrer beliefert bestimmten Bundesstaat, Dipseudoanonymisierten Daten über erfolgte Impfungen. Das boosterten Person, welche die vollständige Kontrolle mangels eine Fabrik – gilt hier die Impf- strikt oder Impfzentrum wann heißt: Selbst wenn auch nieersten Impfungen in Hamburg Datenbestands der Geimpften pflicht und wie ist diese mit den mit welchem Impfstoff geimpft dergelassene und Betriebserhalten hat, überhaupt im und Ungeimpften nicht mög- Grundsätzen der Freizügigkeit in wurden. Die Regierung selbst ärzte vollständig meldeten, Datensatz dieser Erst- und lich ist, ist offensichtlich. Einen Einklang zu bringen? hat selbstverständlich die perwüsste man noch immer nicht: Zweitimpfung zuordenbar ist, entsprechenden Datenbestand sonenbezogenen Impfdaten ihist auf Basis der CoronaImpfV aufzubauen, bspw. durch eine Impfpflicht erscheint weder rer Bürgerschaft. wer? einhaltbar noch durchsetzbar Das Land ist Indien, ein unwahrscheinlich. Ebenso Änderung der Meldegesetze und • D ie Bevölkerung, die der können weder die an seither Speicherung des Impfstatus in Impfquote im Nenner zugrunDass es keine zentrale Impfter- Schwellenland mit 1,4 Mrd. verstorbene oder weggezogene den Melderegistern, erscheint im minvergabe gibt und Impftermine Einwohnern. Hier der Link zum de gelegt wird, ist der festPersonen verabreichten Imp- Lichte des Politik- und Verwal- eher zufällig und aufwendig zu Dashboard der indischen Regeschriebene Bevölkerungsstand vom 31.12.2020, bis fungen herausgerechnet noch tungshandelns seit Pandemiebe- erhalten sind, ist allgemein be- gierung: https://dashboard. Herbst 2021 war es der vom kannt. Damit ist es dem Rechts- cowin.gov.in. die von zugezogenen Personen ginn unwahrscheinlich. Somit bleibt nur die Stichpro- unterworfenen unter Umständen Wir empfehlen, wie bereits 31.12.2019. Dass in Deutschhineingerechnet werden. Daland pro Jahr knapp unter zu kommt, dass sich etliche benkontrolle. Diese sollte, analog schwer möglich, sich an die Impf- mehrfach in der Vergangenheit, einer Million Menschen sterEinwohner ihre Impfungen im zur Fahrkartenkontrolle, nicht- pflicht zu halten, wenn er bspw. die Adaption und Übernahme ben, fließt hier nicht ein. DaAusland holten, insbesondere diskriminierend sein und berück- in Berlin mit wochenlangen War- dieses Systems für die deutsche zu kommen 1,2 Mio. Zuzüge als 2021 Impfstoff knapp war. sichtigen, dass es einen “digital tezeiten und mit Anmeldungen Verwaltung. und eine Mio. Wegzüge mit Wie viele der bspw. 257.000 Auslandsösterreicher in der Verwaltung unbekanntem Deutschland und der 209.000 Impfstatus. Plus innerdeutAuslandsdeutschen in Östersche Umzüge von acht bis 14 reich sich ihre Impfungen wo Prozent jährlich, welche jede geholt haben, entzieht sich seriöse Bundesländer- oder Bildungsplattform ist nun Produkt des IT-Planungsrates Kreisimpfquotenaussage vervöllig der Kenntnis des RKI. unmöglichen. Auf einer solchen “Datenbasis” (BS/gg) Im Jahre 2020 hat das Land Hessen die vom IT-Planungsrat mit 2,2 Millionen Euro geförderte Bil• Die verabreichten Impfdosen ist zuvorderst keinerlei seriöse dungsplattform eGov-Campus initiiert und für zwei Jahre die Federführung und das Projektmanagement sind, wie das RKI zugibt, un- Prognose über den Impfstoffbe- übernommen. Zum Jahreswechsel ging der eGov-Campus nun zum dauerhaften Betrieb als Produkt des ITvollständig und wurden an darf möglich. So verwundert es Planungsrats in die Verantwortung der FITKO (Föderale IT-Kooperation) über.

Die Impfpflicht in Deutschland

eGov-Campus geht an FITKO über

Tag und Nacht Studierende arbeiten an Smart City (BS/lma) Die Stadt Bonn bezieht auf dem Weg zur Smart City Studierende in die Arbeit mit ein. Zu den zwei Themengebieten “Nachhaltige Mobilität” und “Attraktive Innenstadt” entwickelten insgesamt drei Teams konkrete Prototypen. Angewandt wurde in dem Workshop dabei die Methode des “Design Thinkings”. Im Themengebiet “Nachhaltige Mobilität” entwickelten die Studierenden eine App, die blinde und sehbehinderte Menschen bei der Bewältigung von täglichen Mobilitätsherausforderungen unterstützen soll. Hilfe werde zum Beispiel bei der Standortbestimmung, bei der Navigation zum richtigen Busoder Bahnsteig und während der Fahrt gegeben, erklärte man seitens der Stadt. Dabei kämen ein Sprachassistent und eine zielgruppengerechte Farbgebung zum Einsatz. Außerdem könnten sich Helferinnen und Helfer in der App registrieren. Diese würden dann benachrichtigt, falls eine eingeschränkte Person in der Nähe Hilfe benötigen sollte. Im Kontext “Attraktive Innenstadt” entwickelten die Studierenden ein Social Media Dashboard, auf dem raumbezogene Social Media Posts verarbeitet werden. Ein Ziel sei es, komplexe Geodaten auch Laien zugänglich zu machen, heißt es in der Mitteilung. Die Stadt Bonn bekomme so die Möglichkeit, Kampagnen durchzuführen und die Bürgerinnen und Bürger beispielsweise zum

Behörden Spiegel / Januar 2022

Ein Projekt befasste sich mit der Steigerung der Attraktivität des Nachtlebens. Foto: BS/Pexels, pixabay.com

Posten unter #MyFavoriteSpotBonn aufzufordern. Anhand der Auswertung der Posts könnten dann passende Maßnahmen entwickelt werden. Das zweite Smart-City-Projekt in diesem Kontext will das Bonner Nachtleben mittels digitaler Technologie attraktiver ausgestalten. Die Studierenden hätten analysiert, dass es eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlich Angebotenen und dem

subjektiv auf der Nachfrageseite Wahrgenommenen gebe, so die Bundesstadt Stadt. Mittels einer App, von der bereits ein Prototyp entwickelt ist, sollen deswegen Nachfrage- und Angebotsseite näher zueinander gebracht werden. Hierzu bietet die App ein Payback-ähnliches System z. B. für Bars, Clubs und Gastronomie. Sowohl Anbieter als auch Besucherinnen und Besucher können sich registrieren.

Staatssekretär Patrick Burghardt, Chief Information Officer (CIO) des Landes Hessen, verweist auf den Erfolg des Projektes: “Der eGov-Campus ist die einzige deutschlandweite E-Government-Bildungsplattform auf Hochschulniveau. Zudem ist es gelungen, zum ersten Mal ein hochschulübergreifendes digitales Lernangebot umzusetzen.” Man habe im öffentlichen Sektor einen hohen Bedarf an ausgeprägten Kompetenzen in der Informatik, der nur intensive Fortbildungsmaßnahmen für vorhandene und durch verstärkte Ausbildung von neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gedeckt werden könne, so Burghardt weiter. Die große Nachfrage bestätige, dass das Angebot benötigt werde. Der eGov-Campus unterstützt die Hochschulen in der Erarbeitung von digital verfügbarem Lehrmaterial sowohl durch finanzielle Förderung als auch durch Workshops und Leitlinien zum Ausbau der Kompetenzen in der digitalen Lehre. Führende Hochschullehrstühle sind engagiert, um gemeinsam neue Standards im Lehren und Lernen zu setzen.

Digitaler Wandel braucht innovative Bildungswege Prof. Dr. Holger Hünemohr, Leiter des Studienschwerpunkts Verwaltungsinformatik/EGovernment an der Hochschule RheinMain und Vorsitzender des eGov-Campus-Beirats, erläuterte hierzu: “Der digitale Wandel er-

fordert innovative Bildungswege insbesondere für den öffentlichen Sektor. Mit dem eGov-Campus stehen von führenden Hochschulen entwickelte, zeitgemäße und übergreifend nutzbare OnlineBildungs- und Weiterbildungsangebote im E-Government zur Verfügung.” Dies ermögliche neue Wege der Qualifizierung und Vermittlung digitaler Kompetenzen in der Verwaltung.

Sukzessive Ausweitung der Angebote Der eGov-Campus ist im Mai 2021 mit der Freischaltung der ersten beiden Lernmodule gestartet. Momentan werden fünf Module angeboten. Im ersten Halbjahr 2022 kommen weitere zwölf Angebote hinzu. Zudem sollen im Laufe des Jahres zusätzliche Module erarbeitet und weiterentwickelt werden. Außerdem ist geplant, Vernetzungen und Kooperationen, zum Beispiel mit der Digitalakademie

des Bundes, auszubauen und Lernmodule in kleinere Lerneinheiten weiterzuentwickeln. Für die ersten drei Lernmodule wurden bisher 2.400 Einschreibungen registriert. Rund 300 Personen haben diese Module mit erfolgreichen Prüfungen abgeschlossen. Knapp 600 weitere haben eine Teilnahmebescheinigung angefordert. Zudem bewerten rund 90 Prozent der Teilnehmenden die Lernerfahrung positiv. Dieses Erfolgsmodell soll nun dauerhaft fortgeführt und ausgebaut werden. Mit der Aufnahme des eGov-Campus in das Produktportfolio des ITPlanungsrats erfolgt auch die Übernahme in das Produktmanagement der FITKO. Hessen wird dabei die FITKO für eine Übergangsphase von einem Jahr bei der operativen Produktsteuerung und den Überführungsarbeiten unterstützen, um einen geordneten Wissenstransfer zu gewährleisten. Dazu Dr. Annette Schmidt, Präsidentin der FITKO: “Mit Übernahme der Produktsteuerung wird die FITKO auch Mitglied des Beirats. Ziel ist es, die erfolgreiche Vorarbeit Hessens fortzusetzen und den eGov-Campus und seine Lernmodule als festen Bestandteil des Fortbildungsangebots der öffentlichen Verwaltung auf Bundes- und Landesebene zu etablieren.”


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Januar 2022

B

ehörden Spiegel: Sie haben im Jahr 2006 als einer der ersten Politiker in Deutschland einen erfolgreichen Online-Wahlkampf geführt. Wie sah dieser aus?

Christoph Meineke: In jenem Jahr spielte das Thema OnlineWahlkampf weder bei den Parteien noch in der Gesellschaft eine große Rolle, ich bediente eine Nischenthema. Der weltweit bekannte Obama-Wahlkampf lenkte erst ab 2008 den Blick auf Social Media in der Politik. 2006 war hier alles noch in einem experimentellen Stadium. Als junger, 27 Jahre alter Bürgermeisterkandidat habe ich damals einfach einen sehr bürgernahen Wahlkampf führen wollen: Tagsüber Hausbesuche machen und in den späteren Nachmittags- und Abendstunden den Wahlkampf digital fortführen, sei es per E-Mail, Messengern wie ICQ oder den damaligen SocialMedia-Kanälen wie StudiVZ oder Kiezkollegen.de. Vereine haben sich auch über Grußworte in Online-Gästebüchern gefreut – so etwas gibt es heute gar nicht mehr. Dies alles funktionierte erfolgreich, weil ich zielgenau mit einzelnen Menschen und Gruppen kommunizieren konnte, vor allem mit Jüngeren. Behörden Spiegel: Im Verlauf Ihrer 15-jährigen Amtszeit hat sich ihr Blick auf die Sozialen Medien deutlich verändert. Wie kam es dazu? Meineke: Die Plattformen haben ja einen massiven Umbruch erfahren. Die kleinen, vielfach auch experimentellen Plattformen wie Kiezkollegen sind eingestellt worden, dann traf es Platzhirsche wie Studi- und SchülerVZ; Facebook, Twitter, später Instagram und heute TikTok gaben den Ton an. Heute haben diese Plattformen immense Marktmacht: Entweder man ist dabei oder ist von reichweitestarken Kommunikationssträngen tatsächlich ausgeschlossen. Das hat dazu geführt, dass es in den zurückliegenden Jahren in den Sozialen Medien schriller und aggressiver zuging, auch im Kommunalen immer stärker polarisiert wurde. Es gibt auf der einen Seite zwar viele positive Effekte wie die Diskussion und die gemeinsame Erarbeitung von Themen, die es vorher so nicht gegeben hat. Auf der anderen Seite sinkt die Hemmschwelle für Beleidigungen und Hatespeech folgt. Diskussionen gewinnen in den Sozialen Medien schnell Dynamiken, die ins Radikale umschlagen. Auch sind viele Menschen präsent, aber wollen sich von Daten und Fakten gar nicht mehr erreichen lassen. In manchen Meinungsblasen wird außerhalb jeglicher Realität ein obskures Weltbild zusammengebastelt. Dies und die geforderte permanente Online-Präsenz hat bei mir dazu geführt, dass ich vom begeisterten Social-Media-Politiker zum Skeptiker avanciert bin. Behörden Spiegel: Wie ist denn Ihr Blick auf die Sozialen Medien heute? Meineke: Kritisch, aber noch konstruktiv. Im Kommunalpolitischen birgt Social Media ohne Zweifel Vorteile, vor allem wenn man das sich wandelnde Kommunikationsverhalten vor Ort betrachtet. Leider sind wir einem drastischen Sterben von Lokal- und Regionalzeitungen ausgesetzt. Die Kommunikation über Social Media spielt in vielen Gruppen, in Vereinen, bei Schülern und Eltern eine tragende Rolle. Hier ist es wichtig, dass Kommunalpolitiker ihr Ohr auf der Schiene haben, transparent Informationen teilen und Informationen abliefern. Kom-

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Vom Macher zum Mahner Soziale Medien und Kommunalpolitik (BS) Bis zum Ende seiner Amtszeit im Oktober 2021 war Christoph Meineke rund 15 Jahre lang Bürgermeister der Gemeinde Wennigsen am Deister (Niedersachsen). Die Sozialen Medien spielten für ihn während dieser Zeit eine große Rolle, schon im Jahr 2006 setzte der Bürgermeister-Kandidat als einer der ersten Politiker auf StudiVZ, Kiezkollegen.de und Co. Sein Blick auf Social Media hat sich seitdem allerdings deutlich gewandelt. Im Interview mit Matthias Lorenz spricht Meineke über seine Erfahrungen und Ansichten zum Verhältnis von Sozialen Medien und Kommunalpolitik.

“Wirklich verändert hat mich, dass es im Digitalen irgendwann kein Abschalten mehr gab.”

Christoph Meineke hat als Bürgermeister ambivalente Erfahrungen mit Sozialen Medien gemacht. Foto: BS/Franz Bischof

munalpolitik besteht eben aus viel Erklären und gemeinsamen Diskurs. Nun die kritische Sicht: Spätestens seit 2010 ist Social Media das gesellschaftsprägende Element des 21. Jahrhunderts. Man kann es auf die Formel “Extreme Reichweite und tiefe Skalierung” bringen. Individuen lassen sich genauso ansprechen, wie sie angesprochen werden wollen, mit der richtigen Sprache und mit der richtigen Akzentsetzung. Wohin das führt, haben wir ja nicht zuletzt bei Donald Trump gesehen. Und es ist drittens die permanente Stresssituation, welches das Individuum und die Gesellschaft durch Social Media ausgesetzt sind: Es sind ja nicht nur die bezahlten Politiker, die ihren Kopf hinhalten müssen, sondern auch Ehrenamtliche. Im Ehrenamt erlebe ich eine tiefe Verunsicherung und Abkehr von Kanälen, vor allem bei der Diskussion um politisch heiße Eisen. Gewalt im Amt ist eben nicht nur, wenn einem jemand körperlich zu nahe tritt oder die Autoreifen zersticht, sondern auch, wenn man digital beschimpft wird oder in einen Shitstorm gerät. Das gilt natürlich auch für die Mitarbeitenden in Rathäusern und Behörden, die es zu schützen gilt. Behörden Spiegel: Inwiefern haben die Sozialen Medien Sie in Ihrer Arbeit, aber auch Sie persönlich verändert? Meineke: Wirklich verändert hat mich, dass es im Digitalen irgendwann kein Abschalten mehr gab. Im Gegensatz zum Desktop-Computer, den man runterfährt, war und ist das Smartphone mittlerweile allgegenwärtig. Selbst wenn man Apps wie Facebook oder Instagram schließt, erhält man trotzdem weiterhin Nachrichten, schaltet man sie aktiv ab, droht man, etwas zu verpassen oder nicht reagieren zu können. In Krisen wie aktuell der Corona-Pandemie, die man als Bürgermeister vor Ort verantwortlich begleiten, steuern und bekämpfen muss, wird es umso deutlicher. Hier kamen des Nachts erboste WhatsAppNachrichten von Unternehmen, die um ihre Existenz bangten, oder von Eltern, die von heute auf morgen keine Kinderbetreuung mehr hatten. Die gesamte Orchestrierung des Digitalen führt also auch dazu, dass wir uns im Amt verändern und einem permanenten Stress ausgesetzt sind. Dieser digitale Stress, egal wie aktiv man die Social-Media-Kanäle bedient oder auch nur verfolgt, führt dazu, dass wir das Amt anders wahrnehmen, dass man hektischer

und kurzfristiger handelt. Ich will nicht sagen, dass man kopflos agiert, aber es führt doch dazu, dass man immer mehr vom Gestalter zum Getriebenen wird. Behörden Spiegel: Sie hatten vorhin beschrieben, dass Diskussionen in den Sozialen Medien teilweise eine extreme Eigendynamik bekommen. Sollte man bei solchen Diskussionen als Bürgermeister noch eingreifen oder hält man sich besser komplett raus, um die Diskussion nicht noch weiter zu befeuern?

Meineke: Oftmals reichen klärende Eingriffe und Richtigstellungen. Ich habe in örtlichen Gruppen und Foren Diskussionen oft erst mal laufen lassen, um zu verstehen, wo genau der Schuh drückt. Interessant ist ja auch immer die Frage, woher Vermutungen oder Halbwissen stammen. Vorurteile gegenüber Politik und Verwaltung sitzen tief. Wichtig war mir dann aber, die Sachlage klarzustellen und getroffene Abwägungen darzulegen. An solchen Diskussionsverläufen sieht man, dass die

Bürger bei vielen Themen viel früher abgeholt werden müssen, auch wenn man glaubt, es sei im Vorfeld alles erläutert und gesagt worden. Sorgen macht mir, dass wir aktuell erleben, wie plötzlich Menschen, die man zu kennen glaubt, rund um Corona ins Sektiererische abgleiten. Behörden Spiegel: Konnten Sie als Bürgermeister, was zum Beispiel den Umgang mit Social Media betrifft, denn auf Unterstützungsangebote zurückgreifen? Meineke: Bei mir war es Learning by Doing. Größere Shitstorms konnte ich abwenden. Aber ich hatte Kollegen, bei denen in ohnehin schwierigen Situationen der zusätzliche Druck durch Social Media zu psychischen Zusammenbrüchen führte. Es ist gut, dass in den zurückliegenden Jahren das Thema physische, psychische und digitale Gewalt gegen Mandatsträgerinnen und -träger verstärkt in den Fokus geraten ist. Dieses Thema ist unglaublich wichtig, weil das örtliche Engagement das Fundament unserer kommunalen Gemeinschaften bildet. Um diese zu sichern, muss man hier sehr früh Schranken setzen, weil es ansonsten immer mehr Menschen geben wird, die sich kommunalpolitisches Enga-

gement von vorneherein nicht aus mangelndem Gestaltungswillen, sondern aus Angst heraus nicht antun wollen. Mittlerweile gibt es einige Initiativen, die Hilfe leisten. Hier sind zum Beispiel das Portal “Stark im Amt” der Körber-Stiftung oder das “Netzwerk Junge Bürgermeister*innen”, wo gerade frisch ins Amt Gewählte sich untereinander helfen, genannt. Behörden Spiegel: Was würden Sie anderen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern in Bezug auf die Nutzung von Social Media raten? Meineke: Wenn ich meinen ersten Wahlkampf 2006 mit dem um meine Nachfolge vergleiche, steht fest: Ohne Social Media geht es doch kaum noch. Fünf Kandidatinnen und Kandidaten haben sich mit Posts, Clips und vielem mehr ins Zeug gelegt. Hier zeigt sich, dass die Sozialen Medien wie beschrieben viele Vorteile haben. Wichtig ist aber, als hauptoder ehrenamtlicher Amtsträger im persönlichen Umgang mit Social Media klare Grenzen zu setzen. Dies heißt zum einen, das Smartphone zu gewissen Zeiten auch auszuschalten, sofern dies möglich ist. Dies bedeutet aber auch, bezüglich des Inhaltlichen und der Art der persönlichen Information Grenzen zu ziehen. Ich zum Beispiel würde nie Bilder, die in die familiäre Privatsphäre gehen, teilen. Auch finde ich es wichtig, dass man sich Bereiche aussucht, in denen Social Media keine Rolle spielen soll und eher die persönliche Kommunikation, zum Beispiel durch den Besuch von Bürgerversammlungen, im Vordergrund steht.


Informationstechnologie

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Behörden Spiegel / Januar 2022

Rütteln – Schütteln – Anfangen

Abbau von Barrieren

Wie die Bundesregierung die Digitalisierung organisiert

stmd.bayern.de erhält Prüfsiegel BIK BITV

(BS/Uwe Proll) In Sachen Digitalisierung werden zukünftig mindestens vier Ressorts der Bundesregierung mitmischen. Das Bundesinnenministerium (BMI) wird gestärkt, denn dort bleiben die Abteilungen Digitale Gesellschaft, Digitale Verwaltung und IT-Sicherheit. Dazu kommt aus dem Bundeskanzleramt die Stabsstelle IT-Steuerung (Dr. Gabriele Knoll).

(BS/gg) Für seinen Internetauftritt stmd.bayern.de hat das Bayerische Staatsministerium für Digitales das renommierte Prüfsiegel BIK BITV erhalten. Das Digitalministerium hatte gemeinsam mit der gemeinnützigen Münchner Stiftung Pfennigparade umfassende Maßnahmen zum Abbau von Barrieren bei seinem Online-Angebot umgesetzt und das umfangreiche Zertifizierungsverfahren erfolgreich durchlaufen, welches in enger Abstimmung mit Selbsthilfeverbänden von Menschen mit Behinderungen, Webagenturen und Experten für Barrierefreiheit entwickelt wurde.

Im BMI ließ die neue Ministerin Nancy Faeser in den Runden mit den Amtschefs des nachgeordneten Bereichs verlauten: Der Staatssekretär Dr. Markus Kerber wird gehen, wer Nachfolger wird, war bis Redaktionsschluss unklar. Bleiben werden die Staatssekretäre Dr. Markus Richter (CIO des Bundes), und Hans-Georg Engelke, der bisher die Fäden zu den Sicherheitsbehörden hielt. Dr. Helmut Teichmann wird vermutlich bleiben. Überhaupt will Faeser eine Reihe großer Reformvorhaben stemmen: elektronische Signaturen, Beseitigung des Schriftformerfordernisses, Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG), IT-Konsolidierung des Bundes (Dienste, Betriebe, Netze), zudem digitale Frühwarnsysteme im Katastrophenschutz. Festzustehen scheint, dass der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldewang, das Amt mit Dienstsitzen in Köln und Berlin weiterführen wird. In der Abteilungsleiterriege werden Dr. Michael Frehse (Heimat), Franz-Josef Hammerl (KM) und Dr. Jörg Bentmann (Z) gehen. Alle können in den Altersruhestand entlassen werden. Der Ampel-Koalitionsvertrag stellt die bisherige BMI-Position zum Thema Cyber-Sicherheit aber derart infrage, dass eine Neuausrichtung erforderlich wird. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) soll zentrale Stelle für die CyberAbwehr werden. Damit ist das Thema aktive Cyber-Abwehr im Innenbereich vom Tisch, denn es wandert exklusiv in den Verteidigungsbereich. Aber auch hier ist es bemerkenswert, dass der Koalitionsvertrag vorsieht, dass das BSI zentrale Stelle sein soll. Ob die Autoren des Koalitionsvertrags damit meinen, dass das

Das Personalkarussel dreht sich auch im Bereich der Digitalisierung, seit die neue Bundesregierung im Amt ist. Foto: BS/D. Koch, pixabay.com

BSI auch den Bundeswehrbereich nicht nur beraten, sondern sogar “enablen” soll, verrät der Text nicht. Vermuten lässt sich das jedoch. Insgesamt zeichnet sich ab, dass die Federführung beim Thema Cyber-Abwehr stillschweigend aus dem Innenressort in das Verteidigungsressort wechseln wird. Viel zu tun für CI-Abteilungsleiter Andreas Könen. Nach unseren Recherchen rüstet das Verkehrsministerium (Minister Volker Wissing, FDP) in Sachen Digitales auf. Zunächst wurde der Titel des Ressorts in Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) geändert. Wohl eine klare Ansage der FDP, welche die Digitalisierung im Wahlkampf zentral thematisierte. Im ebenfalls FDP-geführten Bundesfinanzministerium (BMF) kann jetzt über Bande gespielt werden, zumal auch die Abteilung von BMF-CIO Harald Joos unberührt bleibt. Dies bedeutet, dass nicht nur das ITZBund ungeteilt im BMF bleibt, sondern auch die Betriebskonsolidierung im Rahmen der IT-Konsolidierung des Bundes. Es bleibt also bei der unglücklichen Trennung zwischen der Dienstekonsolidierung (BMI) und der Betriebskonsolidierung (BMF). Stark verhandelt

hat wohl die FDP, da der Großteil der Digitalisierungsabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums ins BMDV wechselt. Dessen Abteilungsleiter Stefan Schnorr soll im BMDV Staatssekretär werden. Gestärkt wird das Ministerium zudem durch die Neuordnung großer Teile der Bundesnetzagentur. Das Ministerium könnte zum Angelpunkt der Digitalisierung werden, doch erfahrungsgemäß ist der Prozess der Übertragung von Zuständigkeiten und Abteilungen sehr langwierig. Bei Redaktionsschluss war nicht klar, ob die gesamte Abteilung Digitalisierung des Bundeskanzleramts, also 61 und 62, dort verbleibt oder komplett ins BMDV wechselt. Klar ist, dass die Abteilungsleiterin Eva Christiansen eine andere Verwendung findet. Das BMI ist gestärkt aus der Situation hervorgegangen und will sich nun auf Aufgaben wie OZG 2.0, Registermodernisierung und Digitale Identitäten konzentrieren. Das sind jedoch keine neuen Themen; sie stehen schon lang auf der Agenda. Abzuwarten bleibt außerdem, inwiefern sich das BMDV im Ressortkreis durchsetzen kann und dann auch von außen als das Digitalisierungsministerium wahrgenommen wird.

Staffelstab übergeben Wechsel im Vorsitz des amtlichen deutschen Vermessungswesens (BS/gg) Ministerialrat Andre Schönitz aus Brandenburg hat zum 1. Januar 2022 den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV) übernommen. Mit Wirkung zum 1. Januar 2022 wechselte der Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV) von Bayern nach Brandenburg. Neuer Vorsitzender für die Jahre 2022 und 2023 ist Ministerialrat Andre Schönitz vom Ministerium des Innern und für Kommunales Brandenburg. Andre Schönitz ist seit 2019 Referatsleiter im Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg. Die Leitung seines Referates umfasst das Amtliche Vermessungswesen, das Geoinformationswesen, die Gutachterausschüsse für Grundstückswerte, das Berufsrecht der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (ÖbVI), die Laufbahnordnungsbehörde vermessungstechnischer Verwaltungsdienst, die zuständige Stelle nach dem Berufsbildungsgesetz, die Fachaufsicht über den Landesbetrieb LGB sowie die EFRE-Förderung im amtlichen Vermessungs- und Geoinformationswesen. Zum Referat gehört auch die Redaktion der Zeitschrift “Vermessung Brandenburg”. Seit 2019 obliegt ihm hier die Schriftleitung. Nach seinem Studium der Geodäsie an der Technischen Universität Dresden und der Referendarausbildung mit erfolgreichem Abschluss der Großen

Der Behindertenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Holger Kiesel, mit der Digitalministerin des Freistaats, Judith Gerlach. Foto: BS/Bayerisches Staatsministerium für Digitales

Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach erklärte im Hinblick auf die Zertifikatsvergabe: “Barrierefreiheit ist auch in der digitalen Welt ein wichtiges Ziel. Deshalb war unser Motto im Jahr 2021 auch die digitale Teilhabe. Es freut mich sehr, dass jetzt auch unser eigenes Internetangebot barrierefrei ist, von Informationen in einfacher Sprache bis zu Videobeiträgen mit Untertiteln. Wir müssen auch im Digitalen Hürden abbauen, um hier wirklich jeden mitzunehmen.” Der Behindertenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Hol-

ger Kiesel, betonte: “Digitale Lösungen können für Menschen mit Einschränkungen deutlich mehr Selbstbestimmung bedeuten. Allerdings müssen wir aufpassen, dass hier keine neuen Hürden entstehen. Ich begrüße es deshalb sehr, dass das Digitalministerium mit seiner barrierefreien Internetseite vorangeht. Das ist ein wichtiges Signal. Auch die digitale Welt muss barrierefrei gestaltet werden.” Der BIK-BITV-Test ermittelt, ob ein Internet-Angebot den Vorgaben für Barrierefreiheit gemäß europäischer Norm EN 301

549 entspricht. Nur wenn alle geprüften Internetseiten positiv bewertet werden, wird das BIK BITV-Zertifikat verliehen. Dabei wird beispielsweise darauf geachtet, dass eine Internetseite komplett und sinnvoll mit der Tastatur steuerbar ist und dass die Inhalte auch von einer Vorlesesoftware für Sehbehinderte erfasst werden können. Bei der Prüfung durch die Stiftung Pfennigparade wurden alle untersuchten Seiten des Bayerischen Staatsministeriums für Digitales als BITV-/EN-301549-konform bewertet.

Leichte Sprache Baden-Württemberg startet Online-Portal (BS/lma) In Baden-Württemberg steht Verwaltungsmitarbeitenden ab sofort das Online-Portal “Leichte Sprache in Baden-Württemberg” zur Verfügung. Auf dem Portal erhalten die Angestellten Zugang zu Musterbescheiden und Informationen in Leichter Sprache, die sie in ihrem Arbeitsalltag verwenden und Menschen zur Verfügung stellen können, welche die Vereinfachung benötigen. “Viele Menschen können sich im Alltag zwar in deutscher Sprache verständigen, stoßen jedoch an ihre Grenzen, wenn es sich um schwierige Texte, bürokratische Paragrafen-Dschungel und abstrakte Sachverhalte handelt”, schreibt die baden-württembergische Landesregierung hierzu. Informationen oder Bescheide von Behörden und Institutionen fielen oft in diese Kategorie, enthielten jedoch zugleich wichtige Informationen und Inhalte, die von den Adressatinnen und Adressaten auch verstanden wer-

den müssten. “Nur wer versteht, was sie oder er tun soll, kann entsprechend handeln, und nur wer seine Rechte und Ansprüche genau kennt, kann diese auch wahrnehmen und einfordern”, erklärt der Minister für Soziales, Gesundheit und Integration des Landes Baden-Württemberg, Manne Lucha (Grüne).

Input von Mitarbeitenden Sein Ministerium fördere deswegen die Entwicklung des Portals durch den Landesverband BadenWürttemberg der Lebenshilfe für

Menschen mit Behinderung. Auf der Online-Plattform könnten Verwaltungsmitarbeitende nicht nur Informationen abrufen, sondern auch selbst eigene, in Leichte Sprache übersetzte Bescheide und Informationen hochladen und anderen Behörden als gute Beispiele zur Verfügung stellen, so die Landesregierung. Im Rahmen des Projekts seien darüber hinaus auch Bescheide und Informationen verschiedener Behörden in Leichte Sprache übersetzt und Schulungen für die Mitarbeitenden durchgeführt worden.

Neuer Berliner Landes-CIO Der Vorsitz der AdV wechselt von Tobias Kunst (Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat) an Andre Schönitz (Ministerium des Innern und für Kommunales Brandenburg). Foto: BS/AdV

Staatsprüfung verantwortete er zunächst im Innenministerium die Organisation und Durchführung der Referendarausbildung. Parallel dazu übernahm er später das Aufgabengebiet der Planung der Informations- und Kommunikationstechnik in der Vermessungsverwaltung. Neben der Einführung neuer Verfahren und Technologien sowie der einheitlichen Technikausstattung in den Katasterbehörden (MAIS) ist hier insbesondere die strategische Planung und Einführung des AAA-Datenmodells zu nennen. In der mehrjährigen Referententätigkeit im Innenministerium wurden zusätzlich noch die Aufgabengebiete Raumbezug und Geotopografie betreut. Im Plenum der AdV vertritt Andre Schönitz das Land Brandenburg bereits seit dem Jahr 2011.

Als Plenumsmitglied hat er u. a. bei der Fortentwicklung der Tätigkeiten und Strategien der AdV mitgewirkt, welche jeweils die Bereitstellungsstrategie, die Organisation oder auch die Zukunftsthemen der AdV betrafen.

Die AdV In Deutschland liegt die Verantwortung für die Aufgabenwahrnehmung im amtlichen Vermessungswesen bei den Ländern. Seit 1948 wirken die für das amtliche Vermessungswesen zuständigen Fachverwaltungen der Länder sowie der Bundesministerien des Innern, der Verteidigung sowie für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in der AdV zusammen, um fachliche Angelegenheiten von grundsätzlicher und überregionaler Bedeutung zu behandeln.

Dr. Ralf Kleindiek folgt auf Sabine Smentek (BS/lma) Seit Dezember 2021 hat Berlin einen neuen Landes-CIO und Staatssekretär für Digitales und Verwaltungsmodernisierung in der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport. Der Jurist Dr. Ralf Kleindiek löste die seit 2017 amtierende Sabine Smentek ab. Vor seinem Wechsel war Kleindiek vier Jahre lang Partner und Director bei der Boston Consulting Group im Bereich Public Sector. Von 2014 bis 2018 arbeitete er als beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Erfahrungen im Digitalisierungsbereich sammelte Kleindiek unter anderem durch seine CIO-Tätigkeit im Bundesministerium der Justiz (2009-2011), wo er als Unterabteilungsleiter für den Bereich Digitalisierung und IT verantwortlich war. Zuvor leitete er als Referent im BMI unter anderem die Initiative “BundOnline 2005”. Kleindiek ist Mitglied im Nationalen E-Government Kompetenzzentrum sowie Mitglied der SPD.

Dr. Ralf Kleindiek, hier auf Digitaler Staat 2019, ist neuer CIO des Landes Berlin. An seiner Seite Bundesministerin a.D. Brigitte Zypries, deren Büroleiter Dr. Kleindiek im Rahmen seiner Karriere ebenfalls war. Foto: BS/Dombrowsky


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Januar 2022

Die grüne Cloud für den grünen Staat

D

er Klimaschutz rückt auf allen politischen Ebenen in den Mittelpunkt. Die Europäische Union strebt einen “European Green Deal” an, um Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Im Koalitionsvertrag der neuen AmpelBundesregierung taucht “Klima” 198-mal auf. Bundesländer und etliche Kommunen haben eine Vielzahl eigener Klimaschutzprogramme gestartet. Damit wir die anspruchsvollen Klimaschutzziele erreichen, wird auch die öffentliche Hand ein grünes Händchen beweisen

Auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft (BS/Andreas Kleinknecht) Um Deutschlands Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, braucht auch die öffentliche Hand ein grünes Händchen. CloudTechnologie hilft als leistungsstarkes Werkzeug beim Klimaschutz.

reitung des Einkaufs, aber auch im darauffolgenden Vergabeverfahren regelmäßig berücksichtigt werden müssen. Nicht nur für die Ampel-Koalition ist klar, dass neben dem grünen Umbau unseres Landes auch eine digitale Modernisierung nötig ist. Dieser parallele Umbau ist eine doppelte Herausforderung. Allerdings: DigitaAndreas Kleinknecht ist Mitlisierung und Deglied der Geschäftsleitung, karbonisierung Bereich Public Sector, bei sind auch eine doppelte Chance. Microsoft Deutschland. Denn die DigitaliFoto: BS/Microsoft sierung stellt eine Reihe wichtiger Instrumente zur Verfügung, die müssen. Die gewaltigen Aufga- beim Klimaschutz helfen. ben zum Schutz des Planeten sind nur zu bewältigen, wenn Dekarbonisierung und Digitalisierung: doppelte Chance wir unsere Anstrengungen deutlich erhöhen und alle Bereiche Im Mittelpunkt stehen dabei signifikante Beiträge leisten. die neuesten Entwicklungen bei Um die Dimension der Heraus- der Cloud. Mit ihrer überlegenen forderung in Zahlen zu fassen: Rechenpower ist sie unverzicht2020 haben wir in Deutschland bar, um große Datenmengen von laut Umweltbundesamt rund unterschiedlichen Orten, aus ver510 Millionen Tonnen weniger schiedenen Anwendungen und klimaschädliche Treibhausgase Kanälen in Echtzeit zu bewältigen ausgestoßen als 1990, eine Ab- und daraus mittels Big-Datasenkung von etwa 40 Prozent. Analysen, Künstlicher Intelligenz Das ist gut, aber noch nicht gut und anderer Technologien Ergenug. Denn um die Vorgaben kenntnisse verfügbar zu machen, des 2021 novellierten Bundes- etwa zur präzisen Erfassung und Klimaschutzgesetzes einzuhalten Analyse von Emissionen in komund 2045 klimaneutral zu sein, plexen Systemen. “Man kann nur managen, was muss der Jahres-Ausstoß um weitere 739 Millionen Tonnen man auch messen kann”, hat verringert werden. Im Klartext: Microsoft-Präsident Brad Smith Wir müssen in den nächsten bei der Weltklimaschutz-Konfe13 Jahren noch deutlich mehr renz im November in Glasgow Klimagase einsparen als in den herausgestellt. Ein genaues Bild vergangenen 30 Jahren. über die eigenen CO2-Emissionen Klimafreundlichkeit bei Be- zu haben, ist die Basis dafür, schaffungen mitzudenken, wird Einsparpotenziale erkennen und auch für die öffentliche Hand nutzen zu können. Diesen Weg immer wichtiger. Für IT-Leistun- verfolgt Microsoft etwa mit der gen gilt das sogar in besonderem neuen Cloud4Sustainability. So Maße. Im Koalitionsvertrag ist können beispielsweise Unternehvereinbart, dies auf Bundesebe- men Emissionen über komplette ne zur ausdrücklichen Vorgabe Wertschöpfungsketten messen, zu machen. So heißt es: “Für analysieren und reduzieren – von IT-Beschaffungen des Bundes der Rohstoffgewinnung über Zuwerden Zertifizierungen wie lieferer bis zum Wertstoffbetrieb, z. B. der Blaue Engel Standard.” der Produkte entsorgt. Und auch Seit 1. Januar 2022 gilt zudem der öffentliche Sektor kann von die “Allgemeine Verwaltungs- Cloud-Technologie in Sachen vorschrift zur Beschaffung kli- Nachhaltigkeit profitieren. Zwei mafreundlicher Leistungen” (AVV Beispiele: Klima). Sie dient dem Ziel, ein 1. Die öffentliche Hand ist auf vielfältige Weise in Wirthohes Maß an Energieeffizienz bei schaftsprozesse eingebunden. allen Beschaffungsvorgängen des Als Auftraggeber sind Staat Bundes sicherzustellen. Dabei gibt die AVV Klima konkret vor, und Verwaltung einer der wie Aspekte des Klimaschutzes größten Nachfrager im Land. bereits im Rahmen der VorbeDie Cloud kann helfen, den

MELDUNG

Startschuss für “Kommunity” (BS/bt) In naher Zukunft sollen alle Bürger und Unternehmen aus Niedersachsen ihre Behördengänge von überall aus digital erledigen können. Einen Großteil der Umsetzung übernehmen die Kommunen, das Land Niedersachsen unterstützt sie dabei mit vielen Angeboten. Zur Umsetzung der Digitalisierung ist ein großer Schritt seit Dezember getan. Mit der neuen Austausch-, Informations- und Serviceplattform “Kommunity” haben die Kommunen nun ein neues Werkzeug an der Hand, mit dem sie sich untereinander auf eine neue Art und Weise über die Digitalisierung ihrer Verwaltung austauschen können. “Kommunity” solle mit zahlreichen Funktionen den Teamgeist und die Kooperation unter den rund 440 niedersächsischen Kommunen stärken. Bei “Kommunity” handele es sich also um ein Soziales Netzwerk

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für Behörden, auf dem diese sich über ihre Fortschritte und Best Practice-Beispiele austauschen und voneinander lernen könnten. Dort werde Wissen verknüpft und Erfahrungen würden ausgetauscht. Zudem könnten durch den gemeinsamen Austausch Fehler vermieden werden, so der IT-Bevollmächtigte des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport, Dr. Horst Baier. Auf der Plattform haben die Kommunen die Möglichkeit, einzusehen, wer aktuell an welchen digitalen Diensten arbeitet. So können sie sich untereinander vernetzen und gegenseitig unterstützen. Dazu finden sich auf der Plattform Diskussionsforen, die auch dem Wissenstransfer dienen. Außerdem werden in dem Dienst detaillierte Informationen zur Vorbereitung der Digitalisierung von Serviceleistungen zur Verfügung gestellt.

vollständigen CO2-Abdruck zu erfassen – aus einer Vielzahl von Prozessen und inklusive der Emissionen, die bei Lieferanten von Produkten und Dienstleistungen anfallen. In einigen Branchen, etwa der Energie- und Abfallwirtschaft, sind zudem viele Unternehmen in öffentlichem Eigentum. Auch hier gilt es, Daten zu erfassen und in Verbindung zu bringen. 2. Zu den großen CO2-Verursachern zählt der Gebäudesektor – er liegt auf Rang vier, gar nicht so weit hinter dem viel mehr beachteten Verkehr. Bund, Länder und Kommunen wiederum gehören zu den großen Immobilieneigentümern im Land – seien es Verwaltungsgebäude, Kindergärten, Schulen und Kliniken, Betriebshöfe öffentlicher Unternehmen, Schwimmbäder,

Bibliotheken und vieles mehr. Cloud-basierte Technologien helfen, die Energieeffizienz von Gebäuden zu verbessern. Es lassen sich digitale Zwillinge erstellen, mit denen Gebäude virtuell nachgebaut und Abläufe simuliert werden. Auf diese Weise lassen sich energetische Einsparpotenziale ermitteln.

Umzug in die Cloud kann bis zu 93 Prozent CO2 sparen Mit der rasant gestiegenen Nachfrage nach Cloud-Services stellt sich jedoch auch die Frage, wie nachhaltig die Cloud selbst eigentlich ist. Untersuchungen zeigen, dass gemeinsam genutzte Rechenzentren mit ständig optimaler Auslastung weniger Energie verbrauchen, als wenn alle Nutzer eigene Server aufstellen würden. Eine Studie des Ingenieur- und Beratungsunter-

nehmens WSP im Auftrag von Microsoft hat ergeben, dass beim Wechsel von Rechenzentren in die Cloud CO 2-Einsparungen von bis zu 93 Prozent realisiert werden können. Im Rahmen des Nachhaltigkeitsprogramms hat Microsoft sich das Ziel gesetzt, den Stromverbrauch als Unternehmen bis 2025 komplett auf regenerative Versorgung umzustellen, inklusive aller Rechenzentren. Das geht noch einen Schritt weiter, als es sich die Ampel-Koalition vorgenommen hat. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass “neue Rechenzentren ab 2027 klimaneutral zu betreiben sind”. Microsoft bringt die Klimaneutralität auch in bestehende Rechenzentren, die bereits im Betrieb sind. Der öffentlichen Hand kommt eine Vorreiterrolle bei der Bewältigung des Klimawandels zu.

Sie hat eine immense Nachfragestärke – in Summe mehrere tausend Behörden mit mehr als vier Millionen Beschäftigten! Durch gezielte Investitionen hat die öffentliche Hand eine Leitfunktion und kann dazu beitragen, innovative und klimafreundliche Technologien zu etablieren. Dabei lassen sich auch Synergien zu anderen Zielen nutzen, beispielsweise der Förderung von Open Source. Microsofts Azure-Cloud ist kompatibel zu zahlreichen OpenSource-Ökosystemen, Linux das meistgenutzte Betriebssystem in Azure. Der Bund hat bereits unter Beweis gestellt, welche Potenziale es im Bereich nachhaltiger IT gibt. Im Rahmen ihrer Green-ITInitiative konnte die Bundesverwaltung den Energieverbrauch ihrer IT seit 2008 um fast die Hälfte reduzieren – und dennoch wurden in diesem Zeitraum erhebliche Leistungssteigerungen erzielt. Wenn wir Rechenzentren grün machen und ihre Rechenpower für den grünen Umbau unseres Landes zu nutzen verstehen, hilft uns die Cloud auf unserem Weg in eine nachhaltige Zukunft.

WEBINAR-REIHE: Exzellenz durch Personalentwicklung

Grundlagen, Konzepte und Instrumente systematischer PE für den Öffentlichen Dienst

Die strategische Personalentwicklung spielt im Öffentlichen Dienst eine immer wichtigere Rolle. Wie kann die Personalseite diese Entwicklung nicht nur begleiten, sondern aktiv mitgestalten? Die Antwort: durch den Übergang von einer ve rwaltenden Personalwirtschaft zu einem strategischen und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigenden Personalmanagement. Die Webinar-Reihe im Februar 2022 bringt Sie auf den neuesten Stand!

In vier Modulen à drei Stunden werden diese Fragen beantwortet: • Wie werden die PE-Politik und die Rahmenbedingungen aktiv gestaltet? • Wie lassen sich Trends und Reformen der Aus- und Weiterbildung erkennen und produktiv nutzen? • Wie lassen sich maßgeschneiderte Konzepte der Mitarbeiterförderung entwickeln und einsetzen? • Mit welchen neuen Formen der Zusammenarbeit lässt sich der Wandel aktiv meistern? • Wie lässt sich die PE-Arbeit methodisch absichern und wie lässt sich der Zufall durch System ersetzen? • Wie kann das Humankapital gemessen und beurteilt werden? • Wie können die Rolle und das Selbstverständnis der Personalentwicklung vorteilhaft gestaltet werden?

Die vier Module finden statt am: • • • •

07.02.2022: 09:00 – 12:00 Uhr 08.02.2022: 09:00 – 12:00 Uhr 14.02.2022: 09:00 – 12:00 Uhr 15.02.2022: 09:00 – 12:00 Uhr

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchwort „Personalentwicklung“ Foto: ©Milan, stock.adobe.com


Informationstechnologie

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Behörden Spiegel / Januar 2022

Datenschutz und Polizei

Aufbau stockt

Gemeinsam Licht ins Dunkel bringen

Treffen der Entscheidungsträger am BVA-Standort Magdeburg

(BS/Dirk Weingarten) Datenschutz und Polizei, zwei bekannte Wesen treffen aufeinander. Und wie das beim ersten Date so ist, kann es funktionieren oder eben nicht. Bei Menschen entscheidet zumeist der erste Eindruck, beim Datenschutz die ordnungsgemäße und frühzeitige Einbindung. Und genau dies ist häufig der Knackpunkt.

(BS/gg) Statt der geplanten 325 Arbeitsplätze kann das Bundesverwaltungsamt am Standort Magdeburg bislang nur 90 Stellen anbieten: Der Umbau des neuen Gebäudes am Universitätsplatz ist ins Stocken geraten. BVA-Präsident Christoph Verenkotte traf sich vor Ort mit dem Ministerpräsidenten des Landes SachsenAnhalt, Reiner Haseloff, und Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper, um Lösungen zu finden.

Wenn überhaupt, dann “kurz vor Schluss” oder während schon die personenbezogenen Daten verarbeitet werden, wird noch “schnell” der (unliebsame) Datenschutz eingebunden und dann passiert häufig, was passieren muss: Die “Nervbacke” Datenschutz hinterfragt und kommt mit den unbequemen Datenschutzgrundsätzen wie Zweckbindung, Datenminimierung oder Löschungsnotwendigkeiten um die Ecke. Zudem Fragen wie: Wurde bei der Erhebung personenbezogener Daten auch informiert? Eine Datenschutzfolgeabschätzung durchgeführt? Gibt es gemeinsam Verantwortliche? Werden Daten im Auftrag verarbeitet? Wurde ein Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten gefertigt? Im Wesentlichen unterscheidet sich behördliches Handeln datenschutzrechtlich nur marginal vom Außerbehördlichen. Zentral ist jedoch der Umstand, dass in Deutschland seitens der Aufsichtsbehörde (noch?) keine Bußgelder gegen Behörden erlassen werden dürfen. Bußgelder gegen einzelne Behördenbeschäftigte sind jedoch wiederum möglich, wenn sie im Dienst “außerdienstlich” tätig werden. Und im Ergebnis sind aber wiederum Schadensersatzansprüche gegen Verantwortliche möglich. Was ein Durcheinander!

Fast 9.000 Quadratmeter groß ist die Fläche, die das Bundesverwaltungsamt am zentralen Magdeburger Universitätsplatz (“Uniplatz”) zum 1. August 2021 angemietet hat. “Mit klassischen Verwaltungsaufgaben, Dienstleistungsaufgaben und der großen und wichtigen Zukunftsaufgabe Registermodernisierung als zentralem Baustein für die Digitalisierung wird das BVA hier einen attraktiven Aufgabenmix aus seinem Portfolio anbieten”, erklärt BVA-Präsident Christoph Verenkotte. “An der neuen Adresse Listemannstraße 6 richten wir schrittweise bis zu 325 Arbeitsplätze ein. Mit Desk-Sharing-Modellen wird es möglich sein, bis zu 500 Personen hier zu beschäftigen.”

Unterschiedliche Normen Zu diesen ganzen Problemen gesellen sich dann noch unterschiedliche Normen. Die DSGVO, die JI-Richtlinie, das BDSG, Landesdatenschutzgesetze, die StPO, Polizeigesetze der Länder und so weiter. Was wird wann angewendet, was steht wozu im Verhältnis, welche Regelung geht vor? Und: Wer blickt da noch durch? Und schon sind sie da, die

zu verwarnen und Verbote zu verhängen. Schließlich macht manch Bürger von seinem Auskunftsrecht Gebrauch und Gerichte fragen plötzlich während des Prozesses, wie es um das DatenschutzmanageFoto BS/Polizeiakademie Hessen ment innerhalb der Behörde bestellt ist? Nach der Rechenschaftspflicht? Dem Gesamtverzeichnis? Fragen über Fragen. Und Antworten? Wehe also, wenn der Postmann fünf Mal klingelt! 'DWHQVFKXW] Dirk Weingarten, Erster Polizeihauptkommissar, Ass. jur. und zertifizierte Fachkraft für Datenschutz, ist seit über zwölf Jahren behördlicher Datenschutzbeauftragter (bDSB) der Polizeiakademie Hessen und koordiniert seit über zehn Jahren die bDSBn der Polizei Hessen.

LQ GHU 3ROL]HL 7HLO 352/2* fünf Probleme im Bereich Datenschutz, denn langsam, aber sicher öffnet sich die Büchse der Pandora und da sind sie: Rechtsanwälte, Beschäftigte, Aufsichtsbehörden, Bürger und Gerichte. Ihnen gemein ist das Streben nach Transparenz (und Geld). Überwiegend wird die Möglichkeit des anwaltschaftlichen Abmahnens auch im Bereich datenschutzrechtlicher Verfehlungen gesehen. Allein in BaWü zählte man im ersten Halbjahr 2019 über 1.500 Abmahnungen; besonders Ärzte und ihre Webseiten waren betroffen. Getreu dem Motto: “Was ich immer schon Mal fragen wollte”, wenden sich Beschäftigte mit frei verfügbaren “Folterfragebögen” an Arbeitgeber und Dienstherren, um ein wenig was über sich zu erfahren (Art. 15 DS-GVO – Auskunftsrecht). Datenschutzaufsichtsbehörden haben mannigfaltige Möglichkeiten wie anzuweisen, Prüfungen durchzuführen, hinzuweisen, Zugang zu erhalten, zu warnen,

Wünsche, Anregungen und Hinweise einbringen Inspiriert durch den gelungenen Beitrag “Behördliche Datenschutzbeauftragte” von Prof. Dr. Ziebarth (Behörden Spiegel 10/2021, Seite 42) lädt der Autor ein, gemeinsam Licht ins Datenschutzdunkel (polizei-)behördlicher Alltage zu bringen. Worin liegen die Unterschiede datenschutzrechtlicher Gesichtspunkte aus der Sicht der Polizei zu anderen Behörden und Bereichen außerhalb von Behörden? Und: Welche Möglichkeiten gibt es, die “fünf Probleme” zu bewältigen, ohne gleich die Nerven zu verlieren? Interessenten können dazu unter datenschutz@dirk-wein garten.de interaktiv an der Gestaltung zukünftiger Beiträge teilhaben und Wünsche, Anregungen und Hinweise mitteilen. Ziel ist es, gemeinsam einen Weg zu ebnen, der durch das datenschutzrechtliche Dickicht führt. In erster Linie soll dieser Weg Praktikern dienen und nicht Skeptiker bestärken; so, dass nicht Rechtstreitigkeiten im Rampenlicht stehen.

Webex-Einsatz rechtswidrig Datenschützerin stoppt Cisco-Lösung an FU Berlin (BS/sp/lma) Die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk hat nach einem Antrag des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) zur Prüfung des Videokonferenzsystems Cisco Webex den Einsatz an der Freien Universität (FU) Berlin für rechtswidrig erklärt. Der AStA kritisiert schon seit einiger Zeit den Umgang mit Datenschutzfragen an der Berliner Universität. In der Prüfung durch die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit kam die Behörde zu dem Schluss, dass die Cloud-Version von Cisco Webex “sich derzeit nicht datenschutzkonform einsetzen lässt”. Wenn die FU den Dienst weiter nutzen wolle, müsse sie “die in diesem Zusammenhang erfolgenden Datenverarbeitungen überprüfen”, teilte die Datenschutzbehörde mit. Fraglich ist weiterhin, wann eine Verwendung von Cisco Web­ex möglich sein wird. Die Datenschutzbeauftragte wies da­r auf hin, dass nun die FU Berlin Mitteilung darüber erstatten muss, inwiefern “seitens der FU bestimmte technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden können, die die Verletzung der Grundrechte der betroffenen Personen entscheidend verringern.” Die Beauftragte bittet die Universität im weiteren Prozess nun, sich mit dem im Hause zuständigen Referat abzustimmen. Der AStA der FU begrüßt die Entscheidung der Universität. Die Studierendenvertretung teilte mit, dass die Universität in Datenschutzfragen nicht zum ersten Mal diskutable Entscheidungen getroffen hätte: “Die FU unter Leitung von Kanzlerin Andrea Bör fiel bereits in der Vergangen-

Cisco Webex ist ein häufig verwendetes Tool für Videokonferenzen an Deutschlands Universitäten. Die Berliner Datenschutzbeauftragte hat nun wiederholt darauf hingewiesen, dass der Einsatz jedoch nicht datenschutzkonform erfolgen kann. Foto: BS/Alexandra Koch, pixabay.com

heit durch Probleme im Umgang mit Datenschutzfragen auf. Das zeigte auch die Fehlkonfiguration des Notensystems Campus-Management vor einem Jahr. Hierbei wurden die Noten aller Studierenden öffentlich einsehbar. Die Entscheidung der BlnBDI ist ein notwendiges Korrektiv für das Versagen der FU in diesem Bereich” sagte Janik Besendorf, Referent für Datenschutz und Kommunikation beim AStA. Die präferierte Option der Studierendenschaft wäre eine “datensparsame Lösung ohne

Kompromisse”, welche auf den Servern der FU aktiv sein könnte. Das Open-Source-Webkonferenzsystem BigBlueButton – welches schon von einigen Universitäten genützt werde – könnte die Lösung des Problems darstellen, teilte der AStA mit. Welche Konsequenzen die Einschätzung der Berliner Datenschutzbeauftragten über das Land Berlin hinaus hat, ist noch nicht abzusehen. Laut Medienberichten wird das betroffene Tool nicht nur in Berlin, sondern auch in verschiedenen Staatskanzleien und Landesvertretungen genutzt. Auch die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), die während der Corona-Pandemie neue Bekanntheit erlangte, wird laut diesen Berichten mit dem Tool durchgeführt. Christof Stein, Sprecher des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (Prof. Ulrich Kelber, BfDI), erklärt auf Nachfrage des Behörden Spiegel, der BfDI habe bis jetzt noch keine eigene Prüfung von Cisco Webex vorgenommen. “Wir werden uns daher die Ergebnisse der Berliner Landesbeauftragten für den Datenschutz genau ansehen und gegebenenfalls für die Beratung der von uns beaufsichtigten Stellen berücksichtigten”, so Stein.

Teil der “Heimatstrategie” Die Auswahl des Standorts Magdeburg galt als Teil der “Heimatstrategie” der Bundesregierung: gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland durch Strukturentwicklung. 2019 hatten der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt und das Bundesinnenministerium eine gemeinsame Absichtserklärung zum Aufbau eines BVA-Standorts in der Region Magdeburg unterzeichnet. Seit 1. Juli 2020 ist das Amt auch dort vertreten. Da sich in den vorläufigen Räumlichkeiten in der Otto-von-Guericke-Straße 4 aber nur 80 bis 90 Arbeitsplätze unterbringen lassen, hatte das

BVA die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) mit der Erkundung einer Liegenschaft zur dauerhaften Unterbringung beauftragt. Die Suche in der Region Magdeburg führte schnell zum Erfolg. Doch Brandschutz- und denkmalschutzrechtliche Vorgaben, unvorhergesehener Sanierungsbedarf und damit verbundene notwendige Baugenehmigungsverfahren haben die Arbeiten stark verzögert. Und noch ist kein Einzugstermin in Sicht. Der Mietvertrag, der für rund 9.850 Quadratmeter in der Listemannstraße geschlossen werden konnte, sieht eine Laufzeit von zehn Jahren und einen Mietbeginn zum 01.08.2021 vor. Die vor dem Umzug notwendigen umfangreichen Umbauund Herrichtungsmaßnahmen konnten bislang allerdings nicht abgeschlossen werden. Aufgrund fehlender Dokumentationen aus den verschiedenen Zeiträumen der Vergangenheit zeigen sich ungeplanter Sanierungsbedarf und brandschutzund denkmalschutzrechtliche Notwendigkeiten. Die bisherigen BVA-Büroflächen im Objekt in der Otto-von-Guericke-Straße wurden deshalb noch nicht gekündigt. “Was wir jetzt benötigen, ist eine Beschleunigung und Priorisierung der Genehmigungsverfahren. Überall, wo Landes- oder Kommunalbehörden involviert sind, benötigen wir Ihre Unter-

stützung”, so Christoph Verenkotte gegenüber Ministerpräsident Haseloff sowie Magdeburgs Oberbürgermeister Trümper.

Ausbau muss zügig voranschreiten “Es ist wichtig, dass Bundesbehörden gleichmäßig im Bundesgebiet verteilt werden. Daher freue ich mich, dass in Magdeburg ein neuer Standort des Bundesverwaltungsamtes entsteht. Ich danke allen, die zu diesem Erfolg beigetragen haben. Land und Region profitieren von den bis zu 325 Vollzeitarbeitsplätzen. Jetzt muss der weitere Ausbau des Standortes zügig voranschreiten. Ich werde mich gemeinsam mit Oberbürgermeister Dr. Trümper dafür einsetzen, dass das Vorhaben schnellstmöglich umgesetzt werden kann”, sagte Ministerpräsident Haseloff. Positiv verlaufen die Personalgewinnungsmaßnahmen des BVA für den Aufwuchs in Magdeburg. Das Bundesverwaltungsamt ist als Flächenbehörde und Dienstleister mit einem breiten Aufgabenspektrum an derzeit 23 Standorten in ganz Deutschland vertreten. Der Standort in Magdeburg ist dabei als einer der größeren Standorte geplant, sukzessive sollen dort bis zu 500 Arbeitsplätze angesiedelt werden. Magdeburg wird damit perspektivisch nach Köln und Berlin drittgrößter Standort des BVA.

Ein Jahr data[port]ai Norddeutsche KI-Plattform macht Fortschritte (BS/gg) Der IT-Dienstleister Dataport und die Landesregierung Schleswig-Holsteins zeigen sich – ein Jahr nach Projektstart – zufrieden mit den Fortschritten bei data[port]ai, einer Plattform für Kunden aus öffentlicher Verwaltung, Forschung und Wirtschaft als Hub für Datennutzung und Künstliche Intelligenz (KI). Erste KI-Anwendungen laufen bereits auf data[port]ai, darunter der Chatbot “Frag den Michel” in Hamburg sowie die bildbasierte Objekterkennung von Seegraswiesen im Wattenmeer mittels Künstlicher Intelligenz (BOLKI) in Schleswig-Holstein. Im Fokus für dieses Jahr stehen die technische Weiterentwicklung der Plattform sowie die Entwicklung und der Betrieb von nachnutzbaren KI-Anwendungen für die öffentliche Verwaltung. Diese sollen auch von Softwareunternehmen und Start-ups aus den Dataport-Trägerländern

entwickelt werden. Hier soll auch das KI-Ökosystem durch Workshops in die Entwicklung der Plattform eingebunden werden. Laut Torsten Koß, im Vorstand von Dataport verantwortlich für den Bereich Digitale Transformation, konnten insgesamt 15 Projekte im Rahmen von data[port]-ai begonnen bzw. umgesetzt werden. Die sehr gute Resonanz im Ökosystem aus GovTechs, Forschung und KI-Unternehmen ermutige, weiter in die Umsetzung des Projekts zu investieren. “Data[port]ai ist ein extrem wichtiger Baustein, um den

Norden zur digitalen Vorreiterregion zu entwickeln. Als Teil unseres prosperierenden digitalen KI-Ökosystems, zu dem sowohl unsere hervorragenden Forschungseinrichtungen, vor allem aber auch unsere kleinen und mittleren Unternehmen gehören, leistet data[port]ai einen wichtigen Beitrag, unser Ziel, den Einsatz und die Anwendung von KI-Technologien zu beschleunigen, zu erreichen”, so der Dataport-Verwaltungsratsvorsitzende und Chef der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein, Staatssekretär Dirk Schrödter.

“Das Kalifornien Europas” Baden-Württemberg investiert in Cyber-Valley-Campus (BS/lma) Baden-Württemberg blickt sehnsüchtig nach Kalifornien. Zumindest hofft man im Ländle, an die Innovationsdichte des “Silicon Valleys” im westamerikanischen Bundesstaat anknüpfen zu können. Basierend auf einem Gesamtkonzepts des baden-württembergischen Finanzministeriums und des Wissenschaftsministeriums soll der bereits bestehende “Innovationscampus” in Tübingen zum “Cyber-Valley-Campus” ausgebaut werden. Dafür werden Investitionen von 180 Millionen Euro eingeplant. “Wir investieren, damit BadenWürttemberg das Kalifornien Europas wird”, sagt Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne). Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) ergänzt, der Standort platze momentan aus allen Nähten. “Mit dem Gesamtkonzept haben wir nun einen Fahrplan, damit wir auch übernächstes Jahr für die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler noch Arbeitsräume finden.” Die Forschenden bräuchten neben Büroräumen auch Labore und Rechenkapazität, konkretisiert Professor Dr. Bernd Engler, Rektor der Universität Tübingen.

“Daher war es zwingend erforderlich, nun auch die Investitionen in die Infrastruktur zu erhöhen und das Tempo beim Aufbau des Cyber Valley deutlich zu steigern, um die enormen Potenziale des Standorts zu realisieren.“ Konkret sieht der Plan vor, den bestehenden Campus um mehrere Gebäude zu erweitern. Gebaut werden sollen zwei weitere Forschungs-, Lehr und Seminargebäude. Außerdem will man ein bestehendes Gebäude auf dem künftigen Campusgelände kaufen, erklärt die Landesregierung. Auf dem Campus soll unter anderem das von einem wissenschaftlichen Verein getragene

ELLIS Institut (European Lab for Learning and Intelligent Systems) ein Zuhause finden. Ebenfalls auf dem Campus verortet ist das Kompetenzzentrum für Künstliche Intelligenz (KI) der Universität Tübingen, welches gemeinsam von Bund und Land finanziert wird. “Wir wollen Spitze bei der Künstlichen Intelligenz sein, das Cyber Valley ist enorm wichtig dafür”, so Finanzminister Bayaz. Insgesamt soll im Cyber Valley Grunlagenforschung mit interdisziplinärer und industrieller Forschung und einer lebhaften Gründerszene zu einem Innovationsökosystem zusammengeführt werden.


Smart City

Behörden Spiegel / Januar 2022

Seite 27

Von Smarties und Smartgassen

Wieland folgt auf Brunzel

Wadgassen möchte sich als Zukunftsgemeinde “Smartgassen” neu definieren

Führungswechsel bei Digitalisierern in der MRN

(BS/Sebastian Greiber) Mit ihren knapp 18.000 Einwohnern liegt die saarländische Gemeinde Wadgassen an der Saarschiene in unmittelbarer Nähe zur Landeshauptstadt Saarbrücken und zur Kreisstadt Saarlouis. Als typische Wohngemeinde kämpft sie seit Jahren gegen den demografischen Wandel und die Verdichtung der städtischen Ballungsgebiete. Die Gemeinde möchte nun die Chancen der Digitalisierung nutzen und eine sich abzeichnende gesellschaftliche Trendwende forcieren, um Wadgassen insbesondere für junge Familien attraktiver zu machen. Aus der reinen Wohngemeinde Wadgassen soll eine digitale und smarte Zukunftsgemeinde werden.

(BS/gg) Der Leiter des Fachbereichs Digitalisierung und E-Government der Metropolregion Rhein-Neckar, Marco Brunzel, verlässt nach sechs Jahren zum Jahresende die Metropolregion Rhein-Neckar (MRN) GmbH.

Die Welt um uns herum verändert sich in einem atemberaubenden Tempo. Viele sprechen daher schon von der größten Revolution seit der Industrialisierung: Die Digitalisierung ist längst Teil unseres alltäglichen Lebens geworden. Die Corona-Pandemie hat aus der “schleichenden Digitalisierung” der Vergangenheit eine “TurboDigitalisierung” gemacht. In vielen Regionen der Welt hat die Digitalisierung zu einer massiven Trendwende geführt: Viele junge Familien ziehen aus der Stadt wieder aufs Land; denn mobiles Arbeiten ist auf einmal Realität und Alltag geworden. Das ist eine historische Chance für Wadgassen und alle ländlichen Kommunen! Mit modernen Büroinfrastrukturen in unmittelbarer Nähe zu unseren Kitas und Grundschulen, sogenannten Co-Living-Spaces, soll in Wadgassen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zukunftsgerecht aufgestellt werden. Die flächendeckende Einführung von Microsoft Teams und den damit verknüpften Microsoft-Office Apps sowie entsprechende Schulungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden deswegen ebenso angegangen wie die Schaffung mobiler Arbeitsstrukturen durch Laptops, Mobile Devices, einer virtuellen Telefonanlage, Webcams und Headsets am Arbeitsplatz. Doch Digitalisierung bedeutet nicht nur, alte Strukturen auf eine Online-Plattform zu übertragen. Bei der Digitalisierung geht es um einen ganzheitlichen Veränderungsprozess, der das bisherige Arbeiten in der Verwaltung umkrempelt und ein transparenteres, ämterübergreifendes Miteinander der Kolleg(inn)en fördert. Dafür werden in der Gemeindeverwaltung Wadgassen sämtliche Prozesse auf den Kopf gestellt und hinterfragt.

“Von Smarties und Lenkungskreisen” Unter der Überschrift “Smartgassen” wird deswegen auch ein großer interner Veränderungsprozess angetrieben. Im Vordergrund steht dabei die zukunftsorientierte Ausrichtung der Verwaltung. Diese beinhaltet die Vereinfachung von Prozessen, Kompetenzaufbau der Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Führungskräfte und das Etablieren einer agilen Führungskultur. Dazu gehören aber auch struk-

ken und Schwächen des eigenen Teams, eine kritische Auseinandersetzung mit den internen ArSebastian Greiber ist seit Mai 2014 Bürgermeister der Gebeitsprozessen someinde Wadgassen. wie den externen Bürgerkontakten. Foto/Grafik: BS/Wadgassen Die Ergebnisse wurden optisch aufbereitet und turelle Anpassungen wie die äm- dienen den Ämtern fortan als terübergreifende, transparente, Stütze in der täglichen Arbeit. effiziente und zeitnahe Zusam- Auch werden sie herangezogen, menarbeit oder eine zentrale und um den Fortschritt des Prozesses allzeit erreichbare Akten- bzw. zu überprüfen. Zur Entwicklung eines FühDatenablage. Auch die ersten Co-Working-Spaces werden nun rungsleitbildes wurden alle Fühim Rathaus eingerichtet. rungskräfte der Gemeinde für Der Veränderungsprozess wird zwei Tage zu einem Führungsim Wesentlichen durch drei In­ kräfte-Workshop in ein Tagungsstanzen bearbeitet: Zunächst hotel eingeladen. Hier stand die gibt es ein Projektteam aus inter- Rolle der Führungskräfte und die nen und externen Mitarbeiten- zukünftige agile Führungskultur den, welches Projekte im Bereich dabei besonders im Fokus. Das Digitalisierung, Kommunikation Ziel ist es, die neuen Unternehoder New Work im engen Aus- mens- und Führungsleitbilder tausch mit dem Bürgermeister bei allen Mitarbeiterinnen und koordiniert, konzeptioniert, be- Mitarbeitern fundamental zu gleitet und als Motor des Prozes- etablieren und fest in das zuses dient. Daneben gibt es ein künftige Verwaltungsarbeiten ämterübergreifendes Projekt- zu integrieren. team, die “Smarties”. Jedes Amt stellt mindestens eine/n Smar- Lust auf Zukunft tie, die sich als Botschafter/Dieser Veränderungsprozess innen und Sprachrohr der Ämter wird aber niemals abgeschlossen in wöchentlichen Treffen unter- sein: Denn ohne den Verändeeinander austauschen, Themen rungswillen gäbe es Stillstand. bearbeiten und in Digitalisie- Der Veränderungsprozess wird rungsfragen geschult werden. in Wadgassen als fortlaufender Die Smarties geben die Erfah- und andauernder Wegbegleiter rungen und das neue Wissen verstanden, deswegen werden dann an die Ämter weiter und alle Maßnahmen und Projekte sorgen dafür, dass der Prozess langfristig und nachhaltig anim Inneren der Verwaltung an- gegangen. kommt und umgesetzt wird. Der dritte Projekttreiber ist der Lenkungskreis. Er besteht aus den Führungskräften der Gemeinde sowie einer Vertretung des Personalrats und gibt die große Linie vor. Hier werden also Schwerpunkte gesetzt, Reihenfolgen festgelegt, Entscheidungen getroffen, Probleme und Lösungen diskutiert und der Große Städte wie Berlin, HamVeränderungsprozess gelenkt. burg oder München haben längst Leitbild-Workshops und kein Patent mehr auf das Thema Führungskräfteschulung Digitalisierung und den Begriff Wichtige Schritte beim Verän- Smart Cities. Ländliche Kommunen wie derungsprozess sind die Erarbeitungen eines gemeinsamen Wadgassen können ihre Chance Unternehmens- und Führungs- als Smart Country oder Smart leitbildes. Dazu wurden mit Region nutzen; denn Zukunft allen Ämtern eigene Leitbild- ist Veränderung – und die GeWorkshops durchgeführt, bei meinde Wadgassen hat Lust auf denen jede Mitarbeiterin und Zukunft! jeder Mitarbeiter die Chance hatWeitere Informationen unter: te, sich einzubringen. Bei den Workshops ging es um die Stär- www.smartgassen.de

Govdigital wächst GovConnect jüngstes Genossenschaftsmitglied (BS/gg) Die GovConnect GmbH ist neuestes Mitglied der Genossenschaft govdigital eG. Die GovConnect mit Hauptsitz in Hannover fungiert als eine gemeinsame E-Government-Plattform der niedersächsischen kommunalen IT-Dienstleister, kommunalen Spitzenverbände und des Landes Niedersachsen. Als Institution von Land und Kommunen verstärkt sie durch ihren Beitritt die ebenenübergreifende Arbeit der govdigital und vergrößert die kommunale Reichweite gleichsam flächendeckend in Niedersachsen. “Wir freuen uns sehr, dass die GovConnect mit ihren jahrelangen und vielfältigen Erfahrungen der Zusammenarbeit im Bereich Verwaltungsdigitalisierung nun Mitglied bei uns ist”, erklärt Martin Schallbruch, u. a. ehemaliger IT-Abteilungsleiter im Bundesinnenministerium und seit Januar dieses Jahres neuer CEO der

govdigital. “Der Gesellschafterkreis aus Land, kommunalen IT- Dienstleistern und Spitzenverbänden wird unsere Genossenschaft bereichern.” “Für uns ist der Beitritt zur govdigital ein weiterer folgerichtiger Schritt der bisherigen Arbeit zur gemeinsamen Bewältigung der Herausforderung der digitalen Transformation der Verwaltung “, sagt Patricia Pichottki, Geschäftsführerin der GovConnect GmbH. “Es ist wichtig, dass wir die Digitalisierung öffentlicher IT nun über sämtliche Ebenen hinweg forcieren, um die Anforderungen

erfüllen zu können, die Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen an uns stellen. Dazu gehören vor allem nutzerfreundliche digitale Verwaltungsservices, zuverlässige Cloud-Angebote und sichere Verfahren, die wir nur gemeinsam organisieren können.” Govdigital eG ist ein Zusammenschluss aus mittlerweile 22 öffentlichen Mitgliedern, die moderne Technologien für die öffentliche Verwaltung vorantreiben. Weitere Informationen unter: www.govdigital.de

Marco Brunzel (53) hat sich vor allem als ausgewiesener Fachmann für die interkommunale und länderübergreifende Zusammenarbeit bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung bundesweit einen Namen gemacht. Auch Thomas Wieland (49) ist ein ausgewiesener Kenner der Verwaltungsmodernisierung und des E-Governments. Als Leiter der Abteilung Moderne Verwaltung, E-Government und IT sowie als Chief Digital Officer (CDO) des Kreises Bergstraße ist der diplomierte Betriebswirt in dieser Funktion schon seit Jahren eng mit der strategischen und operativen Regionalentwicklung verbunden. Ab 2014 führt er den Weg der Kreisverwaltung

Wieland ist zudem als Lehrbeauftragter für E-Government an der Fakultät für Wirtschaft an der Dualen Hochschule BadenWürttemberg in Mannheim tätig. Wieland hat sich in jüngster Zeit Der zukünftige Bereichsleiter für Digitalisierung und E-Government, Thomas Wieland (links), und sein mit der Initiierung Vorgänger in dieser Funktion, Marco Brunzel. der Genossenschaft KommuFoto: BS/MRN nalCampus als in die Digitalisierung und hat Bildungsplattform für den Aufalle Weichen gestellt, dass das bau digitaler Kompetenzen der Projektprogramm 2022 mit In- kommunalen Bestandbeschäftigkrafttreten des OZG weitgehend ten, länderübergreifenden einen Namen gemacht. abgeschlossen werden kann.

Fahrdienst auf Abruf In Höxter startet das smarte ÖPNV-Angebot “Holibri” (BS/lma) Wie kann Mobilität in Zukunft digital organisiert werden? Der ÖPNV spielt hier eine große Rolle, jedoch muss auch dieser attraktiv gestaltet werden. In der nordrhein-westfälischen Gemeinde Höxter gibt es nun das “Holibri”-Shuttle, einen Fahrdienst auf Abruf. Das Projekt funktioniert mittels App und Algorithmus. Fahrgäste können eine Fahrt mittels App, über eine Website oder altmodisch per Telefon buchen. Sie geben dabei die Fahrstrecke und den gewünschten Startzeitpunkt an. Die Shuttles fahren nicht nach Fahrplan, sondern steuern “on demand” die 1.300 Haltepunkte an, erklärt das nordrhein-westfälische Verkehrsministerium, welches das Projekt mit rund 1,5 Millionen Euro fördert. Der Algorithmus manage dann die Buchungen und sammele die Fahrgäste entlang der Strecke ein.

Ein Exemplar der neuen elektrischen und per App buchbaren Holibri-Shuttles. Foto: BS/NPH Paderborn/Höxter

Die Shuttles ersetzen in Höxter mehrere Buslinien, die konventionell nach einem festen Fahrplan gefahren sind. Nach Angaben der Stadt Höxter seien die bisher eingesetzten Busse für die Nachfrage der Fahrgäste überdimensioniert gewesen. Unter den 1.300 Haltepunkten finden sich die alten Bushaltestellen, aber auch zahlreiche weitere Haltepunkte. So ist laut Verkehrsministerium dafür gesorgt, dass rund alle 200 Meter ein Ein- oder Ausstieg möglich ist. Die Shuttles fahren elektrisch.


Informationssicherheit

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Blockchain aus Mittweida

S

o ermöglicht sie es CyberKriminellen, gezielte Angriffe auf vernetzte Unternehmen durch­zuführen. Ein Angreifer kann gespeicherte Produktionsdaten z. B. so verändern, dass eine spätere Rückverfolgung von Fehlern unmöglich wird. Ein derartiger Angriff kann somit eine ernsthafte Gefährdung der Bevölkerung zur Folge haben, wenn beispielsweise Daten, die für eine Rückrufaktion relevant sind, verändert werden. Um zu untersuchen, wie solche Angriffe in Zukunft verhindert werden können, beteiligt sich das Blockchain Competence Center Mittweida (BCCM) aktiv am Forschungsprojekt “safeUR-chain”. In diesem Projekt wird erforscht, wie die Blockchain-Technologie in einem Unternehmensnetzwerk eingesetzt werden kann, um die nachträgliche Veränderung von produktionsrelevanten Daten zu verhindern. Dafür wird aktuell ein unternehmensübergreifender Blockchain-Demonstrator entwickelt.

Veränderung historischer Daten wird erschwert In einer Blockchain werden mit neuen Daten immer auch Verweise auf die bereits vorhandenen Daten eingefügt. Diese Verweise basieren auf eindeutigen “Fingerabdrücken” von Daten, die auch als “Hashes” bezeichnet werden. Durch diese eindeutigen Verweise auf die vorhergehenden Daten wird es unmöglich, historische Daten zu verändern, ohne viele dieser Verweise neu berechnen zu müssen. Außerdem kann der letzte Verweis in der Datenstruktur genutzt werden, um die Integrität sämtlicher vorhergehenden Daten innerhalb der Blockchain zu überprüfen. Aufgrund dieser Eigenschaften eignet sich eine Blockchain

Behörden Spiegel / Januar 2022

Eine neuartige und industrielle Lösung (BS/Erik Neumann*) Die schrittweise Digitalisierung und Vernetzung von Produktionssystemen hat es Unternehmen in den letzten Jahren ermöglicht, ihre Arbeit enger aufeinander abzustimmen und produktiver zu arbeiten. Diese Vernetzung hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Durch die Verflechtung der einzelnen Segmente werden sie übergreifend ­verwundbar. mensübergreifenden Netzwerk zusammengeschlossen. In diesem Netzwerk teilen die Unternehmen die aktuell letzten Verweise aus ihrer lokalen Blockchain, nicht aber die eigentlichen Produktionsdaten. Diese Verweise werden von den anderen Unternehmen in ihre Blockchains aufgenommen, was den nächsten Block in diesen beeinflusst.

Vermeidung von Manipulation

Das safe-UR-chain-Projekt umfasst die Erforschung, Implementierung und Validierung eines Blockchain-Systems für Produktionsnetzwerke. Forschende der Hochschule Mittweida sind an dem Vorhaben – das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird – beteiligt. Foto: BS/safe-UR-chain

hervorragend, um Daten gegen Manipulation zu schützen.

Nodes mit unterschiedlichen Funktionen Im safe-UR-chain-Projekt, wird die Blockchain innerhalb eines Unternehmens von einem dezentralen Netzwerk bestehend aus sogenannten “Nodes” geführt. Einige dieser Nodes haben die Aufgabe, Daten direkt von Maschinen aufzunehmen und in das Netzwerk einzuspeisen. Andere Nodes erzeugen die Blockchain, indem sie Daten zu Blöcken zusammenfassen und den Verweis

auf den vorhergehenden Block errechnen. Weitere Nodes speichern die Blockchain-Daten und bereiten diese so auf, dass sie von anderen Systemen genutzt werden können. Dieses Netzwerk verfügt außerdem über die Fähigkeit, sich selbstständig aufzubauen und sich bei einem Ausfall von Nodes selbst zu reparieren, was die Inbetriebnahme sowie die langfristige Nutzung vereinfacht. Zusätzlich kann das Netzwerk durch den gezielten Einsatz der verschiedenen Node-Typen an die individuellen Anforderungen eines Unternehmens angepasst werden.

Um die Sicherheit weiter zu erhöhen und um einen einfachen Datenaustausch zwischen den Unternehmen zu ermöglichen, werden die lokalen BlockchainNetzwerke zu einem unterneh-

Dieser Prozess führt zu einer “Verstrickung” der unternehmensinternen Blockchains und ermöglicht eine spätere Integritätsprüfung der jeweils erhobenen Daten. Durch dieses Vorgehen kann die Manipulation von Daten verhindert werden, ohne dass die eigentlichen Daten ihr jeweiliges Unternehmen verlassen müssen. Dennoch erhalten alle beteiligten Unternehmen die Informationen, die zur späteren Überprüfung externer Daten notwendig sind. Zusätzlich lassen sich die in der Blockchain gespeicherten Daten mit weiteren, beliebigen Verweisen ergänzen. Dadurch können Datensätze nicht nur innerhalb der Block-

chain, sondern auch über Systemgrenzen hinweg miteinander verknüpft werden.

Framework wird angepasst Das Projekt baut auf einer völlig neuen, extrem leichtgewichtigen und eigens im BCCM entwickelten Blockchain-Lösung auf. Es wurde bewusst darauf verzichtet, ein schwergewichtiges SoftwareFramework zu verwenden und dies an die besonderen Anforderungen aufwendig anzupassen. Das Gesamtsystem umfasst aktuell weniger als 10.000 Zeilen Quellcode, was eine schnelle Adaption an die Bedürfnisse der Projektpartner ermöglicht. Aus aktuellen Tests geht hervor, dass das System pro Unternehmensnetzwerk über 100 Datensätze pro Sekunde aufnehmen kann. Auch unterschiedliche Konsensverfahren (Proof-of-X) können zum Einsatz kommen. Aktuell wird das System von mehreren Partnerfirmen innerhalb des Projektes getestet. *Erik Neumann ist Entwickler beim safe-UR-chain-Forschungsprojekt an der Hochschule Mittweida.

DLP auf dem Vormarsch Erhöhter Sicherheitsgewinn dank Content-Filtern (BS/Oliver Wege) Bei “Data Loss Prevention“ (DLP) geht es im Wesentlichen darum, einen unerwünschten Abfluss von Daten zu vermeiden bzw. eine Weitergabe von Informationen an unerwünschte Empfänger zu verhindern. Der Begriff “Data Leakage Prevention” ist hierfür ebenso gebräuchlich. Beide Begriffe werden meist synonym verwendet; die Unterschiede in der Fachdiskussion haben oft nur akademischen Charakter. Das DLP-Konzept war zunächst unter dem Eindruck der WikiLeaks und ähnlicher Vorfälle enstanden und hat dann später Eingang in die IT-Sicherheitsstrategie New-Security-Cubus gefunden. Aktuell kann auch die Wirkung der gefürchteten Ransom-Angriffe gemildert werden. Zumindest der Teil des Kopierens von Daten, die die Angreifer mit der Drohung einer Veröffentlichung gern als Erpressungspotenzial nutzen, kann etwas entschärft werden. Technisch gesehen ist DLP derzeit eher eine Sammlung bereits bekannter IT-Sicherheitstechniken. Zunächst kommen agentenbasierende Verschlüsselungs- und ZugriffskontrollSoftwaresysteme zum Einsatz, um gewünschte Datenkommunikation über öffentliche Netze oder bei der Speicherung vorzugsweise auf USB-Stick zu verschlüsseln bzw. gleich komplett die Rechner-Schnittstellen (z. B. USB-Schnittstelle) für den Datenexport zu sperren. Ergänzt werden diese Techniken durch die Überprüfung des ausgehenden Datenverkehrs an den Gateways zu öffentlichen Netzen mit zusätzlichen Content-Filtern. Als triviales Anschauungsbeispiel für eine solche Gateway-Konstruktion im für Informationsweitergabe besonders gefährdeten Mail-Bereich kann eine Filterung mittels UNIX-Kommando GREP dienen, mit dem die ausgehende Mail-Warteschlange (outgoing mailqueue) gescannt wird. Durch geschickt gewählte Suchbegriffe können so Mails mit “gefährlichen” Inhalten isoliert werden. In Wahrheit ist dies natürlich wesentlich komplizierter, da natürlich auch beigefügte Dokumente durchsucht werden müssen. Beispielsweise ist selbst bei per MS-Word erstellten PDFDateien mit einer solchen reinen “Plain-Text”-Inhaltssuche nichts zu finden. Hier muss zunächst

erst mal eine aufwendige Konvertierung in ein durchsuchbares Textformat erfolgen.

Neue Sicherungsmöglichkeiten Allerdings sind technische Maßnahmen aufgrund der Komplexität des heutigen Datenverkehrs allein auch nicht ausreichend. Zusätzliche organisatorische Maßnahmen werden erforderlich, deshalb wurde DLP in der Vergangenheit auch meist als Organisationsprojekt aufgesetzt. Allerdings scheiterten viele solcher Projekte aufgrund des hohen Aufwandes bei der dann notwendig werdenden Dokumentenkategorisierung und -kennzeichnung entsprechend ihrer Sensibilität. Die fortschreitende Digitalisierung könnte nun dem Thema DLP einen völlig neuen Schub verleihen. Durch die dabei avisierte Einführung der elektronischen Akte und den damit verbundenen Einzug von Dokumentenmanagementsystemen (DMS) in Wirtschaft und Verwaltung ergeben sich nun völlig neue Sicherungsmöglichkeiten. Wenn das Abspeichern des elektronischen Schriftgutes konsequenterweise und möglichst ausschließlich in diesem System erfolgt, kann auch gleich deren Sensibilität durch den Nutzer elektronisch gekennzeichnet und entsprechend hinterlegt werden (hilfsweise im Dokumentennamen). Dies hilft bei der Aufstellung der Content-Filter zur Überwachung des ausgehenden Datenverkehrs an den Gateways zu öffentlichen Netzen. Zudem können ein zusätzlicher Zugangsschutz zum DMS eingerichtet und Datenausgänge des DMS selbst gefiltert werden, beispielsweise durch das Abschalten der ausgehenden Mail-Schnittstelle.

Unterschiedliche Geheimhaltungsstufen Behörden haben hierbei insgesamt den Vorteil, sich bei den

notwendigen Suchbegriffen zur Überwachung des ausgehenden Datenverkehrs zunächst einmal auf Begrifflichkeiten aus der Verschlusssachenanordung zu konzentrieren. Die Regelungen zu Verschlusssachen und deren Schutz treffen in Deutschland insbesondere das Sicherheitsüberprüfungsgesetz bzw. die auf dieser Grundlage erlassene Verschlusssachenanweisung des Bundes sowie entsprechende Gesetze und Anweisungen der Länder. Dabei werden je nach Geheimhaltungsgrad die Dokumente in der Stufung VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, VS-VERTRAULICH, GEHEIM und STRENG GEHEIM vom Herausgeber eingestuft und entsprechend mit diesen Begriffen auch gekennzeichnet. Eine Kategorisierungsmöglichkeit von Dokumenten, die auch für die Wirtschaft interessant wäre, ist eine Analogie-Anwendung des aus dem Bereich der IT-Sicherheit bekannten Traffic- Light-Protokolls (TLP). Es wird auch “Ampel-Protokoll“ genannt und verwendet dabei folgende Stufung: TPL-WHITE: Informationsweitergabe ohne Einschränkungen, TLP-GREEN: Informationsweitergabe nur innerhalb der Organisation, TLP-Amber: Informationsweitergabe innerhalb der Organisation nur wenn notwendig, TLP-RED: Informationsweitergabe innerhalb der Organisation nur an einen Kreis ausgewählter Personen. Eine solche Einstufung von Dokumenten bedeutet natürlich einen erhöhten Aufwand bei den Nutzern, der Sicherheitsgewinn ist aber ungleich größer. So wird es auch ganz im Sinne der IT-Sicherheit möglich, durch DMS-Zentralisierung des elektronischen Schriftgutes etwas Ordnung ins Datenchaos zu bringen.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Januar 2022

Mensch im Mittelpunkt Cyberagentur vergibt erste Forschungsaufträge (BS) Die Cyberagentur in Halle wurde im Sommer 2020 gegründet und soll vor allem Forschung unterstützen, die neue Schlüsseltechnologien für die Cyber-Sicherheit Deutschlands ermöglicht. Im Juni letzten Jahres verließ Gründungsdirektor Christoph Igel die Agentur. Begleitet wurde sein Fortgang mit der Kritik, dass bisher noch keine Forschungsaufträge vergeben worden seien. Auch die Einmischung verschiedener Ministerien kritisierte der ehemalige Geschäftsführer. Nun hat die Agentur mit Dr. Christian Hummert einen neuen Forschungsdirektor und die ersten Projekte stehen in den Startlöchern oder befinden sich bereits in der Umsetzungsphase. Die Entwicklung der letzten Monate stimmt optimistisch. Das Interview führte Paul Schubert.

B

ehörden Spiegel: Herr Dr. Hummert, sie wurden im Oktober als neuer Forschungsdirektor der Cyberagentur vorgestellt. Welche Ziele haben sie sich für die Agentur vorgenommen? Dr. Christian Hummert: Aktuell arbeiten wir an einer Forschungsstrategie für die Cyberagentur, die spätestens im ersten Quartal

Hummert: Wir sind ein gemischtes Team. Wir haben Leute, die aus der Wirtschaft kommen, aus Verbänden oder auch der Wissenschaft. Ich selbst komme von ZITiS. Ziel ist es vor allem, dass wir interdisziplinär arbeiten können. Darüber hinaus finde ich, dass in einem diversen Team die höchste Chance für Innovati-

“Wir möchten an den Ideen arbeiten, die wirklich eine gesellschaftliche Veränderung hervorbringen können.” Dr. Christian Hummert ist Forschungsdirektor der Cyberagentur mit Sitz in Halle an der Saale. Foto: BS/Cyberagentur

2022 abgeschlossen sein soll. Das Ziel soll es sein, keine monolithischen Projekte mehr umzusetzen, sondern viele miteinander vernetzte Ideen zu verknüpfen. Dafür möchte ich den neuen Bereich Sichere Gesellschaft schaffen, in der der Mensch im Mittelpunkt steht. Zum Zweiten werden wir uns mit Schlüsseltechnologien beschäftigen. Hier suchen wir Ideen, die ein wirkliches Disruptionspotenzial haben, Deutschland voranbringen und digitale Souveränität sichern können. Das dritte zentrale Ziel beschäftigt sich mit dem Thema sichere Systeme. Dabei werden wir nicht Programme oder Software einzeln betrachten, sondern sie im Gesamtgefüge untersuchen und etwaige Sicherheitslücken identifizieren. Behörden Spiegel: Von welchen Systemen reden sie da? Hummert: Dazu zählen Hardware- und Computersysteme, Software und die verschiedenen Computer, welche durch Netzwerke verbunden sind. Wenn wir da beispielsweise an Kritische Infrastrukturen denken, haben wir diese ganzen Elemente vor Ort. Hier spricht man von eingebetteten Systemen. Also Steuerungscomputer, Netze et cetera. Die würde ich gerne in der Gesamtheit betrachten und nicht das einzelne Gerät an sich, weil man sonst die Schnittstellen vergisst. Behörden Spiegel: Da haben sie sich ja einiges vorgenommen. Plant ihre Agentur, zu expandieren? Hummert: Auf jeden Fall. Wir wollen auf bis zu 100 Leute anwachsen. Aktuell sind wir 27, bis Ende 2022 sollen es wenigstens etwa 70 Mitarbeitende sein. Probleme sind die Suche nach dem geeigneten Fachpersonal und die limitierten Räumlichkeiten. Die Cyberagentur sitzt in Halle und da werden wir auch bleiben. Perspektivisch – geplant ist zum Oktober 2022 – wollen wir in eine größere Interimsliegenschaft umziehen. Behörden Spiegel: Aus welchen Fachkräften setzt sich denn aktuell die Cyberagentur zusammen?

onen liegt. Wenn Leute sich aneinander reiben, entstehen die besten Ideen. Insgesamt haben wir natürlich einen starken Fokus auf die Informatik und Elektrowissenschaft. Also die Wissenschaften, die mit “Cyber” am engsten verbunden sind. Behörden Spiegel: Nun ist die Cyberagentur ja vor allem eine Vernetzungsinstitution für Forschungsprojekte. Wenn man sich den Koalitionsvertrag anschaut, ist ja davon zu lesen, dass die Bundesregierung Forschungsprojekte im Allgemeinen übergreifend vernetzen möchte. Ein klarer Auftrag für die Cyberagentur? Hummert: Wir wollen an den großen Forschungsideen arbeiten. Also an den Ideen, von denen wir glauben, dass sie wirklich eine gesellschaftliche Veränderung herbeibringen können. Dazu muss ein ganzes Ökosystem geschaffen werden. Es reicht nicht aus, einen einzigen Player in einem Forschungsinstitut oder in einer Universität zu fördern. Dafür müssen wir uns klar werden, welche Fragen in der Zukunft interessant werden könnten. Die Cyberagentur schaut dabei etwa zehn bis fünfzehn Jahre in die Zukunft. Ich glaube schon, dass wir ein guter zentraler Schlüssel sein können, um Forschungsinstitutionen miteinander zu vernetzen. Behörden Spiegel: Welche Fragen sind das denn, die in zehn bis fünfzehn Jahren geklärt werden müssen?

Werden wir in zehn, fünfzehn Jahren immer noch Smartphones und andere technische Hilfsmittel verwenden, die die gleichen Funktionen haben wie unsere heutigen? Das ist unwahrscheinlich. Behörden Spiegel: Fördern sie aktuell Projekte, die disruptiv und zukunftsverändernd sein könnten? Hummert: Wir haben im Oktober die Ausschreibung zum Thema Brain Computer Interfaces gestartet. Das Projekt ist interessant, weil wir bereits in der Medizin gesehen haben, dass Menschen mittels Gedankenkraft ihre Prothesen, ihren neuen Arm oder ihren Finger bewegen können. Hier stellt sich für uns die Frage, wann und wie eine solche Technik in den Consumer-Bereich transportiert werden könnte. Also ob wir bald in der Lage sein werden, mittels Gedankenkraft unseren Mauszeiger bewegen zu können. Das klingt zwar nach Science-Fiction, aber die Technik ist eigentlich schon da. Behörden Spiegel: Und welche Forschungsprojekte sind bereits finanziert und gestartet? Hummert: Aktuell läuft eine Machbarkeitsstudie zu Encrypted Computing, auch homomorphe Verschlüsselung genannt. Dabei geht es darum, Berechnungen auf verschlüsselten Daten durchzuführen. In diesem Fall müssen die Daten gar nicht mehr entschlüsselt werden, um mit ihnen etwas anfangen zu

Behörden Spiegel: Die Cyberagentur wird diese Projekte nicht alleine begleiten. Welche Institutionen wirken unterstützend? Hummert: Wir sind mit Stakeholdern, Ministerien, Forschungseinrichtungen, Universitäten, Industrie, Verbänden und Start-ups im Gespräch. Aber es gibt auch andere Einrichtungen, die ähnlich wie wir arbeiten. Da gibt es z. B. die SPRIND in Leipzig, die auch disruptive Forschungsprojekte unterstützt, wenngleich nicht im Bereich der Cyber-Sicherheit. Mit denen tauschen wir uns intensiv aus. Auch mit dem BMBF sind wir vor allem im Rahmen der Redundanzprüfungen im engen Kontakt.

“Ich finde, dass in einem diversen Team die höchste Chance für ­Innovationen liegt.” können. Das würde viele Sicherheitsprobleme auf einmal lösen. Dies könnte dann unter anderen die KI-gestützte Videoüberwachung erlauben, ohne dass der Inhalt der Videodaten dargelegt werden müsste. Das wäre auf jeden Fall eine wichtige Schlüsseltechnologie. Behörden Spiegel: Erwerben sie durch die Förderung der Projekte auch die Rechte an den Ergebnissen? Hummert: Also unsere vorrangige Aufgabe ist es ja, die Projekte der Bundesrepublik vorzustellen. Und formal erwerben wir auch – oder versuchen es zumindest weitestgehend – die Rechte an den Ergebnissen. Die gehen in diesem Zuge vorrangig an die Bundesrepublik über, damit wir einen wirklichen

“Werden wir in zehn, fünfzehn Jahren noch die gleichen technischen Hilfsmittel wie heute ­verwenden? Ich glaube nicht.” Hummert: Das ist von Bedarfsträger zu Bedarfsträger unterschiedlich. Die Polizei möchte beispielsweise die Fähigkeit verbessern, Handys zu entschlüsseln oder Daten auszulesen. Das BSI interessiert vor allem, wie konkrete Systeme sicherer gemacht werden können. Allerdings ist für uns vor allem die Frage wichtig: Was kommt nach unseren aktuellen Systemen?

Hummert: Die Finanzmittel, die wir haben, werden durch öffentliche Ausschreibungen vergeben. Dafür legen wir vorher Themen fest, die uns interessieren. An den Ausschreibungen kann sich eigentlich jeder beteiligen. In der Regel sind die Interessenten Universitäten, Forschungsinstitute, Wirtschaft, Vereine und ab und zu auch Einzelpersonen. Dann ist es wichtig, inwiefern der Bedarf für Forschungsaufträge vorhanden ist. Wir reden dann mit den jeweiligen Bedarfsträgern. Dazu zählen die Polizei, die Ministerien - und die entscheiden mit, inwiefern das Thema für sie relevant sein könnte. Dann erfolgt eine Redundanzprüfung. Wir möchten vorher abklären, ob es bereits ein Forschungsprojekt in diesem Bereich gibt. Für die Ausschreibungen stehen uns jährlich etwa 80 Millionen Euro zu Verfügung.

Beitrag zur digitalen Souveränität Deutschlands sicherstellen können. Vorher muss natürlich geklärt werden, inwiefern die Projekte überhaupt realisierbar sind – deshalb auch die Machbarkeitsstudien. Behörden Spiegel: Wie läuft der Auswahlprozess dieser Projekte ab und welchen Förderrahmen hat die Cyberagentur?

Behörden Spiegel: Welche Projekte sind 2022 geplant? Hummert: Ein Projekt wird sich mit der Sicherheit von kritischen Systemen auseinandersetzen. Dazu haben wir bereits einen Ideenwettbewerb gestartet und werten aktuell die Ergebnisse aus. Des Weiteren werden wir in den kommenden Wochen ein Projekt veröffentlichen, bei dem es um formal zertifizierte Hardware geht. Also Hardware, die überprüft, ob bestimmte Befehle oder andere Handlungen bewusst vom Nutzenden getätigt wurden. Das wäre in meinen Augen ein Gamechanger, denn damit könnte man bösartige Software wie Computerviren, Malware wirkungsvoll bekämpfen, weil nur solche Befehle ausgeführt würden, die auch wirklich bewusst getätigt wurden.

MELDUNG

Log4Shell nun auf Rot (BS/sp) Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat die Schwachstelle in einer vielgenutzten Bibliothek für Java-Software, Log4Shell, auf die Warnstufe Rot heraufgesetzt. Die Java-Bibliothek ist ein Software-Modul, das zur Umsetzung einer bestimmten Funktionalität in weiteren Produkten verwendet wird. Die Behörde spricht von einer “extrem kritischen Bedrohungslage”. Mittlerweile ist für die Bibliothek ein Update verfügbar.

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Ansprechpartner Informationen zu Beteiligungsmöglichkeiten erteilt: Benjamin Bauer Mitglied der Geschäftsleitung Tel.: 0228/970 97-0 E-Mail: benjamin.bauer@behoerdenspiegel.de

Sept. 2022

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Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Januar 2022

Trennung überwunden?

KNAPP Flotte wird modernisiert

Bund-Länder-Kompetenzzentrum nimmt Form an (BS/bk) Nach langem Hin und Her soll das Bund-Länder-Kompetenzzentrum im Bevölkerungsschutz offiziell kommen. Auf der vergangenen Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) verständigten sich die Ministerinnen und Senatoren auf die Errichtung eines solchen Zentrums. Eine endgültige Verwaltungsvereinbarung zu diesem Zentrum gibt es nach Behörden Spiegel-Informationen jedoch noch nicht. Auch im Bericht zu den Ergebnissen der Bund-Länder-Kommission “Stärkung des Bevölkerungsschutzes” bleibt vieles vage. Viel scheint sich im Verhältnis von Bund und Ländern im Katastrophenschutz trotz öffentlicher Bekenntnisse nicht zu ändern. Eine Person, die mit der Sache betraut ist, sagte, dass noch keine unterzeichnungsreife Verwaltungsvereinbarung auf dem Tisch liegen könne, weil es noch keine gebe. Die Verwaltungsvereinbarung befinde sich momentan in Bearbeitung und werde sich noch stark ändern. Einzig ein Entwurf einer Vereinbarung zur Finanzierung des Kompetenzzentrums wurde eingebracht. Auf Grundlage dieses Entwurfs wurden die Länder gebeten, die Finanzierung für ihren jeweiligen Bereich sicherzustellen. Der Entwurf soll an die Finanzministerkonferenz (FMK) weitergeleitet werden. Da es noch keine endgültige Verwaltungsvereinbarung gibt, bleiben der Öffentlichkeit erst mal nichts anderes als die Worte der verantwortlichen Personen und der Beschluss der IMK, um Näheres zu diesem neuen Kompetenzzentrum zu erfahren. “Wir brauchen auch in Krisenzeiten ein nationales Krisenkommando”, sagte Boris Pistorius (SPD), niedersächsischer Innenminister und Sprecher der SPDgeführten Länder in der IMK, bei der Vorstellung der Ergebnisse. Dieses Kommando solle sich im Krisenfall nach definierten Kriterien aus den unterschiedlichen Organisationen und Einheiten der allgemeinen Gefahrenabwehr zusammensetzen und gemeinsam unter einer einheitlichen Führung arbeiten. Die Trennung zwischen Zivil- und Katastrophenschutz habe sich überlebt. Auch Thomas Strobl (CDU), baden-württembergischer Innenminister, klang sehr optimistisch: “Wir haben ein echtes, ein neues Bund-LänderKompetenzzentrum auf den Weg gebracht.” Aber die Aussagen der zuständigen Politiker stehen dem gegenüber, was in dem Bericht der IMK-Sitzung steht.

Die Trennung zwischen Zivil- und Katastrophenschutz sollte eigentlich genauso leicht überwunden werden, wenn es nach einigen Landespolitikern geht. Foto: BS/Mary Bettini Blank, pixabay.com

Dort heißt es unter anderem: “Mit der Errichtung und Etablierung eines dauerhaften und strukturiert organisierten Kompetenzzentrums für den Bevölkerungsschutz sowie für das ressortübergreifende Risiko- und Krisenmanagement sollen bevölkerungsschutzrelevante Themen unter Wahrung der Zuständigkeiten des Bundes im Zivilschutz und der Länder im Katastrophenschutz konzentriert und der Informationsstand aller Beteiligten für eine bessere Krisenvorsorge und Krisenbewältigung optimiert werden.” Die Trennung zwischen den Kompetenzen von Bund und Ländern wird also auch mit dem Zentrum aufrechterhalten. Auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gibt erstmal Grund zur Ernüchterung. Das “Gemeinsame Kompetenzzentrum für Bevölkerungsschutz” des Bundes und der Länder verstehe sich als Kooperationsplattform für eine engere Zusammenarbeit

im Bevölkerungsschutz und Krisenmanagement zwischen Bund und Ländern sowie weiteren Akteuren. Das ressortübergreifende Krisenmanagement soll “unter Berücksichtigung der föderalen Kompetenzverteilung partnerschaftlich getragen werden”. Die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte in einer Schalte mit der Leitung des Bundesinnenministeriums (BMI) daraufhin gewiesen, dass sie einen signifikanten Aufwuchs von Kräften, aber eben auch Fähigkeiten im Bevölkerungs- und Katastrophenschutz erreichen möchte. Nun hat das BBK für den Haushaltsansatz bis 2024 einen Plan für 1.100 zusätzliche Stellen vorgelegt. Bei derzeit 380 Planstellen bedeutet es einen Aufwuchs um knapp 300 Prozent. Allein der neue Standort der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivilschutz (BABZ) in Stralsund soll auf über 200 Planstellen anwachsen. Damit wird der Standort größer als der Stand-

ort in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Auf Basis des IMK-Beschlusses soll die Zentralstellenfunktion des BBK erst einmal durch die Einrichtung eines Gemeinsamen Zentrums von Bund und Ländern beim BBK erreicht werden. Dazu sollen rasch fünf Vertreter der Bundesländer benannt werden, wie fünf seitens des Bundes. Es sei vorgesehen, dass die Länder die Personalkosten gemeinsam finanzieren. Als Organisationsmuster gilt das Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ). Die Vertreter sollen aber nicht nur aus dem Katastrophenschutz kommen, sondern auch aus dem Gesundheitsbereich wie anderen Sicherheitssektoren. Man wolle ein Zentrum aufbauen, in dem man man out-of-the box denkt, sich von festgefahrenen Prozessen löst und so schnell zu einheitlichen Ergebnissen kommt, heißt es aus dem Innenministerium in Stuttgart. Zwar soll das Gremium einen Vorsitzenden haben, aber ob es eine Beschlussfähigkeit

erhält, bleibt ungewiss. Das GTAZ ist eine Plattform, oder besser Informationsdrehscheibe, mehr nicht. Nach einer Zentralstelle, wie sie sich manch einer in den letzten zwei Jahren in der Corona-Pandemie oder während der Flutkatastrophe vorgestellt hat, klingt dies nicht. Zwar wurden die Bündelung von Informationen bei gebietsübergreifenden Lagen und die Erstellung eines ganzheitlichen Lagebilds gefordert, dennoch bleibt dies hinter den Erwartungen von Katastrophenschützerinnen und -schützern zurück. So fordert Albrecht Broemme, früherer Leiter der Berliner Feuerwehr und ehemaliger Präsident des Technischen Hilfswerks (THW), im Zuge seiner Untersuchung zu der Flutkatastrophe 2021, dass die Ressourcen des Katastrophenschutzes besser koordiniert und gebündelt werden müssten. (Das komplette Interview findet sich auf Seite 35 dieser Ausgabe.) Der Bund wird aber auch in Zukunft weiterhin nur unterstützend tätig. Die Zuständigkeiten nach Artikel 35 des Grundgesetzes sollen weiter bestehen bleiben. Lagen sollen weiterhin vor Ort operativ geführt werden. Dies habe sich bewährt und gelte weiterhin, lässt das BBK verlautbaren. “Eine Grundgesetzänderung für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Gemeinsamen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz ist derzeit nicht notwendig”, heißt es weiter. Eine zentrale Führung wird es also auch mit dem neuen Kompetenzzentrum nicht geben. Wie geht es weiter? Zunächst soll die Bund-Länder-Kommission eine unterzeichnungsreife Fassung der Verwaltungsvereinbarung erarbeiten. Diese soll auf der Frühjahrsitzung der IMK vorliegen.

25. Europäischer Polizeikongress

(BS/mfe) Die Bayerische Polizei wird künftig acht neue Hubschrauber der Vier-Tonnen-Klasse nutzen können. Die Vergabe hat ein Gesamtvolumen von rund 145 Millionen Euro. Die Auslieferung der Maschinen ist ab 2023 geplant. Die Hubschrauber sollen deutlich leistungsfähiger sein als die bisher genutzten acht Maschinen der Drei-Tonnen-Klasse. Denn diese Hubschrauber sind schon seit über elf Jahren bei der Bayerischen Polizei im Einsatz. Neben einer größeren Kabine verdoppelt sich die mögliche Zuladung und erhöht sich durch die neuen Hubschrauber die Reichweite. Außerdem können doppelt so viele Einsatzbeamte transportiert werden. Zusätzlich steigt die Reisegeschwindigkeit um 30 auf rund 240 Stundenkilometer. Außerdem kann die Polizei die Feuerwehr bei der Waldbrandbekämpfung noch besser unterstützen, da sich die Löschwassermenge in Spezialbehältern mit bis zu 1.200 Litern verdoppelt.

DBwV-Vorsitz gewählt (BS/df) Am 15. Dezember 2021 wurde Oberstleutnant André Wüstner mit 91 Prozent Ja-Stimmen von den über 300 Delegierten der 21. Hauptversammlung erneut zum Vorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV) gewählt. Bereits seit 2013 führt der 47-jährige Wüstner den Verband. Zum 1. Stellv. Bundesvorsitzenden wurde Stabsfeldwebel Thomas Schwappacher gewählt. Er übernimmt das Amt von Oberstabsfeldwebel a. D. Jürgen Görlich, der acht Jahre lang der 1. Stellvertretende Vorsitzende war. Ebenfalls neu ins Amt gewählt wurde Oberstleutnant i. G. Marcel Bohnert, der den Posten des 2. Stellvertretenden Bundesvorsitzenden von Hauptmann Andreas Steinmetz übernimmt. Steinmetz hatte diese Position ebenfalls acht Jahre lang inne. Somit ist von dem 2013 gewählten Dreier-Team nur noch Wüstner als Konstante in eine weitere Amtszeit gegangen.

2G+

Präsenzveranstaltung unter 2G+ Regel. Anpassungen erfolgen situationsbedingt.

Jubiläumskongress 11.—12. Mai 2022 Neuer Veranstaltungsort 2022:

Foto (links): © Sliver, stock.adobe.com

hub27 Berlin

www.europaeischer-polizeikongress.de

Eine Veranstaltung des


Innere Sicherheit

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Die Frist läuft

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er Vertragsentwurf sieht wie erwartet ein Gesamtvolumen von 165 Millionen Euro vor. Eine Deckelung beschränkt die Gesamtausgaben auf 247,5 Millionen Euro. Eine Mindestabnahme ist ausdrücklich nicht vorgesehen. Bei der Laufzeit hat man sich angesichts des Vorhabenumfangs auf fünf Jahre mit der Option auf zwei zweijährige Verlängerungen geeinigt, also auf eine Höchstlaufzeit von neun Jahren. Vorgesehener Termin für die Angebotsabgabe ist derzeit der 4. Februar. Jenseits des ehrgeizigen Zeitplans – wenn alles gut geht, soll der Zuschlag bereits im zweiten Quartal auf Basis der schriftlichen Angebote erteilt werden – bleibt das nicht die einzige Herausforderung für die Bieter. Gegenüber der ursprünglichen Planung des Programms P20 hat sich die aktuelle Ausschreibung von der Idee eines zentralen GU für das Großprojekt verabschiedet, wie aus der “Leistungsbeschreibung zur Rahmenvereinbarung zur Umsetzung der digitalen Transformation Polizei 20/20” hervorgeht. Gesucht wird jetzt ein “Transformator”, der in den nächsten Jahren im Zusammenspiel mit der P20Progammleitung “Konzeption, Planung, Aufbau, Migration und Transformation zu einer gemeinsamen, modernen und einheitlichen Informationsarchitektur für die Polizeien des Bundes und der Länder” realisiert.

Verschiedene Akteure ­müssen eingebunden werden Diese Aufgabe umfasst die Koordination und Integration des geplanten gemeinsamen P20Datenhauses mit allen derzeitigen und künftigen Teilprojekten. Dabei ist der Transformator verantwortlich für die langfristige Organisation von Projektmanagement und Governance, um die Akteure in Bund und Ländern einzubinden, darunter die polizeilichen Ansprechpartner, aber zum Beispiel auch externe Dienstleister wie Dataport, Bundesdruckerei und Datenzentren in den Ländern. Definiert wird in den Unterlagen dementsprechend kein Werk-, sondern der Rahmen für einen Dienstleistungsvertrag. Die Programmleitung im Bundesinnenministerium (BMI) und perspek-

Vergabeverfahren für P20 gestartet (BS/Dr. Barbara Held) Ziemlich unruhige Weihnachtsfeiertage dürfte die Publikation der Vergabeunterlagen zur “digitalen Transformation Polizei 20/20” einigen interessierten Unternehmenskonsortien beschert haben, die nun ihre Angebote vorbereiten. Pünktlich, sogar noch vor dem angekündigten Termin am Nikolaustag 2021, hatte das Programm P20, ehemals Polizei 20/20, seine in der Fachwelt lange erwartete Ausschreibung für den Generalunternehmer (GU) zum Aufbau des künftigen Informationsmanagements der deutschen Polizeien publiziert. tivisch auch die Teilprojekte in den Ländern werden entsprechend ihrer fortschreitenden Planungsstände Lieferungen zu verschiedenen Leistungskategorien abrufen. Die Neuausrichtung der Ausschreibung hatte sich schon angedeutet, als Anfang September 2021 die zentrale Programmleitung von P20 – inklusive 25 Stellen – aus dem Bundeskriminalamt (BKA) in das BMI verlegt wurde. Hauptgrund für die Neuorientierung waren laut Gesamtprogrammleiter Holger Gadorosi vergaberechtliche Erwägungen: der erforderliche Detaillierungsgrad für eine GU-Ausschreibung hätte zu einem mehrjährigen Vergabeverfahren geführt. Das sei angesichts des dringenden Modernisierungsbedarfs beim polizeilichen Informationsmanagement aber nicht realistisch gewesen. Daher liegen die strategische Umsetzungsplanung und die Gesamtkoordination jetzt im BMI, und die Länder sind entscheidend in die Realisierung der Teilprojekte eingebunden.

Datenschutzfragen noch zu klären Im Nachhinein sei das sogar die optimale Lösung, findet Gadorosi, unter anderem weil im Zuge der weiteren Realisierung von P20 noch grundsätzliche datenschutzrechtliche Fragestellungen zu Datenspeicherung und -abruf in dem geplanten deutschlandweit einheitlichen polizeilichen Verbundsystem auszudiskutieren seien. Diese strittigen Punkte seien eigentlich nur auf ministerieller Ebene zu lösen. Dies scheint allen schon deswegen plausibel, da sich die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag bezüglich des Datenschutzes im polizeilichen Informationswesen zunächst eindeutig positioniert: “Wir unterziehen die umfangreiche Anzahl von Datenbanken einer grundlegenden Revision und präzisieren die

Herbert Reul: Bislang gab es noch kein Treffen zwischen der neuen Bundesinnenministerin und mir. Ich habe ihr aber bereits meine Glückwünsche übermittelt. Das ist selbstverständlich und gehört sich so. Ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit, auch wenn das mit Blick auf den Koalitionsvertrag sicher nicht immer einfach sein wird. Hier werden wir von Fall zu Fall schauen müssen, wie eine Kooperation gelingen kann. Es ist wichtig, dass Bund und Länder in Fragen der Inneren Sicherheit nicht gegeneinander, sondern miteinander agieren. Behörden Spiegel: Sie sind angetreten, um die Clan-Kriminalität intensiver und in einem Netzwerk mit anderen Behörden gemeinsam zu bekämpfen. Konnte die ClanKriminalität in Nordrhein-Westfalen zurückgedrängt werden? Reul: Die Bekämpfung der Clan-Kriminalität ist eine Langzeitaufgabe und gelingt nicht im Sprint. Wichtig ist, dass wir damit begonnen haben. Zumal dieses Kriminalitätsphänomen in den vorherigen 30 Jahren

ge ist man nun offensichtlich auch im BKA nicht unfroh, die Verantwortung für Strategie und Umsetzung des komplexen BundLänder-Vorhabens Polizei 20/20 weitgehend auslagern zu können.

Einige inhaltliche Herausforderungen

Im Rahmen des Programms P20 wird ein digitaler Transformator gesucht. Foto: BS/geralt, pixabay.com

Verarbeitungsregelungen. Den Rechtsschutz sowie die Datenaufsicht durch den Bundesbeauftragten für Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) stärken wir deutlich.” Demgegenüber kommen die Koalitionsvereinbarungen zur organisatorisch-technischen Neuauflage des polizeilichen Informationsmanagements eher vage bis schmallippig daher: “Sichere und leistungsfähige Datenverarbeitung, kombiniert mit mobiler IT und klar geregelten Kompetenzen, sind Grundvoraussetzung moderner Polizeiarbeit. Wir entwickeln die Strategie Polizei 20/20 weiter.” Das lässt Interpretationsspielräume offen, die in der Regierungsarbeit noch ausgestaltet werden müssen.

Unstimmigkeiten wohl ausgeräumt Hoffungsvoll stimmt, dass publik gewordene Unstimmigkeiten zwischen der zentralen Programmleitung von P20 und BMI auf der einen Seite und BKAHausleitung sowie IT-Abteilung auf der anderen Seite inzwischen wohl weitgehend beigelegt wor-

den sind. Im Hintergrund stehen überaus ambitionierte Pläne des BKA für den Ausbau seiner ITAbteilung, um den Herausforderungen einer zunehmend IT-basierten Kriminalitätsbekämpfung gerecht zu werden. Die Vorschläge von IT-Direktor und BKA-CIO Peter Ehrmann zur grundlegenden organisatorischen Umgestaltung der BKA-IT werden sowohl vom eigenen Haus als auch vom BMI unterstützt. Vorgesehen sind unter anderem der Aufwuchs um weitere circa 400 IT-Stellen im BKA und die entsprechende Besetzung, zusätzlich zu den bereits existierenden rund 700 IT-Stellen im BKA. Angesichts der Arbeitsmarktlage und der Tatsache, dass derzeit schon über 200 Stellen in der IT-Abteilung unbesetzt sind, ist allein die Personalakquise ein ehrgeiziges Vorhaben. Ehrmann, der ursprünglich nur interimsweise als Ideengeber für die BKA-IT der Zukunft beauftragt wurde, hat inzwischen seinen Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert. Das wird aber kaum ausreichen, um die geplante Neustrukturierung zu vollenden. Angesichts dieser Gemengela-

Unabhängig von der veränderten Ausrichtung stellt die aktuelle Ausschreibung auf der eVergabePlattform des Beschaffungsamts (BeschA) die potenziellen Bieter vor einige inhaltliche Herausforderungen: Mit knapp 50 Seiten ist die Leistungsbeschreibung extrem knapp gehalten. Bei ITProjekten der vorliegenden Größenordnung ist man da eher an mehrere tausend Seiten technischer Spezifikationen gewöhnt, denen die Bieter auf ebenso vielen Seiten mit quantifizierbaren, bepreisten Leistungsbeschreibungen begegnen müssen. Die P20-Vergabeunterlagen enthalten demgegenüber praktisch keine technischen Spezifikationen – sieht man von geforderten Standards einmal ab. Vielmehr sollen die Bieter Konzepte für die Pakete des anvisierten Leistungsspektrums liefern. Das ist

keine triviale Aufgabe, da rund um das zu entwickelnde und interimsweise zu betreibende “Datenhausökosystem” etliche Planungsvariablen und einzelne Projektstände unbekannt sind. Aufseiten der Bieter sind daher nicht nur Fachexpertise, sondern vor allem der Nachweis konzeptioneller Kreativität, methodischer Kompetenz und Organisationsvermögen gefragt.

Aufbau des “Datenhauses” nicht mehr im Lieferkontext Relativ klar ist, dass der Aufbau und der interimsweise Betrieb des “Datenhauses”, das die zentrale Komponente für die Datenspeicherung und -verarbeitung des künftigen Verbundsystems bilden wird, nicht mehr in den Lieferkontext der Ausschreibung gehört. Das verkompliziert einerseits die Erwägungen für die Bieterkonzepte und führt andererseits zu allgemeinen Überlegungen, wohin dieser wichtige Auftrag denn gehen wird. Dem Vernehmen nach gibt es diesbezüglich weit fortgeschrittene Gespräche mit der Bundesdruckerei. Der Interimsbetrieb der Fachverfahren wie zum Beispiel der Interims-Vorgangsbearbeitungssysteme (iVBS) wird demgegenüber von Dataport übernommen werden. Inzwischen dürften bereits etliche Bieterfragen die Ausschreibenden von P20 erreicht haben. Falls die Anfragen zu umfangreich ausfallen, ist davon auszugehen, dass die Angebotsfrist etwas verlängert wird.

Verschiedene Konsortien (BS/rup) Nach Behörden Spiegel-Informationen gehen Marktteilnehmer davon aus, dass sich mehrere große Konsortien gebildet haben, die sich um die Ausschreibung bemühen. Dazu gehört eine von Materna/Infora organisierte Firmengruppe, der unter anderem SVA, Capgemini und weitere angehören. In Gesprächen befinden sich hier des Weiteren T-Sytems, Dell, Bechtle und Dataport. Accenture bemüht sich um ein eigenes Konsortium, unter anderem mit Trivadis und DXC. Ebenfalls sind hier weitere Unternehmen im Gespräch. Atos bildet mit Conet und Cassini ein drittes Konsortium. Wo sich SAP, Deloitte, IBM, Adesso, msg und andere noch zuordnen oder weitere Konsortien bilden, ist noch unklar. Aber alles steht unter enormen Zeitdruck wegen des Abgabetermins am 4.Februar, der sich jedoch wegen zahlreicher Nachfragen der Bewerber noch verzögern könnte. Zudem müssen die geforderten Zertifizierungen und vor allem die zertifizierten Personen benannt werden.

Es gilt das Recht des Staates

B

ehörden Spiegel: Wir haben mit Nancy Faeser eine neue Bundesinnenministerin. Freuen Sie sich auf die Zusammenarbeit mit ihr, Herr Minister? Wann werden Sie sie das erste Mal persönlich treffen?

Behörden Spiegel / Januar 2022

Behörden Spiegel: Und was tun Sie in Ihrem eigenen Bundesland?

Kampf gegen Clans braucht langfristigen Ansatz

Reul: Erfolge konnten wir in

(BS) Clan-Kriminalität sei nicht kurzfristig zu bekämpfen. Es brauche Ausdauer und Durchsetzungsvermögen, um hier erfolgreich zu sein. Das Nordrhein-Westfalen bereits mit betont Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellten Uwe Proll und Marco dem noch recht neuen InstruFeldmann. ment der strategischen Fahnin Nordrhein-Westfalen kaum angegangen wurde. Das hat zu verfestigten kriminellen Strukturen geführt, von denen sich die Menschen zunehmend bedroht fühlten. Wir haben jetzt immer wieder deutlich gemacht: Hier in Deutschland und NordrheinWestfalen gilt das Recht des Staates, nicht das Recht der Familie.

mehr Täter und befreien häufig auch betroffene Kinder aus diesen schrecklichen Situationen. Außerdem hinterlassen wir Eindruck in der Szene. Eines muss dabei ganz klar sein: Datenschutz darf kein Täterschutz sein und es braucht abschreckende Strafen.

Behörden Spiegel: Wie haben Sie das gezeigt? Reul: Das haben wir in tausenden behördenübergreifenden Razzien erfolgreich deutlich gemacht. Außerdem haben wir zahlreiche Clan-Chefs festgenommen, Strukturen zerschlagen und gehen den kriminellen Clans mittlerweile auch über das Vermögen an die Existenz. Über Präventionsprogramme versuchen wir, jungen Menschen eine Alternative zum kriminellen Leben aufzuzeigen und ihnen zu helfen. Das ist zwar manchmal mühsam, aber es lohnt sich. Behörden Spiegel: Ein zweites Thema, das Ihre bisherige Amtszeit als Innenminister in

“Es ist wichtig, dass Bund und Länder in Fragen der Inneren Sicherheit nicht gegeneinander, sondern miteinander agieren.” Herbert Reul (CDU) ist Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Er ist für eine klare politische Linie und pointierte Aussagen bekannt. Foto: BS/Giessen

Nordrhein-Westfalen geprägt hat, ist der Kampf gegen Kinderpornografie. Was sind hier die Erkenntnisse, Ermittlungserfolge und Lessons Learned? Reul: Wir setzen in diesem Kriminalitätsbereich inzwischen viermal so viel Personal wie früher ein. Außerdem nutzen wir

modernste Technik, um die Täter identifizieren und verhaften zu können. Anders ginge das auch gar nicht mehr. Denn wir müssen oftmals riesige Datenmengen auswerten. Hier sprechen wir von Petabyte an Schmutz und Dreck. Inzwischen sind wir hier sehr erfolgreich. Wir lassen da nicht locker, fassen immer

Behörden Spiegel: Die enorme Verbreitung synthetischer Drogen, die aus dem Ausland nach Deutschland geschmuggelt werden, kannten wir bislang vor allem aus Sachsen und Bayern. Nun erleben wir in NordrheinWestfalen Ähnliches mit “Ware” aus den Niederlanden. Was wollen Sie dagegen unternehmen? Reul: Diese Kriminalitätsform lässt sich nur gemeinsam und grenzüberschreitend bekämpfen. Hier arbeitet Nordrhein-Westfalen bereits mit den Niederlanden zusammen. Um insbesondere an die dicken Fische, die Hintermänner und Strukturen heranzukommen, braucht es das auch. Der Informationsaustausch zwischen den Ermittlungsbehörden funktioniert dabei schon gut.

dung erzielen. Diese Vorschrift im Polizeigesetz erlaubt es uns, Fahrzeuge nun auch verdachtsunabhängig zu kontrollieren. Also: Menschen anzuhalten, nach ihrem Ausweis zu fragen und zu bitten, ihre Tasche oder den Kofferraum ihres Autos zu öffnen. Dadurch haben wir schon einige große Funde gehabt. Die strategische Fahndung ist zwar auch keine Wunderwaffe, aber ein wichtiger Mosaikstein. Polizeiarbeit ist immer langfristige und mühsame Arbeit.

Behörden Spiegel: In Nordrhein-Westfalen wird in diesem Jahr gewählt. Der Wahlkampf beginnt. Wird die Innere Sicherheit erneut solch eine zentrale Rolle spielen? Reul: Das können wir jetzt noch gar nicht sagen. Denn Wahlkämpfe werden oftmals von Themen bestimmt, die gar nicht geplant waren und unvorbereitet auftauchen. Ich weiß nicht, welches Thema zur Landtagswahl im Mai bestimmend sein wird. Für mich ist aber ganz klar: Die Innere Sicherheit ist eines der wichtigsten politischen Themen überhaupt.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Januar 2022

Behörden Spiegel: Welche Themen sind Ihnen für Ihre Amtszeit besonders wichtig? Dirk Peglow: Dem Geschäftsführenden Bundesvorstand sowie dem Bundesvorstand des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) geht es jetzt vor allem darum, die Beschlüsse des jüngsten Bundesdelegiertentages umzusetzen. Das sind unsere Hausaufgaben, die von den Delegierten durch entsprechende Beschlüsse formuliert wurden. Unsere Arbeit ist daran ausgerichtet, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Kriminalitätsbekämpfung zu verbessern und hieraus kriminalpolitische Forderungen zu formulieren. Demzufolge legen wir auch großen Wert darauf, im engen Austausch mit unseren Mitgliedern zu stehen, um Problemlagen frühzeitig zu erkennen. Der Bundesdelegiertentag ist mit gutem Grund das oberste Beschlussorgan des Verbandes, deswegen bestimmen unsere Delegierten auch die Agenda des BDK. Behörden Spiegel: Und was steht da drauf? Peglow: Intern ging es bereits in der letzten Amtsperiode und geht es auch jetzt darum, den BDK hinsichtlich seiner Satzung und Ordnungen anzupassen, ihn aber auch insgesamt moderner aufzustellen. Dazu gehören unter anderem der jüngst vollzogene Umzug in eine neue Bundesgeschäftsstelle in Berlin, der mit viel Arbeit verbunden war, die Implementierung einer neuen Website sowie die Umsetzung der umfangreichen Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung. Nun können wir uns in der aktuellen Amtsperiode, die nicht mehr vier, sondern fünf Jahre dauert, hoffentlich wieder mehr kriminalpolitischen Themen widmen. Behörden Spiegel: Ich würde gerne noch beim Internen bleiben. Was ist hier vorgesehen? Peglow: Die Mitglieder des Geschäftsführenden Bundesvorstandes und ich wollen wieder mehr an der Arbeit unserer Landesverbände teilhaben und dort Themen abholen, die möglicherweise auch in anderen Bundesländern oder auf der Bundesebene relevant sind. Wir wollen einfach besser wissen, was die Mitglieder vor Ort bewegt und den Austausch mit den Landesverbänden und anderen Verbänden verbessern. Behörden Spiegel: Wieso wurde nach den Beschlüssen des letzten Bundesdelegiertentages der Bundesvorstand umgebaut? Peglow: Wir arbeiten im BDK fast ausschließlich mit ehrenamtlich Tätigen. Um hier die Arbeit noch besser verteilen zu können, wurde der Geschäftsführende Bundesvorstand nach einem Beschluss des jüngsten Bundesdelegiertentages um eine Funktion erweitert. Es gibt nun nicht mehr vier stellvertretende Bundesvorsitzende, sondern fünf. Da diese aber zumeist regulären Dienst bei der Kriminalpolizei versehen, arbeiten sie für den BDK dann vor allem in ihrer Freizeit und am Wochenende. Behörden Spiegel: Braucht es hier Veränderungen? Peglow: Ich wünsche mir eine stärkere gesetzliche Implementierung von gewerkschaftlichen Freistellungen. Nur in Hessen sind die Tage für gewerkschaftliche Freistellungen bislang nicht gedeckelt. Nur dort können unsere Kolleginnen und Kollegen für jede BDK-Veranstaltung einen Antrag auf Dienstbefreiung stellen. In allen übrigen Bundesländern und im Bund geht das nicht so einfach.

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BDK soll moderner aufgestellt werden Gewerkschaft reformiert sich intern erheblich und erhebt Forderungen (BS) Zuletzt gab es einigen Wirbel um den Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Der neue Bundesvorsitzende Dirk Peglow hat es geschafft, die Gewerkschaft in ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Wie ihm das gelungen ist und was noch zu tun ist, erläutert er im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. Das Interview führte Marco Feldmann. Behörden Spiegel: Wie sehen die Regelungen dort aus? Peglow: Hier ist die Zahl der entsprechenden Freistellungstage begrenzt, meist auf zehn jährlich. Dabei muss man wissen, dass für zwei Bundesvorstandssitzungen des BDK pro Jahr davon dann fünf bis sechs bereits genutzt werden müssen. Hinzu kommen dann noch die Verpflichtungen im Landesverband. Deshalb braucht es mehr Freiräume in den entsprechenden gesetzlichen Regelungen für ehrenamtliches gewerkschaftliches Engagement. Hier wünsche ich mir eine Art Gewerkschaftsgesetz. Außerdem dürfen personalrätliche und gewerkschaftliche Freistellungen nicht miteinander verwechselt werden. Zumal die Tätigkeiten sich schon voneinander unterscheiden. Behörden Spiegel: Welche Satzungsänderungen gab es nach dem letzten Bundesdelegiertentag in Suhl noch? Peglow: Wir unterscheiden in unserer Gremienstruktur künftig zwischen Fachbereichen einerseits und Fachkommissionen andererseits. Die Fachbereiche haben die Aufgabe, spezielle Mitgliederinteressen zu vertreten und an den Bundesvorstand zu berichten, während die Fachkommissionen thematisch ausgerichtet sind. In beiden Gremien werden die Sprecherinnen und Sprecher durch die jeweiligen Mitglieder gewählt. Mit Verabschiedung unserer Satzung durch den Bundesdelegiertentag haben wir die Fachbereiche Junge Kripo, Tarif, Chancengleichheit, Frauen und Familie sowie Ruhestand eingerichtet. Behörden Spiegel: Und welche Fachkommissionen gibt es? Peglow: Zusätzlich können für die inhaltliche Arbeit in Zukunft die Fachkommissionen Recht, IT, Prävention und Opferschutz und Marketing, durch den Bundesvorstand flexibel eingesetzt werden. Die Sprecherinnen und Sprecher der Fachbereiche nehmen mit Stimmrecht an den Sitzungen des Bundesvorstands teil, die Sprecherinnen und Sprecher der Fachkommission mit beratender Stimme. Behörden Spiegel: Fällt denn auch etwas weg? Peglow: Aufgrund der eben beschriebenen Veränderungen in unserer Gremienstruktur war zum Beispiel die Wahl von Sprecherinnen und Sprechern nicht mehr erforderlich. Außerdem entfällt die Funktion des Bundesschriftleiters. Behörden Spiegel: Und wie geht es mit dem Rechtskonstrukt der Landesverbände und Verbände des BDK weiter? Peglow: Auch diesbezüglich haben wir auf dem jüngsten Bundesdelegiertentag eine angepasste Satzung verabschiedet. Vorausgegangen war ein langer Entwicklungsprozess, für den wir eine Arbeitsgruppe eingesetzt haben, die die Aufgabe hatte, Vorschläge sowohl zur Vereinsstruktur zu machen wie auch Satzungsentwürfe zu erarbeiten. In dem Entwicklungsprozess haben wir natürlich auch Vereinsrechtsexperten beratend hinzugezogen. Nun wurde beschlossen, dass alle Landesverbände und

Dirk Peglow ist der neue Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Er folgte auf Sebastian Fiedler, der in den Deutschen Bundestag gewählt wurde. Zugleich ist Peglow BDK-Vorsitzender in Hessen. Vor seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden war er bereits einer der Stellvertreter Fiedlers. Foto: BS/Bund Deutscher Kriminalbeamter

Verbände des BDK, also auch unsere Verbände Bundespolizei und Bundeskriminalamt, jeweils eingetragene Vereine werden sollen. Dadurch werden sie in Ihrem Handeln selbstständiger und können eigene Rechtsgeschäfte eingehen. Bislang hatten wir mit Hessen und Nordrhein-Westfalen schon zwei Landesverbände, die bereits eingetragene Vereine waren. Behörden Spiegel: Schaffen das denn alle Landesverbände und Verbände? Peglow: Davon gehe ich aus, der Prozess zur Eintragung selbstständiger Vereine soll bis Ende des Jahres 2023 abgeschlossen sein. Es ist also noch ausreichend Zeit für die Umsetzung. Wir haben weiterhin einen Mustersatzungsentwurf abgestimmt, der an die Bundessatzung angelehnt ist. Diesen Entwurf stellen wir nun allen Landesverbänden und Verbänden zur Verfügung. Sie können ihn dann an ihre individuellen Bedürfnisse und Gliederungen vor Ort anpassen. Darüber hinaus haben wir seitens des geschäftsführenden Bundesvorstands zugesichert, bei Fragestellungen, die sich rund um die Eintragung der Vereine ergeben, Unterstützung zu leisten. Nicht zuletzt haben wir ja auch zwei Landesverbände, die bereits eingetragene Vereine

sind und ebenfalls unterstützen können. Behörden Spiegel: Wie geht es mit der Kripo Akademie weiter? Peglow: Ich bin zunächst froh, dass es überhaupt weitergeht. Sie können sich sicher vorstellen, dass wir aufgrund der CoronaPandemie, wie so viele andere Unternehmen, eine schwierige Zeit hatten. Ich bin somit als ehrenamtlicher Geschäftsführer der Kripo Akademie sehr glücklich darüber, dass wir zum 1. April letzten Jahres einen Kooperationsvertrag mit der ASW Akademie für Sicherheit in der Wirtschaft AG in Essen schließen konnten. In dieser Kooperation haben wir im Jahre 2021 trotz der widrigen Umstände durch die Corona-Pandemie bereits erfolgreich Fortbildungsseminare und Symposien durchgeführt. Ich bin demzufolge sehr zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit unserem Partner, der ASW Akademie ,auch zukünftig Fortbildungsangebote unterbreiten können, die ja überall dringend benötigt werden. Behörden Spiegel: Welche kriminalpolizeilichen und -politischen Forderungen stellen Sie an die neue Bundesregierung? Peglow: Wir haben, wie Sie sich sicher vorstellen können, eine

ganze Reihe von Forderungen. Für besonders wichtig halte ich die Feststellung, dass bis zum heutigen Tage nur in wenigen Bundesländern erkannt wurde, dass die kriminalpolizeiliche Ausbildung vom ersten Tag spezialisiert erfolgen muss. Stattdessen bilden wir überwiegend immer noch Einheitspolizistinnen und -polizisten aus, deren kriminalpolizeiliche Spezialisierung erst nach dem Studium im praktischen Dienst stattfindet. Diese Vorgehensweise würde sich kein Unternehmen leisten. Bei der Polizei definieren wir noch nicht mal, was Kriminalbeamtinnen und -beamte für Qualifikationen haben müssen. Unsere Forderung ist daher nicht neu. Wir benötigen dringend eine in allen Bundesländern praktizierte, spezialisierte Ausbildung für die Kriminalpolizei. Behörden Spiegel: Sind Sie diesbezüglich von der neuen Bundesregierung enttäuscht? Peglow: Ich hätte mir hier auch ein etwas deutlicheres Bekenntnis der neuen Bundesregierung im geschlossenen Koalitionsvertrag gewünscht. Stattdessen ist lediglich von “Fachkarrieren und einer diversitätsorientierten Stellenbesetzungsoffensive” die Rede. Ich hätte mir ein Bekenntnis der Bundesregierung zu der Tatsache gewünscht, dass kriminalpolizeiliche Arbeit besonders und möglichst früh im Studium geschult werden muss. Behörden Spiegel: Sind einzelne Bundesländer hier schon weiter als der Bund? Peglow: In Hessen gibt es bereits seit 2006 eine Fachrichtung Kriminalpolizei, die bereits am Anfang des Studiums gewählt werden kann. Eine Einheitsausbildung der Polizei ist aus Sicht des BDK schon lange nicht mehr zeitgemäß. Hier braucht es von Anfang an mehr Spezialisierung, da die polizeiliche Arbeit zunehmend komplexer wird und sich fortlaufend an sich verändernde oder neu entstehende Kriminalitätsphänomene anpassen muss.

Behörden Spiegel: Was wünschen Sie sich noch? Peglow: Die Digitalisierung der Polizei muss weiter voranschreiten. Wir brauchen dringend Tools, die uns unsere Arbeit erleichtern und zum Beispiel Daten automatisiert auswerten können. Die im Rahmen von Durchsuchungen sichergestellten Datenmengen sind händisch nicht mehr zeitnah auszuwerten. Außerdem wünschen wir uns eine Neuauflage des Paktes für den Rechtsstaat als Reaktion darauf, dass in den letzten Jahren neue Kriminalitätsphänomene hinzugekommen sind, die wir mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht in der gebotenen Form bearbeiten können. Behörden Spiegel: Gibt es weitere Punkte Ihrerseits? Peglow: Wir benötigen dringend Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der kriminalpolizeilichen Arbeit. Der Wechsel von der Schutz- zur Kriminalpolizei ist für die betreffenden Kolleginnen und Kollegen immer mit Einkommensverlusten verbunden, die deshalb entstehen, weil die im Streifendienst gezahlten Zulagen wegfallen. Hinzu kommt, dass die Arbeit bei der Kripo in weiten Teilen mit nicht planbaren Dienstzeiten verbunden ist, aus denen wiederum erhebliche Überstundenberge entstehen. All das sind Faktoren, die dazu führen können, dass der dringend benötigte Nachwuchs ausbleibt. Behörden Spiegel: Was schlagen Sie vor? Peglow: Hier muss mit besseren Beförderungsmöglichkeiten, modernen Arbeitsbedingungen und hie und da auch mit Zulagen geantwortet werden, um die Kriminalpolizei zukunftsfähig zu machen. Beispiele sind die Wiedereinführung der Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage oder eine bundesweit einzuführende Zulage für Kolleginnen und Kollegen, die im Bereich der Auswertung und Bearbeitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen oder im Bereich der Bearbeitung und Auswertung von kinderpornografischem Material tätig sind. In diesem Bereich braucht es zusätzlich auch eine Konzeption unter anderem für die Bereiche Supervision, psychologische Unterstützung und eine erweiterte Urlaubsregelung.


Innere Sicherheit / Katastrophenschutz

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Behörden Spiegel / Januar 2022

Am Ende geht es um Vertrauen

Novelle mit guten Ansätzen

Corona zwischen Wissenschaft und Politik

GdP Schleswig-Holstein hätte sich noch mehr vorstellen können

(BS/Thomas Meyer) Das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen beschreibt im Paragrafen eins den Zweck und beinhaltet konkludent die Pflicht des Staates, Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Das Beamtenstatusgesetz kennt die Pflicht des Dienstherrn, im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl der Beamtinnen und Beamten und ihrer Familien zu sorgen.

(BS/Sven Neumann) Als nach der Landtagswahl 2017 feststand, dass in Schleswig-Holstein erstmalig eine Regierung unter Beteiligung von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gebildet werden sollte, bedeutete dies auch für die Landespolizei spannende Herausforderungen. Unter anderem hatte man sich auch die Novellierung des Gefahrenabwehrrechts in den Koalitionsvertrag geschrieben. Am Ende sollte es tatsächlich bis zum Februar 2021 dauern, bis endlich ein reformiertes Gefahrenabwehrgesetz in Kraft treten konnte.

Und die Unfallfürsorgevorschriften des Bundes und der Länder sprechen allgemein davon, dass einer Beamtin oder einem Beamten, die durch einen Dienstunfall verletzt werden, Unfallfürsorge gewährt wird. “Es könnte doch alles so einfach sein”, sagt sich ein Familienvater, Landesbeamter im Polizeidienst, als er über die möglichen persönlichen und dienstrechtlichen Folgen dieser pandemischen Katastrophe nachdenkt. Weit gefehlt! Seit fast zwei Jahren ist die Polizei im weitesten Sinn per abgeleisteten Diensteid der verlängerte Arm der Gesundheitsbehörden, um eben jene Pandemiefolgen für die öffentliche Sicherheit zu mildern, abzufedern, ja, zu bekämpfen. Dabei begeben sich viele Polizistinnen und Polizisten täglich in einen Konflikt mit Querdenkern oder Corona-”Spaziergängern”, aber auch in körpernahe Begegnungen mit dem Kunden “Bürger” bei Verhaftungen, Unfallaufnahmen oder Einsätzen bei Gewalttaten in engen sozialen Beziehungen. Die Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen. Wie sind Beamtinnen und Beamte aber abgesichert, wenn tatsächlich eine Covid-19-Infektion auftritt oder wenn sie sich pflichtbewusst durch einen Polizeiarzt impfen lassen und sich nachfolgend eine gesundheitliche Veränderung einstellt, die man einen Impfschaden nennen könnte? Es ließe sich an dieser Stelle eine lange Liste von Bundes- oder Landesgesetzen und ihren Verwaltungsvorschriften anführen. Geregelt ist alles, leider sehr föderal, wenn nicht sogar übertrieben föderal. Der DBB Beamtenbund und Tarif-

Thomas Meyer ist Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Rheinland-Pfalz. Foto: BS/DPolG Rheinland-Pfalz

union (DBB) forderte jüngst, künftig bundesweit nach möglichst einheitlichen Unfallfürsorgekriterien seiner Fürsorgepflicht nachzukommen.

Keine einfache Praxis bei der Dienstunfallfürsorge Es ist für die Polizeibeamtinnen und -beamten oft schwer nachzuvollziehen, dass der Umstand, sich als Polizist einem höheren Risiko auszusetzen, letztlich zum Nachteil gelangt, nur weil man seiner Arbeit nachgeht. Die Dienstunfallfürsorge ist grundsätzlich geregelt. Zur Wahrheit gehört, dass die Praxis dieser Regelungen alles andere als einfach ist und jeder Einzelfall für sich betrachtet werden muss. Angesichts der pandemischen Notlage ist es eine besondere Pflicht jedes Dienstherrn, situativ, schnell und angemessen zu handeln. Die Komplexität des Beamtenrechts als Hinderungsgrund lösungsorientierter Regelungen zu Felde zu führen, erscheint eher unangemessen. Hier war der Arbeitsschutz eindeutig schneller unterwegs. Langwierige, im Einzelfall erfolgreiche Klageverfahren, wie in Bayern vor dem Verwaltungsgericht in Augsburg, dürfen nicht zur Regel werden. In den bisher

öffentlich gewordenen Fällen ist jedoch nur die Rede von Dienstunfällen in Folge einer erlittenen Covid-19 Erkrankung.

Dienstherren sind gefordert

Was ist jedoch mit möglichen Impfschäden? Nicht alle Bundesländer lassen ihre Polizeibeamten innerhalb ihrer eigenen polizeilichen Impfstrategie impfen. In einer im Mai vergangenen Jahres veröffentlichten Untersuchung von Chargen des Impfstoffs von AstraZeneca ist von sogenannten extrazellulären Hitzeschockproteinen die Rede. Laut der Wissenschaftler sind diese bekannt dafür, angeborene und erworbene Immunantworten zu modulieren und bestehende Entzündungsreaktionen zu verstärken. Autoimmunreaktionen des Körpers, die sich zum Beispiel durch eine plötzlich auftretende rheumatische Arthritis darstellen könnten, sind nicht auszuschließen. Zur Pandemie kursiert viel Wissen, aber auch viel Desinformation. Um das eine vom anderen unterscheiden zu können, hilft es, zu verstehen, wie Wissenschaft funktioniert. Man kann nur hoffen, dass die Dienstherren von Bund und Ländern verstehen wollen. Sonst wird der langwierige Gang vor die Verwaltungsgerichte der vorgezeichnete Weg für die Betroffenen sein. Die Verlierer wären dann wieder einmal unter den Bediensteten des Staates zu finden. Am Ende wäre das Vertrauen in den Dienstherrn erneut geschädigt.

“Zukunftspreis Polizeiarbeit” Bewerbungen sind weiterhin willkommen

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat das Reformpaket mit der Überschrift “Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten” kommentiert. In Schleswig-Holstein gibt es nun endlich Regelungen zum finalen Rettungsschuss. Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Schleswig-Holstein waren die letzten Bundesländer, die noch keine Regelung für diese Maßnahme getroffen hatten. Auch wurde das Schießen auf Kinder normiert. Es gibt mit Sicherheit niemanden in der Landespolizei, der sich die konkrete Durchführung der beschriebenen Maßnahmen herbeisehnt. Wenn die Normierungen in den nächsten Jahrzehnten nicht zur Anwendung kommen muss, ist dies die beste Gefahrenabwehr. Leider zeigt die Erfahrung aus vergangenen Einsätzen, dass es Einsatzsituationen geben kann, in denen auch diese Ultima-Ratio-Maßnahme in Betracht gezogen werden muss.

DEIG schließt Lücke Neu sind Regelungen zum Distanzelektroimpulsgerät (DEIG). Lange Zeit wurde auch innerhalb der GdP kontrovers diskutiert, ob dieses Einsatzmittel in Schleswig-Holstein zur Anwendung kommen soll. Nach vielen intensiven Diskussionen stand fest, dass die Anwendungslücke zwischen Pfefferspray und Schusswaffe geschlossen werden soll. Interessant an dieser Regelung ist, dass sie mit einer Evaluationsklausel versehen ist. Nach Ablauf einer Testphase wird geprüft, ob die Regelung zum DEIG dauerhaft in das Landesverwaltungsgesetz aufgenommen werden soll. Wichtig ist bei solchen Verfallsklauseln, dass zeitnah auch die finanziellen Mittel zur Erprobung bereitgestellt werden. Ferner kann nun die Bodycam

in Schleswig-Holstein zum Einsatz kommen. Leider schließt die Jamaika-Koalition den Einsatz in Wohnungen aus. Hier wäre die Einführung einer “dringenden Gefahr” und somit einer hohen Einsatzhürde denkbar gewesen. In der Normierung zu den Personenkontrollen führt die JamaikaKoalition aus, dass diese nicht rassistisch motiviert sein dürfen. Diese Formulierung ist für unsere Kolleginnen und Kollegen unschädlich, aber völlig überflüssig. Natürlich ist der Gedanke des Artikels drei Absatz drei Grundgesetz handlungsleitend. Darauf müssen unsere Kolleginnen und Kollegen nicht noch explizit hingewiesen werden. Neu formuliert wurde der Passus zur Fesselung von Personen. Hier leistet sich das JamaikaBündnis einen groben Schnitzer. Erst am Ende der Gesetzgebung wurde die Formulierung “Eine Fixierung ist nach dieser Vorschrift nicht zulässig” eingebaut. Grundsätzlich sollte die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes aufgegriffen werden. Eine Freiheitsentziehung könnte allerdings auch bereits vorliegen, wenn eine Person 30 Minuten oder länger gefesselt ist. Der Gesetzgeber muss also dringend nachbessern und die Anforderungen des Grundgesetzes berücksichtigen, anderenfalls werden die Schleswig-Holsteinischen Beamten vor erhebliche Probleme gestellt.

Kein automatisierter Abgleich Gänzlich unberücksichtigt blieben Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung und zum

automatisierten Kennzeichenabgleich. Gerade bei Letzterem gibt es ausreichend Urteile, um eine solche Norm gerichtsfest zu formulieren. Auch hätte sich die GdP die Sach- und Personendurchsuchung bei der sogenannten Schleierfahndung gewünscht. Ohne diese wird die Norm schnell zu einem zahnlosen Tiger. Im Dezember 2021 gab es tatsächlich auch schon den nächsten Reformbedarf: Die Daten-

Sven Neumann ist stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Schleswig-Holstein. Foto: BS/Feldmann

übermittlungen bei Gewalt im häuslichen Nahbereich sollen erweitert werden. Auch nichtstaatliche Institutionen sollen durch die Polizei eingebunden werden. Hier wäre eine allgemeine Normierung wünschenswert. Zum Beispiel wäre diese Zusammenarbeit mit Sicherheit auch bei der Kinder- und Jugendkriminalität förderlich.

Rechtssicherheit fehlt An dieser kurzfristigen Initiative zeigt die Jamaika-Koalition, dass sie zeitnah handeln kann. Schade, dass in diesem Zusammenhang nicht auch rechtssichere Formulierungen zur Fesselung gewählt werden. Insgesamt gibt es gute Ansätze, die in der Novelle des Landesverwaltungsgesetzes umgesetzt wurden. Allerdings gibt es in der Zukunft auch einige Themenfelder, die durch (neue) Landesregierungen bearbeitet werden sollten.

Teilweise sehr große Zeitabstände

(BS/mfe) Mit dem “Zukunftspreis Polizeiarbeit” des Behörden Spiegel werden Arbeiten von Absolventen des Fachhochschulbereichs Polizei sowie von Universitäten mit Preisgeldern in Höhe von 5.000 Euro prämiert. Verfahren bei digitalen Objektfunkanlagen sollte beschleunigt werden Das gilt sowohl für den Bachelor- als auch für den Masterbereich. Bewertet werden die Arbeiten, die sich durch innovative und neue Ansätze auszeichnen durch die Mitglieder einer hochkarätig besetzten Jury. (BS/mfe) Digitale Objektfunkanlagen können Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) im Einsatz sehr helfen. Denn sie gewährleisten eine möglichst störungsfreie Kommunikation innerhalb von Auf dem vergangenen Europäging der erste Platz (Preisgeld Gebäuden. Ihre Genehmigung ist oftmals jedoch langwierig. Das sollte sich bessern.

ischen Polizeikongress wurden im Bereich der Bachelorarbeiten Martin Bölter von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege Mecklenburg-Vorpommern, Lena Griesbach von der Polizeiakademie Niedersachsen sowie Paula Stadthaus von der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin geehrt. Griesbach erhielt für ihre Ausarbeitung “Der Begriff des Erfolgs in der Cold-Case-Bearbeitung – eine multiperspektivische Betrachtung von Erfolgsfaktoren der polizeilichen Bearbeitung ungeklärter Tötungsdelikte” 1.500 Euro Preisgeld. 700 Euro gingen an Bölter. 300 Euro erhielt Stadthaus. Bei den Masterarbeiten

1.500 Euro) an Christoph Büchele von der Deutschen Hochschule der Polizei. Seine Ausarbeitung setzt sich mit den Möglichkeiten von erkennungsdienstlichen Behandlungen 2.0 auseinander. 700 Euro erhielt Jessica Bouška, ebenfalls von der Deutschen Hochschule der Polizei. 300 Euro Preisgeld gingen schließlich an Eva-Christina Buchheit für ihre Abhandlung zu Fehlerkultur in der rheinland-pfälzischen Landespolizei.

Auch in diesem Jahr wird wieder der “Zukunftspreis Polizeiarbeit” des Behörden Spiegel verliehen. Er ist mit insgesamt 5.000 Euro dotiert. Damit werden innovative Abschlussarbeiten aus dem Bachelor- und dem Masterbereich prämiert. Foto: BS/Giessen

Einreichungen für die diesjährige Preisverleihung sind noch bis zum 31. Januar möglich. Die Bewerbungsunterlagen finden sich unter www.europaeischerpolizeikongress.de/preis.

MELDUNG

Weniger Korruptionsdelikte in Brandenburg (BS/mfe) In Brandenburg ist die Zahl der Korruptionsstraftaten 2020 deutlich zurückgegangen. Die Abnahme beträgt mehr als ein Viertel im Vergleich zu 2019. Das geht aus dem Lagebild Korruptionskriminalität der märkischen Polizei hervor. Auch die Zahl der Tatverdächtigen hat 2020 klar abgenommen. Laut Lagebild sind im vergangenen Jahr 75 Korruptionsverfahren

neu bei der Brandenburger Polizei zur Bearbeitung eingegangen. 2019 waren es noch 107. Dabei wurden 341 Korruptionsstraftaten gezählt. 2019 standen dem 475 Delikte gegenüber. Die Ermittlungen richteten sich gegen 257 Tatverdächtige (2019: 349). Hauptzielbereich der korruptiven Handlungen ist nach wie vor die öffentliche Verwaltung. Innenminister Michael Stübgen

(CDU) erklärte: “Korruption schädigt das Gemeinwohl. Nicht nur der wirtschaftliche Schaden ist groß, sondern die Menschen verlieren den Glauben daran, dass es gerecht zugeht in ihrer Welt.” Zudem behindere Korruption die Innovationskraft der Wirtschaft. “Deshalb ist jeder von uns aufgerufen, sich aktiv gegen Korruption zu stellen, wenn sie ihm begegnet.”

Digitale Objektfunkanlagen müssen vom Eigentümer bei Neubauten, Umbauten oder Nutzungsänderungen eingebaut werden. Dies macht der Bedarfsträger, in der Regel die Feuerwehr, entsprechend der jeweiligen Bauordnung beziehungsweise Nutzungsart des Objektes, zur Vorgabe. Voraussetzung ist jedoch, dass zunächst eine Erforderlichkeitsmessung durchgeführt wird. Nur wenn diese tatsächlich einen Bedarf für eine derartige Anlage aufzeigt, darf sie eingebaut werden. Problematisch ist aus Sicht mehrerer Berufsfeuerwehren jedoch das lange Antragsverfahren. Denn auch wenn der jeweilige Bedarfsträger vor Ort die Anlage rasch abnimmt, muss auch die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) in Berlin das Vorhaben nochmals prüfen und ihre Zustimmung erteilen. Bevor diese nicht vorliegt, darf die Objektfunkanlage eigentlich nicht betrieben werden. In manchen Bundesländern wird der Betrieb nach einem finalen Funktionalitätstest durch die Autorisierten Stellen dennoch vorübergehend gestattet, um dem Bauherrn lange Wartezeiten zu ersparen. Die Rede ist hier – je nachdem in

Digitale Objektfunkanlagen sind für Feuerwehren im Einsatzfall von entscheidender Bedeutung. Foto: BS/benjaminnolte, fotolia.com

welchem Bundesland man sich umhört – von Bearbeitungszeiten zwischen drei und zwölf Monaten durch die BDBOS. In jüngster Vergangenheit soll sich hier zwar schon einiges verbessert haben, ist zu vernehmen. Dennoch fordern unter anderem Jochim Jahn von der Berufsfeuerwehr Kiel und Andreas Sirtl von der Branddirektion München eine Beschleunigung des Verfahrens.

Zudem sollte es stärker digitalisiert werden. Die Zeitabstände von der Einreichung der Unterlagen bis zur Rückantwort durch die BDBOS seien eindeutig noch zu groß, meinen sie. Dies erschwere den Baufortschritt und führe dazu, dass Vorgaben unter Umständen gar nicht mehr oder nur noch sehr schwer umzusetzen seien, weil der Bau bereits weiter fortgeschritten sei. Denn eine Erforderlichkeitsmessung im Inneren eines Gebäudes könne erst stattfinden, wenn dessen Hülle geschlossen sei. Entscheidungen durch die Bundesanstalt müssten von dort schneller zurückgespiegelt werden, damit sie technisch noch realisierbar seien. Die BDBOS befinde sich hier in einem Dilemma, meint Sirtl. Zum einen wüssten die Verantwortlichen um die Zeitkritikalität. Zum anderen führe aber kein Weg an einer genauen Prüfung vorbei. “Es geht uns nicht darum, der BDBOS den Schwarzen Peter zuzuschieben”, erklärt er. “Unser Kerninteresse ist ein störungsfreier Betrieb”, unterstreicht Sirtl. An einem solchen dürfte auch der BDBOS gelegen sein. Dort sieht man jedoch kein strukturelles Problem. Auch sind dort derart lange Bearbeitungszeiten offiziell nicht bekannt.


Katastrophenschutz

Behörden Spiegel / Januar 2022

Behörden Spiegel: Welche Aufgabe der Aufarbeitung der Flutkatastrophe nehmen Sie für welche Bundesländer wahr? Albrecht Broemme: Ich habe einen Auftrag von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen bekommen, eine Auswertung zur Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 zu machen. Einen ähnlichen Auftrag habe ich über die Staatskanzlei vom Innenministerium Rheinland-Pfalz bekommen, wo es auch um die Aufarbeitung der Katastrophe geht. Von beiden Landesregierungen habe ich nicht den Auftrag – und den hätte ich auch nicht angenommen  –, nach Schuldigen oder nach Fehlern zu suchen. Ich verfolge einen positiven Ansatz, um nach diesen schrecklichen Ereignissen festzustellen, was man jetzt lernen kann. Ich habe auch nach Beispielen aus Deutschland und aus dem benachbarten Ausland für ähnliche, frühere Ereignisse gesucht. In diesen Zeiten von Corona war dies ein bisschen schwierig, weil viele Präsenztermine nicht stattfinden konnten. Der Bericht für Nordrhein-Westfalen wird termingerecht in Kürze veröffentlicht. Für Rheinland-Pfalz erscheint der Bericht kurz darauf. Dann muss man über die Berichte diskutieren. Dafür stehe ich dann auch noch zur Verfügung. Behörden Spiegel: Was haben Sie konkret bei der Aufarbeitung gemacht? Broemme: Ich habe erst mal Interviews geführt und Daten gesammelt. Dabei habe ich mit Anwohnern telefoniert, die ich kenne, und wurde auch angerufen von Leuten, die mitbekommen haben, dass ich so eine Auswertung mache. Ich war auch vor Ort und habe beim Ministerpräsidenten angefangen sowie mit der Staatskanzlei, mit Organisati-

Das Problem der “Hochwasser-Demenz” Lehren aus der Hochwasserkatastrophe (BS) Die Durchhaltefähigkeit von Stäben und Katastrophenschutzeinheiten müsse verbessert werden, sagt Albrecht Broemme nach seiner Untersuchung der Hochwasserkatastrophe 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. An welchen weiteren Stellschrauben gedreht werden muss, erklärt er im Interview. Die Fragen stellte Bennet Klawon. onen, mit dem Landkreistag, mit Bürgermeistern und mit Landräten gesprochen. Das waren sehr interessante und zum Teil auch sehr bewegende Gespräche. Und ich bin sehr zufrieden, dass man sich mir gegenüber sehr offen gezeigt hat, denn laufende Untersuchungen der Staatsanwaltschaft, Untersuchungsausschüsse und Ähnliches sind natürlich nicht gerade förderlich, um über Probleme und Erkenntnisse zu sprechen. Behörden Spiegel: Zu welchen Zwischenergebnissen sind Sie bei Ihrer Untersuchung gekommen? Broemme: Die werde ich erst dann kundtun, wenn ich den Bericht an die jeweiligen Landesregierungen abgeliefert habe. Da halte ich mich vorerst sehr bedeckt. Ich kann aber sagen, dass ich mich auf mehrere Schwerpunkte konzentriere. Ein Thema lautet: Wie kann die Stabsarbeit verbessert werden oder wie funktioniert eine gute Stabsarbeit? Ein Kriterium für die gute Stabsarbeit ist z. B. die Durchhaltefähigkeit der Stäbe. Durchhaltefähigkeit ist auch ein großes Thema bei den Einsatzkräften. Wie kann das so organisiert werden, dass es besser funktioniert? Zur Stabsarbeit gehört natürlich auch, wie man einen Lageüberblick gewinnt. Ein weiteres Thema ist die Rolle der Bevölkerung bei so einer Katastrophe, also die Resilienz der Bevölkerung und das Interesse, sich selbst im Katastrophenschutz zu engagieren.

Eine wichtige Quintessenz aus der Untersuchung kann ich aber jetzt schon nennen: Diese Starkregenfälle sind keinesfalls einmalige Ereignisse. Diese Ereignisse kamen bereits vor und kommen immer wieder, aufgrund des Klimawandels in immer kürzeren Abständen. Etwa 40 Prozent der Oberfläche von Deutschland haben Strukturen wie im Ahrtal, wie im Siegkreis, also Berge, Täler, schmale Täler, Zuflüsse, Abflüsse, Seitenarme, die oft sich katastrophal mit dem Anstieg des Hochwassers entwickeln können. Insoweit kann man also nicht sagen: Jetzt haben wir ein tausendjähriges Hochwasser gehabt und wir haben die nächsten 999 Jahre Ruhe – das ist sowieso eine “Milchmädchenrechnung”. Vielmehr haben wir hier ein Ereignis gehabt,das uns wieder mal deutlich vor Augen geführt hat, dass wir manchmal ohnmächtig sind vor der Gewalt der Natur. Das muss man auch ein Stück mal akzeptieren. Behörden Spiegel: Was sind weitere Erkenntnisse? Broemme: Man muss auch akzeptieren, dass aus Fehlern, die bei ähnlichen Ereignissen passiert sind, nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen wurden. Beispiele sind Unwetterschäden in Baden-Württemberg und in Bayern fünf Jahre vorher. Auch Sachsen darf man nicht vergessen, was da schon alles passiert ist. Wir haben jetzt eine Chance, dass diese Ereignisse, solange sie

Ergänzung, keine Alternative Messenger-Dienst hermine@THW wird ein Jahr alt (BS/bk) Bei der Flutkatastrophe im vergangenen Juli fiel teilweise der Digitalfunk aufgrund von beschädigten Basisstationen aus. Schnell mussten andere Kommunikationswege gefunden werden. Einer dieser Kommunikationskanäle war der Messenger-Dienst hermine@THW. “hermine hat es den THW-Einsatzkräften ungemein vereinfacht, sich auszutauschen und zu informieren. So wurde der schwierige Einsatz erleichtert. Für die Kommunikation im THW ist hermine ein sehr wichtiger Baustein”, erläuterte Gerd Friedsam. Präsident des Technischen Hilfswerks (THW). In der Hochzeit der Flutkatastrophe nutzten während des Einsatzes mehr als 16.000 Helferinnen und Helfer des THW die Applikation. Täglich wurden bis zu 60.000 Nachrichten über den Messenger ausgetauscht. Die Erfahrung während des Großeinsatzes habe den Mehrwert des Messenger-Dienstes zur Kommunikation im Einsatz aufgezeigt, heißt es vonseiten des THW. Dennoch sei dieser Kommunikationskanal nur als Ergänzung zu verstehen. So seien Bilder von der Einsatzstelle als “erweiterte Erkundungsergebnisse” an die Führungsstelle gesendet und die Einsatzkommunikation wurde mit dem dafür vorgesehenen Einsatzmittel, dem Digitalfunk, abgewickelt worden. Besonders die interne Kommunikation sei vereinfacht worden. Gerade in den Bereitstellungsräumen wie dem Nürburgring seien die Helfer über den Messenger mit einem täglichen Newsletter, Einsatzbildern oder dem aktuellen Speiseplan versorgt worden. “Es war ein Glück, dass der Messenger in der Corona-Pandemie eingeführt wurde”, sagt auch Christopher Bick, CEO von stashcat. Das Hannoveraner Unternehmen hat die App entwickelt.

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Christopher Bick (links), CEO von stashcat, und Gerd Friedsam, Präsident des Technischen Hilfswerks (THW), tauschten sich vor der Flutkatastrophe über den Messenger hermine@THW aus. Foto: BS/THW

Das Messenger-System, auf dem hermine@THW basiert, nutzen schon verschiedene Landespolizeidienststellen und Kommunen. Nach Angaben des Unternehmens hat die App schon 1,3 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer. hermine@THW steht seit Einführung allen THW-Angehörigen ab 16 Jahren zur Verfügung. Mittlerweile nutzen rund 33.000 Kräfte des THW diesen Messenger. Der Dienst wurde in der Corona-Pandemie eingeführt, damit schnell und sicher kommuniziert werden kann und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ebenen gestärkt wird. Als die Flutkatastrophe gekommen sei, hätten die Einsatzkräfte schnell auf dieses neue Kommunikationssystem setzen können, so Bick. Gerade in der Einsatzzeit sei die Nutzerzahl noch mal gestiegen. Die Benutzeroberfläche erinnert stark an gängige Messenger wie zum Beispiel WhatsApp, die auch im privaten Bereich von vielen Menschen genutzt werden. Daran habe man sich angelehnt, damit die Nutzer sich

intuitiv zurechtfinden, erklärt Bick. Aber bei dem reinen Messenger wolle man nicht stehen bleiben. “Die Themen wie die Ausgabe von Kartenmaterial oder das Dateien-Management, also der schnelle Zugriff auf Lagepläne oder Bilder vom Einsatzort, sind Punkte, die jetzt nach und nach in das Messenger-System implementiert werden sollen”, skizziert der CEO von stashcat den weiteren Weg. Aber auch das Thema der Interoperabilität möchte Bick angehen. Gerade im Hinblick auf die kommenden Katastrophenlagen sei eine Kommunikation auch zwischen verschiedenen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) besonders wichtig. Das System soll in Zukunft maximal interoperabel ausgelegt werden. Dies bedeutet, dass nicht nur verschiedene BOS mit dem System von stashcat miteinander kommunizieren sollten, sondern dass auch Kommunikationsmöglichkeiten mit anderen MessengerLösungen angestrebt werden, erklärt Bick. Aber er stellt klar, dass er hermine@THW eher als Ergänzung denn als Alternative zum BOS-Funk sieht. Auch das THW stellt klar, dass der Messenger-Dienst den Digitalfunk nicht ersetzen wird und kann. hermine@THW sei kein Mittel der direkten Einsatzabwicklung. Dennoch soll dieser Dienst weiterhin in Einsätzen genutzt werden. Gerade bei alltäglichen lokalen Einsätzen sei er ein hilfreiches digitales Mittel und vereinfache die Kommunikation vor Ort deutlich.

Albrecht Broemme war als Landesbranddirektor Leiter der Berliner Feuerwehr und anschließend Präsident des Technischen Hilfswerks (THW). Er ist jetzt Vorstandsvorsitzender des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit e. V.

ze abwickeln können, ohne dass die Arbeitgeber “am Rad drehen”. Wenn man aber weiß, wie viele Einsatzkräfte es in Deutschland gibt, dann ist es eine Frage der Einteilung. So kann vermieden werden, dass nicht immer die Gleichen herangezogen werden, sondern dass man mehr rotiert. Das muss geplant, organisiert und geübt sein – dann kann man es auch im Realfall anwenden. Das sind so einige Schwerpunkte beider Berichte. Ich sage übrigens absichtlich nicht Gutachten, sondern Berichte, weil ein Gutachten einen anderen Charakter hätte, als mein Bericht ihn hat. Behörden Spiegel: Wie kann sich der Katastrophenschutz allgemein besser auf Klimakatastrophen vorbereiten?

Foto: BS/privat

noch einigermaßen frisch sind, dazu führen, dass man das Thema Resilienz, Vorbeugung und Investitionen in die Sicherheit mal anders betrachtet als bisher. Ein Problem ist die “HochwasserDemenz”: nach einem halben Jahr ist vieles vergessen, nach einem Jahr das meiste. Ein weiterer Punkt ist, dass der Katastrophenschutz gemerkt hat, dass auch seine Ressourcen mehr koordiniert und gebündelt werden müssen. Die Durchhaltefähigkeit der einzelnen Katastrophenschutz-Einheiten ist ein Riesenthema. Dabei muss auch die Frage bedacht werden, wie Freiwillige in strukturierten Einheiten für ein halbes Jahr Einsät-

Broemme: Es gibt einen Haufen Papiere zum Thema “Vorbereitung auf den Klimawandel”. Diese betreffen in allererster Linie die Kommunen. Der Städtetag und der Städte- und Gemeindebund haben da wichtige Empfehlungen herausgegeben. In denen steht z. B., dass die Versieglung von Flächen reduziert werden muss und nicht weiter vergrößert werden darf. Alleine diese Maßnahmen, die natürlich der Prävention und der Schadensminderung dienen, sind ein langfristiges Thema, wo jede Kommune bzw. jeder Landkreis gefragt ist. Auch Bebauungspläne müssen geändert werden, um dem Hochwasserschutz Rechnung zu tragen. Natürlich muss sich auch der

Katastrophenschutz umstellen. Es wird im Katastrophenschutz gerne argumentiert, dass wir ja 1,6 Millionen ehrenamtlich hoch engagierte Menschen haben. Gott sei Dank ist diese Zahl eher größer als kleiner geworden. Aber die Menge alleine macht noch nicht die Qualität des Katastrophenschutzes aus. Da kommt es darauf an, wie die Einheiten ausgebildet sind, um auch deutschlandweit eingesetzt werden zu können. Ich rede noch nicht vom benachbarten Ausland oder gar von entfernteren Einsätzen, sondern erst mal nur innerhalb von Deutschland. Wenn eine Einheit von Hessen nach Rheinland-Pfalz geht, muss sie beachten, dass es andere gesetzliche Grundlagen gibt. Die Einheit kann da nicht so handeln, wie in Hessen. Und so was muss geübt sein. Es muss also den Einsatzkräften klargemacht werden, welche Rolle sie haben. Wenn Einheiten, mit einem Vorlauf geplant, woanders hin entsendet werden, dann müssen sie natürlich in die Lage eingewiesen werden. Das kann man schon vor dem Eintreffen machen. Dann müssen sie vor Ort übernommen werden, erhalten eine Übergabe und lösen andere Einheiten ab. Das sind alles Dinge, die im internationalen Bereich längst seit Jahren geplant, organisiert und auch geübt werden. Als THWler mit der Auslandserfahrung kennt man das, aber innerhalb Deutschlands wurde das bislang von vielen Stellen abgelehnt, nach dem Motto: “Wir haben ja genug, wir brauchen das nicht.” Und der Klimawandel – und nicht nur er – wird dazu führen, dass wir vermehrt derartige Einsätze bekommen, wo verständlicherweise die örtlichen Einheiten alleine überfordert wären. Und dies betrifft sowohl die Einsatzleitung als auch die Einsatzdurchführung.

Digitaler Katastrophenschutzkongress 2022 Pandemie, Hochwasser, Energie: Die Krise als Dauerzustand?!

8. und 9. Februar 2022 Referenten Armin Schuster Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Bildkraftwerk/ Jürgen Schulzki

www.katastrophenschutzkongress.de

Gerd Friedsam Präsident des Technischen Hilfswerks (THW) Quelle/Fotograf: Zöhre Kurc (Bildkraftwerk).


Verteidigung

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B

ehörden Spiegel: Die vergangene Wahlperiode war für die Abteilung Ausrüstung hinsichtlich zahlreicher Vorhaben sehr erfolgreich. Können Sie uns einen kurzen Abriss geben? Stawitzki: Mit einer Gesamtsumme von rund 23 Mrd. Euro, die wir in den zurückliegenden vier Jahren rüstungsinvestiv in Produkte und Leistungen für alle Teilstreitkräfte und militärischen Organisationsbereiche umsetzen konnten, blicken wir in der Tat auf eine sehr stattliche Bilanz. Hinzu kommen für den Bereich Materialerhalt rund vier Mrd. Euro pro Jahr. Damit verbunden sind also alle diejenigen Produkte und Dienstleistungen, die der Truppe unmittelbar oder im logistischen System zur Erhöhung der Bevorratung zur Verfügung gestellt wurden. Behörden Spiegel: Können Sie das anhand einiger Beispiele konkretisieren?

Stawitzki: Ich will das an aussagekräftigen Kennzahlen des Materialzulaufs von 2017 bis 2021 verdeutlichen: 8.217 Fahrzeuge, 189 Flugzeuge, 167 Hubschrauber, drei Schiffe, über eine Million Paar Kampfstiefel, 26.000 Sätze des neuen Kampfbekleidungssatzes Streitkräfte oder 8.000 neue Modulare Ballistische Schutz- und Trageausstattungen. Dieser Materialzulauf wird sich in den kommenden Monaten weiter verstetigen, die Lager auffüllen und in der Truppe jeweils nach den Vorgaben der Inspekteure sukzessive verteilt – aber das braucht Zeit. Außerdem erwarten wir beispielsweise 50 weitere Leopard 2 A7V und 13 A 400 M, die Übernahme der letzten Fregatte der Klasse 125 sowie mehrere hundert Ungeschützte Transportfahrzeuge und Wechselladesysteme. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir uns mit der materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme insgesamt nicht zufriedengeben können. Hier gilt es, konsequent weiter am Ball zu bleiben. Stattlich sind neben der eben geschilderten Umsetzung der Bestandsverträge auch die erzielten Erfolge der Beschaffungsorganisation durch diejenigen Neuverträge für Produkte und Dienstleistungen, die der Truppe aber erst in den kommenden Monaten zufließen und konsequent einen weiteren Anteil des verbliebenen Modernisierungsstaus abbauen werden. Mit insgesamt 129 Entscheidungs- und Informationsvorlagen für Verträge über 25-MillionenEuro im Gesamtwert von rund 78 Milliarden Euro für die notwendige parlamentarische Billigung blicke ich mit meinem leistungsfähigen Team auf eine herausragende Bilanz der Abteilung Ausrüstung sowie des BAAINBw zurück. Diese Vorlagen bedurften eines enormen Kraftakts, den wir alle gemeinsam – auch mit großer ressortübergreifender Unterstützung und aus der Politik – gemeistert haben. Alleine am 23. Juni des vergangenen Jahres hat das Parlament 27 25-Mio.-Vorlagen im Wert von rund 19 Milliarden Euro gebilligt. Die Verträge decken ein breites Spektrum aus den Dimensionen Land, Luft, See und Cyber ab. Behörden Spiegel: Welche Erfolge gibt es außerhalb der großen Rüstungsprojekte zu verzeichnen? Stawitzki: Die Fokussierung alleine auf Leuchtturmprojekte im rüstungsinvestiven Bereich springt aber viel zu kurz. Denn mit knapp 97.000 Vertragsschlüssen unter 25 Mio. Euro konnte die Beschaffungsorganisation die Anzahl im Vergleich zwischen 18. und 19. Wahlperiode trotz des enormen personellen Ressourceneinsatzes in den

Behörden Spiegel / Januar 2022

Optimierung der Beschaffung Konsequente Modernisierung der Bundeswehr (BS) Die Optimierung der Beschaffung ist und bleibt ein Dauerbrenner für die Bundeswehr – getreu dem Führungsgrundsatz: “Stillstand ist Rückschritt!.” Die Abteilung Ausrüstung und das nachgeordnete Beschaffungsamt haben gemeinsam viel erreicht. In einem Rückblick bilanziert Vizeadmiral Carsten Stawitzki, Leiter der Abteilung Ausrüstung im BMVg, was in der vergangenen Legislaturperiode alles erreicht wurde. In einem Ausblick verrät er, was für die einzelnen Dimensionen ansteht und wer in einer verstetigten Modernisierung welche “Hausaufgaben” machen muss. Das Interview führten Dorothee Frank und Generalmajor a. D. Reinhard Wolski. komplexen Großvorhaben nicht nur halten, sondern das Auftragsvolumen von 8,4 auf 14,6 Mrd. Euro steigern. Im Einkauf der Bundeswehr, in dem wir mit 1.010 Beschaffungsstellen in der Bundeswehr – mit Sachgütern und Dienstleistungen, vom Kopierpapier bis zu Ersatzteilen und Betriebsstoffen – den Betrieb der Streitkräfte absichern, konnten wir den Gesamtumsatz auch unter Corona-Bedingungen kontinuierlich in den zurückliegenden vier Jahren von 4,5 auf sechs Mrd. Euro steigern. Zum Vergleich: In einem einzigen Haushaltsjahr setzt die Beschaffungsorganisation mit rund 500.000 Einzelbeschaffungsvorgängen und 1,5 Millionen abgearbeiteten BANF-Positionen, also Bedarfsanforderungen in SAP, das gleiche Volumen um wie ein bis drei hochkomplexe Waffensystemprojekte in durchschnittlich vier bis acht Jahren. Behörden Spiegel: Wie sieht es bei den Beteiligungsgesellschaften aus? Stawitzki: Unsere Beteiligungsgesellschaften haben uns als unverzichtbare Partner im Beschaffungsfeld der komplexen Dienstleistungen (KDL) von der HIL GmbH über die BwFPS GmbH, die BwBM, die BWI, die GEKA bis zur FBG zur Seite gestanden. Sie haben die Bundeswehr mit ihren Serviceleistungen von der Instandsetzung und Sicherstellung von Mobilität über die Einkleidung und IT bis zur Entsorgung professionell unterstützt und mit Fahrzeugen, Bekleidung und Betriebsstoffen zuverlässig versorgt. So haben wir erfolgreich seit 2018 militärisches Gerät von damals rund 8.500 Stück auf nunmehr fast 17.000 Stück in die Verantwortung der Heeresinstandsetzungslogistik übergeben, davon heute rund 7.200 Fahrzeuge (2018 noch 4.700). Die damit verbundenen Instandhaltungsstunden sind von 2,19 Mio. auf 3,18 Mio. gestiegen. Die BwBM bewirtschaftet für uns rund 4.000 Bekleidungsund Ausrüstungsartikel, von der Ausgabe bis hin zur Reinigung und Aufbereitung. Die BwFPS GmbH bewirtschaftet heute rund 36.000 Fahrzeuge, davon 26.500 rein handelsüblich sowie Sonderfahrzeuge und handelsübliche Fahrzeuge mit militärischer Sonderausstattung. Allein in diesen drei wichtigen Dienstleistungsbereichen (also ohne die IT-Services der BWI) sind die Umsätze der Gesellschaften von 825 Mio. Euro auf 1,255 Mrd. Euro Umsatz gestiegen. Nicht unerwähnt bleiben sollen die industriellen Partner in den zahlreichen Betreiberverträgen für beispielsweise das Gefechtsübungszentrum (GÜZ), den strategischen Lufttransport (SALIS) oder im Bereich der Hubschrauberausbildung. Behörden Spiegel: Was ist in den einzelnen Dimensionen gelaufen? Was dürfen wir in der nächsten Legislaturperiode erwarten? Stawitzki: Für die Dimension Land haben wir bei zahlreichen Großprojekten punkten können, beispielsweise beim Puma. Mit dem Vertrag zur konsolidierten Nachrüstung des 1. Loses haben wir den Grundstein für die weitere nachhaltige Sicherstellung der materiellen Einsatzbereitschaft

Vizeadmiral Carsten Stawitzki gibt im Gespräch mit dem Behörden Spiegel Einblicke in die aktuellen Vorhaben der Bundeswehr. Foto: BS/BMVg, Josephine Klingner

durch eine konstruktionsbereinigte Flotte angelegt. Die Basisleistung beträgt etwa eine Mrd. Euro für 150 Pumas, inklusive Optionen sogar rund 1,9 Mrd. Euro. Mit dieser Nachrüstung sollen die deutlichen Fortschritte aus dem verbesserten Konstruktionsstand Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) 2023 auf die Gesamtflotte des 1. Loses ausgerollt werden. Dieses Jahr steht die Zertifizierung der VJTF-Verbände im Raum und die erforderliche Auslösung der vertraglich vereinbarten Optionen ist aktuell nicht finanziell hinterlegt. Auch bedarf es zwingend der Beschaffung der notwendigen Anzahl an Zugsystemen Infanterist der Zukunft – Erweitertes System, aktuell ebenfalls nicht im Haushalt abgebildet. Für den Schützenpanzer Puma geht es zeitnah nicht zuletzt um die Entscheidung für ein 2. Los. Mit dem Leopard 2 A7V gelingt nicht nur der Aufwuchs der Panzertruppe um zwei Panzerbataillone, sondern damit wird das Heer auch über den modernsten Kampfpanzer der Welt verfügen. Die Industrie hat uns hier übrigens vor den zugesagten Meilensteinen beliefert. Zudem wird mit dem System Trophy der Einstieg in zukunftsorientierte Schutztechnologien geschaffen und nicht nur die multinationale Kooperation, sondern auch Rüstungspartnerschaft gestärkt. Es gilt auch, die notwenige und noch nicht finanziell abgesicherte Kampfwertsteigerung der bisher noch nicht unter Vertrag genommenen verbliebenen Anteile der Kampfpanzerflotte nicht aus den Augen zu verlieren. Mit dem GTK Boxer steht dem Heer nicht nur einer der modernsten Transportpanzer zur Verfügung. Die weitere Zusammenarbeit in Beschaffung und Weiterentwicklung mit unseren internationalen Partnern (Großbritannien, Niederlande, Australien) bietet hier viel Raum in Skaleneffekten, gegenseitiger Unterstützung und Interoperabilität. Zeitnah stehen Entscheidungen zum schweren Waffenträger Infanterie an. Behörden Spiegel: Welche weiteren Projekte stehen auf der Agenda? Stawitzki: Ein weiterer wichtiger Baustein ist das für die VJTF eingeführte Battle Management System – dieses trägt wesentlich zur Digitalisierung der Landstreitkräfte bei, denn: Fahren und feuern alleine reicht nicht. Dieser Trend wird mit der in Kräftedispositiven gestaffelten Realisierung der Digitalisierung von landbasierten Operationen

(D-LBO) fortgesetzt werden. Die Führungsfähigkeit über alle Ebenen ist unverzichtbar und ist erklärter Schwerpunkt des Generalinspekteurs. Bei der umfangreichen Erneuerung der Transportfahrzeuge konnten wir die Truppe mit rund 2.800 ausgelieferten Fahrzeugen der neuen Klasse der ungeschützten Transportfahrzeuge UTF 5-15 Tonnen erheblich rascher ausstatten als ursprünglich geplant, nämlich mit fast der doppelten Anzahl. Im Bereich der Hubschrauber des Heeres hat sich ebenfalls einiges getan: Beispielsweise wurden die 50 Jahre alten Bell UH-1D SAR durch H145 abgelöst, und zur besseren Verfügbarkeit der NH90 TTH wurde der Standardisierte Instandsetzungsleistungsvertrag geschlossen. In zahlreichen bi- und multinational angelegten Projekten steht die unmittelbare Zusammenarbeit und die von der Politik geforderte europäische Zusammenarbeit einmal mehr im Fokus: Überschneefahrzeuge für die Gebirgsjäger (mit Schweden, Niederlanden und Großbritannien) sowie ein neues System indirektes Feuer (155 mm) und neue Systeme für die Gewässerquerung, beides zusammen mit Großbritannien, oder neue Luftlandefahrzeuge gemeinsam mit den Niederlanden. Behörden Spiegel: Was haben Sie für die Dimension Luft erreicht? Wie geht es für die Luftwaffe in dieser Wahlperiode weiter? Stawitzki: Mit dem Vertrag über die Entwicklung und Beschaffung des Persistent German Airborne Surveillance System (Pegasus) wird Deutschland die seit der Ausmusterung der Breguet Atlantic verlorene Fähigkeit Signals Intelligence (SIGINT) wiedererlangen. Auf der Basis des Geschäftsreiseflugzeugs Bombardier Global 6000 wird ein System zur Fernmelde- und Elektronischen Aufklärung eingeführt. Die Fähigkeit zum geschützten Lufttransport auf Flugplätzen mit eingeschränkter Infrastruktur wird künftig mit sechs Luftfahrzeugen C-130J Super Hercules gemeinsam mit unseren französischen Freunden erreicht werden. Nach dem Vertragsschluss im Jahr 2018 wird die Auslieferung des ersten Luftfahrzeugs für das erste Quartal 2022 erwartet. Für den Bereich der Kampfflugzeuge konnten für das Rückgrat der Luftwaffe, das Waffensystem Eurofighter, wichtige Projekte gestartet werden. Mit dem “Early Embodiment”-Programm wird der Hauptradarsensor des Eurofighters durch ein Radargerät

mit elektronischer Strahlschwenkung ersetzt. Dieser Sensor mit dem Namen “Active Electronically Scanned Array” (AESA) wird in die gesamte Eurofighter-Flotte eingerüstet. Ein weiterer wichtiger Meilenstein war die parlamentarische Billigung für den Ersatz der veralteten und Obsoleszenzbehafteten EF der Tranche 1. Im QUADRIGA-Projekt werden als Tranche 4 nunmehr 38 Maschinen auf dem aktuellsten Entwicklungsstand beschafft, davon drei Luftfahrzeuge für Tests und Weiterentwicklungen. Und der A 400 M hat in Afghanistan im wahrsten Sinne des Wortes seine Feuertaufe bestanden – aber es liegt auch noch unverändert eine Menge Arbeit vor uns. Behörden Spiegel: Wie sieht es mit der Dimension See aus? Könnten Sie auch hier einen kurzen Rück- und Ausblick darstellen? Stawitzki: Als wesentliche Neubeschaffungen für die Deutsche Marine sind die Fregatten Klasse 126 (ehemals MKS 180) und neue Uboote der Klasse 212CD zu nennen sowie der geplante Neubau der Marinebetriebsstoffversorger Klasse 707 und der Flottendienstboote Klasse 424. Ebenfalls erfolgreich unter Vertrag nehmen konnten wir die Beschaffung von fünf P-8-Poseidon-Seefernaufklärern. Mit dem Projekt Sea Tiger werden wir mit einem neuen mehrrollenfähigen Helikopter die Ablösung der SeaLynx-Flotte erreichen. Der Zulauf von 31 neuen Marinehubschrauber des Typs NH90 NFH (NATO Frigate Helicopter) ist ab 2025 vorgesehen. Die Kampfkraft der Deutschen Flotte erhalten wir maßgeblich durch den schweren Seeziellenkflugkörper RBS15 und NSM Block 1A als Ersatz für den Flugkörper Harpoon. Dann ermöglicht der Vertrag über die Beschaffung von zwei Marinebetriebsstoffversorgern den lange überfälligen Ersatz der Klasse 704, der Ein-HüllenTanker Rhön und Spessart, ab 2025. Diese Beschaffungs- und Modernisierungsvorhaben stärken unsere Landes- und Bündnisverteidigung, sie befähigen unsere Marine auch weiterhin, auf Augenhöhe mit unseren NATOPartnern unserer Verantwortung gerecht zu werden. Dennoch gilt es, die notwendige materielle Regeneration und Modernisierung der Marine insbesondere im Hinblick auf die Landes- und Bündnisverteidigung weiter voranzutreiben. In diesem Sinne richtet sich der Blick in den kommenden Jahren insbesondere auf die Regeneration der Fregatte Klasse 124 und den Erhalt der Fähigkeit zur verbundenen Seeminenabwehr. Der Handlungsrahmen wird auch hier maßgeblich durch die Entwicklung des Einzelplans 14 bestimmt. Behörden Spiegel: Auf was wird es in Zukunft ankommen? Wer muss welche Hausaufgaben erledigen, damit die Projekte alle so wie von Ihnen skizziert verlaufen? Stawitzki: Lassen Sie mich das mit zwei Führungsgrundsätzen erläutern. Erstens: “Stillstand bedeutet Rückschritt” – damit habe ich zum Jahresbeginn alle meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Beschaffungsorganisation

aufgefordert, konsequent die Binnenoptimierung voranzutreiben – hier ist jeder und jede aufgerufen, seinen eigenen, ganz persönlichen Beitrag zu leisten, interne Abläufe weiter zu verbessern, Arbeitsaufwand zu reduzieren, Ermessensspielräume auszunutzen und damit Ergebnisverantwortung und nicht Methodenverantwortung zu leben. Neben der weiteren Stärkung des Einkaufs der Bundeswehr gilt es ebenso, das Nutzungsmanagement und die Rahmenbedingungen für die Projektarbeit (Stichwort Digitalisierung) weiter zu verbessern und insbesondere mit einem konsequenten Forderungscontrolling die neu erlassene Beschaffungsstrategie zu implementieren. Zweitens: “Rahmenbedingungen schaffen, damit Talente sich entfalten können” – damit verbinde ich meine nun über vier Jahre gesammelten persönlichen Erfahrungen als nationaler Rüstungsdirektor: Wie sehr wir uns auch abstrampeln, uns sind Grenzen gesetzt, und zwar dann, wenn maßgebliche Stellschrauben für das Beschaffungswesen neu justiert werden müssen. Das gilt übrigens nicht nur für die Bundeswehr, sondern die gesamte öffentliche Verwaltung, wie uns das Ahrtal und die Corona-Pandemie deutlich vor Augen geführt haben. Ich bin sehr dankbar, dass der aktuelle Koalitionsvertrag dies auch aufgreift. Die Beschaffungsorganisation der Bundeswehr und die Industrie bedürfen für die Ausrüstung der Streitkräfte eines klaren Bekenntnisses zur Fortführung der Modernisierung der Bundeswehr. Nur mit den notwendigen Haushaltmitteln werden auch die notwendigen Entscheidungen gefällt werden können. Aus Sicht der Abteilung Ausrüstung liegt der Schwerpunkt der nächsten zwei Jahre aber auch in der Vertrags- und Leistungserfüllung unserer industriellen Partner. Sie stehen jetzt in der Pflicht und in ihrer ganz persönlichen Verantwortung für die Männer und Frauen der Bundeswehr! Deshalb ist es umso wichtiger, dass sich die Politik im Sinne unserer nationalen Verantwortung zu einer starken Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bekennt – denn nur mit leistungswilligen und leistungsfähigen industriellen Partnern werden wir Resilienz aufbauen und Verantwortung für unsere Sicherheit für Europa und in unserer globalisierten Welt übernehmen können. Die Erfahrungen zeigen außerdem, dass das aktuelle europäische Regelwerk, das den binnenmarktlichen Wettbewerb im Fokus hat, die von der Politik gewünschten zeitlichen Erwartungen nicht zu erfüllen vermag. Hier ist die Politik mit aufgerufen, erkannte Schwächen im Vergaberecht möglichst zeitnah zu korrigieren. Wer mit pauschalen Bewertungsmaßstäben die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie als nicht nachhaltig erklären will und damit – wie bereits in mehreren Ländern geschehen – vom Finanzmarkt abschneidet, legt die Axt an unser aller Sicherheit in Europa. In diesem Sinne liegt es an Berlin, die aktuellen Diskussionen in Brüssel zur EU-Taxonomie für das Wohl unseres Landes in und mit Europa zu gestalten. Umgeben von einer Welt im Umbruch, deren Fokus sich geostrategisch deutlich verschoben hat, und einer wachsenden Anzahl an autokratischen Systemen geht es im Kern um unser demokratisches Wertesystem! Ich plädiere dafür, gemeinsam dafür anzutreten, die begonnene Modernisierung fortzuführen und insbesondere großvolumige Projekte, die deutlich über die mittelfristige Finanzplanung hinauswirken, dazu langfristig und damit strategisch durch das Parlament abzusichern.


Verteidigung

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Staatliche Souveränität in Zeiten der Digitalisierung

MELDUNGEN

Handlungsfähigkeit im Konflikt unterhalb der Schwelle

328 Tonnen Kampfmittel vernichtet (BS/bk) Welche Auswirkungen unpräzise Wirkmittel haben, muss Deutschland auch fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weiterhin erfahren. Es wurden im vergangenen Jahr allein in Brandenburg rund 328 Tonnen Kampfmittel gefunden und unschädlich gemacht. Dies geht aus der vorläufigen Bilanz des Kampfmittelbeseitigungsdienstes (KMBD) hervor. Ebenso konnten rund 522 Hektar Land bis Ende November aus dem Kampfmittelverdacht entlassen werden. Unter den knapp 330 Tonnen Kampfmitteln befanden sich u. a. 180 Minen, 23.900 Granaten, 1.100 Brandbomben und 1.300

Sprengbomben über fünf Kilogramm. Der KMBD bearbeitete bis November 2021 über 6.200 Anfragen von Grundstückseigentümerinnen und -eigentümern auf Kampfmittelbelastung. In rund 2.700 Verdachtsfällen rückten Kräfte des Dienstes aus und beauftragten über 225 Kampfmittelräummaßnahmen für landeseigene, kommunale und private Liegenschaften. Das Land Brandenburg musste Kosten in Höhe von insgesamt 13 Millionen Euro für die Kampfmittelräumung bis Ende November 2021 tragen. Davon entfielen 6,7 Millionen Euro für die Beseitigung und 6,3 Millionen Euro für Personal- und Sachkosten.

Die ersten Korporale der Bundeswehr (BS/df) Die Bundeswehr führte im vergangenen Jahr zwei neue Dienstgrade ein. Oberhalb des Dienstgrades Oberstabsgefreiter wurden der Korporal und der Stabskorporal geschaffen. Am 1. Dezember erhielten die ersten Soldaten diese neuen Dienstgrade. “Unsere Mannschaftssoldatinnen und -soldaten nehmen eine wichtige Rolle bei der täglichen Auftragserfüllung der Bundeswehr wahr”, berichtet die Bundeswehr. “Ihre Aufgaben haben sich im Laufe der Zeit verändert, ebenso die Anforderungen an ihren Dienst und das Maß an Verantwortung, das sie innehaben. Herausragenden Soldatinnen und Soldaten der Laufbahn wollen wir eine neue, attraktive Karriereperspektive anbieten und damit ihre Motivation fördern sowie ihre Leistung belohnen.” Am 1. Dezember 2021 wurden

im Logistikbataillon in Burg bei Magdeburg zwei Soldaten vom Heer, einer von der Luftwaffe und einer von der Marine zu Korporalen befördert. Seitdem die Laufbahn in der Bundeswehr nicht mehr durchlässig ist und Offizierkarrieren an ein Studium gebunden sind, fiel die Bedeutung der Unteroffiziere immer weiter ab. Während beispielsweise in Großbritannien ein Mannschaftssoldat fast sein ganzes Berufsleben in einer Funktion bleiben kann, ist dies in der Bundeswehr nicht vorgesehen. Angesichts des Mangels an qualifiziertem Personal und der zunehmenden Komplexität der Systeme, was wiederum eine längere Ausbildung erfordert, wurde es notwendig, den Unteroffizieren bessere Laufbahnmöglichkeiten zu bieten. Ein Schritt hierzu sind die nun geschaffenen Korporale.

Neuer Kommandeur Einsatzführungskommando (BS/df) Am 16. Dezember 2021 übernahm Generalleutnant Bernd Schütt die Führung des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr von Generalleutnant Erich Pfeffer, der Ende des Jahres in den Ruhestand geht. Generalleutnant Pfeffer hatte das Kommando seit 2015 inne und prägte somit den Aufbau und Ausbau des Einsatzführungskommandos in Potsdam in bewegten Zeiten. “In den vergangenen sechs Jahren, die ich als Befehlshaber erlebt habe, haben sich die Einsatzrealität und das Aufgabenprofil des Einsatzführungskommandos signifikant verändert”, sagte Generalleutnant Pfeffer. “In der Spitze umfasste die deutsche Truppe auf dem Balkan und in Afghanistan bis dahin jeweils über 5.000, also insgesamt über 10.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten. Demgegenüber stehen Irak, Jordanien, Liba-

non, die Ägäis, das Mittelmeer, der Südsudan, die Westsahara, Mali und Niger stellvertretend für die heutige Einsatzrealität von vielen, aber kleineren Einsatzkontingenten, verteilt auf drei Kontinente und angrenzende Meere, mit derzeit insgesamt rund 3.000 Soldatinnen und Soldaten.” Es sei dann die Evakuierungsmission aus Afghanistan hinzugekommen, die deutlich gezeigt habe, wie wichtig “eine speziell darauf vorbereitete Truppe, klare Verfahren und ein gut ausgebildeter Einsatzstab im Einsatzführungskommando der Bundeswehr zur Führung solcher nationalen Operationen sind”. Sein Nachfolger, Generalleutnant Schütt, war in seiner letzten Verwendung Leiter der Abteilung Strategie und Einsatz im Bundesministerium der Verteidigung. Davor war er Kommandeur der 10. Panzerdivision in Veitshöchheim.

Aufstockung der Amtshilfe (BS/df) Im Jahr 2021 wurde die Bundeswehr in einem enormen Maß gefordert. Drei verschiedene Herausforderungen kamen zusammen: die Corona-Pandemie, die Hochwasserkatastrophe und die Evakuierungsmission aus Kabul. Besonders fordernd ist die seit mittlerweile fast zwei Jahren andauernde Amtshilfe. Die Bindung der Soldatinnen und Soldaten sowie der Reservedienstleistenden, welche durch die Streitkräftebasis (SKB) gestellt werden, führt die Bereitschaft an ihre Grenzen. Dennoch wurde über Weihnachten und zwischen den Jahren das “Einsatzkontingent Hilfeleistung Corona” aufgestockt. “Aktuell unterstützen Angehörige der Streitkräfte bundesweit in 530 Hilfeleistungen. Weitere 300 werden derzeit vorbereitet. Bis Ende November befanden sich 3.000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatzkontingent Hilfeleis-

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tung Corona, welches danach auf 8.000 Kräfte aufgestockt und damit mehr als verdoppelt worden war”, beschreibt die SKB. Bereits Mitte Dezember 2021 sei daher beschlossen worden, das Kontingent auf insgesamt 17.500 Kräfte aufzustocken. “Vorgesehen sind im Kern 16.000 Soldatinnen und Soldaten mit Reaktionszeiten von 48 bis 72 Stunden sowie Verstärkungskräfte mit 1.500 Soldatinnen und Soldaten mit einer Reaktionszeit von 72 Stunden. Die Aufstockung des Kontingents orientiert sich an den regionalen Brennpunkten der vierten Welle”, so die SKB. Ein Ende der Amtshilfe ist aktuell nicht absehbar, da die Kommunen und Landkreise augenscheinlich auf ein Ende der Pandemie warten, statt Personal aufzustocken. Bis zum Ende der Pandemie wird es die Bundeswehr und besonders die SKB wohl weiter richten müssen.

(BS/Vizeadmiral Dr. Thomas Daum) Durch die immer weiter voranschreitende Digitalisierung hat sich unsere Welt maßgeblich verändert. Wir leben heute in einer Informationsgesellschaft. Informationen stehen für uns in vielerlei Hinsicht im Mittelpunkt. Information ist zu einer unverzichtbaren Ressource geworden, die es entsprechend zu schützen gilt. Mit dieser zentralen Abhängigkeit sind Gefahren und Verwundbarkeiten verbunden. Da ist zum einen die Abhängigkeit von technischen Systemen, deren Funktionsfähigkeit auf Informationen in digitaler Form aufbaut. Hierzu zählt das weite Spektrum von kritischer Infrastruktur bis hin zum Heim-PC mit den eigenen Finanzdaten und privaten Fotos. Mittlerweile ist sicherlich jedem bewusst, welche gravierenden Folgen ein Befall mit Schadsoftware sowohl für global agierende Unternehmen als auch für Privatpersonen haben kann. Gerade unsere offenen westlichen Gesellschaften sind in Bezug auf eine Beeinflussung von Informationen besonders gefährdet. Laut einer aktuellen Studie wird die Manipulation der öffentlichen Meinung durch sogenannte Fake News inzwischen von Politikern und Wirtschaftsvertretern als die größte “Cyber-Gefahr” für Deutschland angesehen. Beide Elemente – Cyber-Angriffe und Desinformation – sind wesentliche Bestandteile einer Strategie von hybrider Einflussnahme, die wir immer wieder beobachten können. Durch sie können Spannungen erzeugt, Kohäsion in Staaten und Staatengemeinschaften beeinflusst und im Extremfall sogar handfeste Konflikte ausgelöst werden. Von daher lässt sich durchaus sagen: “Die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft hängt von der Lösung der Frage ab, wie wir die Verfügbarkeit, die Integrität und die Vertraulichkeit unserer Informationen sicherstellen können.”

Streitkräfte reichen im Cyber-Raum nicht aus Staatliche Souveränität kann nicht mehr ausschließlich über die physische Kontrolle des

die Ausnahmen, in denen Straftaten vorliegen – die Zivilgesellschaft des Problems annehmen muss. Sie muss die Resilienz entwickeln, solche Kampagnen zu entlarven und ihre Wirkung zu neutralisieren.

Gesamtstaatlicher Ansatz als Antwort

Vizeadmiral Dr. Thomas Daum, Inspekteur Cyber- und Informationsraum, betonte bei der Berliner Sicherheitskonferenz 2021: “Mein OrgBereich befindet sich bereits unter Beschuss.” Foto: BS/Boris Trenkel

Staatsgebietes definiert werden. Von essenzieller Bedeutung ist es inzwischen auch, sich gegen Gefahren aus dem Cyber- und Informationsraum zu schützen. Die NATO hat bereits vor vier Jahren den Cyber-Raum als eigenständige militärische Dimension anerkannt. In der Bundeswehr haben wir diese neue militärische Dimension bewusst noch weiter gefasst und den Informationsraum mit einbezogen. Wir haben unsere Expertise im Cyber- und Informationsraum in einem eigenen Organisationsbereich im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung zusammengefasst und stellen uns damit den neuen Herausforderungen. Nun unterscheidet sich die Dimension Cyber- und Informationsraum aber grundlegend von den anderen klassischen Operationsräumen. Streitkräfte können sicherlich ihren Anteil zur Wahrung der staatlichen Souveränität im Cyber- und Informationsraum beitragen, sie reichen aber – anders als in den anderen Dimensionen  – nicht aus. So bleiben

Aktivitäten in einem durch Hybridität geprägten Konfliktverlauf häufig unterhalb der Schwelle, die zu einem Verteidigungsfall führt und damit die Streitkräfte auf den Plan ruft. In solch einem Szenar sind viele wichtige Fragestellungen noch nicht umfassend geklärt. Zum Schutz gegen Attentäter mit konventionellen Waffen kann die Polizei präventiv Stellung beziehen. Aber wie verhindern wir Cyber-Attacken auf unsere Kraftwerke? Wie sieht dort Prävention aus? Hat man schon beim Entwurf am Reißbrett Cyber-Sicherheit mitgedacht? “Security by Design” muss heute der Standard sein. Nachträglich sind Verbesserungen nur in geringem Umfang und mit hohem Aufwand möglich. Auch mit Blick auf die Sozialen Medien stellen sich viele Fragen. Wer deckt bewusst gestreute Falschinformationen auf? Wurde überhaupt gegen Gesetze verstoßen oder bewegen sich die Aktivitäten noch in einem legalen Rahmen? Bisher ist es so, dass sich hier   – bis auf

All diese Beispiele zeigen: Digitale Souveränität und Immunisierung kann umfassend nur als gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe angegangen werden. Der Cyber- und Informationsraum macht nicht an Zuständigkeits- oder Ländergrenzen halt. Alle relevanten Akteure – Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft –, national wie international, müssen diesen Herausforderungen gemeinsam entgegentreten und sich vernetzen, um im Fall der Fälle handlungsfähig zu sein. Wir brauchen ein gemeinsames und umfassendes Lagebild im Cyber- und Informationsraum. Wir brauchen die Organisation und die Verfahren, um im Bedarfsfall verzuglos und umfassend reagieren zu können. Wir brauchen die dafür erforderliche Infrastruktur, das entsprechende Know-how und die dazugehörige Spitzentechnologie. Wir brauchen zudem Überlegungen, wie wir bei einem Ausfall wichtiger Infrastruktur, wodurch auch immer hervorgerufen, die Führungs-, Arbeits-, Handlungsund Funktionsfähigkeit hinreichend aufrechterhalten können. Das Ziel ist Resilienz. Wie wichtig das ist und dass dies nicht von heute auf morgen gelingt, sehen wir gerade auf einem ganz anderen Feld: Das Coronavirus zeigt uns manche Versäumnisse auf. Lernen wir daraus!

Finanzströme Richtung Nachhaltigkeit Nachteile für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BS/df) Nachhaltigkeit ist der neue wirtschaftliche Trend, in dem auch die Europäische Union ein Standardisierungszeichen setzen will. Dieses Vorhaben stößt allerdings auf Widerstand – nicht nur im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Schließlich ist einerseits die Zuordnung politisch gefärbt und zum Zweiten wären die Auswirkungen durchaus negativ und würden dem Konzept der Schlüsseltechnologien entgegenlaufen. Das Stichwort ist “EU-Taxonomie”. “Die Europäische Kommission hat gestern eine Konsultation der Sachverständigengruppe der Mitgliedsstaaten für nachhaltiges Finanzwesen und der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen zum Entwurf eines ergänzenden delegierten Taxonomie-Rechtsakts über bestimmte Gas- und Kernenergietätigkeiten eingeleitet”, teilte die EUKommission am 1. Januar 2022 mit. “Durch die EU-Taxonomie sollen private Investitionen mobilisiert und in Tätigkeiten gelenkt werden, die notwendig sind, um in den nächsten 30 Jahren Klimaneutralität zu erreichen.” Es handelt sich bei der EU-Taxonomie also um ein Steuerungsinstrument von Finanzströmen, die Richtung Nachhaltigkeit umgesteuert werden sollen. Atomstrom und somit auch die Atomforschung werden dabei übrigens als nachhaltig bezeichnet, was wiederum bisherigen deutschen politischen Bemühungen entgegenläuft, keine mit Atomkraft befassten Industrien zu fördern.

Banken achten auf Nachhaltigkeit Den Bereich Sicherheit- und Verteidigung klammert die EUTaxonomie hingegen vollkommen aus und dies könnte sich negativ auf die gesamte Branche auswirken. Vor allem Banken achten

vermehrt auf nachhaltige Label, hier würde die EU-Taxonomie am deutlichsten zum Tragen kommen. Schließlich brauchen auch Rüstungskonzerne Kredite, sind am Aktienmarkt vertreten oder wollen sich an staatlich initiierten Forschungs- und Entwicklungsprogrammen beteiligen.

Definition der Nachhaltigkeit Auch wenn die Energiebilanz sicherlich nicht so “grün” ausfällt wie bei einem Ökobauern, schließlich wird als Kraftstoff weiterhin Diesel gefordert und es sind energieintensive Vorgänge notwendig, beispielsweise bei der Metallverarbeitung: Wenn Sicherheit und Verteidigung nun in der EU-Taxonomie nicht als “nachhaltig” deklariert werden, dann wird die Branche finanziell direkt benachteiligt, obwohl sie einen essenziellen Beitrag zur Erhaltung europäischer Werte gegen Aggressoren leistet. Dabei ließe sich der Begriff “nachhaltig” durchaus in die Richtung auslegen, dass unsere Gesellschaft und ihre Werte, Normen und Freiheiten zu erhalten sind. Nachhaltig ist schließlich nicht nur auf die Umwelt oder das Klima beschränkt, sondern muss auch für die menschliche Gesellschaft gelten. Noch ist die EU-Taxonomie allerdings nicht in Stein gemeißelt. Bis zum 12. Januar konnten die

Mitgliedsstaaten noch Stellung nehmen. Anschließend wird der Entwurf dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Prüfung und Abstimmung vorgelegt. Es bleibt allerdings zu befürchten, dass sich die Finanzinstitute und

andere Entitäten bis dahin schon an der EU-Taxonomie orientieren, unabhängig davon, ob sie bereits durch alle Gremien beschlossen wurde oder nicht. Zum Schaden der Sicherheit und der Verteidigungsfähigkeit.

MELDUNG

“Amerika ist eine pazifische Macht” (BS/df) Bei der Rede des amerikanischen Verteidigungsministers Lloyd J. Austin III beim Reagan National Defense Forum betonte dieser: “Amerika ist eine pazifische Macht. Und das werden wir immer sein.” Eine Herausforderungen sei allerdings das zunehmend selbstbewusste und autokratische China. Die Dimensionen und Geschwindigkeit, mit denen China seine Streitkräfte modernisiere, überträfen alles bisher Gekannte. Der US-Verteidigungsminister betonte: “Chinas Militär ist auf dem besten Weg, ein ebenbürtiger Konkurrent der Vereinigten Staaten in Asien – und schließlich auf der ganzen Welt – zu werden. Die chinesische Führung baut ihre Fähigkeit zur Entsendung der Streitkräfte aus und errichtet ein globales Netz an Militärstützpunkten.” In allen Bereichen erweitere die People’s Liberation Army (PLA) ihre Fähigkeiten,

von der Luftverteidigung bis zur U-Jagd. “Sie konzentriert sich zunehmend auf die Integration von Informations-, Cyber- und Weltraumoperationen.” Daneben investiere China konzentriert in Schlüsselbereiche, darunter Quantenforschung. Von dieser Entwicklung seien auch die Nuklearwaffen nicht ausgenommen. “Die PLA hat ihre nuklearen Fähigkeiten rasch ausgebaut. Dazu gehören die Aufstockung ihres Nukleararsenals auf mindestens tausend Sprengköpfe bis 2030, die Modernisierung ihrer Trägersysteme und der Aufbau einer im Entstehen begriffenen nuklearen Triade”, sagte Austin. “Die Führer der Kommunistischen Partei Chinas haben ihre Unzufriedenheit mit der herrschenden Ordnung immer deutlicher zum Ausdruck gebracht – und ihr Ziel ist, Amerika aus seiner globalen Führungsrolle zu verdrängen.”


Wehrtechnik

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Behörden Spiegel / Januar 2022

Green Bundeswehr

MELDUNGEN

Brennstoffzellen-Versuchsschiff Sea Change

Vorteile für den militärischen Bereich

(BS/df) Eines der ersten emissi-

lichen Verbrennungsmotor an-

durch eine Wasserstoff-Brennstoffzelle. Das Projekt Sea Change wird von SWITCH Maritime finanziert, einer Investmentfirma, welche aktuell die erste Flotte von emissionsfreien Schiffen mit Elektroantrieb aufbaut. Hinzu kam ein Zuschuss in Höhe von drei Millionen Dollar durch die kalifornische Luftreinhaltungsbehörde (CARB). Das Antriebssystem HybriGen von BAE Systems wurde mit einem Wasserstoff- und Brennstoffzellensystem von Zero Emission Industries und LithiumIonen-Batterien verbunden, um das Schiff ohne einen herkömm-

in Zeiten steigender Preise für fossile Brennstoffe auch finanziell interessant ist. Zudem soll sich die Wartung des Motors mit dieser Lösung reduzieren lassen. “Wir sind bestrebt, unsere Kunden mit äußerst zuverlässigen und flexiblen Systemen, die sich an Land und im Wasser bewährt haben, ihrem Ziel der Zero-Emissionen näher zu bringen”, sagte Steve Trichka, Vice President und General Manager Power & Propulsion Solutions bei BAE Systems. “Dieser historische Meilenstein ist der nächste Schritt auf diesem Weg.”

(BS/Dorothee Frank) Die Bundeswehr ist nicht nur tarngrün, sondern hat durchaus mehrere weitere “grüne” Ansätze, besonders im Bereich der onsfreien Schiffe fährt aktuell in zutreiben. Das vollelektrische Mobilität und des Feldlagerbetriebs. Dies allerdings nicht aus Zeitgeist oder Klimaschutz, sondern aus klaren militärischen Interessen. Schließ- der San Francisco Bay Area: die System macht den Einsatz von lich bieten Elektromotoren gegenüber Verbrennern mehrere Vorteile. Und ein autarkes Feldlager besitzt weniger logistische Herausforderungen. Sea Change. Möglich wird dies Dieselkraftstoff überflüssig, was Die Versorgung mit Energie ist in jedem Auslandseinsatz eine Herausforderung und vor allen Dingen teuer. Schließlich kann nicht alles im Umland beschafft werden, weil sich sonst die einheimische Bevölkerung den Diesel gar nicht mehr leisten könnte. Diesen einzufliegen, ist allerdings nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch nicht ideal. Ein Liter Kraftstoff kann dadurch in der Spitze schon mal über 20 Euro kosten, wenn alle Kostenfaktoren mit eingerechnet werden. Es bietet sich also an, Solar-, Wind- oder Bioenergie zu nutzen, die auch im Einsatzland kostenlos zur Verfügung steht. Dementsprechendes Interesse herrscht in der Bundeswehr an Erneuerbaren Energien. So fiel bereits 2020 an der Wehrtechnischen Dienststelle (WTD) 41 in Trier der Startschuss für das “EnergieCamp”. Hier werden seitdem Technologien zur Nutzung regenerativer Energien in Feldlagern erprobt. Die Ergebnisse fließen direkt in Beschaffungen. Die NATO arbeitet ebenfalls an der Nutzung Erneuerbarer Energien. Hier wurde 2013 ein Smart Energy Team (SENT) eingerichtet, das regelmäßige Berichte erstellt und Treffen bzw. Kongresse organisiert. Eines der Feldlager der Vereinten Nationen in Mali wird bereits seit Jahren mit Solarstrom betrieben. Weltweit wird im Bereich Feldlager “Solar” aktuell bevorzugt eingesetzt oder erforscht. Es lässt sich schnell aufbauen und integrieren, erfordert kaum extra Kapazitäten. Geothermie und Windenergie sind ebenso wie die Nutzung der Biomasse zu abhängig vom Aufbau von Extra-Anlagen und bieten sich dementsprechend nicht flächendeckend an. Während Solarzellen in Zukunft durchaus zum Standard der Feldlager gehören könnten, indem die Zellen beispielsweise direkt bei den Zelten mit enthalten sind.

Versorgung im Einsatzgebiet Eine weitere Herausforderung des autarken Feldlagers stellt die Wasserversorgung dar. Zwar besitzt die Bundeswehr Trinkwasseraufbereitungsanlagen, diese lassen sich allerdings im Friedensbetrieb nicht überall einsetzen. Beispielsweise in Mali besteht das Risiko, dass

Neues, integriertes Visier

Der Genesis von FFG besitzt einen Hybridantrieb.

der Grundwasserspiegel zu sehr absinkt, wenn die Bundeswehr dort das Wasser direkt vor Ort anzapft. Dann stünde die einheimische Bevölkerung ohne Wasser da. Als Alternative wurde deshalb in Mali das Trinkwasser durch einen örtlichen Händler bezogen. Als dieser allerdings ausfiel bzw. sein Wasser nicht mehr den deutschen Hygieneregeln entsprach, musste das Wasser in Flaschen aus Deutschland eingeflogen werden. Da Deutschland für die Trinkwasserversorgung aller Einheiten zuständig war, kamen hier eine ganze Menge Flaschen und Flüge zusammen. Dieses Problem wird sich allerdings kaum lösen lassen, da sich die Feldlager in den Einsatzgebieten meistens dort befinden, wo normalerweise keine Menschen leben. Dass dort keine Menschen leben, hat allerdings meistens einen Grund und diesen Grund muss die Bundeswehr dann ausgleichen.

Elektroantrieb Ebenfalls interessant sind Elektroantriebe für Fahrzeuge. Als Vorteile bieten sie lautloses Fahren, tatsächlich stille Silent Watch sowie die Fähigkeit, direkt beim Start über 100 Prozent Energie bzw. Geschwindigkeit zu verfügen. Ein reiner Elektroantrieb bietet sich aufgrund der Unvorhersehbarkeit der Einsätze aktuell zwar noch nicht an,

Hybrid-Fahrzeugen gehört aber sicherlich die Zukunft, auch im militärischen Bereich. Das Unternehmen FFG Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft mbH (FFG) entwickelte vor wenigen Jahren den HybridPanzer “Genesis”. Der komplett eigenentwickelte 8x8-Radpanzer orientiert sich mit seinem modularen Aufbau am Boxer, bietet allerdings mehrere Vorteile. “Anders als bei Verbrennungsmotoren steht bei elektrischen Antrieben jederzeit das volle Drehmoment zur Verfügung, was in schwierigem Gelände oder für kurzfristig notwendige Beschleunigungen sehr vorteilhaft ist”, beschreibt das Unternehmen. Und ergänzt: “Im reinen E-Betrieb erlaubt das hybride, dieselelektrische Energiekonzept nahezu geräuschlose Fortbewegung oder auch den Betrieb der Bordsysteme für Aufklärung und Kommunikation, ohne dass ein Verbrennungsmotor dafür laufen muss (Silent Watch). In bestimmten Temperaturbereichen verursachen lediglich die Lüfter des Kühlsystems oder die Reifen Geräuschemissionen. Diese sind aber im Vergleich zu herkömmlichen Antrieben gering. Das Energiesystem des Genesis kann ebenfalls dazu genutzt werden, elektrische Energie im stationären Feldlagerbetrieb für andere Verbraucher bereitzustellen.” Andere Nationen forschen eben-

Foto: BS/FFG

falls in diese Richtung, vor allem unbemannte Systeme kommen vermehrt mit Elektromotoren auf den Markt. So zeigte General Dynamics im Oktober vergangenen Jahres auf der AUSA seinen neuen “Tracked Robot 10-Ton” (TRX). Zu den genutzten Technologien dieses unbemannten Systems gehören Künstliche Intelligenz, neue leichte Materialien sowie ein Hybrid-Elektroantrieb. Großbritannien und Kanada haben bereits die unbemannten Systeme Mission Master SP von Rheinmetall Canada eingeführt. Diese besitzen die Dimension ähnlich einem Pkw, eine Payload von 600 kg, eine Reichweite bis maximal 180 km und einen Elektroantrieb.

Weltweite Entwicklung Wie diese Beispiele zeigen, bewegt sich die Bundeswehr Richtung Green Energy. Der Diesel ist zwar noch der meistgenutzte Energieträger, dies wandelt sich allerdings aufgrund der besseren Nutzbarkeit Erneuerbarer Energien. In der Mobilität bieten hybride Antriebe zudem Vorteile, reine Elektromotoren sind allerdings in naher Zukunft nur bei der BwFuhrpark und kaum im Einsatz denkbar. Allerdings macht auch hier die Entwicklung rasante Fortschritte, sodass die nächste Generation Kampfpanzer durchaus ein E im Namen tragen könnte.

Nukleare Teilhabe und bewaffnete Drohnen Entscheidung soll bald fallen (BS/df) Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht haben sich Berichten zufolge über das weitere Vorgehen bei den beiden Rüstungsprojekten zur Tornado-Nachfolge und der Bewaffnung von Drohnen geeinigt. Die Tornado-Nachfolge soll dabei auf jeden Fall amerikanischen Ursprungs sein. In ihrem ersten Interview mit der Bild-Zeitung hatte Ministerin Lambrecht zur Tornado-Nachfolge noch gesagt: “Ich werde alle Optionen abwägen. Beim Eurofighter müssen wir klären, ob und wie schnell ihn die USA für atomare Waffen zertifizieren würden. Wir tun gut daran, auch eine europäische Lösung ganz konsequent zu prüfen.” Diese Prüfung fiel anscheinend negativ aus, was wenig erstaunt, da die USA größten Wert auf die Sicherheit aller mit ihren Atomwaffen verbundenen Systeme legen.

Bedingungen für amerikanische Integration Ohne eine komplette Offenlegung und Prüfung jedes einzelnen Elements, Software wie Hardware, der Eurofighter sowie den anschließenden Einbau der weiteren notwendigen Technolo-

gien durch die oder in Begleitung der USA wird kein Flugzeug zu einem Atomwaffenträger. Selbst wenn die Bereitschaft zur Offenlegung des gesamten Eurofighters bestanden hätte, wäre eine solche Anpassung sehr teuer geworden. Von Experten aus Bundeswehrkreisen war von einem Betrag um eine Milliarde Euro zu hören, nur um die Eurofighter für die nukleare Teilhabe zu befähigen. Es soll allerdings geprüft werden, ob der Eurofighter die Rolle des Elektronischen Kampfes vom Tornado übernehmen kann. Dies ließe sich sogar in Kooperation mit den anderen europäischen Eurofighter-Nutzern realisieren.

Bewaffnung der Drohnen Das zweite heiße Eisen, das anscheinend bald über die Zielgerade gebracht werden soll, ist die Bewaffnung von Drohnen.

Die ersten beiden Beschaffungsversuche von bewaffneten Drohnen waren 2017 und 2021 am Widerstand der SPD gescheitert. Nun gibt ein SPD-Kanzler die Zustimmung. Es handelt sich um die Drohne Heron TP, die als Waffenträger vorgesehen ist. Ursprünglich hatte die Luftwaffe die amerikanische Drohne Predator gefordert, die von den USA bereits mehrfach erfolgreich bewaffnet zum Einsatz kam. Sie wurde für den Kampf konzipiert, mit entsprechenden Flugeigenschaften. Die israelischen Heron-Drohnen sind hingegen Aufklärungsflugzeuge, mit ebenfalls den entsprechenden Flugeigenschaften. Selbstverständlich kann man als Payload unter jedes Flugzeug oder fliegende System Waffen oder Bomben packen, auch unter Segelflieger oder Aufklärungsdrohnen. Nur

besser wären natürlich Kampfflugzeuge.

Das bessere System? Dass von dem Predator zugunsten der Heron abgewichen wurde, war bereits 2017 ein Zugeständnis an die politischen Zweifler. Schließlich haben die USA ihre Predators mehrfach erfolgreich eingesetzt, unter anderem gegen Osama bin Laden. Ob diese Einsätze völkerrechtswidrig waren, mag diskutiert werden. Dass die Amerikaner hierbei die am besten geeignete Technologie einsetzten und der Predator seine militärischen Fähigkeiten erfolgreich beweisen konnte, steht hingegen außer Frage. So wird die Bundeswehr mit der bewaffneten Heron TP zwar ein sehr gutes, aber nicht das am besten geeignete System erhalten. Aus politischen Gründen.

(BS/df) Thales stellte im Dezember sein neues Visier mit Zielenttarnungsfähigkeiten sowohl für Tag- als auch NachtEinsätze namens XTRAIM vor. Dieses erfüllt in einem System mehrere Funktionen, die vorher nur unter Einsatz mehrerer separater Ausrüstungsteile realisiert werden konnten. XTRAIM soll mit allen schultergestützten Sturmgewehren (z. B. HK416) sowie leichten Maschinengewehren (FN Minimi) kompatibel sein und über eine sehr gute Präzisions-Nachtschussfähigkeit verfügen. Das System wurde in enger Zusammenarbeit mit den Anwendern entwickelt, um sicherzustellen, dass Design und Funktion den operativen Anforderungen entsprechen. Das neue Visier bietet entscheidende Vorteile in konventionellen und asymmetrisch geprägten Gefechtssituationen: Es wiegt weniger als 530 g (einschließlich der Batterien) und ist mindestens 70 mm kürzer als die üblichen alternativen Lösungen. Es entlastet und verbessert somit die Beweglichkeit und Ausdauer der Soldaten. XTRAIM ist ein vollständig integriertes Visier, das ein Leuchtpunkt-Reflexvisier mit Wärmebildtechnik vereint, um Ziele vor einem Hintergrund hervorzuheben (Enttarnungsfunktion). Das

Der “Tesla Tender”

(BS/df) Eine besondere Idee aus der Bundeswehr für die Bundeswehr wird aktuell bei der Deutschen Marine umgesetzt: Der Tesla Tender. Fregattenkapitän Volker Voß hatte die Idee von Software, die ein vollständiges taktisch-operatives Lagebild digital darstellen kann. Knapp zehn Jahre trieb er seine Idee voran, die nun mithilfe der Marine und des Cyber Innovation Hubs der Bundeswehr (CIHBw) in die Umsetzung geht. “Das System von Voß nennt sich MESE (Militärische erweiterbare Software-Entwicklung). Die Brücke wird dadurch digital. Ein großer Fortschritt für die TenderBesatzung. Denn der Tender ist nicht mit allen Systemen, die unter anderem auf einer Fregatte integriert sind, ausgestattet. So fehlt diesem Schiff ein Führungsund Waffeneinsatzsystem. Ein vollständiges taktisch-operatives Lagebild gibt es somit nicht”, erläutert die Bundeswehr. Der erste der sechs Tender der ElbeKlasse wurde 1993 in Dienst gestellt, also in jenem Jahr, in dem der erste grafikfähige Webbrowser (Mosaic) veröffentlicht wurde und das Internet wirklich nutzbar machte. Analoge Folien, Karten und Stifte sowie großvolumige und komplex zu nutzende Bedienkonsolen gehörten dementsprechend zum Standard auf den Schiffen. “Vom ersten Kennenlernen zwischen Voß und dem CIHBw bis

sehr helle Fadenkreuz im Visier ermöglicht die Identifizierung und Bekämpfung von Zielen auch in sehr hellen Umgebungen (zum Beispiel bei direktem Sonnenlicht). Für Einsätze bei Nacht ist XTRAIM mit allen Arten von Nachtsichtbrillen kompatibel. Bei dieser Konstellation werden Bilder aus der Nachtsichtbrille mit den Infrarotbildern des Waffenvisiers übereinandergelegt. Infolgedessen entsteht ein Fusionsbild, dass optisch getarnte Personen oder Gegenstände, die mit Restlichtverstärkertechnik oft erst auf kurze Distanz erkannt werden, sofort sichtbar macht. Ziele können so auch bei schlechten Licht- und Sichtverhältnissen frühzeitig enttarnt und bekämpft werden. Christophe Salomon, Executive Vice President, Land and Air Systems, Thales, sagte: “Die herausragende Kompetenz in den Bereichen Optik, Elektronik und Mechanik der Teams aus SaintHéand, Thales‘ globalem Kompetenzzentrum für den Bereich Optronik für Soldaten, hat die Entwicklung einer Lösung mit allen heutzutage verfügbaren operativen Möglichkeiten ermöglicht – mit unseren Kunden, für unsere Kunden. XTRAIM ist nichts Geringeres als eine Revolution für die Streitkräfte.”

zum Einbau auf dem Tender Mosel dauerte es knapp ein Jahr. Vorher wurde das System bereits auf anderen Schiffen getestet”, beschreibt die Bundeswehr. Dabei seien die Systeme aber immer nur temporär im Einsatz gewesen. Auf dem Tender Mosel soll das System dauerhaft bleiben. “Der Einbau im Dezember war der Startschuss. Die Software ist installiert, Kabel und Anschlüsse sind angepasst”, berichtet die Bundeswehr. “Für die Crew gab es mittels einer Simulationssoftware einen ersten Eindruck, was mit dem System möglich ist. Anfangs ist die Besatzung skeptisch gewesen. Nach den ersten Demonstrationen ist die Begeisterung dafür umso größer gewesen.” Auf einem Laptop oder ähnlichem kann nun das Lagebild digital dargestellt werden, inklusive aller Daten von den Sensoren des Schiffes. Die Übertragung findet per WLAN oder Kabel statt, je nachdem, welche Sicherheitsanforderungen gestellt werden. Das von einem Soldaten für die Bundeswehr entwickelte System ist also reif genug, um zum Standard für die gesamte Marine werden zu können. Aktuell findet die Nutzeranpassung auf dem Einsatzgruppenversorger Berlin statt. Prinzipiell soll die Software in allen Bereichen der Bundeswehr einsetzbar sein, auch in den fliegenden und den Landsystemen.


Behörden Spiegel / Januar 2022

Wehrtechnik

App statt Zettelwirtschaft

MELDUNGEN

Start der FAMOUS-Finanzierung (BS/df) Patria hat nun als industrieller Koordinator des Konsortiums FAMOUS (European Future Highly Mobile Augmented Armoured Systems) die Finanzhilfevereinbarung (GA) mit der Europäischen Kommission unterzeichnet. FAMOUS soll die Standardisierung und Interoperabilität von geschützten und gepanzerten Fahrzeugen in Europa verbessern. Im Fokus stehen dabei mehrere Fahrzeugtypen, wie z. B. zukünftige All-Terrain Vehicles (ATV), Light Armoured

Vehicles (LAV) und Kampfpanzer. Die im Dezember 2021 geschlossene Finanzierungsvereinbarung beläuft sich auf neun Millionen Euro und ermöglicht es dem Konsortium, dem 19 europäische Verteidigungsunternehmen angehören, mit der Entwicklung der nächsten Generation gepanzerter Fahrzeuge zu beginnen. Der Kick-off-Tag des FAMOUSKonsortiums war am 14. Dezember 2021, als das Programm mit Vertretern aus Industrie und EU offiziell gestartet wurde.

Baubeginn der bulgarischen MMPV (BS/df) Das deutsche Unternehmen NVL Group, das früher unter dem Namen Lürssen Defence firmierte, hat am 3. Dezember 2021 gemeinsam mit seinem lokalen Werftpartner MTG Dolphin den Bau des ersten von zwei modularen Mehrzweck-Patrouillenschiffen (MMPV) für die bulgarische Marine begonnen. Der Höhepunkt dieser traditionellen Zeremonie des Stahlschneidens war das Einschalten der Plasmaschneidanlage für den ersten Stahlschnitt. Beide Schiffe werden bei MTG Dolphin in Varna, Bulgarien, unter der Leitung der NVL Group und unter Mit-

wirkung zahlreicher bulgarischer Zulieferer gebaut. Die rund 90 Meter langen Schiffe mit einer Verdrängung von rund 2.300 Tonnen basieren auf einem bewährten Design von Lürssen und verfügen über ein erprobtes integriertes Combat-Management System von Saab. Das MMPVProjekt ist mit einem Gesamtvolumen von rund 420 Millionen Euro das derzeit größte Neubauprojekt der bulgarischen Marine. Die Auslieferung des ersten Schiffes ist für das dritte Quartal 2025 geplant, die des zweiten Schiffes ein Jahr später.

Mensch-Maschine-Interaktion (BS/df) Die Israelische Innovationsagentur hat die Gründung eines Konsortiums unter der Leitung von Elbit Systems genehmigt, das sich der Entwicklung von Technologien für die MenschRoboter-Interaktion widmen soll. Das Ziel ist, dass Robotersysteme auf die natürliche Kommunikation des Menschen – Sprache und Gesten – reagieren. Heutzutage arbeiten autonome Roboterplattformen meistens in einer “sterilen”, menschenfreien Umgebung, wie z. B. in Logistikzentren und automatisierten Produktions- und Montagelinien. Die Integration von Robotern in

ein gemeinsames Arbeitsumfeld mit menschlichen Teams wird es hingegen ermöglichen, Routineaufgaben auf Roboter zu übertragen und somit die Arbeitsbelastung der menschlichen Mitarbeitenden zu verringern, wodurch die Produktivität erhöht und ihre Rotation verringert werden kann. Eine solche Integration wird allerdings nur möglich sein, wenn die menschlichen Teammitglieder sich sicher damit fühlen und in der Lage sind, mit den Robotern in ihrer unmittelbaren Umgebung auf natürliche Weise zu kommunizieren.

EW-Systeme für die F-35 (BS/df) Die Electronic-Warfare (EW)-Systeme der F-35 Lightning II erhalten ein Upgrade von BAE Systems, damit das Kampfflugzeug neue elektromagnetische Bedrohungen schnell erkennen und bekämpfen kann. Der entsprechende Auftrag im Wert von 493 Millionen U.S. Dollar wurde von Lockheed Martin an BAE Systems vergeben. Im Rahmen des Vertrags wird BAE Systems eine verbesserte und hochleistungsfähige Kernhardware für das EW-Missionssystem der F-35 (AN/ASQ-239) liefern und technische Unterstützungsleistungen sowie eine Testinfrastruktur bereitstellen.

Das aufgerüstete System soll mit neuen Sensoren und einer leistungsfähigeren Signalverarbeitung das Situationsbewusstsein und die elektromagnetischen Angriffs- und Gegenmaßnahmenfähigkeiten verbessern. Die modulare Architektur des Systems erlaubt zudem zyklengerechte, planbare Hard- und Software-Upgrades. Das System umfasst zudem auch die NIEWTS-Funktionen (Non-Intrusive Electronic Warfare Test Solution) zur Fehlereingrenzung und -diagnose, die eine präzise Fehlersuche ermöglichen und die Wartungskosten weiter senken sollen.

ganisation für Verteidigungsmaterial (FMV) einen Auftrag für die nächste Phase des Programms zur Verlängerung der Lebensdauer des Torpedos 62. Der Auftrag umfasst Vorstudien und Konstruktionsarbeiten, welche die Prototypen von Teilsystemen zur Verbesserung des aktuellen Torpedos einschließen. Das Programm zur Verlängerung der Lebensdauer des Schwerge-

zeichnet. Der Torpedo 62 ist ein schweres Torpedosystem zur Bekämpfung von Über- und Unterwasserzielen. Er besitzt einen eigens für die schwedische Marine entwickelten Suchkopf sowie ein Antriebssystem mit hoher Kapazität und langer Ausdauer. Der Auftragswert beläuft sich auf 145 Millionen Schwedische Kronen mit Lieferung bis Ende 2023.

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Digitale Transformation initiiert aus den eigenen Reihen der Luftwaffe (BS/Dr. Stephanie Khadjavi*) Ein weiterer, bis dato noch in Papierform durchgeführter Prozessschritt steht vor dem Aus: Das Innovationsvorhaben MilAIS Preflight Manager App des Cyber Innovation Hubs der Bundeswehr (CIHBw) dient der Digitalisierung der “letzten Meile” der Flugvorbereitung zwischen Flugberaterinnen und Flugberatern sowie Pilotinnen und Piloten in der Luftwaffe. Gleichzeitig ist die App ein gutes Beispiel dafür, wie die BWI auch Intrapreneurship in der Bundeswehr fördert: aus der Truppe für die Truppe. Die zeitnahe, einfache sowie vorgabekonforme Bereitstellung von aktuellen bedarfs- und nutzerorientierten aeronautischen Informationen für den militärischen Flugbetrieb stellt eine besondere Herausforderung dar. Hierzu zählen sowohl die durch das Zentrum Luftoperationen veröffentlichten Informationen als auch internationale Luftfahrtveröffentlichungen. Konkret geht es um Themen wie Auskünfte zu Flughäfen, Anflugverfahren oder Überflugverbote. Aktuell werden bei der Vorbereitung militärischer Flugvorhaben (Preflight-Phase) Luftfahrtveröffentlichungen manuell als Informationspakete durch Flugberaterinnen und Flugberater im – auch zivil nutzbaren – Portal für Luftfahrtveröffentlichungen zusammengestellt (Portal MilAIS, die Kurzform von Militäry Aeronautical Service). Alsdann werden die individualisierten Informationspakete entweder direkt durch die Flugberater ausgedruckt und in Papierform übergeben oder als PDF-Datei per E-Mail an die Piloten gesendet. Spätestens sie drucken die Informationen aus und bereiten damit ihre Flüge vor. Änderungen und Aktualisierungen nach dem Ausdruck erfolgen regelmäßig handschriftlich. Ergebnis: eine lose “Zettelwirtschaft” mit eigenhändigen Ergänzungen und Streichungen. Dass ein solches Vorgehen weder effizient noch zeitgemäß ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. MilAIS stellt bereits seit 2012 Flugberatern und Piloten die zur Flugvorbereitung notwendigen aeronautischen Luftfahrtinformationen in geprüfter und vorgabekonformer Qualität bereit. Damit unterstützt es den schnellen und einfachen Zugriff auf Veröffentlichungen aus mehr als 70 Ländern, gesammelt in einer einheitlich strukturierten Quelle. Das Portal wurde entlang der EU-Vorgaben zur Bereitstellung von Luftfahrtdaten entwickelt.

Intrapreneurship in der Luftwaffe Die Idee, den aktuellen Prozess zur Flugvorbereitung mittels einer App durchgängig zu digitalisieren, existierte laut Hauptmann Michael Frick vom Zentrum Luftoperationen Nationale Führung

onsfluss zwischen den zuständigen Flugberatern im ZLO sowie den Flugberatern und Pilotinnen in den fliegenden Einheiten ein.

Die Innovation in der praktischen Nutzung im Cockpit eines Sea Lions. Foto: BS/Bundeswehr, Michael Frick

Dezernat III C bereits seit Langem. Es mangelte an der Umsetzung. 2019 erfuhr Hauptmann Frick bei einer Veranstaltung mit der Verteidigungsministerin vom CIHBw, einer durch das Bundesministerium der Verteidigung initiierten Innovationseinheit der BWI GmbH. Es kam Bewegung in die Sache. Hauptmann Frick kontaktierte den CIHBw und stellte die Idee zur App vor. In der ersten Jahreshälfte 2020 wurden dann der “Use Case” (Anwendungsfall) schrittweise geschärft, die Funktionsweise der App aus Anwendersicht genau bestimmt und das Innovationsvorhaben entstand. Bereits vier Wochen, nachdem man einen Dienstleister zur Programmierung der App gefunden hatte, stand der erste Prototyp. Die Testnutzer waren dabei in den Entwicklungsprozess stets eingebunden.

Weniger Aufwand, mehr Sicherheit Ziel des Innovationsvorhabens ist es, aeronautische Daten und Informationsprodukte zur Nutzung in der Flugvorbereitung vorgabenkonform und nutzerorientiert aus dem Portal MilAIS via App direkt auf Tablets zu übertragen. Dieses Vorgehen soll die aktuell gelebte “Zettelwirtschaft” ersetzen. Gleichzeitig lassen sich so Preflight-Daten schneller bereitstellen und die Zusammenarbeit zwischen Flugberater und Piloten verbessert sich beträchtlich. Auch wird die Informationssicherheit höher. In Summe liegt der erwartete Mehrwert dieses Innovationsvorhabens sowohl in zeitlicher als auch personeller Sicht in einem

erheblich geringeren Aufwand in der Flugvorbereitung sowie einer geringeren Fehleranfälligkeit. Die Dringlichkeit der Bedarfsdeckung durch eine solche App spiegelt sich gleichsam in den Zahlen wider: Derzeit sind 2.423 Benutzerkonten im Portal MilAIS registriert, das insgesamt Informationen aus 70 Ländern bereitstellt; der Datenbestand umfasst über 100 GB. Allein im Zeitraum April 2019 bis März 2020 wurden mehr als 300.000 Dokumente an die Nutzer ausgeliefert, ca. 78 Prozent davon entfallen auf die eigenen militärischen Luftfahrtveröffentlichungen.

Technisches Zusammenspiel Die “Preflight Manager App” wurde in Zusammenarbeit des Zentrums Luftoperationen (ZLO), der BWI GmbH und des Auftragnehmers MVPFactory entwickelt und zum Test auf 20 mobilen Geräten ausgerollt. Dabei kommen drei Testprodukte zum Einsatz: ein Klon des Portals MilAIS (bezeichnet als Portal MilAIS Demonstrator), die neu entwickelte Preflight Manager App sowie das Elektronische Kniebrett (EKB). Portal MilAIS Demonstrator Um den Nutzertest im Live-Betrieb durchführen zu können, ohne in Systeme des sicherheitssensiblen Bereichs der militärischen Luftfahrt einzugreifen, war es nötig, einen Demonstrator des Portals MilAIS aufzulegen. In diesem Portal werden durch das ZLO aeronautische Informationsdokumente für die PreflightPhase bereitgestellt. Das Portal MilAIS nimmt entsprechend eine Schlüsselfunktion im Informati-

Preflight Manager App Mit der Preflight Manager App wurde eine Software für mobile Endgeräte entwickelt, welche auf 20 EKBs aufgespielt wurde. Diese verteilen sich auf einen diversen Nutzerkreis, um eine Erprobung unter realen Einsatzbedingungen durchführen zu können. Das Zentrum Luftoperationen Nationale Führung, das Marinefliegergeschwader 3, das Taktische Luftwaffengeschwader 31, das Luftfahrtamt der Bundeswehr 3 II b sowie die U5.4-Flugsicherung im BAAINBw wurden bisher mit Lizenzen ausgestattet. Elektronisches Kniebrett Das EKB ist ein Tablet, welches die Luftfahrzeugführerinnen und Flugzeugführern im Cockpit zur Anzeige von Luftfahrtinformationen nutzen. Über dieses können Informationen, die für den Einsatz wesentlich sind, digital hinterlegt und abgerufen werden. Im Rahmen des Innovationsvorhabens stellt das EKB das mobile Endgerät dar, über welches die Preflight Manager App genutzt wird. Für die Nutzertests wurde in Abstimmung mit den jeweiligen bevollmächtigten Vertretern und der Projektleitung im BAAINBw auf bereits an Luftfahrzeugführer ausgegebene EKB zurückgegriffen. Vonseiten der BWI wurden LTE-SIM-Karten beschafft, um eine permanente Anbindung der Tablets an das Internet zu ermöglichen und somit auch zum Demonstrator des Portals MilAIS. Momentan wird die App mit 20 Testnutzerinnen und Testnutzern erprobt und sukzessive optimiert. Bei der Evaluation wird die Nutzerzufriedenheit kontinuierlich anhand einer monatlichen Umfrage ermittelt. Diese neue digitale Verknüpfung zwischen Flugberatern und Pilotinnen bzw. Piloten, wodurch sich auch deren Kommunikation verbesserte, erfährt eindeutig positive Resonanz. * Dr. Stephanie Khadjavi, Communications & Strategic Partnerships beim Cyber Innovation Hub der Bundeswehr

Umwidmung für die Sicherheit Kultur schlägt BOS bei der Frequenzvergabe

(BS/Dr. Barbara Held) Die Schlacht um das Spektrum der sogenannten dritten digitalen Dividende ist eröffnet. Im sonst eher unauffälligen MedienKapitel des Koalitionsvertrags haben die Ampel-Parteien einen potenziell folgenschweren Satz untergebracht: “Wir wollen das UHF-Band dauerModernisierung des Torpedos 62 haft für Kultur und Rundfunk sichern.” Gemeint ist das Spektrum zwischen 470 und 694 Megahertz (MHz), dessen Lizenzen in diesem Jahrzehnt (BS/df) Saab erhielt im Dezember wichtstorpedos der schwedischen zur Neuzuteilung anstehen. Auf Großteile dieser Frequenzen erheben aber bereits die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben 2021 von der schwedischen Or- Marine wurde erst 2020 unter- (BOS) Anspruch. Diese Frequenzen gehören aktuell bereits dem Bereich “Kultur und Medien”, der sich grob unterteilen lässt in a) Broadcasting – das als DVBT 2 bekannte terrestrische Fernsehen – und b) Firmen und Nutzer von Veranstaltungstechnik. Die Vertreter von “Kultur und Medien” bezeichnen diese

Frequenzen nun als einzige Möglichkeit für die weniger gut gestellten Teile der Bevölkerung, an Kultur – wobei Kultur mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gleichgesetzt wird – teilzuhaben. Allerdings konnte bisher niemand erklären, warum die deutschen Bürger im Jahr 2030 noch ter-

Zusammenarbeit für die Drohnenabwehr (BS/df) Mitte Dezember unterzeichneten Thales und MARSS ein Kooperationsabkommen zur gemeinsamen Entwicklung einer gemeinsamen Luftverteidigungslösung zum Schutz Kritischer Infrastrukturen, wobei besonders die Drohnenabwehr ein Hauptmerkmal sein soll. Die Zusammenarbeit wird sich auf

die Integration der NiDAR-C2Sicherheitsplattform von MARSS und des Drohnenbekämpfungssystems von Thales konzentrieren. Die daraus entstehende Thales-MARSS-Plattform soll ein besseres Lagebild schaffen und Bedrohungen, einschließlich neuer Bedrohungen, sicher bekämpfen.

Die mangelnden Funkverbindungen waren im Flut-Katastropheneinsatz eines der großen Probleme. Foto: BS/Bundeswehr, Tom Twardy

restrisches TV benötigen sollten. Zudem brauchen die Streitkräfte, Polizeien und Katastrophenschützer Funkfrequenzen zur Nutzung, die über bestimmte technische Voraussetzungen verfügen. BOS und Bundeswehr haben für den Aufbau der Infrastruktur bereits eine gemeinsame Frequenzstrategie formuliert und abgestimmt. BDBOS-Präsident Andreas Gegenfurtner stellte erst kürzlich das Entwicklungskonzept von Bund und Ländern für die einsatzkritische BOS-Kommunikation der Zukunft vor und betonte dabei, dass diese Planungen ohne Zuteilung entsprechender Frequenzen nicht realisierbar seien. Die Umwidmung der Frequenzen von 470 bis 694 MHz sei hierfür zwingend. Diese Umwidmung müsste auf der nächsten World Radio Conference, die 2023 stattfindet, ge-

schehen. Diese Weltkonferenz tagt in regelmäßigen Abständen und legt Frequenznutzungen fest, für alle Länder. Deutschland hat eine starke Stimme in der Konferenz und wird sich zudem mit am striktesten an die Beschlüsse halten. Die Freigabe zur Nutzung der Frequenzen für Mobilfunk wäre also wünschenswert. Auf der Seite von “Kultur und Medien” stehen allerdings einschlägige Lobby-Organisationen, die publikumswirksam ihr Recht auf die “Kulturfrequenzen” gegenüber einer angeblich militärisch dominierten Nutzung im Sicherheitsbereich behaupten. Dass es bei BOS-Funk und Bundeswehr gegebenenfalls um lebensrettende Kommunikation in Katastrophenlagen geht, scheint dabei vernachlässigt betrachtet zu werden.


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eshalb finden Kontrollen und Befragungen teilweise an den Abfluggates oder sogar kurz vor dem Einsteigen in das Flugzeug statt”, so Rademacher. Und das zumeist in Zivilkleidung. Dabei werde sowohl vor als auch hinter der Bordkartenkontrolle und im Abflugbereich agiert, erläutert der Beamte der Besoldungsgruppe A 11, der seit Februar 2019 an der Spitze der Einheit steht. “Dabei stehen wir oft unter Zeitdruck”, berichtet der gebürtige Hesse. Denn die Fluggesellschaften würden pünktlich abheben wollen. Hinzu komme, dass auch das aufgegebene Gepäck kontrolliert werde. Auch das könne zu Verzögerungen im Flugbetrieb führen. Um diese zu vermeiden oder zumindest möglichst gering zu halten, kooperiere man eng mit dem Flughafenbetreiber, der Fraport AG. Rademacher, der 1998 in die Zollverwaltung eintrat und bis zum Jahr 2000 die Laufbahnausbildung im mittleren Grenzzolldienst durchlief, erklärt die rechtliche Lage bezüglich der Ein- und Ausfuhr von Barmitteln. “Barmittel von mehr als 10.000 Euro müssen bei der Ausreise in Drittstaaten oder bei der Einreise aus solchen Ländern in die Bundesrepublik angemeldet werden. Dies hat bei der Ausreise vor Betreten des Luftsicherheitsbereiches mithilfe eines auszufüllenden Vordrucks zu erfolgen.” Dabei seien die Herkunft und der Verwendungszweck offenzulegen. Die Reisenden hätten diesbezüglich eine “weitgehende Mitwirkungspflicht”. Momentan sei eine Barmittelanmeldung elektronisch noch nicht möglich. Mittelfristig sei dies allerdings geplant.

Behörden Spiegel / Januar 2022

“Wir stehen auch an den Abfluggates” Jan Rademacher leitet eine Zolleinheit für Barmittelkontrollen (BS/Marco Feldmann) Der Zoll hat einen vollumfänglichen Kontrollansatz. Dazu gehören neben Überprüfungen bei der Einreise auch solche bei der Ausreise. Und hier kommen Jan Rademacher sowie seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Spiel. Denn der 40-jährige Zollamtmann steht an der Spitze einer Einheit für Barmittelkontrollen am größten deutschen Flughafen in Frankfurt am Main. Im Gegensatz zu anderen Zöllnerinnen und Zöllnern liegt sein Fokus auf abfliegenden Passagieren.

So oft wie möglich selbst im Einsatz

Jan Rademacher und seine Kollegen von der Kontrolleinheit Barmittel am Frankfurter Flughafen kontrollieren auch von Reisenden aufgegebenes Gepäck. Dabei nutzen sie stationäre und mobile Röntgenanlagen. Foto: BS/Feldmann

Barmittel umfassen bei Weitem nicht nur Bargeld Laut Rademacher, der ab dem Jahr 2000 in verschiedenen “Kontrolleinheiten Flughafen Reiseverkehr” (KEFR) des Hauptzollamtes Frankfurt am Main eingesetzt war, zählen unter anderem Bargeld in allen Währungen, sogar noch Deutsche Mark, Reiseschecks und übertragbare Inhaberpapiere zu den Barmitteln. Gleiches gelte für Goldbarren ab einem Reinheitsgehalt von 99,5 Prozent, Münzen mit einem Goldgehalt von mindestens 90 Prozent und gleichgestellte Zahlungsmittel wie Silber, Edelsteine und Platin. Letztere seien im innergemeinschaftlichen Verkehr zwischen den Staaten der Europäischen Union sowie bei Verbindungen in Drittstaaten jedoch nur auf Befragen anzugeben. “Gleiches gilt im innergemeinschaftlichen Verkehr für Barmittel im Gesamtwert von mehr als 10.000 Euro”, unterstreicht der Zollbeamte, der 2015 das Aufstiegsverfahren in den gehobenen Zolldienst begann und dieses 2017 erfolgreich abschloss. Rademacher erklärt die rechtliche Lage. “Die Nicht-Anmeldung von Barmitteln in Höhe von mehr als 10.000 Euro stellt eine Ordnungswidrigkeit dar. Zudem prüfen wir bei Aufgriffen, ob Anhaltspunkte für Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung vorliegen.” Dies geschehe auch bei Flügen des innergemeinschaftlichen Verkehrs und bei Beträgen, die unter der Grenze von 10.000 Euro lägen. Ergebe sich hier ein Verdacht, könnten die Barmittel für 30 Tage sichergestellt werden. Und dafür brauche es noch nicht einmal den Anfangsverdacht einer Straftat. “Dann findet ein Clearing-Verfahren außerhalb der Strafprozessordnung statt”, so der Kontrolleinheitsleiter. Nach Ablauf der Frist könne die dann zuständige Zollfahndung beim jeweiligen Amtsgericht eine Verlängerung der Sicherstellung um insgesamt 90 Tage beantragen. Bei seiner Arbeit gebe es zahlreiche Schnittmengen mit anderen Behörden, erklärt Rademacher, der Mitglied

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) vorliegt. Als sein persönliches Highlight sieht Rademacher unterdessen die Sicherstellung von 8,5 Millionen Euro in Koffern, die in Richtung Libanon gehen sollten. “Das Geld kam aus dem Handel mit Betäubungsmitteln und hier gab es dann eine rechtskräftige Verurteilung wegen Geldwäsche”, berichtet er.

Teilweise erhalten die Kräfte der Kontrolleinheit auch tierische Unterstützung von Bargeldspürhunden. Foto: BS/Feldmann

in verschiedenen bundes- und europaweiten Arbeitsgruppen mit dem Themenschwerpunkt risikoorientierte Barmittelkontrollen ist. “Wir haben enge Kontakte zur Bundespolizei. Ganz besonders stark sind wir mit der Zollfahndung und der “Gemeinsamen Finanzermittlungsgruppe Hessen” verzahnt. Über die Kriminellen und ihre Arbeitsweise sagt der Zollamtmann: “Teilweise nutzen sie Verstecke wie im Rauschgiftbereich.” Dabei würden unter anderem Kakaopulververpackungen, doppelte Böden und Lebensmittel sowie Getränke genutzt. “Wir haben Barmittel bereits in Schinken, in Kinderüberraschungseiern und sogar in Portwein entdeckt”, erzählt der 40-Jährige. Dem versucht Rademachers Kontrolleinheit mit einem risikoorientierten Ansatz zu begegnen. Dazu erläutert der Zöllner: “Unseren Dienstplan bestimmt das Risiko eines jeweiligen Fluges.” Die Kontrollen fußten immer auf einer Risikoanalyse und umfassten grundsätzlich die Passagiere und deren (aufgegebenes) Gepäck. Dabei seien seine Kräfte sehr dynamisch und flexibel einsetzbar. “Das ist auch dringend notwendig. Denn die Verstecke der Täter wandeln sich kontinuierlich.” Stillstand würde hier Rückstand bedeuten.

Teilweise waren Maschinen schon abflugbereit Es sei sogar schon vorgekommen, dass Kräfte der Kontrolleinheit Barmittel Reisende aus abflugbereiten Maschinen wieder herausgeholt und dann einer Kontrolle unterzogen hätten. Hierzu sagt Rademacher: “Wir dürfen Flugzeuge betreten und darin befindliche Passagiere kontrollieren, solange die Türen des Fliegers noch geöffnet sind.”

Auch Flughafenmitarbeiter und Crewmitglieder würden stichprobenartig kontrolliert. Dabei werde immer mindestens im Vier-Augen-Prinzip gearbeitet. “Sobald es Bargeldaufgriffe, deren Erfassung und Bearbeitung sehr zeit- und arbeitsintensiv ist, gibt, werden noch mehr Kolleginnen und Kollegen hinzugezogen.” Denn dann gehe es – zumindest wenn Anhaltspunkte für Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung vorlägen – neben der Befragung der Reisenden zur Herkunft und zum Verwendungszweck der Barmittel auch um die Dokumentation des Auffindens sowie der vorgelegten Dokumente und um die Bargeldsicherstellung beziehungsweise -inverwahrnahme. Bestünden solche Verdachtsmomente nicht, werde schlicht eine Ordnungswidrigkeitsanzeige gefertigt. Hierbei seien Bußgelder bis zu einer Million Euro möglich. Neben dem Personaleinsatz gebe es am Frankfurter Flughafen auch eine Diensthundestaffel mit aktiven und passiven Barmittelspürhunden. Während die aktiven Vierbeiner Barmittelfunde durch Anbellen und ähnliche Handlungen anzeigten, setzten sich passive Barmittelspürhunde nur vor die betreffende Person und ließen diese nicht mehr passieren. “Außerdem greifen wir auf Röntgengeräte zurück. Dabei verwenden wir sowohl stationäre als auch mobile Lösungen”, berichtet Rademacher. Viel hänge allerdings auch vom Gespür und den interkulturellen Kompetenzen seiner Kolleginnen und Kollegen ab, die viel mit den Reisenden interagierten, sich von diesen unter anderem den Reisepass zeigen ließen und nach dem Grund der Reise fragten. Zu Übergriffen komme es glücklicherweise nur äußerst selten. Es werde aber regelmäßig das

Barmittel werden in verschiedenen Behältnissen geschmuggelt und vom Zoll entdeckt. Aufgriffe gab es auch schon in Kakaopulververpackungen (Foto). Foto: BS/Hauptzollamt Frankfurt am Main

sogenannte “smurfing” festgestellt. Unter diesem “Schlumpfen” verstehe man das Mitführen von Barmitteln knapp unterhalb der 10.000-Euro-Grenze, erklärt der Zollbeamte, der 2016 einen einwöchigen Workshop “Control of cross-border money transfer” für die montenegrinische Zollverwaltung im Auftrag der Weltzollorganisation in Podgorica durchführte. Rademacher, dessen Kontrolleinheit derzeit 26 Dienstposten umfasst, berichtet zudem: “Während der CoronaPandemie haben wir keinen Rückgang bei den Sicherstellungen verzeichnen können. Bei den Anmeldungen und Verstößen gegen die Anmeldepflicht jedoch gab es zurückgehende Zahlen.”

Highlight war 8,5-MillionenSicherstellung Und noch etwas hat der Zollamtmann, der im Rahmen des Erfahrungsaustausches im Bereich der risikoorientierten Barmittelkontrollen schon mehrfach ausländische Flughafendienststellen besucht hat, festgestellt: “Seit der Abschaffung der 500-EuroBanknoten brauchen die Kriminellen wieder mehr Platz für ihr Schmuggelgut. Für uns vom Zoll bedeutet das wegen der dann kleineren Stückelung noch mehr Aufwand als ohnehin schon.” Kryptowährungen wie Bitcoins spielten hingegen noch eine untergeordnete Rolle, zumal sie auch nicht der Anmeldepflicht unterlägen. Relevant sei jedoch das sogenannte “Hawala-Banking”. Dieses System basiert auf persönlichem Vertrauen. Es ist in muslimischen Ländern als kostengünstige Überweisungsmethode seit Jahrhunderten verbreitet. So kann ein Kunde Bargeld über einen Händler an einen Partner am Zielort auszahlen lassen. Hawala wird auch zur

Geldwäsche missbraucht und ist deshalb in Deutschland verboten, sofern keine Genehmigung der

Regulär dauern die Schichten von Rademacher, der auch Fachvorträge zum Thema Barmittelkontrollen hält und sich in der Ausbildung von Nachwuchskräften engagiert, und seinen Mitarbeitern acht Stunden. “Teilweise kommt es wegen der dynamischen Lage nach Sicherstellungen jedoch zu längeren Arbeitszeiten.” Dabei lobt er, der gebürtig aus der Nähe von Wiesbaden stammt und laut eigener Aussage schon immer am Flughafen arbeiten wollte, sein Team: “Mein ganzes Team ist sehr engagiert. Hier kann sich jeder auf jeden verlassen.” Er begrüßt die Streichung des Vortatenkatalogs im Geldwäsche-Paragrafen des Strafgesetzbuches. Der neue, sogenannte “All-Crimes-Ansatz” helfe bei seiner Arbeit sehr. Danach kann jetzt leichter wegen Geldwäscheverdachts ermittelt werden. Rademacher selbst, der in seiner Freizeit gerne reist, versucht, noch so oft wie möglich selbst mit in den Einsatz zu gehen. “Das finde ich wichtig, um zu wissen, was draußen los ist.” Allerdings sei ihm das früher öfter gelungen. Denn inzwischen sei er stark auf der administrativen Ebene gefordert. “Ich muss viele Absprachen treffen, etwa mit anderen Behörden oder dem Flughafenbetreiber”, sagt er. Aber genau das sei so spannend, unterstreicht Rademacher, der 1998 schon mit 17 Jahren beim Zoll eingestellt wurde. “Die Arbeit am Flughafen reizt mich besonders, weil kein Tag wie der andere ist”, erläutert der begeisterte Hobbykoch. Zudem sagt er: “Barmittel waren schon immer mein Steckenpferd.”

Das Hauptzollamt Frankfurt am Main (BS/mfe) Das Hauptzollamt Frankfurt am Main ist eines von bundesweit 41 Hauptzollämtern. Hinzu kommen acht Zollfahndungsämter. Die Hauptzollämter als Ortsbehörden sind erste Ansprechpartner für die Wirt- Die Kräfte des Hauptzollamtes Frankfurt am Main schaft sowie für die sind unter anderem auch für den Flughafen der Bürgerinnen und Bankenmetropole zuständig. Foto: BS/Feldmann Bürger. Sie sind zuständig für die zollamtliche Behandlung von Waren und für die Bewilligung sowie Überwachung zollspezifischer Fachverfahren. Dabei prüfen sie auch die Möglichkeit von Verfahrensvereinfachungen für die Wirtschaftsbeteiligten. Das Hauptzollamt Frankfurt am Main, in dem das ehemals eigenständige Hauptzollamt Frankfurt am Main – Flughafen 2013 aufgegangen ist, ist für das gesamte Stadtgebiet der Mainmetropole und für den größten deutschen Verkehrsflughafen zuständig. Es verfügt über verschiedene Kontrolleinheiten, unter anderem zum Auffinden von Barmitteln. Dabei kümmert sich eine Kontrolleinheit um die Überprüfung der Reisenden und von deren Gepäck. Die Kräfte einer zweiten Kontrolleinheit Barmittel überwachen den Frachtverkehr. Am Frankfurter Flughafen wurden in der Vergangenheit die meisten und höchsten Barmittelaufgriffe deutschlandweit verzeichnet. Im Rahmen von kürzlich durchgeführten Schwerpunktkontrollen wurden innerhalb von drei Tagen insgesamt 5.287 Passagiere und 8.503 Gepäckstücke kontrolliert. Es waren fast 90 Beamte im Einsatz. Die Kontrollen ergaben insgesamt 31 Beanstandungen. In 23 Fällen wurde wegen eines Verstoßes gegen die Barmittelanmeldepflicht ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Weiterhin wurden fünf kombinierte Bußgeld- und Clearing-Verfahren sowie zwei Clearing-Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung eingeleitet, da in diesen Fällen Annahmegründe für Geldwäsche bestanden. Die Höhe der nicht angemeldeten Barmittel beläuft sich auf rund 629.200 Euro. Im Rahmen der Clearing-Verfahren wurden 228.480 Euro sichergestellt. Zudem wurden bei Reisenden ohne Wohnsitz in Deutschland 70.550 Euro an Sicherheitsleistungen für die zu erwartenden Bußgelder erhoben. Außerdem gibt es beim Hauptzollamt Frankfurt am Main, das unter der Leitung von Markus Tönsgerlemann steht, weitere Kontrolleinheiten, zum Beispiel für den Kampf gegen den Handel mit Betäubungsmitteln.


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