Behörden Spiegel Februar 2021

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. II / 37. Jg / 7. Woche

Berlin und Bonn / Februar 2021

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Der Personalaufwuchs geht weiter

Sapere aude, Deutschland

Helfer für Betroffene von Hatespeech

Doris Drescher und Steffen liney zu Plänen für das Fernstraßen-Bundesamt.................7

Ammar Alkassar zu Experimentierräumen, Mut und Kulturwandel �����������������������������������������26

Klaus-Dieter Hartleb zu Hass und Hetze im Internet......................................................... 43

Fluch und Segen

Bundesbedienstete mit Wirecard-Aktien (BS/stb) Zwei Mitglieder der mit der Wirecard AG befassten Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) haben mit Aktien des Skandalunternehmens gehandelt, ohne dies mitzuteilen. So die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag. Zum einen handelt es sich um den derzeit beurlaubten APASLeiter. Dieser hatte zu seinen Aktiengeschäften im WirecardUntersuchungsausschuss des Bundestages ausgesagt. Ein weiterer Mitarbeiter habe zwischen Februar 2019 und Juni 2020 mehrfach Aktien des Finanzdienstleisters erworben und veräußert. Eine Meldepflicht habe in dem Fall nach APASGeschäftsordnung nicht bestanden, weil der Wert der Aktien nach Angaben des Mitarbeiters unter fünf Prozent seines Vermögens gelegen habe.

Keine rein digitalen Ratssitzungen (BS/stb) Im Freistaat Bayern soll es auch in Zukunft keine rein digital durchgeführten Gemeinderatssitzungen geben. Zwar bereitet das Innenministerium ein Gesetz vor, das es Ratsmitgliedern erlauben würde, sich per Videokonferenz zuzuschalten und abzustimmen. Dabei müsse aber mindestens der Vorsitzende im Sitzungsraum anwesend sein. Grundsätzlich solle kein Mitglied gezwungen werden, digital teilzunehmen. Um in der Pandemie Kontakte einzuschränken, hatte Baden-Württemberg im Mai 2020 digitale Gemeinderatssitzungen erlaubt. Die brandenburgische Landesregierung erarbeitet derzeit ebenfalls ein entsprechendes Gesetz.

Bär fordert Zukunftsministerium (BS/pet) Die Frage, ob ein eigenständiges Digitalressort entscheidende Impulse für die Digitalisierung geben könnte, ist umstritten. Nun meldete sich Staatsministerin Dorothee Bär zu Wort: In einem Interview mit dem Behörden Spiegel plädiert Bär statt für ein Digitalisierungsfür ein Zukunftsministerium. Zwar sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Digitalisierungsministerium schon in der nächsten Legislaturperiode komme. Für Bär weitaus attraktiver wäre jedoch ein Zukunftsministerium, das sich neben Fragen der Digitalisierung auch anderer Querschnittsbereiche annehme. Tendenziell nehme die Anzahl der Themen, die ausschließlich in einem Ministerium behandelt würden, eher ab. Vor allem aber sollte sich die Politik davon verabschieden, in Legislaturperioden zu denken und sich stattdessen die Frage stellen, wo Deutschland in 20 oder gar 30 Jahren stehen solle.

Wie schlägt sich der Föderalismus in der Krise? (BS/Jörn Fieseler) Die Diskussion über den Föderalismus in Krisenzeiten und dessen Tauglichkeit reißt nicht ab. Uneinheitlichkeit, Unübersichtlichkeit und Unfähigkeit sind nur drei Schlagworte, die Föderalismuskritiker nennen. Doch der Umgang mit der Krise hat mit dem staatlichen Organisationssystem als solchem wenig zu tun. Entscheidend sind die jeweiligen Akteure. Beispiele für die Argumentation der Kritiker gibt es in der CoronaKrise genug. Man erinnere sich an die unterschiedlichen landesspezifischen Regelungen zum Tragen von Masken im Öffentlichen Personennahverkehr oder an die differenten Regelungen, für welche Schülerinnen und Schüler Präsenzunterricht gilt oder nicht, ob Homeschooling verordnet wird oder der Schulbesuch auf freiwilliger Basis möglich ist. Das Bild setzt sich bei den Vorschlägen zu einem Stufenplan fort. Mit Thüringen hat nun nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein das dritte Land einen Plan erarbeitet, welche Lockerungen abhängig von der Infektionsentwicklung möglich sein sollen oder nicht. Alle weisen sie in die gleiche Richtung, doch hat jeder eigene Akzente gesetzt. Zu meinen, dass durch eine Zentralisierung beim Bund alles besser werde, ist ein “zen­ tralstaatlicher Irrglaube”, wie es Prof. Dr. Udo di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, formulierte. Dazu reicht ein Blick nach Frankreich. Zudem ist die föderale Staatsordnung für das Selbstverständnis der Bundesrepublik essenziell. Dazu genügt ein Blick ins Grundgesetz (GG). Einerseits ist der Föderalismus Bestandteil der Ewigkeitsklausel in Art. 79 Abs. 3 GG, die die Gliederung

Beim ewigen Streitthema “Föderalismus versus Zentralismus” prallen Welten aufeinander. In der aktuellen Pandemie sehnen sich Kritiker nach mehr zentraler Entscheidungsgewalt. Dabei entfaltet ein richtig verstandener und gelebter Föderalismus gerade in der Krise seine Stärke als Garant der Demokratie. Foto: BS/Creativeshot, stock.adobe.com

des Bundes in Länder und die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung festschreibt. Andererseits haben die Länder nach Art. 70 GG das allgemeine Recht zur Gesetzgebung, eingeschränkt durch den Zusatz “wenn nicht dem Bund die Gesetzgebungskompetenzen zugestanden werden”. Fehlt dem Bund die Gesetzeskompetenz, kann er den Ländern nur Empfehlungen geben, die diese annehmen und umsetzen müssen. Doch gerade darin liegt

auch die Stärke des Systems: in der zügigen, angemessenen, verhältnismäßigen, aber auch regional zugeschnittenen Handlungsmöglichkeit. Denn gerade die regionale Differenziertheit Deutschlands macht unterschiedliche Lösungen erforderlich. So sind beispielsweise in Nordrhein-Westfalen mit einer Einwohnerdichte von 526 Einwohnern pro km2 andere Maßnahmen erforderlich als in Mecklenburg-Vorpommern mit 69 Menschen pro km2 (Stand 31.

Dezember 2019). Ebenso rechtfertigen Inzidenzen von über 250 im Süden der Republik nicht grundsätzlich Gastronomiebeschränkungen im Kreis Plön im Norden Deutschlands. Entscheidender ist das Zusammenspiel aller Gebietskörperschaften. Das bewerten 73 Prozent in Deutschland derzeit negativ, warnt Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion, mit Blick auf eine demoskopische Studie. Deshalb fordert er eine

Kommentar

Homeoffice – Reiz & Risiko (BS) Die Schweizer Armee zeigte sich wieder vorbildlich. Sie ging schon vor ein paar Wochen ins Homeoffice, um die Eidgenossenschaft gegen feindliche Eindringlinge vom Partykeller oder der Küche aus zu verteidigen. Die Bundeswehr wollte nachziehen und vermeldete Erfolgsmeldung auf Erfolgsmeldung: Immer mehr Soldaten sind im Homeoffice. Auch die Polizeien in Thüringen und Nordrhein-Westfalen zogen nach. Sie bekämpfen ab sofort das Organisierte Verbrechen von zu Hause aus. Selbst das Regieren lässt sich problemlos von zu Hause aus organisieren. Die Bundesministerien gaben an, derzeit zwischen 70 bis 80 Prozent ihrer Arbeitenden im Homeoffice zu haben. Also ist Homeoffice ein kompletter Ersatz für Präsenz am Arbeitsplatz? In der Wirtschaft ist man schon seit Jahren viel weiter und hat Regelungen für “mobiles Arbeiten” geschaffen. Das ist etwas anderes. Das bedeutet nämlich, dass Mitarbeiter technisch so ausgestattet sind, dass sie zu jeder Zeit und an jedem Ort – z. B. auch auf Dienstreisen – am Unternehmensgeschehen teilhaben können. Aus der pandemiebedingten Notwendigkeit darf doch nicht ernsthaft jetzt eine dauerhafte Regelung über Homeoffice und womöglich sogar ein “Guthaben” von 20 Tagen entwickelt werden. Wir leben in einer Krise. Doch die Politik neigt dazu, in der Krise ihre Wunschvorstellungen ohne große Umschweife Realität werden zu lassen: Pop-up-Fahrradwege.

Es geht vielmehr darum, die Organisationen und ihre Mitarbeiter für mobiles Arbeiten nach der Krise zum einen technisch auszustatten und zum anderen auch zu befähigen: Equipment und Digitalkompetenz. Weder lässt sich der Feind noch der Kriminelle aus dem Homeoffice bekämpfen. Es ist also dringend geboten, die aktuelle Homeoffice-Diskussion von der strategischen Änderung der Arbeitsverhältnisse für die nächste Zukunft zu trennen. Das Arbeiten von zu Hause, aus der eigenen Werkstatt oder dem Bauernhof heraus sind ein Kennzeichen vor- und frühindustrieller Gesellschaften. Welche Bedeutung und welchen Umfang mobiles Arbeiten in der modernen post-

industriellen Dienstleistungsgesellschaft haben wird, bleibt ein Findungsauftrag für die Zukunft. Hinzu kommt, dass für die Beschäftigen hier auch ein Risiko entstehen könnte, denn die Leistungsbilanz der Einzelnen oder des Einzelnen werden durch Homeoffice transparent und messbarer. Im Homeoffice bleibt nur die nackte Beurteilung nach Arbeitsergebnissen, nicht nach Sozialkompetenz, Problemlösungen im Team usw. Homeoffice ist also nicht nur ein Vorteil, sondern auch ein Risiko. Das haben offensichtlich viele vehemente Befürworter bisher noch nicht bedacht. Homeoffice ist also Reiz, aber auch Risiko.

Uwe Proll

Druckluft

gemeinsame, langfristige Strategie. Die muss der Bund vorlegen, selbst wenn er den Ländern nur die Annahme empfehlen kann. Im Sinne der strategischen Steuerung müssen darin nicht sämtliche Verhaltensweisen bis ins kleinste Detail geregelt werden. Vielmehr geht es darum, Tatbestandsvoraussetzungen und Folgen so zu regeln, dass sie anschließend standardisiert über die Länder ausgebreitet werden und den Ländern, wenn möglich, sogar Spielräume im Sinne eines Korridors zur Verfügung stellen. Und noch ein anderer Aspekt spricht für das föderale System: “Die freiheitssichernden, demokratie- und effizienzsteigernden Vorteile föderaler Koordinationsund Entscheidungsprozesse werden in der öffentlichen wie in der wissenschaftlichen Diskussion gerne übersehen”, unterstreicht Nathalie Behnke, Professorin und Leiterin des Arbeitsbereichs “Öffentliche Verwaltung, Public Policy” am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt. Damit verbindet der Föderalismus Einheit mit Vielfältigkeit. Das mag für manchen ein Fluch, für andere ein Segen sein. Auf jeden Fall ist es, um es mit den Worten von Bundesinnenminister Horst Seehofer zu sagen: “das beste Modell für die Demokratie”.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / Februar 2021

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein föderaler Staat und setzt sich aus 16 Bundesländern zusammen. Diese Vielfalt führt in vielen Politikfeldern zu unterschiedlichen Ansätzen und Lösungen. Der Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit ist das nicht immer zuträglich. Foto: BS/bluedesign, stock.adobe.com

Der föderale Staat Berücksichtigung ohne Quote Berlin: Verwaltung soll bunter werden...................................................................... Seite 4

Der Personalaufwuchs geht weiter Fernstraßen-Bundesamt mit ambitioniertem Plan für 2021...................................... Seite 7

Grundsteuerreform in den Ländern

Bislang oft nicht anerkannt

Viele Bundesländer weichen vom Bundesmodell ab................................................ Seite 8

Corona-Infektionen werden kaum als Dienstunfälle gewertet.................................. Seite 36

Grundlage für Feuerwehr-App gelegt

Es braucht Vernetzung

Modell aus Sachsen aufgegriffen .......................................................................... Seite 22

Kriminalität kann nur noch übergreifend bekämpft werden.................................... Seite 37

Jeder für sich oder einer für alle?

Machtfragen stehen einer Lösung im Wege

Beschaffen und Lagern im Katastrophenschutz ..................................................... Seite 35

Nationaler Sicherheitsrat in Deutschland umstritten.............................................. Seite 42 Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innen Spiegel

Neues “E-Mobility-Magazin” erschienen Der Ratgeber für die Mobilität von morgen

→ WEBKONFERENZ

Tag der Beteiligungsverwaltung 23. Februar 2021

(BS/wim) Bereits seit vier Jahren begleitet der Behörden Spiegel die Entwicklungen rund um E-Mobilität in den Fuhrparks. Mit dem Jahreswechsel ist nun die neue Ausgabe des jährlichen “E-Mobility-Magazins” erschienen. Dieses liefert einen kompakten Eindruck von Perspektiven und Positionen zu allen Themen der Mobilität von heute und morgen.

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Vom passiven Verwalten zum aktiven Steuern DER Treffpunkt für das Beteiligungsmanagement, öffentliche Unternehmen, Politik und Aufsichtsrat Herausforderungen der Covid-19-Pandemie für den Konzernverbund Stadt Dr. Sibylle Roggencamp, Amtsleitung Vermögens- und Beteiligungsmanagement, Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg Warum eigentlich Töchter? – die Beteiligungsverwaltung und die Stadtwirtschaftsstrategie der Wissenschaftsstadt Darmstadt Prof. Dr. Klaus-Michael Ahrend, Vorstand HEAG Holding AG – Beteiligungsmanagement der Wissenschaftsstadt Darmstadt Praxis-Dialog: Neuausrichtung der Beteiligungssteuerung – zukunftsfähig, nachhaltig, krisenfest Moderation: Dr. Martin Schellenberg, Rechtsanwalt und Partner, Kanzlei HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK

Workshops u. a. zu den Themen: • Stadtwirtschaftsstrategie der Freien und Hansestadt Hamburg • Herausforderung der Covid-19-Pandemie aus Sicht des Beteiligungsmanagements • Nachhaltigkeit in der Beteiligungssteuerung • Analyse und Steuerung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften • Inhouse-Fähigkeit von Beteiligungsgesellschaften • Liquiditätsmanagement und Cash-Pooling • Übergeordnetes Controlling von Bauprojekten • Berichtserstellung auf Knopfdruck • D-PCGM – wie können die Regelungen nutzenstiftend in die Praxis umgesetzt werden? • PCG als Mittel zur Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit

www.beteiligungsverwaltung.org

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Fachvorträge und Key-Notes u. a. von:

In den vergangenen Jahren konnten sich die Elektromobilität und dazugehörige Mobilitätskonzepte immer mehr in Staat, Verwaltung und Gesellschaft verankern, sodass der Wandel mittlerweile auch im Alltag immer spürbarer wird. Zukunftskonzepte von gestern sind bereits Realität und regelmäßige Innovationen halten die Branche in Bewegung. Und nicht nur die Fahrzeuge, sondern auch die Infrastrukturen nähern sich der Praxistauglichkeit. Kommunen und Behörden sind an dieser Stelle schon früh vorweggegangen und haben in den vergangenen Jahren viele Anreize für ihre Mitarbeiter geschaffen, auf elektrische Mobilitätslösungen umzusteigen. Auch für Bürger und private Unternehmen gibt es immer neue Möglichkeiten, sich aktiv am Verkehrswandel zu beteiligen. Ist der Ausbau der Ladesäulen im öffentlichen und privaten Raum der großen Städte mittlerweile auf ein ordentliches Niveau angewachsen, so muss der Ausbau der Infrastrukturen nun endlich auch flächendeckend im Fernstraßennetz ankommen, um Fahrzeuge mit Elektro-Antrieb überall schnell und unkompliziert laden zu können. Zudem braucht es aber auch Konzepte, die sich mit der

smarten Vernetzung moderner Fahrzeuge und Verkehrsleitsysteme auseinandersetzen. Das E-MobilityMagazin 2020 zeigt ebensolche Strategien, Konzepte sowie BestPractice-Beispiele für Verwaltung, Politik und Behörden auf und gibt einen Einblick, wie den heutigen Umständen sowie zukünftigen Entwicklungen begegnet werden kann. Mit der Verknüpfung von sparsamen (Elektro-)Fahrzeugen und vernetztem ÖPNV mithilfe intelligenter Systeme kann die Bundesrepublik einen weiteren großen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit machen. Gefragt sind Bund und Länder, aber vor allem auch die Kommunen. Das Magazin soll im Rahmen der rasanten Entwicklung moderner Mobilität mehr denn je zur Vernetzung zwischen den Akteuren der Szene und vor allem zum behördenübergreifenden Austausch beitragen. Mehr Informationen sowie die Bestellmöglichkeit finden sich unter: www.behoerden-spiegel. de/sonderpublikationen/.

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Dorothee Frank (Verteidigung, Wehrtechnik), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall (Sicherheitspolitik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonder­korrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzei­genpreisliste Nr. 31/2020, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesell­schaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag/Redaktion/Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 97-0 Telefax: 0228/970 97 75 Altpapieranteil 100% Für Bezugsänderungen:

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: FBA, Hendrik Schmidt, dpa Foto 2: BS/Staatskanzlei Saarland Foto 3: BS/Feldmann


Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Februar 2021

KNAPP

Reformen laufen ein

Attraktivität gesteigert

Landtagswahlen bringen Neuerungen für den Öffentlichen Dienst (BS/Kilian Recht) Am 14. März ist Doppelwahltag. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg werden die Bürgerinnen und Bürger zur Urne gebeten. Ein Thema im Wahlkampf: die Arbeitsbedingungen im Öffentlichen Dienst. Die Parteien, die für eine Regierungskoalition infrage kommen, warten mit konkreten Plänen auf, um Nachwuchs zu gewinnen und den Landesdienst attraktiver zu gestalten. Auch sollen die Länder ihre Vorbildfunktion in Sachen Inklusion, Integration und Diversität zukünftig stärker wahrnehmen. Im Öffentlichen Dienst könnte sich in jedem Fall einiges ändern. Baden-Württemberg solle zum attraktivsten Arbeitgeber unter den Ländern werden. Kein geringeres Ziel hat sich Bündnis 90/ Die Grünen für eine mögliche weitere Regierungsperiode in Baden-Württemberg gesetzt. Damit Nachwuchskräfte dies auch so sehen, müsse die Digitalisierung der Verwaltung vorangetrieben werden (mehr dazu auf Seite 24). Um offene Stellen im Öffentlichen Dienst aber zunächst überhaupt besetzen zu können, wollen die Grünen den Zugang weiter öffnen. Wer sich “persönlich bewährt und fortgebildet hat”, solle die Laufbahn einfacher als bisher wechseln können. Außerdem wolle man Lebensarbeitszeitkonten einführen, damit die Arbeitszeit an die individuelle Lebenssituation angepasst werden könne. Die sachgrundlose Befristung hingegen wollen die Grünen zurückdrängen. Offen zeigt man sich beim Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung. Dieser solle für Beamtinnen und Beamte erleichtert werden. In RheinlandPfalz soll die Wahlfreiheit noch weiter gehen. Die Grünen fordern hier die Möglichkeit, einfach aus dem oder in das Beamtenverhältnis zu wechseln. Hinzu kommen Forderungen nach einem umfassenden Gesundheitsmanagement sowie einem flexiblen Altersteilzeitmodell.

Entlastung und Vertrauen schenken Der christdemokratische Koalitionspartner möchte in BadenWürttemberg zukünftig flexibler auf Personalengpässe in Mangelbereichen des Öffentlichen Dienstes reagieren. Besonders die Polizei will die CDU personell besser ausstatten: Bis 2030 mit über 3.000 zusätzlichen Stellen. Außerdem wolle man die hohen Lebenshaltungskosten in den Ballungsgebieten betrachten, die gerade für untere Besoldungsund Einkommensgruppen relevant seien. Der Einführung von Lebensarbeitszeitkonten steht die

im rheinland-pfälzischen Landesdienst mindestens sechs Prozent der Beschäftigten Menschen mit Behinderung sind.

Zugang für alle

Im Wahlkampf in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz stehen die Parteien mit den Themen Laufbahnreform und Diversität im Öffentlichen Dienst in den Startlöchern. Foto: BS/moodboard, stock.adobe.com

CDU offen gegenüber, genau wie der Idee eines ressortübergreifenden Personalmanagements. In Rheinland-Pfalz will die CDU den Menschen im Öffentlichen Dienst mehr Verantwortung zutrauen. Hierarchien und Doppelzuständigkeiten in der Verwaltung sollen abgebaut werden. Mit Staatsbedienstetenwohnungen wolle man außerdem den Wohnungsmarkt in Rheinland-Pfalz entlasten.

Umkämpfte Mitarbeitende Die SPD will mit der Einführung von Arbeitszeitkonten für baden-württembergische Landesbedienstete Arbeit und Familie besser miteinander vereinbaren werden lassen. Um Fachkräfte in Mangelberufen, wie im Justizvollzug oder in IT-Bereichen, zu gewinnen, sollen außerdem Besoldungs- und Tarifstrukturen flexibler gestaltet werden. Der Staat konkurriere hier mit der Privatwirtschaft. Daher wolle man “höhere Eingruppierungen und Zulagen ermöglichen, um mithalten zu können”. Tarifabschlüsse für Bedienstete sollen

zudem zeit- und inhaltsgleich auf Beamtinnen und Beamte übertragen werden. Auch in Rheinland-Pfalz wollen die Sozialdemokraten die Attraktivität des Öffentlichen Dienstes steigern und in einer möglichen nächsten Legislaturperiode weiter für eine gute Bezahlung sorgen. Die FDP sorgt sich ebenso um die Konkurrenzfähigkeit des Arbeitgebers Baden-Württemberg. Um attraktiv zu bleiben, sei eine kritische Überarbeitung des Laufbahnrechts notwendig. Angestellte sollten zudem ermutigt werden, sich weiter zu qualifizieren. Berufsbegleitende Lehrgangsangebote für Verwaltungsfachangestellte und Verwaltungsfachwirte sollen nach dem Willen der Freien Demokraten ausgebaut werden. In Rheinland-Pfalz will die FDP ihren bisherigen Kurs fortsetzen und an den Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Arbeit und Familie im Öffentlichen Dienst anknüpfen. Die Wertschätzung für die Mitarbeitenden müsse sich “im Lohnniveau widerspiegeln”, heißt es weiter im Programm für Rheinland-Pfalz. In

beiden Ländern ist der FDP daran gelegen, Mitarbeitende an die digitale Arbeitswelt heranzuführen und entsprechend fortzubilden.

Diverser Öffentlicher Dienst Um mehr Menschen mit verschiedensten Diskriminierungserfahrungen in den Öffentlichen Dienst zu bringen, wollen die Grünen in Baden-Württemberg die unterschiedlichen Tätigkeiten mit einem statistischen Tool erfassen und miteinander vergleichen. Unterrepräsentierte Gruppen sollen aktiv eingeladen werden, sich für eine Beschäftigung im Öffentlichen Dienst zu entscheiden. Die grünen Parteikollegen in Rheinland-Pfalz wollen den Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund bei der Polizei erhöhen und Einstellungshürden abbauen sowie die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung im Landesdienst vorantreiben. Durch ein zusätzliches Budget und eine verbindliche Zielplanung der Ressorts soll eine Beschäftigungsquote von sechs Prozent erzielt werden. Die CDU fordert ebenfalls, dass

Damit der Öffentliche Dienst die Diversität der Gesellschaft abbilden könne, fordert die SPD in Baden-Württemberg, Hürden in Auswahlverfahren abzubauen und mehr Menschen für Tätigkeiten im Landesdienst zu motivieren. Dazu sollen anonymisierte Bewerbungsverfahren erprobt werden, um vorschnelle Urteile bei der Bewerberauswahl zu vermeiden. Die SPD in RheinlandPfalz will das Land als Arbeitgeber zum Vorbild machen und für gleiche Repräsentanz von Frauen und Männern in Führungspositionen sorgen. Auch soll der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Verwaltung, Schulen, Justiz und Polizei weiter erhöht werden. Die FDP setzt in Baden-Württemberg im Öffentlichen Dienst auf ganzheitliches Diversity-Management statt auf verbindliche Quoten, um Diskriminierung systematisch zu begegnen und Aufstiegschancen für alle zu schaffen. Ämter und Behörden sollen zudem im Umgang mit LSBTI geschult werden, damit “Baden-Württemberg der besonderen Schutzbedürftigkeit von LSBTI-Flüchtlingen gerecht wird”. In Rheinland-Pfalz wollen die Freien Demokraten die Gleichstellung der Geschlechter durch Mentoring-Programme für Frauen verbessern. Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion, Integration, Work-LifeBalance, Laufbahnreformen, Weiterbildung und Lohnanpassungen: Der Öffentliche Dienst mag vielleicht nicht das am prominentesten besetzte Wahlkampfthema in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sein. Dennoch – die Parteien haben allesamt wichtige Baustellen identifiziert und warten mit individuellen Lösungsansätzen für die nächste Legislatur auf.

Bedenken ausgeräumt, Behörde gegründet Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft erhält Personal von Toll Collect (BS/Jörn Fieseler) Bis 2025 sollen 99,95 Prozent aller bundesweiten Haushalte und mindestens 97,5 Prozent der Fläche mit Mobilfunk der vierten Generation (4G) ausgestattet sein. Dazu hat der Bund zu Beginn des Jahres die Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft (MIG) des Bundes gegründet, die in Naumburg in Sachsen-Anhalt ihren Sitz haben wird. Im Haushaltsetat des Bundesverkehrsministeriums (BMVi) ist ein Großteil der 40 Mio. Euro, die für die MIG vorgesehen sind, noch gesperrt. Diese müssen im Haushaltsauschuss freigegeben werden, wie mehrere Ausschussmitglieder unterschiedlicher Fraktionen gegenüber dem Behörden Spiegel bestätigten. Mit dem Sperrvermerk sind einige Auflagen verbunden. So hat der Haushaltsausschuss das Ministerium beauftragt, dafür Sorge zu tragen, dass eine wirksame Erfolgskontrolle sichergestellt wird und, unter Berücksichtigung der auf Bundesebene bereits vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen, konkrete, aussagekräftige, überprüfbare und zeitlich definierte Ziele für die MIG festgelegt werden. Dem ist das Ministerium im Gesellschaftervertrag

Funklöcher, vor allem in ländlichen Regionen, sollen in fünf Jahren der Vergangenheit angehören – dank der MIG. Foto: BS/bluedesign, stock.adobe.com

und einem Geschäftsbesorgungsvertrag nachgekommen. Ersterer regelt unter anderem die Kontrolle durch die Gesellschafter und den

Aufsichtsrat. Dieser soll aus fünf Mitgliedern bestehen, von denen je ein Vertreter aus dem Verkehrs-, Wirtschafts- und Finanzministe-

rium kommen soll. Zudem erhält der Bundesrechnungshof (BRH) zusätzliche Informations- und Kontrollbefugnisse. Über den Geschäftsbesorgungsvertrag werde die Zielerreichung überprüft. Diese liegt in den Händen eines Lenkungsausschusses aus Vertretern des BMVi und der MIG. Zudem wird das Ministerium einmal jährlich den Bund unterrichten. Darüber hinaus hat der Haushaltsausschuss gefordert, die Zusammenarbeit der MIG mit den Auftragsverwaltungen der Länder, der Bundesnetzagentur, dem Gigabitbüro des Bundes, der Autobahn GmbH des Bundes und der DB broadband GmbH zu klären. Erstere werden über einen Beirat eingebunden, in dem auch die kommunalen Spitzenverbände vertreten sind, zu zweiterer schließen

BMVi und BMWi eine Absichtserklärung ab. Zu den anderen drei genannten Akteuren gebe es keine Überschneidungen. Damit fehlt nur die Entsperrung der Haushaltsmittel durch den Haushaltsauschuss. Danach kann die Gesellschaft personell ausgestattet werden. Zwei Geschäftsführer sollen die Geschicke der GmbH leiten: Burkhard Mende von Toll Collect und Ernst Ferdinand Wilmsmann von der Bundesnetzagentur. Darüber hinaus ist ein Personalkörper mit 97,5 Beschäftigten vorgesehen. Diese könnten größtenteils von Toll Collect stammen. In der Vorlage für den Aufsichtsrat von Toll Collect, der die Gründung der MIG als Tochtergesellschaft ebenfalls beschließen musste, ist von 94 internen Mitarbeitern die Rede.

(BS/jf) Der Bund hat mit der Änderung der Arbeitszeitverordnung (AZV) dauerhaft Langzeitkonten eingeführt. Wenn Dienststellen diese anbieten, können Beschäftigte Überstunden und Mehrarbeit langfristig und unabhängig von Verfallsdaten ansparen und für eine spätere Freistellungsphase verwenden. Damit erhalte die Flexibilisierung der Arbeitszeit neben Gleitzeit, Mehrarbeit, Sabbatical und Altersteilzeit eine weitere Säule, heißt es aus dem Bundesinnenministerium. Des Weiteren ist die Anrechenbarkeit von Dienstreisezeiten erhöht worden. Außerdem haben Beamte, die einen nahen Angehörigen pflegen, die Möglichkeit, die wöchentliche Arbeitszeit von 41 auf 40 Stunden ohne Einbußen zu verkürzen. Damit wird die Arbeitgeberattraktivität weiter verbessert.

Hilfe angeboten (BS/jf) Der verfassungsmäßige Abstand der Besoldung zu den staatlichen Leistungen der Grundsicherung muss gewahrt bleiben. Aber für mehr als 1,8 Millionen Beamte sei im Bereich der Mindestalimentation und im Bereich der Alimentation für Familien die Besoldung zu niedrig und damit verfassungswidrig. Zudem stünden Hunderttausenden von Beamten Nachzahlungsansprüche für die Vergangenheit zu. Daher hat der DBB Beamtenbund und Tarifunion Bund und Länder dazu aufgefordert, die Verfassungsvorgaben umzusetzen und bei der Neugestaltung der Besoldungsstruktur seine Hilfe angeboten. In allen Ländern müssten einheitliche, tragfähige und zukunftsfähige Regelungen erarbeitet werden. Außerdem seien Lösungen anzustreben, die ein Mindestmaß an Grundeinheitlichkeit in der Besoldung von Bund und Ländern sicherstellen. Spätestens bis Mitte diesen Jahres müssen die Besoldungsgesetzgeber von Bund und Ländern verfassungskonforme Regelungen verabschiedet haben.

Pfiffige Personalräte gesucht (BS/jf) Oft erhalten Personalräte wenig Wertschätzung für ihre Tätigkeit. Deshalb soll mit dem Deutschen Personalräte-Preis die Arbeit dieser Gremien gewürdigt werden. Auch in diesem Jahr können sich die Vertreter der Beschäftigteninteressen für die begehrte Trophäe bis zum 31. Mai 2021 bewerben. Unter dem Motto “Initiativen für Beschäftigte” werden Personalräte gesucht, die zwischen 2019 und 2021 die Initiative ergriffen und die Arbeitsbedingen oder das Arbeitsumfeld der Beschäftigten verbessert haben. Bewerben können sich Personalratsmitglieder, PR-Gremien und Arbeitsgruppen, dienststellenübergreifende Personalrats-Kooperationen, Jugendund Auszubildendenvertretungen für den Sonderpreis der DGBJugend und Schwerbehindertenvertretungen. Letztere aber nur in Zusammenarbeit mit dem Personalrat der Dienststelle. Der Preis wird im Rahmen des Schöneberger Forums des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am 3. November 2021 vergeben. Mehr unter: www.dprp.de


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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Öffentlicher Dienst wird attraktiver Kommunale Arbeitgeber nehmen neue Tarifverhandlungen auf (BS/Ulrike Heine*) Im Rahmen der Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen wurde am 25. Oktober 2020 vereinbart, dass die Tarifvertragsparteien Tarifverhandlungen über die Studienbedingungen der Studierenden in praxisintegrierten dualen Studiengängen aufnehmen werden. Auf dieser Basis treffen sich die Tarifvertragsparteien Mitte Februar 2021 zu einem ersten Verhandlungstermin über die Studienbedingungen der Studierenden in den praxisintegrierten dualen Studiengängen. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) verhandelt hierbei gemeinsam mit dem Bund, vertreten durch das Bundesinnenministerium, und den Gewerkschaften Verdi und DBB Beamtenbund und Tarifunion. Ziel der Tarifvertragsparteien ist es, ein gemeinsames Verständnis zu den Regelungen für die praxisintegrierten dualen Studiengänge beim Bund und für den Bereich der kommunalen Verwaltung der VKA zu treffen, insbesondere zur Frage der Vergütung. Mit einbezogen werden zudem die Hebammen im akademischen Studium. Mit der Einbeziehung der Hebammen mit einem dualen Studium greifen die Tarifvertragsparteien die Regelungen des neuen Hebammengesetzes mit den dazugehörigen Studien- und Prüfungsverordnungen auf. Kerngedanke dieser Neuausrichtung ist, die

Hebammenausbildung stärker wissenschaftlich auszurichten und gleichzeitig praxisnah zu gestalten.

Für ein gemeinsames Verständnis “Der Anteil der Studierenden in den dualen praxisorientierten Studiengängen ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Daher sehen wir den Bedarf, die Studienbedingungen der Studierenden insbesondere im IT- und Ingenieurswesen, aber auch in anderen Bereichen der Verwaltung zu vereinheitlichen und so einen Standard für die praxisintegrierte Ausbildung in den Verwaltungen zu setzen. Hierfür wollen wir mit den Gewerkschaften ein gemeinsames Verständnis zu denkbaren Regelungen zur Vergütung und weiteren Arbeitsbedingungen erarbeiten”, erläutert Dr. Alexander Dietrich,

der dem Gruppenausschuss Verwaltung in der VKA vorsitzt. Wie die VKA 2019 in einer Umfrage zur Beschäftigung von dual Studierenden unter ihren Mitgliedern ermittelt hat, haben praxisintegrierte Studiengänge im Bereich der Verwaltung mit knapp 77 Prozent einen wesentlich höheren Anteil an der Gesamtzahl der dual Studierenden als ausbildungsintegrierte Studiengänge. “Unser Ziel ist es, nicht nur die Ausbildung im Öffentlichen Dienst attraktiver zu gestalten, sondern auch im Wettbewerb mit der privaten Wirtschaft um die Fachkräfte von morgen zu bestehen, diese erfolgreich auszubilden und frühzeitig an uns zu binden”, erklärt Dietrich abschließend. *Ulrike Heine ist Sprecherin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA).

Behörden Spiegel / Februar 2021

KOLUMNE

Lebenslanges Lernen – ein wichtiges Konzept auch in der Führungsetage Ich bin nicht Abteilungsleiterin; ich werde es vielmehr jeden Tag auf ein Neues! Dieser vielleicht verstörende Satz bringt es für mich jedoch trefflich auf den Punkt. Jeden Tag kommen neue Impulse, Erkenntnisse und Erlebnisse im Führungsalltag hinzu. Aber auch ein erst kürzlich abgeschlossener OnlineKurs zum Thema Strategien für den Einsatz Künstlicher Intelligenz steht für dieses Konzept. Da war ein blinder Fleck, den ich unbedingt beseitigen wollte. Auch mit der demnächst anstehenden Schulung zum Thema “Lieferantensteuerung” bewege ich mich eher außerhalb meiner dienstlichen “Komfortzonen”. Ich lerne also nicht nur – fast unbewusst – jeden Tag in meiner Führungsrolle Neues hinzu, es ist vielmehr eine bewusste Entscheidung, dies gezielt und mit Nachdruck – auch nach annähernd 40 Dienstjahren – zu tun.

Beate van Kempen leitet die Abteilung “Produktmanagement Verbundlösungen” beim LVR Infokom. Foto BS/privat

Ein aktuell laufendes Führungs-Curriculum-Programm meines derzeitigen Arbeitgebers frischt die vorhandenen Führungsmethoden mit neuen Impulsen und Herangehensweisen auf. Schon beim ersten Modul rechnete ich mit einem puren “Wiederholungserlebnis”, als ich den Titel las, und wurde

überrascht. Zu den bekannten Aspekten kamen völlig neue Ansätze und Methoden hinzu. Auch erkannte ich, dass ich aufgrund gemachter Erfahrungen einige Methoden früherer Schulungen heute anders einordne. Ich blicke aus einer anderen Richtung auf diese Methoden und erkenne völlig neue Aspekte. Eine weitere Möglichkeit, neues Wissen aufzubauen, ist eine Hospitation am Arbeitsplatz von Kunden oder Mitarbeitenden. Unvergessen ist eine Hospitation in einer Tagesklinik geblieben, welche mir Eindrücke vom Arbeitsalltag, aber auch Kenntnisse zu Zwängen in den dortigen Geschäftsprozessen verschaffte. Und ganz nebenbei kann eine neue Nähe zu Kunden wie zu Mitarbeitenden entstehen. Lebenslanges Lernen ist somit ein fester Bestandteil vorbildhaften Handelns als Führungskraft, welches von Mitarbeitenden sicherlich wahrgenommen wird.

Berücksichtigung ohne Quote Berlin: Verwaltung soll bunter werden (BS/jf) “Diskriminierung nehmen wir nicht hin”, sagte Berlins Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach (Die Linke), und wollte deshalb feste Regeln und eine sogenannte Migrantenquote, damit mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in der Verwaltung eingestellt werden. Die Quote kommt nicht. Stattdessen ist nun eine freiwillige Regelung vorgesehen.

Die Studienbedingungen von Studierenden in praxisintegrierten dualen Studiengängen sollen tarifiert werden. Die Verhandlungen haben begonnen. Foto: BS/Gerd Altmann, pixabay.com

Anfang Februar haben sich Breitenbach und Innensenator An­dreas Geisel (SPD) über die Novelle des in Rede stehenden Partizipations- und Migrationsgesetzes abgestimmt und auf einen Gesetzentwurf geeinigt, der dem Senat zur Abstimmung vorgelegt werden kann. Die Quote war zuvor heftig diskutiert worden und teils auf deutliche Ablehnung gestoßen: “Einstellungen in den Öffentlichen Dienst folgen strengen gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorschriften und sind deswegen auch diskriminierungsfrei”, sagte Frank Becker, Landesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion Berlin. Für Menschen mit Migrationshintergrund gelte – wie für alle anderen auch – das Gleichstellungsgebot und Diskriminierungsverbot. Deshalb bedürfe es auch keiner gesetzlichen Quote. Der Vorstoß sei allenfalls geeignet, unberechtigtes Misstrauen und Vorurteile gegenüber dem Öffentlichen Dienst zu schüren, so Becker. Zudem gebe es keine Anzeichen, dass die rechtlichen Vorgaben bei Einstellungen nicht beachtet würden. Wenn dem so wäre, würde eine Vielzahl von Klageverfahren auf solche Missstände

hinweisen. Stattdessen betonte der DBB-Landesvorsitzende: “Den mit dem Vorschlag von Senatorin Breitenbach intendierten Vorwurf der Diskriminierung bei Einstellungen weisen wir deshalb zurück.” Der Anteil der Menschen mit Mi­ grationshintergrund im Öffentlichen Dienst der Hauptstadt liegt schätzungsweise bei zwölf Prozent. In der Bevölkerung liegt er bei circa 35 Prozent. Im Zuge der Abstimmung mit dem Innensenator zog Breitenbach ihren Vorschlag zurück und einigte sich mit Geisel auf Förderpläne und Zielvorgaben auf freiwilliger Grundlage. Nun sollen Menschen mit Migrationshintergrund in besonderem Maße berücksichtigt werden, wenn Stellen oder Ausbildungsplätze neu besetzt werden, bis mindestens ein Anteil vergleichbar mit dem Bevölkerungsanteil erreicht ist. Dafür sollen die Stellenausschreibungen geändert werden, sodass mehr Menschen mit Migrationsgeschichte gezielt angesprochen und geworben werden. Zudem ist vorgesehen, jedes Verfahren zu dokumentieren und auf freiwilliger Basis und anonymisiert den Mi­ grationshintergrund von Beschäf-

tigten gezielter zu erfassen und so die Datenlage zu verbessern, die wiederum Grundlage für die Förderpläne und Zielvorgaben ist. Darüber hinaus sieht das Gesetz eine neue Fachstelle im Bereich Migration/Integration vor, die die fachliche Ausrichtung der Verwaltung auf eine Vielfaltsgesellschaft begleiten und die Entwicklung durch ein regelmäßiges Monitoring überprüfen soll. Außerdem ist beabsichtigt, die Landes- und Bezirksbeauftragten für Partizipation und Integration sowie den Landesbeirat für Partizipation und Integration zu stärken und die Beiräte in den Bezirken gesetzlich zu verankern. Des Weiteren soll ein zusätzlicher Beirat für die Belange der Sinti und Roma in der Hauptstadt eingerichtet werden. Der Gesetzentwurf kann nun dem Senat zur Abstimmung vorgelegt werden. Anschließend ist der Rat der Bürgermeister zu beteiligen, bevor die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhaus über die Novelle abstimmen. Das Ziel ist es, das Partizipations- und Migrationsgesetz noch in dieser Legislatur zu beschließen. In der Hauptstadt soll parallel zum Bundestag im September die Wahl zum neuen Abgeordnetenhaus stattfinden.

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ehörden Spiegel: Was bedeutet die Gründung des Bundesamtes für Auswärtige Angelegenheiten als einzige nachgeordnete Behörde des Auswärtigen Amtes im Inland für das Auswärtige Amt und für Sie?

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Premiere für das Auswärtige Amt Erstmals nachgeordnete Behörde im Inland gegründet

(BS) Bislang waren nur die Botschaften, Generalkonsulate und Konsulate im Ausland im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes angesiedelt. Das hat sich nun geändert. Inzwischen gibt es auch eine nachgeordnete Behörde im Inland: das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA). Dr. Georg Birgelen: Die Grün- Dessen Präsident, Dr. Georg Birgelen, erläutert im Gespräch mit dem Behörden Spiegel die Aufgaben und den Aufbauprozess der Behörde. Das dung des Bundesamtes für Aus- Interview führten Uwe Proll und Marco Feldmann. wärtige Angelegenheiten (BfAA) ist für das Auswärtige Amt etwas ganz Besonderes. Denn dabei handelt es sich um die erste nachgeordnete Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Auswärtigen, die das Auswärtige Amt in seiner 150-jährigen Geschichte gegründet hat. Ich persönlich habe mich sehr darüber gefreut, dass das Auswärtige Amt mir die Leitung dieses Bundesamtes in seiner Errichtungsund Aufbauphase übertragen hat. Aufgrund meiner vorherigen Tätigkeiten im Auswärtigen Amt sowie an deutschen Vertretungen im Ausland habe ich mich im Übrigen auch aktiv um den Posten beworben.

“Wir übernehmen eher Routineaufgaben, die nicht zwangsläufig im Ministerium wahrgenommen werden müssen.”

Dr. Georg Birgelen ist seit Jahresbeginn Präsident des neu­ geschaffenen Bundesamtes für Auswärtige Angelegenheiten. Zuvor war er an zahlreichen Auslandsvertretungen der Bundesrepublik tätig, unter anderem in Beirut, Jakarta und Moskau. Außer­dem arbeitete er im Auswärtigen Amt sowie im Bundeskanzleramt. Foto: BS/Auswärtiges Amt, picture alliance, Kay Nietfeld

Behörden Spiegel: Welche Aufgaben kommen dem BfAA zu?

Behörden Spiegel: Was ist für die Zukunft geplant?

Birgelen: Die Aufgaben des BfAA sind im Errichtungsgesetz allgemein umschrieben. Demnach soll das Bundesamt mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes bei der Verwaltung und Infrastruktur, beim Fördermittelmanagement sowie im Rechts- und Konsularwesen tätig werden. Es kann vom Auswärtigen Amt oder anderen obersten Bundesbehörden mit anderen Aufgaben auf dem Gebiet der Auswärtigen Angelegenheiten betraut werden. Arbeitsorganisatorisch bedeutet dies, dass wir mit zunächst fünf Fachabteilungen gestartet sind. Dabei handelt es sich um die Personalverwaltung für das Auswärtige Amt, um das Immobilienmanagement des Auswärtigen Amtes im Ausland, um das Fördermittelmanagement, um die Unterstützung der Visavergabe im Rahmen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sowie um zentrale Dienstleistungen.

Birgelen: Wir rechnen damit, dass in den kommenden Monaten die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen als sechste Abteilung dazukommt. Diese ist bislang im Bundesverwaltungsamt und damit in der Ressortzuständigkeit des Bundesinnenministeriums (BMI) beheimatet und soll zu uns wechseln. Wir übernehmen sowohl die Aufgaben als auch den Personalkörper der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, die schon immer enge Kontakte zum Auswärtigen Amt hatte. Der Übergang soll noch in diesem Jahr erfolgen, auch wenn die Ressortabstimmung dazu noch nicht abgeschlossen ist und noch zahlreiche Details zu klären sind. Es wird sich hier um rund 100 Beschäftigte handeln, die bereits jetzt in Bonn tätig sind und dort auch bleiben werden.

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er Mobilfunk ist ein integraler Bestandteil des privaten, beruflichen und geschäftlichen Alltags. Mobilfunknetze verbinden weltweit Milliarden von Menschen. Damit das reibungslos funktioniert, kommunizieren Basisstationen unter Nutzung bestimmter Übertragungstechnologien und Standards wie z. B. LTE (4G), 5G oder TETRA über Funksignale mit Mobilfunkgeräten (Smartphones, Tablets oder Laptops). Rückgrat des Mobilfunks und Bindeglied zwischen den Endgeräten und dem Kernnetz (Core Network – CN), das die Koordination zwischen verschiedenen Teilen des Zugangsnetzwerks und die Konnektivität zum Internet ermöglicht, ist das Funkzugangsnetz (Radio Access Network – RAN), zu dem alle Basisstationen, Antennen, Controller und die Technik zur Kommunikation gehören. Das RAN ist nicht nur eines der kostspieligsten Elemente in einem Mobilfunknetz, sondern zugleich eines mit der höchsten technologischen Komplexität. Aktuell sind die im Einsatz befindlichen RAN-Architekturen geschlossene Systeme und von herstellergebundener Hard- und Software geprägt, die neben standardisierten Schnittstellen und Funktionen auch mit herstellerspezifischen Schnittstellen und Funktionen arbeiten. Die in den Funkeinheiten verwendeten Prozessoren, sogenannte SinglePurpose-Prozessoren, arbeiten sehr zuverlässig, effizient und energiearm.

Mobilfunknetzbetreiber ­suchen eine Alternative Trotz der guten Performance der proprietären Systeme sind die

Behörden Spiegel: Wird auch die IT des Auswärtigen Amtes

beim Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten angesiedelt? Es war ja einmal die Gründung eines eigenen IT-Amtes für das Auswärtige Amt geplant. Birgelen: Die Aufgabe der Auslands-IT des Auswärtigen Amtes besteht insbesondere darin, die Kommunikation zwischen der Zentrale in Berlin und den weltweit mehr als 200 Auslandsvertretungen sicherzustellen. Die dabei übermittelten Informationen sind oftmals jedoch als Verschlusssachen eingestuft. Damit handelt es sich um eine Kommunikation, die im Kern einen sehr politischen und ministeriellen Charakter hat. Deren Auswertung und Abwicklung soll deshalb im Auswärtigen Amt verbleiben. Wir übernehmen eher Routineaufgaben, die nicht zwangsläufig im Ministerium wahrgenommen werden müssen. Behörden Spiegel: Wie wird sich der weitere Aufbau Ihres Bundesamtes gestalten?

Birgelen: Wir sind Anfang des Jahres mit rund 70 Mitarbeitern gestartet. Noch im Laufe dieses Jahres werden es 300 bis 400 sein. Wir verlagern die Arbeitsbereiche sukzessive hi­ nein in das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten. Wenn dann noch die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen dazukommt, wird es nochmal einen Beschäftigtenzuwachs um etwa 100 Personen geben. Wenn das abgeschlossen und das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten ans Laufen gekommen ist, wird man darüber nachdenken können, welche Routine-, Service- und Dienstleistungsaufgaben mit Auslandsbezug wir möglicherweise noch übernehmen können. Das können auch Aufgaben sein, die derzeit noch in den Geschäftsbereichen anderer Bundesressorts, etwa im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) oder im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), wahrgenommen werden. Hier kann ich mir vieles vorstel-

len. Noch ist das für mich jedoch Zukunftsmusik. Behörden Spiegel: Wie viel Personal überführen Sie vom Auswärtigen Amt in das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten? Birgelen: Mitte des Jahres rechne ich etwa mit 320 Beschäftigten in meinem Bundesamt. Davon werden nach aktuellem Stand circa 150 bis 170 Mitarbeiter aus dem Auswärtigen Amt zu uns wechseln. Insgesamt wurde rund 330 Beschäftigten des Auswärtigen Amtes das Angebot gemacht, in das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten zu wechseln. Hierbei galt jedoch das Prinzip der Freiwilligkeit. Behörden Spiegel: Wie verteilen sich die Beschäftigten auf die drei Standorte Ihres Bundesamtes in Brandenburg an der Havel, Bonn und Berlin? Birgelen: Zu Beginn, also im Jahr 2021, wird etwa die Hälfte meiner Mitarbeiter am Standort in Brandenburg an der Havel arbeiten, der Rest an den Dienstorten Bonn und Berlin. In den Folgejahren werden Zahl und Anteil der Beschäftigten in Brandenburg deutlich steigen. Die Quote derjenigen Kräfte aus dem Auswärtigen Amt, die zum BfAA wechseln, ist je nach Dienstort sehr unterschiedlich. Die geringste Wechselquote gibt es bei den Mitarbeitern, deren Arbeitsplätze von Berlin nach Brandenburg an der Havel gehen. Das kann aber auch niemanden verwundern, weil so ein Ortswechsel natürlich auch die persönliche Lebenssituation betrifft – auch wenn wir mit Brandenburg einen sehr attraktiven Standort gefunden haben.

Offene vs. proprietäre Mobilfunknetze Weg vom Vendor Lock-in und hin zu Open RAN (BS/Gerd Lehmann) Alle in den letzten drei Jahrzehnten aufgebauten Mobilfunknetze basieren auf einer weitgehend geschlossenen, von einem Hersteller abhängigen Funknetzarchitektur. Proprietäre Netzarchitekturen, Hard- und Softwarekomponenten, Schnittstellen und Protokolle schließen die Kompatibilität und Interoperabilität mit Wettbewerbsprodukten anderer Hersteller aus. Mobilfunknetzbetreiber sind daher gezwungen, ausschließlich oder hauptsächlich Produkte eines Herstellers einzusetzen. Mobilfunknetzbetreiber auf der Suche nach Alternativen. Sie wollen sich vom Oligopol der Netzausrüster unabhängiger machen, deren preisliche Verhandlungsmacht schwächen und mehr Flexibilität beim Netzausbau bekommen. Sie wollen es auch nicht länger hinnehmen, stets einen umfassenden Austausch oder Neuaufbau von Hardware vornehmen zu müssen, nur um einen neuen Mobilfunkstandard einzuführen. Im Übrigen halten sie den derzeitigen Pool von Anbietern für Technologie im Radio Access Network (RAN) für nicht vielfältig genug, um das gewünschte Maß an Wettbewerb, Innovation und Belastbarkeit zu gewährleisten. Abhilfe soll die Initiative Open RAN schaffen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, offene Schnittstellen zwischen den einzelnen Komponenten zu definieren und Funktionen zunehmend in virtualisierter Software abzubilden. Herstellerunabhängige Schnittstellen, Interoperabilität und Virtualisierung sind in IPNetzen längst üblich. Warum also so nicht auch im Mobilfunk? Open RAN soll auch den Markt für neue Akteure öffnen, die potenziell den Wettbewerb fördern, Kosten senken und Innovation forcieren. Netzbetreiber hoffen,

Bei nahezu 100 Prozent liegt sie hingegen bei jenen Kräften, die vom Auswärtigen Amt ins Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten wechseln und dabei in Bonn bleiben können. Das kann aber auch niemanden wirklich verwundern. Ebenfalls sehr hoch ist die Quote bei wechselnden Mitarbeitern, die in Berlin bleiben können. Auch das ist aber kein Selbstläufer. Behörden Spiegel: Warum? Birgelen: Im Errichtungsgesetz für das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten ist eine Aufbauzulage vorgesehen. Diese soll allerdings überprüft werden und dann eventuell entfallen. Jeder, der nun also vom Auswärtigen Amt zu uns wechselt, muss damit rechnen, dass diese Zulage in fünf Jahren möglicherweise gestrichen wird. Das sind im Durchschnitt etwa 200 Euro im Monat. Da überlegen sich schon einige Mitarbeiter – insbesondere solche, die sich nicht in höheren Entgelt- oder Besoldungsgruppen befinden –, ob sie das in Kauf nehmen wollen. Umgekehrt passt es manchen gut in ihre persönliche Lebensplanung, vorübergehend oder auf Dauer nicht mehr der im Auswärtigen Amt geltenden Rotation zu unterliegen. Behörden Spiegel: Und wie sieht es mit externen Neueinstellungen aus? Birgelen: Da ist die Lage gut. Wir haben mehrere Ausschreibungen für unterschiedliche Besoldungs- und Entgeltgruppen durchgeführt und dabei eine sehr gute Resonanz erhalten. Das gilt insbesondere für Dienstposten in Brandenburg an der Havel, aber auch für Bonn und Berlin. Hier können wir uns trotz vergleichsweise hoher Anforderungen bei Sprachkenntnissen und Auslandserfahrung die Bewerber aussuchen und konnten mehrerer Bewerberpools bilden, um die richtigen Mitarbeiter auf die passenden Dienstposten zu verteilen.

Unternehmen dabei. Sollte sich Open RAN tatsächlich gegen traditionelle Lösungen durchsetzen, ist nicht auszuschließen, dass die einzigen europäischen Champions, Ericsson und Nokia, auf der Strecke bleiben. Selbst wenn sie mitmischen, werden sie Marktanteile auf dem US-Markt verlieren. Bislang sind beide Unternehmen im Umgang mit Open RAN noch gespalten. Während sich Ericsson zurückhaltend verhält, unterstützt Nokia die Technik.

Nachweis des Nutzens muss noch erbracht werden

Die Open-RAN-Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, den Mobilfunkmarkt für neue Akteure zu öffnen, den Wettbewerb zu fördern, Kosten zu senken und Innovationen zu forcieren. Foto: BS/Gerd Altmann, pixabay.com

durch größere Flexibilität bei der Wahl der besten Lösungsanbieter zu profitieren und versprechen sich davon natürlich vor allem Kostensenkungen. In einer gemeinsamen Absichtserklärung (Memorandum of Understanding, MoU) bekundeten die Deutsche Telekom, Orange aus Frankreich, Vodafone aus Großbritannien und Telefónica aus Spanien am 20. Januar 2021 ihr Engagement zur Einführung und zum Einsatz von Open-RAN-Lösungen. Angaben der Netzbetreiber zu ihren Investitionen für Forschung und Entwicklung für das Projekt wurden jedoch nicht gemacht. Sie erwarten eine EU-Förderung. Telefónica Deutschland setzt inzwischen bereits Open RAN an ersten O2-Antennenstandorten im bayerischen Landsberg im LTE-Livebetrieb ein. Ab Herbst will der Netzbetreiber Open RAN

in größerem Umfang im O2-Netz an rund 1.000 Antennenstandorten einsetzen. Auch die Telekom hat Pläne. Im Laufe des Jahres soll Neubrandenburg als Modellstadt für Open RAN ausgebaut werden.

Heikles Engagement der Bundesregierung Auch die Bundesregierung will den offenen Standard finanziell vorantreiben. Sie hat im letzten Konjunkturpaket zwei Milliarden Euro für die Open-RAN-Technik bereitgestellt und die Förderung inzwischen auf den Weg gebracht. Die Bundesregierung stellt die Stärkung der digitalen Souveränität Europas in den Mittelpunkt ihres Engagements. Und hofft, dass im Mobilfunkmarkt auch deutsche Unternehmen wieder Fuß fassen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Bislang dominieren vor allem amerikanische und japanische Unternehmen die Open-RANTechnik. Die US-Politik sieht in der Open-RAN-Technologie nicht nur eine Alternative zu chinesischen Anbietern (vor allem Huawei), sondern auch eine Chance, US-Firmen zu stärken, die mit ihren konventionellen Lösungen im Markt chancenlos sind. Telefónica setzt bei seinem RAN-Projekt im bayerischen Landsberg zu hundert Prozent auf US-amerikanische Technologie und den japanischen NECKonzern als Systemintegrator. Dabei kommt unter anderem Hardware von Dell, Intel, Supermicro und Xilinx zum Einsatz. Die Deutsche Telekom hat für das Open-RAN-Pilotprojekt neben zwei japanischen und zwei amerikanischen Firmen mit Nokia immerhin ein europäisches

Open RAN tritt in Konkurrenz zu traditionellen RAN-Lösungen, die derzeit von fünf Herstellern global dominiert werden: Nokia und Ericsson aus Europa, Hua­ wei und ZTE aus China und Samsung aus Südkorea. Ob mit Open RAN die Übertragungszeiten, Latenzzeiten und Energieeffizienz eines traditionellen RANs erreicht oder gar übertroffen werden können, muss sich ebenso wie die Erfüllung der sonstigen in die Technik gesetzten Erwartungen noch im realen Netzbetrieb erweisen. Erste Experimente zeigen Potenzial. Dennoch ist viel Euphorie im Spiel. Ein virtuelles Netz mit Komponenten von unterschiedlichen Herstellern zu betreiben, ist nicht trivial. Auf die Netzbetreiber kommt da einiges zu. Noch ist Open RAN nicht so weit, dass es auf breiter Front in einem großen Mobilfunknetz eingesetzt werden kann. Experten schätzen, dass Open RAN etwa 2025 reif für den Produktiveinsatz ist.


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Zahlen & Daten

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Bund / Länder

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ehörden Spiegel: Frau Drescher, zum 1. Januar 2021 ist der offizielle Startschuss für die Autobahn GmbH und das Fernstraßen-Bundesamt gefallen. Wie ist die personelle Situation im FBA?

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Der Personalaufwuchs geht weiter Fernstraßen-Bundesamt mit ambitioniertem Plan für 2021

(BS) Der Übergang der Landesbeamtinnen und -beamten zum Fernstraßen-Bundesamt (FBA) und weiter zur Autobahn GmbH ist abgeschlossen. Damit ist der Personalaufwuchs in der Bundesbehörde jedoch nicht beendet. Über den weiteren Aufbau des FBA sowie über die dienstrechtlichen Drescher: Aktuell haben wir und tatsächlichen Herausforderungen beim Wechsel sprach der Behörden Spiegel mit FBA-Präsidentin Doris Drescher und Steffen Liney, Referat102 Mitarbeiterinnen und Mit- sleiter Personalverwaltung Autobahn GmbH im FBA. Die Fragen stellt Jörn Fieseler.

arbeiter im FBA. In den folgenden Monaten werden wir weiterwachsen. Wir möchten so viele Menschen gewinnen, dass wir am Ende des Jahres unsere für dieses Jahr vorgesehene Personalstärke von 359 erreicht haben. Diese Stellen sind im Haushaltsplan vorgesehen, die dürfen wir besetzen und im Jahr 2022 noch weitere knapp 60 Stellen, bis wir auf insgesamt rund 420 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgewachsen sind. Behörden Spiegel: Das ist ein ambitionierter Plan.

Drescher: Ja das stimmt. Zumal wir durch die Corona-Pandemie im Jahr 2020 rund zehn Wochen bei den Einstellungsverfahren verloren haben. Aber wir sind flexibel und mittlerweile kommen wir mit der Situation gut zurecht: So haben wir uns auf ein anderes Format bei den Vorstellungsgesprächen umgestellt. Mittlerweile machen wir fast alle Vorstellungsgespräche als Videokonferenz. Einzig für Führungskräfte gibt es Präsenztermine unter Beachtung der geltenden Hygiene-Auflagen, weil dort u. a. ein Rollenspiel Teil des Auswahlprozesses ist. Diese können wir nur live durchführen.

bislang aus einem Mitarbeiter. Diese Abteilung wird sich zu einem hohen Anteil mit grundsätzlichen Angelegenheiten befassen, deshalb genießt die Personalgewinnung für die operativen Bereiche Planfeststellung und Straßenrecht/Aufsicht noch zeitlichen Vorrang. Behörden Spiegel: Wen brauchen Sie?

“Wir suchen mit großem Enthusiasmus geeignetes Personal”, so Doris Drescher, Präsidentin des Fernstraßen-Bundesamtes (FBA), zum Aufwuchs ihrer Behörde. Foto: BS/FBA, Hendrik Schmidt, dpa

aufwuchs geht insgesamt weiter, es sind an allen vier Standorten in Leipzig und Hannover, Gießen und Bonn Menschen vor Ort, die die Sachbearbeitung vornehmen können. So früh im Jahr liegen uns noch keine Anträge seitens der Autobahn GmbH vor, denn die laufenden Verfahren führen die Länder zu Ende.

Behörden Spiegel: Ist das FBA schon jetzt arbeitsfähig?

Behörden Spiegel: In welchen Abteilungen fehlt das Personal, das dieses Jahr eingestellt werden soll?

Drescher: Ja. Wir konnten sofort zum 4. Januar 2021 starten, da wir alle operativ notwendigen Stellen im vergangenen Jahr erfolgreich besetzt haben. Das war einerseits die Zentralabteilung mit den Servicebereichen und den Personalreferaten und anderseits die Planfeststellungsabteilung. Dort sind alle Führungspositionen besetzt. Mit dem 1. März haben dann auch alle Führungskräfte in der Abteilung Planfeststellung den Dienst im FBA angetreten. Der Personal-

Drescher: Von den 102 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im FBA sind derzeit 43 in der Planfeststellung eingesetzt. Bei Vollbesetzung werden in dieser Abteilung über 150 Personen arbeiten. Ebenso muss die Abteilung Straßenrecht und Aufsicht noch sehr stark aufwachsen. Dort sind aktuell zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig, die Vollbesetzung liegt bei rund 75 Personen. Die Abteilung Bauund Verkehrstechnik ist auch noch aufzubauen, sie besteht

Künftig bundesweit? Kennzeichenerfassung vor der Ausweitung (BS/mfe) Die automatisierte Kennzeichenerfassung zu Zwecken der Strafverfolgung soll künftig bundesweit zulässig sein. Das sieht ein vom Kabinett gebilligter Entwurf zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung (StPO) vor. In diese soll ein neuer Paragraf 163g aufgenommen werden. Ihm zufolge dürften Polizeien dann örtlich begrenzt im öffentlichen Verkehrsraum ohne Wissen des Betroffenen Kennzeichen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung technisch automatisiert erheben. Die Daten könnten anschließend mit Nummernschildern von Fahrzeugen abgeglichen werden, die auf den Beschuldigten oder auf Verbindungspersonen zugelassen sind oder von ihnen genutzt werden. Im Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums war zunächst sogar noch ein allgemeinerer Abgleich mit Halterdaten vorgesehen gewesen. Voraussetzung für die Verwendung der automatisierten Kennzeichenerfassung sind zureichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung. Dabei handelt es sich insbesondere um gewerbs-, serien- oder bandenmäßig begangenen Taten. Zulässig ist das Instrumentarium, sofern es “zur Ermittlung der Identität oder des Aufenthaltsorts des Beschuldigten führen kann”. Demnach dürfte es auch genutzt werden, wenn das Fahrzeugkennzeichen eines mutmaßlichen Täters bekannt ist, sein Name allerdings noch nicht. Automatisch erhoben werden dürfen die Daten dabei nur vorüberge-

hend und nicht flächendeckend. Eine sofortige und spurenlose Löschung ist vorgesehen, sofern kein Treffer vorliegt oder dieser nicht bestätigt werden kann. Um die Technik verwenden zu dürfen, soll eine schriftliche Anordnung der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungsperson ausreichen. In diesem Dokument müssen die Halterdaten des Verdächtigen sowie die Überwachungsstellen exakt angegeben werden. Die Anordnung muss zeitlich befristet sein. Ein Richtervorbehalt ist nicht geplant. Das Gesetzesvorhaben muss noch vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat verabschiedet werden. Die automatisierte Kennzeichenerfassung wird in mehreren Bundesländern bereits länger anlassbezogen und im Bereich der Gefahrenabwehr verwendet. Die Rechtsgrundlage hierfür ist jedoch strittig. Insbesondere in Brandenburg gibt es immer wieder Diskussionen zu diesem Instrument. Hier ist auch eine Klage vor dem Landesverfassungsgericht anhängig.

Drescher: Wir suchen mit großem Enthusiasmus geeignetes Personal aus den Bereichen der Ingenieure, Landschaftsplaner, Verwaltungsfachangestellten und Juristen, aber auch ITFachkräfte. Wer auf der Suche nach einem spannenden Arbeitgeber und einer neuen Herausforderung ist, sollte unbedingt auf unsere Stellenanzeigen achten. Wir bieten vielfältige Chancen in einer jungen Behörde. Gerade für Juristen in der Verwaltung ist die Planfeststellung eine Königsdisziplin. Behörden Spiegel: Welche operativen Aufgaben erfüllten Ihre Behörde schon jetzt? Drescher: Wir haben sehr viele Anträge zu sogenannten Anbauverbotsverfahren. In der Nähe von Autobahnen dürfen keine Hochbauten errichtet werden, es sei denn, der Bauherr hat eine Ausnahmegenehmigung. Diese muss bei uns beantragt werden. Aktuell bekommen wir rund 20 neue Anträge pro Tag zugesandt, parallel haben wir mehrere hundert laufende Verfahren aus den Ländern übernommen. In diesem Kontext ist auch die Schnittstelle zur Autobahn GmbH aufgebaut, die zu jedem Antrag eine Stellungnahme abgeben muss. Behörden Spiegel: Wie viele Beamte sind von den Ländern zur Autobahn GmbH übergegangen? Drescher: Zum 01.01.2021 haben wir in der Personalbearbeitung für die Autobahn GmbH ungefähr 700 ehemalige Landesbeamtinnen und -beamten.

605 sind zum Jahreswechsel übergegangen, die übrigen ca. 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zur Besetzung der Aufbauteams bei der Autobahn GmbH bereits in den Jahren 2019 und 2020 zum FBA versetzt und der Autobahn GmbH zugewiesen worden. Insgesamt ist der Wechsel der Landesbeamtinnen und -beamten sehr gut gelungen. Wir haben den Start weitgehend reibungslos gestalten können, auch die Gehaltszahlungen sind pünktlich initiiert worden. Liney: Hinzu kommen 229 weitere Beamtinnen und Beamten, die keinen Dienstherrnwechsel zum FBA vorgenommen haben, sondern von ihren alten und jetzigen Dienstherrn, also von den Bundesländern, unmittelbar zur Autobahn GmbH zugewiesen wurden. Das betrifft vor allem die bayerischen Landesbeamtinnen und -beamten und einige wenige aus anderen Bundesländern. Maßgeblich für diese Entscheidung waren sowohl das Besoldungs- als auch das Beihilfe- und Laufbahnrecht, bei denen der Freistaat Bayern auch im direkten Vergleich zum Bund ein bisschen besser abschneidet. Behörden Spiegel: Was waren die größten Hürden beim Übergang der Landesbeamten? Liney: Das war für uns alle überraschend. Die tatsächliche Überleitung war herausfordernder als die rechtliche Überleitung. In rechtlicher Hinsicht hatten wir die größten Hindernisse durch das stark fragmentierte Laufbahnrecht der Länder. Etwa bei der Frage, ob die vom Land anerkannte Laufbahnbefähigung auch im Bund ihre Gültigkeit haben wird. Während der Bund noch an den vier Laufbahngruppen festhält, haben die Länder ihr Laufbahnrecht größtenteils modernisiert. Dadurch ist die Durchlässigkeit der Laufbahnen in den Bundesländern zum Teil größer und es gibt Erleichterungen für den Aufstieg. Gerade bei diesen Aufstiegsbeamten konnte die Laufbahnbefähigung für das

vier Regierungspräsidien, die die Versetzung ausgesprochen haben. Manche Beamtinnen und Beamten wurden vom Landesministerium direkt zu uns versetzt. Darüber hinaus ist es in vielen Bundesländern üblich, dass ab einer bestimmten Besoldungsgruppe Versetzungen durch das Landesministerium ausgesprochen werden müssen, in BadenWürttemberg ist das sogar der Ministerpräsident persönlich. Das alles zu koordinieren, war eine Herausforderung, aber wir haben sie gemeistert. Behörden Spiegel: Gab es Hürden bei der Versorgung und Beihilfe?

“Das alles zu koordinieren, war eine Herausforderung, aber wir haben sie gemeistert”, sagt Steffen Liney, Referatsleiter Personalverwaltung Autobahn GmbH im FBA, zum Übergang der Landesbeamten zum FBA und zur Autobahn GmbH. Foto: BS/FBA

jeweilige Statusamt in einigen Fällen nicht anerkannt werden. Behörden Spiegel: Wie sind Sie damit umgegangen? Liney: Das Bundesverkehrsministerium hat beim Bundespersonalausschuss im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat einen Sonderweg für die betreffenden Beamtinnen und Beamten der Bundesfernstraßenreform erwirken können. Auf der Grundlage des vom Bundespersonalausschuss herbeigeführten Grundsatzbeschlusses wurde in rund 40 Einzelfällen die jeweilige bei den Bundesländern erworbene Laufbahnbefähigung anerkannt. Behörden Spiegel: Warum war die Organisation der Überleitung anspruchsvoller als die rechtliche? Liney: In den Ländern gab es unterschiedlich viele Behörden, die die Versetzung zum FBA ausgesprochen haben. Teilweise waren es bis zu sechs versetzende Dienststellen. Entsprechend hoch war die Zahl der zu beteiligenden Interessensvertretungen und Gremien. In Baden-Württemberg gibt es zum Beispiel

Liney: Mein persönlicher Eindruck ist, dass bei der Versorgung die Unterschiede zwischen Bund und Ländern am geringsten sind, entsprechend gab es kaum Friktionen. Einzig bei der Anerkennung von Hochschulzeiten ist der Bund etwas nachteiliger. Der Bund erkennt analog zur gesetzlichen Rentenversicherung bei einem Hochschulstudium 855 Tage als Ausbildungszeit an, während die meisten Länder hier drei komplette Jahre anerkennen. Das wirkt sich für die übergegangenen Beamtinnen und Beamten nur aus, wenn sie aufgrund der Dienstzeit nicht die Maximalversorgung erreichen. Deutlichere Differenzen gibt es im Beihilferecht. Zum Beispiel haben Hessen oder Bremen ein anderes Beihilfemodell mit anderen Bemessungssätzen. Hier wurden jedoch Besitzstandsregelungen getroffen. Behörden Spiegel: Ein anderer Aspekt ist die Sorge der Bauwirtschaft, dass es mit dem Start der Autobahn GmbH eine Delle bei der Projektplanung gibt. Teilen Sie diese Einschätzung auch mit Blick auf die Genehmigung von Planfeststellungsverfahren? Drescher: Diese Einschätzung teile ich nicht. Auch sind keine Hinweise erkennbar, dass es dazu kommt. Ganz im Gegenteil. In den Ländern ist bis zum Schluss eifrig an den Projekten weitergearbeitet worden. In vielen Fällen ist bei den an die Autobahn GmbH übergegangenen Projekten eine Personenwenn nicht sogar Teamidentität vorhanden, sodass es trotz des Zuständigkeitswechsels keinen Bruch bei der Projektarbeit gibt, sondern kontinuierlich weitergearbeitet werden kann.

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Finanzen

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o auch der Freistaat Sachsen, der Anfang des Monats ein neues Gesetz vorlegte. Das Land macht dort von der Öffnungsklausel Gebrauch. Mit ihr besteht für die Länder die Möglichkeit, abweichend vom bundesweiten Grundsteuerreformgesetz auch eigene landesrechtliche Regelungen zu treffen. Die Grundsteuer wird durch die Multiplikation des Einheitswertes des Grundbesitzes, der Steuermesszahl und des kommunalen Hebesatzes berechnet und von der jeweiligen Kommune erhoben. Für Wohngrundstücke und unbebaute Grundstücke sollen Sachsens Kommunen in Zukunft 0,36 Promille und für Geschäftsgrundstücke 0,72 Promille ansetzen. Mit dieser Abstufung soll sichergestellt werden, dass es nicht zu einer unfairen Belastung einzelner Grundstücksarten kommt, wie es laut sächsischem Finanzministerium im Bundesmodell der Fall gewesen wäre. Beim Bundesmodell wurde für alle Grundstücke des Grundvermögens die Steuermesszahl auf 0,34 Promille festgelegt, für Grundstücke, die einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft zuzuordnen sind, beträgt die Steuermesszahl 0,55 Promille. “Unser erklärtes Ziel war es, ein Modell umzusetzen, das bürokratiearm, fair und verfassungsfest ist, ohne die sächsischen Besonderheiten aus dem Auge zu verlieren”, erklärte Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann. In Sachsen werden derzeit jährlich ca. 500 Millionen Euro über die Grundsteuer eingenommen.

Unterschiedliche Modelle in den anderen Ländern Einige Wochen zuvor haben auch Bayern, Baden-Württemberg und das Saarland ihre Landesgesetze zur Grundsteuerreform beschlossen. In BadenWürttemberg entschied man sich

Behörden Spiegel / Februar 2021

Grundsteuerreform in den Ländern Viele Bundesländer weichen vom Bundesmodell ab (BS/lkm) In Sachsen steht die Reform der Grundsteuer. Anfang des Monats hat der Landtag ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Im Freistaat soll künftig zwischen den Nutzungsarten der Grundstücke bei der Bemessung der Steuermesszahl differenziert werden. Auch andere Länder haben eigene Gesetze zur Reform der Grundsteuer vorgelegt. Kaum ein Land entschied sich dabei für das Bundesmodell. für das Bodenwertsteuermodell. Dieses Modell basiert auf der Grundstücksfläche und dem Bodenrichtwert. Für die Bewertung multipliziert man beide Werte miteinander. Im weiteren Schritt wird eine gesetzlich festgelegte Steuermesszahl angewandt. Für überwiegend zu Wohnzwecken genutzte Grundstücke gibt es einen Abschlag. “Es ist uns wichtig, dass Wohnen im Durchschnitt nicht teurer wird”, sagte BadenWürttembergs Finanzministerin Edith Sitzmann. Ein großes Plus der Bodenwertsteuer sei es, dass neu geschaffener Wohnraum keine höhere Besteuerung auslöse, denn die Gebäudefläche spiele bei der baden-württembergischen Grundsteuer grundsätzlich keine Rolle, so Sitzmann. In Bayern wird hingegen ab 2025 das Flächenmodell gelten. Bayerns Finanzminister Albert Füracker bezeichnete die Steuer als “bayerische Einfach-Grundsteuer”, mit der der Freistaat auf eine “wertunabhängige, transparente und unbürokratische Grundsteuer” setze. Der Bayerische Städtetag zeigte sich jedoch nicht zufrieden mit der Entscheidung des Landes. Laut Füracker ist das Bundesmodell “unnötig bürokratisch” und erfordere alle sieben Jahre die Neubewertung sämtlicher Immobilien. Beim bayerischen Modell würden die Flächen mit wertunabhängigen Äquivalenzzahlen angesetzt. Daneben sei u. a. für Gebäude mit sozialem Wohnungsbau und Denkmäler ein zusätzlicher Abschlag vorgesehen. Die Bemessungsgrundla-

Die Grundsteuer ist mit einem jährlichen Aufkommen von rund 14 Mrd. Euro in Deutschland eine der wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen. Immer mehr Länder präsentieren nun eigene Modelle zur Berechnung der Steuer. Foto: BS/moerschy, pixabay.com

ge werde einmalig zum Stichtag 1. Januar 2022 festgestellt und müsse nur angepasst werden, wenn sich die Flächen- oder die Gebäudenutzung ändere. Auf die so ermittelte Bemessungsgrundlage wenden die Gemeinden ihren Hebesatz an. Die bayerischen Kommunalverbände zeigten sich jedoch enttäuscht darüber, dass der Freistaat nicht auch die Grundsteuer C einführt. Mit ihr sollen Gemeinden die Möglichkeit erhalten, für unbebaute, baureife Grundstücke einen erhöhten Hebesatz festzulegen. “Eine Grundsteuer C kann als Steuerungsinstrument wirken, damit Eigentümer motiviert werden, ungenutzte Grundstücke mit Wohnungen zu bebauen oder an Bauinteressenten zu verkaufen”, so der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Markus Pannermayr.

Haushalten unter Corona

Im Saarland orientiert man sich hingegen relativ stark am Bundesmodell. Doch auch hier wird die Öffnungsklausel genutzt, um bei der Steuermesszahl eine Änderung vornehmen zu können. Im Gegensatz zu anderen Ländern soll aber kein grundlegend abweichender Sonderweg beschritten werden. “Das Bundesmodell setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in geeigneter Weise um. Dadurch stellt es auch im Saarland die beste Grundlage zur Erhebung der Grundsteuer dar. Allerdings dürfen wir dabei örtliche Besonderheiten nicht außer Acht lassen”, erklärte Saarlands Finanzminister Peter Strobel. Die Öffnungsklausel soll im Saarland dazu genutzt werden, um bei der Steuermesszahl

eine Änderung vornehmen zu können. So soll es dort jeweils für Grundstücke, die zu Wohnzwecken und für Grundstücke, die nicht zu Wohnzwecken genutzt werden, unterschiedliche Steuermesszahlen geben. Durch die Festlegung von landesspezifischen Steuermesszahlen werde die durch das Bundesmodell zu erwartende Mehrbelastung für bestimmte Grundstücksarten reguliert. “Mit landesspezifischen Messzahlen können wir auf die Gegebenheiten vor Ort reagieren”, so Saarlands Finanzminister.

Grundsteuer nicht mehr verfassungsgemäß Im April 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Grundsteuer wegen veralteter Grundstückswerte nicht mehr verfassungsgemäß ist. Der Bund hat daher im November 2019 seinen Entwurf für eine Grundsteuerreform verabschiedet. Gemäß diesem Modell soll die Grundsteuer nach dem Wert des Grundstücks bemessen werden. Die Länder können jedoch von diesem Modell abweichen. Insgesamt übernehmen aktuell nur sechs der 16 Bundesländer bei der Berechnung der Grundsteuer das Bundesmodell. Berlin, Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen berechnen ab 2022 die Grundsteuer nach dem Modell des Bundes. Andere Bundesländer haben bereits von der

Öffnungsklausel Gebrauch gemacht oder zumindest angekündigt eigene Landesgrundsteuergesetze zu erlassen. In manchen Bundesländern steht eine Entscheidung noch aus. So hat sich die niedersächsische Landesregierung noch nicht festgelegt, ob sie von der Öffnungsklausel Gebrauch machen wird. Damit auf Länderebene nicht viele verschiedene Grundsteuermodelle existieren, beraten derzeit auch einige Länder, ob sich mehrere von ihnen im Falle der Nutzung der Länderöffnungsklausel hinter einem Modell versammeln könnten.

Neubewertung stellt Finanzämter vor Herausforderung Die nach dem neuen Gesetz berechnete Grundsteuer ist ab dem Jahr 2025 durch die Eigentümer zu entrichten. “Im nächsten Schritt geht es darum, die personellen und technischen Bedingungen zu schaffen, damit die Eigentümerinnen und Eigentümer ab dem 1. Juli 2022 ihre Grundsteuererklärungen abgeben und die Finanzämter die insgesamt rund 2,5 Millionen Erklärungen bearbeiten können”, erklärte Vorjohann. Bis 2025 muss deutschlandweit nun die Neubewertung von 36 Millionen Immobilien nach den neuen Bemessungsgrundlagen umgesetzt werden. Schätzungsweise 1.000 neue Beamte werden dafür nötig sein. Ob die Finanzämter diese immense Fleißaufgabe tatsächlich bewältigen, kann heute noch keiner sagen. In Sachsen zeigt man sich dennoch optimistisch: “Da wir hieran parallel zum Gesetzgebungsverfahren bereits mit Nachdruck arbeiten, bin ich zuversichtlich, dass wir unseren Zeitplan einhalten können”, so Vorjohann.

Rheinland-Pfalz hat die Schnellsten Thüringen kritisiert Auswertung zu Finanzämtern

(BS/lkm) Einer Auswertung des Online-Portals “Lohnsteuer kompakt” zufolge hatte Rheinland-Pfalz 2020 die schnellsten Finanzämter Deutschlands, dicht gefolgt vom Saarland. Thüringens Bürger hätten am längsten auf ihre Einkommenssteuerbescheide warten müssen. Rund 71 Tage soll es im Schnitt dauern. Nun mel(BS/lkm) Die Aufnahme neuer Schulden war notwendig, um sich der Corona-Krise entgegenzustellen. Die dete sich Thüringens Finanzministerin Heike Taubert zu Wort und meint: Stimmt so nicht. Schuldenbremse wurde deswegen zeitweise außer Kraft gesetzt. Einige Länder wollen dennoch schon im kommenden Jahr oder in naher Zukunft wieder die Schuldenbremse einhalten. Dieser Vorstoß stößt nicht Laut der Datenerhebung von überall auf Verständnis. Mit zu frühen Kürzungen gefährde man die Zukunft. Doch auch die Sparer wollen lohnsteuer-kompakt.de mussten nur das Beste für die Zukunft, sie nämlich nicht mit hohen Schuldenbergen belasten. Zwei Lager stehen sich Steuerpflichtige im Jahr 2020 diametral gegenüber. in Rheinland-Pfalz nur durch-

Erste Länder planen wieder mit der Schuldenbremse

In Niedersachsen plant man bereits eine zügige Rückkehr zur Schuldenbremse. “Ich möchte so schnell wie möglich wieder zu einem ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung zurückkehren”, kündigte Finanzminister Reinhold Hilbers kürzlich an. So plant das Land, im Haushalt 2021 bereits nicht mehr von der Ausnahmeklausel zur Sonderkreditaufnahme Gebrauch zu machen. Die Corona-Krise ist aller Wahrscheinlichkeit nicht die letzte große Bewährungsprobe für das Land. Daher möchte Hilbers zeitnah die Widerstandsfähigkeit gegen eine solche Krise auch finanziell wieder erreichen. Deshalb hat Niedersachsen zudem beschlossen, bereits 2024 mit der Tilgung der Corona-Schulden zu beginnen. Die Schuldenbremse sei kein Selbstzweck, sondern ein wichtiges Instrument, um solide Finanzen sicherzustellen und gleichzeitig ausreichend Spielraum zu haben, solche Krisen wie die aktuelle zu bewältigen, so Hilbers. Die vorhandenen Mechanismen hätten sich in der Krise bewährt. Gleichzeitig stelle die Schuldenbremse eine wichtige Leitplanke da, um wieder zu nachhaltigen Finanzen zurückzukehren. Eine Abkehr von der Schuldenbremse sieht Hilbers kritisch: “Wer das möchte, will zurück zur strukturellen Staatsverschuldung. Das ist nicht nachhaltig, gefährdet die Stabilität und ver-

lagert Verteilungskonflikte auf die nächste Generation.” 2024 will man auch in Hessen bereits wieder die Schwarze Null erreichen. “Die Vorgaben der Schuldenbremse sind für uns klare Richtschnur, an die wir uns strikt halten. Sie erlaubt uns, jetzt der Krise mit Kraft und Entschlossenheit entgegenzutreten. Sie zwingt uns aber auch dazu, die dauerhafte Stabilität des Landeshaushalts zu bewahren. Investitionen zur Krisenbewältigung und in Zukunftschancen sowie solides Haushalten gehören für uns zusammen”, betonte Hessens Finanzminister Michael Boddenberg. Hessen verliert wegen Corona nach Einschätzung des Finanzministeriums Jahr für Jahr Steuergeld in einer Größenordnung von 1,5 bis zwei Milliarden Euro. Bereits in diesem Jahr beginnt Hessen mit der Tilgung: 200 Millionen Euro sind als erste Rate vorgesehen. “Wir möchten damit ganz bewusst das Signal setzen, dass uns besonnenes Haushalten wichtig ist – gerade auch in Krisenzeiten”, so Boddenberg. Hessen gehe damit den Schuldenabbau beherzter an als die meisten anderen Länder, so der Finanzminister.

Gegen die Krise helfen nur Investitionen Der DGB Niedersachsen sieht das Land hier auf dem falschen Weg. Von allen Bundesländern investiere Niedersachsen

pro Kopf am wenigsten; dass dennoch im Landeshaushalt der Rotstift angesetzt werden sei genau der falsche Weg. Von 2021 bis 2024 seien im Landeshaushalt Kürzungen in Höhe von 1,4 Mrd. Euro vorgesehen. “Diese politischen Vorgaben lassen sich nur einhalten, wenn alle Ministerien kräftig den Rotstift ansetzen und alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen. Es wurde bereits bekannt gegeben, dass im Zweifelsfall wichtige Projekte aufgeschoben oder sogar komplett unter den Tisch fallen sollen. Allerdings stehen solche Maßnahmen im völligen Widerspruch zu gegenwärtigen und kommenden Herausforderungen der Gesellschaft”, kritisiert der Gewerkschaftsbund. Knackpunkt der Misere sei die Schuldenbremse. “Weil Bund und Länder die Schwarze Null erreichen müssen, trimmen sie seit Jahren ihre Haushalte zulasten von Investitionen auf Sparkurs.” Statt zu sparen, müsse die Landesregierung eine Investitionsoffensive starten. Hilbers jedoch ist überzeugt, dass der Wegfall der Schuldenbremse auch nicht zu mehr Investitionen führen würde. Denn die Investitionen seien schon vor der Einführung der Schuldenbremse zugunsten von konsumtiven Ausgaben gesunken. Niedersachsen habe ab 2018 trotz Altschuldentilgung und Schuldenbremse seine Investitionen deutlich angehoben.

schnittlich 46,2 Tage auf ihren Steuerbescheid warten. Bundesweit habe die durchschnittliche Bearbeitungszeit der Finanzämter bei 53,1 Tagen gelegen und war damit einen Tag schneller als im Jahr zuvor. “Die im Schnitt trotz Corona gesunkene Bearbeitungsdauer zeigt, dass sich die Digitalisierungsstrategie der Finanzbehörden positiv auswirkt”, schlussfolgert Felix Bodeewes, Geschäftsführer von Lohnsteuer kompakt. Das demnach 2020 bundesweit schnellste Finanzamt kommt aus dem Saarland. Beim Finanzamt Homburg, Außenstelle St. Ingbert, mussten Steuerpflichtige im Schnitt 28,7 Tage auf ihren Steuerbescheid warten. In Thüringen hätten die Finanzämter im Jahr 2020 im Schnitt hingegen 71,4 Tage benötigt, um eine Steuererklärung zu bearbeiten, noch einmal rund zehn Tage mehr als im Jahr zuvor. “Damit ist Thüringen das mit Abstand langsamste Bundesland”, erklärt Bodeewes. Thüringens Finanzministerin Heike Taubert kritisierte die Auswertung des Online-Steuerportals: “Diese Schlussfolgerung von Lohnsteuer kompakt ist schlichtweg falsch. Die Auswertung ist nicht repräsentativ und damit auch nicht aussagekräftig.” So sei in die Auswertung nur ein Bruchteil der bundesweit zu veranlagenden Arbeitnehmerfälle einbezogen worden. Der kommerzielle Anbieter für Online-Steuererklärungen ermittelte die Be-

Laut Studie lag die durchschnittliche Bearbeitungszeit der Steuerbescheide 2020 bundesweit bei 53,1 Tagen, in Rheinland-Pfalz im Schnitt sogar bei nur 46,2 Tagen. Schlusslicht sei Thüringen mit 71,4 Tagen. Foto: BS/Wilfried Pohnke, pixabay

arbeitungszeit der Finanzämter anonym anhand von ca. 500.000 über das Portal erstellten Steuererklärungen. Die Thüringer Finanzämter seien bei der Bearbeitung von Steuererklärungen schneller als behauptet. Unter Zugrundelegung der vom Thüringer Finanzministerium erhobenen Daten betrage die durchschnittliche Bearbeitung von Einkommensteuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 2019 im Arbeitsbereich der Arbeitnehmerveranlagung durchschnittlich 62,3 Tage. Im Arbeitsbereich der allgemeinen Veranlagung würden im Durchschnitt 61,3 Tage benötigt. “Für beide Arbeitsbereiche zusammen ergibt sich eine durchschnittliche Laufzeit von 62 Tagen”, so Taubert. Damit sei die durchschnittliche Bearbeitungszeit ganze zehn Tage schneller als in der Auswertung des Steuerportals. Doch auch mit dem vom Finanzamt ermittelten

Ergebnis bleiben die Thüringer Finanzämter auf dem letzten Platz, denn auf dem vorletzten Platz vor Thüringen landete Bremen mit 61 Tagen. Für das Jahr 2020 sei zudem festzustellen, dass die Bearbeitungszeiten sowohl im Arbeitnehmerbereich (+ 5,2 Tage) als auch im Bereich der allgemeinen Veranlagung (+ 0,3 Tage) im Vergleich zum Vorjahr gestiegen seien. Der wohl wesentlichste Grund für diesen Anstieg werde in den Auswirkungen der CoronaPandemie gesehen. Durch die Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen sowie Quarantäneverordnungen hätte im Jahr 2020 nicht mit voller Besetzung gearbeitet werden können. Die Bediensteten der Finanzämter hätten zudem ein stark gestiegenes Arbeitspensum aufgrund zahlreicher Anträge zu steuerlichen Erleichterungen und Sofort-Maßnahmen für Unternehmen zu bewältigen.


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / Februar 2021

Es bleibt viel zu tun

D

er ursprüngliche X-VergabeStandard sollte Bietern bis 2019 einen einheitlichen, standardisierten Zugang auf den unterschiedlichen Vergabeplattformen öffentlicher Auftraggeber ermöglichen, einen sogenannten Multi-Bieterclient. “Zwar existiert der Standard, wir haben davon aber schon lange nichts mehr gehört”, sagt Christoph Bartscher, Leiter des Referats Vergabedienste der Stadt Bonn. Kein Wunder, denn dieser hat sich nicht durchgesetzt. So müssen Bieter nach wie vor bei der Angebotsabgabe für öffentliche Aufträge mehrere Plattformen bedienen können. Im Falle Hamburgs sind es derer sechs. Ein Unding, findet Thomas Rath. Gerade die Handwerksbetriebe hätten nicht die Kapazitäten, um alle Plattformen zu bedienen. “Das schadet dem Wettbewerb”, so das Vorstandsmitglied der Handwerkskammer Hamburg. Der Handwerksmeister, der selbst einen Betrieb führt und das Dilemma zur Genüge kennt, fordert, dass die Verwaltung und sämtliche öffentliche Unternehmen der Freien und Hansestadt ihre Vergabeverfahren nur noch über eine Plattform anbieten. Das würde die Angebotsabgabe erleichtern und sei entschieden wettbewerbsförderlicher. So einfach ist es jedoch nicht. “Die gesamte Verwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg muss für sämtliche Auftragsvergaben eine Vergabelösung anwenden”, erläutert Dr. Bettina Maaser-Siemers, Leiterin der Abteilung “Grundsatz Vergaberecht, Gebühren, Vergabekammer, Enteignungsbehörde” in der Hamburger Finanzbehörde. Allerdings könne die Verwaltung den öffentlichen Unternehmen keine Vorgaben machen, Aufträge

Digitalisierung und Standards bei Beschaffung und Nachprüfung (BS/Jörn Fieseler) Die öffentliche Vergabe gilt als digitalisiert. Zumindest im Rahmen des Online-Zugangsgesetzes (OZG). Schließlich existieren flächendeckend mehrere E-Vergabesysteme verschiedener Hersteller. Das gilt jedoch nicht für das Nachprüfungsverfahren, dass nun ebenfalls digitalisiert werden soll. Doch auch der digitale Einkauf steht weiter im Fokus. Zwar existiert für die Fachanwendungen der Standard X-Vergabe, dieser soll jedoch neu aufgesetzt werden. Doch die Zeit drängt. ebenfalls über diese Plattform zu vergeben. Das sei rechtlich nicht möglich, schließlich seien Unternehmen wie die Hamburg Port Authority oder Hamburg Wasser eigene Rechtsträger.

Neuer Standard bis Ende 2022? Wenn sich die verschiedenen Beteiligungsunternehmen der Hansestadt nicht freiwillig auf eine Plattform einigen, bleibt nur die Hoffnung auf eine Standardisierung des digitalen Einkaufes. “Dazu soll der X-Vergabe-Standard als nationaler Fachstandard für alle Bekanntmachungs- und Vergabeplattformen erneuert werden”, erklärt Dr. Thomas Solbach, Leiter des Referats “Öffentliche Aufträge, Vergabeprüfstelle; Immobilienwirtschaft” im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Im Rahmen eines Bund-LänderKooperationsprojektes soll bis Ende 2022 ein Beschlussvorschlag für eine Neuausrichtung des Standards erstellt werden. An dem Projekt sind neben dem Bundesinnenministerium (BMI) die Länder Bremen, RheinlandPfalz und Nordrhein-Westfalen beteiligt, führt Anna Dopatka aus: “Untersucht wird der gesamte Beschaffungsprozess von der Bedarfsmeldung bis zur Rechnungstellung”, so die Leiterin der Koordinierungsstelle für IT-Standards (KoSIT) beim Senat für Fi-

nanzen der Hansestadt Bremen. Aufgabe der KoSIT in dem vom IT-Planungsrat aufgesetzten Projekt sei es, bei den inhaltlichen Anforderungen zu unterstützen und diese in Fachstandards zu gießen. Schon jetzt gebe es viele öffentliche Auftraggeber, die für sich selbst gute Lösungen entwickelt hätten, berichtet die Leiterin der KoSIT. Allerdings wirkten diese nicht zusammen. Es seien Insellösungen gewesen. Deshalb sei auch der Standard X-Vergabe nicht erfolgreich gewesen. “Der Standard wurde losgelöst vom Gesamtprozess entwickelt und war damit auch nur eine Insellösung”, so Dopatka.

Neuer Zugang, neue Datenarchitektur Das soll in diesem Projekt anders werden. Ein ambitionierter Plan angesichts der kurzen Laufzeit. “Am Ende des Projektes werden wir sicher nicht für alle Teilschritte fertige Spezifikationen und Prozessbeschreibungen haben”, gibt die Standardisierungsexpertin zu. Aber sicherlich werde es für einige Teilschritte schon erprobte und pilotierte Lösungen geben. Dazu würden die Fachverfahrenshersteller schon jetzt in das Projekt eingebunden. Das sei herausfordernd, denn keiner dürfe bevorzugt werden. “Die Vielfalt der Anbieter und ihrer Lösungen wird bestehen bleiben”, unterstreicht Dopat-

ka. Aber der Zugriff soll für alle Unternehmen einfacher und eine neue Möglichkeit geschaffen werden, berichtet Sören Bergner, Leiter des Referats “Öffentliches Auftragswesen, Digitalisierung öffentlicher Einkauf” im BMI: “Für diejenigen Unternehmen, die noch keinen Zugriff auf öffentliche Aufträge haben, soll es eine Zugangsmöglichkeit über das Unternehmenskonto geben.”

E-Forms zwingt zum Handeln Doch nicht nur der neue Zugang erschwert das Projekt, sondern auch die EU-Durchführungsverordnung E-Forms. “Es ist ein offener EU-Standard zur Veröffentlichung von Daten zum öffentlichen Beschaffungswesen, der im Oktober 2023 zwingend im Einsatz sein wird”, führt Solbach aus. Damit werde der bisherige Datenübertragungsprozess zur Bekanntmachungsplattform der EU, den “Tenders Electronic Daily” (TED), umgestellt. “Früher hatte jeder seine eigene Datenarchitektur, aus der er die relevanten Informationen für den TED herausziehen konnte”, ergänzt Bergner. Wie die Daten dafür sortiert wurden, war Aufgabe der meldenden Stelle. Mit der Durchführungsverordnung hat die EU-Kommission verbindliche Vorgaben gemacht, welche Daten zwingend gesendet werden müssen und welche optional sind. So kann es sein, dass jetzt op-

Auf Mindestvorgaben und Wertungskriterien kommt es an Vorschriftendschungel für Ökologie im Vergabeverfahren (BS/Dr. Ute Jasper/Dr. Laurence Westen*) Von Papst Franziskus bis zur Weltgesundheitsorganisation – alle warnen davor, nach Corona wieder dort weiterzumachen, wo wir vor dem ersten Lockdown aufgehört haben. Wir müssen nicht nur Covid-19 bekämpfen, sondern auch bei den Reaktionen auf den Klimawandel und beim Umwelt- und Tierschutz auf die Wissenschaft hören. Die letzten Monate haben gezeigt, wie schnell und wie weitgehend wir etwas ändern können, wenn es nötig ist. Es ist nötig! Die öffentliche Hand kann und sollte, wenn sie baut oder Waren oder Dienstleistungen beschafft, mit gutem Beispiel vorangehen. Die meisten Behörden wollen inzwischen selbst nicht nur die finanziellen, sondern auch die ökologischen Folgen ihrer Entscheidungen und Projekte prüfen und beeinflussen. Dazu gibt es viele Ratgeber, Gutachten, Beispiele und Ideen (siehe Infokasten). Auch im Vergaberecht selbst und in vielen Spezial-Gesetzen gibt es zahllose gut gemeinte, aber oft unübersichtliche Vorgaben für “grüne” Vergaben. Sie reichen vom Kreislaufwirtschaftsgesetz über das Klimaschutzgesetz bis zu Verwaltungsvorschriften und Erlassen für Holzprodukte.

Klare Richtung, wenige Hindernisse Das Motto “viel hilft viel” schreckt allerdings viele ab. Es besteht die Gefahr, dass die Masse der Vorschriften nicht zu umweltbewussten Vergaben motiviert, sondern alle guten Absichten im Keim erstickt. Wenn es zu viele Wege gibt, die eingeschlagen werden können, bleibt auch der gut meinende Wanderer oft unschlüssig stehen oder er folgt weiter dem einzigen Weg, den er seit Jahren kennt. Im Rheinland heißt der: “Et hätt noch immer joot jejange”. Früher vielleicht, künftig nicht. Was kann man tun? Die Details sind beiseite zu schieben und die große Linie ist zu suchen. Auch bei ökologisch orientierten Vergaben kann man durch Überoptimierung mehr bremsen als bewirken. Besser ist es, den richtigen Weg danach auszuwählen, wie man am meisten erreicht: klare Richtung, wenige Hindernisse. Übersetzt bedeutet

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Ratgeber für ökologische Beschaffung (Beispiele) • Umweltbundesamt; Rechtsgutachten umweltfreundliche und öffentliche Beschaffung (www.umweltbundesamt.de, unter Publikationen) • Kompetenzstelle nachhaltige Beschaffung im BeschA; Newsletter nachhaltige Beschaffung (www.nachhaltige-beschaffung.info) • EU-Kommission; Umweltorientierte Beschaffung! Ein Handbuch für ein umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen (https://ec.europa.eu/environment/gpp/pdf/handbook_de.pdf) • Engagement Global / Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW); Kompass Nachhaltigkeit – öffentliche Beschaffung (www.kompass-nachhaltigkeit.de)

dies, den öffentlichen Einkauf zuerst an den Punkten zu verändern, mit denen man viel für Klima und Umwelt erreicht. Die wichtigsten Ansätze dafür sind zwingende Mindestvorgaben der Leistungsbeschreibungen und, noch wirkungsvoller, die Wertungskriterien. Ein Beispiel: Eine Stadt will Autos für das Ordnungsamt kaufen. Dann kann sie maximale Verbräuche und Emissionen

Save the Date Weiter Informationen zur ökologischen Beschaffung, das Kennenlernen von Praxisbeispielen und den Austausch mit anderen öffentlichen Auftraggebern bietet das Webinar “PostCorona-Einkauf – Umwelt- und Klimaschutz im Vergabeverfahren” des Behörden Spiegel am 05.03.2021. Mehr unter: www.fuehrungs kraefte-forum.de, Suchwort “Post-Corona”.

vorgeben. Das ist der einfache Weg zum ökologisch sinnvollem Einkauf. Sie kann aber auch Benzin-, Strom- oder Wasserstoff-Antrieb offenlassen, die Verfügbarkeit eines Fuhrparks ausschreiben und so die Energiekosten, den Wartungsaufwand, die Schadstoffe und vieles mehr mit in die Wertung einbeziehen. Dann ermittelt der Wettbewerb die langfristig beste Lösung.

Nicht alles ist sinnvoll Ähnliches gilt für den Bau von Kitas oder Schulen. EnergieZertifikate können zwingend verlangt werden oder der Energieverbrauch wird Wertungskriterium. Beides ist möglich, allerdings nicht in jedem Fall gleich sinnvoll. Oft findet sich erst gemeinsam mit den Bietern im Verhandlungsverfahren die beste Lösung. Ein weiteres Beispiel aus der Praxis sind Klimaanlagen für einen Verwaltungsneubau – energetisch und finanziell aufwendig, wie jeder weiß. Als ein Bieter vorschlug, einfach Maximaltemperaturen statt einer technischen

Lösung vorzugeben, stellte sich heraus, dass diese Temperaturen auch mit Kühldecken einzuhalten waren. Was bedeutet das für Vergabeverfahren? Wie baut man ökologische Mindestanforderungen und Wertungskriterien am besten ein? In drei Stufen: Zuerst identifiziert man die Anforderungen, die gesetzlich vorgegeben sind, wie zum Beispiel die Energieeinsparverordnung oder bestimmte verbotene Stoffe. Im zweiten Schritt entscheidet der Auftraggeber, welche nicht obligatorischen, aber für ihn ökologisch wichtigen Grenzen keinesfalls überschritten werden sollen, wie maximale Emissionen, nichtfossile Energien, lange Abfalltransportwege. Bis dahin ist es recht einfach. In der dritten Stufe wird es spannend: Der Auftraggeber gibt die funktionalen Ziele und die Wertungskriterien vor. Wenn er z. B. nicht auf den Preis, sondern auf die Gesamtkosten während der Nutzung abstellt, wird er eventuell teurere, aber energiesparendere Produkte erhalten, die langfristig auch für ihn wirtschaftlicher und nachhaltiger sind. Die öffentliche Hand muss sich darauf einstellen, der große vergaberechtliche Handwerkskasten erlaubt das ohne Probleme. Lediglich das Förderrecht ist noch etwas sperrig. * Dr. Ute Jasper und Dr. Laurence Westen arbeiten als Rechtsanwälte und Partner im Dezernat Öffentlicher Sektor und Vergabe der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek.

tionale Felder, wie zum Beispiel Nachhaltigkeitskriterien, ab dann zwingend anzugeben sind.

Nachprüfungsverfahren wird digitaler In der Freien und Hansestadt Hamburg, die für die Umsetzung des OZG-Themenfeldes “Unternehmensführung und -entwicklung” verantwortlich ist, wird derweil das Nachprüfungsverfahren in den Blick genommen. Obwohl der Bund das Projekt bislang nicht unterstützt. “Das Nachprüfungsverfahren ist eigentlich keine Verwaltungsleistung im klassischen Sinn, sondern eher ein gerichtsähnliches Verfahren zur Erlangung von Rechtschutz”,

sagt Maaser-Siemers. Obwohl die Vergabekammern zur Verwaltung gehörten. Deshalb habe man ein eigenes Projekt zur Digitalisierung der Nachprüfung aufgelegt. Allerdings seien die Vorbehalte weiterhin sehr groß. Eine herrschende Zahl der Kammern verlange Vergabevermerke und Wertungsentscheidungen in Papierform. Nicht zuletzt, weil in zweiter Instanz die Papierakte an das Oberlandesgericht (OLG) gesendet werden müsse. Dort sei eine erste Besserung in Sicht: “Der Vergabesenat vom OLG Hamburg wird auf die elektronische Aktenführung umstellen”, so Maaser-Siemers. Es gebe aber noch andere Hürden. Zum einen beim Einreichen von Nachprüfungsanträgen per Fax. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Fax körperlich zugegangen sein muss. Das heißt: in Papierform vorliegt. “In Hamburg haben wir uns darauf verständigt, die Zustellung anzuerkennen, wenn das Fax im Speicher des Gerätes ist”, so die Abteilungsleiterin.

qanuun-aktuell Der Millionenbauer von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Nachdem ich in der ersten Kolumne 2020 unter Berufung auf ein (seriöses) Jahreshoroskop in Aussicht gestellt hatte, dass Uranus im Stier stünde und deshalb vielfältige Turbulenzen zu erwarten seien, bitte ich um Nachsicht, dass ich Anfang 2021 den Blick zurück richte. Die Turbulenzen im Jahr 2020 waren deutlich zu heftig, um noch einmal wider Willen die Kassandra zu geben. Ende der 70er-Jahre gab es eine kurze Fernsehserie mit dem Titel “Der Millionenbauer”, in dem ein Landwirt, durch die Veräußerung seiner Liegenschaften zu Geld gekommen, den Weg in die Politik antrat. Walter Sedlmayr spielte diesen Landwirt, der ohne Zögern als Bürgermeister Parteifreunde auf Linie brachte, um seine eigenen Vorteile zu sichern. Die Anzahl vergleichbarer Filme aus dieser Zeit zeigte, dass die Filmschaffenden damals fest von dieser Methode der politischen Entscheidungsfindung überzeugt waren. Abgesehen davon, dass einige handfeste Skandale der 80er-Jahre ihnen Recht gaben und zu inhaltlichen Verschärfungen des PartG geführt haben, ist dieser Stil des Nepotismus

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

bis heute gängige Praxis. Der Machtmensch von heute mag smarter auftreten und weniger bieder gekleidet sein, aber zur Durchsetzung seiner Interessen scheut er weder windige Versprechen noch handfeste Erpressungen. So bleibt der Tätertypus der Korruption derselbe wie vor 40 Jahren: Er ist nach der polizeilichen Kriminalstatistik (2019) in 82 Prozent männlich, zwischen 30 und 60 Jahre alt, hat in 54 Prozent der Fälle eine Führungs- oder Leitungsfunktion und ist zuvor kaum (nur jeder sechste) strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er fühlt sich in seinem Tun sicher, denn er weiß, dass er das Kontrollvakuum geschaffen hat, von dem er profitiert. Das kommt Ihnen irgendwie bekannt vor?

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen


Beschaffung / Vergaberecht

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Drucker erfolgreich beschaffen

Behörden Spiegel / Februar 2021

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Von der Marktanalyse über die Vertragsgestaltung bis zur Ausschreibung (BS/ Dr. Martin Schellenberg*) Die digitale Akte ist zwar auch bei der öffentlichen Hand auf dem Vormarsch. Doch Papier bleibt wichtig. Das wird nicht zuletzt deutlich, wenn man die Bilder der neuen Impfzentren betrachtet: An jedem Untersuchungsplatz steht auch ein Drucker. Jeder geimpfte Bürger erhält am Ende des Prozesses einen Ausdruck. Drucken bleibt also absehbar ein integraler Bestandteil der Verwaltungstätigkeit. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Beschaffung von Druckern auch im strategischen Einkauf der öffentlichen Hand einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Der Markt hier ist ordentlich in Bewegung. Reine Drucker werden kaum mehr angeboten. Üblich sind Multifunktionsgeräte. Sie sind längst zu eigenen Rechnern geworden. Die Geräte sind in der Lage, den Nutzer zu erkennen und sie können gescannte Dokumente unmittelbar in bearbeitbaren Text umsetzen. Moderne Drucker sind Dokumentationssysteme, die viel mehr können, als Kopien herzustellen. Der Markt der Anbieter von Multifunktionssystemen für die öffentliche Hand ist überschaubar. An den Ausschreibungen beteiligen sich in der Regel nicht mehr als fünf bis zehn Unternehmen. Bei den meisten Bietern handelt es sich um die Vertriebsarme der großen Hersteller. Allein die Hersteller HP und Canon teilen sich ca. 60 Prozent des Weltmarktes. Epson, Brother, Dell und Kyoscera folgen auf den weiteren Plätzen. Ausgeschrieben werden mittlerweile fast nur noch LeasingModelle mit Service-Paketen. Die Abrechnung erfolgt auf der Basis einer monatlichen Grundvergütung und einer verbrauchsabhängigen Vergütung nach gedruckten Seiten. Die Preise sind nach wie vor rückläufig. Dies gilt weltweit aber unserer Erfahrung nach auch bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand in Deutschland. Einsparungen zwischen fünf und zehn Prozent sind in der Regel realisierbar. Die Neuvergabe kann also zu ganz erheblichen Kostensenkungen führen.

Europaweite Ausschreibungen sind üblich Bereits mittelgroße Verwaltungen überschreiten bei der Beschaffung von Druck- und Kopierleistungen den EU-Schwellenwert von 214.000 Euro netto. Die Überschreitung ist insbesondere der Laufzeit der Verträge geschuldet. Üblich sind Laufzeiten zwischen zwei und vier Jahren. Die in diesem Zeitraum auflaufenden Leasingraten und Druck-, und Pflegekosten summieren sich schnell auf sechsstellige Summen. Zur Berechnung des Auftragswertes müssen alle geschätzten Kosten zusammengezählt werden. Dazu gehören auch Optionen für Laufzeitverlängerungen. Die Leistungsbeschreibung besteht im Wesentlichen aus einer Ist-Beschreibung der ITLandschaft des Auftraggebers und einer Excel-Tabelle der benötigten Geräteklassen. In dieser Liste sind auch die Mindestanforderungen in Bezug auf Druckgeschwindigkeit, Verbrauch, Emissionen etc. enthalten. Wir empfehlen, hier Mindestwerte vorzugeben und darauf zu verzichten, diese in den Wettbewerb zu stellen.

Wesentliche Vertragsbestandteile Teil der Vergabeunterlagen ist außerdem der Vertrag. Die öffentliche Hand ist in der Regel haushaltsrechtlich an die EVB-IT-Vertragsmuster gebunden. Für das oben geschilderte Leistungsspektrum gibt es kein vollständig passgenaues Vertragsformular. Am ehesten lässt sich der EVB-IT-Systemvertrag an diesen Bedarf anpassen. Die folgenden Punkte sind hierbei zu beachten: Vertragspflichten

fentlichen Hand zu unterwerfen, wenn sie an der Ausschreibung teilnehmen wollen.

Wertungs- und Eignungskriterien

Moderne Drucker sind Dokumentationssysteme mit eigenen Rechnern. Die zunehmende Komplexität wirkt sich auch auf die Beschaffung aus. Foto: BS/jf

sind die Überlassung und die Herstellung der Betriebsbereitschaft der gelieferten Systeme. Letzteres empfiehlt sich insbesondere vor dem Hintergrund der komplexen Softwareeinbindung der Multifunktionssysteme in die IT-Landschaft des Auftraggebers. In der Regel außerdem geschuldet sind Einführungsschulungen, um zentrale Mitarbeiter mit allen relevanten Funktionen der Systeme vertraut zu machen. Neben der Bereitstellung der Geräte schuldet der Auftragnehmer in der Regel Systemservice. Der Auftragnehmer sollte im Rahmen des Systemservice zu Reaktionsund Wiederherstellungszeiten verpflichtet werden. Reagieren sollte der Dienstleister möglichst sofort auf Anfragen, spätesten aber innerhalb von zwei Stunden. Diese Reaktionszeit ist natürlich nur innerhalb der üblichen Geschäftszeiten geschuldet. Wie lange es dauert, bis ein Gerät wieder einsatzbereit ist, hängt jedoch nicht von der Reaktions- sondern von der Wiederherstellungszeit ab. Um das Gerät wieder in Gang zu setzen, muss gegebenenfalls ein Ersatzteil oder -gerät geliefert und angeschlossen werden. Hierfür erscheint eine Wiederherstellung innerhalb von zwei Werktagen angemessen. Als Wiederherstellungszeit wäre in den Vertrag dann acht Stunden einzutragen. Sanktioniert wird eine Verletzung der Service-Level durch Vertragsstrafen. Ebenfalls zu regeln ist, ob aus dem Vertrag noch weitere Geräte abgerufen werden können, ob Geräte zurückgegeben werden dürfen und ob ein Umzug von Geräten von der Leistungspflicht des Auftragnehmers abgedeckt ist. Alle übrigen Vertragsinhalte sind von den EVB-IT-Vertragsbedingungen bereits generell geregelt. Diesen Bedingungen haben sich Auftragnehmer der öf-

Save the Date Die vergaberechtlichen und vertraglichen Einzelthemen bei der Beschaffung von Druck- und Kopierleistungen thematisiert der Autor in einem gleichnamigen Webinar des Behörden Spiegel am 24. März 2021. Anmeldung und Information unter: www.fuehrungskraefteforum.de, Suchwort “Druck”

Bevor die Ausschreibung veröffentlicht werden kann, ist noch das Wertungssystem festzulegen. Zunächst sind Eignungskriterien zu bestimmen. Hier kommt es insbesondere darauf an, wie die Referenzanforderungen für vergleichbare Erfahrungen gefasst werden. Sinnvoll ist es, auch mittelständische herstellerunabhängige Unternehmen zuzulassen. Vor diesem Hintergrund sollten die Referenzanforderungen nicht zu hoch angesetzt werden. Es empfiehlt sich, zu fordern, dass die vorzulegenden Referenzen “vergleichbare Projekte” betreffen. Darüber hinausgehende Spezifizierungen, wie z. B. dass Referenzprojekte für die öffentliche Hand vorzuweisen sind, empfehlen sich nicht, da damit ein wesentlicher Teil des Marktes ausgeschlossen wird. Ebenfalls Teil des Wertungssystems sind die Zuschlagskriterien. Die Angebote sind nicht nur nach dem günstigsten Preis, sondern auch nach der Qualität der Produkte und des Service zu werten. Die Qualität der Geräte sollte im Rahmen einer Teststellung von einer Nutzer-Jury nach den Kriterien Haptik, Bedienfreundlichkeit und Ergonomie bewertet werden. Hierbei ist ein gewisser subjektiver Bewertungsspielraum gegeben, der auch gerichtlich nicht mit Erfolg angegriffen werden könnte. Des Weiteren sollten die Bieter ein Umsetzungskonzept vorlegen. Dort ist zu beschreiben, wie der Rollout möglichst effizient und der Betrieb möglichst ungehindert über die Laufzeit sichergestellt werden kann. Teststellung und Konzepte werden nach Punkten bewertet. Um das Preis-Leistungs-Verhältnis zu bestimmen, empfiehlt es sich, Preis und Leistung je zur Hälfte zu werten. In der Praxis erfolgt dies durch eine Division der Leistungspunkte durch den angebotenen Preis (L/P=Z).

Wahl des Verfahrens Schließlich ist noch die Verfahrensart festzulegen. Das Vergaberecht sieht als Regelverfahren bekanntlich das offene Verfahren vor (vgl. § 14 VgV). Für komplexe Rahmenvertragsgestaltungen bei größeren Sammelausschreibungen kann es sich jedoch durchaus anbieten, die Anwendungsvoraussetzungen des Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zu prüfen. Diese Verfahrensart ist dann zulässig, wenn “der Auftrag konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst” (vgl. § 14 Abs. 3 Nr. 2 VgV). Will der Auftraggeber also nicht einfach Druckleistungen von der Stange beschaffen, sondern kommt es ihm darauf an, dass Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsziele im Rahmen der Konzeptionen bewertet werden, so empfiehlt sich die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens. Dieses Verfahren hat nicht nur den Vorteil, dass mit den Bietern über alle Leistungs- und Vertragsdetails gesprochen werden kann. Auch über den Preis kann verhandelt werden. Erfahrungsgemäß sind im Rahmen dieser Preisverhandlungen erhebliche Reduktionen zu erzielen. *Dr. Martin Schellenberg ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek.

► POSTDIENSTE

Kritische Beistellung Alte Frankiermaschine weiternutzen? Die Poststelle des Auftraggebers unterhält bisher einen umfangreichen Maschinenpark für den Briefdruck, das Couvertieren und schließlich auch das Frankieren der Sendungen. Diesen Maschinenpark einschließlich der Frankierstraße will er auch bei der Neuausschreibung von Postdienstleistungen weiterhin nutzen. Das Problem dabei: Die Frankiermaschine ist speziell auf einen Dienstleister ausgerichtet. In einem ersten Versuch der Ausschreibung gibt er Bietern, die andere Frankaturen verwenden, die Möglichkeit, eigene Maschinen zur Verfügung zu stellen, will aber die Kosten derer Anmietung preislich werten. Nach einer Bieterrüge fügt er in seine Vergabeunterlagen auch noch die Möglichkeit ein, dass der Bieter die Sendungen unfrankiert abholt und im eigenen Betrieb frankiert. Auch damit gibt sich der Bieter nicht zufrieden, denn nun müsse er ja seinen Frankieraufwand in den Angebotspreis einkalkulieren und stelle sich damit schlechter als der mitbietende Bestandsdienstleister, dessen Frankierung der Auftraggeber übernehmen würde. Die Vergabekammer gibt dem Bieter Recht: Die Beistellung auftraggebereigener Maschinen sei grundsätzlich zulässig, solange sie den Wettbewerb nicht verzerrten – was hier aber der Fall sei. Damit sei das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers überschritten. Die Entscheidung muss als ungewöhnlich restriktiv angesehen werden, denn sie verbietet es dem Auftraggeber faktisch, einen wirtschaftlichen Nutzen daraus zu ziehen, dass er einst in den Erwerb einer eigenen Frankiermaschine investiert hatte. VK Lüneburg (Beschl. v. 10.07.2020, Az.: VgK-12/2020)

► TÄTIGKEITSVERBOT

Rechtliche Leistungsfähigkeit Kein Aspekt der Eignung mehr Das OLG Düsseldorf hatte einst das Bild der “rechtlichen Leistungsfähigkeit” entwickelt, wenn es zu beurteilen galt, ob ein Bieter die nachgefragte Leistung überhaupt erbringen darf. Das kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn der Bieter selbst ein Unternehmen der öffentlichen Hand ist, das durch Gesetz Tätigkeitsbeschränkungen unterliegt. Von dieser Vorstellung ist der Düsseldorfer Vergabesenat nun wieder abgerückt, denn inzwischen hat sich die Rechtslage durch die neuen Vergaberichtlinien aus dem Jahr 2014 geändert. Heute sind die Eignungs- und die Ausschlusstatbestände abschließend aufgezählt. Die öffentlich-rechtliche Tätigkeitsbeschränkung findet sich in der Aufzählung nicht. Die Frage einer rechtlichen Beschränkung sei heute ein Aspekt der Vertragserfüllung. So kommt der Senat zu dem Schluss, dass sich eine hundertprozentige Tochter eines Universitätsklinikums, die eigentlich für Bauaufgaben des Klinikums gedacht war, auch um den Auftrag zur Planung von Schulgebäuden einer benachbarten Großstadt bewerben darf. Nachdem jedenfalls hier sowohl das Klinikum als

auch das Aufsicht führende Ministerium mitgeteilt haben, ihrerseits bestünden gegen die Übernahme des Auftrags keine Bedenken, darf die Stadt damit rechnen, dass der Auftrag auch ausgeführt werden wird. Der Vertrag darüber könne auch bei nachträglich anderer Beurteilung sich nicht als nichtig herausstellen, denn die infrage kommenden landesrechtlichen Tätigkeitseinschränkungen stellten jedenfalls kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB dar. OLG Düsseldorf (Beschl. v. 14.10.2020, Az.: Verg 36/199

► NACHUNTERNEHMER

Im Boden vernagelt Wohin mit den Kosten der Vermessung? Beim Bau einer Hochwasserschutzmauer war es erforderlich, sogenannte Bodennägel, also markierte Vermessungspunkte, gegen Verschieben abzusichern. Ein Bieter hatte offenbar Sorge, dass dies angesichts der in diesem Bereich eingesetzten schweren Baumaschinen nicht gelingen würde und die Punkte anschließend neu eingemessen werden müssten. Dafür erwartete er Kosten eines vereidigten Vermessungsingenieurs, die nach einer amtlichen Gebührenordnung abzurechnen sind. Wegen Unklarheiten seiner Kalkulation verlangte der Auftraggeber die nachträgliche Vorlage des Formblatts 223 – Aufgliederung der Einheitspreise. Hier strich der Bieter die Spaltenüberschrift “Sonstige” und ersetzte sie durch “NULeistung”, weil er vielfach die Nachunternehmerleistungen nicht auf die vorhandenen Kategorien “Stoffe, Löhne, Geräte” aufteilen konnte oder wollte. An der Richtigkeit dieses Vorgehens hatte die Vergabekammer bereits erhebliche Zweifel. Dass der Bieter aber ausgerechnet für die nichtaufteilbaren Kosten der Vermessungsleistungen, die er im Formblatt 235 als Nachunternehmerleistung aufgeführt hatte, in der selbstgemachten NU-Spalte den Wert “0” eingetragen hat, brach ihm endgültig das Genick. Damit war das von ihm kreierte System der Preisaufgliederung nicht nur, gelinde gesagt, ungewöhnlich, sondern vor allem in sich widersprüchlich. Wegen dieser Unklarheiten über die Nachunternehmerbenennung bestätigte die Vergabekammer daher seinen Ausschluss. Besonders ärgerlich für den Bieter: Die Leistung des Gutachters dürfte eine reine Hilfsleistung sein, die im Formblatt 235 gar nicht hätte angegeben werden müssen. VK Sachsen (Beschl. v. 30.10.2020, Az.: 1/SVK/028-20)

► MARKTERKUNDUNG

Direktvergabe zulässig Abschlägige Auskunft des Vertriebs Eine Software zur Fallbearbeitung im Jobcenter sollte nach dem Willen des Auftraggebers über ein integriertes Dokumentenmanagement-System verfügen. Die Einbindung externer DMS über eine Schnittstelle wurde ausgeschlossen. Der Auftraggeber will so eine weitgehende Ausfallsicherheit gewährleisten, die erforderlich sei, weil die Gefahr ausgeschlossen werden müsse, dass die Leistungsbezieher wegen einer technischen Störung die rein

existenzsichernde Leistung verspätet erhielten. Im Zuge der dem Beschaffungsvorgang vorgelagerten Markterkundung waren alle vier infrage kommenden Unternehmen überprüft worden, ob ihre Produkte dies gewährleisten könnten. Im Ergebnis blieb nur ein einziges Unternehmen übrig, das diese Anforderung erfüllt. Nach daraufhin erfolgter Direktvergabe verlangt eines der anderen drei Unternehmen die Nachprüfung. Die Direktvergabe sei unzulässig, weil man selbst ebenfalls leistungsfähig sei. Das OLG Rostock weist dieses Ansinnen zurück. Dem Antragsteller wurde die Aussage eines Vertriebsmitarbeiters in der Markt­ erkundung zum Verhängnis. Der nämlich hatte auf Befragen des Auftraggebers ausdrücklich erklärt, die feilgebotene Software enthalte kein integriertes DMS, und ein solches sei auch für die Zukunft nicht vorgesehen. Wenn sich das Unternehmen aber selbst hinsichtlich einer technischen Anforderung als nicht leistungsfähig erklärt hat, kann es sich nicht darauf berufen, sein Produkt stehe der Alleinstellung des Konkurrenten im Wege, welche die Direktvergabe gerechtfertigt hatte. OLG Rostock (Beschl. v. 25.11.2020, Az.: 17 Verg 1/20)

► KORRUPTION

Kein Schutz durch Wiederwahl Bürgermeister schanzte sich selbst Aufträge zu Auch ehrenamtliche Bürgermeister sind Beamte – und können dementsprechend aus dem Beamtenstand entfernt werden, selbst nach ihrer erfolgreichen Wiederwahl. Das musste ein korrupter bayerischer Dorfbürgermeister erfahren. In der vorherigen Amtszeit hat er bei einer Bauausschreibung gemeinsam mit anderen Bietern die Preise abgesprochen. Im Ergebnis war sein eigener Zimmereibetrieb in einem Los führend, in einem zweiten war er als Nachunternehmer des vermeintlichen Bestbieters eingesetzt. Ob aus der Preisabsprache selbst der Gemeinde ein Schaden entstanden ist, wurde nicht weiter aufgeklärt. Der Bürgermeister rechnete vor, seine Manipulation habe der Gemeinde angeblich 70.000 Euro gespart. Jedoch: Die Preisabsprache flog auf, 54.000 Euro Zuschuss gingen der Gemeinde wegen Verstoßes gegen die VOB/A verloren. Dadurch war der Tatbestand der Untreue erfüllt, ein Strafbefehl wurde rechtskräftig. Vor dem Verwaltungsgericht wehrte sich der Bürgermeister gegen seine vom Landrat betriebene Entfernung aus dem Beamtenstand. Bereits unmittelbar nach dem Strafbefehl wurde er seines Amtes enthoben. Sein Dorf aber stand zu ihm und wählte ihn kürzlich erneut. Das nutze ihm nichts: Die Disziplinarkammer sieht in der Manipulation ein schweres Dienstvergehen, welches das Vertrauen in die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung unwiederbringlich zerstört hat. Mit der Entfernung aus dem Beamtenstand einher geht der Verlust des gerade wiedergewonnenen Bürgermeisteramtes. VG Regensburg (Urt. v. 19.10.2020, Az.: 10 A DK 19.32)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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Personelles

Behörden Spiegel / Februar 2021

Seite 11

Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg Henning-von-Tresckow-Str. 2–8 14467 Potsdam

Minister Guido Beermann

Telefon: 0331/866-Nebenstelle Fax: 0331/866-8368

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung Brandenburg Stand: Februar 2021

Büro des Ministers und des Staatssekretärs; Kabinetts-, Landtags- und Bundesratsangelegenheiten

Persönliche Referentin: Amei Stock VZ: Manuela Moorenweiser

MB 1 Clemens Viehrig m.d.W.d.G.b. -8001

Foto: BS/©fotocharlotte25

Presse, Öffentlichkeitsarbeit

Staatssekretär Rainer Genilke

MB 2 Katharina Burkardt

Persönlicher Referent: Marius Amfalder

-8006

VZ: Anika Reschke-Kämpf

Abteilung 1 Grundsatzangelegenheiten des Ministeriums, Koordination

Abteilung 2 Stadtentwicklung und Wohnen

Abteilung GL Gemeinsame Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg

Abteilung AbteilungGL 4 Gemeinsame Landesplanungsabteilung Verkehr Berlin-Brandenburg Jan Drews Egbert SAL: Dr.Neumann Petra Overwien m.d.W.d.G.b. VZ: Ivonne Haseloff Reina Zimmer

Angela Brandenburg

-8010

N.N.

-8110

Jan Drews SAL: Dr. Petra Overwien m.d.W.d.G.b.

-8700 -8702

VZ: Daniela Joachim-Sydow

-8011

VZ: Dagmar Höhne

-8112

VZ: Reina Zimmer

-8701

Referat 10

Grundsatz, Koordination, Internationales, Grundsatzangelegenheiten, Digitalisierung und Innerer Dienst

Lutz Kriebel

-8090

Referat 20

N.N.

-8108

-8150

Referat 21

Carsten Gericke

-8120

Referat 12

Jeanette Wonneberger

Frank Segebade

Referat 13

Bärbel Mandelt

-8200

-8720

Dr. Petra Overwien

Iris Wilhein

-8450

Referat 42

Förderangelegenheiten, Binnenschifffahrt, Logistik

-8730

Robert Schumann

-8470

Referat 43

Referat GL 4

Wohnen, Städtebaurecht

ÖPNV, Eisenbahnen

Braunkohlenplanung und -sanierung

-8320

Gesa Dähnhardt

Referat 24

0355/494924-50

Hartwig Rolf

-8270

Referat 44

Referat GL 5

2

Bauordnungsrecht, Oberste Bauaufsicht

-8330

Luftfahrt, Straßenrecht, allgemeine Rechtsangelegenheiten der Abteilung 4

Umsetzung der Raumordnungspläne, Landesplanerische Verfahren

Timo Fichtner

-8050

-8750

Stefan Deinhart

-8280

Referat 45

Referat GL 6

Straßenbau

Raumentwicklung, Landesraumordnungspläne

Referat 14 Justiziariat

Frank Recknagel

Straßenverkehr

1

Jan-Dirk Förster

Personal, Aus- und Fortbildung

Dr. Jürgen Neumüller

Referat 23

-8040

-8420

Referat 41

Angelegenheiten der Regionalplanung

Jörg Finkeldei

Organisation, Informationstechnik

Frank Niehoff

Referat GL 3

Stadtentwicklung

-8030

-8710

Europäische Raumentwicklung

Referat 22

Haushalt, finanzwirtschaftliche Grundsatzfragen, Finanzrevision, Innenrevision, Angelegenheiten der EU-Fonds

Gerd Seemann

Referat GL 2

Rita Werneke

Referat 11

Grundsatzangelegenheiten Verkehr

Grundsatzangelegenheiten und Recht

Städtebauförderung

SG: Alarmkalenderführende Stelle Lothar Wiegand

Referat 40

Referat GL 1

Grundsatz, Recht, Wohngeld

-8700 -8400 -8702 -8401 -8701

Renate Hoff

-8760

Iris Kralack

-8430

-8060

Stabsstelle Deregulierung N.N.

Gleichstellungsbeauftragte: Dr. Andrea Feth Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen des Geschäftsbereiches: Cornelia Müller

1

Gulbener Straße 24 03046 Cottbus Telefon 0355/494924-Nebenstelle Fax 0355/494924-99

2

Müllroser Chaussee 54 15236 Frankfurt (Oder) Telefon 0335/60676-Nebenstelle Fax 0335/60676-9940

Datenschutzbeauftragte: Sonja Andreotti -8062

-8020 -8091

Vorsitzender des Personalrats: Andreas Rose

-8192

Antikorruptionsbeauftragter: Georg Kaup -8061

-8205

Vorsitzender des Hauptpersonalrats: Roland Kristeleit

-8396

IT-Sicherheitsbeauftragte: Petra Jaskulke -8047

Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg Dortustraße 36, 14467 Potsdam

Persönlicher Referent der Ministerin Niels Rochlitzer

VZ: Cornelia Fuhrmann Persönliche/r Referent-in des Staatssekretärs N.N. -4558 Landesbeauftragter für Angelegenheiten der Sorben/Wenden Měto Nowak -4803 Stabsstelle Hochschulmedizin Manuela Djondjorowa

Abteilung 1

Abteilung 2

-4600 -4601

Referat 11

Organisation, Informationstechnik, Innerer Dienst

-4640

Referat 12

Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen

-4621

Referat 13

Personal, Aus- und Fortbildung, Nachdiplomierung

Claudia Birnbaum

-4610

Referat 14

Angelegenheiten der Kirchen, Religionsgemeinschaften, Sorben/Wenden und des Niederdeutschen

Clemens Neumann

-4802

Referat 15

Steffen Weber VZ: Sabine Schiemann

-4700 -4701

Referat 21

Dr. Katja Böhler

-4710

Geschäftsstelle des Landeshochschulrates Holger Drews -4880

-4760

Hauptpersonalrat Vorsitzender: Rolf Quasdorf

Datenschutzbeauftragter Falk-Florian Hoene

-4824

Örtlicher Personalrat Ramona Christ

Dr. Uwe Koch

-4970

Referat 24

Hochschulrecht, nichtstaatliche Hochschulen, Rechtsaufsicht Stiftung EUV, Justiziariat

Harald Topel

-4750

Referat 25

Hochschulen, wissenschaftliche Zentren, Hochschulstatistik, Digitalisierung, Lehrerbildung

Dr. Nicole Münnich

Referat 22

Außeruniversitäre Forschung

Dr. Inge Schlotzhauer

Gleichstellungsbeauftrage Dr. Sonja Rademacher

-4780

Referat 22

Wissenschaftlicher Nachwuchs, Studentische Angelegenheiten, Hochschulzulassung, ausländische Bildungsabschlüsse, Studentenwerke, Ausbildungsförderung, Bibliotheken

-4760

-4820

Referat 26

-4852

Kultur

Reiner Walleser VZ: Angelika Kottwitz

-4900 -4901

Referat 31

Grundsatzangelegenheiten der Kultur, Kulturelle Bildung und Kulturwirtschaft

Dr. Philipp Riecken

-4910

Referat 32

Kulturhaushalt, Finanz- und Investitionsplanung, Künstlerhlfe

Sandra Rechlin m.d.W.d.G.b.

-4928

Referat 33

Wissens- und Technologietransfer, EU-Forschungsförderung

Bettina Bauer m.d.W.d.G.b.

-680/-4681

Abteilung 3

Beauftragter für die Kulturentwicklung in der Lausitz

Grundsatzfragen des Hochschulwesens, Hochschulplanung, Hochschulforschung, DFG, Gesundheitscampus Brandenburg

Dr. Sonja Rademacher

Bau- und Liegenschaftsangelegenheiten, Koordinierung EU-Strukturfonds

Dr. Ralf Kretschmann

-4557

Wissenschaft und Forschung

Rudolf Keseberg VZ: Manuela Bütow

Silke Wiedemann (BdH) m.d.W.d.G.b.

Staatssekretär Tobias Dünow

-4770

Zentralabteilung

Michael Richert

Presse und Öffentlichkeit, Pressesprecher Stephan Breiding -4566

Foto: BS/©Karoline Wolf

VZ: Daniela Kunsch

Referat für Kabinetts-, Parlaments- und Bundesratsangelegenheiten Marcus Hoffmann m.d.W.d.G.b. -4510

Leiterin des Büros der Ministerin Anett Kleinke

Ministerin Dr. Manja Schüle

Telefon: 866-4999, Fax: 866-4998 E-Mail: presse@mwfk.brandenburg.de

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur Brandenburg Stand: Februar 2021

Museen, Denkmalschutz und Denkmalpflege, Erinnerungskultur, Kulturgutschutz

-4863

Karin Melzer

-4950

Referat 34

Darstellende Kunst und Musik

Cerstin Gerecht

-4960

Referat 35

-4650

Archive, Bildende Kunst, Literatur, Soziokultur

Nicola-Maria Bückmann

-4930


Diplomaten Spiegel

Seite 12

Weltoffen, kulturvoll, säkular

I

n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommen schwä­ bische Siedler auf Einladung der Zarin Katharina II., die ihr Enkel Alexander I. weiter aus­ gestaltet, in den Kaukasus. Die Auswanderung beginnt im Raum Tübingen, Reutlingen, Urach und dem Remstal 1816 mit den ersten 40 Familien aus Schweik­ heim, die dort Ortschaften wie Elisabethtal, Katharinenfeld, Marienfeld (alle heute Georgien) und Helenfeld, Annenfeld und Georgsfeld (alle heute Aserbaid­ schan) gründen. Die bilateralen Beziehungen beruhen daher von “alters her” auf Vertrauen, gleichberechtigter Zusammen­ arbeit in Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Bildung und im Gesundheitswesen.

Behörden Spiegel / Februar 2021

Ein Gespräch mit Ramin Hasanov, Botschafter von Aserbaidschan in Berlin (BS/ps) Sein Land liegt zwischen Kaspischem Meer und Kaukasus, grenzt nördlich an Russland, nordwestlich an Georgien, südlich an Iran und im Westen an Armenien. Das Land hat auch durch seine Exklave Nachtschiwan eine 17 km lange Grenze mit der Türkei. Zehn Millionen leben in dem vorderasiatischen Staat, der mit 86.000 km2 so groß wie Österreich und Luxemburg zusammen ist. Aserbaidschan ist, an der Kreuzung – von Kulturen und Zivilisationen mitten auf der historischen Seidenstraße, ein vielfältiges, multikulturelles Gebiet voll beeindruckender Natur und mit Deutschland durch eine über 200-jährige Geschichte verbunden.

Hausherr seit 2016 Eigentlich allerbeste Vorausset­ zungen für Botschafter Ramin Hasanov, sich “entspannt” um die Kontakte zu Landsleuten, Parlamentariern und anderen Entscheidungsträgern zu küm­ mern, sie fortzuführen, auszu­ bauen und seine Regierung in Baku über bedeutende Ereignisse hierzulande auf dem Laufenden zu halten. Der 43-Jährige kennt die Bundesrepublik seit 1999, weil er zu der Zeit in der Bot­ schaft seines Landes in Berlin beschäftigt ist, deren Hausherr er 2016 schließlich wird. “Deutschland ist unser wich­ tiger Wirtschaftspartner und wir, als größte Volkswirtschaft im Südkaukasus, sein bedeu­ tendster in der Region. Im letzten Jahr waren wir der achtgrößte Erdöllieferant und betrachten die Bundesrepublik als einen wichtigen Partner für die Diver­ sifizierung unserer Wirtschaft”, sagt Hasanov über das Verhältnis der beiden Länder. Auch die kulturelle und huma­ nitäre Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten läuft sehr gut und Deutsch ist in Aserbaid­ schan eine beliebte und populäre Fremdsprache. “Da das Interesse meiner Landsleute an der Bun­ desrepublik enorm ist, tun wir alles, um dieses zu unterstützen. Zudem ist es uns ein wichtiges Anliegen, mit deutschen Regio­ nen direkte Kontakte zu knüpfen, gesellschaftliche Beziehungen anzustoßen und zu fördern”, so der Diplomat.

Grenzkonflikt Kurzum – er tut alles, was für einen Botschafter zu tun ist und dabei sind die Tage zwar alle gleich lang, aber manchmal eben breiter … Wie in den letzten Mo­ naten, als es mal wieder um den Konflikt mit Armenien um die Region Bergkarabach geht, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört. “Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion”, so Botschaf­ ter Hasanov, “hat Armenien uns angegriffen, das BergkarabachGebiet und sieben umliegende Bezirke der Republik Aserbaid­ schan völkerrechtswidrig be­ setzt und ethnisch gesäubert. Das machte rund 20 Prozent un­ seres Gesamtterritoriums aus und jeden zehnten Aserbaid­ schaner zum Flüchtling oder Binnenvertriebenen. Alle Ver­ handlungen und Vermittlungen im Rahmen der “Minsker Grup­ pe der OSZE” zur friedlichen Beilegung des Konflikts, blieben erfolglos. Jerewan versuchte, die Besetzung der souveränen Gebiete der Republik Aserbaid­ schan durch die Errichtung eines Marionettenregimes in Bergkarabach zu tarnen und damit diese völkerrechtswid­ rige Lage mit dem Selbstbe­ stimmungsrecht der Völker zu rechtfertigen.

Kampf gegen Covid-19

Repräsentiert seit vier Jahren die Republik Aserbaidschan in Deutschland: Botschafter Ramin Hasanov.

dungen in der Region geöffnet werden.”

Rezept des Botschafters Plov

Zutaten für 7 Personen: 1 kg Lamm- oder Geflügelfleisch, 1 kg Möhren, 3 Zwiebeln, 1 kg Reis, 1 Knoblauchknolle, Öl, Salz, Pfeffer, Paprikapulver Zubereitung: Fleisch in mundgerechte Stücke schneiden und in einem großen Topf mit reichlich Öl anbraten. Möhren und Zwiebeln putzen, in kleine Würfel schneiden, zum Fleisch geben und ebenfalls anbra-

neu entbrennt und unversehens zu einem neuen Krieg wird. Er ist noch intensiver als der erste von 1991 bis 1994, noch moderner als der zweite von 2016. Droh­ nen entdecken die Stellungen des Feindes, zerstören sie und filmen das Ganze, sodass die Welt dabei zusehen kann. Alt ist der Streit um Bergkarabach, das auf aserbaidschanischem Territorium liegt, aber überwie­ gend von Armeniern besiedelt ist, und alt ist auch die Feindschaft. Denn die Herrscher herrschen dort wie überall, ohne Beherr­ schung. Aber das ist eine andere Geschichte! Der Waffenstillstand, den das unterlegene Armenien am zehn­ ten November 2020 nach einer erfolgreichen Gegenoffensive Aserbaidschans und Vermitt­ lung Russlands unterzeichnet, dürfte das nicht ändern. In Bergkarabach stehen wieder aserbaidschanische Truppen und russische sichern für die nächsten fünf Jahre den Status

Fotos: BS/Dombrowsky

ten, mit den Gewürzen kräftig abschmecken. Die Knoblauchknolle nur von der äußeren Schale lösen und in die Mitte des Topfes setzen. Reis waschen, bis das Wasser ziemlich klar ist, dann zum Fleisch geben und mit kochendem Wasser aufgießen, bis der Reis gut bedeckt ist. Nicht Rühren! Bei geschlossenem Deckel und kleiner Stufe solange köcheln, bis das Wasser verkocht ist (30–35 Min). Kräftig durchrühren und evtl. nachwürzen.

quo. Und dann? Die Friedens­ mission ist einseitig kündbar. “Sie verlängert sich automa­ tisch um jeweils weitere fünf Jahre”, erläutert Botschafter

Ein typisch aserbaidschanisches Teppich-Souvenir. Die Teppichkunst hat eine lange Geschichte und Tradition in dem Land, das wegen seiner schönen und einzigartigen Teppiche weltbekannt ist.

Hasanov, “wenn keine der Par­ teien sechs Monate vor Ablauf der Frist kündigt. Um die Um­ setzung der Vereinbarungen durch die Konfliktparteien zu sichern, wird ein Friedenssiche­ rungszentrum zur Kontrolle des Waffenstillstands eingesetzt. Es sollen zwei Korridore zwischen den in aserbaidschanischen Territorien lebenden Arme­ niern und dem Nachbarland Armenien und zwischen der aserbaidschanischen Exklave Nachtschiwan und dem Kern­ land geschaffen werden. Die Vereinbarung sieht ebenfalls den Austausch von Gefallenen, Gefangenen, Geiseln und ande­ ren inhaftierten Personen sowie die Rückkehr der Binnenver­ triebenen und Flüchtlinge in das Gebiet von Bergkarabach und die angrenzenden Bezirke unter der Kontrolle des Hohen Flüchtlingskommissars der Ver­ einten Nationen vor. Nach der Vereinbarung sollen alle Wirt­ schafts- und Verkehrsverbin­

Offen für objektive, ­zutreffende Kritik Die aktuelle Lage vermittelt da­ her hierzulande ein eher negati­ ves Bild des Landes, getreu der gängigen Medienthese: “Even bad news are good news” oder “Die Normabweichung als Wirkme­ chanismus”. “Oft begegnen wir Journalis­ ten, die über Aserbaidschan berichten, ohne selbst da ge­ wesen zu sein und behaupten, ein reales Bild des Landes ab­ zugeben. Das führt oft leider zu einer einseitigen Sicht der Dinge und vielen Vorurteilen, welche im Nachhinein schwer zu korrigieren sind. Dass kritischer Journalismus in Deutschland eine besondere Wertschätzung genießt, ist uns bekannt. Unse­ re Regierung war und ist stets offen gegenüber objektiver, zutreffender Kritik. Aserbaid­ schan ist ein tolerantes Land, wo viele Ethnien und Völker seit Jahrhunderten friedlich und in Harmonie zusammenleben”, so der Botschafter.

Weltoffener Säkularismus Die Verschmelzung verschie­ dener Nationalitäten, Mentalitä­ ten, Kulturen und Wissenschaf­ ten machte es weiland zu einem der ältesten Kulturzentren der Welt. “Ein weiteres Merkmal meines Landes ist sein weltoffener Sä­ kularismus.1918 wurde dort die erste Republik im musli­

Alter Krieg, neuer ­Waffenstillstand Tatsache ist, dass ein drei Jahr­ zehnte alter Konflikt zwischen den Nachbarn Ende September Anfang Oktober letzten Jahres

mischen Orient ausgerufen und das Wahlrecht für Frau­ en, einige Monate früher als in Deutschland, eingeführt. Auch die erste Opern- und Ballettmu­ sik in der muslimischen Welt entstand dort. Diese weltliche und demokratische Staatsord­ nung war auch die strategi­ sche Wahl der Aserbaidschaner nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion”, berichtet Hasanov. “In den ersten Jahren nach unserer Unabhängigkeit 1991 haben wir uns, trotz aller geopolitisch bedingten Bedro­ hungen, um die internationale Zusammenarbeit gekümmert und uns dabei als verlässlicher Partner erwiesen, indem wir z. B. viel für die Energiesicher­ heit der Europäischen Union geleistet haben. Diese Energie­ erlöse reinvestierten wir erfolg­ reich für die Entwicklung des Staates, moderner Technologien und in die Förderung junger Menschen.”

Eine Büste des Gründers der modernen Staatlichkeit und ersten Präsidenten des unabhängigen Aserbaidschans (1993–2003) – Heydar Alirza oǧlu Aliyev.

Sinnbild aserbaidschanischer Musik aus Holz: ein klassisches Muǧam-Trio mit den typischen Instrumenten (v.l.n.r.) Stachelfidel (Kamança), Rahmentrommel (Daf) und Langhalslaute (Tar).

In Berlin kümmert man sich derweil im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie um die aserbaidschanischen Staats­ angehörigen, denen die seit März letzten Jahres geltenden Reisebeschränkungen große Schwierigkeiten bereiten. “Un­ sere Botschaft bemüht sich, für ihre Fragen, Sorgen und Anliegen jederzeit erreichbar zu sein. Mit großer Dankbarkeit kann ich an dieser Stelle auch die reibungs­ lose Kooperation mit der deut­ schen Seite zu den Rückflügen unserer Bürger hervorheben”, so Hasanov. Aktuell befindet sich Aserbaid­ schan in einem harten Kampf gegen Covid-19. Zu Beginn der Pandemie arbeiteten sechs TestLabore, nun sind es mehr als 40. Die Regierung unterstützt dies alles mit über 2,5 Milliarden USDollar, um den negativen Aus­ wirkungen von Corona entgegen­ zuwirken. “Empfänger sind fast fünf Millionen Menschen, also etwa die Hälfte der Bevölkerung des Landes. Die WHO nannte Aserbaidschan ein Vorbild im Kampf gegen die Pandemie. Wir haben in diesem Zusammen­ hang freiwillige Beiträge an die Weltgesundheitsorganisation in Höhe von zehn Millionen USDollar geleistet und bis heute mehr als 30 Länder humanitär und finanziell unterstützt. Co­ rona machte den Ausnahmezum Normalzustand. Ich hoffe, dass wir in diesem Jahr die Möglichkeit haben, wieder zur Normalität und zu persönlichen Begegnungen zurückzukehren”, unterstreicht Hasanov.

Lob für internationales ­Engagement “Deutschland ist ein vielfälti­ ges, abwechslungsreiches und großartiges Land, in dem ich selbst nach den vier Jahren, in denen ich nun wieder hier bin, immer wieder was Neues ent­ decke. Ich wurde nochmals in meiner Überzeugung befestigt, dass Deutschland zu den hoch­ entwickelten Wissenschafts-, Technologie- und Know-howStandorten der Welt zählt. Aber als Botschafter habe ich auch gesehen, dass dieses Land zu­ nehmend mehr internationale Verantwortung übernimmt, sich mit globalen Herausforderungen immer intensiver beschäftigt und sich sozusagen wie ein Vorreiter für die Förderung des Multilateralismus verhält. Sein internationales Engage­ ment ist in der Tat zu einem bemerkenswerten Aspekt seiner Charakteristik geworden”, lobt Hasanov. Letzte Frage – mit wem würde Botschafter Hasanov gern einmal tauschen? “Wenn ich es mir aus­ suchen dürfte, würde ich gerne für einen Augenblick mit einem Fußballer tauschen, da ich mich seit meiner Kindheit mit Fußball sehr verbunden fühle.”


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Februar 2021

Einstimmiges Votum bei Fahrzeugquoten Kommunalverbände fordern bei Umsetzung der EU-Richtlinie für emissionsarme Fahrzeuge Erleichterungen

KNAPP Vergütung in kommunalen Unternehmen (BS/lkm) Vorsitzende großer

(BS/Jörn Fieseler) Ab August 2021 müssen Landkreise, Städte und Gemeinden bei der Beschaffung von Pkws sowie leichten und schweren Nutzfahrzeugen verbindliche Mindestziele für kommunaler Unternehmen veremissionsarme und -freie Fahrzeuge einhalten. Das sieht ein Gesetzentwurf aus dem Bundesverkehrsministerium zur Umsetzung der überarbeiteten EU-Richtlinie über die Förderung dienen mehr als doppelt so viel sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge vor. Trotz Beschluss des Bundeskabinetts gibt es aus kommunaler Sicht einen wesentlichen Änderungspunkt. wie jene kleinerer Unternehmen. Je nach Fahrzeugtyp müssen Kommunen und kommunale Dienstleister bestimmte Grenzwerte zu CO2- und Luftschadstoffemissionen gemäß der sogenannten Clean Vehicles Directive (CVD) einhalten. Diese sieht für einen ersten Zeitraum bis zum 31.Dezember 2025 als Grenzwerte 50 Gramm CO2 pro Kilometer und 80 Prozent Luftschadstoffe vor. Für den zweiten Zeitraum vom 1. Januar 2026 bis zum 31. Dezember 2030 gilt ein Wert von Null Gramm CO2. Jeweils 38,5 Prozent aller beschafften Pkws und leichten Nutzfahrzeuge unter 3,5 Tonnen Gewicht müssen diese Auflage erfüllen. Fahrzeuge, die schon jetzt diese Werte Künftig müssen bis zu 65 Prozent der Busse im ÖPNV mit einem Elektro- oder einem Brennstoffzellenantrieb ausgestateinhalten, können auf die Quoten tet sein. Foto: BS/ Семен Саливанчук, stock.adobe.com angerechnet werden. Für Lkws mit mehr als 3,5 Quoten für Busse. Bis 2025 müs- Fahrzeuge erfüllt werden muss. oder synthetischen und parafTonnen Gewicht gelten für die sen 45 Prozent emissionsarm Hierunter werden alle Fahrzeu- finhaltigen Kraftstoffen betrieben Zeiträume eine Quote von zu- oder -frei sein. Ab 2026 sogar ge gezählt, die mit alternativen werden. Voraussetzung ist, dass erst zehn und anschließend 15 65 Prozent, wobei mindestens Kraftstoffen wie Strom, Wasser- sie nicht mit anderen fossilen Prozent. Deutlich größer sind die die Hälfte durch emissionsfreie stoff, Erdgas, Biokraftstoffen Brennstoffen vermischt werden. Der Deutsche Landkreistag (DLT), der Deutsche Städtetag (DST), der Deutsche Städte- und Kommentar Gemeindebund sowie der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) begrüßen die Richtlinie einstimmig. Sie sei ein wichtiger Impuls für den Einsatz alterna(BS) Eigene Haustarife für Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD)? In Nordrhein-Westfalen und im tiver Antriebe in kommunalen Rheinland sollen sie Realität werden. Doch die Umsetzung wird nicht zustande kommen. Die Ärzte im ÖGD Fuhrparks. Allerdings sehen destehen zwischen den gewerkschaftlichen Fronten. ren Präsidenten, Landrat Reinhard Sager (DLT), OberbürgerWarum sollten Kommunen ei- tenden Tarifvertrages (TV-Ärzte/ nisch untersagt, eigene Haustari- meister Burkhard Jung (DST), gene separate Tarifverträge für VKA) für das ärztliche Personal fe abzuschließen. Deshalb kann Bürgermeister Ralph Spiegler die Ärzte im ÖGD abschließen? im Öffentlichen Gesundheits- der MB die Arbeitsbedingungen (DStGB) sowie OberbürgermeisWeil nach Ansicht des Marbur- dienst zu übernehmen. für die Ärzte nicht verbessern. ter Michael Ebling (VKU), NachDoch so einfach die Idee, so Stattdessen müsste er mit Verdi besserungsbedarf hinsichtlich ger Bundes (MB) die Gesundheitsmediziner Anspruch auf schwierig ist die Umsetzung. Der und dem DBB Beamtenbund der Verteilung zwischen Städten die arztspezifischen Tarifver- überwiegende Teil der Kommu- und Tarifunion in die Verhand- und ländlichen Räumen. In Balträge haben. Deshalb haben nen ist tarifgebunden im Tarifver- lungen zum TVöD eintreten und lungsgebieten werde der Anteil die Landesverbände NRW und trag für den Öffentlichen Dienst die VKA dem zustimmen. Doch der Elektromobilität mit ausreiRheinland-Pfalz die (Ober-)Bür- Bund und Kommunen (TVöD). warum sollten sie das tun? Das chend Fördermitteln übererfüllt germeister direkt angeschrieben, Und sie sind letztlich Mitglied in gewerkschaftliche Dilemma für werden. Im Gegenzug würden die sinngemäße Anwendung des der Vereinigung der kommuna- die Ärzte im ÖGD wird weiter ländliche Gebiete überstrapaziert. Für ländliche Kommunen für Ärztinnen und Ärzte an kom- len Arbeitgeberverbände (VKA). bestehen bleiben. Jörn Fieseler würden die oben genannten Zahmunalen Krankenhäusern gel- Damit ist es ihnen satzungstech-

Das gewerkschaftspolitische Dilemma

len deutliche Belastungen nach sich ziehen. Einerseits seien für den dortigen Einsatz Fahrzeuge mit hohen Reichweiten nötig. Doch gerade in den schweren Fahrzeugklassen, etwa bei Müllsammelfahrzeugen und Bussen im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), seien kaum passende Fahrzeuge am Markt verfügbar. Andererseits seien die vorhandenen Modelle deutlich teurer. Hinzu kämen die Kosten für Ladesäulen und Netze. “Wenn jeder kommunale Auftraggeber gesetzlich verpflichtet würde, die Quote individuell zu erfüllen, drohten möglicherweise Einschränkungen im ÖPNVAngebot oder Tariferhöhungen”, sind sich die Präsidenten einig. Das widerspräche verschiedenen politischen Zielen wie dem Klimaschutz, gleichwertigen Lebensverhältnissen und nicht zuletzt der sparsamen Verwendung von Haushaltmitteln. Deshalb soll die Quote für die kommunalen Auftraggeber flexibilisiert werden. “Wir brauchen eine deutschlandweite Quote, die es ermöglicht, Kräfte dort zu bündeln, wo es finanziell und ökologisch am sinnvollsten ist.” Deshalb soll die Quote auf Bundesebene summiert werden. Anstatt jedem öffentlichen Auftraggeber ungeachtet der strukturellen örtlichen Voraussetzungen eine einheitliche Quote für alle Beschaffungen aufzuerlegen, sollten alle öffentlichen Auftraggeber in Deutschland diese Quote gemeinsam erreichen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die kommunalen Spitzenverbände im politischen Raum noch Gehör verschaffen können. Bis zum Redaktionsschluss hat im Bundestag die erste Lesung zum Gesetzentwurf nicht stattgefunden. Damit ist die parlamentarische Debatte noch nicht eröffnet.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Wirtschaftsprüfungsund Beratungsgesellschaft PwC. In kleinen kommunalen Unternehmen liegt die Direktvergütung (Grundvergütung plus ein- und mehrjährige variable Zielvergütungen) von Mitgliedern der Unternehmensführung im Median demnach bei fast 80.000 Euro, Vorsitzende erhalten im Median 109.000 Euro pro Jahr. Bei mittleren Unternehmen liegen diese Werte mit 150.000 beziehungsweise 163.000 Euro höher. In großen Unternehmen erhalten Vorsitzende im Schnitt 225.000 Euro. Als kleine Unternehmen gelten solche mit weniger als 20 Mio. Euro Jahresumsatz, mittlere haben einen Jahresumsatz zwischen 20 und 100 Mio. Euro; große Unternehmen setzen mehr als 100 Mio. Euro pro Jahr um.

Einnahmen besser als erwartet (BS/lkm) Bei den Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern haben sich die Steuern im vergangenen Jahr überraschend positiv entwickelt. So betragen die Einnahmen aus der Gewerbesteuer nach Abzug der Umlagen 486 Mio. Euro. Gegenüber dem Vorjahr sei das zwar ein Rückgang um knapp 39 Mio. Euro, allerdings liege das Ergebnis um 81 Mio. Euro über dem der letzten Steuerschätzung. Nach ersten Berechnungen des Landes liegen die Gemeindesteuern im Jahr 2020 insgesamt bei mehr als 1,3 Mrd. Euro und damit in etwa auf dem Vorjahresniveau. Landesfinanzminister Reinhard Meyer appellierte an die Gemeinden: “Ich bitte die Gemeinden dringend, die aktuellen finanziellen Spielräume zu nutzen, um Rücklagen aufzubauen. Noch einmal wird das Land sich vergleichbare Hilfen nicht leisten können.”

Fotos: mojolo, stock.adobe.com und Igor , stock.adobe.com

13. 1 3. B Bürgermeisterkongress ürgermeisterkongress

HEIMAT, DIE STADT

22 22.-23. Juni 2021 Leonardo Le e Hotel, Weimar W

www.buergermeisterkongress.de Eine Veranstaltung des

Foto: Matthiass Ecker ckkert

Eröffnungsredner: Peter Kleine, Oberbürgermeister der Stadt Weimar


Kommunalpolitik

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F

ür Bernd Jürgen Schneider muss es eine Genugtuung gewesen sein. Am 21.12.2020, mitten im Corona-Lockdown, gab die NRW-Landesregierung die Vereinbarung über die Finanzierung der Flüchtlingskosten bei den Kommunen bekannt. Jahrelang hatte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW für dieses Agreement gekämpft. Wenige Tage vor dem Wechsel in den Ruhestand konnte Schneider endlich die Früchte seiner zahllosen Verhandlungsrunden, Hintergrundgespräche und Presseaktionen einfahren. Das Besondere an der Vereinbarung: Sie schließt auch rechtskräftig abgelehnte und geduldete Asylsuchende ein. Diese Personengruppe wächst seit Jahren, was die Kommunen in Deutschland mit Sorge erfüllt. Denn die Frage der daraus entstehenden Kosten war lange ungeklärt. Bund und Länder hatten sie bei der Neujustierung der Flüchtlingsfinanzierung infolge der großen Zuwanderungswelle 2015 schlichtweg vergessen.

Behörden Spiegel / Februar 2021

Sehr lange weggeschaut Finanzierung Ausreisepflichtiger und Geduldeter (BS/Martin Lehrer) Nordrhein-Westfalen schafft als letztes Bundesland eine realitätsnahe Finanzierung für geduldete Flüchtlinge, welche die Kommunen spürbar entlastet, aber das Problem dieser wachsenden Personengruppe nicht löst. Soweit die Theorie. Was als Vorgang von sechs bis acht Monaten konzipiert war, wuchs sich nach 2015 für tausende Flüchtlinge zu einer jahrelangen Hängepartie aus. Grund war die Überlastung des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration (BAMF) bei der Bearbeitung der Anträge sowie der Verwaltungsgerichte mit den Klagen gegen die Ablehnung eines Asylantrags. Zumindest die Finanzierung während dieser Zeit war gesichert. Der Bund zahlt den Ländern in der Regel 670 Euro monatlich für jede(n) Asylsuchende(n) im Verfahren. Und die Länder stocken diesen Betrag gegenüber ihren Kommunen noch auf.

Alles auf Anfang nach der Wahl?

Rückläufige Abschiebungszahlen, höhere Kosten

Problematisch wurde die Zeit danach. Bei einer AblehnungsDem deutschen Sozialsystem quote zwischen 45 Prozent (2017) Konstruktionsfehler vorzuwer- und 33 Prozent (2019) wuchs fen, wäre unbillig. Für neuan- rasch der Kreis von Personen, die kommende Flüchtlinge gibt es kein Bleiberecht in Deutschland ein transparentes Verfahren haben und das Land verlassen einschließlich Finanzierungs- müssten. Nennt die amtliche Staregeln. Solange der Asylantrag tistik für 2018 noch 235.108 läuft, erhält die betreffende Per- ausreisepflichtige Personen, son Leistungen etwas unterhalb davon 176.733 mit Duldung des Niveaus von Arbeitslosen- (BT-Drs. 19/5818), stieg deren geld II. Wird der Antrag aner- Anzahl laut BAMF bis Ende 2020 kannt, wechselt die Person in den auf 281.143, darunter 235.771 Rechtskreis des SGB II – sprich: Geduldete. Wobei über diese erhält berufliche Förderung, Zahlen immer wieder gestritten Wohnung, Arbeitsvermittlung wird zwischen Bundesregierung, und Ähnliches. Wird der Asyl- Ausländerverwaltung, Politik und antrag abgelehnt, ist die Person Flüchtlingsorganisationen. Die Gründe, warum in vielen verpflichtet, Deutschland umgehend zu verlassen oder wird Fällen keine Ausreise geschieht, sind bekannt: fehlende Ausweisabgeschoben. dokumente – teils fluchtbedingt, teils absichtlich herbeigeführt –, Martin Lehrer M.A. ist freier Journalist in Köln mit den Krankheit, unsiSchwerpunkten öffentliche chere Verhältnisse Verwaltung und Informationsin den Herkunftstechnologie. Bis 2019 leitete ländern oder deer die Öffentlichkeitsarbeit ren Weigerung, beim Städte- und Gemeinihre geflohenen debund NRW. Foto: BS/privat Staatsbürger wieder aufzunehmen. Auch Abschiebung

Zwischen Theorie und Praxis

Je länger Geflüchtete ohne Bleiberecht in Deutschland festsitzen, desto höher der Kostenaufwand. Als letztes Bundesland hat NRW nun für die Entlastung der kommunalen Kassen gesorgt. Foto: BS/Gerd Altmann, pixabay.com

wird zunehmend schwieriger, weil Unterstützergruppen und Flüchtlingsinitiativen sich dieser in den Weg stellen. Während 2016 bundesweit noch 25.375 Abschiebungen stattfanden, waren es 2019 nur noch 22.097, im ersten Halbjahr 2020 sogar nur 4.616. Auch die freiwillige Ausreise ist in diesem Zeitraum von rund 54.000 auf 13.105 (2019) zurückgegangen.

Kommunales Finanzsäckel wird praller Das vom Strukturwandel gebeutelte, chronisch klamme Land Nordrhein-Westfalen hielt seine Kommunen bis zur Einigung Ende 2020 kurz in Sachen Geduldete und Ausreisepflichtige. Dabei nahm auch dort deren Anzahl stetig zu. Lag diese Ende 2015 noch bei 54.290, stieg sie bis Ende 2020 auf 71.692, darunter 43.050 Geduldete im Jahr 2015 sowie 61.452 für das Jahr 2020. Deren durchschnittliche Aufent-

Zukunftsfähiges Beteiligungsmanagement Chancen für Landkreise, Städte und Gemeinden sowie Bund und Länder (BS/Prof. Dr. Michèle Morner*) Krisenbewältigung, Digitalisierung, Klimawandel, Mobilitätswende und Wohnungsknappheit sind nur einige der Herausforderungen im kommunalen Beteiligungsmanagement. Viel Diskussionsstoff für die 8. Speyerer Tagung zu Public Corporate Governance. Den öffentlichen Unternehmen als wichtigem Bestandteil der Daseinsvorsorge kommt zur Bewältigung dieser Aufgabenstellungen eine besondere Rolle zu. Dieser Rolle können sie bei gleichzeitig notwendiger Haushaltskonsolidierung nur gerecht werden, wenn bei der internen und übergreifenden Steuerung alle Chancen ausgeschöpft werden. Dafür ist ein über den ­T ellerrand blickendes, zukunftsfähiges Beteiligungsmanagement erforderlich, das nicht nur Agilität und Innovativität in den Beteiligungsunternehmen bei gleichzeitiger nachhaltiger Verantwortungsübernahme ermöglicht und fördert, sondern auch selbst agil, innovativ und nachhaltig aufgestellt ist. Dies alles erfordert eine Corporate Governance, die einen entsprechenden Spielraum schafft und dennoch verantwortungsvolles Handeln gewährleistet. Im Mittelpunkt der diesjährigen Tagung stehen unter anderem folgende Themen: • Innovativität, Agilität und Resilienz in öffentlichen Unternehmen,

•a ktuelle Entwicklungen von Public-Corporate-GovernanceKodizes, • Mehrwert durch Diversität im Top-Management öffentlicher Unternehmen. Nach der positiven Resonanz der vergangenen sieben Jahre ist die Tagung zum maßgeblichen Forum für Public Corporate Governance und öffentliches Beteiligungsmanagement in Deutschland geworden. Auch dieses Mal werden hochkarätige Referentinnen und Referenten aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft erwartet. Diese tragen aus ihren jeweiligen Spezialgebieten ihr Thesen vor, die anschließend im Kreise der Teilnehmer diskutiert werden. Abgerundet wird die Veranstaltung dieses Jahr erstmalig durch ein Beteiligungsmanager-Panel, bei dem Beteiligungsmanagerinnen und -manager ihre aktuellen Erfahrungen und Herausforderungen sowie “Best (und Worst) Practices” diskutieren, sowie durch den bereits bekannten PCG-Zukunfts-Slam mit zweiminütigen Impulsvorschlägen zur Frage, was das Thema Beteiligungsmanagement in den

bei den Kommunen. Darin sieht der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg eine Gefahr: “Die Kommunen erwarten von Bund und Ländern, dass sie sich der Realität von derzeit rund 280.000 ausreisepflichtigen Menschen in den Kommunen stellen und sich zu einer langfristigen Finanzierungsverantwortung bekennen.”

kommenden Jahren voranbringen wird. Die Tagung am 12./13. April in Speyer richtet sich an Beteiligungsmanager sowie Verwaltungsmitarbeiter der öffentlichen Hand, Vorstände, Geschäftsführer in öffentlichen Unternehmen, Akteure der öffentlichen Finanzkontrolle sowie Politiker, Abgeordnete und Ratsmitglieder aus Bund, Ländern und Kommunen, die als Aufsichtsräte oder als Entscheider in Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung und der öffentlichen Verwaltung verantwortlich sind. Geplant ist in diesem Jahr, die Tagung hybrid, d. h. als Präsenzveranstaltung mit Möglichkeiten zur OnlineTeilnahme durchzuführen. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.uni-speyer. de, Menüpunkt “Weiterbildung”, Untermenüpunkt “Weiterbildung/ Online-Anmeldung” *Prof. Dr. Michèle Morner ist Inhaberin des Lehrstuhls für Personal, Führung und Entscheidung im öffentlichen Sektor an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

haltsdauer nach Ablehnung wird statistisch nicht erfasst. Die kommunalen Spitzenverbände in NRW machten nach Rückmeldung ihrer Mitglieder hierbei viele Monate, wenn nicht Jahre geltend. Der Kostenaufwand wurde vom Städte- und Gemeindebund NRW Ende 2019 auf mehr als 600 Mio. Euro geschätzt. Gleichwohl zahlte das Land den Kommunen lediglich drei Monate lang nach rechtskräftiger Ablehnung den üblichen Satz von 866 Euro pro Flüchtling. Auch der Bund, der den Ländern seit 2015 über die Umsatzsteuer bei den Flüchtlingskosten unter die Arme greift, hängt an der Fiktion einer raschen Ausreise. Kommt der endgültige Ablehnungsbescheid, wird nur noch einmal die Monatspauschale von 670 Euro pro Flüchtling gewährt. Mit der Vereinbarung vom 21.12.2020 zahlt das Land NRW seinen Städten und Gemeinden für jede neu hinzukommende geduldete Person nun einmalig 12.000 Euro. Für alle bereits länger hier lebenden Ausreisepflichtigen erhalten die Kommunen für

dieses und das kommende Jahr pauschal jeweils 175 Mio. Euro, danach jeweils mindestens 100 Mio. Euro, wobei die Zahlungsströme 2023 evaluiert werden.

Bund und Länder weiter in der Pflicht Selbst im finanziell bessergestellten Land Baden-Württemberg war die Refinanzierung der Geduldeten keine Selbstverständlichkeit. Bis 2017 hatten Städte und Landkreise allein für deren Unterhalt aufzukommen. Im Juli 2018 rangen die Kommunen dem Land für das laufende und das kommende Jahr eine Pauschale von jeweils 134 Mio. Euro ab. Ein Sockel von rund 40 Mio. Euro blieb aber noch in der Zahlungspflicht der Kommunen. Für 2020 und 2021 hat das Land die Pauschale auf jeweils 170 Mio. Euro aufgestockt. Eine nachträgliche Abrechnung der tatsächlichen Kosten ist nicht vorgesehen. Das Risiko, ob diese Pauschale angesichts zunehmender Geduldeten-Zahlen und stetig längerem Aufenthalt ausreicht, bleibt also

Nach der Einigung in NordrheinWestfalen verfügen praktisch alle Bundesländer über eine Kostenerstattungsregelung für Ausreisepflichtige und Geduldete. Nicht überall gleich hoch: In SchleswigHolstein werden den Kommunen grundsätzlich nur 70 Prozent des Aufwandes ausgeglichen. Gut haben es die bayerischen Städte, Märkte und Gemeinden. Dort läuft die gesamte Finanzierung der Flüchtlingskosten – unabhängig von deren Status – über den Freistaat. Um die Belastung der Kommunen zu senken, soll nicht zuletzt die Gruppe der Ausreisepflichtigen verkleinert werden. Wenn schon nicht per Abschiebung, dann durch “Verstetigung” des Aufenthalts. Ein Instrument dafür ist die vor gut einem Jahr geschaffene Beschäftigungsduldung. Abgelehnte Asylsuchende erhalten die Möglichkeit, durch bezahlte Arbeit ihr Bleiberecht in Deutschland zu sichern. Doch bevor dieses Instrument richtig Wirkung zeigen konnte, hat die Corona-Krise viele Jobs im Dienstleistungssektor vernichtet. Für Christian Haase, CDU-Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Höxter-Lippe II, ist die “Ruhe an der Finanzierungsfront” nur vorübergehend. Als früherer Bürgermeister der Stadt Beve­ rungen im Weserbergland weiß er, wie rasch finanzielle Fürsorge durch Bund und Land in Notzeiten abhandenkommt. “Nach der Bundestagswahl im September werden die Karten neu gemischt”, so seine Befürchtung. Angesichts zurückgehender Flüchtlingszahlen und astronomisch hoher Corona-Folgekosten werde der Bund versuchen, die 2015 übernommenen Zusatzlasten bei der Versorgung der Asylsuchenden wieder loszuwerden. Dies wiederum werde die Länder unter Druck setzen. Das Nachsehen hätten die Kommunen.

Nachhaltigkeit nicht nur auf dem Papier Papieratlas für vorbildliches Recycling (BS/fs) Seit 2008 werden sie jährlich im Rahmen der Papieratlas-Wettbewerbe ausgezeichnet: die Städte, Landkreise und Hochschulen mit den höchsten Recyclingpapierquoten. Auch in diesem Jahr geht die Suche der Initiative Pro Recyclingpapier (IPR) nach den recyclingpapierfreundlichsten Kommunen und Hochschulen weiter. Zum 14.Mal soll die nachhaltige Verwendung von Papier durch die Austragung des Papieratlas anerkannt werden. Hierfür kooperiert die IPR mit dem Bundesumweltministerium, dem Umweltbundesamt, dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund, dem Deutschen Landkreistag und dem Deutschen Hochschulverband. Bundesumweltministerin Svenja Schulze übernimmt dabei die Schirmherrschaft. An den Wettbewerben teilnehmen können alle Landkreise, Städte ab 40.000 Einwohnern und Hochschulen mit mindestens 1.000 eingeschriebenen Studierenden. Zur Teilnahme müssen die Daten zum Papierverbrauch und der Benutzung von Papier mit dem Umweltzeichen Blauer Engel übermittelt werden. Bis Ende März können die Unterlagen eingereicht werden. Im Herbst sollen die Gewinner gekürt werden. 99 Groß- und Mittelstädte, 40 Landkreise und 43 Hochschulen hatten im vergangenen Jahr am Wettbewerb teilgenommen. Viele

Teilnehmer nutzten bereits ausschließlich Recyclingpapier. Die Gewinner unter ihnen wurden durch Sonderpunkte ermittelt, die für zusätzliche Maßnahmen im Bereich des Recyclings vergeben werden. So konnte in der Kategorie der Städte Erlangen den Sieg für sich verbuchen.

Der Kreis Paderborn stand in der Wertung mit Sonderpunkten bei den Landkreisen an erster Stelle. Zudem konnte sich die Fernuniversität Hagen gegen die anderen teilnehmenden Hochschulen durchsetzen. Mehr unter www.papieratlas.de

Die teilnehmenden Städte kamen im vergangenen Jahr auf eine durchschnittliche Recyclingpapierquote von über 91 Prozent. Foto: BS/myrfa, pixabay.com


Behörden Spiegel / Februar 2021

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m Jahre 2010 wollte ich direkt in die richtige Richtung laufen. Damals war die Not in der Schullandschaft einiger Kommunen der Nordeifel groß; nicht unbedingt in “meiner” Gemeinde Blankenheim. Wir hatten ein ordentlich frequentiertes Schulzentrum mit einer Haupt- und Realschule. Allerdings stand die Hauptschule in der Nachbargemeinde Nettersheim vor dem Aus. Zum Schuleinzugsbereich “Blankenheim” gehört auch Dahlem, die kleinste Gemeinde von Nordrhein-Westfalen. Dort war schon vor Jahren die Hauptschule aufgelöst worden. Kurzum: Die Probleme der Schullandschaft waren für Blankenheim nicht dringend, aber wichtig für eine gute Zukunft.

Kommunalpolitik

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Nicht dringend, aber wichtig

werbegebiete, Schulträgerschaft, Standesamt, Archivwesen, Verund Entsorgung, Tourismus, Feuerwehr, Denkmalpflege und Kultur. Vergaberecht und vermögensrechtliche Auseinanderset(BS/Rolf Hartmann) Politik macht oft den Fehler, dass sie nur die dringenden Aufgaben erledigt. Dabei vernachlässigt sie die wichtigen Angelegenhei- zungen sind häufige Fallstricke, ten. Der frühere amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower hat es auf den Punkt gebracht: “ Ich habe zwei Arten von Problemen, die dringenden die die interkommunale Zusamund die wichtigen. Die dringenden sindnicht wichtig, und die wichtigen sind nie dringend.” Politik reagiert häufig nur auf den Alltag, auf das, was menarbeit erschweren. Diese dringlich ist. Strategie ist zwar wichtig, aber selten dringend. Und so verschwenden wir nahezu alle Ressourcen, ohne Prioritäten zu setzen. Das ist Themenfelder müssen in jedem vergleichbar mit einem 100-Meter-Lauf, bei dem ein Läufer zwei- bis dreimal schneller läuft als alle anderen, aber er startet in die falsche Richtung und Fall professionell begleitet werkommt deshalb nie am Ziel an. den. Das Personal muss mit ins Boot genommen der Schülerschaft verlangt jedoch werden. Der richausreichend Lehrpersonal und tige Zeitpunkt ist Platz. Für die Raumverhältnisse erfolgsentscheiRolf Hartmann war von war der Schulträger zuständig. dend. Das Ob ist 2004 bis Ende Oktober Hinzu kam, dass die Gesamteine Führungs2020 Bürgermeister der entscheidung schule als Ganztagsschule konGemeinde Blankenheim. und sollte bereits zipiert ist. Diesen Herausforde Foto: BS/privat vorher beschlosrungen musste also Rechnung sene Sache sein, getragen werden. hinsichtlich des Da war es doch sehr passend, Schul-Ehe war keine Liebesdass Blankenheim und NettersWie sind die Mitheirat heim ein gemeinsames integratiarbeiter einzubinves Handlungskonzept innerhalb Moderation erforderlich. Gerade den. “Wenn man einen Sumpf Während in vielen anderen der Städtebauentwicklung auf die Hauptverwaltungsbeamten trockenlegen will, darf man nicht Kommunen ein Verdrängungsdie Beine gestellt hatten. Da- spielen hier eine große Rolle. die Frösche fragen”: So extrem, wettbewerb um das rare Gut “Schüler” einsetzte, ging es mir mals gab es noch nicht viele Sie müssen große Disziplin be- wie es einmal Friedrich Merz gedarum, frühzeitig eine Strategie Kommunen, die ein solches ge- wahren und bei allem Einsatz sagt hat, muss es nicht sein. zu entwickeln, um den Schul­ meinsames Handlungskonzept für die eigene Gemeinde stets Es besteht aber durchaus die verwirklichen wollten. Dieser das Große und Ganze im Blick Gefahr, dass die Arbeitsebene standort Blankenheim nicht nur Weitblick, mit dieser interkom- haben. Nur wenn Politik und wegen vielfacher Veränderungszu sichern, sondern auch aufzuwerten. Alleine bleibt man alleine; munalen Kooperation durch ge- Verwaltungsführung den Pro- ängste das Projekt nicht lösungsgemeinsam geht es eben besser. genseitige Rücksichtnahme und zess aktiv vorantreiben und un- orientiert begleitet. Insoweit gilt Blankenheim, Nettersheim und Wenn alle an einem Strang ziehen und sich kräftig ins Zeug legen, ist eine inter- beidseitige Abstimmung aller terstützen und als Unterstützer es auch, diese Ängste zu nehmen Dahlem sind eine Region mit kommunale Zusammenarbeit für alle eine Win-win-Situation. Projekte für eine nachhaltige gewonnen werden können, ist und den Mitarbeitern Chancen zu vermitteln. Denn interkomrund 20.000 Einwohnern. Es Foto: BS/Frank Liebmann, pixabay.com Sicherung der Daseinsvorsorge ein Erfolg gewährleistet. Viele Themenfelder bieten sich munale Kooperation gelingt nur war der Historie geschuldet, dass einer ganzen Region zu sorgen, diese Region vergessen wurde, Dahlem stand dem Vorhaben po- einem Scherbenhaufen. Die ur- wurde belohnt. Für den Ausbau für eine interkommunale Zu- dort, wo es keine Verlierer gibt. wenn es um den Schulabschluss sitiv gegenüber, wurde aber nicht sprünglich auslaufenden Schu- beider Schulkörper in moderne sammenarbeit an. Ist der Wille Bürgermeister sind oft Alpha“Abitur” ging. Mitglied im Zweckverband. Ziel len mussten nun die bereits auf Kultur- und Bildungszentren einmal da, empfiehlt es sich, tiere; sie nehmen meistens nur So machte ich mich gemeinsam war die Gründung einer Gemein- der Gemeinschaftsschule ange- wurden Förderbeträge in zwei- mit den weniger öffentlichkeits- die Dinge wahr, die sie erfolgmit meinem Kollegen aus Net- schaftsschule mit gymnasialer meldeten Schüler aufnehmen. stelliger Millionenhöhe zur Ver- wirksamen Aufgabenbereichen reicher machen. Entweder disDer Zweckverband gab sich für fügung gestellt. anzufangen. Dies sind vor allem ziplinieren sich die Alphas oder tersheim und der Politik beider Oberstufe. Diese Schulform hatte reine Backgroundtätigkeiten, es muss ein Dompteur in Form Kommunen auf den Weg einer die damalige rot-grüne Landes- ein Jahr eine selbstverordnedie kaum Außenwirkung haben einer professionellen Moderawichtigen Zukunftsaufgabe. Die regierung im Rahmen der Expe- te Sabbatpause und gründete Zentrale Akteure beiden Kommunen gaben sich rimentierklausel ausdrücklich dann 2013 eine nun gesetzlich Heute ist die Gesamtschule (wie Personalwesen, Rechnungs- tion des Verfahrens gefunden das Ja-Wort zu einer Schul-Ehe. zugelassen. Neben anderen 16 verankerte Gesamtschule “Eifel”. eine Erfolgsstory. Im Jahre 2022 prüfung, IT oder Kassenwesen). werden. Es war anfangs keine Liebes- Schulträgern aus Nordrhein- Blankenheim wurde Standort werden in Nettersheim die ersten Wenn mehrere Kommunen an In jedem Fall ist interkommuheirat. Wesentliches Ziel dieser Westfalen erhielt der Zweckver- der Klassen fünf bis zehn und Schüler ihr Abitur machen. einer Zusammenarbeit Interesse nale Zusammenarbeit “ChefsaKooperation war es, den eigenen band schließlich die Genehmi- in Nettersheim sollte sich die Diese Erfolgsgeschichte war ein haben, kann z. B. jede Kommune che”, keine dringende, aber eine Handlungsspielraum zu erwei- gung, eine Gemeinschaftsschule Oberstufe etablieren. Ein zweites Werk gemeinsamer Anstrengun- jeweils eine gemeinsame Aufgabe sehr wichtige Aufgabe. Um bei Präsident Dwight D. Eisenhower tern; einen Spielraum, der aus zu gründen. Die Realschule und Mal wurden die vorhandenen gen von Bürgermeistern, Verwal- für die anderen übernehmen. tung und Gremien. Ich würde eigener Kraft nicht möglich ge- die beiden Hauptschulen wurden Schulen auslaufend aufgelöst. zu bleiben: Eine gute Führungs“Eine Schule, zwei Standorte” lügen, wenn ich behaupte, alles Richtiger Zeitpunkt ist erwesen wäre. kraft setzt Prioritäten und trifft auslaufend aufgelöst. folgsentscheidend war ein Schlagwort dieses neuen hätte reibungslos funktioniert. dann eine aktive Entscheidung: Lösung: Zweckverband Eine Schule, zwei Standorte Vorhabens. Während bei den bei- Wenn es mal sehr brenzlig wurGeeignete, aber oft komplexe nicht für die Gegenwart, sondern Die wesentlichen RechtsgrundAllerdings stieß dieses Vorhaben den Bürgermeistern die Betonung de, war auch einmal eine externe weitere Themenfelder sind Ge- für die Zukunft. lagen für die verschiedenen öf- in der Nachbarschaft auf weniger mehr auf der “einen” Schule lag, fentlich-rechtlichen Formen der Gegenliebe. Ein privater kirchli- gab es in der Politik durchaus interkommunalen Zusammenar- cher Schulträger eines Gymnasi- anfangs Misstrauen und Eiferbeit in Nordrhein-Westfalen sind ums klagte gegen dieses Vorha- süchteleien. Die Ratsmitglieder im Gesetz über die kommunale ben. In einem Parallelverfahren betonten mehr, dass es noch Gemeinschaftsarbeit normiert. bezüglich der Gemeinschafts- immer zwei Standorte gebe. Start für kommunale Glasfaseranschlüsse der Schulen im Landkreis Börde Grundsätzlich kann jede “örtli- schule Finnentrop stellte das che Angelegenheit” Gegenstand Oberverwaltungsgericht Münster Gemeinsames integratives (BS/Hans Güldenpenning*) Schule digital – unter diesem Motto unterzeichneten der Landkreis Börde und der Handlungskonzept kommunaler Gemeinschaftsar- die Verfassungswidrigkeit dieses technologische Partner und Netzbetreiber des Giganetzes, die DNS:NET Internet Service GmbH, 24 Verträge Modellvorhabens in Aussicht. beit werden. Die Gesamtschule ist die Schule für Sekundar- und Förderschulen, berufsbildende Schulen und Gymnasien, Sport- und Mehrzweckhallen So haben Blankenheim und Net- Wenig später wurde “unsere” be- für alle Kinder und für alle Ab- sowie andere öffentliche Einrichtungen in Trägerschaft des Landkreises Börde. Mit der Vereinbarung soll die tersheim einen Zweckverband zur reits erteilte Genehmigung kurz schlüsse, kein Kind wird hier Digitalisierung der Schulen und öffentlicher Einrichtungen maßgeblich vorangetrieben werden. Erfüllung der Aufgabe “Schul­ vor Schuljahresbeginn widerru- in eine vorgefertigte Schublade träger” gegründet. Die Gemeinde fen. Wir standen zunächst vor gesteckt. Die große Heterogenität Mit einem Kreistagsbeschluss hat hen”, so Hecht. Die Corona-bedingte Vertragssich der Landkreis Börde verpflichersten derartigen übergabe: Landrat Martin tet, seine Schulen an die kommuGlasfaseranschlüsStichnoth vom Landkreis nalen Giganetze der acht ARGEse werden in den Börde unterzeichnete mit Gemeinden anzuschließen. “Mit Einheitsgemeinden der finalen Unterschrift der Gründung der ARGE als eine Stadt Oschersledie Verträge im Rahmen interkommunale Gemeinschaft ben (Bode) und Elektromobilität kann kaum überzeugen einer Videokonferenz mit und dem Abschluss der VorverträStadt OebisfeldeVertretern des Amtes für Weferlingen akti(BS/fs/jf) Das derzeitige Angebot der Elektromobilität ist für viele Menschen in Deutschland nicht zufrieden- ge konnten die Voraussetzungen Bildung und Kultur, der viert. “Damit bestellend. Nicht zuletzt wegen einer fehlenden Ladeinfrastruktur. Jeder Dritte in Deutschland wünscht sich für den heutigen Tag geschaffen ARGE Breitband und dem kommt der Begriff mehr öffentliche Ladesäulen, so das Ergebnis einer Studie des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU). werden”, erläuterte Holger Haupt, Netzbetreiber DNS:NET. Doch auch andere Faktoren sind entscheidend. digitale Schule Breitbandkoordinator der ARGE Foto: BS/ARGE Breitband Breitband. Am 20. Januar 2021 eine ganz andere Bedeutung”, stell10.000 Autofahrer wurden be- der VKU-Hauptgeschäftsführer. kundenfreundliches Laden das wurden die Verträge über die Bereitstellung der Internetdienst- rantieren den Schülern symme­ te Stefan Holighaus von der Gefragt. Demnach würden sich 38,1 Ebenso müssten auch die finan- A und O. Liebing sieht aber auch die Au- leistungen an den Netzbetreiber trische Gigabit-Internetleitungen. schäftsleitung der DNS:NET fest. Prozent beim Kauf für ein Elek- ziellen Rahmenbedingungen für troauto entscheiden, wenn die Netzausbau und die Integration tomobilindustrie in der Pflicht. übergeben. Auf dieser Grundlage Hinsichtlich der aktuellen An- Glasfaseranschlüsse mit GigabitReichweite verbessert würde. Für weiterer Ladesäulen und E-Autos Nicht nur wegen der Wünsche können mit dem fortschreitenden forderungen an einen digitalen geschwindigkeiten seien für Schu35,8 Prozent müsste der Preis angepasst werden. “Um neben den nach einer größeren Reichweite Ausbau des rund 1.625 km lan- Schulbetrieb und an die Anfor- len und Bildungs- sowie öffentliche günstiger sein. 31,4 Prozent wün- bestehenden Herausforderungen und günstigeren Preisen. Insge- gen Gesamtnetzes und der flä- derungen beim Homeschooling Einrichtungen im Bundesvergleich schen sich mehr öffentliche La- der Energiewende auch die Netz- samt wollen sich 39 Prozent der chendeckenden Aktivierung alle sind 1.000 Mbit/s Download und tatsächlich leider noch kein Standesäulen, rund 27 Prozent spra- integration des steigenden Anteils Befragten zum jetzigen Zeitpunkt Landkreis-Schulen in den acht 1.000 Mbit/s Upload eine will- dard. “Als Partner und Netzbetreichen sich für die Möglichkeit einer von Elektroautos zu bewältigen, keinesfalls ein Elektroauto an- Gemeinden nacheinander ans kommene Unterstützung. “Uns ist ber des kommunalen Giganetzes eigenen Ladebox zu Hause aus. brauchen die Netzbetreiber einen schaffen. Lediglich 3,9 Prozent Glasfasernetz gehen. bewusst, dass diese Verbindungen freuen wir uns außerordentlich, “Es erfüllt mich mit Stolz, dass keine Zwischenlösung, sondern dass nun die 24 Institutionen und “Die Aufgabenverteilung bei den angemessenen Refinanzierungs- sind bereits heute überzeugt. wichtigsten Herausforderungen rahmen des Netzausbaus und An der geringen Beliebtheit der wir das kommunale Glasfasernetz die leistungsfähigste Variante für Schulen mit Gigabittempo ans ist klar”, kommentierte Ingbert -betriebs sowie Instrumente wie Elektroautos seien die Hersteller konsequent und Hand in Hand einen Internetanschluss sind”, Netz gehen werden. In Folge sollten Liebing, Hauptgeschäftsführer die in der Diskussion stehende nicht unschuldig. Sie hätten zu realisieren. Umgesetzt vor Ort wird sagte Friederike Hecht, Leiterin dann alle Bildungseinrichtungen des VKU, die Ergebnisse und ver- Spitzenglättung”, so Liebing. wenig Optimismus bei der Ver- dieses Netz vor allem durch das des Amtes für Bildung und Kultur des Landkreises von gleichen Bespricht: “Die Stadtwerke werden dingungen in puncto Infrastruktur kehrswende ausgestrahlt. “Da Engagement der Bürgermeister, beim Landkreis Börde. den Ausbau der privaten und Mehr Optimismus Das Augenmerk richte sich nun profitieren, denn Glasfaser für müssen wir in Deutschland besser der Gemeinderäte, der Bauämter öffentlichen Ladeinfrastruktur Demgegenüber ist ein einfaches werden und mehr Zutrauen in die und der Einwohner, die für ihr parallel auf die technische Ver- alle sollte zur Grundversorgung weiterhin erheblich vorantreiben.” Bezahlsystem für den bezogenen Zukunftsfähigkeit der Elektromo- eigenes Giganetz gekämpft ha- besserung innerhalb der Schul- bei Lehre, Bildung, Freizeit und Schon heute sei jede zweite Säule Ladestrom nur für 18,5 Prozent bilität ausstrahlen.” ben und dieses mitformen. Die gebäude. Neben der glasfaserba- Arbeit werden.” in kommunaler Hand. Trotzdem der Autofahrer ein wichtiger AsDie Vielfalt der zum Verkauf Digitalisierung generell und nicht sierten Internetanbindung sollen müsse das Förderprogramm für pekt, der sie vom Elektroauto stehenden Elektroautos spielt nur im Bildungsbereich benötigt die Schulgebäude auch mit einer Weitere Informationen unter: Schnellladepunkte so ausgestaltet überzeugen könnte. Dies ist je- indes eine eher untergeordnete Glasfasernetze, je eher desto bes- WLAN-Funkversorgung ausgestat- www.giganetz-boerde.de werden, dass sich auch Stadtwer- doch nicht mit einfachen und Rolle: Nur 13,5 Prozent vermissen ser”, so Martin Stichnoth, Landrat tet werden. “Es bleibt also noch ke an der geplanten Ausschrei- flexiblen Bezahlmöglichkeiten derzeit eine größere Auswahl an des Landkreises Börde. Insgesamt viel zu tun, aber es ist schon Licht *Hans Güldenpenning ist freier bung beteiligen könnten, fordert zu verwechseln. Schließlich sei E-Modellen. fünfzehn der Schulverträge ga- im sogenannten Tunnel zu se- Journalist.

Gelungene interkommunale Zusammenarbeit: Gründung der Gesamtschule “Eifel”

Meilenstein für die Schul-Digitalisierung

VKU fordert finanzielle Unterstützung


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Personelles

Behรถrden Spiegel /Februar 2021


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Kommunaler Haushalt

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E

ine Befragung unter 500 Kommunen, die von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY durchgeführt wurde, ergab, dass 61 Prozent der Kommunen ihre Investitionsausgaben für Schulen erhöht haben bzw. dies für das Jahr 2021planen. Zusätzliche Investitionen in die IT-Infrastruktur haben 57 Prozent der Kommunen vorgenommen. “Die Corona-Krise hat zu neuen politischen Prioritäten geführt und gerade bei der Digitalisierung und der Ausstattung der Schulen Handlungsbedarf aufgezeigt”, beobachtet Prof. Dr. Bernhard Lorentz, Leiter des Bereichs Government & Public Sector für Deutschland, die Schweiz und Österreich bei EY.

Anteil der Kommunen mit Haushaltsdefizit steigt sprunghaft Laut Lorentz sind die Kommunen im vergangenen Jahr zumindest finanziell relativ unbeschadet durch die Corona-Krise gekommen. So sanken die Gesamteinnahmen trotz eines massiven Einbruchs der Einnahmen aus der Gewerbesteuer von durchschnittlich 15 Prozent nur um durchschnittlich 4,3 Prozent, während die Ausgaben minimal – um 0,2 Prozent – wuchsen. Dieses relativ geringe Einnahmeminus sei auf die Finanzhilfen von Bund und Ländern zurückzuführen, die im Durchschnitt zehn Prozent der Gesamteinnahmen der Kommunen ausmachen würden. Trotz der erheblichen Unterstüt-

Trotz Einnahmeausfällen mehr Investitionen Kommunen reagieren in der Corona-Pandemie (BS/lkm) Jede dritte Kommune plant Gebührenerhöhungen. Zudem wird darüber nachgedacht, die Leistungen zu kürzen. Die Corona-Pandemie hat die kommunalen Haushalte stark getroffen. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Trotz erheblicher Einnahmeausfälle haben die Kommunen im vergangenen Jahr nicht bei den Investitionen gespart – im Gegenteil. zungsmaßnahmen geht Lorentz davon aus, dass die Schulden der Kommunen im Jahr 2020 deutlich gestiegen sind. Zwischen 2015 und 2019 waren die kommunalen Schulden von 144,2 auf 131,4 Milliarden Euro gesunken, der Anteil der Kommunen mit einem Haushaltsdefizit hatte sich von 44 auf 13 Prozent reduziert. Für 2020 rechnen der Umfrage zufolge hingegen 47 Prozent der Kommunen mit einem Haushaltsdefizit. Gleichzeitig werde der Anteil der Kommunen, die einen Haushaltsüberschuss erwirtschaften, von 54 auf sechs Prozent sinken. “Und für die kommenden drei Jahre rechnet jede zweite Kommune mit einem weiteren Schuldenanstieg – gerade einmal 18 Prozent gehen davon aus, Schulden abbauen zu können”, so Lorentz. Es spreche einiges dafür, dass die Kommunen mindestens 2021 noch auf weitere finanzielle Unterstützung angewiesen sein werden. Für das Jahr 2021 würden nur 32 Prozent der deutschen Kommunen mit Gewerbesteuereinnahmen auf dem Niveau des Vorkrisenjahres 2019 rechnen. Die Mehrheit gehe von weiterhin verminderten Einnahmen aus, 22 Prozent der Kämmerer würden

sogar damit rechnen, dass die Gewerbesteuereinnahmen mindestens zehn Prozent niedriger ausfallen werden als 2019. “Die langfristigen Folgen der Pandemie für die öffentlichen Finanzen werden erheblich sein. Und Bund und Länder werden nicht dauerhaft in der Lage sein, kommunale Finanzlöcher zu stopfen. Alle Beteiligten stehen daher vor schwierigen Jahren und weiteren unpopulären Sparmaßnahmen”, meint Lorentz.

Höhere Gebühren geplant Angesichts der schwierigen Finanzlage plane eine Mehrheit von 64 Prozent der Städte und Gemeinden, Steuern bzw. Abgaben zu erhöhen. Teurer werden sollen insbesondere die Müllabfuhr und die Straßenreinigung (bei jeweils 33 Prozent der Kommunen), gefolgt von der Wasserversorgung (32 Prozent) und den Parkgebühren (29 Prozent). Die Grundsteuer soll bei immerhin jeder fünften deutschen Kommunen (21 Prozent) steigen, die Gewerbesteuer bei jeder neunten. Bei den kommunalen Leistungen sei hingegen kaum noch mit neuen Einsparungen zu rechnen – nur 23 Prozent der Städte und Gemeinden planten neue Ein-

Investitionen wichtiger denn je Bauindustrie setzt auf Kommunen (BS/lkm) In der aktuellen Situation spielen Investitionen der Kommunen eine immer wichtiger werdende Rolle zum Erhalt der lokalen Wirtschaft. Doch damit diese richtig loslegen können, müssten Fördergelder besser bei den Kommunen ankommen und Ausschreibungen einfacherer gestaltet werden, mahnten Experten beim 15. Kommunalen Finanzmarktforum der NRW.Bank an. “Über die kommunale Auftragsvergabe sichern Kommunen in der aktuellen Pandemie Unternehmen und Beschäftigung”, zeigte sich Nordrhein-Westfalens Kommunalministerin Ina Scharrenbach überzeugt. Laut Scharrenbach betrugen die Auszahlungen aus der Investitionstätigkeit der NRWKommunen im dritten Quartal 2020 rund 5,2 Mrd. Euro. Im Vergleich zum Vorjahr sei dies ein Plus von 26 Prozent. Die Zuweisungen seien im gleichen Zeitraum um elf Prozent gestiegen. Dies zeige, so die Ministerin, wie sehr sich die Kommunen vor Ort einsetzten und das lokale Handwerk, Industrie und Dienstleistungen unterstützten. Auch die Bauindustrie sieht die Kommunen aktuell in einer wich-

tigen Rolle. “Im Wirtschaftsbau gibt es aktuell starke Einbrüche. Die Nachfrage wird sich hier reduzieren und Investitionen werden erst einmal ausgesetzt”, betonte, Prof. Beate Wiemann, Hauptgeschäftsführerin des Bauindustrieverbands NRW. Die Kommunen seien daher jetzt ein wichtiger Garant für die Bauwirtschaft. Wichtig sei es daher, dass der kommunale Investitionsstau aufgelöst werde. Zwar gebe es dafür viel Geld, Wiemann äußerte jedoch Zweifel daran, dass das allein reiche. Zur Lösung des Investitionsstaus müssten daher auch moderne Wege gegangen werden. Viel Luft nach oben gebe es beispielsweise noch beim Abruf der Gelder aus Förderprogrammen. Zudem müsse man sich Gedanken darüber machen, wie

Ausschreibungen zukünftig gestaltet werden sollten. Tim Kähler, Bürgermeister der Stadt Herford, sprach sich in diesem Zusammenhang für eine Flexibilisierung des Vergaberechts aus. Auch Ferdinand Aßhoff, Abteilungsleiter bei der Bezirksregierung Arnsberg, kritisiert, dass es für viele Kommunen schwierig sei, sich im unterschiedlichen Dickicht der Fördergeldgeber und der vielen Richtlinien durchzufinden. “Die Komplexität ist so umfangreich, dass es schon fast an ein Wunder grenzt, wenn man durch die Antragstellung kommt.” Man brauche hier deshalb digitale Lösungen für Antragsstellung, Bewilligung und die Verwendungsnachweise sowie eine stärkere Vereinheitlichung der Richtlinien.

Bessere Vergleichbarkeit in der Doppik Hessen entwickelt Produktbuch für Kommunen (BS/lkm) Ein Kernziel des kommunalen Haushaltsrechts auf Basis der Doppik ist die Aufwertung der politischstrategischen Steuerung hin zu einer Output- und Wirkungssteuerung. Die Bildung von Produkten und zugehörigen Leistungen sowie deren Zuordnung zu Produktbereichen und -gruppen ist dazu essenziell. Doch oftmals ist die Zuordnung kommunaler Leistungen in Form von Produkten in den Haushalten und Jahresabschlüssen fehlerbehaftet. Das führt zu Steuerungsdefiziten, Problemen bei Kennzahlenvergleichen und letztlich fehlerhaften Meldungen an die Finanzstatistik. “Das Problem wird noch dadurch verstärkt, dass es in Hessen ein Wahlrecht zwischen produktbereichsbezogener und organisationsbezogener Haushaltsgliederung gibt. Über Hilfsrechnungen muss bei diesen Kommunen die Zuordnung auf die Produktbereiche für Belange der Statistik erfolgen”, führt Dr. Ulrich Keilmann, Direktor beim Hessischen Rechnungshof, aus. Außerdem würden viele Landesprogramme mit monetärer Relevanz ebenfalls auf diese amtlichen statistischen Daten zurückgreifen. Insofern hänge deren Zielgenauigkeit von einer korrekten Datenmeldung ab, so Keilmann weiter. Aus diesen Gründen wurde auf Initiative der Überörtlichen

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Prüfung in Hessen in einer Arbeitsgemeinschaft aus Vertreten von Kommunen und Land das sogenannte Produktbuch erstellt. Es soll kommunalen Entscheidern als Handreichung für die Frage dienen, welche typisch kommunalen Leistungen den 16 Produktbereichen und zugehörigen Produktgruppen zuzuordnen sind. Neben Keilmann sind in der Arbeitsgemeinschaft unter anderem auch Mitarbeiter des Hessischen Statistischen Landesamts, des Innenministeriums, verschiedener Rechnungsprüfungsämter und kommunale Finanzverantwortliche vertreten. Die im Produktbuch entstandene Produktbereichs- und Produktgruppengliederung ori-

entiert sich dabei sehr stark am IMK-Produktrahmen, mithin an den finanzstatistischen Produkten. “Aus diesem Grund sollte das Produktbuch auch für Kommunen anderer Länder als Orientierung hilfreich sein. Die Belieferung der Finanzstatistik muss selbst bei andersartiger Haushaltgliederung erfolgen”, so Keilmann. Das Produktbuch wird vom zuständigen Fachreferat des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport betreut und bei Bedarf weiterentwickelt. Es ist auf der Internetseite des Hessischen Innenministeriums unter > Kommunales > Kommunale Finanzen > Downloads kostenfrei als PDF abrufbar.

schränkungen des kommunalen Angebots (Vorjahr: 20 Prozent). “Inzwischen sind vielerorts die Möglichkeiten, kommunale Leistungen abzubauen, begrenzt – ein Schwimmbad oder eine Bibliothek lässt sich nur einmal schließen. Viele klamme Kommunen haben ihre freiwilligen Leistungen so stark reduziert, dass an dieser Stelle kaum noch Einsparpotenziale bestehen”, erläutert Lorentz.

Entschuldung vs. Zukunftsinvestitionen Angesichts dieser Situation hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz eine “Stunde Null”, einen von Bund und Ländern finanzierten Schuldenerlass für hoch verschuldete Kommunen, vorgeschlagen. In den kommenden Jahren müssten überall in Deutschland gigantische Summen investiert werden, sagte Scholz der Deutschen PresseAgentur (dpa). “Zwei Drittel der öffentlichen Investitionen werden in Deutschland von den Kommunen getätigt, dafür brauchen sie die finanzielle Kraft”, so Scholz. Kritik an Scholz‘ Vorschlag kam aus den wohlhabenden Ländern. Profitieren von einem Schuldenerlass würden nämlich vor allem die hochverschuldeten Kommunen in

Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, Saarland und Hessen. Kommunen mit niedrigen oder keinen Schulden würden leer ausgehen. Die Kommunen bräuchten Geld für Zukunftsinvestitionen, statt mit frischem Geld Schulden zu tilgen, kritisierte Bayerns Finanzminister Albert Füracker. Auch der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer, monierte, dass eine “Stunde Null” für hochverschuldete Kommunen, diejenigen Kommunen benachteiligen würde, die bisher gut gewirtschaftet hätten. Unterstützung bekam Scholz vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) sowie vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell betonte, eine Übernahme der Altschulden sei notwendig, um die Kommunen wieder handlungsfähig zu machen. Attac-Sprecher Thomas Eberhardt-Köster, machte darauf aufmerksam, dass viele Kommunen sich schon vor der Pandemie infolge des Strukturwandels und der Finanzkrise in der Vergeblichkeitsfalle befunden hätten, bei der auch die Teilkompensationen durch Bund und Länder nicht mehr ausreiche. Hier sei ein Schnitt unerlässlich. Wichtig sei, dass dieser ohne Auflagen erfolge.

So seien bei früheren Entlastungen von Städten und Gemeinden durch die Landesebene Privatisierungen und Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen erzwungen worden. Doch auch der Deutsche Landkreistag (DLT) möchte das Geld lieber in Zukunftsinvestitionen,statt in die Altschuldentilgung investieren. Es gehe bei der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse vor allem darum, nach vorne gerichtet etwas für die ländlichen, aber auch für die strukturschwachen Räume zu tun. “Das rückwärtsgewandte Abtragen kommunaler Altschulden durch den Bund wäre kein zukunftsweisender Beitrag zur Erreichung dieses Ziels”, so Landtagspräsident Reinhard Sager. Der Bund sollte nicht die falschen Prioritäten setzen und durch unsolidarisches Verhalten die Ziele der Gleichwertigkeitsdebatte in ihr Gegenteil verkehren. Vor diesem Hintergrund sei nicht zu verstehen, warum sich der Bund mit der Frage kommunaler Altschulden und damit einem Problem von Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz und dem Saarland beschäftige und hierfür sogar zusätzliches Geld in Aussicht stelle: “Dieses Problem muss von diesen Ländern gelöst werden”, so der DTL-Präsident. Länder wie Niedersachsen, SchleswigHolstein, Hessen oder Brandenburg hätten vorgemacht, wie es gelingen könne, seine Kommunen zu entschulden.

Kommunale Steuern

Abhängigkeit von der Gewerbesteuer – Fluch oder Segen? von Dr. Ulrich Keilmann In Hessen werden im Flächenländervergleich seit Jahren pro Einwohner die höchsten Gewerbesteuererträge erzielt. Indes ist die Verteilung dieser Erträge sehr heterogen. Der Großteil entfällt auf nur wenige Städte des Landes. Allein auf Frankfurt am Main entfallen 37 Prozent der gesamtem Brutto-Gewerbesteuererträge des Jahres 2019. Und das bei einem Einwohneranteil von nur 12 Prozent. Städte und Gemeinden profitieren ergo in unterschiedlichem Maße von der Gewerbesteuer. Die mit Abstand quantitativ bedeutendste Steuerertragsquelle ist in fast 90 Prozent der Städte und Gemeinden Hessens der Einkommensteueranteil – als eine nicht selbst durch Hebesatzpolitik beeinflussbare Größe. Gerade in der Corona-Pandemie zeigt sich das Volatilitätsrisiko bis hin zu Gewerbesteuerrückzahlungen.

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

Schwankungen des Steueraufkommens können die Haushaltsstabilität einschränken. Deswegen sollten Kommunen:  Ausgaben und Leistungen nicht an einnahmestarken Jahren orientieren und  im Hoch schon an das nächste Tief denken. In der 217. Vergleichenden Prüfung nahm sich die Überörtliche Prüfung dieses Themas an und untersuchte, inwieweit die geprüften Kommunen (mit 5.000 bis 10.000 Einwohnern) abhängig von Gewerbesteuererträgen sind. Solche Abhängigkeiten können sich in verschiedenen Ausprägungen zeigen:

1. S chwankungen im Steueraufkommen, 2. einem hohen Anteil an den gesamten Jahreserträgen der Kommune und/oder 3. einzelnen wenigen, potenten Gewerbesteuerzahlern. Für das Jahr 2018 wurde in Anlehnung an das ParetoPrinzip ermittelt, welcher Anteil der Gewerbesteuerzahler für 80 Prozent des Gesamtaufkommens an Gewerbesteuer verantwortlich war. Damit ist eine Bemessung und Bewertung der Abhängigkeit der Kommunen von der wirtschaftlichen Entwicklung einzelner Gewerbesteuerzahler möglich (s. nachfolgende Abbildung).


Kommunale Infrastruktur

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Schadensausgleich möglich

Hürden abgeräumt

Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das EU-Beihilfenrecht

VK Schleswig-Holstein zu IT-Verwaltungskooperationen

(BS/Lars Scheider) Die EU-Kommission führt nach Maßgabe des Artikels 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV), einer der Kernregelungen des sog. Lissabon-Vertrags, die Überprüfung der Vereinbarkeit von Einzelbeihilfen und Beihilfenregelungen mit dem Binnenmarkt durch. Dabei überprüft sie fortlaufend, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten, die bestehenden Beihilfenregelungen, zu denen auch etwaige Betrauungsakte hinsichtlich der Finanzierung von sog. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen ­Interesse (DAWI) gehören. Städte wie Frankfurt am Main haben als Beihilfengeberin stets dafür Sorge zu ­tragen, dass die Betrauungsakte in der Praxis tatsächlich umgesetzt werden.

(BS/Dr. Martin Schellenberg) Wenn die deutsche Verwaltung im IT-Bereich kooperieren möchte, stößt sie ­immer wieder auf vergaberechtliche Hürden. Hat z. B. eine Kommune Software für die Kfz-Zulassung ent­ wickelt, so darf sie diese nicht ohne Weiteres anderen Kommunen zur Nutzung überlassen. Möglicherweise handelt es sich bei der Überlassung um eine Dienstleistung für die Empfängerkommune und Dienstleistungen sind ausschreibungspflichtig. Die Ausschreibungspflicht greift grundsätzlich auch dann, wenn beide Par­ teien zur öffentlichen Hand gehören.

Die Mitgliedsstaaten sind gemäß Artikel 8 des DAWI-Beschlusses 2012/21/EU verpflichtet, während des gesamten Betrauungszeitraums und mindestens zehn Jahre nach Ende des Betrauungszeitraums alle Informationen verfügbar zu halten, die der EU-Kommission ermöglichen sollen, zu prüfen, ob die gewährten Ausgleichsleistungen mit dem DAWI-Beschluss 2012/21/EU vereinbar sind.

bestimmtes Unternehmen gerichtet und rechtlich verbindlich sein.

Überkompensationskontrolle vermeiden

Ebenfalls anwendbar in der Krise sind Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedsstaates (Art. 107 Abs. 3 b AEUV) und Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete (Art. 107 Abs. 3 c AEUV). Zusätzlich reagierte die EUKommission auf die Covid19-Pandmie, indem sie im März 2020 einen “Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von Covid-19” erließ, der mittlerweile schon dreimal geändert wurde. Er soll die Beihilfen zur Beschleunigung von Forschung, Erprobung und Herstellung Covid-19-relevanter Produkte, den Schutz von Arbeitsplätzen, die Erleichterung des Zugangs zu Kapital und Liquidität, die weitere Unterstützung von Kleinstund Kleinunternehmen sowie Start-ups und die Schaffung von Anreizen für private Investitionen möglich machen und galt zunächst bis zum 31. Dezember 2020. Die Bundesregierung hat da­r aufhin mit der Bundesregelung für Kleinbeihilfen 2020 reagiert, mit der Zuschüsse, rückzahlbare Vorschüsse und Steuerbeihilfen bis zu einem Betrag in Höhe von 800.000 Euro auch in Form von Darlehen, Garantien und Eigenkapital gewährt werden können.

Kommunale Beteiligungsunternehmen sind seit März 2020 von der Covid-19-Pandemie ebenso betroffen wie private Unternehmen. Dabei hatten sie zunächst in der Regel keinen Zugang zu Förderprogrammen, müssen also vom jeweiligen Träger unterstützt werden. Um die Unternehmen bei Verbotene Beihilfe und der Aufgabe, ihren rechtlichen ­Betrauungsakt Pflichten nachzukommen, zu Eine verbotene Beihilfe nach ­unterstützen, informierte das BeArtikel 107 Abs. 1 AEUV ist jeder teiligungsmanagement der Stadt gewährte wirtschaftliche Vorteil Frankfurt die 24 betrauten städohne angemessene Gegenleis- tischen Beteiligungsunternehtung, den das (Beteiligungs-) men über das EU-Beihilfenrecht Unternehmen unter marktübli- unter besonderer Berücksichtichen Bedingungen nicht erhalten gung der finanziellen Auswirkunhätte. Als klassisches Beispiel für gen der Covid-19-Pandemie und verbotene Beihilfen sind direkte der Anforderungen gemäß Artikel Zuwendungen (z. B. Betriebsmit- 107 Abs. 2 b und Abs. 3 b AEUV. telzuschuss, Bürgschaft), aber Dabei wurde insbesondere da­ rauf hingewiesen, die Wirtschaftsplanung 2020 zu überprüfen und Lars Scheider ist Bankkaufmann, Assessor jur. sowie bei Bedarf auch Verwaltungsdirektor und Abunterjährig anteilungsleiter Beteiligungszupassen, um im management bei der Stadtnächsten Frühkämmerei der Stadt Frankfurt jahr/Sommer bei a. M. Aufstellung des Foto: BS/privat Jahresabschlusses 2020 keine zu großen Abweichungen zum urauch indirekte Zuwendungen sprünglich geplanten maximalen (wie z. B. Personalüberlassung Soll-Ausgleich 2020 zu haben. Austausch unabdingbar zu marktunüblichen Konditio- Dies hätte rechtliche Folgen für Angesichts der erheblichen finen, Grundstücksveräußerungen die Überkompensationskontrolle nanziellen Risiken, die mit dem der beihilfengewährenden Stelle, EU-Beihilfenrecht verbunden unter Wert) zu nennen. Gemäß Artikel 106 Abs. 2 AEUV sprich der Stadt Frankfurt als sind, ist eine gründliche und gilt das Beihilfeverbot auch für Anteilseigner und des betrauten fachkundige Aufarbeitung notstädtische Beteiligungsunterneh- städtischen Unternehmens. wendiger denn je. Insofern sind men, die mit Dienstleistungen von der interkommunale Austausch, die Unterstützung durch die zuallgemeinem wirtschaftlichen In- Stützung der Wirtschaft teresse, also mit der klassischen Die EU-Kommission wertet ständigen Aufsichtsbehörden Daseinsvorsorge, betraut sind. die Covid-19-Pandemie als Fall und die Einbindung externer Auch wenn diese oftmals struk- des Art. 107 Abs. 2 b) AEUV. Fachleute zur Sicherung des turell defizitär arbeiten. Allerdings Damit sind Beihilfen mit dem ordnungsgemäßen Betriebs hält das EU-Beihilfenrecht hier Binnenmarkt vereinbar, wenn der kommunalen Unternehmen Erleichterungen bereit, z. B. mit sie Schäden durch die Covid- angesichts der sich ändernden dem Freistellungsbeschluss, dem 19-Pandemie ausgleichen sollen. Rechtsrahmen unabdingbar. Kern des sog. Almunia-Pakets (Mitteilung der EU-Kommission 2012/C 8/02). Danach können tatbestandsmäßige Beihilfen mittels eines Betrauungsaktes legitimiert werden. Ziel des BeDie Herausforderungen des EU-Beihilfenrechts für den öffentlichen Sektor stehen im Mittelpunkt der zweitägigen Beihilfenrechtstage des trauungsverfahrens ist es, eine Behörden Spiegel am 28. / 29. Juni 2021 in Bonn. Am ersten Tag werden Überkompensation bzw. eine die fachlichen Grundlagen zu dem durchaus komplexen Thema des Quersubventionierung anderer EU-Beihilfenrechts vermittelt, wobei durchaus auch die besonderen erwerbswirtschaftlicher UnterAuswirkungen der Covid-19-Pandemie angerissen werden. Am zweiten nehmensbereiche durch staatliTag wird dieses Thema unter anderem mit hochkarätigen Vertretern der che Zuwendungen zu verhindern. EU-Kommission, des EUGH und der Wissenschaft vertieft. Dementsprechend wichtig sind Weitere Information unter: www.beihilfenrechtstag.de Dokumentation und Kontrolle. Der Betrauungsakt muss an ein

Konferenztagung in Bonn

22 Nominierte, sieben Gewinner Landkreise als “Smarte.Land.Regionen” ausgezeichnet (BS/jf) Der Corona-Digitalisierungsschub ist für ländliche Räume eine Chance, ist man im Bundeslandwirtschaftsministerium überzeugt. Digitale Vernetzung und flexible Arbeitsmodelle würden vermeintliche Nachteile gegenüber Städten wettmachen. Dafür sind sieben Landkreise als Modellregionen ausgewählt worden. Die Landkreise Bernkastel-Wittlich, Coesfeld, Lörrach, Neustadt an der Waldnaab, Potsdam-Mittelmark, Vorpommern-Greifswald und Uelzen kommen in den Genuss von je einer Mio. Euro für die Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategien. Gekürt wurden die Landkreise in einem mehrstufigen Auswahlverfahren. Ursprünglich hatten sich 68 Landkreise beworben, von denen 22 nominiert wurden. Aus diesen wurden von einer unabhängigen Jury die Gewinner ausgewählt. Im Fokus stehen unterschiedli-

che Handlungsfelder der digitalen Daseinsvorsorge, angefangen von der Mobilität über die Ausweitung der Möglichkeiten zum heimatnahen Arbeiten bis hin zur Gesundheitsversorgung. Alle Aktivitäten der Landkreise lassen sich unter dem Ziel des Förderprogramms zusammenfassen, Entfernungen zu überwinden und Menschen näher zusammenzubringen. Einer der ersten Gratulanten war Landrat Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages (DLT): “Es freut mich, dass sich die Landkreise aktiv

und kreativ mit der Digitalisierung befassen und ihre Ideen mit Kraft verfolgen.” Damit würden sie einen wichtigen Beitrag leisten, mit dem sie die digitale Daseinsvorsorge in ländlichen Räumen voranbrächten. Doch auch die 15 nicht ausgewählten Landkreise sollen in den Prozess eingebunden werden. Jeder einzelne Landkreis trage mit seinen Projekten gewinnbringend zur digitalen Transformation bei, so Sager. Entsprechend müssten alle Lösungen nachnutzbar und verfügbar sein.

Das europarechtlich geprägte Vergaberecht nimmt den Leistungsaustausch innerhalb der öffentlichen Hand nicht vollständig vom Vergaberecht aus. Die Ausnahmen greifen vielmehr nur unter bestimmten Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen für das sog. Inhouse-Geschäft sind seit Jahren umstritten. Der Streit führt in der Praxis zu erheblicher Unsicherheit und hindert de facto die dringend notwendige Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Nun hat die Vergabekammer (VK) Schleswig-Holstein mit ihrer Entscheidung vom 21.09.2020 (VK-SH 13/20) eine ganz wesentliche Unsicherheit beseitigt. Worum ging es? Ein Anbieter von Kfz-Zulassungssoftware richtete sich gegen eine Großstadt in Schleswig-Holstein, weil sie ihr Zulassungssystem von einem öffentlichen IT-Dienstleister ohne Ausschreibung erhalten hatte. Die Stadt machte geltend, dass es sich hier um ein Inhouse-Geschäft gehandelt habe, das nicht ausschreibungspflichtig war.

Indirekte Beteiligung reicht aus Der Marktteilnehmer war der Meinung, dass die Voraussetzungen für Inhouse-Geschäfte hier nicht erfüllt seien. Dafür hätte die Stadt Gesellschafterin des IT-Dienstleisters sein müssen, was unstreitig nicht der Fall war. Die Stadt war vielmehr lediglich indirekt über die kommunalen Spitzenverbände am IT-Dienstleister beteiligt. Die Vergabekammer hatte nun zu entscheiden, ob die indirek-

te Beteiligung für die InhouseFähigkeit ausreicht. Konkret ging es darum, ob die Verbindung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer mit einer indirekten Beteiligung noch eng genug ist, um von einer Kontrolle im vergaberechtlichen Sinne auszugehen. Die Vergabekammer Schleswig-Holstein hat diese Kontrolle im konkreten Fall bejaht und die Stadt gegen den Angreifer in Schutz genommen. Sie hat die Entscheidungswege in den betroffenen Institutionen im Einzelnen analysiert und festgestellt, dass an das Kon­ trollkriterium keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen. Auch mehrere Institutionen gemeinsam können diese Kontrolle ausüben und die Kontrolle kann zudem indirekt vermittelt sein.

Vergaberechtlich zu begrüßen Im Ergebnis hat die Vergabekammer damit den Vertretern einer umfassenden öffentlichen IT-Kooperation den Rücken gestärkt. Aus vergaberechtlicher Sicht ist diese Klarstellung zu begrüßen. Der europäische Gesetzgeber musste bei Entstehen der Inhouse-Regelungen die unterschiedlichen nationalen Voraussetzungen berücksichtigen. Länder wie z. B. Frankreich sind als Zentralstaaten organisiert. Die Zusammenarbeit zwischen Verwaltungs-

Dr. Martin Schellenberg ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek. Foto: BS/Fieseler

einheiten findet dort in aller Regel innerhalb derselben juristischen Person statt. Dagegen sind in föderalen Strukturen wie in Deutschland stets unterschiedliche Rechtsträger von einer Verwaltungskooperation betroffen. Nur in föderalen Staaten stellt sich daher die Frage einer Ausschreibungspflicht für den Leistungsaustausch innerhalb der Verwaltung. Mit den Inhouse-Regeln hat der europäische Gesetzgeber diesem Umstand Rechnung getragen. Er wollte auch den föderalen Staaten wie Deutschland eine ausschreibungsfreie Verwaltungskooperation ermöglichen.

Mehr zum Thema Die aktuellen Entwicklungen der Rechtsprechung zur InhouseVergabe thematisiert der Autor im Rahmen eines WebinarWorkshops auf dem Hamburger Tag der Beteiligungsverwaltung am 23. Februar. Information und Anmeldung unter: www.beteiligungsverwaltung.org

Die Datenflut nutzbar machen Ein Lösungsansatz aus dem Rheingau-Taunus-Kreis (RTK) (BS) Stephan Vay ist Beteiligungsmanager und es gibt etwas, was ihn sehr stört: “Was bringt es, wenn man heute den Beteiligungsbericht von vor anderthalb Jahren erstellt? Das nehmen Bürger und Politik wohlwollend zur Kenntnis – zur Beteiligungssteuerung trägt das nur wenig bei.” Er ist überzeugt, dass die Vielzahl vorliegender Beteiligungsdaten bei der Steuerung öffentlicher Unternehmen helfen kann. Nur wie kann man diese Daten nutzbar machen? Als ehemaliger Rechnungsprüfer hat sich Vay intensiv mit der analytischen Prüfung von kommunalen Jahresabschlüssen beschäftigt. Eine Datenanalysesoftware und selbst erstellte Makros, die bundesweit in Rechnungsprüfungsämtern zum Einsatz kamen, trugen seinerzeit wesentlich zum Aufbau des doppischen Prüfwesens bei. “Gibt’s da nicht auch was für das Beteiligungsmanagement?”, fragt sich der gebürtige Hesse immer wieder. Zumal 2017 auch die überörtliche Prüfung den Einsatz Stephan Vay ist Beteiligungsmanager einer Software empfiehlt. An- im Rheingau-Taunus-Kreis. Foto: BS/privat fragen bei anderen hessischen Landkreisen bleiben ergebnis- Beteiligungssoftware fidas ein, los. Jede Kommune versucht um mit den Zahlen der Beteiliindividuell der Datenflut Herr gungen aktiver zu arbeiten und zu werden. ein zukunftssicheres ControlNach einer erneuten Internet- ling-System zu etablieren. recherche stößt Vay Anfang Besonders beeindruckt zeigt 2018 auf die Leipziger Saxess sich Vay vom automatischen AG, nimmt Kontakt auf und Daten-Import. Er ist überzeugt: erhält eine Produktpräsentation. “Ein effektives BeteiligungsconIm Rückblick erinnert er sich: trolling ist sehr abhängig von “Das Potenzial der Anwendung den gelieferten Zahlen seitens war gleich erkennbar.” Und von der Beteiligungen. Ob Sumda an geht alles recht schnell. men-Saldenliste, Excel- oder Der Rheingau-Taunus-Kreis mit PDF-Format, die eingehenden rund 190.000 Einwohnern am Daten werden dank fidas autoRande des Rhein-Main-Gebiets matisch eingelesen und stehen schreibt noch im gleichen Jahr sofort zur Auswertung bereit. aus und führt die webbasierte Beim umfangreichen Aufgaben-

spektrum unserer Stabsstelle Controlling/Beteiligungen ist der Wegfall der manuellen Datenerfassung eine enorme Entlastung. Erfassungsfehler werden dabei vermieden und es bleibt mehr Zeit für die eigentlichen Kernaufgaben.” Hierzu gehört für Vay u. a. das Vorbereiten der Mandatsträger auf Gremiensitzungen. Die hierzu benötigten Daten zieht er nun einfach aus der Anwendung. “Heute ist es möglich, mithilfe der Software kurzfristig einen Beteiligungssteckbrief zu erstellen. Ergänzt um weitere Infos wie die betriebswirtschaftliche Einschätzung hat ein Mandatsträger so alle wesentlichen Informationen für eine Gremiensitzung.” “Natürlich schweben mir auch noch andere Funktionen vor, wie z. B. ein softwaregestützter Vergleich von Beteiligungen gleicher Branchen untereinander”, ergänzt Vay. “Aber so was braucht eben Entwicklungszeit und zudem sind ja auch Bedürfnisse anderer Nutzer zu berücksichtigen. Mit den derzeit vorhandenen Möglichkeiten ist mein Grundbedürfnis an ein softwaregestütztes Beteiligungsmanagement auf jeden Fall gestillt.”


Die sichere Kommune

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Keine Angst vor unbequemen Entscheidungen

Impfstoffmanagement verbessern

Rolle der Kommunen in der Corona-Bekämpfung

Digitale “Kommandozentrale” bietet beschleunigten Workflow

(BS/bk) Kommunen nehmen bei der Eindämmung des Coronavirus eine besondere Rolle ein. Während auf (BS/gg) Um das Impfstoffmanagement zu verbessern und zu beschleunigen, stellt ServiceNow, Anbieter für Bund- und Länderebene zumeist abstrakt über Maßnahmen diskutiert wird, werden auf kommunaler Ebene den digitalen Workflow, die Lösung Vaccine Administration Management bereit. Dabei dient die “Now Platkonkrete Maßnahmen umgesetzt. Manchmal auch gegen massive Widerstände. Dabei können viele Impulse form” des Unternehmens als Kommandozentrale für die Impfstoffverwaltung. von den Entscheidungsträgerinnen und -trägern auch anderen Kommunen helfen. Keine Angst vor unbequemen Entscheidungen zu haben, rät der Landrat des Kreises Gütersloh, Sven-Georg Adenauer (CDU), anderen Verantwortlichen bei der Corona-Eindämmung. Die CoronaPandemie stelle alle Kommunen vor neue Herausforderungen, die noch nicht in diesem Maß geübt worden. Dazu gehörten auch Maßnahmen, die starke Kritik hervorriefen. Ähnliche Erfahrungen konnte auch der Oberbürgermeister von Jena, Dr. Thomas Nitzsche (FDP), machen. Bekannt geworden ist der Oberbürgermeister, weil er als erster Politiker eine allgemeine Maskenpflicht eingeführt hatte. Ihm sei bewusst gewesen, dass diese Maßnahme für Gegenwind bei Behörden, dem Land und beim Bund sorgen werde. Rückblickend hält Nitzsche fest: “Nicht immer nach der populären Maßnahme suchen: Jetzt, in der zweiten Welle, ist dies wieder besonders wichtig.”

Methode Schrotflinte nicht zielführend Auch der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (Bündnis90/Die Grünen), ist überzeugt, dass Kommunen wesentlich besser angepasst an die lokalen Gegebenheiten und die verschiedenen Mentalitäten handeln könnten. Kritik übt er an den Maßnahmen des Bundes. Es sei durchaus möglich, gezielt vor Ort gegen das Coronavirus vorzugehen. Man müsse nicht mit der Methode “Schrotflinte”, was die Lockdown-Strategie des Bundes sei, vorgehen. Dies ist für Palmer nur die zweitbeste Strategie gegenüber zielgenauem Handeln. Doch wie viel Eigeninitiative ist möglich, wie viel Zentralstaat ist nötig? Grundsätzlich gilt bei Corona-Schutzmaßnahmen: Die Landesverordnung sticht die kommunalen Verordnungen als das höherrangige Recht. Doch bleiben in den landesrechtlichen Regelungen durch Öffnungsklauseln Spielräume, die die Kommunen ausfüllen und schärfere Maßnahmen als vom Land vorgesehen

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ie setzen damit in vielfältiger Weise auch das um, was mittlerweile in 14 Treffen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder an bundesweiten Vorgaben immer wieder angepasst wird. Hinzu kommen regelmäßig, zum Teil im Wochentakt, geänderte Vorschriften. Diese Mammut-Aufgabe bewältigen die Landkreise durch ihre flexiblen Organisations- und Verwaltungsstrukturen. Die Landrätinnen und Landräte als einheitliche Verwaltungsspitze vermögen den Einsatz von Personal- und Ressourcen übergreifend zu steuern, und zwar ohne dass dazu zuvor aufwendige Untersuchungen bei zahllosen Beratungsunternehmen in Auftrag gegeben werden mussten. Gerade in der Krise erweist es sich daher als vorteilhaft, dass die Landkreise aufgrund der Selbstverwaltungsgarantie des Grundgesetzes über eine umfassend gewährleistete Personal- und Organisationshoheit verfügen und dass sie auch die Entscheidungskraft haben, von diesen Freiheiten verantwortungsbewusst Gebrauch zu machen. Diesem positiven Befund wird erstens immer wieder das Verdikt des Flickenteppichs entgegengehalten. Zweitens wird auf dieser Grundlage das Fundament kommunalen Handelns dadurch angegriffen, dass insbesondere

Bei Corona-Eindämmungsmaßnahmen müssen Kommunen häufig zwischen unangenehmen Entscheidungen wählen. Foto: BS/PixxlTeufel, pixabay.com

treffen können. So heißt es in der Corona-Schutzverordnung des Landes NRW: “Unbeschadet davon bleiben die zuständigen Behörden befugt, im Einzelfall auch über diese Verordnung hinausgehende Schutzmaßnahmen anzuordnen.” Striktere Maßnahmen sind also durchaus möglich, jedoch keine schwächeren. Die kommunale Verordnung muss allgemein und gleichzeitig konkret genug formuliert sein. Kommunale Regelungen dürfen nicht im Widerspruch zur Landesverordnung stehen. Problematisch dabei sind immer die Fragen nach der Verhältnismäßigkeit der Eingriffe in die Grundrechte.

Föderalismus geeignet zur Pandemiebekämpfung? In diesem Zusammenhang steht jedoch immer die Frage, ob weniger Föderalismus nicht vielleicht besser wäre. Nitzsche sieht in der Corona-Bekämpfungen sowohl Vor- und Nachteile im Föderalismus. Die Frage danach, ob Föderalismus das richtige System zur Bekämpfung der Pandemie sei, sei ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ermöglichten diese abstuften Verantwortungen den kommunalen Entscheidungsträgern eigenen Gestaltungsraum in der Umsetzung von geeigneten Maßnahmen. Schließlich würden die kommunalen Entscheidungsträger die Eigenheiten ihres Verantwortungsbereichs kennen.

Innerhalb dieses Beziehungsgeflechts aus Kommunal-, Landesund Bundespolitik bestünde immer die Gefahr des “Blame Game”, also gegenseitige Schuldzuweisung, befürchtet Nitzsche. Gerade bei (vermeintlich) unangenehmen Entscheidungen könnte die obere Ebene mit der Geste der Großzügigkeit die Zuständigkeit an die unteren Ebenen abgeben, wo es manchmal besser wäre, eine stringente Linie von der Landesseite aus vorgegeben zu bekommen. Gerade beim Thema der Impfterminvergabe könne man dies beobachten. (Mehr zum Thema Datenschutz in der Corona-Krise findet sich auf Seite 32.) Ein Problem sieht Palmer jedoch bei Bewältigung der Pandemie auf einer größeren Skala. Es bestünde schon ein Systemwettbewerb zwischen dem demokratischen Rechtsstaat und dem “chinesischen Modell”. Er ist der Auffassung, dass auch die Demokratien unter Einhaltung von rechtsstaatlichem Vorgehen effizienter bei der Eindämmung vorgehen müssten, um im Wettbewerb nicht zurückzufallen. Klar wird auf jeden Fall, dass sich diese Pandemie zu einem Stresstest für die Kommunen, den Föderalismus und die Demokratie entwickelt. Dabei braucht es viel Vertrauen in das Wissen und die Fähigkeiten der Entscheider vor Ort, die Ideen und Konzepte für die gesamte Bundesrepublik entwickeln können.

Die Lösung ist ab sofort verfügbar und bietet den Nutzern Out-ofthe-Box-Funktionen, mit denen sie auf wichtige Impfstoffinformationen zugreifen, Termine planen und Terminbenachrichtigungen von Impfstoffanbietern erhalten können. Als Basis für das Vaccine Administration Management dient das ServiceNow Customer Service Management als moderne SelfService-Lösung für Desktop-PCs und mobile Endgeräte. Die Lösung verbindet die Patientenkommunikation mit ImpfstoffBestandssystemen, sodass die jeweilige Organisation die Patienten einfach benachrichtigen kann, wenn weitere Impfstoffe verfügbar sind, und Termine planen und Erinnerungen versenden kann.

Beschleunigung der letzten Meile Während Millionen von Menschen sich impfen lassen, sind in vielen Organisationen noch veraltete Systeme und Workflows im Einsatz, die nicht für die Unterstützung massiver Nutzungsspitzen geeignet sind. Gleichzeitig werden keine SelfService-Funktionen angeboten oder die proaktive Terminplanung ermöglicht. ServiceNow als Kommandozentrale für das Impfstoffmanagement soll alle Organisationen in die Lage versetzen, sämtliche Daten miteinander verbinden und so die Arbeit aus den isolierten Altsystemen heraus zu bekommen und in einen Workflow zu integrieren, einschließlich Terminplanung, Priorisierung und Kommunikation. Die digitalen Workflows von ServiceNow verbänden dazu die bestehende technologische Infrastruktur der Organisation und versetzten die User mittels eines Dashboards in die Lage, alle kritischen Elemente des Impfstoffmanagementprozesses komfortabel zu orchestrieren, so Chris Pope, Vice President für den Bereich Innovation bei ServiceNow.

Auf diese Weise bieten sich unter anderem folgende Möglichkeiten: • Verteilen von Impfstoffen: Verfolgung von Impfstofflieferungen, Verwalten des Bestands und Überwachung der Lagerbestände, um die Priorisierung der Bevölkerung zu unterstützen. • Verabreichung von Impfstoffen: Einsatzplanung der Impfstoffadministratoren und des Hilfspersonals, Überwachung der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) und der No-Shows sowie Erfassung von Feedback. Die Mitarbeiter können mit ihrem Impfstoffanbieter über den Kanal ihrer Wahl kommunizieren. • Ü berwachung von Impfergebnissen zur Sicherheit der Empfänger, Meldung von Zwischenfällen und Unterstützung der Bemühungen um eine sichere Rückkehr an den Arbeitsplatz sowie die laufende Überwachung der öffentlichen Gesundheit.

Workflow gegen die Pandemie Die Impfstoffmanagement-Lösungen sind Teil der umfassenderen Innovationsbemühungen des Unternehmens zur Unterstützung von Kunden und Organisationen bei der Reaktion auf die Covid-19-Pandemie. Die Emergency Response Apps von ServiceNow unterstützen Organisationen beim Covid-19-Krisenmanagement und wurden bereits von mehr als 1.800 Kunden weltweit heruntergeladen. Die Safe-Workplace-Suite hilft Organisationen, die Bereitschaft der Belegschaft und des Arbeitsplatzes einzuschätzen, während sie sich um die sichere Rückkehr der Mitarbeiter an den Arbeitsplatz im neuen Normalzustand bemühen.

Weltweite Nutzung Die Safe-Workplace-Suite wird weiterhin zweimonatlich erneuert. Bislang haben mehr als 900 Organisationen weltweit die Apps mit fast 10.000 Installationen heruntergeladen.

Landkreise managen die Pandemie vor Ort Corona-Pandemie und Rolle der Landkreise (BS/Dr. Kay Ruge) Die 294 Landkreise mit ihren Verwaltungen, ihren für Katastrophen geschaffenen Stabsstrukturen, ihren Gesundheitsämtern, ihren Ordnungsbehörden, ihren Krankenhäusern, ihren Rettungsdiensten, ihren Heimaufsichten, den von ihnen in kürzester Zeit bereitgestellten Impfzentren, ihrer Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit, ihrer digitalen Ausstattung zusammen mit ihren etablierten Netzwerken und der guten Zusammenarbeit mit den Gemeinden, mit Wohlfahrtsorganisationen, der von ihnen im Wege der Amtshilfe hinzugezogenen Bundeswehr und und nicht zuletzt den Landesbediensteten tragen in der Corona-Pandemie die verwaltungsbezogene Hauptlast zu deren Bewältigung. Sie sind die maßgeblichen, handlungsstarken und pragmatischen Bewältiger der Pandemie vor Ort. der Bund immer wieder Einzel­ vorgaben, Standards oder zentrale Lösungen zu etablieren versucht, die im Ergebnis oftmals vor Ort angemessenes Handeln konterkarieren. Die These des Flickenteppichs geht deshalb fehl, weil in der Tat zum Teil voneinander abweichende Vorgehensweisen in einem föderalen, dezentralen System gerade der gewollte Regelfall sind. Die Kreise bewegen sich dabei in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen, insbesondere des Infektionsschutzgesetzes, und tragen den darin zu Recht gewährten Spielräumen Rechnung. Sie tun dies in einem überschaubaren Zuständigkeitsbereich, der geprägt ist von der Kenntnis der Verhältnisse vor Ort. Dies gilt gerade in der Pandemie. In einer solchen Situation gibt es keine Gewähr dafür, dass zentrale Institutionen den “richtigen” Weg der Gefahrenabwehr finden. Was ist auch für die Zukunft zu verbessern?

1. S tärkung kommunaler Handlungsfähigkeit und Vertrauen Zunächst ist gleichsam im Sinne eines “cetero censio” zu gewährleisten, dass die Landkreise finanzielle Eigengestaltbarkeit flächendeckend in allen Bundesländern erreichen. Dazu sind maßgeblich die Länder mit Blick auf eine ausreichende Finanzausstattung gefragt, aber auch der Bund kann durch eine veränderte Umsatzsteuerverteilung, die den tatsächlichen Auf- und Ausgabenlasten der Landkreise stärker Rechnung trägt, seinen Anteil leisten. Zudem lebt kommunale Aufgabenerledigung von Vertrauen in deren Leistungsfähigkeit und dem Zulassen von Freiräumen. 2. P akt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst umsetzen Der Anfang September 2020 zwischen Bund, Ländern und unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände vereinbarte Pakt für den Öffentlichen Ge-

sundheitsdienst weist – jenseits der zu kritisierenden Praxis einzelner Förderungen im Sinne eines goldenen Zügels – insoweit in die richtige Richtung, als zu konstatieren ist, dass die gut 290 Gesundheitsämter der Landkreise personell wie sachlich gestärkt werden müssen. Der aus dem Pakt für den ÖGD entstehende Sach- und Personalaufwand in den Landkreisen und kreisfreien Städten ist dabei beachtlich. Umso wichtiger ist es, dass insbesondere aufgrund des Bemühens des Deutschen Landkreistages erreicht werden konnte, dass nicht wie bisher üblich vom Bund eine Anschubfinanzierung gegeben wird, nach der die Kommunen auf den dauerhaften Folgekosten sitzen bleiben.

Dr. Kay Ruge ist Stellvertreter des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Landkreistages (LKT). Foto: BS/FA Wind

Stattdessen wurde festgehalten, dass die bei den Landkreisen und kreisfreien Städten durch diesen Pakt ja dauerhaft veranlassten Mehrausgaben von den Ländern ausgeglichen werden. Allerdings schreitet genau diese Umsetzung in den Ländern bisher deutlich zu langsam voran. Sie sind ihren mit dem Bund vereinbarten Zusagen bisher nicht gerecht geworden, auch über das Ende des Paktes 2025 hinaus die dauerhafte Finanzierung des notwendigen personellen Aufwuchses, der Stei-

“Die Eigenschaften des Impfstoffs – begrenzter Vorrat, präzise Lagerungsbedingungen und die Anforderungen an eine zweiteilige Injektion – machen seine dringende Verteilung zu einer komplexen Workflow-Herausforderung, die eine noch nie dagewesene Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor erfordert”, erklärt Stefan Fischer, der den Bereich Public Sector bei ServiceNow in Deutschland führt.

Serviceorientiert denken ServiceNow habe in kürzester Zeit Lösungen bereitstellen können, die Organisationen dabei helfen, die Covid-19-Impfungen zu organisieren und die Hindernisse für ein effektives Impfstoffmanagement zu beseitigen, so Fischer. “Möglich ist das, weil die ServiceNow-Plattform und das gesamte Produktportfolio darauf ausgerichtet sind, digitale Workflows und Automatisierung über unterschiedlichste Fachverfahren hinweg anzubieten. Das serviceorientierte Denken ist dabei unser entscheidender Vorteil”, führt Fischer weiter aus.

Einführung weiterer Lösungen geplant Das Unternehmen werde in den kommenden Wochen weitere Lösungen einführen, um Organisationen bei der Impfung auf der letzten Meile zu unterstützen. Auch in Deutschland gebe es bereits eine Vielzahl von Kontakten und auch erste Projekte im Bereich der öffentlichen Verwaltung, verrät Fischer. Die Lösung Vaccine Administration Management steht bereits im ServiceNow-Store zum Download zur Verfügung. Zu den öffentlichen Organisationen im europäischen Ausland, die aktuell mit ServiceNow an ihrem Impfmanagement arbeiten, zählt u. a. der Nationale Gesundheitsdienst NHS in Schottland. Mehr zu den Impfstoffmanagement-Projekten hierzulande in den kommenden Ausgaben des Behörden Spiegel.

gerung der Attraktivität und der Digitalisierung zu gewährleisten. Dieses muss dringend entsprechend der im ÖGD-Pakt getroffenen Vereinbarungen geschehen. 3. D igitalisierung im Öffentlichen Gesundheitsdienst befördern Bei der Digitalisierung bedarf es generell, aber auch im Öffent­ lichen Gesundheitsdienst, durch Schaffung durchgängiger Meldewege und die Organisation einer übergreifenden Vernetzung deutlicher Fortschritte. Es bedarf der Schaffung einheitlicher und verbindlicher Schnittstellen sowie der Sicherstellung, dass Datenlieferungen einheitlich an Behörden des Bundes und der Länder übermittelt werden, aber gleichzeitig der Rückkanal ebenso automatisiert sichergestellt ist. 4. S trukturelle kommunale Einbindung Es bedarf der dauerhaften und strukturellen, nicht lediglich punktuellen und situationsbezogenen Einbindung kommunalen Sachverstands in die Entscheidungsprozesse auf Bund-LänderEbene. Weder darf die Festlegung einer einheitlichen Software für die Gesundheitsämter ohne vorherige Abstimmung erfolgen noch sollte in Ad-hoc-Aktionen ein Einwirken auf kommunale Strukturen jenseits aller Zuständigkeiten erfolgen.


Die sichere Kommune

Behörden Spiegel / Februar 2021

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ür die Städte und Gemeinden in Deutschland war der Start der Corona-Pandemie eine gewaltige Herausforderung. Über Nacht wurden Gewissheiten über Bord geworfen und plötzlich galten Abstands-, Begegnungs- und Besuchsverbote. Der Landkreis Heinsberg und kurze Zeit später auch einzelne Gemeinden in Bayern wurde abgeriegelt. Eine Situation, die man sich Wochen zuvor nicht hätte vorstellen können. Dies zeigt: Alles, was auf der Bundes- und Landesebene ausverhandelt wurde, musste dann, binnen kürzester Zeit, auf der kommunalen Ebene umgesetzt werden. Zu Recht klagen viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister über die oft viel zu kurze Umsetzungszeiten. “Freitagabends die neue Verordnung des Landes, Montag Umsetzung” ist für viele zum Alltag geworden. Die kommunalen Gesundheitsund Ordnungsämter rückten mehr und mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit. Zusammen mit den Gesundheitsämtern und Amtsärzten haben die Verantwortlichen auf der kommunalen Ebene auch stets an einer Weiterentwicklung von Corona-Maßnahmen gearbeitet. Als Beispiel kann die Maskenpflicht im ÖPNV, in belebten Fußgängerzonen oder im Einzelhandel dienen. Zusammen mit Alten- und Pflegeinrichtungen wurden zudem Konzepte entwickelt, um Besuche durch Testungen zu ermöglichen. Vor große Herausforderungen stellte Kommunen zudem die Frage, wie zumindest der Notbetrieb in Schulen und Kitas aufrecht­ erhalten bleiben konnte. Wir haben aber auch erkennen müssen, dass es in den Kommu-

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Kommunen in der Schlüsselposition Ein Jahr Corona-Pandemie (BS/Dr. Gerd Landsberg) Ein Jahr nach dem ersten Corona-Fall in Deutschland ist es Zeit, mit Blick auf das bisherige Pandemie-Geschehen und insbesondere die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie eine Zwischenbilanz zu ziehen. Die Kommunen spielten und spielen in der Pandemiebekämpfung eine Schlüsselrolle. Auch wenn der Fokus auf den großen Runden der Kanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder liegt, wird die Arbeit in der Pandemiebekämpfung überwiegend in den Kommunen erledigt. Vornehmlich die kommunalen Gesundheits- und Ordnungsämter sind gefordert, die von Bund und Ländern verabredeten Maßnahmen umzusetzen, zu kontrollieren und zu sanktionieren. nen bei der Pandemiebekämpfung auch Nachholbedarf gab und gibt. Die Digitalisierung der Gesundheitsämter war bislang keine Priorität in den meisten Kommunen. Zu Beginn der Pandemie waren analoge Behelfslösungen, wie das Erfassen von Adressen und Kontaktdaten auf Papier oder die Übersendung der Fallzahlen per Fax, bei vielen Gesundheitsämtern bis letztes Jahr noch Realität. Technische Herausforderungen konnten durch flexible Umschichtungen von Personal und die Unterstüt-

Dr. Gerd Landsberg ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB). Foto: BS/Bernhardt Link – Farbtonwerk

zung der Bundeswehr kurzfristig bewältigt werden. Klar ist aber auch, dass wir im Jahr 2021 digitale Gesundheitsämter dringender denn je brauchen. Ob die Kontaktnachverfolgung dabei mit der vom Bund geförderten Software SORMAS erfolgt oder aber eines der anderen Fachverfahren genutzt wird, sollte dabei zweitrangig sein. Wichtig ist, dass die Schnittstellen zu den Landesgesundheitsämtern, den Testlaboren und dem Robert Koch-Institut (RKI) bestehen.

Neben der Eindämmung der Krise ist die Aufgabe der Städte und Gemeinden als zentraler Ansprechpartner für die Menschen in der Krise noch wichtiger geworden. Bei den Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft gibt es nach einem Jahr Pandemie und mittlerweile dem dritten Monat im Lockdown viele Nachfragen. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister informieren stets über die aktuell geltenden Vorschriften und bemühen sich um Antworten, unabhängig davon, ob sie zuständig sind oder nicht. Eine neue Umfrage des Magazins KOMMUNAL zeigt, dass das kommunale Thema Kinderbetreuung und Schulen die Menschen während des aktuellen zweiten Lockdowns am meisten umtreibt. Hier brauchen wir perspektivisch konkrete Stufenpläne der Länder zur vorsichtigen Öffnung der Einrichtungen, zumindest für die Grundschulen. Stattdessen erfahren die Städte und Gemeinden auch hier oft sehr kurzfristig, welche Regelungen ab Montag gelten. Eine vernünftige Kommunikation mit den Schulen, geschweige denn gegenüber den Eltern und Schülern, ist kaum möglich. Im Übrigen hat sich beim Homeschooling ebenfalls gezeigt, dass wir bei der Digitalisierung nicht flächendeckend gut aufgestellt sind. Nach einem Jahr Pandemie braucht es aus kommunaler Sicht jetzt zumindest zwei wichtige Signale: • Es muss überlegt werden, ob regionale Lockerungs-Perspektiven sinnvoll sind. Schleswig-Holstein

und Niedersachsen haben bereits solche Pläne vorgelegt. Sinnvoll bleiben dabei bundeseinheitliche Leitplanken, an denen sich die einzelnen Bundesländer orien-

tieren könnten. Die Menschen erwarten ein Hoffnungssignal, denn alle Maßnahmen der Pandemiebekämpfung hängen an der Akzeptanz der Bevölkerung.

•V on besonderer Bedeutung für die Kommunen bleibt auch, dass Bund und Länder auch für das Jahr 2021 deren finanzielle Handlungsfähigkeit sichern. Der Lockdown hält an, die Einnahmeverluste bei Gewerbeund Einkommenssteuer nehmen zu und die Anforderungen an die Kommunen und damit auch deren Ausgaben steigen. Wir halten deshalb ein weiteres Hilfspaket sowohl im Hinblick auf Gewerbesteuerausfälle als auch auf Einkommenssteuerverluste für das Jahr 2021 für unverzichtbar.

Gefragt auf ganzer Linie Das zweite Jahr der Pandemie – eine Zwischenbilanz (BS/Dr. Ute Teichert) Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) spielt in der Pandemiebekämpfung eine zentrale Rolle. Er zeigt, wie wichtig bevölkerungsmedizinisches Handeln ist – und wo er selbst dringend Stärkung braucht. Über die Arbeit der knapp 400 Gesundheitsämter in Deutschland wurde noch nie so viel berichtet wie in den vergangenen Monaten. Diese besondere Aufmerksamkeit ist zweifellos ihrer zentralen Bedeutung bei der Pandemiebekämpfung zu verdanken. Meldewesen, Kontaktpersonennachverfolgung und Covid-19-Impfungen gehören zu den komplexen Aufgaben, die in den Gesundheitsämtern gestemmt wurden und werden. Heute käme daher wohl kaum jemand mehr auf die Idee, sie derart außer Acht zu lassen wie noch zu Beginn der Pandemie. Da blieben die Gesundheitsämter etwa bei der Zuteilung von Schutzanzügen unberücksichtigt und mussten im Rahmen einer neuen Gesetzgebung rechtfertigen, warum sie Kartenlesegeräte für Patientendaten benötigen. Insofern hat die Pandemie gezeigt, wie wichtig es ist, bevölkerungsmedizinisch handlungsfähig zu sein. Das dazugehörige Aktionsfeld ist die klassische Domäne des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD). Dort finden sich seine breit gefächerte Expertise und sein vielfältiges Engagement. Bemerkenswert ist zudem, dass sich gezeigt hat, wie wichtig die Zusammenarbeit des ÖGD mit dem ambulantem und dem stationären Sektor des Gesundheitswesens ist, gerade während der Corona-Krise. Um nur ein Beispiel anzuführen: In Schleswig-Holstein pflegen die Kassenärztliche Vereinigung, die Gesundheitsämter und die niedergelassenen Hausärzte ein gemeinsames Datenregister für positiv auf Corona getestete Patienten. Fallmeldung, Quarantäneanordnung und ärztliche Betreuung gehen dort Hand in Hand. Solche Kooperationen eröffnen hoffentlich über diese Krise hinaus pragmatische Wege,

wie das Silodenken in unserer Gesundheitsversorgung überwunden werden kann.

Systematische Schwachstellen werden sichtbar Zugleich werden in Extremsituationen wie dem Pandemiegeschehen aber unweigerlich auch systemische Schwachstellen sichtbar. Der Digitalisierungsrückstand des ÖGD ist eine solche. Hier hoffen wir, dass mit der von der Bundesregierung bis Ende Fe­ bruar 2021 für alle Gesundheitsämter geforderten Implementierung des Managementsystems SORMAS eine bundesweite Kontaktnachverfolgung möglich sein wird und es uns damit besser gelingt, Infektionsketten frühzeitig zu unterbrechen. Ein weiteres deutliches Defizit ist der Personalmangel im ÖGD infolge jahrzehntelanger drastischer Sparmaßnahmen. In der Pandemie helfen neben vielen Hilfskräften auch zahlreiche Medizinstudierende aus. Sie werden über die Plattform medis4ÖGD vermittelt, die vom Bundesverband Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst und der Bundesvertretung der Medizinstudierenden initiiert wurde. Dazu kommen rund 5.000 Bundeswehrangehörige zur Unterstützung. Der ÖGD braucht aber kurz- und mittelfristig deutlich mehr Fachpersonal in allen Bereichen, um seinen neben der Pandemiebekämpfung weiteren umfangreichen Aufgaben nachkommen zu können.

Erster richtiger Schritt, aber … Daher ist der von der Bundesregierung im September 2020 beschlossene und auf die kom-

menden sechs Jahre ausgelegte Pakt für den ÖGD insgesamt ein Schritt in die richtige Richtung. Vier Milliarden Euro, 1.500 neue Stellen und 50 Millionen Euro zusätzlich für den Digitalisierungsvorschub in den Gesundheitsbehörden sind eine hohe Dosis Booster für den ÖGD. Aber sie wird nicht ausreichen. Denn als der Pakt besiegelt wurde, befanden wir uns noch vor der zweiten großen Corona-Welle. Daher ist zum jetzigen Zeitpunkt bereits offenkundig, dass eine Aufstockung der Mittel notwendig sein wird. Denn wir sollten nicht abwarten, bis uns die nächste Pandemie erneut im Stande einer unzureichend ausgestatteten öffentlichen

Dr. med. Ute Teichert, MPH, ist Direktorin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf und Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. Foto: BS/privat

Versorgung trifft. Zu den dafür erforderlichen Maßnahmen, um die Attraktivität des ÖGD für Nachwuchskräfte zu steigern, gehört auch eine Angleichung der Facharztgehälter im ÖGD, die derzeit rund 1.000 Euro unter denen etwa von Klinikärzten liegen. Den ÖGD stärken heißt auch, seine Attraktivität für den beruflichen Nachwuchs zu erhöhen. In der Pandemie hat der Öffentliche Gesundheitsdienst bislang seine besondere Relevanz bewiesen, aber auch Schwachstellen aufgezeigt. Wir sollten daher die aktuelle politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit nutzen, um ihn gleichermaßen nachhaltig und zukunftsfähig zu gestalten.


Kommunale Sicherheit

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Alarme priorisieren

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m das zu verhindern, sollte die in öffentlichen Gebäuden verbaute Anlagentechnik in der Lage sein, Amokalarme höher zu priorisieren als Brandalarme. Hier brauche es entsprechende Gewichtungen und Einstellungen, fordert Marc Weichhan. Denn ansonsten würden Probleme und Bedrohungen aus den Gebäuden hinaus vor die Liegenschaften verlagert, so der Brandschutzbeauftragte und -fachplaner Weichhan. Darauf würden Amokläufer, die ihre Taten in der Regel lange planten, dann aber schnell und rücksichtlos handelten und den eigenen Tod billigend in Kauf nähmen, durchaus setzen. Und es gebe bei diesen sogenannten kalten Aggressionen noch ein Problem: Nachahmungstaten aufgrund intensiver Medienresonanz für die Ursprungstat sowie wegen einer Bewunderung und Heroisierung des Amokläufers. Hinzu komme, so Weichhan, dass bei diesen Tätern zahlreiche Warnsignale im Vorfeld des Amoklaufs oftmals nicht ernstgenommen oder nur im familiären Umfeld registriert würden.

Nachsorge nicht vergessen Umso wichtiger seien Sicherheitskonzeptionen und ein wirksames Bedrohungsmanagement im Bereich des Öffentlichen Dienstes. In diesem Zusammenhang brauche es zudem wirksame Schulungen, in denen die entsprechenden Informationen gut und verständlich vermittelt würden, und für die Einsatzkräfte leicht verständliche Gebäudeunterlagen für den Ernstfall. Des Weiteren müsse bei einem Bedrohungsmanagement zwingend auch der Bereich der Nachsorge

Behörden Spiegel / Februar 2021

Sicherungstechnik muss unterscheiden können (BS/Marco Feldmann) Bei Amok- und Terrortaten müssen nicht nur Menschen richtig handeln, um sich effektiv zu schützen. Es kommt auch auf die Technik an. Ist diese nicht richtig eingestellt oder nicht modern genug, drohen auch im Rahmen von Evakuierungen Gefahren. Dies fokussiert sich dann besonders auf die Sammelplätze. Hier kann es zu weiteren Taten kommen. berücksichtigt werden, meint Weichhan. Dazu gehörten unter anderem Angaben zu geschützten Räumen, zur Unterbringung und (notärztlichen) Versorgung Betroffener sowie zur Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) und zu Ausweichsammelplätzen. Diese müssen aus seiner Sicht immer Bestandteil einer Sicherheitskonzeption sein. Dabei sollte der Ausweichsammelplatz – im Gegensatz zum Hauptsammelplatz – nicht gekennzeichnet sein. Außerdem sollte seine Lage nur dem internen Krisenmanagementteam bekannt sein und nicht nach außen kommuniziert werden.

Eigenschutz beachtet werden. Keinesfalls dürften eigenmächtig Veränderungen an der USBV vorgenommen werden, warnte der Brandschutzbeauftragte und -fachplaner.

Sicherheitskonzept kann Gefahren nur bedingt minimieren

Ausweichsammelplatz vertraulich behandeln Die Lage des Ausweichsammelplatzes, der laut dem Brandschutzexperten eher bei telefonisch eingehenden Bombendrohungen als im Falle von Amoktaten genutzt werden sollte, sollte grundsätzlich vertraulich behandelt werden. Erst im Falle einer Gebäuderäumung sollte seine Lage dann den Räumungshelfern mitgeteilt werden, damit diese die Menschen dorthin führen können. In diesem Zusammenhang macht Weichhan eines deutlich: “Über die Räumung eines Gebäudes entscheidet ausschließlich die Polizei, nicht der Betreiber selbst.”

Brandalarme, die durch Feuerwarnmelder bekannt gemacht werden, müssen im Ernstfall gegebenenfalls niedriger priorisiert werden als Amokalarme. Foto: BS/Bruno/Germany, pixabay.com

Ist eine Evakuierung allerdings nicht möglich, sollten sich Personen möglichst verbarrikadieren und sich von Fenstern und Türen fernhalten. Im Außenbereich gelte dies auch für Menschenansammlungen, da diese durchaus Ziele für einen “second hit” sein könnten. Grundsätzlich sollten die Mitarbeiter auf ihr Bauchgefühl hören und verdächtige Beobachtungen an den Krisenstab melden, appelliert

Weichhan. Im Falle “Unkonventioneller Spreng- oder Brandvorrichtungen” (USBV) komme es auf eine weiträumige Absperrung des Gefahrenbereichs an. Im freien Gelände müsse hier eine Distanz von mehr als 200 Metern zum verdächtigen Objekt eingehalten werden. Innerhalb einer Bebauung müssten es mindestens 30 Meter sein. Des Weiteren müssten Absperrmaterial immer griffbereit gehalten und der

All diese Elemente sollten Eingang in ein Sicherheitskonzept finden. Die Dokumente sind laut Weichhan allerdings kein Allheilmittel. Denn durch sie könne es nur bedingt gelingen, Gefahren zu minimieren, die von einer Veranstaltung ausgingen. Viel wichtiger sei es, die Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden und Gefahren in jedem Einzelfall auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. Sicherheitskonzepte sind zugleich aber auch nicht völlig unnütz. Sie geben einen Überblick über Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren, legen Abläufe fest und beinhalten Hinweise zu Notund Zwischenfällen. Außerdem sind sie ein wichtiger Bestandteil des Genehmigungsverfahrens durch die zuständigen Behörden und dienen der Besuchersicherheit und -zufriedenheit. Sie müssten allen beteiligten Behörden vorgelegt werden. Dazu gehörten unter anderem Polizei, Feuerwehr und Ordnungsamt. Für diesen Prozess sollten Veran-

stalter mindestens zehn Wochen einplanen, unterstreicht Weichhan. Weitere wichtige Elemente der Veranstaltungssicherheit seien die jeweils individuell zu erstellende Risikoanalyse und Gefährdungsbeurteilung sowie die behördlichen Auflagen. Ein gesondertes Räumungskonzept sei nur bei Versammlungsstätten notwendig, die für mehr als 1.000 Personen bestimmt seien und sofern die Maßnahmen nicht bereits Teil des Sicherheitskonzeptes seien.

Zwischen Phasen unterscheiden Mit Blick auf Sicherheitskonzepte sei es sehr wichtig, diese Dokumente in die verschiedenen Veranstaltungsphasen zu unterteilen. Betrachtet werden müssten unter anderem die Anreise, der Ein- und Auslass sowie die Abreise. Des Weiteren sei es erforderlich, die Veranstaltung detailliert zu beschreiben und konsequent zwischen Betreiber und Veranstalter zu unterscheiden. Einbezogen werden müssten darüber hinaus Erfahrungen aus den Vorjahren sowie Angaben zu bestimmten Flächen, meint Weichhan. Dazu zählt er zum Beispiel die Einlass- und Auslassbereiche, Fluchtwege, Zufahrtswege für Rettungsfahrzeuge, Aufstellflächen und Zugangsbereiche für Einsatzkräfte, Wartebereiche für Besucher sowie Entlastungsflächen. Weichhan hat noch zwei Empfehlungen für Veranstalter: Das Hausrecht sollte an den Sicherheitsdienst übertragen werden und auch bei Indoor-Veranstaltungen sollten Unwettersituationen, wie etwa Gewitter während der Auslassphase, mit betrachtet werden.

Tauglichkeit nach einer Corona-Erkrankung

Grundlage für Feuerwehr-App gelegt

Gesundheit hat oberste Priorität

Modell aus Sachsen aufgegriffen

(BS/bk) Bei über zwei Millionen Corona-Infektionen, die dem Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet wurden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch Angehörige von Rettungsdienst und Feuerwehr sich mit dem Virus infiziert haben. Nach einer durchgestandenen Krankheit stellt sich die Frage nach der Tauglichkeit der Betroffenen für den zukünftigen Dienst. Wann sind Eigungsuntersuchungen sinnvoll?

(BS/bk) Das Innenministerium Thüringens und die Technische Universität Bergakademie Freiberg legten den Grundstein für die Einführung einer Feuerwehr-App für die thüringischen Wehren. Dazu unterzeichneten beide Seiten einen Kooperationsvertrag. Dieser Digitalisierungsschritt soll viele Anwendungsmöglichkeiten im Einsatz bieten.

Der Bundesfeuerwehrarzt und Leiter des Fachbereichs “Gesundheitswesen und Rettungsdienst” des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), Klaus Friedrich, sieht drei Kernpunkte bei der Bewertung der Tauglichkeit als wichtig an: Erstens: Die Gesundheit der Feuerwehrangehörigen habe die höchste Priorität. Zweitens: Die Tätigkeit bei der Feuerwehr dürfe und solle die Gesundheit nicht gefährden. Und drittens: Die Feuerwehrfrauen und -männer sollen nur Tätigkeiten ausführen, für die sie körperlich geeignet sind.

Keine verpflichtende Untersuchung Für die Einhaltung dieser Punkte stehen die Trägerinnen und Träger der Wehren in der Pflicht. Verantwortlich ist explizit nicht die Leitung der Feuerwehr. Das sieht die Unfallverhütungsvorschrift “Feuerwehren” vor. So

heißt es in der Vorschrift 49 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV): “Bestehen konkrete Anhaltspunkte, aus denen sich Zweifel an der körperlichen Eignung von Feuerwehrangehörigen für die vorgesehene Tätigkeit ergeben, so hat sich die Unternehmerin bzw. der Unternehmer (Anm. der Red.: die Träger der Feuerwehren) die Eignung ärztlich bestätigen zu lassen.” Friedrich appelliert jedoch auch an die Eigenverantwortung jeder einzelnen Einsatzkraft. Wenn ein Angehöriger selbst Zweifel an seiner Eignung habe, solle dieser eine Eignungsuntersuchung durchführen lassen. Eine Verpflichtung für eine Untersuchung gebe es jedoch nicht. Ob eine Einsatzkraft nach einer überstandenen, möglicherweise auch ohne Symptome verlaufenen Infektion mit dem Coronavirus die Tätigkeit unter Atem-

schutz wieder aufnehmen kann oder zunächst eine vorzeitige Nachuntersuchung gemäß den Grundsätzen für arbeitsmedizinische Untersuchungen G 26 absolvieren muss, lasse sich pauschal nicht beantworten, heißt es von der DGUV.

Anhaltspunkte für erneute Untersuchung Eine Nachuntersuchung sei aber bei konkreten Anhaltspunkten empfohlen und dringend angeraten. So soll die Eignung geprüft werden, wenn der Feuerwehrangehörige eine mehrwöchige Erkrankung überstanden hat, neue körperliche Beeinträchtigungen auftreten, der Leiter der Feuerwehr Zweifel an der körperlichen Eignung hat oder der Hausarzt eine Prüfung anrät. Eine erneute Untersuchung sollte jedoch frühestens vier Wochen nach Symptomfreiheit durchgeführt werden.

Eine Corona-Infektion kann langfristige Folgen für den Betroffenen haben. Ob nach einer überstandenen Erkrankung eine Feuerwehrkraft wieder unter Atemschutz in den Einsatz darf, kann eine Eignungsuntersuchung klären. Foto: BS/Klawon

Mit der Feuerwehr-App und den dazugehörigen Endgeräten können die Feuerwehren Thüringens auf Rettungsdatenblätter von verunglückten Fahrzeugen zugreifen und sich die Schnittstellen der Karosserien sowie eventuelle Gefahrenpunkte anzeigen lassen. Die Datenblätter sollen Einsatzkräfte besonders bei Pkws mit neuen Antrieben wie E-Autos, bei denen die Akkus eine Gefahrenquelle darstellen können, unterstützen. Außerdem können über die Applikation Informationen aus einer Datenbank zu Gefahrenstoffen abgerufen werden. Dies

wird durch das Abfotografieren von Gefahrstofftafeln möglich und erlaubt die schnelle Einleitung von passenden Gefahrenabwehrmaßnahmen. Ebenso bietet die App eine Karte mit Hydranten und kann an die lokalen Bedürfnisse der Einsatzkräfte mit beispielsweise Forstrettungskarten zur Waldbrandbekämpfung oder mit den Rettungsplänen der Deutschen Bahn erweitert werden. Thüringen greift damit auf eine erfolgreiche App zurück, die schon im Freistaat Sachsen im Einsatz ist. Dort wurde die App schon 2015 eingeführt. Nach der

Kooperationsvereinbarung soll die App nun weiterentwickelt werden. Der Kooperationsvertrag regelt zudem die Finanzierung der Weiterentwicklung, die Nutzerkontenverwaltung für alle Thüringer Feuerwehren und Ortsteilfeuerwehren sowie einen dauerhaften IT-Support. Die weiterentwickelte Applikation soll noch in diesem Jahr fertiggestellt werden. Zudem ist die Beschaffung von 1.750 Tablets vorgesehen. Die Endgeräte sollen dann Anfang 2022 mit der fertigen App an jede Ortsteilfeuerwehr in Thüringen verteilt werden.

Bereits mehrfach genutzt Seecontainer als Bestandteil von Sicherheitsmaßnahmen (BS/Sandra Kirschbaum*) Was vor Jahren als besondere Anfrage begann, wurde letztes Jahr für Bloedorn Container zu einer Spezialisierung. Sieben Mal setzte der Dienstleister Seecontainer ein, um die Bevölkerung vor Druckwellen und Splitterflug zu schützen. In Essen trat Mitte des Jahres ein Blindgänger bei Bauarbeiten zutage, der zügig entschärft werden musste. In wenigen Stunden wurden die Stahlboxen geliefert und montiert. Die Schutzwand schützte die umliegende Wohnbebauung vor der Sprengung. Komplexer gestaltete sich ein Einsatz in Münster. An drei Verdachtspunkten wurden drei Containerschutzwände in zwei Lagen je Container mit 24.000 Litern Wasser befüllt. Bloedorn Container arbeitete eng mit der Feuerwehr zusammen, die die Tanks befüllte und entleerte. Zuletzt führte eine komplette Einhausung einer Bombe in Koblenz dazu, dass sich der Evakuierungsradius halbierte

Seecontainer (Foto) wurden in Deutschland zuletzt mehrfach genutzt, um Menschen vor Splitterflug und Druckwellen zu schützen. Foto: BS/Bloedorn Container

und die Justizvollzugsanstalt nicht geräumt werden musste. “Auch 2021 startete mit einem Großeinsatz unserer Container als Schutzwall. Die Expertise nutzen wir zunehmend im gan-

zen Bundesgebiet”, so Björn Henkel, Gesellschafter von Bloedorn Container. *Sandra Kirschbaum arbeitet bei der Bloedorn Container GmbH.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Februar 2021

Katalysator Krise?

KNAPP “So geht Zukunft. Digital.”

Die Auswirkungen Coronas sind technisch, aber nicht allein (BS/Thomas Petersdorff) Krisen gelten gemeinhin als Zeit der Tat. Sie stoßen Prozesse an, die unter Normalbedingungen durch lange Phasen der Planung, Entscheidungsfindung und ­Konzeption sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würden. Auch die Digitalisierung im öffentlichen Sektor habe im Zuge Coronas einen beträchtlichen Technologiesprung gemacht – heißt es derzeit noch und nöcher. Aber wo genau sind die Auswirkungen der Pandemie am deutlichsten? Ein Blick in Deutschlands öffentliche Rechenzentren zeigt, dass die Konsequenzen Coronas für die Digitalisierung im Öffentlichen Dienst nicht allein technischer Natur sind, sondern weit darüber hinausgehen und nicht zuletzt auch Fragen der Organisation und Führung berühren. Da wäre zum einen die digitale Souveränität, die infolge Coronas zusehends größeren Raum für sich beansprucht. In Zeiten, in denen digitale Technologien für das Funktionieren von Staat und Verwaltung elementare Bedeutung gewonnen hätten, werde auch die Frage nach strategischer Autonomie immer wichtiger, sagt Dr. Johann Bizer, Vorstandsvorsitzender des norddeutschen IT-Dienstleisters Dataport. Ein bekanntes Beispiel: Fremdbestimmte Cloud-Dienste, die – mitunter auch aufgrund politischer Direktive – mit einem Mal nicht mehr operationsfähig sein könnten. Freilich seien Szenarien wie das skizzierte unwahrscheinlich, doch allein die schiere Möglichkeit müsse für die Notwendigkeit digitaler Unabhängigkeit im Öffentlichen Dienst sensibilisieren. “Wir müssen sehen, dass wir die IT für eigene Zwecke selbstbestimmt gestalten und nutzen”, ist Bizer sich sicher. Doch was bedeutet das konkret? Zunächst einmal, dass Informationen der öffentlichen Verwaltung im europäischen Rechtsraum verbleiben, wo garantiert werden kann, dass ein missbräuchlicher Zugriff nicht stattfindet. Mehr denn je brauche es darum technologische Alternativen, fordert Bizer. Alternativen, welche die eigene Position in Verhandlungen mit großen Softwareherstellern stärkten und im Fall der Fälle auch dazu befähigten, eigene Wege einzuschlagen. “Es ist wichtig, dass wir rote Linien definieren, die nicht überschritten werden”, betont Bizer nachdrücklich. Mit dem Web-Arbeitsplatz “Phoenix” hat der norddeutsche IT-Dienstleister seit Oktober 2019 selbst eine solche Alternative im Repertoire. Als Groupware-Lösung ist “Phoenix”

Vielmehr müsse der gesamte Implementierungsprozess von Beginn an eng begleitet und dabei stets auch der Faktor Mensch, sprich der Endanwender in der Verwaltung, im Blick behalten werden. Konkret betreffe das den organisatorischen Rahmen, aber auch qualifizierende Schulungsmaßnahmen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. “Corona war in diesem Zusammenhang sicherlich ein Brandbeschleuniger, der nochmals einiges in Gang gebracht hat, die eigentlichen Herausforderungen sind uns aber schon seit Längerem bekannt”, schließt Hoppmann.

Eine Frage der Führung

Wörtlich bezeichnet Katalyse einen Prozess der “Auflösung”, dem eine rapide Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit folgt: Eine ganz ähnliche Wirkung hat die Corona-Pandemie derzeit auf die öffentliche Verwaltung, wo alteingesessene Organisations- und Verantwortungsstrukturen zusehends infrage gestellt werden. Foto: BS/blende12, pixabay.com

Hersteller-unabhängig, sein Software-Stack speist sich aus den Programmen gleich mehrerer Entwickler. Mit an Bord beim Projekt ist dabei unter anderem das IT-Systemhaus Bechtle mit Hauptsitz in Neckarsulm. Für dessen Leiter Public Sector, Steven Handgrätinger, ist die bei Phoenix zum Einsatz kommende Open-Source-Technologie sogar einer der maßgeblichen Hebel auf dem Weg hin zu einer strategischen Autonomie im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung.

Verwaltung ist beweglicher geworden Die teils disruptiven Veränderungen, die mit der Corona-Krise einhergegangen sind, beschränken sich allerdings nicht nur auf rein technische Anforderungen.

Infolge der Pandemie sei die öffentliche Verwaltung insgesamt beweglicher geworden, bemerkt Christian Leinert, Präsident des zentralen IT-Dienstleisterin des Landes Baden-Württemberg, BITBW. “Die letzten elf Monate haben nochmals deutlich vor Augen geführt, wie unverzichtbar eine starke IT-Dienstleisterin für eine öffentliche Verwaltung heute ist. Hatten wir zuvor an der einen oder anderen Stelle mit erheblichen Akzeptanzproblemen zu kämpfen, so sind die alten Vorbehalte inzwischen weitgehend ausgeräumt. Die Auswirkungen waren insgesamt weniger technisch als vielmehr mental, das heißt in den Köpfen unserer Kunden.” Bemerkbar gemacht habe sich die Veränderung nicht zuletzt in der bereitwilligen Über-

nahme von Lösungen aus dem Mobilitätsbereich, denen vor Corona überwiegend mit Skepsis begegnet wurde. Oftmals auch aus operativen Gründen, wie Leinert hinterherschiebt. Aus Sicht Lars Hoppmanns, Geschäftsleiter des Kommunalen Rechenzentrums MindenRavensberg/Lippe (krz), berührt das einen Kernpunkt der Digitalisierung überhaupt. “Mensch, Organisation und Technik müssen immer zusammengedacht werden”, ist er überzeugt. Als kommunales Rechenzentrum sei man stets darum bemüht, den eigenen Kunden ein ganzheitliches Angebot zu machen, das alle Aspekte der Digitalisierung mit berücksichtigt. Es sei nicht damit getan, nur eine technische Lösung in den Raum zu stellen.

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Bleibt schließlich noch die Organisation nach innen, die sich seit Beginn der Pandemie einer anderen Gemengelage gegenübersieht als noch im Jahr 2019. Stichwort: Homeoffice und mobile Arbeit. Mit der veränderten Situation erhebt sich unweigerlich die Frage, inwieweit alte Strukturen aus analogen Zeiten in einer digitalen Welt Bestand haben können. Harald Joos, seit Anfang Februar CIO und IT-Beauftragter des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), ist sich sicher: “Die Corona-Krise hat einen Prozess angestoßen, der Arbeit dauerhaft verändern wird.” Zwar sei der Öffentliche Dienst heute noch mehrheitlich hierarchisch organisiert, der Wechsel auf Telearbeitsformen habe jedoch dazu geführt, dass sich das operative Geschehen zusehends von der Vertikalen auf die Horizontale verlagere. Das habe nicht zuletzt auch Konsequenzen für die Führungsebene, die nun lernen müsse, sich nicht mehr in die Kompetenzen der Belegschaft einzumischen, Weiter auf Seite 24

n unter www.d nd Informatione

(BS/pet) Am 17. und 18. März 2021 öffnet der Fachkongress des IT-Planungsrates erneut seine Tore. Aufgrund des aktuellen Pandemiegeschehens findet die Veranstaltung rein virtuell statt. Organisiert durch das Gastgeberland Sachsen und die Föderale IT-Kooperation (FITKO), steht der 9. Fachkongress des IT-Planungsrates diesmal unter dem Motto “So geht Zukunft. Digital.” Ursprünglich im Hybridformat geplant, wird die Veranstaltung aufgrund jüngster Entwicklungen beim Pandemiegeschehen digital stattfinden. Die Übertragung erfolgt live aus der Messehalle in Dresden. Schwerpunktmäßig stehen die Themen “Onlinezugangsgesetz (OZG) – Wegbereiter für eine zukunftsfeste Verwaltung”, “Digital Souverän – Souverän Digital” und “Zukunft der Verwaltung” im Fokus.

Datenstrategie veröffentlicht (BS/stb) Die Bundesregierung will Deutschland zum Vorreiter für das innovative Nutzen und Teilen von Daten in Europa machen. Ihre Datenstrategie sieht 240 Maßnahmen vor. Die Bundesregierung will einerseits dem Bedarf der Wirtschaft entgegenkommen, Daten im großen Stil nutzen und teilen zu können. Innovation und Wertschöpfung in diesem Bereich sieht sie auch als Garant für mehr digitale Souveränität. Zugleich will sie Anforderungen an Datenschutz und Privatsphäre gerecht werden. Die Datenstrategie sieht vier Handlungsfelder vor: Das erste behandelt leistungsfähige Dateninfrastrukturen; zweitens die Steigerung der innovativen und verantwortungsvollen Datennutzung; drittens sollen die Datenkompetenz erhöht und eine neue Datenkultur etabliert werden. Viertens soll der Staat zum Vorreiter dieser neuen Datenkultur gemacht werden.

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www.instagram.com/digitaler_staat Illustration: unter Verwendung von © funtap, stock.adobe.com; Fotos: Klaus Dombrowsky


Informationstechnologie

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Fortsetzung von Seite 23 sondern durch Entscheidungen den Weg freizumachen für ef­ fektives und selbstbestimmtes Arbeiten. Zustimmung kommt von Ines Fiedler, Direktorin als Beauftragte für die Netze des Bundes bei der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behör­ den und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS). Am Ende sei es gleichgültig, wie die Belegschaft arbeite, solange Ziele definiert und eingehalten würden. Aufgabe der Führung in diesem Zusammenhang müsse es sein, “Leitplanken” zu erstellen. Und das individuell. Jede Kollegin und jeder Kollege funktioniere anders. Gerade in digitalen Zeiten seien darum Empathie und das richtige Gespür für individuelle Führung wichtiger denn je. Für Holger Lehmann, Leiter des Leitungsstabs sowie der Presse­ stelle im Informationstechnikzen­ trum Bund (ITZBund), greift der zu beobachtende Kulturwandel sogar noch tiefer und berührt neben Fra­ gen der Aufbauorganisation auch die Verantwortungsstrukturen in­ nerhalb des Öffentlichen Dienstes selbst. Ohne Verantwortung bzw. Verantwortliche ginge es dabei

freilich nicht. Er plädiert für einen Mittelweg, der Innovationsfreund­ lichkeit in kleinen, agilen Teams mit Verantwortlichkeit verbindet. Die Corona-Pandemie habe aller­ dings einige Indikatoren an die Hand gegeben, dass ein solcher Spagat sehr wohl gelingen könne. Nachholbedarf macht er demge­ genüber beim Faktor IT-Sicherheit aus. “Das Thema “mobil” ist in den letzten Jahren nicht recht auf dem Schirm gewesen”, kritisiert Lehmann. Erst durch die CoronaKrise sei die Notwendigkeit für Formen der Telearbeit vollends ins Bewusstsein getreten – und damit auch die Anforderungen an ITSicherheit und Datenschutz, die mit der neuen Lage einhergehen. Die Lehre, die man aus der jetzigen Situation ziehen müsse, bestehe allem voran darin, nicht mehr sequenziell vorzugehen, sondern Usability, Sicherheit und Mobilität aus einem Guss zu gestalten.

Corona: Was bleibt? Aber was bleibt oder sollte viel­ mehr bleiben, wenn die Krise wieder vorbei ist? Geht es nach Hans-Josef Fischer, seit elf Jahren Leiter des Landesbetriebs Infor­ mation und Technik NordrheinWestfalen (IT.NRW), bleibt allem

vorweg der Spaß am Großprojekt Digitalisierung. Die gleiche Dyna­ mik und Euphorie, die man zu Beginn, in den ersten Monaten der Pandemie, verspürt habe, müsse nun auch für konkrete Heraus­ forderungen wie die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) oder die Digitalisierung des Back­ office der Verwaltung mobilisiert werden. “Wir müssen den Schub und das aktuelle Vertrauen in Digitalisierung nutzen, um den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Services der Verwaltung anzubieten, die danach auch be­ reitwillig und rege genutzt wer­ den.” In Nordrhein-Westfalen, aber auch darüber hinaus. Vor dem Hintergrund der heterogenen IT-Landschaft hierzulande darum ein ganz wesentlicher Faktor: Zu­ sammenarbeit. Mit dem Prinzip “Einer für alle” (EfA) im Rahmen des OZG seien bereits entspre­ chende Weichen gestellt, um ein noch leistungsfähigeres Netzwerk der öffentlichen Rechenzentren in Deutschland schaffen zu können. Um jeden Preis verhindert werden müsse, dass man erneut zurück in alte Muster falle. Das gelte nicht zuletzt auch für das Thema New Work, das bei IT.NRW vermehrt an Bedeutung gewonnen habe.

Behörden Spiegel / Februar 2021

Corona wird gehen, aber was bleibt? Für die Referenten der DSO-Expertenrunde wird es in Zukunft vor allem darum gehen, den durch die Pandemie eingeleiteten Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung zu verstetigen. Foto: BS/Screenshot

Die Wichtigkeit flexibler Arbeit betont auch Matthias Bongarth, seines Zeichens Geschäftsführer des Landesbetriebs Daten und In­ formation Rheinland-Pfalz (LDI). Darüber hinaus fordert er, dass der durch Corona eingezogene Mentalitätswandel in Zukunft verstetigt werden müsse, damit die Veränderung sich auch nach­

haltig in den Köpfen aller Betei­ ligten festsetzen könne. Und das nicht nur in Fragen mobiler Ar­ beit und neuer Führungskultur in der Verwaltung. Konkret geht es Bongarth um Nachbesserun­ gen im Bereich der Gesetze und Verordnungen – ganz im Sinne einer “digital-ready legislation”. Sein Plädoyer lautet wie folgt:

“Was wir brauchen, sind kom­ fortable Anpassungen, sodass wir die Digitalisierungsmöglich­ keiten, über die wir gegenwärtig schon verfügen, im Interesse von Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft effizient nutzen können, um im Zweifelsfall von der alten Präsenzkultur wegkom­ men zu können.”

Digitalisierung im Fokus

WEBINAR-Reihe im Frühjahr 2021 Kurz und knackig auf den Punkt gebracht

Controlling in öffentlichen Verwaltungen Die Instrumente des Managementsystems Controlling bieten in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben zahlreiche Ansatzpunkte, um den Wandel zu einem bürgernah und effizient arbeitenden Dienstleistungsunternehmen nicht nur zu initiieren, sondern auch zu steuern. Um diesen Wandel zu vollziehen, bedarf es eines grundsätzlichen Umdenkens bei allen Beschäftigten und der Einführung von Managementsystemen und damit verbunden eines funktionierenden Controllings. Durch die Webinar-Reihe erlangen die Teilnehmenden eine fundierte Grundlage zum Aufbau eines den jeweiligen Gegebenheiten entsprechenden Controlling-Konzepts in ihrer Verwaltungsorganisation. Die thematische Geschlossenheit der einzelnen Webinare der Reihe ermöglicht auch Teilnehmern an Einzelmodulen, gezielt praxisbezogene Fragestellungen zu bearbeiten.

Parteien setzen Schwerpunkte bei Landtagswahlen (BS/Kilian Recht) E-Government-Angebote ausbauen, Onlinezugangsgesetz umsetzen, das Amt zum Bürger bringen. Bekenntnisse zu schneller und digitaler Verwaltung gehören parteiübergreifend zum guten Ton, nicht erst seit der Pandemie. Die Landesableger von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP setzen auch in ihren Wahlprogrammen für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf das Thema. Gemeinsamkeiten finden sich unter anderem im Umgang mit öffentlichen Daten und Open-Source-Software. Doch die Parteien setzen auch eigene Akzente. Baden-Württembergs derzeiti­ ger Ministerpräsident Winfried Kretschmann setzt für eine mögliche neue Amtszeit auf die Versöhnung seines Kernanlie­ gens mit dem Thema der Stun­ de: Geht es nach den Grünen, sollen die Prozesse der badenwürttembergischen Verwaltung in Zukunft nach ökologischen Maßstäben gestaltet werden. Insbesondere der mitunter sehr hohe Energieverbrauch, der bei digitalen Vorgängen und Prozes­ sen mitschwinge, solle intensiver betrachtet werden. Unterstützt werden solle dies durch die Ein­ richtung eines entsprechenden Green-IT-Fonds, der eine bes­ sere Klimabilanz von Prozessen belohnt und so den Umstieg auf digitale Prozesse erleichtern soll. In Rheinland-Pfalz planen die Grünen analog dazu eine lan­ deseigene Green-KI-Strategie.

Fokus: KI für die Innere Sicherheit

THEMEN UND TERMINE zum Controlling: Grundlagen des Controllings 16.03.2021, 10:00-13:00 Uhr Berichtswesen und Informationsmanagement 15.03.2021, 10:00-13:00 Uhr Planung und Budgetierung 06.04.2021, 10:00-13:00 Uhr Kostencontrolling aus der Sicht des operativen Controllers 07.04.2021, 10:00-13:00 Uhr Projektmanagement und Projektcontrolling 20.04.2021, 10:00-13:00 Uhr

Die CDU fokussiert ihre Di­ gitalisierungsbemühungen in Baden-Württemberg hingegen auf den Sicherheitsapparat. Künstliche Intelligenz solle vor allem bei der Auswertung von Big Data und bei intelligenter Video­ überwachung eingesetzt werden. Auch den Einsatz von modernen Fahndungsinstrumenten, wie beispielsweise automatischen Kennzeichenlesesystemen, wolle man weiter forcieren. 250 Digitalexperten sollen die Polizei dabei künftig unterstüt­ zen. In Rheinland-Pfalz wollen die Christdemokraten den Netz­ ausbau mit landeseigenen Funk­ masten nochmals beschleunigen. Die Kommunen sollen außerdem mit zusätzlichen Landesmitteln bei der Digitalisierung ihrer Ver­ waltungsleistungen unterstützt werden.

Ungenutzte Potenziale – neue Chancen

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchwort „Controlling“ Foto: ©Milan, stock.adobe.com

Die FDP sieht bei der aktuellen baden-württembergischen Lan­ desregierung große Versäumnis­ se. Die Möglichkeiten, moderne Informationstechnik für die öf­ fentliche Verwaltung zu nutzen,

seien verpasst worden. Die Libe­ ralen selbst wollen bei der Ver­ arbeitung großer Datenmengen künftig Künstliche Intelligenz einsetzen. Das Land solle sich außerdem offener dafür zeigen, bewährte Lösungen aus anderen Bundesländern zu übernehmen. Der technologische Wandel in der öffentlichen Verwaltung er­ fordere aber auch entsprechende digitale Kenntnisse bei den Mit­ arbeiterinnen und Mitarbeitern. In Rheinland-Pfalz setzen sich die Freien Demokraten daher für ein Aus- und Weiterbildungspro­ gramm ein, um sie in die digitale Arbeitswelt einzuführen – mit­ samt Change-Management. Um die kommunalen IT-Abteilungen noch weiter zu entlasten, wolle man darüber hinaus auch regi­ onale oder landesweite Rechen­ zentren einrichten, welche den Betrieb von cloudbasierter Ver­ waltungssoftware zur Verfügung stellen.

Ausstrahlung auf das gesamte Land Die SPD sieht für Baden-Würt­ temberg hingegen eine weitere Chance in der Digitalisierung der Verwaltung: Man könne da­ durch Bürgerinnen und Bürger niedrigschwelliger an politischen Prozessen teilhaben lassen und Entscheidungsprozesse für je­ dermann zugänglich machen. Um allen Menschen den Zugang zu leistungsfähigem Internet zu ermöglichen, wolle man eine lan­ deseigene Infrastrukturgesell­ schaft einrichten, welche die digi­ tale Infrastruktur in öffentlicher Hand ausbaut und Kommunen sowie Privatanbieter dabei mit einbindet. Die in Rheinland-Pfalz regie­ renden Sozialdemokraten wol­ len eine mögliche weitere Regie­ rungszeit darüber hinaus zum Anlass nehmen, um über die Landesgrenzen hinweg zu wirken. Digitalpolitische Aushängeschil­ der, wie die Smart-City-Projekte oder die Agenda der Künstlichen Intelligenz, sollen in zehn Jahren flächendeckend in RheinlandPfalz etabliert sein und auf das gesamte Land ausstrahlen.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Februar 2021

B

ehörden Spiegel: Bekanntlich hat das ITZBund einen Wandel seiner Rechtsform durchlaufen und ist seit Anfang dieses Jahres eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen (BMF). Was hat sich dadurch für Sie geändert?

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“Wir stehen besser da als je zuvor” Dr. Alfred Kranstedt zum aktuellen Stand der IT-Konsolidierung Bund

(BS) Ehemals eine Behörde im nachgeordneten Bereich des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), hat das Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund) zum Anfang des Jahres einen Wechsel seiner Rechtsform durchlebt und firmiert seitdem als eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR). Welche Veränderungen sich dadurch für die IT-Schmiede des Bundes ergeben haben, wollte Behörden Spiegel-Chefredakteur und Herausgeber Uwe Proll von Dr. Alfred Kranstedt wissen. Seit Juli 2017 ist er Direktor des ITZBund. Im Interview gibt er Aufschluss über jüngste Veränderungen, die Dr. Kranstedt: Zunächst einmal Reorganisation des Großprojektes IT-Konsolidierung Bund und einen geplanten Dienstleistungsverbund für die Bundesverwaltung.

unsere Aufsichtsstruktur. Während Fach- bzw. Rechtsaufsicht beim BMF verbleiben, haben wir nunmehr einen Verwaltungsrat, der über die strategische Ausrichtung und Aufgabenzuweisung des ITZBund befindet. Darüber hinaus bestimmt er über den jährlichen Wirtschaftsplan und bestellt das Direktorium. Ganz ähnlich wie ein klassischer Aufsichtsrat in der Industrie. Bei der IT-Konsolidierung wiederum stehen wir in einem klassischen Auftraggeber-AuftragnehmerVerhältnis. Das gilt für die Betriebskonsolidierung, wo die strategische Steuerung beim BMF liegt. Analog verhält es sich bei der Dienstekonsolidierung, für die das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) verantwortlich zeichnet. Auch hier wird zunächst der Bedarf eruiert, ehe man an uns herantritt und das ITZBund beauftragt, entsprechende Dienste zu entwickeln und zu betreiben. Behörden Spiegel: Bringt die strikte Trennung von Betriebsund Dienstekonsolidierung nicht organisatorische Probleme mit sich? Dr. Kranstedt: Das eben ist einer der Gründe, weshalb diese Themen inzwischen im ITZBund gebündelt werden. Heute betreiben wir ein integriertes Programm, das sowohl Projekte der Dienste- als auch der Betriebskonsolidierung in sich fasst. In Absprache mit beiden Bundesministerien wurde dafür eine einheitliche Architektur entwickelt, die Betriebsplattform Bund. Auf dieser finden sich zahlreiche herausragende Projekte.

F

lächendeckende Konnektivität und eine ebenso sichere wie leistungsfähige Kommunikation seien für die Entwicklung von Gesellschaft, Forschung und Wirtschaft entscheidend, so Breton. Der Kommissar strebt eine “Multi-Orbit”-Kombination eines europäischen Netzes von niedrigfliegenden Low Earth Orbiters (LEOs) mit geostationären Satelliten (GEOs) und anderen Weltraumtechnologien an. Das System soll Bürger, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen mit zukunftsfähigen BreitbandInternet versorgen. “Ich will schnell vorgehen”, erklärte Breton, der als EUKommissar nicht nur für die Generaldirektion Verteidigung und Weltraum (DEFIS), sondern auch noch für die Generaldirektionen Binnenmarkt, Indus­ trie, Unternehmertum und KMU sowie Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien zuständig ist und somit entscheidende Ressorts in einer Hand bündelt. Breton hält es für angebracht, dass die Kommission noch in diesem Jahr dem EUParlament und dem Ministerrat einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet, “damit wir konkret handeln können”.

Machbarkeitsstudie läuft Die Vorbereitungen haben bereits im Dezember 2020 mit der Vergabe einer Machbarkeitsstudie für rund 7,1 Mio. Euro an ein von Airbus Technology & Space geführtes europäisches Konsortium begonnen, dem des Weiteren Arianespace, Eutelsat, Hispasat, OHB, Orange, SES, Telespazio and Thales Alenia Space angehören. Die Studie soll nicht nur

Unter ihnen die Bundes-Cloud oder der Bundes-Client, die als zentrale Konsolidierungsvorhaben sicherstellen sollen, dass sowohl Betrieb als auch Dienste einheitlichen Standards und Qualitätsmaßnahmen folgen. Behörden Spiegel: Bei all dem sind sie auf eine leistungsfähige Infrastruktur angewiesen. Mit der Konsolidierung der Netze des Bundes gibt es ein weiteres groß angelegtes Digitalisierungsvorhaben, das heute bei der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) ressortiert ist. Besteht eine Kooperation mit der BDBOS oder ist eine solche angedacht? Dr. Kranstedt: Diese ist nicht nur angedacht, sondern gelebte Praxis. Da die Abstimmungsprozesse zwischen beiden Häusern denkbar vielfältig ausfallen, stehe ich in regelmäßigen Kontakt mit Präsident Andreas Gegenfurtner. Aktuell sind wir in Abstimmungen zu einer Verwaltungsvereinbarung, in der die Zusammenarbeit samt gemeinsamer Zielverfolgung definiert wird. Für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ist das bereits geschehen. Ziel ist es, gemeinsam mit BSI, BDBOS und Beschaffungsamt einen Dienstleistungsverbund zu bilden, der abgestimmte Leistungen für die Bundesverwaltung entwickelt. Behörden Spiegel: Die BWI nicht? Dr. Kranstedt: Wir pflegen immer noch engen Kontakt zur

“Überhaupt nehmen wir in diesem Jahr erstmals mehrere größere Tanker in den Blick. Darunter wohl am bekanntesten: das Bundeskanzleramt.”

Seit Juli 2017 Direktor des ITZBund: Dr. Alfred Kranstedt. Foto: BS/Daitche, ITZBund

die herrscht. Das umso mehr, als sich in der öffentlichen Verwaltung ja tatsächlich ein Modernisierungsstau konstatieren lässt. Hingegen darf man nicht außer Acht lassen, dass die ITKonsolidierung ein lang angelegtes Projekt ist und schon in ihrer ursprünglichen Planung auf zehn Jahre angesetzt war. Dass es jetzt zu Verzögerungen und damit einer Verlängerung gekommen ist, lässt sich nicht bestreiten. Doch bedeutet das keineswegs, dass im letzten Jahr gar nichts passiert sei. “Auch während der Phase der konzepti- I m G e g e n teil, wir steonellen Überarbeitung haben konkrete hen besser da als je zuvor. Konsolidierungen stattgefunden.” Mit der 2020 Behörden Spiegel: Diese läuft umgesetzten Struktur, die eine bekanntlich schon seit 2015. Nach Aufteilung des Projektes in eine etlichen Wendungen macht es nun Dienste- und eine Betriebskonsoden Eindruck, als habe man eine lidierung vorsieht, haben wir eine “Verschnaufpause” eingelegt. Wo sehr viel stringentere Steuerung stehen wir aktuell und wie sieht als noch vor zwei Jahren. Nicht Ihre Zwischenbilanz aus? zu vergessen die zahlreichen Standards und Produkte, die für Dr. Kranstedt: Ich habe volles die IT-Konsolidierung bereits entVerständnis für die Ungeduld, wickelt wurden. Darüber hinaus

BWI und arbeiten hier und da zusammen, die Schnittmengen sind jedoch bei Weitem nicht mehr so groß wie noch in den Jahren 2018 und 2019. Das hängt zusammen mit dem Beschluss des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg), die Arbeit der BWI künftig aufs eigene Ressort zu begrenzen. Die BWI ist noch Mitglied des Anbieterbeirates und damit des Leistungsverbundes, spielt aber inzwischen eher eine Nebenrolle in der IT-Konsolidierung.

darf nicht übersehen werden: Auch während der Phase der konzeptionellen Überarbeitung haben konkrete Konsolidierungen stattgefunden. Zum Beispiel bei kleineren Behörden, die wir bereits 2020 abgeschlossen haben. Noch bis Ende des Jahres wird die Migration des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) beendet sein. Darüber hinaus sind wir derzeit mit zwei größeren und mehreren kleineren Projekten unterwegs, die sehr erfolgreich laufen. Die Behauptung, die ITKonsolidierung sei vorerst auf Eis gelegt, stimmt so nicht. Es wird ein Produkt nach dem anderen entwickelt und auf den Markt gebracht, darunter auch so prominente Projekte wie die Elektronische Akte. Behörden Spiegel: Können Sie uns weitere Behörden nennen, die aktuell konsolidiert werden bzw. schon konsolidiert worden sind? Dr. Kranstedt: Vollständig konsolidiert wurden bisher

Wir brauchen eine offensivere Strategie Thierry Breton will EU zum Selbstversorger in Sachen Internet-Konnektivität machen (BS/Dr. Barbara Held) Anlässlich der 13. Europäischen Weltraumkonferenz warb Thierry Breton Mitte Januar gleich für zwei strategische Großprojekte, mit denen er Europa in den nächsten fünf bis zehn Jahren in der Weltraum- und Quantentechnologie auf einen internationalen Spitzenplatz führen will. neuer Investoren von ihrem Insolvenzverfahren im letzten Jahr erholt und schickt neue Satelliten-Pakete ins All. Anders als Starlink, das Haushalte als Endnutzer umwirbt, zielt OneWeb mehr auf Großnutzer wie Unternehmen und Behörden ab, die das Satelliten-Signal in ihre eigenen Infrastrukturen inte­grieren wollen.

Im Weltraum wird es eng Die zunehmende Konkurrenz auf dem Internet-SatellitenMarkt äußert sich in Gerangel um Frequenzen und Orbits, beides naturgemäß begrenzte Ressourcen. So streitet sich Elon Musks Damit Europa künftig über einen autonomen Zugang zum Weltraum verfügt, hält es EU-Kommissar Thierry Breton für angebracht, dass die Kommission noch in diesem Jahr einen konkreten Vorschlag unterbreitet. Foto: BS/EU-Kommission Starlink mit Amazon um besonders erdnahe Orbits, die AmaDie Konkurrenz schläft nicht Nutzungsszenarien und Bedar2021 im Testbetrieb. Für den zon aber bereits für das Kuiperfe, sondern auch technologische Die SpaceX-Tochter Starlink Zugang zum Satelliteninternet Projekt reserviert sieht. Diese Lösungen und Geschäftsmodel- zählt nach knapp vier Mona- zahlen die Nutzer 84 britische Internetsatelliten-Konstellation le ermitteln. Dazu gehöre die ten im öffentlichen Beta-Test Pfund, etwa 94 Euro, im Monat. befindet sich allerdings noch Möglichkeit einer Public Private bereits mehr als 10.000 Nutzer Auch in Deutschland mehren in der Planungsphase und hat Partnership (PPP), so Breton, der in den USA. Die individuellen sich Anzeichen auf einen bal- noch keinen einzigen Satelliten Druck macht: “Erste Ergebnisse Nutzer würden mindestens 100 digen Start: Im Dezember gab im All. In Europa hat sich OneWeb erwarte ich im April.” MBit/s im Downstream und 20 die Bundesnetzagentur die beIn der Tat ist Eile geboten. Zum MBit/s im Upstream erhalten, nötigten Frequenzen frei. Eine kürzlich öffentlich über einen einen soll das europäische Satelli- 95 Prozent von ihnen bei einer Starlink Germany GmbH wurde Satelliten der deutschen Satennetz schon ab 2025 stufenwei- Latenz von 31 Millisekunden mit Sitz in Frankfurt gegründet. tellitenfirma OHB beschwert, se in den Wirkbetrieb gehen, zum oder weniger, erklärte der Be- Zwei Bodenstationen zur Kom- dessen Umlaufbahn ein hohes anderen ist die außer europäische treiber SpaceX jetzt gegenüber munikation mit den Satelliten Kollisionsrisiko für die OneWebKonkurrenz schon längst dabei, der US-Regulierungsbehörde sollen sich bereits im Bau be- Satelliten darstelle. Laut SPIEGEL-Bericht ist “GMS-T”, die ihre “Mega-Konstellationen” für FCC (Federal Communications finden. Satelliteninternet weltweit, auch Commission). In Großbritannien Auch die britisch-indische OHB für einen nicht bekannten in Europa, zu etablieren. befindet sich Starlink seit Anfang Firma OneWeb hat sich dank Kunden ins All gebracht haben,

mehrere kleinere Behörden, darunter das Fernstraßenbundesamt (FBA) oder die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK). Zu nennen wäre außerdem die Kunstverwaltung des Bundes (KVdB), die jetzt unmittelbar vor dem Abschluss steht. Ein prominentes Projekt, das voraussichtlich 2022 fertiggestellt werden wird, ist das Bundespresseamt. Überhaupt nehmen wir in diesem Jahr erstmals mehrere größere Tanker in den Blick. Darunter wohl am bekanntesten: das Bundeskanzleramt. Behörden Spiegel: Die Reorganisation hat zu Umstellungen im Zeitplan der Konsolidierung geführt. Was bedeutet das für jene Behörden, die sich bereits auf eine Übergabe an das ITZBund eingestellt hatten, nun aber gezwungen sind, ihre IT noch einige Jahre selbst zu betreiben? Dr. Kranstedt: Es gibt in der Tat einige Behörden, deren Konsolidierung später als gedacht stattfindet. Das hat mitunter auch damit zu tun, dass der Andrang zu Beginn des Projektes nicht sonderlich hoch war. Stattdessen war es tendenziell eher schwierig, Interessenten zu finden, die früh mit der Konsolidierung beginnen wollten. Daran hat sich auch durch die Neuordnung des Projektes nicht sonderlich viel geändert. Nach wie vor fällt die erste Welle der Konsolidierung kleiner aus als die ihr nachfolgenden, wobei die Zurückhaltung wohl auch damit zu begründen ist, dass viele erst einmal abwarten wollten, bis alle Kinderkrankheiten ausgemerzt sind. Jene Behörden, die früh konsolidiert werden wollten, haben dies entsprechend adressiert. Das Beispiel BAFA habe ich bereits genannt. Am Ende sind es genau diese Behörden, bei denen die Migration ungeachtet aller strukturellen Änderungen schon Ende 2019 in Angriff genommen werden konnte.

tatsächlich eine Art Platzhalter für eine größere Konstellation. “GMS-T” funkt nun auf Frequenzen, die das europäische Raumfahrtunternehmen Thales Alenia Space vor sieben Jahren bei der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) für einen Satellitenverband reserviert, aber nicht genutzt hatte. Nach eigener Aussage ist die EU-Kommission selbst in Sachen Frequenzen für eine künftige europäische Mega-Konstellation schon vor Monaten bei der zuständigen International Telecommunications Union (ITU) vorstellig geworden.

Europäische Souveränität im und für das All Auf die optimale Nutzung und Regulierung dieser knappen Ressourcen im Zeichen europäischer Souveränität zielt EU-Kommissar Bretons zweites Großprojekt. Zusammen mit der Europäischen Weltraumagentur ESA und Partnern aus den Mitgliedsstaaten will er eine gemeinsame “Launcher”-Initiative für innovative Raketenstartsysteme sowie ein europäisches Weltraumverkehrsmanagement (Space Traffic Management – STM) zur Regulierung des Satellitenverkehrs aufsetzen. “Wir brauchen eine offensivere und aggressivere Strategie”, um Europa in Zukunft einen “autonomen Zugang zu Weltraum” zu garantieren. Breton gab sich zuversichtlich. Schon jetzt hat er für seine umfassende Weltraum-Strategie im EU-Haushalt ein Rekordbudget von 13,2 Milliarden Euro gesichert.


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ie letzten Monate haben innerhalb kürzester Frist einiges auf den Kopf gestellt. Das ganze Land wurde zu einem großen Experimentierraum. In den Verwaltungen wurde über Nacht trotz lange gepflegter Präsenzpflicht Homeoffice möglich, viele Abläufe wurden kurzfristig digitalisiert. Unabhängig von der Frage, wie qualitativ tiefgreifend diese Digitalisierung tatsächlich bereits ist, haben wir auch einen anderen spannenden Effekt beobachten können: Die öffentliche Verwaltung, die seit den preußischen Reformen Hardenberg und von Stein wenig fundamentale Änderungen erlebt hat, ist gewohnt, in ihren Verfahren sehr sorgsam abzuwägen, Alternativen und Folgen abzuschätzen, um schließlich ihre Entscheidungen rechtssicher zu begründen. Durch die neuen Herausforderungen waren insbesondere in der ersten Pandemiephase innerhalb kürzester Zeit und ohne erschöpfende Kenntnis aller Informationen Entscheidungen notwendig. Diese wurden getroffen. Einige wenige wurden im Nachgang von Gerichten korrigiert. Die meisten Entscheidungen haben sich im Ergebnis als richtig herausgestellt.

Zwischenbilanz Was können wir als Zwischenbilanz hieraus für die NachCorona-Zeit mitnehmen? 1.) Staat und Verwaltung können wesentlich agiler, schneller und kreativer sein als häufig angenommen. 2.) Unser Staat ist auch unter hohem Druck leistungsfähig.

Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Februar 2021

Sapere aude, Deutschland Mit Experimentierräumen, Mut und Kulturwandel zu neuer staatlicher Leistungsfähigkeit (BS/Ammar Alkassar/Matthias Schneider) Die Corona-Pandemie ist in vielerlei Hinsicht eine gewaltige Krise. Eine Krise, die wir auch nutzen müssen, um für den Staat die richtigen Lehren für die Zeit nach der Pandemie zu ziehen. Mit den richtigen Schlussfolgerungen lassen sich die Weichen für die Zukunft stellen. trieb staatliche Entscheidungen – aufgrund hehrer Zielsetzungen – Ammar Alkassar ist Bevollmächtigter des Saarlandes häufig langwierig für Innovation und Strategie sind und damit und Chief Information Officer zum Teil volks(CIO). wirtschaftliche WettbewerbsFotos: BS/Staatskanzlei Saarland nachteile bewirken. Während auf europäischer und nationaler Ebene über die Vor- und Nachteile von E-Scootern Matthias Schneider ist Referatsleiter Digitalisierungsstradiskutiert wurde, tegie. Beide sind in der Staatshaben Hersteller kanzlei des Saarlandes tätig. aus den USA und Ostasien den Markt unter sich aufgeteilt. Ergebnis: eine ElektrokleinstfahrzeugeVerordnung und 3.) Wir brauchen Mut und Ent- ein Rückstand der Wirtschaft. scheidungsfreude, die wir in der Pandemie unter Beweis Experimentierräume gestellt haben, auch in NorAndere Volkswirtschaften hamalzeiten. ben in den letzten Jahrzehnten 4.) Wir sollten künftig bewusst unterschiedliche Modelle entExperimentierräume schaf- wickelt und erprobt, um befen, in denen wir größere wusst abgrenzbare ExperimenFreiheiten einräumen, Ri- tierräume zu schaffen. Räume, siken in Kauf nehmen und in denen technologische, ökodamit Sprunginnovationen nomische oder regulatorische ermöglichen. Neuerungen getestet, evaluiert, Die bisherige Erfahrung hat angepasst oder von dort aus gezeigt, dass im Normalbe- skaliert werden konnten. Das

wahrscheinlich bekannteste Beispiel sind die überaus erfolgreichen Sonderwirtschaftszonen in China. Warum soll es nicht auch in Deutschland gelingen, Räume zu schaffen für Innovation, flankiert durch die entsprechenden regulatorischen Freiheiten (auf Zeit)? Könnte so nicht ein Zielbild für einen Föderalismus der Zukunft aussehen? Anstelle der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner eine kompetitive Suche nach den besten Lösungen auf dem Weg zu gleichwertigen Lebensverhältnissen. Notwendig ist eine Ex-postRegulierung, die Innovationen – das betrifft sowohl neue Technologien als auch Geschäftsmodelle – zunächst möglichst weitgehende Freiheiten und Geschwindigkeitsvorteile im globalen Wettbewerb gewährt, um sich entfalten und die weitergehenden Folgen besser abschätzen zu können. Auf dieser empirischen Grundlage kann dann ganz im Sinne eines lernenden Staates eine fundierte Regulierung erfolgen. Wichtig ist hierbei selbstredend ein risikobasierter Ansatz: Bei kritischen Anwendungen sind von Beginn an strengere Maßstäbe anzulegen als bei der automatischen Erstellung von Gebührenbescheiden, bei denen

negative Folgen weniger dramatisch sind. Gleichfalls wichtig ist die Abschaffung bestehender bürokratischer Hürden: Im Saarland haben wir einen wichtigen Meilenstein genommen und sämtliche Landesgesetze und -verordnungen überprüft, die ein Erfordernis hinsichtlich Schriftform oder persönlichen Erscheinens enthalten. Die Hälfte dieser Vorschriften sind unserer Analyse nach entbehrlich und wir werden sie abschaffen.

Kultureller Wandel Auch kulturell müssten wir uns hierzu auf den Weg machen: Herausragende Initiativen wie der Bundes-Hackathon #wirvs-

virus mit seinem Ansatz einer Open-Social-Innovation zur kollaborativen, ganzheitlichen Lösungsfindung haben gezeigt, welche Potenziale in der Gesellschaft stecken. Die hierfür notwendige Öffnung erscheint ebenso essenziell wie eine neue Kultur innerhalb der staatlichen Institutionen. Anstelle von “melden macht frei” brauchen wir eine Kultur der Verantwortung, der Belohnung von Verantwortungsübernahme, der Abwägung und des bewussten Eingehens von Risiken, um für Bürger und Wirtschaft das Maximum herauszuholen. Unser Zielbild sollte sein: Ein lernender Staat, der in Experimentierräumen Freiheiten gewährt, Erfahrungen sammelt und aufgrund dessen datenund evidenzbasierte Entscheidungen trifft. Der Zeitpunkt ist günstig. Machen wir uns gemeinsam auf den Weg zu einem Neustart für eine leistungsfähige Staatlichkeit.

Das Once-Only-Prinzip Vieles ist schon heute möglich (BS/Dr. Nicolai Bieber/Dr. Martina Knierim*) Die Roadmap zur Digitalisierung ist ambitioniert: Das Onlinezugangsgesetz verpflichtet zur flächendeckenden Digitalisierung von Verwaltungsleistungen bis 2022. Hinzu kommt die Registermodernisierung – und damit die Umsetzung des Once-Only-Prinzips. Einige prominente Erfolge konnten bereits erzielt werden: Der Personalausweis kommt auf das Smartphone, BAföG-Leistungen können online beantragt werden und mit “Einfach Leistungen für Eltern” (ELFE) werden digitale Familienleistungen im Kombiantrag möglich. Insgesamt werden schon heute 315 von 575 Leistungen digital angeboten. Auch wenn dies bisher weder flächendeckend noch in hohem Reifegrad erfolgt, so ist immerhin ein Anfang gemacht. Das Ziel ist jedoch ambitionierter: Der höchste Reifegrad ist erst erreicht, wenn eine vollständige Onlinebeantragung von Verwaltungsleistungen möglich ist, Nachweise aus Registern der Verwaltung abgerufen werden können und Bürgerinnen und Bürger keine Nachweise und Informationen mehrfach einreichen müssen, das Once-Only-Prinzip also umgesetzt ist. Diese finale Ausbaustufe wird erst deutlich später mit der Umsetzung der Registermodernisierung erreicht; sie ist zudem noch signifikanten Umsetzungsrisiken ausgesetzt, etwa der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Steuer-ID. Dennoch lassen sich viele Fortschritte schon kurzfristig erreichen. Der Leitgedanke hierbei sollte das N3-Prinzip sein: maximaler Nutzen für eine maximale Anzahl von Nutzerinnen und Nutzern bei bestmöglicher Nutzerorientierung. Folgende Anregungen können sich dabei als hilfreich erweisen: • User Accounts wie das Nutzerkonto Bund erlauben einen Rückgriff auf dort bereits erfasste Daten. Von den Behörden werden jedoch nur selten Nutzerkonten für Online-Services angeboten oder es werden unterschiedliche Konten für verschiedene Online-Services genutzt. Bürger nehmen die Verwaltung jedoch zumeist als eine Einheit wahr. Folglich sollte ein Nutzerkonto der öffentlichen Verwaltung für alle Leistungen genutzt werden können. • Digitale Bescheide könnten viel häufiger verwendet werden, als es aktuell geschieht. Heute werden die meisten Bescheide noch per Post versandt, obwohl eine standardmäßige digitale Übermittlung gemäß Verwaltungsverfahrensgesetz bereits möglich ist. Die Einwilligung der Nutzer hierfür kann leicht

in einem Online-Antrag eingeholt werden. • Nachweise werden oftmals noch in analoger Form von den Nutzern angefordert, obwohl gemäß E-Government-Gesetz digitale Nachweise, beispielsweise als Foto oder Scan, bereits zugelassen sind. Darüber hinaus sollte die Notwendigkeit von Nachweisen im Sinne der Prozessoptimierung grundsätzlich hinterfragt werden. • Ein Datensafe wird beispielsweise über das Serviceportal von Baden-Württemberg angeboten. Die Verwaltung sollte diese Möglichkeit viel stärker nutzen, etwa im Bereich der Ausstellung digitaler Zeugnisse. Diese würden in den Datensafe eingestellt und die Nutzer könnten dann im Nachweisfall Freigaben für andere Behörden erteilen. • Für die Beantragung von Verwaltungsleistungen wird oft eine Unterschrift gefordert, obwohl es hierfür keine zwingende gesetzliche Grundlage gibt. Das Unterschriftserfordernis sollte bei der Digitalisierung grundsätzlich überflüssig werden. Ein elektronischer Schriftform­ ersatz via Online-Ausweis oder absenderbestätigter De-Mail sollte nur in begründeten Ausnahmefällen zum Einsatz kommen. Mit der Umsetzung der Registermodernisierung könnten weitere Mehrfacheingaben und Medienbrüche vermieden werden. Zudem ließen sich dank der dann möglichen Konsistenzprüfungen die Datenqualität und die Qualität der Verwaltungsleistungen per se erhöhen sowie die Bearbeitungsdauer verkürzen. Die genannten Beispiele zeigen, dass viele Schritte im Sinne einer nutzerorientierten Digitalisierung, die einer Vielzahl von Nutzern einen klaren Nutzwert bringen (N3-Prinzip), schon jetzt möglich sind. Die Umsetzung solcher digitalen Lösungen bringt raschen und sichtbaren Fortschritt und verschafft den Verwaltungen die notwendige Zeit, um sich mit der rechtssicheren und datenschutzkonformen Umsetzung der Registermodernisierung zu befassen. *Dr. Nicolai Bieber ist als Partner, Dr. Martina Knierim als Senior Managerin im Bereich Public Sector Consulting bei PwC tätig.


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Behörden Spiegel / Februar 2021

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Digitaler Bauantrag I

GAIA-X.NRW

Nordwestmecklenburg zu Jahresbeginn gestartet

Land vereinbart Allianz zur beschleunigten Umsetzung

(BS/gg) Seit Januar 2021 werden Bauanträge im Landkreis Nordwestmecklenburg vollständig digital bearbei- (BS/gg) Politik, Wirtschaft und Wissenschaft entwickeln im Rahmen der Initiative GAIA-X gemeinsam Cloudtet: Bauträger, Architekten und Ingenieure können den Bauantrag zeitgleich digital ausfüllen und bearbeiten, Angebote, die sich an europäischen Regeln und Werten orientieren. Sechs der 22 Gründungsmitglieder Unterlagen hochladen, zur Prüfung durchs Bauamt freigeben und bezahlen. kommen von hier. Wirtschafts- und Digitalminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart hat nun mit diesen die Allianz GAIA-X.NRW vereinbart, um die Umsetzung der Initiative zu beschleunigen.

Die Bauamtsmitarbeiter können mit ihnen ebenso digital kommunizieren wie mit am Verfahren zu beteiligenden Behörden wie etwa Umwelt-, Straßenverkehrs-, Denkmal- oder Immissionsschutzbehörde. Sie alle können zeitgleich auf die Unterlagen zugreifen, sie prüfen und ihre Stellungnahmen ans Bauamt abgeben, welches den Bescheid am Ende elektronisch verschickt. “Baugenehmigungsverfahren sind äußerst komplex. Je nach Fall sind unterschiedlichste Stellen zu beteiligen. Unsere technische Lösung ermöglicht es, dass alle, die am Verfahren beteiligt sind, in einem virtuellen Raum so agieren können, als wären sie mit all ihren Unterlagen zusammen in einem Büro. Sie können papierlos und in Echtzeit an den Unterlagen arbeiten und darüber kommunizieren. Das spart Zeit, schafft Transparenz und ist ein Meilenstein in der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes”, sagte Landesdigitalisierungsminister Christian Pegel. “Der Go-live in MecklenburgVorpommern setzt den Startschuss für ein ereignisreiches OZG-Jahr 2021. Die Baugenehmigung ist aufgrund der hohen Antragszahlen eine wichtige Verwaltungsleistung, in Papierform aber sehr komplex und deshalb fehleranfällig, zeit- und nervenraubend. In unserem gemeinsamen Themenfeld haben wir einen nutzerfreundlichen Online-Antrag entwickelt, der ab sofort für tausende Menschen eine enorme Erleichterung bringen kann”, sagte Dr. Markus Richter, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und zugleich Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik. Dies bestätigt Katrin Patynowski, Geschäftsführerin der

Architektenkammer Mecklenburg-Vorpommern: “Der digitale Bauantrag erleichtert und beschleunigt die Arbeitswelt der Planer. Gleichzeitig wird der Antragsprozess für den Bauherrn, den Entwurfsverfasser, die Fachplaner und die Behörde transparenter. Die am Bauantrag Beteiligten können künftig Verzögerungen konkret nachvollziehen und konstruktiv daran mitwirken, sie zu beseitigen. Außerdem ist dieses Verfahren nachhaltig: Das Einreichen mehrerer Ausfertigungen für die Antragsbeteiligten entfällt.” Sie kündigte zudem an: “Wir werden bei unseren Mitgliedern für dieses Verfahren werben und Workshops zu seiner Nutzung anbieten.” Das Modell aus M-V macht bereits bundesweit Schule: Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz werden diese Lösung übernehmen, weitere Bundesländer sind kurz davor, sich für dieses Verfahren zu entscheiden. “Dass das digitale Baugenehmigungsverfahren nach dem “Einer-für-alle”Prinzip in mehreren Ländern zum Einsatz kommen soll, zeigt, dass die flächendeckende OZGUmsetzung an Fahrt gewinnt. Nur mit dem “Einer-für-alle”Prinzip kommen wir rasch zu einer deutschlandweiten digitalen Verwaltung”, sagte Dr. Markus Richter. “Auch in unserem Bundesland steigt das Interesse an dem Verfahren: Neubrandenburg und die Hansestadt Rostock wollen es für ihre Ämter anpassen. Weitere Kommunen haben signalisiert, dies tun zu wollen”, so Landesminister Christian Pegel. Er verweist in diesem Zusammenhang auf das landesweite Verwaltungsdienstleistungsportal: “Unter www.mv-serviceportal.de kann der Online-Bauantrag im

Landkreis Nordwestmecklenburg sowie künftig in allen weiteren Kommunen, die das Verfahren übernehmen, vollständig digital bearbeitet werden.” “Der Landkreis Nordwestmecklenburg hat mit dem Bauantrag online federführend die Digitalisierung eines der komplexesten Verwaltungsvorgänge übernommen, die es überhaupt gibt. Ich freue mich, dass dieses Vorhaben so gut gelungen ist. Mit der Version 2.0. haben wir die Möglichkeit, den kompletten Prozess digital durchzuführen: von der Antragstellung über das gemeinsame Bearbeiten und die Beteiligung von Behörden und Gemeinden bis hin zum Freizeichnen und Erteilen der Genehmigung. Der Hauptteil ist geschafft und wir können nach diesem Vorbild bald weitere Verwaltungsprozesse digitalisieren”, fasste Landrätin Kerstin Weiss den aktuellen Stand zusammen. In den kommenden Monaten werden weitere Verwaltungsleistungen im Zusammenhang mit Bauvorhaben wie Baumfällgenehmigungen und die Baubeginn-Anzeige schrittweise digitalisiert. Das OZG-Themenfeld “Bauen & Wohnen” wird federführend durch Mecklenburg-Vorpommern in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat umgesetzt. Im Landkreis Nordwestmecklenburg kommt das mit der Landesregierung erarbeitete Online-Verfahren für die digitale Baugenehmigung bereits seit 2019 zum Einsatz. Das erweiterte Antragsverfahren ist jetzt auch in die landesweite Verwaltungsplattform www.mv-serviceportal. de eingebunden. Die Anbindung an das Angebot ist für die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern kostenfrei und freiwillig.

Digitaler Bauantrag II Bayerisches Pilotprojekt startet Anfang März (BS/gg) Der Ministerrat der Bayerischen Staatsregierung hat Anfang Februar beschlossen, dass der digitale Bauantrag am 1. März in den Landratsämtern Ebersberg, Hof, Kronach, Neustadt a. d. Waldnaab und Traunstein in den regulären Betrieb gehen soll. Bereits seit Dezember läuft im Landratsamt Traunstein ein Testbetrieb, bei dem ausgewählte Planer Bauanträge testweise digital einreichen können. Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach: “Wir haben den digitalen Bauantrag in den fünf Landratsämtern gemeinsam auf den Weg gebracht. Ab März können Bürgerinnen und Bürger oder die beauftragten Planer die notwendigen Unterlagen dort bequem zu jeder Zeit online einreichen. Wir arbeiten daran, dass die Beantragung dieser äußerst wichtigen Leistung bald in weiteren Landkreisen und damit ganz Bayern möglich wird.” Auch die bayerische Bauministerin Kerstin Schreyer freut sich: “Mit dem Testbetrieb am Landratsamt Traunstein konnten wir den digitalen Bauantrag unter realen Bedingungen auf seine Praxistauglichkeit prüfen und Kinderkrankheiten beseitigen. Mit der Aufnahme des regulären Betriebs in vorerst fünf Landratsämtern in ganz Bayern machen wir nun einen ganz wichtigen Schritt hin zu mehr Bürgerfreundlichkeit beim Bauen. Ich bin zuversichtlich, dass sich rasch weitere Untere Bauaufsichtsbehörden dem neuen Verfahren anschließen werden.” Traunsteins Landrat Siegfried Walch: “Der digitale Bauantrag ist für uns alle eine Chance: Für die Bürger, für die sich die Antragsstellung erleichtert. Und auch für uns als Behörde, um

effizient und professionell zu arbeiten.”

Erfolgreiches Gemeinschaftsprojekt Der digitale Bauantrag für Bayern wurde in den letzten zwei Jahren im Rahmen eines gemeinsam vom Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr und vom Staatsministerium für Digitales angestoßenen Pilotprojekts mit 15 unteren Bauaufsichtsbehörden konzipiert und entwickelt. Die technische Umsetzung erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem ITDienstleistungszentrum des Freistaats Bayern. Intelligente elek­ tronische Formulare, sogenannte “Online-Assistenten”, führen den Nutzer durch den Ausfüllprozess. Je nach Angabe können weitere Eingabefelder und ganze Seiten ein- und ausgeblendet werden, es wird ausdrücklich auf einzureichende Bauvorlagen hingewiesen. Dadurch werden Bauanträge vollständiger und die Bearbeitungszeiten reduziert. Zudem ermöglicht es der digitale Bauantrag dem Planer, seine ohnehin in einer CAD-Anwendung entworfene Planung ohne Datenverluste einzureichen. Die Online-Assistenten nutzen den vorhanden bayerischen Formularserver, die Bauanträge sollen über eine neu eingerichtete

Schnittstelle direkt in die Bauverwaltungssoftware der unteren Bauaufsichtsbehörden gelangen. In technischer Hinsicht ist der digitale Bauantrag weitgehend fertiggestellt. Mit dem Landratsamt Traunstein wurde im Dezember das erste Pilotamt an die Schnittstelle angeschlossen. Im seither dort laufenden Testbetrieb soll der digitale Bauantrag seine Praxistauglichkeit unter Beweis stellen. Ziel ist der sukzessive flächendeckende Einsatz in allen Unteren Bauaufsichtsbehörden in Bayern. Die rechtlichen Voraussetzungen für den digitalen Bauantrag wurden mit der vom Bayerischen Landtag beschlossenen Novelle der Bayerischen Bauordnung (BayBO) und einer auf ihr basierenden Rechtsverordnung geschaffen. Letztere tritt am 1. März 2021 in Kraft. Ab diesem Stichtag wird es im Zuständigkeitsbereich der teilnehmenden Landratsämter allen Planern ermöglicht, digitale Bauanträge zu stellen. Zeitgleich werden weitere Online-Assistenten für alle gängigen bauaufsichtlichen und abgrabungsaufsichtlichen Anträge und Anzeigen angeboten. Dazu zählen etwa Abgrabungsanträge, Vorbescheidsanträge, Baubeginnsanzeigen und Beseitigungsanzeigen.

Die Digitalisierung stelle hohe Anforderungen an die Datensouveränität der Unternehmen, so Pinkwart: Die großen CloudAnbieter kämen fast ausschließlich aus den USA und handelten nach dem Prinzip “Einmal drin, nie wieder raus”. Für die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Wirtschaft sei es unabdingbar, dass man unabhängiger werde und europäische Cloud-Angebote schaffe.

Starke Wurzeln von GAIA-X in Nordrhein-Westfalen “GAIA-X ist hierfür der richtige Ansatz. Wir nutzen die starken nordrhein-westfälischen Wurzeln und bringen mit GAIA-X.NRW die Initiative in unserem Land in die breite Anwendung. So bekommen die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen CloudAngebote ohne Lock-in-Effekt”, erklärte der NRW-Wirtschaftsund Digitalminister.

Claudia Nemat, Vorstandsmitglied Technologie und Innovation der Deutschen Telekom: “Wir begrüßen das Engagement Nordrhein-Westfalens, GAIA-X als Rahmen für Datensouveränität und Datensicherheit zu etablieren. Kleine und große Unternehmen sowie Institutionen des öffentlichen Sektors in Nordrhein-Westfalen sollten GAIA-X-konforme Dienste verstärkt in ihre Systeme integrieren, um die Macht von Daten und ihrer Analyse nutzen und gleichzeitig sicher sowie datensouverän handeln zu können.” Aufgabe von GAIA-X.NRW ist es, kleine und mittlere Unternehmen, die Industrie, SoftwareHäuser sowie Start-ups über die Entwicklung von GAIA-X und die Chancen, die die Initiative für sie eröffnet, zu informieren. Außerdem sollen konkrete Anwendungsfälle entwickelt und umgesetzt werden. Dazu zählen

Projekte in den Bereichen Mobilität und Logistik, der Indus­ trie 4.0, der Produktion oder im Energiebereich. Die Gründungsmitglieder der Initative GAIA-X aus NordrheinWestfalen sind Beckhoff Automation GmbH & Co. KG (Verl), DE-CIX Management GmbH (Köln), Deutsche Telekom AG (Bonn), Fraunhofer ISST (Dortmund) sowie Fraunhofer IAIS (St. Augustin/Bonn), International Data Spaces Association e.V. (Dortmund) und Plusserver GmbH (Köln).

Über 300 Organisationen bereits engagiert GAIA-X besteht inzwischen aus mehr als 300 Organisationen aus verschiedenen europäischen Ländern. Diese entwickeln mit der Initiative die infrastrukturelle Grundlage, um Daten sicher und transparent in europäischen Cloud-Angeboten zu speichern.

KommunalCampus gestartet Digitale Kompetenzen der Beschäftigten stärken (BS/gg) Für die Umsetzung der Digitalisierung benötigen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den öffentlichen Verwaltungen entsprechende Kompetenzen. Damit Beschäftigte in öffentlichen Verwaltungen diese Kompetenzen erwerben können, haben die Metropolregion Rhein-Neckar und der Kreis Bergstraße unter einer CIO-Patenschaft des Landes Hessen Ende Januar die digitale Weiterbildungsplattform “Kommunal Campus” in Heppenheim gegründet. Der KommunalCampus soll bedarfsorientierte Weiterbildungsangebote auf der Grundlage modularer und fachlich zertifizierter Lernbausteine bieten und allen hessischen Kommunen sowie länderübergreifend allen Kommunen der Metropolregion Rhein-Neckar zur Verfügung stehen, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern und Kompetenzen zur Gestaltung des digitalen Wandels aufzubauen.

250.000 Euro Förderung durch Land Hessen Gemeinsam haben das Hessische Ministerium für Digitale Strategie und Entwicklung, die Metropolregion Rhein-Neckar und der Kreis Bergstraße ein entsprechendes Konzept entwickelt, um die Beschäftigten standardisiert und qualitätsgesichert im Rahmen des länderübergreifenden Modellvorhabens “Kooperatives E-Government in föderalen Strukturen” mit den Ländern Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu qualifizieren. Mit einer ersten Fördersumme von 250.000 Euro leistete das Land Hessen die finanziellen Voraussetzungen.

Wichtiges Instrument zum Erwerb von Kompetenzen Patrick Burghardt, Digitalstaatssekretär sowie CIO und Bevollmächtigter der Landesregierung für E-Government und Informationstechnologie, sagte dazu: “Gerade die Corona-Pandemie hat die Grenzen von traditionellen Weiterbildungsangeboten sichtbar gemacht. Der KommunalCampus ist ein wichtiges Instrument zum Erwerb und Ausbau von Digitalkompetenz. Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter haben hier die Möglichkeit, individuell zugeschnittene Angebote zu erhalten. Zudem hat der KommunalCampus Vorbildcharakter, da er durch seine Schnittstellen weitere Synergien ermöglicht, um standardisierte Lernmodule zu entwickeln.” Der hessische Landes-CIO warb vor diesem Hintergrund dafür, dass sich möglichst viele hessische Kommunen an dieser innovativen Plattform beteiligen.

Auch Stefan Dallinger, Vorsitzender des Verbandes Region Rhein-Neckar und Vorsitzender des Lenkungskreises des Modellvorhabens “kooperatives E-Government”, betrachtet die Gründung des KommunalCampus als Meilenstein: “Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, welch fundamentale Bedeutung einer handlungsfähigen Verwaltung zukommt. Und hierbei zeigt sich, dass sich die zu bewältigenden digitalen Herausforderungen für jedes Bundesland in fast gleicher Weise stellen. Die drei Bundesländer umfassende Metropolregion Rhein Neckar hat daher rund um die Digitalisierung bereits vieles verbessert, jedoch müssen wir auch die digitalen Kompetenzen stärken. Hier knüpft der KommunalCampus an.”

Kreis Bergstraße ist bereit Für Landrat Christian Engelhardt war der Kreis Bergstraße der natürliche Partner für den KommunalCampus, schließlich ist der Kreis ist seit Langem Vorreiter, wenn es um die Digitalisierung und die Verbesserung des Bürgerservice geht. Mit dem Verwaltungspreis “Gute Verwaltung” 2020 wurde jüngst erst das Jobcenter “Neue Wege” ausgezeichnet. Die Städte Bensheim und Viernheim sind zusammen mit dem Kreis Bergstraße und der Metropolregion Rhein-Neckar zur “OZG-Modellkommune” geworden. Landrat Engelhardt sieht den Kreis deshalb prädestiniert für die Aufgabe: “Viele unserer

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter widmen sich seit Jahren mit großem Engagement der Verwaltungsmodernisierung und -digitalisierung. So haben wir inzwischen für viele Bereiche wahre Experten in unserem Haus. Dieses Wissen, das sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erarbeitet haben, wollen wir gerne auch anderen Verwaltungen zur Verfügung stellen.”

Wachsende Dynamik Wie wichtig funktionierende, medienbruchfreie Prozesse in der digitalen Welt sind, hat die Corona-Pandemie verdeutlicht. Von der Kreisverwaltung bis hin zu den Schulen muss die Dynamik der Digitalisierung einen Schub bekommen – und das fängt mit gut ausgebildeten Beschäftigten an, die dies umsetzen müssen. Der Schulterschluss von Staatssekretär Patrick Burghardt, Landrat Christian Engelhardt und Verbandsvorsitzendem Stefan Dallinger bildete hierfür die erste Grundlage.

Strukturelle Basis gelegt Mit der Unterzeichnung der Satzung für den KommunalCampus wurde nun in Heppenheim die strukturelle und formale Basis gelegt, um über ein plattformbasiertes Modell und passgenaue Bildungsangebote zur Erhöhung der digitalen Kompetenzen der kommunalen Beschäftigten in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz anzubieten, eine zukünftige Ausweitung auf weitere Länder nicht ausgeschlossen.


Informationstechnologie

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ie beiden Pole “analoge Präsenzlehre” und komplette “digitale Online-Lehre” bestimmen derzeit die Diskussionen an vielen Hochschulen. Die Frage allerdings, welche digitalen Elemente der Hochschullehre bleiben können und welche nur vorübergehend in der Pandemie eingesetzt wurden, stellt sich nicht nur für die HöD. Dabei kann die aktuelle Situation als ein einmaliges Reallabor verstanden werden, in dem Dinge ausprobiert werden, die in dieser Form wohl niemals ausprobiert worden wären. Insofern gibt es aktuell eine wertvolle Möglichkeit, die entstandene flächendeckenden Erfahrungen und Erkenntnisse in ein neues Paradigma für die Lehre zu integrieren. Die Digitalisierung erfolgte bislang eher als langsamer Veränderungsprozess im Sinne einer schrittweisen Organisationsentwicklung. Die Pandemie brachte jedoch ein “knallhartes” Business Re-Engenineering, mit dem in kurzer Zeit neu gedacht, organisiert und vor allem auch gehandelt werden musste. Dieser Prozess einer integrierten Strategieentwicklung zur Digitalisierung muss mit etwas weniger Druck nun auf der Grundlage zahlreicher neuer Erkenntnisse nachgeholt werden.

Ausschließliche Online-Lehre nur Notbetrieb In diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig, zu betonen, dass die ausschließliche Online-Lehre während der Corona-Pandemie immer ein Notbetrieb (gewesen) ist und eben keine Dauerlösung. Und die Digitalisierung der Lehre bedeutet nicht den Abschied von der Präsenzlehre. Die Lehre der Zukunft wird im Regelfall aus sogenannten “Blended-Lösungen” bestehen – eine Kombination aus analog und digital. “Blended Learning” in diesem Sinne eröffnet einen großen Anwendungsbereich und kann viele Potenziale und Vorteile besonders für die der HöD erschließen. Das Centrum für Hochschulentwicklung hat Mitte 2020 eine ers-

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ie ERP-Software von SAP führt in der Verwaltung in ihrem Geburtsland Deutschland vergleichsweise ein bescheidenes Dasein, v. a. im Vergleich zum Industrie- und Dienstleistungssektor. Zwar ist die Führung der Finanzbuchhaltung bzw. des Haushalts mit SAP ECC nicht unüblich, auch wird das HRModul häufig eingesetzt, aber den wahren Mehrwert eines ERP-Systems, die Integration von (Dienstleistungs-)Produktion, Materialwirtschaft/Beschaffung und Finanzbuchhaltung/ Controlling, ist bislang wohl kaum gehoben worden. Dass eine wirklich digitalisierte Verwaltung durchgängig digitalisierter Prozesse bedarf und diese beispielsweise von der Ableitung des Bedarfes an z. B. Tonerkartuschen über die Auswahl der (definierten!) Lieferanten bis zur Bestellung, Wareneingangsbuchung und Begleichung der Rechnung eine solche IT-Basis benötigt, weiß jedes privatwirtschaftliche Unternehmen – aber leider noch nicht die Verwaltung, wo u. a. die Beschaffung immer noch äußerst medienbruchhaft erfolgt. Auch “Workflows”, bei denen Dienstreiseanträge basierend auf MS-Word-Vorlagen per Mail verschickt werden und der Reisekostenbescheid eine nicht signierte PDF-Datei ist, die ebenfalls per Mail zugestellt wird, sind leider noch an der Tagesordnung.

Was geschieht mit der SAP Business Suite 7? Die SAP-Kernanwendungen, d. h. SAP ERP 6.0, SAP Customer Relationship Management 7.0,

Behörden Spiegel / Februar 2021

Digitalisierung der Lehre Hochschulen für den Öffentlichen Dienst auf dem Weg zum Blended Learning (BS/Prof. Dr. Jürgen Stember) Die Frage nach der zukünftigen Ausrichtung der Lehre nach der Pandemie beschäftigt derzeit viele Hochschulen. Auch die Hochschulen für den Öffentlichen Dienst (HöD) suchen nach einer neuen Perspektive und einer Neujustierung zwischen digitaler Lehre und Präsenzunterricht. Eine Konferenz zu den aktuellen und zukünftigen Möglichkeiten eines Blended Learnings öffnete viele Einsichten und Perspektiven. te größere Bestandsaufnahme für die Hochschulen im Sommersemester zusammengestellt, deren Ergebnisse im Wesentlichen auch mit den praktischen Erfahrungen der HöD zusammenhängen und korrelieren: Das digitale Sommersemester 2020 war für die Hochschulen ein Kraftakt, aber das Semester hat erstaunlich gut funktioniert. Und auch bei den HöD wurden fast alle Kurse und Lehrveranstaltungen online angeboten. Der Anteil der ausgefallenen oder verschobenen Veranstaltungen war bislang mit weniger als sieben Prozent angesichts der Situation sehr gering. Die Grundvoraussetzungen zur Teilnahme an digitaler Lehre sind nicht flächendeckend vollständig vorhanden. Teilweise fehlt Studierenden technische Infrastruktur, z. B. ein gut funktionierendes Internet zu Hause oder ein Arbeitszimmer, das konzentriertes Studieren ermöglicht. Für Lehrende und Studierende zeigt sich eine insgesamt deutlich erhöhte Arbeitsbelastung bei den für viele neuen digitalen Formaten. Die technologischen und organisatorischen Supportstrukturen an den Hochschulen waren nicht darauf ausgelegt, dass alle Lehrenden und Studierenden für eine flächendeckende digitale Lehre unterstützt werden konnten. Im Bereich der HöD gab es die Sondersituation der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) “Digitale Lehre”: Deutlich mehr als die Hälfte der Hochschulen des Öffentlichen Dienstes nutzen die Angebote der BAG “Digitale Lehre”, womit zahlreiche technische Performanz-Probleme behoben oder mindestens überbrückt werden konnten. Das didaktische Potenzial

betrieb geht zulasten der ChancenProf. Dr. Jürgen Stember ist gerechtigkeit für Professor für VerwaltungswisStudierende. Wer senschaften an der HS Harz, bereits vor dem Präsident der Hochschulen Corona-Semester für den öffentlichen Dienst erfolgreich stuund Mitglied im Projekt “Rediert hat und gute gionale Open Government Voraussetzungen Labore” hatte (Technik, Foto: BS/privat Lernumgebung) hat nun auch beskonnte wegen der ungeplanten sere Chancen. Unter anderem wegen der Sorge, Umstellung auf die komplette Online-Lehre (“Notbetrieb”) nicht keine rechtssicheren digitalen adäquat genutzt werden. Das Prüfungsformate anbieten zu sagen auch deutlich mehr als können, greifen viele Hochschudie Hälfte der Lehrenden an den len auch aktuell weiter auf die HöD: Der aktuelle Lernerfolg bei klassischen Präsenzprüfungen den Studierenden wird von einer mit entsprechenden Abstandsdeutlichen Mehrheit als schlech- regeln zurück. Dringend nötige ter im Vergleich zur analogen Innovationen im Prüfungsbereich Präsenzlehre eingeschätzt. konnten so bislang allerdings Die Ad-hoc-Umstellung auf nicht weiterentwickelt oder auseinen kompletten Online-Lehr- probiert werden.

Auf einer außerordentlichen Konferenz der Hochschulen für den Öffentlichen Dienst Ende Januar wurden vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen zentrale Grundfragen wie auch Fragen nach den konkreten rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen diskutiert.

Möglichkeiten der neuen Medien Der erste Themenbereich der Grundfragen beschäftigte sich mit den Themen der Potenziale, den Wettbewerbsaspekten, den Gestaltungs- und Qualitätsfragen, den Ressourcen sowie mit den möglichen Spezifika der HöD in Bezug auf die neuen Medien. Nicht nur die zuvor eingesetzte Arbeitsgemeinschaft einiger engagierter Forscher/-innen aus neun Hochschulen für den Öffentlichen Dienst kamen zu dem

Bundestag beschließt Registermodernisierung Zustimmung der Länder im Bundesrat ungewiss (BS/pet) Lange Zeit kontrovers diskutiert, hat der Deutsche Bundestag Ende Januar mit den Stimmen der Regierungskoalition das Registermodernisierungsgesetz verabschiedet. Zustimmung kommt vom Nationalen Normenkontrollrat (NKR), der von einem “Meilenstein für die Digitalisierung der Verwaltung” spricht und bei zügiger Umsetzung Kosteneinsparungen von rund vier Milliarden Euro im Jahr prognostiziert. Bis zuletzt sah sich der Regierungsentwurf massiven verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber. Im Fokus der Kritik stand die Verwendung der Steuer-ID als einheitliches Identifikationsmerkmal im Rahmen von Verwaltungsvorgängen. Immer wieder wurde beanstandet, dass ein Personenkennzeichen dieser Art die Weichen für die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen stelle. Stark für die Registermodernisierung machte sich indes der NKR, der durch die Entscheidung des

Bundes nun die Voraussetzungen zur Erfüllung des Once-OnlyPrinzips gegeben sieht. Dessen Vorsitzender, Dr. Johannes Ludewig, spricht von “einem Meilenstein für die Digitalisierung der Verwaltung”. Nicht nur erleichtere das Gesetz die Nutzung verschiedener Register, auch dem Bürger werde erspart, mehrfach die gleichen Nachweise vorzulegen. Für mehr Transparenz sorge ein Datencockpit, das darüber aufkläre, welche Behörde welche Daten zu welchem Zweck nutze.

Auch auf die Kritik geht der NKR-Vorsitzende ein: Die intensive Prüfung sei bei einer so grundsätzlichen Regelung richtig und wichtig gewesen. Die Nachschärfungen, die im Bundestag vorgenommen worden seien, hätten ein Gesetz zuwege gebracht, das “eine vernünftige Abwägung vornimmt zwischen hohen Datenschutzanforderungen einerseits und der Machbarkeit einer in der Praxis des Alltags funktionierenden Lösung andererseits”. Neben einem operativen verspricht sich

Nach Covid-19, OZG und E-Akte Notwendiger Umstieg der öffentlichen Verwaltung auf S/4HANA (BS/Prof. Dr. Robert Müller-Török/Prof. Dr. Alexander Prosser*) Die Corona-Krise hat die Verwaltungs-IT vor große Herausforderungen gestellt. Neben diesen völlig ungeplanten wie unplanbaren Herausforderungen musste die für Ende 2022 vorgesehene Herkulesaufgabe der Umsetzung des OZG weiterverfolgt werden, ebenso laufen viele Projekte wie z. B. die Einführung der elektronischen Akte – letztere ca. 20 Jahre zu spät, aber dennoch ebenso alternativlos wie ressourcenverzehrend. SAP Supply Chain Management 7.0 und SAP Supplier Relationship Management 7.0 werden noch bis 2027 gewartet. Wartung bedeutet, dass im Weiteren Fehler behoben werden. Es erfolgt allerdings keine Weiterentwicklung und, wohl ebenso wichtig, inwieweit weiterhin neue Lizenzen verkauft werden, ist unklar. Noch wichtiger ist allerdings, dass neue Funktionen, bspw. mit Leonardo entwickelte Integration von IoT-Geräten oder Künstlicher Intelligenz, voraussichtlich nicht vom Terminus “Fehlerbehebung” erfasst sein werden. Wie eine Kommune dann intelligente Lösungen anwenden soll, bei der zum Beispiel über ein LoRaWAN angebundene Sensoren den Füllgrad von Mülleimern oder Wasserbecken an die Einsatzplanung oder Materialwirtschaft melden sollen, bleibt dahingestellt. Hier wird die Tourenplanung der Müllabfuhr wohl weiterhin über MSExcel oder selbstprogrammierte Krücken erfolgen (müssen). Ab 2027 ist dann noch bis 2030 eine individuell gegen Aufpreis buchbare Wartung (Fehlerbehebung) verfügbar, danach ist nach heutigem Stande endgültig Schluss. Erschwert wird diese Entwicklung durch die aus Sicht der Autoren ebenfalls unbeantwortete

Schluss, dass alle Aspekte eine intensive mediale Integration in Zukunft nahelegen. Allerdings gibt es zahlreiche Regelungsnotwendigkeiten bei den rechtlichen und technologischen Rahmenbedingungen. Insbesondere im Prüfungsbereich müssen noch einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden, wie die derzeit hohe Anzahl an Präsenzklausuren zeigt. Nicht zuletzt wurden auf der Konferenz aber auch einige konkrete Pilotprojekte vorgestellt, die einen umfangreichen Bogen zwischen den allgemeinen Rahmenbedingungen und den ganz konkreten Einsatzszenarien digitaler Lehre aufspannten. Nur am Rande erwähnt seien hier die neu aufgebaute digitale Falldatenbank “Fallstedt” an der Hochschule Osnabrück oder die konkrete Nutzung von Foren und Lehr-Lern-Szenarien innerhalb des Systems ILIAS. Alle Konferenzteilnehmer waren sich einig, dass das Thema in den nächsten Monaten und Jahren noch wesentlich mehr Schwung aufnehmen und die Arbeit an den HöD prägen werde. Aber schon heute müssen wesentliche Weichenstellungen erfolgen.

Frage, wie lange verschiedene Datenbanken mit ERP 6.0 noch lauffähig sein werden. Hat man bspw. Oracle Database 18c im Einsatz, so gilt laut Oracle “For product longevity and patching, Oracle strongly recommends upgrading to 19c which is the Long Term Release with a support end date of April 30, 2027 (or April 30, 2024 if you choose not to pay Extended Support fees or purchase a ULA).” Das Patching End Date von 18c ist der 30. Juni 2021 und inwieweit SAP SE den Einsatz dieser Datenbank im Rahmen der Wartung der Kernanwendungen sicherstellt, ist aus Sicht der Autoren fraglich. Somit empfiehlt sich dringend eine Umstellung auf ein Produkt mit längerem Planungshorizont: S/4HANA.

Was ändert sich mit S/4HANA? Vereinfachend gesagt, eine neue Architektur und, allem: In-Memory Computing, d. h. eine In-Memory-Datenbank und konsequenterweise ein völlig neues Datenmodell. Besonders von Interesse für die doch sehr haushaltslastigen Anwendungen der öffentlichen Hand ist, dass es nur noch ein sog. “Universal Journal” gibt. Business Analytics können in S/4HANA direkt über die ERP-Datenbasis erfolgen, da

das In-Memory Computing komplexe Auswertungen, die bislang in Data Warehouses erfolgen mussten, in Echtzeit und direkt auf der Basis der operationalen Daten bewerkstelligen kann. Daneben, aber ebenso wichtig ist, dass die “klassische Budgetierung” aus ECC 6 nicht mehr unterstützt wird, sondern nur noch das Budget Control System (BCS) eingesetzt werden kann – ob BCS bereits aktuell eingesetzt wird, ist individuell zu klären. Auch unterscheidet S/4HANA nicht mehr zwischen Debitoren und Kreditoren, sondern kennt nur noch Geschäftspartner. Und, vor allem für diejenigen Verwaltungseinheiten von Interesse, die gerne in User Exits und eigenen Erweiterungsprogrammierungen dachten: Eine Rückführung auf den Standard in SAP erscheint weitgehend erforderlich. Je mehr eigene Spezialitäten dazuprogrammiert wurden, bspw. um landesgesetzliche Spezifika zu erfüllen, umso schwieriger gestaltet sich jetzt die Umstellung.

Was bedeutet dies für die Verwaltung? Am Beispiel des zentralen baden-württembergischen kommunalen IT-Dienstleisters komm. ONE AöR kann gezeigt werden, dass dies wenigstens aufwen-

dig sein wird. Gemeinsam mit ihrer 100-prozentigen Tochter civillent GmbH veröffentlichte komm.ONE AöR am 26.10.2020 die Auftragserteilung zu einer Ausschreibung über insgesamt 51 Teillose, die sich v. a. dem Augenschein nach mit der Umstellung auf S/4HANA befasste, sie beinhaltete Teillose wie • Los-Nr. 6: SAP-Entwicklung UI-Technologie und S/4HANATechnologien, Finanzen, • Los-Nr. 12: Beratung S/4HANA und SAP Kommunalmaster Kommunale Doppik, • Los-Nr. 19: Beratung SAPS/4HANA, • Los-Nr. 22: Beratungs-, Customizing- und Entwicklungsleistungen für USU Valuemation 5.1 Modul “Change Management”. Das Problem ist hierbei nicht die von komm.ONE bereits vor Jahren erkannte und in Angriff genommene notwendige Umstellung, sondern dass diese Aufgabe zu einer • im Falle komm.ONE AöR erst 2018 erfolgten Fusion mehrerer Datenverarbeitungsverbünde, • der OZG-Umsetzung bis Ende 2022, • den Covid-19-”Notdigitalisie­ rungsaktionen”, und • der Einführung E-Akte (in Baden-Württemberg nun bis

der NKR auch einen finanziellen Nutzen von der Registermodernisierung und prognostiziert bei zügiger Umsetzung jährliche Kosteneinsparungen in Höhe von insgesamt 3,8 Mrd.Euro. Nach dem Deutschen Bundestag ist Anfang März nun der Bundesrat am Zug. Auch aus den Reihen der Länder waren verfassungsrechtliche Bedenken geäußert worden, sodass das Ländergremium dem Bundestagsbeschluss nicht ohne Weiteres zustimmen dürfte.

1. Juli 2025 auf Landesebene) und • weiteren, dringenden Aufgaben “on top” hinzukommt. Die Gesamtarbeitslast wird weiter erhöht, indem der Rückstau aus Jahrzehnten versäumter Digitalisierung aller Verwaltungsebenen in Deutschland durch ein immer dünneres Ventil gepresst werden soll.

Ausblick Allerdings, und das ist die Chance dieser Entwicklung, die Notwendigkeit zu einer radikalen Überarbeitung der gesamten Prozesse, wie sie durch die OZG-Umsetzung bereits initiiert wurde, wird noch einmal erhöht. Durch Covid-19 ist ein Bewusstseinswandel gerade in der Verwaltung eingetreten, der unumkehrbar scheint. Digitalisierung ist nicht mehr “eitler Tand”, sondern notwendig im wahrsten Sinne des Wortes, um die Not zu wenden. Und die Not ist groß, wie man auf allen Ebenen gesehen hat, gerade bei der schlecht geplanten Impfstoffbeschaffung, -verteilung und -verfolgung. Diese sind ein klassisches Logistikthema, für welches Systeme wie SAP eigentlich erfunden wurden. Sofern diese Chance genutzt wird, hoffen die Autoren, dass um 2027 Deutschland den in allen einschlägigen Studien festgestellten Digitalisierungsrückstau aufgeholt haben wird. *Prof. Dr. Robert Müller-Török lehrt an der Hochschule für Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, Prof. Dr. Alexander Prosser an der Wirtschaftsuniversität Wien.


Behörden Spiegel / Februar 2021

Cyber-Resilienz im Fokus Die Herausforderung ergibt sich nicht zuletzt aus der Geschwindigkeit der Entwicklungen. “Was wir uns heute überlegen und morgen entwickeln, ist übermorgen bereits veraltet”, sagte der Inspekteur des Cyber- und Informationsraums, Vizeadmiral Dr. Thomas Daum. Es bedürfe pragmatischer, methodischer und stets aktueller Lösungen, um gegen die immer komplexer werdenden Bedrohungen im Cyber- und Informationsraum gewappnet zu sein. Das BSI würdigte Daum als “Gravitationszentrum der ITSicherheit in Deutschland”, ergänzte aber, dass es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handele, die man “Schulter an Schulter” angehe. Im “Brennglas der Pandemie” sei die Bedeutung der Informa-

(BS/Benjamin Stiebel) Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ist die Cyber-Sicherheitsbehörde des Bundes, aber auch Deutschlands. “Die Fäden der Cyber-Sicherheit laufen im BSI zusammen”, sagte Präsident Arne Schönbohm. Wie eine “Spinne im Netz” sei das Bundesamt vielfach nach innen und außen vernetzt. Mit seinem 17. Deutschen IT-Sicherheitskongress bietet das BSI einen – pandemiebedingt digitalen – Ort des Austauschs für die IT-Sicherheitsszene und feiert gleichzeitig 30. Geburtstag: ein stolzes Alter für eine Cyber-Sicherheitsbehörde.

(BS) Seit 30 Jahren setzt sich das BSI für die Cyber-Sicherheit in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ein. Das ist Anlass, vergangene Erfolge zu feiern, aber vielmehr noch zukünftige Herausforderungen und Chancen für die Arbeit des BSI in den Blick zu nehmen. Gelegenheit dazu wird ein umfangreicher Sonderteil “30 Jahre BSI” in der April-Ausgabe des Behörden Spiegel geben.

den Weg. “Wir wollen, ähnlich wie man das bei der freiwilligen Feuerwehr kennt, Kräfte haben, auf die wir bei Cyber-Großlagen zurückgreifen können.” BSI-Präsident Arne Schönbohm warnte vor dem Einfallsreichtum von CyberKriminellen.

tionssicherheit und Resilienz der IT-Strukturen noch einmal deutlich geworden, so BSI-Präsident Schönbohm. Gelernt habe man auch, wie flexibel und einfallsreich Cyber-Kriminelle in Krisen ihre Methoden anpassten. Schönbohm: “Wir haben aber auch gezeigt: Das BSI kann sich schnell auf neue Situationen einstellen und zielgruppengerecht Angebote machen.” So mit ausführlichen Sicherheitsempfehlungen zu Homeoffice und Videokonferenzsystemen. Eingebunden war die Behörde auch bei der sicheren Gestaltung der Corona-WarnApp, beim sicheren Ausbau der Kapazitäten für mobile Arbeit in der Bundesverwaltung und mit Sicherheitsanalysen von Sormas, dem Pandemie-Management-Tool für die Gesundheitsämter. Im Blick behält das Bundesamt auch neuartige Technologien.

Hier geht es darum, Risiken abzuschätzen und Sicherheitsstandards zu setzen, die eine sichere und vertrauensvolle Nutzung erlauben.

Sicherheitsstandard für KI gesetzt Ein Beitrag ist der neue Kriterienkatalog für KI-basierte Cloud-Dienste, AIC4 (Artificial Intelligence Cloud Services Compliance Criteria Catalogue). Damit ist erstmals eine Bewertungsgrundlage für KI-basierte Dienste geschaffen, die in CloudInfrastrukturen entwickelt und betrieben werden. Die Kriterien können für unabhängige Prüfungen herangezogen werden. “Das ist Informationssicherheit made in Germany”, freut sich Schönbohm. Das Thema wird in der zukünftigen Arbeit des BSI einen besonde-

Kommunikation im Spannungsfeld von Digitalisierung und Datensicherheit (BS/Sebastian Borchi*) Jede Behörde verarbeitet sensible Daten und tauscht sie mit externen Empfängern aus. Zudem fordern E-Government-Gesetz (EGovG) und Onlinezugangsgesetz (OZG) digitale Bürgerservices. Das stellt hohe Anforderungen an die Informations- und Datensicherheit, vor allem bei der Übermittlung. Eine Lösung für einfache und sichere Kommunikation ist unverzichtbar.

Während der Datenaustausch innerhalb der Behörde unproblematisch vonstattengeht, schafft er zwischen den Ämtern oder mit externen Empfängern große Herausforderungen. Beispielsweise zwischen Jugendund Ausländeramt oder wenn Informationen von einem Kindergarten oder einer Schule an die Eltern übermittelt werden sollen, kann nicht mehr verschlüsselt im Behördennetzwerk gearbeitet werden. Beim Austausch von Bauplänen mit beteiligten Bauunternehmen oder Architekten kommen aufgrund der Dateigröße herkömmliche EMail-Lösungen an ihre Grenzen. Mangels Alternativen weichen Anwender auf Lösungen aus, die sie aus ihrem privaten Umfeld kennen: Die rechtlichen und organisatorischen Folgen dieser sogenannten Schatten-IT können schwerwiegend sein.

30 Jahre BSI – wir feiern weiter

Partner und Netzwerker für die Cyber-Sicherheit

Sicheren Datentransfer gewährleisten

Problem: Datenaustausch mit Externen

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Die Spinne im Netz

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u den Gratulanten gehörte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Die Mitarbeiter des BSI würden ihre Kompetenz auf dem Kongress und vor allem in ihrer täglichen Arbeit unter Beweis stellen, so Merkel. “Sie machen unser Land sicherer. Dafür danke ich Ihnen sehr.” Dabei betonte die Kanzlerin die wichtigen Aufgaben des Bundesamts im Bereich der Standardisierung und Zertifizierung sowie der Beratung und nicht zuletzt der Sicherung der Bundes-IT. “Bei allem technologischen Fortschritt, bei allen Möglichkeiten der Wertschöpfung, die mit Digitalisierung verbunden ist, dürfen wir eines nicht außer Acht lassen: Digitalisierung und Informationssicherheit gehören zusammen.” Es brauche Stärke in beiden Bereichen, so Merkel weiter. Das entscheide wesentlich darüber, wie erfolgreich Deutschland in Zukunft sein werde.

BSI-Kongress 2021

Mit nicht autorisierten Lösungen, etwa Public-CloudDiensten, verliert die IT die Kontrolle über die Dateien, die dann außerhalb der eigenen Infrastruktur liegen. Damit wird gegen Gesetze, die DSGVO sowie Compliance-Vorgaben verstoßen. Die Server der gängigen Dienste stehen in den USA, was diese nach dem Fall von Privacy Shield grundsätzlich ausschließt.

OZG und EGovG tun das Übrige Bürgerinnen und Bürger wollen heutzutage Aktivitäten wie das Beantragen des Ausweises nicht mehr vor Ort im Amt vornehmen, sondern digital von zu Hause erledigen. Die geforderte Digitalisierung vereinfacht viele Schritte, schafft aber Herausforderungen bei der Datenübertragung und -sicherheit. Es ergeben sich Gefahrenquellen, die häufig nicht bedacht werden.

Denn Behörden sind beliebte Angriffsziele von Hackern – die Daten sind meist hochsensibel und personenbezogen. Der Bürger fordert zu Recht digitale Prozesse. Doch genauso will er Gewissheit, dass die eigenen Daten sicher sind.

Verschlüsselte Übertragung ist ein Muss Überall, wo Sicherheit und Nachvollziehbarkeit bei der Datenübertragung gefragt sind, kommen Behörden an einer sicheren Lösung mit Ende-zuEnde-Verschlüsselung nicht vorbei. Diese umfasst den Transportweg, die Nachricht sowie angehängte Dateien. Der Softwarespezialist FTAPI bietet Behörden eine sichere und einfache Lösung, die sich in wichtige Kommunikationsprozesse, unter anderem Outlook, integrieren lässt. So bleibt der Austausch von großen Daten genauso einfach wie das Versenden einer normalen Mail, wird aber um den Aspekt Sicherheit ergänzt. *Sebastian Borchi ist Experte für sicheren Datentransfer in Behörden bei FTAPI.

Lassen Sie sich beraten! FTAPI Software GmbH Steinerstraße 15f 81369 München Tel.: 089/2306954-0 info@ftapi.com www.ftapi.com

Cyber-Sicherheit sei auch eine Frage der Geschwindigkeit, so Vizeadmiral Dr. Thomas Daum. Screenshots: BS/BSI

ren Stellenwert erhalten. Noch in diesem Jahr soll das Bundesamt einen Standort in Saarbrücken mit dem fachlichen Schwerpunkt KI einrichten. Mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz DFKI und dem Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit CISPA sei der Standort führend in der KI- und Sicherheitsforschung, so Ministerpräsident Tobias Hans auf dem BSI-Kongress. Das Saarland habe sich vor einigen Jahren mit seiner Digitalisierungsstrategie

auf “Cyber Security first” und “KI first” festgelegt. “Wir werden allen brennenden Zukunftsfragen um Gesundheit, Klimawandel, Wertschöpfung oder attraktive Arbeitsplätze nur mit einer intelligenten Digitalisierung begegnen können, die den deutschen und europäischen Anforderungen an Sicherheit, Datenschutz und Verlässlichkeit entspricht”, so Hans’ Plädoyer. Um die Resilienz gegen Bedrohungen für die ITSicherheit zu stärken, bringe das Saarland eine Cyber-Wehr auf

Besucherrekord erreicht Der erste digital durchgeführte BSI-Kongress hatte zu Spitzenzeiten über 8.000 Zuschauer. Das sind mehr als zehnmal so viele wie der traditionelle Veranstaltungsort, die Stadthalle Bad Godesberg, fasst. Rund 30 Beiträge von IT-Sicherheitsexperten aus dem BSI, der Forschung und der Digitalwirtschaft drehten sich u. a. um mobile Kommunikation, Identitätsmanagement und Post-Quanten-Kryptografie. Registrierte Nutzer können alle Inhalte des Kongresses noch bis zum 3. März abrufen.

Kooperation für digitalen Verbraucherschutz BSI und Bundeskartellamt bündeln Kompetenzen (BS/stb) Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und das Bundeskartellamt wollen ihre Kompetenzen und Expertise beim digitalen Verbraucherschutz bündeln. Dazu unterzeichneten die beiden Präsidenten Arne Schönbohm (BSI) und Andreas Mundt (Bundeskartellamt) eine Absichtserklärung. Vorgesehen ist ein kontinuierlicher Informationsaustausch. Außerdem wollen die beiden Bonner Bundesoberbehörden sich gegenseitig in verbraucherschutzbezogenen Aufgabenfeldern unterstützen. “Während das BSI besonders die CyberSicherheit im Blick hat, verfolgt das Bundeskartellamt Wettbewerbsprobleme und verbraucherschädliche Praktiken vor allem auch in der digitalen Wirtschaft”, erklärt Mundt. “Wir wollen unseren fruchtbaren Austausch, der auf der Arbeitsebene vereinzelt schon stattfindet, verstetigen und weiter ausbauen. Das hilft beiden Behörden, ihre Aufgaben zum Wohle der Verbraucher zu erfüllen.” Schönbohm ergänzt: “Wir wollen, dass die Digitalisierung den

Menschen nützt und sich nicht gegen die Verbraucherinnen und Verbraucher wendet, z. B. durch Cyber-Kriminelle.” Dafür brauche es die enge Kooperation der Behörden, um die Fähigkeiten in der Cyber-Sicherheit und in der Untersuchung digitaler Märkte zu verzahnen. “Marktuntersuchungen können so noch gezielter erfolgen, zudem können wir gemeinsam mit Blick auf die Hersteller auch dem Prinzip “Security by Design” in Deutschland mehr Nachdruck verleihen”, so Schönbohm weiter.

Neues Aufgabengebiet Im Juni 2020 hatte das BSI bereits eine Grundsatzvereinbarung zur Zusammenarbeit mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband geschlossen.

Beabsichtigt ist, neben dem Informationsaustausch, Kompetenzen zur Rechtsdurchsetzung zu verbinden. Mit dem IT-Sicherheitsgesetz 2.0 wird der digitale Verbraucherschutz gesetzlich als Aufgabe des BSI konkretisiert. Die Behörde betreibt aber schon seit 2003 Aufklärung unter dem Label “BSI für Bürger”. Auch Sicherheitsuntersuchungen von Geräten für Endverbraucher hat sie schon durchgeführt. Das Bundeskartellamt hat seit 2017 Befugnisse im wirtschaftlichen Verbraucherschutz. Beim Verdacht auf gravierende Verstöße führt es Sektoruntersuchungen durch. Untersucht wurden bereits Online-Vergleichsportale, Smart-TVs und Online-Nutzerbewertungen.


BSI-Kongress 2021

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ie von der Corona-Pandemie gekennzeichneten letzten Monate stellten die digitalen Infrastrukturen öffentlicher Organisationen und Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Es galt, innerhalb kürzester Zeit Strukturen, Abläufe und Technologien an die Ausnahmesituation anzupassen. Der Coronabedingte Digitalisierungsschub vergrößerte dabei allerdings auch die potenzielle Angriffsfläche für Cyber-Attacken. Da mehr Angriffsoptionen größere Erfolgschancen mit sich bringen, rückt die Bedeutung von Resilienz als Kerneigenschaft komplexer Systeme in der IT-Sicherheit stark in den Vordergrund. “Für öffentliche Organisationen und Unternehmen wird es immer aufwendiger, effektive und dabei wirtschaftliche IT-Sicherheitslösungen einzusetzen, um sich zuverlässig gegen Risiken schützen zu können”, erklärt Matthias Ochs, Geschäftsführer der genua GmbH. “Cyber-Resilienz muss deshalb in Zukunft als zentrales Leitbild innerhalb jeder ITStrategie etabliert werden. Das gilt meiner Meinung nach auch und besonders für staatliche Institutionen.” Resilienz bedeutet einerseits, die Funktionsfähigkeit von Kernprozessen und Kerninfrastrukturen selbst unter außergewöhnlichen Umständen auf ausreichendem Niveau aufrechterhalten zu können. Andererseits steht der Begriff auch für die Fähigkeit, eine zügige Recovery zur vollen Leistung zu erreichen. Beispiele für solche Szenarien sind neben der aktuellen Pandemie Wirtschaftskrisen, Netzausfälle und gezielte, massive Cyber-Angriffe unterschiedlichster Akteure.

Enge Zusammenarbeit mit dem BSI Die Etablierung von IT-Sicherheitsstandards für kritische

Behörden Spiegel / Februar 2021

Cyber-Resilienz als neue Norm? Organisationen profitieren von langjähriger Partnerschaft des BSI und der genua GmbH (BS/Martina Hafner*) Digitalisierung und Vernetzung verändern unseren Alltag signifikant, sei es durch Anwendungen wie den digitalen Zahlungsverkehr oder Technologien wie Cloud Computing und Artificial Intelligence (AI). Seit 30 Jahren ist das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) als Cyber-Sicherheitsbehörde des Bundes für die Informationssicherheit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zuständig. Aufgabe des BSI ist es, Deutschland durch Prävention, Detektion und Reaktion digital sicher zu machen. Dabei muss Cyber-Sicherheit nicht nur mit der rasanten Geschwindigkeit der Digitalisierung und einer fortschreitenden Vernetzung – Stichwort “Internet of Things” – Schritt halten. Infrastrukturen und Netze des Bundes gehört ebenso zum Aufgabenbereich des BSI wie die Prüfung und Zertifizierung von IT-Sicherheitsprodukten. Doch in den kommenden Jahren wird darüber hinaus die Transformation von IT-Sicherheitsarchitekturen von Behörden, Unternehmen und öffentlichen Organisationen in Richtung einer umfassenden und nachhaltigen Cyber-Resilienz von entscheidender Bedeutung sein. Das BSI arbeitet seit fast zwei Jahrzehnten mit der auf IT-Sicherheit spezialisierten genua GmbH zusammen. So wurde die IT-Security-Lösung genugate als erste Firewall bereits 2002 vom BSI zertifiziert und als “highly resistant” eingestuft. Zwischen dem BSI als zentraler Zertifizierungsstelle für IT-Sicherheit in Deutschland und der genua GmbH, einem Unternehmen der Bundesdruckerei-Gruppe, ist so ein langjähriges Vertrauensverhältnis entstanden. Regelmäßige Zertifizierungen und Zulassungen durch das BSI belegen die Qualität der Lösungen von genua in Einsatzfeldern, die auf dem Weg zur Cyber-Resilienz Schlüsselrollen spielen: etwa bei der Absicherung sensibler Schnittstellen und Netze im Behörden- und Industriebereich, der Anbindung hochkritischer Infrastrukturen, der verschlüsselten Datenkommunikation via Internet, der Fernwartung oder bei Remote-Access-Anbindungen von Mitarbeiterinnen und Mit-

“Risiken und Schutzaufwände, die in Relation zu diesen Risiken stehen, müssen effektiv gemanagt werden. Der Fokus muss dabei nicht auf einer hundertprozentigen, sondern auf einer adäquaten Sicherheit liegen.”

Voraussetzungen für Cyber-Resilienz

Matthias Ochs, Geschäftsführer der genua GmbH: “Cyber-Resilienz muss als zentrales Leitbild innerhalb jeder IT-Strategie etabliert werden.” Foto: BS/genua GmbH

arbeitern im Homeoffice. 2019 erfolgte die Zulassung von genuscreen als erste Firewall für den Einsatz im Geheimschutzbereich bis zur Stufe VS-NfD. 2019 wurde genua zudem vom BSI zum ersten “Qualifizierten Hersteller im Zulassungsverfahren” ernannt. “Das BSI stellt hohe Anforderungen an uns als IT-Sicherheitshersteller, bindet uns aber auch in die Entwicklung neuer Zertifizierungsprogramme ein. So verfolgen wir gemeinsam das Ziel, die IT-Sicherheit in Deutschland voranzutreiben”, sagt Matthias Ochs. Diese Partnerschaft wird in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Denn

im Spannungsfeld einer dynamischen Gefährdungslage mit professionellen Cyber-Angriffen, einer wachsenden smarten Vernetzung und zunehmender Abhängigkeit gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Systeme von funktionierenden IT-Systemen ist die Erhöhung der Cyber-Resilienz unabdingbar. “Vor diesem Hintergrund gilt es, unser Verständnis von ITSicherheit auf den Prüfstand zu stellen”, meint Matthias Ochs.

Ausgangspunkt für Cyber-Resilienz ist ein Threat Modeling, also die fundierte Risikoanalyse der kritischen Geschäftsprozesse und die Definition möglicher Bedrohungen. Diese bilden die Basis zur Entwicklung wirksamer Mitigationsstrategien, d. h. von Maßnahmen zur Abschwächung von Bedrohungslagen. Eine weitere, wichtige Aufgabe besteht darin, tragfähige Notfallpläne für Risiken zu entwickeln, die mit akzeptablem Aufwand nicht vollständig vermeidbar sind. Im Idealfall werden dabei Verantwortlichkeiten, Führungsstrukturen und Kommunikationsprozesse optimal auf die beschriebenen Notsituationen ausgerichtet.

Schritte auf dem Weg zu Cyber-Resilienz Drei Stoßrichtungen sind für die Weiterentwicklung von ITSicherheitsarchitekturen hin zu einer effektiven Cyber-Resilienz entscheidend:

Der erste Schritt besteht in einem umfassenden Beherrschen von Komplexität. Dabei können intelligente Systeme wie AI-basierte Lösungen helfen. Gleichzeitig sollte Komplexität auch reduziert werden, etwa durch klar definierte, minimale Schnittstellen. Parallel dazu müssen die Detektionsmöglichkeiten und das Monitoring auf Netz- und Applikationsebene ausgebaut werden. Hier bietet genua Lösungen wie den cognitix Threat Defender, der mit AI-, Data-Analytics- und Threat-Intelligence-Funktionen eine zweite Verteidigungslinie im Netzwerk aufbaut und damit existierende Firewall-Lösungen schlagkräftig ergänzt. Oder die Industrial Firewall genuwall, die eine hochwirksame Barriere zum Schutz von Produktionsnetzen gegen Angriffe errichtet. Die Definition von SicherheitsPolicies, die auf Aufgaben und Verantwortlichkeiten basieren, ist der zweite Schritt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf identitäts- und dienstebasierten Zugriffskontrollen, die sowohl bei der Prävention als auch bei der Detektion helfen. Dem schließt sich drittens an, weitere Voraussetzungen für eine auf Cyber-Resilienz ausgerichtete IT-Sicherheitsorganisation zu schaffen. “Dieser Prozess hat tiefgreifende transformative Auswirkungen auf die Organisation”, erklärt Matthias Ochs, “Denn er ist mehr als die Summe der strukturellen, personellen und technologischen Elemente. Seine Initiierung ist der Weg zu einem neuen IT-Security-Paradigma.” *Martina Hafner ist Marketing Communications Manager bei der genua GmbH.

Das Ende von Emotet BKA und ZIT zerschlagen Infrastruktur (BS/stb) In einer international konzertierten Aktion haben Strafverfolgungsbehörden aus acht Ländern die Infrastruktur hinter der Schadsoftware Emotet zerschlagen. Auf deutscher Seite waren die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und das Bundeskriminalamt (BKA) beteiligt. Auf Initiative von BKA und ZIT wurde der “Takedown” der über mehrere Länder verteilten Infrastruktur der Cyber-Kriminellen durchgeführt. Beteiligt waren Strafverfolgungsbehörden aus England, Frankreich, Kanada, Litauen den Niederlanden, der Ukraine und den USA. Europol und Eurojust koordinierten das Vorgehen. Dabei wurden allein in Deutschland bisher 17 Server beschlagnahmt, wie das BKA erklärte. Weitere Beschlagnahmen erfolgten im Rahmen der Rechtshilfe in den Niederlanden, in Litauen und in der Ukraine. Man habe dabei nicht nur den Zugriff der Täter auf die Infrastruktur unterbinden, sondern auch umfangreiche Beweismittel sichern können. Bei einem mutmaßlichen Betreiber in der Ukraine konnte die Kontrolle über die Server-Struktur übernommen werden. Auf diesem Weg konnte die Schadsoftware auf derzeit betroffenen Systemen

in Deutschland unbrauchbar gemacht werden. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat Informationen über die Opfer erhalten. Die Behörde benachrichtigte die zuständigen Netzbetreiber mit der Bitte, ihre Kunden zu informieren. Diese sollten unbedingt ihre Systeme bereinigen, denn Emotet könnte bei ihnen den Weg für weitere, noch immer aktive Schadsoftware geöffnet haben.

Schlag gegen Organisierte Kriminalität BKA-Präsident Holger Münch sprach von einem “erfolgreichen Schlag gegen die organisierte Cyber-Kriminalität”. Und weiter: “Durch die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der ZIT, dem BKA und unseren internationalen Partnern sind wir einen wichtigen Schritt für die Cyber-Sicherheit in Deutschland und weltweit vorangekommen.” Emotet wurde vom BSI als eine

der gefährlichsten Schadsoftware-Familien weltweit eingeschätzt. Bekannte Betroffene in der öffentlichen Verwaltung sind das Klinikum Fürth, das Kammergericht Berlin, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und die Stadt Frankfurt am Main. Emotet wurde von Cyber-Kriminellen häufig genutzt, um einen ersten Einstieg in Netzwerke zu bekommen. Als “Downloader” konnte Emotet dann weitere Schadsoftware nachladen, etwa zum Ausspähen von Passwörtern oder zur Verschlüsselung von Systemen, um Geld zu erpressen. Von den Drahtziehern wurde Emotet daher Kriminellen als ein Service gegen Entgelt angeboten. In Deutschland hat die Schadsoftware laut BKA zu Schäden in Höhe von mindestens 14,5 Millionen Euro geführt. Dies sei aber nur ein “Ausschnitt”, so Münch, da dabei lediglich die im Ermittlungsverfahren betrachteten Fälle berücksichtigt seien.

BSI-Standard für BCM veröffentlicht Einstieg ins Notfallmanagement erleichtert (BS/stb) Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat einen Standard für den Aufbau eines Business-Continuity-Management Systems (BCM) herausgegeben. Dieser ist Teil der IT-GrundschutzMethodik. Bis Ende Juni können Anwender den Community Draft kommentieren. Mit dem neuen BSI-Standard 200-4 entwickelt das Bundesamt den bekannten Vorgänger 100-4 weiter. Dieser lief noch unter dem Begriff “Notfallmanagement”. Neben neuen Erkenntnissen zum Thema Business Continuity Management sollen auch die Erfahrungen aus der Corona-Krise eingeflossen sein.

Der Standard verfügt über ein Stufenmodell mit vereinfachten Einstiegsstufen. Die Methodik ist detaillierter ausgearbeitet und enthält nun auch mehr Hilfestellungen sowie Beispieltexte für die praktische Umsetzung. Außerdem hat das BSI Synergien mit anderen Aspekten des IT-Grundschutzes und sonstigen einschlägigen Systemen umfang-

reicher dargestellt. So können BCM, Informationssicherheitsmanagement, IT Service Continuity Management, Krisenmanagement und andere Systeme besser ineinandergreifen. Die Kommentierungsphase läuft bis zum 30. Juni 2021. Bis dahin will das BSI bereits bedarfsweise aktualisierte Fassungen veröffentlichen.


Behörden Spiegel / Februar 2021

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erschlüsselung hilft, in Zeiten der voranschreitenden Digitalisierung und der damit einhergehenden Zunahme von Cyber-Risiken eine zeit- und ortsunabhängige Zugriffskon­ trolle einzurichten. Verschlüsselte Daten sind so immer geschützt – selbst, wenn sie im Falle von Diebstahl oder Verlust nicht mehr zugänglich sein sollten. Dabei ist der Bedarf an Verschlüsselung nicht auf große Unternehmen oder wirtschaftliche Interessen beschränkt: Auch abseits von beruflichem Informationsaustausch ist spätestens seit den SnowdenEnthüllungen eine zunehmende Diskursverschiebung weg von “ich habe nichts zu verbergen” hin zu “jeder hat etwas zu schützen” zu beobachten. Es gibt jedoch Vorbehalte gegen Verschlüsselung – vor allem im technischen Bereich: Zu kompliziert, zu teuer und zu unpraktisch sind häufig genannte Gründe, die (scheinbar) gegen den Einsatz von entsprechenden Maßnahmen im Arbeitsalltag sprechen. Dass aber weder technisches Know-how notwendig ist noch Einbußen in der Produktivität zu beobachten sind, wenn digitale Daten zugriffssicher gespeichert werden, zeigt die deutsche Verschlüsselungslösung Boxcryptor. Diese wird von der Augsburger Secomba GmbH entwickelt und ist auf den Schutz von Daten in Cloud-Speichern, Netzlaufwerken und mehr spezialisiert.

Wer hat die Schlüssel? Doch Verschlüsselung ist nicht gleich Verschlüsselung. Nur Ende-zu-Ende-Verschlüsselung kann vor einem Zugriff durch unberechtigte Dritte – darunter auch die Verschlüsselungsanbieter selbst – wirksam schützen. Häufig wird dabei auch von Zero-Knowledge-Verschlüsselung gesprochen. Daten müssen hierfür vor dem Upload in die Cloud

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Datenverschlüsselung aus Deutschland Einfache und sichere Kollaboration garantiert (BS/Moritz Ober*) Verschlüsselung zählt zu den wichtigsten Maßnahmen moderner Daten- und Informationssicherheit. Nur durch kryptografische Bearbeitung können digitale Informationen zuverlässig vor unbefugten Zugriffen geschützt werden – auch im Falle von Datenverlust oder -diebstahl. Die 2018 in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nennt Verschlüsselung in Artikel 32 als eine geeignete technische und organisatorische Maßnahme (TOM), um für die Sicherheit der Daten zu sorgen. Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) betrachtet Verschlüsselung als grundlegende Maßnahme der IT-Sicherheit, um vertrauliche Informationen zu schützen, und formuliert entsprechende Empfehlungen und Standards. verschlüsselt werden und die Schlüssel dafür in der eigenen Kontrolle bleiben. In jedem Fall empfiehlt es sich deshalb, Speicher- und Verschlüsselungsdienstleistung zu trennen und bei unterschiedlichen Anbietern zu kaufen. Alle großen CloudAnbieter werben zwar damit, dass eine eigene Datenverschlüsselung eingesetzt wird. Dennoch sollte im Sinne des bestmöglichen Datenschut- Boxcryptor für Microsoft Teams: intuitive und sichere Zusammenarbeit im Team zes nicht exklusiv auf diese Versprechen gesetzt wer- cryptor in Stellung gebracht: Seit Alle notwendigen Prozesse finden. Einerseits ist diese Inklusiv- knapp zehn Jahren entwickelt den dabei im Hintergrund statt. Verschlüsselung häufig nicht ihre Firma eine Ende-zu-Ende- Dadurch wird Arbeit in der verso ausgereift wie vergleichbare, Verschlüsselungslösung, die trauten Oberfläche und mit den externe Lösungen. Sie schützt nicht nur sicher, sondern vor gewohnten Programmen möglich, zwar Daten, sollten sie unbe- allem auch für Laien einfach ohne an Komfort zu verlieren. So fugt aus den Rechenzentren der nutzbar ist. muss nicht für jede Anwendung Boxcryptor entstand aus dem eine eigene Sicherheitslösung Anbieter entwendet oder bei der Übertragung abgefangen werden. Eigenbedarf an sicherem Da- gefunden werden. Dieser Fokus Gleichzeitig haben die Speicher- tenaustausch und konnte sich auf Anwendungsfreundlichkeit anbieter aber in der Regel die Zu- in den Folgejahren als eine der ermöglicht daher einen einfagangsinformationen. Dies führt führenden Verschlüsselungs- chen und nahezu unbemerkbainsbesondere bei der Nutzung der lösungen für die geschäftliche ren Einsatz von Verschlüsselung beliebten Public-Cloud-Dienste und private Anwendung auch in vielen Bereichen des Alltages, mit Sitz außerhalb der Euro- weit über Deutschland hinaus die zuvor nicht oder nur unzupäischen Union zu erheblicher etablieren. Die einfache Bedien- reichend geschützt waren. rechtlicher Unsicherheit. barkeit der Software stand dabei neben starker Verschlüsselung Bestehende Lösungen optimieren Komfort im Fokus im Mittelpunkt. Boxcryptor verschlüsselt DaAls Pioniere im Bereich der Das Beispiel Boxcryptor zeigt: Cloud-Verschlüsselung haben teien auf den Endgeräten der Vor allem mit Blick auf ein gutes Andrea Pfundmeier und Robert Nutzerinnen und Nutzer – noch Verhältnis zwischen FunktioFreudenreich ihr erfolgreiches bevor die Daten in den Cloud- nalität, Sicherheit und Kosten und preisgekröntes Produkt Box- Speicher synchronisiert werden. lohnt es sich, bei der Planung von

Verschlüsselung zum Datentresor und genügt somit den hohen Ansprüchen deutscher Datenschutzgesetze. Die Spezialisierung auf Verschlüsselung fremder Dienste ermöglicht es Boxcryptor außerdem, flexibel auf die sich verändernden Anforderungen der Nutzenden zu reagieren. Erst im vergangenen Jahr konnten so der datenschutzkonforme DateiAustausch in Microsoft Teams sowie – durch die Einführung von Boxcryptor für Schulen – sichere Kollaboration im Distanzunterricht ermöglicht werden.

Digitalisierung unter Druck

Grafik: BS/Secomba GmbH

IT-Strukturen das bestehende Angebot zu prüfen. Public-CloudDienste wie Microsofts OneDrive, Dropbox und Co. bieten vor allem im Bereich der Datenspeicherung und des Datenaustausches eine kosteneffiziente, ausfallsichere und vor allem ausgereifte Lösung an. Die Augsburger Secomba GmbH hat es sich mit Boxcryptor zur Aufgabe gemacht, diese Lösungen für sicherheitsbewusste Anwendungsszenarien zu optimieren – anstatt ein gänzlich neues System zu schaffen. In zehn Jahren kontinuierlicher Weiterentwicklung ist so ein voll ausgereiftes Produkt entstanden, wodurch maximale Funktionalität, höchste Sicherheit und bestmögliche Kosteneffizienz gewährleistet werden können. Die Public Cloud wird dank starker Ende-zu-Ende-

Für Andrea Pfundmeier und Robert Freudenreich ist klar: “Der Einsatz einer Cloud bietet Unternehmen zahlreiche Vorteile. Gleichzeitig geben sie bei der Speicherung der Daten in CloudDiensten ein Stück weit die Kontrolle über ihre Daten ab. Wollen sie ganz sichergehen, müssen Unternehmen selbst dafür sorgen, dass die Daten für Dritte nicht ohne Weiteres abrufbar sind.” Vorbeugende Schutzmaßnahmen schaffen nicht nur Sicherheit, sondern auch Handlungskapazitäten an anderen Stellen. Die Ausbreitung von Covid-19 hat den Bedarf an digitalen Lösungen für die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft massiv vergrößert und die Notwendigkeit einfacher, schnell verfügbarer Lösungen deutlich aufgezeigt. Boxcryptor bietet eine starke Unterstützung beim Datenschutz für Nutzende aus dem privaten, wirtschaftlichen und öffentlichen Bereich – made in Germany und auf Abruf verfügbar. Weitere Informationen unter box cryptor.info/bsp *Moritz Ober ist Technical Writer bei der Secomba GmbH.


BSI-Kongress 2021

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Behörden Spiegel / Februar 2021

Zuständig oder nicht?

Grundrechte in Krisenzeiten

BVG wehrt sich gegen Nachweispflichten gegenüber dem BSI

Erlauben wir uns zu viel Datenschutz?

(BS/Benjamin Stiebel) Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) betrachten sich nicht als nachweispflichtig im (BS/Benjamin Stiebel) In der Bekämpfung der Pandemie scheinen insbesondere zwei Grundrechte in WiderSinne des BSI-Gesetzes. Seit Jahren gibt es darüber Streit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informati- streit geraten zu sein, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Informationelle Selbstonstechnik (BSI). Inzwischen ist auch ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln anhängig. bestimmung. Folgt man den Kritikern der Corona-Warn-App, so hat der Gesundheitsschutz den Kürzeren gezogen. Denn obwohl andere Grundrechte wie das Recht auf Eigentum oder freie Berufsausübung massiv nach dem branchenspezifischen eingeschränkt werden, scheint eine Einschränkung des Datenschutzes, um Kontakte besser nachverfolgen Sicherheitsstandard gemäß der zu können, tabu.

Nachweispflichtig oder nicht: BVG und BSI streiten darüber seit Jahren. Foto: BS/emkanicepic, pixabay.com

Nach Ansicht des BSI kommt die BVG ihren gesetzlichen Pflichten nicht nach. Als Betreiber Kritischer Infrastruktur (KRITIS) müsste sie nach BSI-Gesetz der Behörde einen festen Ansprechpartner nennen und wesentliche Sicherheitsvorfälle melden. Alle zwei Jahre müsste das Verkehrsunternehmen ein umfassendes IT-Sicherheitsmanagement auf Stand der Technik nachweisen und dem BSI genaue Angaben zu seinen IT-Systemen machen. Versäumnisse könnten mit erheblichen Bußgeldern geahndet werden. Bisher hat die BVG dem BSI eine Kontaktstelle genannt. Angaben hat das Unternehmen außerdem zu insgesamt vier technischen Anlagen gemacht. Dies sei “freiwillig und überobligatorisch” geschehen, ist aus der BVG zu hören. Denn sie vertritt die Auffassung, nicht den Regelungen des BSI-Gesetzes zu unterstehen. Seit Oktober 2020 ist zur Klärung dieser Rechtsfrage eine Klage vor dem Kölner Verwaltungsgericht anhängig. Medien hatten zuvor berichtet, die BVG betrachte sich nicht als KRITIS-Betreiber, weil sie den in der BSI-KRITISVerordnung dafür festgelegten Schwellenwert von jährlich 125

Millionen Fahrgästen nicht erreiche – im Widerspruch zu statistischen Kennzahlen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und eigenen Marketing-Botschaften, in denen von mehr als einer Milliarde Fahrgästen die Rede ist. Abweichend von dieser Darstellung heißt es seitens der BVG gegenüber dem Behörden Spiegel, das Unternehmen habe nie behauptet, kein KRITIS-Betreiber zu sein. Im anhängigen Rechtsstreit ginge es vielmehr darum, ob dem BSI gegenüber überhaupt eine Berichtspflicht bestehe. Die BVG verneint das. Begründung: Für den Öffentlichen Personennahverkehr fehle dem Bundesgesetzgeber die erforderliche Gesetzgebungskompetenz.

IT-Sicherheit auch ohne Pflicht? Weiter heißt es, die BVG wolle die strengen Anforderungen an die KRITIS-IT auch unabhängig von einer gesetzlichen Pflicht einhalten. Das Unternehmen betreibe IT-Sicherheit auf hohem Niveau und habe seit Jahren den BSI-IT-Grundschutz zum Maßstab erklärt. 2019 habe eine umfangreiche Evaluierung der gemeldeten technischen Anlagen

Vorgaben 4400/400 des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) stattgefunden. Die Prüfungen sollen alle zwei Jahre wiederholt werden. Damit entpreche das Sicherheitsniveau bereits den Anforderungen des BSI-Gesetzes. Das Problem: Die formellen Pflichten sind damit nicht erfüllt. Zwar können KRITIS-Betreiber Nachweise auf Grundlage branchenspezifischer Sicherheitsstandards erbringen, der Standard des VDV ist aber vom BSI bislang nicht als solcher anerkannt. Für eine erneute Prüfung der technischen Anlagen habe das BSI nach Angaben der BVG im Herbst 2019 eine Frist von wenigen Wochen festgelegt und ein Zwangsgeld bei Zuwiderhandlung angedroht. Die Androhung habe das BSI nach dem Widerspruch des Unternehmens aufgehoben. Die Behörde will aufgrund des laufenden Verfahrens keine Angabe zu diesen Vorgängen machen.

Wenige Nachzügler Die BVG ist nicht der einzige KRITIS-Betreiber, der aus BSI-Sicht im Verzug ist. So habe die Behörde wegen unerfüllter Nachweispflichten im letzten Jahr Anordnungen in mittlerer zweistelliger und Zwangsgeldfestsetzungen in einstelliger Zahl versendet. Dagegen seien 15 Widersprüche eingegangen. In einem Fall sei eine Klage anhängig. Gegen die grundsätzliche Einordnung als KRITIS-Betrieb hätten nur sehr wenige protestiert. Der überwiegende Teil der Betreiber setze die Verpflichtungen aber um, versichert das BSI. Im Mahnwesen seien weniger als zwei Prozent erfasst.

ISB & DSB: gemeinsam oder einsam Von Konflikten, Synergien, Kosten und Kommunikation (BS/Tobias Bauer*) An der Rollenaufteilung zwischen einem Informationssicherheitsbeauftragten (ISB) und einem Datenschutzbeauftragten (DSB) scheiden sich die Geister. Die Bandbreite reicht von: Ausübung beider Funktionen in Personalunion bis hin zu einer strikten Trennung der Rollen. Aber was davon ist jetzt richtig? Im Gegensatz zur Benennung eines ISB ist die Benennung des DSB per Gesetz (Art. 37 DSGVO) obligatorisch. Aus beiden Bereichen gibt es zudem keine direkten Verbote, beide Rollen einer Person zu übertragen. Wenn es nicht vorgeschrieben ist, bleibt die Frage: Muss man dann einen ISB bestellen? Sofern man eine Zertifizierung anstrebt, würde das Fehlen eines ISB als Mangel festgestellt werden. Das ergibt sich aus den Vorgaben der Standards ISO 27001 bzw. BSI-IT-Grundschutz. Dennoch ist auch ohne Zertifikat für viele Organisationen die Benennung sinnvoll. Durch die zunehmende Digitalisierung erhöht sich auch die Angriffsfläche jeder Organisation. Eine zentrale, kompetente Rolle, die diese Risiken im Blick hat, ist daher unerlässlich. Doch im ständigen Kampf um die begrenzten Ressourcen innerhalb einer Organisation ist die eingangs gestellte Frage nach der Personalunion von ISB und DSB berechtigt.

Effiziente Aufgabenwahrnehmung Zweifelsfrei gibt es zwischen beiden Rollen Überschneidungen, die sich als Synergien in der Organisation nutzen lassen – wenn Sie einige Voraussetzungen dafür schaffen. Beide sollten direkt an der obersten Leitungsebene aufgehangen sein. Zum einen, um den Stellenwert dieser herausgehobenen Rollen zu stärken, zum

anderen um das direkte Vorspracherecht bei der Leitung, ohne Zwischeneben oder gar Weisungen anderer Stellen zu haben. Die Disziplinen müssen zudem organisationsweit gedacht und in Prozesse und Projekte eingebunden werden, um deren Erfolg sicherzustellen. Bei der Umsetzung technisch-organisatorischer Maßnahmen wirken ebenso beide mit. Nach BSI-Grundschutz gehören beide dem IS-Koordinierungsausschuss an, der zeitweise für das Zusammenspiel in der Informationssicherheit zusammenkommt. So könnten mit der Personalunion Abstimmungen und die doppelte Ausführung von sich überschneidenden Tätigkeiten entfallen. Bei guter Umsetzung kann die Aufgabenwahrnehmung dadurch effizienter werden.

Spannungsfelder berücksichtigen Jedoch gibt es auch mögliche Interessenkonflikte bei der Vereinigung beider Rollen. Ein potenzielles Spannungsfeld zwischen Informationssicherheit und Datenschutz ist bspw. die Protokollierung. Als ein Mittel der Informationssicherheit zur Angriffserkennung werden teilweise sensible personenbezogene Daten verarbeitet. Es ist also notwendig, hier einen belastbaren Kompromiss zu erzielen, der sowohl der Sicherheit als auch dem Schutz personenbezogener Daten Rechnung trägt.

Zudem besteht die Gefahr, das Budget zu bündeln und dann unterm Strich beiden Disziplinen unzureichende Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Häufig werden die beiden Rollen als Zusatzfunktion ausgeübt. Es entsteht also ein Spannungsfeld zwischen drei Aufgabengebieten: der normalen Arbeit, der des DSB und der des ISB. Nicht unterschätzt werden sollte zudem, dass der Erfolg einer Personalunion stark vom Rolleninhaber abhängt. Hier muss die Organisationsleitung ein besonderes Augenmerk auf die notwendigen Anforderungen für den Rolleninhaber legen. Für kleinere Organisationen besteht zudem die Möglichkeit, Externe mit den Rollen zu beauftragen oder die Rolleninhaber extern beraten zu lassen. Die Frage, ob man die Rollen aufteilt, ist grundsätzlich von der Organisation und ihren Prozessen abhängig. Es finden sich für beide Sichtweisen gute Gründe. *Dipl.-Ing. MBA Tobias Bauer ist Lead IT-Security Consultant der INFODAS GmbH und Dozent der Cyber Akademie. Am 10. März findet zu diesem Thema das Online-Seminar “Synergetische Schnittstellen – Verantwortlichkeiten von IT-Sicherheitsund Datenschutzbeauftragten” statt. Weitere Informationen unter www.cyber-akademie.de, Suchwort: “Datenschutzbeauftragte”

Effektiv wäre die deutsche Corona- Warn-App, wenn Sie eine GPS-Tracking-Funktion hätte, meint der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer. So könnten Gesundheitsämter bei einem positiven Test alle relevanten Kontaktdaten gebündelt erhalten und schnell und gezielt reagieren. “Dass das in Asien geht und bei uns nicht, ist nur der heiligen Kuh Datenschutz zu verdanken”, so Palmer. “Man hat sich bei der Corona-Warn-App bewusst für den Datenschutz und gegen den Gesundheitsschutz entschieden und den Preis zahlen wir alle mit Lockdowns, deren Ende wir nicht absehen können.” In dasselbe Horn stößt Julian Nida-Rümelin, Professor für Philosophie und politische Theorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Bundesregierung habe den Inzidenz-Wert 50 als Zielvorgabe und Obergrenze gesetzt, weil darüber von einem Kontrollverlust bei den Gesundheitsämtern auszugehen sei. Wenn Kontrolle zu bewahren das Ziel sei, “dann muss jetzt alles getan werden, damit die Gesundheitsämter imstande sind, das Infektionsgeschehen mit digitalen Tools nachzuvollziehen.” Die jetzige Corona-WarnApp helfe so gut wie gar nicht. Nida-Rümelin betont, dass in der Krise auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegen andere Grundrechte abzuwägen sei. Mit den Infektionsschutzgesetzen von Bund und Ländern sei dies allerdings auch schon – zu Recht – geschehen, wie Dr. Lutz Hasse anmerkt. Der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz stellt klar, dass es dem Gesetzgeber obliege, zwischen Datenschutz und Gesundheitsschutz abzuwägen und die zugrunde liegenden Rechte einzuschränken. “Ich denke, es gibt durchaus noch Spielraum für

weitere Regelungen zulasten des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung.” Diese müssten nur verhältnismäßig sein und dürften das Grundrecht nicht aushöhlen.

Es fehlt Vertrauen Hasse macht jedoch auf ein anderes Problem aufmerksam: Anders als in vielen anderen Ländern hätten die Bürgerinnen und Bürger hierzulande wenig Vertrauen in den Staat, wenn es um Datenzugriffe gehe. Die Corona-Warn-App sei aus Akzeptanzgründen datenschutzfreundlich gestaltet worden. Gegen ein Ausspielen von Datenschutz und Gesundheitsschutz spricht sich der FDPBundestagsabgeordnete Manuel Höferlin aus. Datenschutz sei Voraussetzung für Vertrauen. “Ohne dieses Vertrauen wird die App nicht ausreichend genutzt und am Ende in Sachen Kontaktverfolgung auch keinen Erfolg haben.” Dass das volle Potenzial der App nicht ausgenutzt werde, liege nicht am Datenschutz, sondern an funktionalen Mängeln, kritisiert Höferlin. So habe die Bundesregierung versäumt, “die Prozesse hinter der App zu digitalisieren und die Labore vollständig an die App anzuschließen, damit Testergebnisse schnell übermittelt werden können”. Die Nutzerzahlen sind aber selbst unter diesen Voraussetzungen nicht überragend. Die Zahl derer, die im Namen des Gesundheitsschutzes den Behörden freiwillig detaillierte Bewegungsprofile senden würden, wäre wohl verschwindend gering. Ein Nutzungszwang scheidet aus Akzeptanzgründen ebenso aus. Gerade im Bereich der Gesundheitsfürsorge sei Vertrauen ein hohes Gut, betont Dr. Andreas Bobrowski, Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Laborärzte. Im Laufe der letzten

Monate habe sich die Arbeit der Gesundheitsämter, auch durch verschiedene technische Hilfsmittel, sehr verbessert – auch wenn sich noch an einigen Schrauben drehen ließe. Doch dürfe es niemals einen Zwang zu Gesundheitsmaßnahmen geben. Beim Abwägen von Grundrechten gegeneinander müssten zudem auch langfristige Folgen berücksichtigt werden. “Ich glaube, wir dürfen den Weg der Freiwilligkeit auch in so einer Krise nicht verlassen. Schäden, die dann zurückblieben, wären möglicherweise höher als wirtschaftliche Schäden.” Den Weg aus der Pandemie sieht Bobrowski ohnehin nicht durch digitale Tools bereitet. Es sei ein medizinisches Problem und mit dem Impfen sei auch die medizinische Lösung vorgezeichnet.

Lernen für die nächste Krise Doch bis die Pandemie durch Impfungen besiegt ist, ist es noch ein langer Weg und Bund und Länder schwören die Bevölkerung immer wieder auf weitere harte Wochen ein. Darum und auch mit Blick auf kommende Krisen will NidaRümelin die Debatte unbedingt weiter führen. Abwehrargumente dürften nicht davon abhalten, auch globale Vergleiche anzustellen. So habe das liberal-demokratische Südkorea es trotz frühzeitig hoher Infektionszahlen durch eine kluge Eindämmungsstrategie und effiziente digitale Tools geschafft, die Pandemie im Griff zu behalten. “Wir dürfen auch von Erfolgen anderer lernen. Natürlich ist nicht alles übertragbar und wir müssen unseren eigenen Weg gehen”, so Nida-Rümelin. “Aber es kann nicht sein, dass wir in der nächsten Pandemie in Europa so hilflos reagieren, wie wir jetzt reagiert haben. Wir müssen uns darauf vorbereiten.”

DocSetMinder mit BSI-Kompendium-Edition IT-Grundschutz-Tool für Behörden (BS/Piotr W. Nürnberg*) Organisationen, die ihr Informationssicherheits-Managementsystem nach IT-Grundschutz ausrichten wollen, steht seit Anfang Februar die 4. Edition des BSI-Kompendiums zur Verfügung. Für eine effektive und effiziente Umsetzung der normativen Anforderungen bietet DocSetMinder das passende Rahmenwerk. Das Modul “IT-Grundschutz” ist für Behörden kostenlos. Essenziell für das Gelingen der Informationssicherheit ist eine genaue Kenntnis der Organisation. Im Mittelpunkt der sog. Strukturanalyse stehen Geschäftsprozesse/Fachverfahren und die darin verarbeiteten Daten und Informationen. Sie stellen die oberste Ebene der Schutzbedarfsfeststellung dar. Der Schutzbedarf vererbt sich auf die unterstützenden Anwendungen, IT-Systeme und Infrastruktur. DocSetMinder unterstützt die Zuständigen bei der Erfassung der Behördenorganisation und Schutzbedarfsfeststellung mit entsprechenden Strukturen, Vorlagen und Vererbungsmechanismen. Der IT-Verbund in DocSetMinder spiegelt das Schichtenmodell des Kompendiums wider. Bei der Modellierung schlägt das Tool die zur jeweiligen Schicht und dem Zielobjekttyp passenden Bausteine vor. Je nach gewählter Absicherungsmethode (Basis-, Standardabsicherung, erhöhter Schutzbedarf) werden in den Bausteinen die entsprechenden

Umsetzungsanforderungen und -hinweise angezeigt. Die hinterlegten Kreuzreferenztabellen vereinfachen die explizite Risikoanalyse bei hohem Schutzbedarf des Zielobjekts, indem die zu betrachtenden elementaren Gefährdungen automatisch vorgeschlagen werden. Die Vorlage für die Risikoanalyse ist aus dem BSI-Standard 200-3 abgeleitet und bietet standardmäßig eine 4x4-Matrix für die Risikobewertung. Definierte technisch-organisatorische

Maßnahmen können zur Umsetzung an Mitarbeiter delegiert werden. Für die Auswertung des Informationssicherheitszustands stehen filterbare, in gängige Formate exportierbare Berichte (A0-A6) zur Verfügung. DocSetMinder bildet den ITGrundschutz einschließlich Branchen- und Sektor-Profilen vollständig ab und macht die Organisation Ready for Audit. *Piotr W. Nürnberg ist Geschäftsführer der Allgeier CORE GmbH.


Behörden Spiegel / Februar 2021

Informationssicherheit

Seite 33

Das Krankenhauszukunftsgesetz

Umsetzung überfällig?

Treiber von Digitalisierung und Konjunktur im Gesundheitswesen?

BfDI moniert schleppende Rechtsetzung

(BS/Thorsten Schütz) Das Gesundheitswesen gilt in den Augen vieler Experten als ein ganz wesentlicher Faktor unserer Konjunktur. Diese Einschätzung beruht weniger auf der derzeit euphorischen Hochstimmung der Impfstoffhersteller, sondern stattdessen auf dem sich bereits länger abzeichnenden Trend zur digitalen Vernetzung aller beteiligten Player mit Gesundheits-Apps, Sensorik, Telemedizin und vielem mehr. Im Krankenhausumfeld verändert der Einsatz des Computers auf den Stationen dabei nicht allein das technische Umfeld, vielmehr verändern sich die daraus abgeleiteten Prozesse. Anstatt von Digitalisierung wird deshalb auch von digitaler Transformation gesprochen.

(BS/stb) Die JI-Richtlinie der EU zum Datenschutz im Bereich der Strafverfolgung hätte zum 6. Mai 2018 in allen Mitgliedsstaaten vollständig umgesetzt sein müssen. Über 1.000 Tage später sei das in Deutschland immer noch nicht der Fall, kritisiert der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Prof. Ulrich Kelber. Die Bundesregierung sieht das anders.

Dieser Wandel startet typischerweise mit der Modernisierung und Restrukturierung klinikinterner Abläufe. Medizinische Behandlungsdaten werden überwiegend digital erfasst und bereitgestellt. Vorhandene, isoliert stehende Spezialsysteme in den Fachabteilungen wie Geburtendokumentation, Hirnstrommessungen oder Langzeitblutdrucksysteme finden über das gemeinsame Datennetz zueinander. Papiergestützte Befunddokumente schrumpfen auf einen fortwährend kleineren Restbestand, die Vitalkurve des Patienten wird elektronisch am Bildschirm anstatt im Ordner auf dem Visitenwagen erfasst. Kritiker dieses Wandels verweisen auf die steigende Anfälligkeit gegenüber Computerausfällen. Wiederholt erfolgreiche Virenangriffe auf Krankenhäuser in den letzten Jahren scheinen ihnen zuweilen Recht zu geben. Ist die Bedienung von medizinischen Programmen am PC oft noch umständlich, gelingt es mit dem Einsatz von Tablets und Smartphones, zunehmend auch die Skeptiker zu überzeugen. Dieses Jahr nun scheint der Damm endgültig gebrochen, die Welle des digitalen Fortschritts nimmt einen weiteren gewaltigen Anlauf. Was ist passiert? Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) aus dem letzten Jahr werden den Krankenhäusern völlig unerwartet gleich 4,3 Milliarden Euro für die Digitalisierung in Aussicht gestellt! Jubel und Freude allerorten! Jubel, Freude und Angst! Denn beim Anreizsystem allein wollte es der Gesetzgeber

generieren. Haben die Länder Zeit bis Jahresende, läuft die Frist für die Thorsten Schütz ist Leiter Krankenhäuser IT und Betriebsorganisation zur Antragstellung des Klinikums Itzehoe und vielfach bereits in Stellvertretender Vorsitzenden ersten Monader des Bundesverbands der ten dieses Jahres Krankenhaus-IT-Leiterinnen/ ab. Und das, wo Leiter (KH-IT e. V.) die FörderrichtliFoto: BS/privat nie mit den genaunicht belassen. So drohen den- en Vorschriften erst drei Tage jenigen Klinikchefs, die bis Ende vor Heiligabend überhaupt er2024 keine ausreichend digita- schienen ist. Und die Förderrichtlinie hat lisierten Prozesse nachweisen können, ab dem Jahr 2025 emp- es durchaus in sich. Auf knapp findliche Strafabschläge ihrer fünfzig Seiten werden zahlreiche Krankenhausbudgets. Abwarten Anforderungen beschrieben, die wird also zukünftig bestraft. Die die Krankenhäuser im Rahmen IT-Sicherheit hat der Gesetzgeber der Umsetzung zu erfüllen haben. im Übrigen gleich mitberücksich- Gegen eine sportliche Zielvortigt. Mindestens 15 Prozent der gabe sei grundsätzlich nichts eingesetzten Fördermittel sind einzuwenden, heißt es von zahlexplizit in IT-Sicherheitsmaß- reichen Verbänden, wären diese nahmen zu investieren, eines der MUSS-Anforderungen in ihrer elf möglichen Fördervorhaben erwarteten Vollständigkeit auf betrifft allein den Ausbau der dem Markt denn schon soweit verfügbar. Leider werden viele der IT-Sicherheit. Eigentlich somit genau das, was verlangten innovativen Features sich die Krankenhausverantwort- nur von wenigen Herstellern, lichen immer erträumt hatten. wenn überhaupt, angeboten. So Endlich ausreichend Geld für werden die Krankenhäuser bei die Digitalisierung, um die Ab- ihren Planungen vielfach auf die läufe im Krankenhaus effizienter, Zukunftsversprechen der Hersicherer und in noch höherer steller vertrauen müssen. Damit stehen am Ende nicht Qualität bereitstellen zu können. Die Bewilligung der Gelder nur die Krankenhäuser, sondern ist jedoch an ein aufwendiges ebenso die beteiligten Hersteller Beantragungsverfahren gebun- im Fadenkreuz der Beobachtung. den. Die Krankenhäuser haben Die meisten der elf möglichen zunächst Bedarfsmeldungen an Fördervorhaben betreffen Funkdie Länder zu richten, welche tionen und Erweiterungen des ihrerseits daraus Förderanträge Krankenhausinformationssysan den Bund, genauer das Bun- tems (KIS), der zentralen Plattdesamt für Soziale Sicherung, form in einem Krankenhaus. Hier

teilen sich nach erfolgreichen Zusammenschlüssen und Aufkäufen der vergangenen Jahre mittlerweile nur wenige Anbieter den deutschen Markt von knapp zweitausend Krankenhäusern. Leicht lässt sich errechnen, dass hier schnell hundert Anfragen und mehr auf die jeweiligen Anbieter zukommen können. Der zu erwartende Kundenansturm ist für die Hersteller eine schwer zu kalkulierende Herausforderung. Damit nicht allein ist ein weiterer Flaschenhals vorprogrammiert. Das KHZG setzt bei der Antragstellung der Krankenhäuser zwingend die Beteiligung zertifizierter Berater voraus. Ist der Zertifizierungsaufwand für den fachkundigen Berater mit einer im Gesetz vorgesehenen einstündigen Online-Schulung durchaus sehr moderat angesetzt, definiert sich der Schmerzpunkt auch hier über das unausgewogene Mengenverhältnis von verfügbaren krankenhauskompetenten Beratern auf der einen und beantragungswilligen Klinikbetreibern auf der anderen Seite. So bleibt am Ende zu hoffen, dass der Wille des Gesetzgebers nicht unter den eigenen umfangreichen Vorgaben leidet und die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens mit den bereitgestellten Mitteln tatsächlich einen gewichtigen Schritt vorankommt. Denn die Zeit drängt. Ein Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn, wie z. B. Dänemark, Österreich oder den Niederlanden zeigt: Deutschland hat hinsichtlich der Digitalisierung einen erheblichen Rückstand aufzuholen.

Kelber fordert die Bundesregierung zum sofortigen Handeln auf. “Ich kann Datenschutzverstöße bei Bundespolizei und Zollfahndung nur beanstanden. Ohne nationale Gesetze fehlen mir wirksame Durchsetzungsbefugnisse”, moniert der BfDI. “Das untergräbt die demokratische Legitimation der Datenschutzaufsicht und der Strafverfolgungsbehörden gleichzeitig.” Die JI-Richtlinie (Richtlinie für Justiz und Inneres) regelt den durch Behörden einzuhaltenden Datenschutz bei der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten sowie bei der Strafvollstreckung. Gemeinsam mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) soll sie den gemeinsamen EU-Rahmen für den Umgang mit personenbezogenen Daten bestimmen. Anders als die DSGVO gilt die Richtlinie aber nicht unmittelbar, sondern muss erst durch nationale Gesetze umgesetzt werden.

Verzögerung kritisiert Statt die Regelungen im Zuge der ohnehin erfolgten Überarbeitungen des Bundesdatenschutzgesetzes umzusetzen, würden Kontrollbefugnisse einzeln in die jeweiligen Fachgesetze eingeführt, so Kelbers Vorwurf. Dabei gibt es jedoch Verzögerungen. Bisher sind AbhilfeMaßnahmen bei datenschutzrechtlichen Verstößen nur für das Bundeskriminalamt geregelt. Der Entwurf für das neue Bundespolizeigesetz vom Frühjahr hat es bisher aufgrund von Streit-

punkten innerhalb der Großen Koalition nicht in den Bundestag geschafft. Das neue Zollfahndungsdienstgesetz muss noch vom Bundespräsidenten gegengezeichnet werden.

Bund sieht keinen Verzug Die Bundesregierung sieht kein Umsetzungsdefizit. Die Befugnisse des Bundesdatenschutzbeauftragten seien gemäß JI-Richtlinie bereits ausreichend im neuen Bundesdatenschutzgesetz von 2017 umgesetzt, heißt es aus dem Bundesministerium des Innern (BMI). Verwiesen wird auf die Möglichkeiten zur Warnung und Beanstandung bei Datenschutzverstößen. Mit dem BKA-Gesetz sei darüber hinaus eine bereichsspezifische Anordnungskompetenz bei erheblichen Verstößen eingeführt worden. Diese mache von der in der JI-Richtlinie “beispielhaft aufgezählten Möglichkeit eines Durchgriffsrechts” Gebrauch. Eine entsprechende Regelung sieht das Zollfahndungsdienstgesetz vor. Welche Befugnisse der BfDI im Bereich der Bundespolizei erhalten soll, ist noch offen. Tatsächlich fordert die JI-Richtlinie “wirksame Abhilfebefugnisse” für die Aufsichtsbehörden, nennt Anordnungen aber nur als ein Beispiel. Die offene Formulierung ist unglücklich. Denn ob die bloße Beanstandung von Verstößen wirksame Abhilfe ermöglicht, darüber bestehen naturgemäß unterschiedliche Auffassungen im BMI und beim Bundesdatenschutzbeauftragten.

Online-Seminare für virtuellen und physischen Virenschutz (CAk) Die Cyber Akademie bietet angesichts der Covid-19-bedingten Planungsunsicherheit alle Aus- und Fortbildungsformate bis vorerst Ende März ausschließlich online an. Im Folgenden werden einige der anstehenden Online-Seminarhighlights vorgestellt. Zum ersten Mal wird eine Fortbildung im Bereich Threat Intelligence angeboten. Unter diese Disziplin fällt die Recherche und Aufklärung von Informationen zur Bedrohungslage der IT-Sicherheit. Im besten Falle können somit neue Angriffsmuster und Schadsoftware-Varianten vor deren Erstanwendung aufgedeckt und rechtzeitig entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Das Kursangebot setzt sich aus einem einführenden Webinar am 25. Februar sowie einem darauf aufbauenden Online-Workshop am 4. März zusammen. Wenn es trotz vorkehrender Maßnahmen zum IT-Sicherheitsvorfall oder anderweitigen betriebskritischen Störungen

kommt, benötigen Unternehmen und Behörden Know-how im Bereich des Business Continuity Managements. Hierzu wurde vor Kurzem der überholte BSI-Standard 200-4 zur Kommentierung veröffentlicht, der den Vorgängerstandard 1004 vom Notfall- zum Business Continuity Management präzisiert. Mit dem Online-Zertifizierungskurs inklusive virtueller TÜV-Prüfung in der ersten Märzwoche werden die hierfür zuständigen Mitarbeitenden auf die notwendigen Aufgaben vorbereitet. Ebenfalls während der ersten Märzwoche werden zentrale Parameter einer IT-Sicherheitsarchitektur näher beleuchtet: die Planung, Umsetzung und Pflege eines ID- und Access Manage-

Münchner Cyber Dialog 2021 (CAk) Vom 16.–17. Juni 2021 findet die nächste Ausgabe des Münchner Cyber Dialogs statt. Das Event wird an den beiden Tagen vormittags online ausgetragen, inklusive eines Vorabend-Dinners vor Ort. Dabei werden vor allem die aktuellen sowie zukünftigen Entwicklungen im Bereich Cyber-Kriminalität beleuchtet. Im Dialog zwischen Wirtschaft und Politik, in Form von Keynotes, Paneldiskussionen, Werkstätten und Foren, erhalten Sie Updates und können mit Kolleginnen und Kollegen, Expertinnen und Experten Schutzmaßnahmen zu Cyber-Bedrohungen wie Ransomware und CyberSpionage austauschen. Weitere Informationen und das Anmeldeportal finden Sie unter www.muenchner-cyber-dialog.de .

ments – auch bekannt als Nutzer- und Berechtigungsmanagement. Das Management schafft einen Rahmen für die Definition vorgesehener und nicht vorgesehener Zugriffe, überwacht die Nutzung von Berechtigungen, vermeidet Sicherheitsvorfälle, die aus übermäßigen oder vergessenen Berechtigungen herrühren und legt Prozesse für die Erteilung und den Entzug von Berechtigungen fest. Ein nicht zu unterschätzendes und in Zukunft weiter zunehmendes Risiko ist die Gefahr durch sogenannte Deep Fakes und deren Implikationen für die Behörden- und Unternehmenssicherheit. Deren Anwendung wird professioneller, häufiger und hemmungsloser. Aussagen oder Informationen von vermeintlich vertrauenswürdigen Personen oder Organisationen können verheerende Folgen für sicherheitskritische Entscheidungen von Verantwortlichen haben. Durch das Online-Seminar am 9. März wird eine Entscheidungsgrundlage geschaffen, auf deren Basis bereits jetzt Anpassungen für die Angriffsvektoren von morgen vorgenommen werden können. Häufig außer Acht gelassen werden zudem die synergetischen Potenziale der Schnittstellen zwischen IT-Sicherheit

und Datenschutz. Hintergrund ist sicherlich die lange währende getrennte Betrachtung der beiden Domänen. Doch spätestens seit dem Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und den darin geforderten technisch-organisatorischen Maßnahmen zum Schutze personenbezogener Daten beginnt die Trennschärfe der beiden Bereiche zu verschwimmen. Am 10. März lernen Teilnehmende des Online-Seminars Synergetische Schnittstellen – Verantwortlichkeiten von ITSicherheits- und Datenschutzbeauftragten beide Rollen und deren Verantwortlichkeiten kennen. Dabei liegt der Fokus vor allem darauf, Synergien zu nutzen und dafür notwendige organisatorische Maßnahmen umzusetzen. Ausschließlich dem Arbeitsfeld Datenschutz widmet sich das dazugehörige Praxislab am 16. März. Dabei stehen elementare Aufgaben von Datenschutzbeauftragten im Fokus, deren Ausführung jedoch regelmäßig mit Unsicherheiten verbunden sind: Datenschutz-Folgeabschätzung, -Audits und Incident Management. Die genannten Kurse sowie das gesamte Seminarprogramm 2021 finden Sie auf www.cyberakademie.de

Online-Seminare März 2021

■ Threat Intelligence Webinar: 25.02.2021 Workshop: 04.03.2021 ■ Zertifizierter Business Continuity Manager (mit TÜV-Rheinland-geprüfter Qualifikation) 01.-05.03.2021 ■ Identity and Access Management: Bedarf, Planung, Umsetzung 02.03.2021 ■ Datenbanksicherheit im Big Data Management 03.03.2021 ■ Deep Fakes und Implikationen für die Behörden- und Unternehmenssicherheit 09.03.2021 ■ Wenn der Drucker zum Sicherheitsrisiko wird – Security-Praxis in Druck- und Dokumenteninfrastrukturen 10.03.2021 ■ Synergetische Schnittstellen – Verantwortlichkeiten von IT-Sicherheits- und Datenschutzbeauftragten 10.03.2021 ■ Lernpfad Kryptowährungen 16.-25.03.2021 ■ Lernpfad Darknet 16.-25.03.2021

Anmeldungen und Programm 2021: www.cyber-akademie.de

Grafik: BS/Dach unter Verwendung von ribkhan, stock.adobe.com

NEUES AUS DER CYBER AKADEMIE


MEDIATHEK www.digitaler-staat.online

Der Digitale Staat Online greift die Aufbruchstimmung und den Digitalisierungsschub, der durch die Pandemie ausgelöst wurde, auf. Er hat einen Diskussionsprozess gestartet, der kontinuierlich den Digitalisierungsprozess in der Verwaltung begleitet, damit Deutschland auch in diesem Bereich zu den Spitzenreitern aufsteigt. Seit Frühjahr 2020 hat der Digitale Staat Online mit zahlreichen Formaten hochwertige Produktionen geschaffen, die einen wesentlichen Beitrag zur Beantwortung der wichtigsten Fragen und Herausforderungen für die Transformation der öffentlichen Verwaltung in und nach der Zeit der Pandemie leisten. Alle Formate hält die Mediathek des Digitalen Staats Online bereit: jederzeit abrufbar und DSGVO-konform. So setzt die Serie “Chefgespräche – das Interview” auf die Expertise und den Background von Entscheiderinnen und Entscheidern aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Beim Sofa-Talk geben Referentinnen und Referenten ihr Statement zur Digitalisierung und IT-Sicherheit ab und äußern sich zu spannenden Projekten. Die Themenserie “Lernender Staat” deckt auf, wo sich Deutschlands Verwaltung verbessern muss. Unter dem Reiter Webkonferenzen können Sie umfangreiche Online-Veranstaltungen wie den Münchener Cyber Dialog oder die Neue Mobilität kostenlos on demand abrufen. Dieser Content bietet der Community 400 Stunden fundiertes Wissen zu gesellschaftsrelevanten und digitalpolitischen Themen. In der Mediathek+ finden Sie exklusives Wissen und tiefgehende Fachdiskussionen zu aktuellen Fragestellungen, Diskussions­ runden und Webinaren mit Top-Entscheiderinnen und Entscheidern aus der Verwaltung, die Sie kostengünstig abrufen können.

Grafik: BS/Hoffmann; stock.adobe.com, Visual Generation

Schauen Sie vorbei auf www.digitaler-staat.online/mediathek.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Februar 2021

“D

as deutsche Gesundheitswesen soll in einer Krise wie dieser widerstandsfähig bleiben können. Deshalb haben wir beschlossen, eine Nationale Gesundheitsreserve mit Schutzausrüstung und Schutzmasken, Beatmungsgeräten und Medikamenten aufzubauen. So unterstützen wir im Notfall besonders diejenigen, die in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen arbeiten”, erklärte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Ziel der “Nationalen Reserve Gesundheitsschutz” (NRGS) des Bundes. Die Reserve mit 19 Standorten soll etwa den Bedarf eines halben Jahres decken können. 2023 soll die NRGS ihre Zielstruktur erreicht haben. Im Bundeshaushalt 2020 schlug diese Initiative schon mit 750 Millionen Euro zu Buche. Es würden jedoch Gespräche zur Frage eines Kostenbeitrags der Länder laufen, heißt es aus dem BMG. Aber nicht nur die Bundesregierung wurde auf dem Bereich der Vorhaltungen aktiv. Im Zuge der Pandemie wurde von der EU-Kommission und den EUMitgliedsstaaten beschlossen, rescEU-Kapazitäten für Lager von medizinischem Material aufzubauen. Zuletzt wurde die Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) mit der Koordination eines Standortes in Deutschland beauftragt. Die Gefahr einer Doppelstruktur zwischen NRGS und den Vorhaltungen von rescEU sei nicht zu befürchten, da das BMG an der Beantragung des Standorts beteiligt gewesen sei und einen Platz in der Advisory Group des Projekts habe, so die Hilfsorganisation. Dabei sind auf der Stufe der Länder auch schon Katastrophenschutzlager vorhanden. Die Länder sind durch ihre jeweiligen Brandund Katastrophenschutzgesetze zur Einrichtung eines solchen verpflichtet. Wobei die Vorhaltungen auf Länderseite teilweise noch nicht so lange bestehen, wie man denken könnte. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise besteht das Landeskatastrophenschutzlager erst seit 2016. Ebenso wie der Bund und die EU

Jeder für sich oder einer für alle?

KNAPP Erprobung gestartet

Beschaffen und Lagern im Katastrophenschutz (BS/bk) Als erste Konsequenz aus der Corona-Pandemie werden nun auf mehreren Ebenen Katastrophenschutzvorhaltungen aufgebaut und ­gestärkt. Verhindert werden sollen die Szenen aus dem vergangenen Jahr, bei denen Schutzausrüstung mancherorts knapp geworden war. Doch ist es sinnvoll, auf mehreren Ebenen Lager zu errichten und Infektionsschutzausrüstung zu beschaffen?

Mangelsituationen mit Infektionsschutzausrüstung sollen in Zukunft der Vergangenheit angehören. Doch welche Lagerstruktur ist dafür sinnvoll? Foto: BS/Hank Williams, pixabay.com

beschaffen auch die Länder eigenständig medizinische Ausstattung. Durch die Kompetenzverteilung bei der Gefahrenabwehr findet jedoch keine permanente Absprache zwischen den Beteiligten, was Beschaffung und Lagerung angeht, statt. Dies führte dazu, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern kurz vor der Entscheidung für die verschärfte Maskentragepflicht fünf Millionen FFP2-Masken beschaffte und in sein zentrales Katastrophenschutzlager einlagerte. Man wollte damit steigende Preise und eventuelle Einschränkungen bei der Verfügbarkeit umgehen. Natürlich stellt sich dabei die Frage, ob eine Zentralisierung der Beschaffungs- und Vorhaltungsmaßnahmen hier zielführend ist. Schließlich wurde im vergangenen Jahr immer häufiger von verschiedenen politischen Seiten eine Zentralisierung des Bevölkerungsschutzes, z. B. eine Zentral-

stellenfunktion beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), diskutiert. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann meinte dazu, dass “die Depotstrukturen des Bundes und der Länder nicht ausreichen, um auf eine Pandemie von nationalem Ausmaß zu reagieren”. Er schlägt deshalb vor, die Beschaffung von Schutzund Versorgungsmaterial zen­ tral zu organisieren. Es bedürfe eines zentralen, durch das BBK organisierten, vorausschauenden Beschaffungsvorganges, der zivile Ressourcen schnell und unbürokratisch bereitstellen könne. Gegen eine zentrale Organisation der Lagerung und Beschaffung spricht sich Dr. Alexander Götz, Abteilungsleiter Kommunales, Brand- und Katastrophenschutz im niedersächsischen Innenministerium, aus. Die Entwicklung zu mehr Katastrophen-

schutzlagern sei zu begrüßen und eine gute Entwicklung. Bei einer Zentralisierung der Beschaffungen bzw. der Katastro­phenschutzmaßnahmen auf Bundesebene befürchtet er, dass sich die Akteure auf Landes- oder Kommunalebene zu sehr auf die übergeordneten Strukturen verlassen und eigene Anstrengungen bei Vorhaltungen vernachlässigen könnten. Damit sei ein resilienter und flächendeckender Katastrophenschutz in Deutschland nicht gewährleistet. Dieses Problem sei zu Beginn der Pandemie schon in Ansätzen offensichtlich geworden. Die Bedarfsträger, wie Krankenhäuser, hätten sich zu sehr auf die Lieferketten verlassen und keine ausreichenden Vorhaltungen unterhalten. Die gleichzeitige Beschaffung von Material sieht Götz nicht von vornherein kritisch. “Wenn sich mehrere engagieren und

nur die Hälfte Erfolg bei den Beschaffungen hat, ist das besser, als wenn nur einer losläuft und keinen Erfolg hat”, erklärt Götz anschaulich. Dem pflichtet Mirko Temmler, Leiter des Niedersächsischen Landesamtes für Brand- und Katastrophenschutz (NLBK), bei. Er ist überzeugt: “Hätten wir eine zentrale Beschaffung und Lagerung im vergangenen Jahr nur auf Bundesebene gehabt, wären wir vermutlich nicht so resilient gewesen.” Durch die gemeinsamen Anstrengungen habe schnell wieder ein sicheres Versorgungsniveau hergestellt werden können. Ebenso setzt er ein großes Fragezeichen bei der Realisierbarkeit der zentralen Organisation der Materialversorgung. Lokale Bedürfnisse ließen sich vor Ort wesentlich leichter regeln. Beide sind sich auch einig, dass die Länder bewiesen hätten, dass sie Mangelsituationen wie die des Frühjahres 2020 bewältigen könnten. Dennoch müssten die Strukturen miteinander wachsen und die Maßnahmen zwischen Bund und Ländern gemeinsam koordiniert und harmonisiert werden. Jedoch sei eine pauschale Aufteilung von Beschaffungen zwischen Bund und Ländern nicht zielführend. Es brauche aber unbedingt eine stärkere Verpflichtung der Bedarfsträger zur Selbstvorsorge. Und leider ermöglichten die derzeitigen Finanzierungsmodalitäten der EU (z. B. durch Steuerpflichten der staatlichen Verwaltungsorganisationen der Mitgliedsstaaten, ähnlich wie in Deutschland die Länder oder Kommunen) keine Synergien wie z. B. gemeinsames Lagerpersonal oder gemeinsame Räumlichkeiten für Mehrfachnutzungen der Lagerkapazitäten.

(BS/mfe) In Nordrhein-Westfalen hat die Pilotphase zur Erprobung des Distanzelektroimpulsgerätes (DEIG) im Wachdienst der Landespolizei begonnen. Die ersten Geräte wurden an Beamte in Dortmund, Düsseldorf und Gelsenkirchen übergeben. Zunächst werden die Waffen grundsätzlich nur in statischen Einsatzlagen erprobt, bei denen andere Zwangsmittel mit Blick auf eine sichere Lagebewältigung nicht erfolgversprechend sind. Bei der Auswahl der Pilotbehörden wurde darauf geachtet, dass sie die ganze Bandbreite der polizeilichen Arbeit im Land abdecken und die Testergebnisse repräsentativ für die gesamte nordrheinwestfälische Polizei sein dürften. Mindestens zwölf Monate soll nun die Erprobungsphase dauern.

Krisenfrüherkennung mit KI (BS/df) Das Kompetenzzen­trum Krisenfrüherkennung der Universität der Bundeswehr in München forscht aktuell an einem softwarebasierten Vorhersagemodell für Krisen und Konflikte. “Wir forschen an Software bzw. an Modellen, die auf Künstlicher Intelligenz, kurz KI, basieren”, beschrieb Prof. Dr. Carlo Masala, der aktuell das Kompetenzzentrum an der Universität aufbaut. “Diese Modelle stehen dann den Analysten des militärischen Nachrichtenwesens im Verteidigungsministerium zur Verfügung. Wir bespielen und trainieren diese Modelle. Das heißt, wir füttern sie mit den für uns relevanten und frei zugänglichen Daten von Statistiken bis Zeitungsmeldungen und aktualisieren diese ständig. Der Mitarbeiter kann dann anhand von Prognosen dieser Modelle sehen, wie sich die Situation in einem bestimmten Land entwickelt.” Mithilfe der KI sollen dann sogar terroristische Aktionen, illegale Vereinigungen, sich anbahnende Krisen und Konflikte sowie Radikalisierungen frühzeitig erkannt werden.

Digitaler Katastrophenschutzkongress 2021 Digitaler Austausch in der Krise – von der Forschung in die Praxis

23. & 24. März 2021 Stephan Mayer Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat

Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas Staatssekretär beim Bundesministerium für Bildung und Forschung

Armin Schuster Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe

Tobias Koch

Bundesregierung / Sandra Steins.

Bildkraftwerk/ Jürgen Schulzki

www.katastrophenschutzkongress.de

Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Sylvia Thun Professorin für Informations- und Kommunikationstechnologien, Direktorin Competence Center eHealth, Hochschule Niederrhein Thomas Rafalzyk.


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o fordert etwa der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Dietmar Schilff, angesichts der außergewöhnlichen pandemischen Situation eine Umkehr der Beweislast. Da es im Zusammenhang mit der Corona-Lage vermehrt zu Einsätzen komme, in denen sich die Beamtinnen und Beamten nicht ausreichend gegen eine Infektion schützen könnten, sollte künftig der Dienstherr nachweisen müssen, dass die Infektion im privaten Umfeld und nicht während des Dienstes erfolgte. Schilff betonte: “Die besondere Pandemie-Situation erfordert eine besondere Fürsorge. Das ergibt sich auch aus der besonderen Dienstpflicht, die der Dienstherr von seinen Beamtinnen und Beamten erwartet.” Bislang, so ist aus mehreren Polizeigewerkschaften zu hören, würden entsprechende Dienstunfallanzeigen beziehungsweise Anträge auf Anerkennung als Dienstunfall in der Regel mit dem Argument der fehlenden Kausalität abgelehnt. Es sei nicht auszuschließen, dass die Infektion im privaten Umfeld stattgefunden habe, wird dann zur Begründung angeführt. Nur in Baden-Württemberg habe es einige Anerkennungen gegeben, heißt es aus der GdP, die zu diesem Thema auch den derzeitigen Vorsitzenden der Innenministerkonferenz (IMK), Thomas Strobl (CDU), angeschrieben hat. In Bayern hingegen hätten zahlreiche Betroffene bereits Negativbescheide des zuständigen Landesamtes für Finanzen erhalten. Gegen diese sind allerdings bereits Klagen vor Gericht anhängig. Der Ausgang der Verfahren, die es auch in anderen Bundesländern bereits gibt, bleibt abzuwarten. Die GdP plant nun eine Musterklage. Dazu meint Schilff: “Da zum aktuellen Zeitpunkt noch kein abschlie-

Bislang oft nicht anerkannt Corona-Infektionen werden kaum als Dienstunfälle gewertet (BS/Marco Feldmann/Jörn Fieseler) Infizieren sich Polizeibeamte mit dem Coronavirus, müssen sie sich bislang oftmals selbst um ihre medizinische Versorgung kümmern. Von den Dienstherren werden die Erkrankungen nur äußerst selten als Dienstunfälle anerkannt. Gewerkschaften kritisieren das und verlangen eine Anpassung des Versorgungsrechts. ßendes Wissen über Spätfolgen vorhanden ist, ist dieser Musterprozess von grundsätzlicher, bundesweiter Bedeutung.” Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) plädiert für eine Anerkennung von Corona-Infektionen als Berufskrankheit. Hierzu hat sie sogar einen Brief an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verfasst. Ihr wiedergewählter Bundesvorsitzender Rainer Wendt sagte: “Es kann nicht sein, dass erkrankte Kolleginnen und Kollegen sowie ihre Angehörigen mit dieser schlimmen Krankheit und ihren Folgen allein gelassen werden. Hier ist eindeutig der Dienstherr gefragt.” Die Beweislast für die Ansteckung dürfe nicht auf die Einsatzkräfte abgewälzt werden. Die DPolG unterstütze auf Landesebene im Wege des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes bereits einige Klagen zur Anerkennung von Corona-Infektionen als Dienstunfall. Wichtiger als das sei es aber, die Rechtslage anzupassen. Die beste Ausgangslage dazu gebe es derzeit bei der Bundespolizei, so Wendt gegenüber dem Behörden Spiegel. Denn für diese könnte das Bundesinnenministerium (BMI) als für das Dienstrecht zuständiges Ressort die Anlage eins zur Berufskrankheiten-Verordnung anpassen. Hier müssten laut dem Bundesvorsitzenden der DPolG Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, Atemwegserkrankungen wie Covid-19 als Infektionskrankheiten im

Andreas Roßkopf: Ich möchte unter anderem bereits begonnene und angestoßene Projekte fortsetzen. Da geht es zum Beispiel um Zulagen und die Novelle des Bundespolizeigesetzes. 2021 rufen wir zudem zum Jahr der Arbeitszeit aus. Wir wollen uns unter anderem mit der Wochenarbeitszeit und Langzeitarbeitskonten bei der Bundespolizei befassen. Behörden Spiegel: Was ist Ihnen persönlich wichtig?

Sinne der Berufskrankheitennummer 3101 der Anlage zur Verordnung eingestuft werden. Zudem komme es darauf an, den Polizeiberuf in diese Position aufzunehmen. Die GdP Bundespolizei hält das Verordnungsrecht nicht für Pandemiezeiten geeignet und will eher eine Reform des einschlägigen Paragrafen 31 des Beamtenversorgungsgesetzes erreichen. Zudem sei eine Änderung der BerufskrankheitenVerordnung nicht zu erwarten

und könne auch nicht durch das BMI erfolgen, sondern eher durch das Bundesarbeitsministerium. Von dort heißt es, die Aufnahme von Polizisten in die Berufskrankheitennummer sei nicht beabsichtigt. Auch das BMI will keine Anpassung vornehmen. Die Anerkennung einer CoronaErkrankung als Berufskrankheit sei bereits nach der geltenden Berufskrankheitenliste möglich, wenn die entsprechenden Vo­ raussetzungen vorlägen. Diese wären gegeben, wenn statistisch-

epidemiologische Erkenntnisse über eine dem Gesundheitsbereich vergleichbare, überhäufige Infektionsrate im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung vorlägen. Solche Erkenntnisse lägen dem Bundesarbeitsministerium derzeit allerdings nicht vor. Als Berufskrankheit für Tarifbeschäftigte anerkannt werden kann eine Corona-Erkrankung laut Deutscher Gesetzlicher Unfallversicherung (DGUV) übrigens nur, wenn die erkrankte Person im Gesundheitsdienst, der

GdP Bundespolizei will noch engere Bindung zu Mitgliedern (BS) Andreas Roßkopf steht noch recht frisch an der Spitze des Bezirks Bundespolizei in der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Über seine Agenda, seine Ziele und Herausforderungen für die Bundespolizei sprach er mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellte Marco Feldmann. den Dienststellen haben. Denn nur so gelingt es, die unmittelbaren Beschwerden und Nöte der Mitarbeiter aufzunehmen. Behörden Spiegel: Wie soll das in Pandemiezeiten gelingen? Roßkopf: Seit über einem Jahr ist für uns als überregionale “Dienststellenfremde” der Zugang zu den Dienststellen der Bundespolizei vor Ort beschränkt. Wir versuchen das über die verstärkte

Andreas Roßkopf (l.) ist Vorsitzender des Bezirks Bundespolizei in der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Im Gespräch mit Behörden Spiegel-Redakteur Marco Feldmann (r.) ging es unter anderem um seine Agenda, die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bundespolizei und seinen Gewerkschaftsbezirk sowie die geplante Reform des Bundespolizeigesetzes. Foto: BS/Hübinger

Roßkopf: Ich möchte dem Bezirk Bundespolizei ein Stück weit meinen Stempel aufdrücken. Mir geht es vor allem darum, einen noch intensiveren Kontakt als bislang zur Basis und den Mitgliedern zu haben. Es geht darum, die Bindung jedes einzelnen Mitglieds zu uns weiter zu verstärken. Ich möchte noch mehr Ansprechpartner der Gewerkschaft der Polizei vor Ort in

Corona-Infektionen von Polizisten werden von den Dienstherren bislang kaum als Dienstunfälle und auch nicht als Berufskrankheit anerkannt. Hier fordern Gewerkschafter ein rasches Umdenken. Foto: BS/Tumisu, pixabay.com

Kontakt weiter intensivieren

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ehörden Spiegel: Herr Roßkopf, Sie sind der neue Vorsitzende des Bezirks Bundespolizei in der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Welche Ziele verfolgen Sie?

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Nutzung Sozialer Medien und durch die Kollegen vor Ort, also in den einzelnen Dienststellen, zu kompensieren. Dabei handelt es sich um Personalratsmitglieder, Vertrauensleute der Gewerkschaft der Polizei und GdP-Ansprechpartner. Diese kommunizieren dann Probleme an uns weiter, damit wir sie in die Politik einbringen können. Wir als Gewerkschafter dürfen

die Dienststellen zwar betreten, die Gespräche mit den Kollegen vor Ort sind jedoch kaum möglich und zum Teil auch durch die Behördenleitungen nicht erwünscht. Behörden Spiegel: Im Rahmen Ihrer Wahl sind zahlreiche langjährige Vorstandsmitglieder Ihres Bezirks ausgeschieden. Wie wollen Sie den Expertisenverlust ausgleichen? Roßkopf: Wir wussten schon sehr lange, wann langjährige Mitglieder des Bezirksvorstandes ausscheiden. Darauf haben wir uns schon länger vorbereitet und einen umfangreichen Wissenstransfer betrieben. Dieser ist bereits vor mehr als einem Jahr angestoßen worden. Zudem wurden ja nicht alle Mitglieder des Vorstandes gleichzeitig ausgetauscht. Es ist immer noch genügend Wissen und Erfahrung vorhanden. Behörden Spiegel: Wie hat sich die Pandemie auf die Arbeit Ihres GdP-Bezirks ausgewirkt? Roßkopf: Als Gewerkschaft mussten wir uns aufgrund der Corona-Pandemie sehr schnell umstellen. Denn eigentlich leben wir davon, uns miteinander und von Angesicht zu Angesicht auszutauschen. Das ist unsere Stärke. In Pandemiezeiten geht das aber kaum noch. Darauf haben wir rasch reagiert und vieles ins Digitale verlegt. So halten wir etwa auch Vorstandssitzungen inzwischen entweder hybrid oder sogar gänzlich digital ab. Das funk-

tioniert zwar recht gut, ersetzt die Präsenzveranstaltung jedoch nur ansatzweise. Behörden Spiegel: Und welche Auswirkungen gab es auf die Bundespolizei als Behörde? Roßkopf: Die Digitalisierung der Behörde ist noch nicht so weit vorangeschritten, als dass sie alltagstauglich wäre. Hier erweist sich die Bundespolizei als zäh und langsam. Das liegt allerdings auch an Vorgaben aus dem politischen Raum sowie an datenschutzrechtlichen Hindernissen. Bei Weitem noch nicht überall sind die erforderlichen Kommunikationswege auch tatsächlich eingerichtet. Das gilt vor allem für die Kolleginnen und Kollegen, die bei der Bundespolizei im Innendienst tätig sind. Behörden Spiegel: Wie bewerten Sie das Einigungspapier der Großen Koalition zur Novelle des Bundespolizeigesetzes?

Roßkopf: Wir haben überhaupt nicht mehr daran geglaubt, dass es tatsächlich noch zu einer Novellierung des Bundespolizeigesetzes kommt. Das Projekt war trotz all unserer Bemühungen auf gewerkschaftlicher Seite eigentlich totgesagt. Umso mehr begrüßen wir natürlich, dass hier doch noch ein Eckpunktepapier zustande gekommen ist. Besonders freuen wir uns, dass die Bundespolizei eine Zuständigkeit bei Verbrechenstatbeständen im Bereich ihrer originären Zuständigkeit erhalten soll. Da geht es unter anderem um Menschenhandel, Schleusungskriminalität sowie aufenthaltsbeendende Maßnahmen.

Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit in ähnlichem Maße infektionsgefährdet gewesen sei. Erfolgt eine Infektion mit dem Coronavirus infolge einer Beschäftigung außerhalb dieser Tätigkeitsbereiche, kann dies jedoch einen Arbeitsunfall darstellen. Dabei muss die Infektion auf eine nachweislich mit dem Virus infizierte Person, eine “Indexperson”, zurückzuführen sein. Dies setzt einen intensiven beruflichen Kontakt mit der “Indexperson” voraus. Hier sind vor allem die Dauer und die Intensität des Kontaktes entscheidend. Lässt sich keine konkrete Indexperson feststellen, kann laut DGUV im Einzelfall auch eine größere Anzahl nachweislich infizierter Personen innerhalb eines Betriebs oder einer Einrichtung ausreichen. Dies gelte auch, wenn die Infektion auf dem Weg zur oder von der Arbeit eingetreten sei. Infektionen, die in grundsätzlich unversicherten Lebensbereichen, wie etwa beim Kantinenbesuch oder in Gemeinschaftsunterkünften, eintreten, können nur in eng begrenzten Ausnahmefällen als Arbeitsunfälle gelten. Voraussetzung für eine Anerkennung ist, dass dort eine gesteigerte Infektionsgefahr besteht, die ausnahmsweise dem unternehmerischen Verantwortungsbereich zuzurechnen ist und der sich die versicherte Person nicht oder nur unter unzumutbaren Umständen entziehen kann. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob im maßgeblichen Infektionszeitraum Kontakt zu anderen “Indexpersonen” außerhalb der versicherten Tätigkeit bestand und ob dies einer Anerkennung als Arbeitsunfall entgegensteht. Diese Regelungen zu Arbeitsunfällen mit Blick auf Tarifbeschäftigte dürften im Übrigen auch analog für Beamte und Dienstunfälle von diesen gelten.

ins Landesinnere hinein benötigt. Vorgesehen sind nur 30 Kilometer. Und seeseitig müssten es 80 Kilometer und nicht nur 50 Kilometer sein. Denn die Fahrwege haben sich verändert. Sie sind breiter und schneller geworden. Außerdem werden zunehmend hochmotorisierte Fahrzeuge im Bereich der Schleusungskriminalität genutzt. Damit werden die eben genannten Distanzen rasch überbrückt und die Zuständigkeit der Bundespolizei an den Grenzen endet damit recht schnell. Behörden Spiegel: Wie stehen Sie zur Bayerischen Grenzpolizei?

Roßkopf: Wir monieren, dass die Zuständigkeiten der Bundespolizei an den Grenzen nicht erweitert wurden. Wir hätten dringend eine Zuständigkeit der Bundespolizei bis 50 Kilometer

Roßkopf: Grenzschutz ist eine Bundesaufgabe. Hier haben uns mehrere Gerichtsurteile Recht gegeben. Deshalb habe ich mich stark dagegen gewehrt, die Bayerische Grenzpolizei in der Form einzuführen, wie sie nun existiert. Aber jetzt gibt es sie wieder. Und man muss festhalten, dass die Zusammenarbeit zwischen Bundespolizei und Bayerischer Grenzpolizei inzwischen sehr gut funktioniert. Dennoch bleibe ich dabei, dass es keine Bayerische Grenzpolizei gebraucht hätte. Diese Aufgabe kann der Bund selbst und gut wahrnehmen.

Rede ist von einem monatlichen Betrag in Höhe von 300 Euro. Dieser soll rückwirkend ab dem 1. Januar 2021 ausgezahlt werden. Allerdings sollen die Mittel nur an Beamtinnen und Beamte fließen. Das kritisieren Gewerkschaften. So verlangen die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) eine Ausweitung auch auf Tarifbeschäftigte. Außerdem wird

gefordert, die Zulage zu dynamisieren und bereits rückwirkend ab Jahresbeginn 2020 zu zahlen. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass Kolleginnen und Kollegen, die erfolgreich Taten aufgeklärt hätten, inzwischen aufgrund der hohen psychischen Belastung jedoch wieder in einer anderweitigen Verwendung tätig seien, nicht mehr von der Zulage profitieren könnten.

Behörden Spiegel: Und was kritisieren Sie?

MELDUNG

Zulage geplant (BS/mfe) In Nordrhein-Westfalen sollen Polizeibeamte, die für Ermittlungen kinderpornografisches Material auswerten müssen, künftig eine Erschwerniszulage erhalten. Dies sieht ein entsprechender Verordnungsentwurf vor, der laut Düsseldorfer Innenministerium allerdings noch nicht im Kabinett behandelt, jedoch bereits von Minister Herbert Reul (CDU) erwähnt wurde. Die


Innere Sicherheit

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Es braucht Vernetzung Kriminalität kann nur noch übergreifend bekämpft werden (BS/Marco Feldmann) Kriminalität muss noch stärker als bislang vernetzt bekämpft werden. Dafür braucht es das Engagement sowie das untereinander abgestimmte Agieren mehrerer Behörden. Und der Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Akteuren muss funktionieren. Anders ließe sich nicht mehr effektiv gegen Clan- und Organisierte Kriminalität (OK) vorgehen, meint der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU). Zudem brauche es angesichts von Digitalisierung, Virtualisierung und Europäisierung Reformen bei den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) und internationale Zusammenarbeit, ist er sich mit Ministerpräsident Armin Laschet (ebenfalls CDU) einig. Reul betont: “Wer über Sicherheit redet, muss über Grenzen hinweg denken.” Anderenfalls könnten rechtsfreie Räume entstehen, was keinesfalls hingenommen werden dürfe. Denn, so Regierungschef Laschet: “Sicherheit ist die Grundlage für die Freiheit und ein wichtiger Pfeiler der Demokratie.” Eine Gefahr sieht Reul jedoch darin, dass die BOS den Kriminellen aufgrund fehlender Befugnisse technisch hinterherhinken. Um das zu verhindern, braucht es aus Sicht des CDU-Politikers

wieder die Vorratsdatenspeicherung, die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und das Recht der Sicherheitsbehörden zur Online-Durchsuchung. Vor einem Vorsprung der Verbrecher und Extremisten gegenüber den BOS aufgrund fehlender Eingriffsnormen für diese warnt im Übrigen auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang. Hier seien jedoch neben nationalstaatlichen Regelungen auch europarechtliche Vorgaben zu berücksichtigen, gibt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Antisemitismusbeauftragte des Landes NordrheinWestfalen, zu bedenken.

Europa kann helfen Die europäische Ebene, die laut Laschet und Reul weiter gestärkt werden müsse, könne bereits jetzt die Nationalstaaten maßgeblich bei der Kriminalitätsbekämpfung unterstützen. So habe ihre Behörde einen großen Analysefaktor mit Blick

auf die Auswertung polizeilicher Datenbanken, unterstreicht die Direktorin des europäischen ­Polizeiamtes Europol, Catherine De Bolle. Eine Herausforderung für die Behörde mit Sitz im niederländischen Den Haag seien momentan allerdings die riesigen zu analysierenden Datenmengen. Dies gelinge nur mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellen Lernens. Dabei finde trotz großer Datenmengen infolge der digitalen Kommunikation keine Massenüberwachung durch seine Behörde statt, erläutert Dr. Bruno Kahl. Bei diesem Terminus handelt es sich aus Sicht des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) um einen “politischen Kampfbegriff”. Zumal KI Polizeibeamte und Nachrichtendienstmitarbeiter nur unterstützen und ihnen helfen könne. Die endgültige Entscheidung und strafrechtliche Vorbewertung eines Sachverhalts müsse trotzdem weiterhin ein Mensch treffen, unterstreicht Sebastian

Fiedler, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).

Prävention am wichtigsten Dies gilt ganz besonders in Fällen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sowie bei Kinderpornografie. Der Kampf dagegen sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die alle Akteure fordere, sind sich der nordrhein-westfälische Familienminister Dr. Joachim Stamp (FDP) und die Opferschutzbeauftragte des Landes, Elisabeth AuchterMainz, einig. Hier brauche es noch stärkere Bemühungen zum Kinderschutz, verlangt der Freidemokrat. Zudem komme es darauf an, die entsprechende Expertise bei den Jugendämtern auszubauen und sexuellen Kindesmissbrauch grundsätzlich als Verbrechen zu ahnden. AuchterMainz hält die bereits erfolgten und weiter beabsichtigten Strafverschärfungen für ein “gutes Signal”. Prävention sei jedoch weiterhin am wichtigsten.

“Dazu gibt es wenige bis keine Zahlen” Unklares Bild zum Zeugenschutz in Deutschland (BS) Es gebe kein ausreichendes Hellfeld im Bereich der Zeugenbeeinflussung, sagt SPD-Bundestagsabgeordnete Kirsten Lühmann. Sie fordert eine Untersuchung über mögliche strukturelle Probleme in dem Bereich. Die Fragen stellte Behörden Spiegel-Volontär Bennet Klawon. Behörden Spiegel: Wie gestaltet sich der Zeugenschutz in Deutschland?

und möglicherweise den Zeugen oder dessen Familienangehörige bedroht.

Kirsten Lühmann: Es gibt die Zeugenschutzfälle, bei denen die Behörden Personen in den Zeugenschutz nehmen. Das ist bei Organisierter Kriminalität, Staatsschutz und schweren Delikten der Fall. Genaue Zahlen zum Zeugenschutz in Deutschland sind schwierig zu bekommen. Die letzten Zahlen, die mir vorliegen, sind aus dem Jahr 2006. Es gab in diesem Jahr 330 Zeugenschutzfälle. Davon waren aber 266 aus dem Vorjahr. 55 Personen konnten aus dem Zeugenschutz entlassen werden. Das bedeutet, dass es 2006 64 neue Zeugenschutzfälle gab. Die meisten kamen aus Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität sowie bei schwerwiegenden Delikten.

Behörden Spiegel: Was wird dagegen unternommen? Lühmann: Es ist ein Referentenentwurf zur “Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften” eingebracht worden. Dieser sieht vor, dass in begründeten Fällen darauf verzichtet werden muss, die ladungsfähige Adresse von Zeugen im Gerichtssaal zu nennen. Normalerweise müssen sich Zeugen vor Gericht mit Namen, Alter und einer ladungsfähigen Anschrift vorstellen. So würde der Beschuldigte jedoch an die Adresse gelangen. Dies kann mit dem Gesetz vermieden werden. Das ist jedoch nur eine Problematik dabei. In der Regel kriegt der Anwalt des Beschuldigten die ge-

mentan besteht, ist Folgendes: Wir haben keine gesicherte Datenbasis. Wir wissen zwar, wie viele Personen jedes Jahr in den Zeugenschutz genommen werden und wie viele den Zeugenschutz verlassen. Aber dies ist nur die Spitze des Eisberges, wenn es um Zeugenbeeinflussung geht. So gab es einen Fall in Lüneburg, in dem ein Familienangehöriger von einem Beschuldigten versucht hat, Zeugen zu beeinflussen. Diese Person wurde dann bis zum Ende des Verfahrens in Haft genommen. Die Frage ist nur, welche Wirkung haben diese Beeinflussungen und ist es ein strukturelles Problem? Dazu möchte ich gerne Zahlen haben. Behörden Spiegel: Was möchten Sie dabei genau wissen? Lühmann: Ich möchte wissen: Wie oft passiert so was. Wie oft erfährt ein Richter oder eine Rich-

“Wie oft haben Polizisten und ­ olizistinnen mit diesem ProbP lem zu kämpfen, mit dem ich als ­Polizistin in mehreren Fällen zu kämpfen hatte?”

Kirsten Lühmann ist Bundestagsabgeordnete und sitzt als Obfrau für die SPD-Bundestagsfraktion im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Ebenso ist Lühmann Polizeibeamtin und Mitglied der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Foto: BS/Marco Urban

Behörden Spiegel: Was ist mit den anderen Deliktbereichen? Lühmann: Wir können nicht jeden Zeugen, wie beispielsweise bei einem Mord, in den Zeugenschutz nehmen. Zu einer Aussage vor Gericht sind Zeugen in Deutschland zwar auch verpflichtet, jedoch muss dafür gesorgt werden, dass sich diese Zeugen sicher fühlen. Der Knackpunkt ist immer, dass die Zeugen Angst haben, dass der Beschuldigte die Adresse mitbekommt, dann diese ausspioniert

samte Ermittlungsakte und in dieser steht die Adresse des Zeugen drin. Dieses Problem wurde schon von mehreren Stellen angemahnt. In solchen Fällen brauchen wir im Prinzip eine zweite Akte ohne die Adresse oder es muss eine postlagernde Adresse geben. Behörden Spiegel: Wo sehen Sie weiteren Verbesserungsbedarf beim Zeugenschutz? Lühmann: Der Zeugenschutz ist insgesamt in Deutschland gut aufgestellt. Das Problem, das mo-

terin von solchen Vorgängen? Wie oft kriegt ein Polizeibeamter oder eine Polizeibeamtin das mit? Dazu gibt es wenige bis keine Zahlen. Wir wissen nur von Fällen in der Organisierten Kriminalität. Dies sind aber nur die gravierenden Fälle. Aber wenn wir ein paar Stufen runtergehen, finden wir auch Fälle von Beeinflussung bei ganz anderen Delikten wie Straßenraub oder schwerer Körperverletzung. Diese Fälle haben wir nicht aufgearbeitet. Darum hat die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) Berlin einen Fragebogen

entwickelt, der an die Polizei gegeben werden sollte. Die Polizeien sind die Ersten, die mit Zeugen zu tun haben. Ich weiß aus eigener Erfahrung als Polizeibeamtin, dass Zeugen manchmal Angst davor haben, auszusagen, dass der Beschuldigte die Adresse erfährt. Dies zeigt auch, dass Zeugen teilweise schon vorher eingeschüchtert sind. Ich möchte auch wissen: Wie oft haben Polizisten und Polizistinnen mit diesem Problem zu kämpfen, mit dem ich als Polizistin in mehreren Fällen zu kämpfen hatte? Wie ist das Ganze ausgegangen und was könnte auch da helfen? Wir haben jede Menge Dunkelfälle. Wir müssen aber ein Hellfeld kriegen, und zwar nicht nur für Organisierte Kriminalität, sondern auch für die anderen Gewaltbereiche. Das ist die erste klare Forderung: Wir brauchen eine Untersuchung, wie weit das Thema Zeugenbeeinflussung verbreitet ist. Dies kann durch einen Fragebogen wie den von der DPolG, oder durch eine wissenschaftliche Begleitung geschehen. Das Schlimmste, was passieren kann, und das sehe ich schleichend kommen, ist, dass sich Menschen weigern, sich als Zeugen zur Verfügung zu stellen, weil sie einfach Angst haben, dadurch Nachteile zu erleiden. Behörden Spiegel: Was soll aus dieser Untersuchung folgen? Lühmann: Es muss geprüft werden, ob neben der Nicht-Nennung der Zeugenadresse noch weitere Maßnahmen in das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung müssen. Dies ist die eine Sache. Zum anderen können konkrete Maßnahmen folgen, wenn wir wissen, worum es geht. Wenn wir die gleichen Probleme der Zeugenbeeinflussung bei mittlerer oder niederer Gewaltkriminalität wie bei der Organisierten Kriminalität haben, müssen wir reagieren. Bei strukturellen Problemen müssen wir uns überlegen, wie wir das Vertrauen der Zeugen und Zeuginnen in das Verfahren und in die Notwendigkeit, dass sie aussagen, wiederherstellen.

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Katastrophenschutz

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ehörden Spiegel: Wo steht der europäische Katastrophenschutz heute? Dr. Felix Bloch: Zunächst ist es wichtig, zu wissen, dass es “den” europäischen Katastrophenschutz im Sinne einer Politik der EU ja erst seit sehr Kurzem gibt, eigentlich erst seit ca. zehn Jahren. Und von einer “kohärenten Politik” kann da eigentlich bis heute nicht die Rede sein. Dies liegt auch daran, dass der Vertrag der EU nur eine “begleitende Kompetenz” einräumt. Dies bedeutet: koordinieren, begleiten, aber gleichzeitig auch Begrenzung der Gestaltungsmacht. Anders formuliert: Die Mitgliedsstaaten spielen nach wie vor die erste Geige.

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Grenzübergreifend lernen Der Aufbau eines EU-Wissensnetzwerks hat begonnen (BS) Hitzewellen und damit verbundene Vegetationsbrände machten den Feuerwehren in Deutschland in den letzten Jahren zu schaffen. Die südlichen EU-Staaten, wie Italien und Spanien, kennen dieses Problem schon länger. Gerade im Katastrophenschutz könnten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union voneinander lernen, sagt Dr. Felix Bloch, Leiter des Referats “Knowledge Network and Evidence-based Policy“ in der Generaldirektion Europäischer Katastrophenschutz und Humanitäre Hilfe (ECHO). Die Europäische Union will mit einem Netzwerk unterstützen. Die Fragen stellte Behörden Spiegel-Volontär Bennet Klawon. Behörden Spiegel: Wie kann diese Verbesserung denn konkret aussehen?

Entscheidend ist für mich der “ Als EU-Kommission müssen wir Aspekt der engen Zusammenarbeit genau zuhören, was die Bloch: Die Kommission hat bemi t d en M ittatsächlichen Bedarfe reits einige Verbesserungen an gliedsstaaten. dem derzeitigen Regelwerk, dem Als EU-Kommisder Mitgliedsstaaten sind.” sog. Unionsverfahren zum Katas­ sion müssen wir trophenschutz, vorgeschlagen. genau zuhören, Die Einführung von rescEU, d. h. was die tatsächDr. Felix Bloch ist seit Oktober 2019 Leiter des Referats “Knowledge Network and Evidence-based Policy” in der Einheiten, wie Löschflugzeuge, lichen Bedarfe Generaldirektion Europäischer Katastrophenschutz und die durch die Mitgliedsstaaten der MitgliedsHumanitäre Hilfe (ECHO). Behörden Spiegel: Ist dies aus betrieben werden, aber ganz westaaten sind. Foto: BS/privat Ihrer Sicht ein Problem? sentlich vom EU-Haushalt finanDaher haben ziert werden, und die dann für wir die letzten Bloch: Zunächst: Die Kommis- EU-Einsätze zur Verfügung steMonate dazu gesion ist selbst “Hüterin der Ver- hen. Dies macht vor allem dann Aufbau. Im Kern geht es schlicht sichtbar werden. Es geht dabei nutzt, in den Dialog mit jedem träge” und hat sich nach deren Sinn, wenn es sich um besonders um Folgendes: Durch besseren um eine Dynamik des gegenseiti- einzelnen Mitgliedstaat zu treten. Inhalt zu richten. Bislang ist teure Einheiten handelt. Stich- Austausch und Vernetzung kön- gen voneinander Lernens. Nur ein Dies war recht aufwendig, mit mir keine Initiative bekannt, die wort: “economies of scale”. Diesen nen alle Akteure in Europa mehr Beispiel: Wir sind in Deutschland 27 Mitgliedsstaaten und sechs diese Grundstruktur der Kom- Ansatz entwickeln wir derzeit voneinander lernen, gemeinsam in den letzten Jahren mit heiße- sog. teilnehmenden Staaten, schrittweise nachdenken, etwa über Szenari- ren und trockeneren Sommern aber letztlich unabdingbar für petenzverteilung ändern möchweiter, z. B. im en, gemeinsam üben, gemeinsam konfrontiert und damit einer den Erfolg des Netzwerks. Der “Es geht dabei um te. Ich glaube, Bereich CBRN ausbilden und damit insgesamt Vegetationsbrandgefahr, die es Worst Case wäre, dass wir ein eine Dynamik des dies ist auch und medizi- in Europa besser aufgestellt sein. so bislang nicht gab. Im Mittel- Netzwerk an den Mitgliedsstaarichtig: Von der nische Not- All dies selbstverständlich auf meerraum gibt es diese Risiken ten vorbei basteln. Das kann gegenseitigen falllagen. Ich freiwilliger Basis. seit vielen Jahrzehnten. Warum ja dann nicht funktionieren. In Sachmaterie her voneinander glaube, das ist sind Mitgliedsalso nicht von Frankreich, Italien, Deutschland sind wir vor allem Lernens.” Behörden Spiegel: Was wird Spanien usw. lernen? Dabei kann mit dem Bundesministerium für staaten ja viel sinnvoll. Aber besser in der Inneres (BMI), dem Bundesamt jenseits von das Neue an dem EU-Wissensnetz die EU natürlich helfen. für Bevölkerungsschutz und KaLage, im Bereich des Katastro- Beschaffung müssen wir auch für Katastrophenschutz sein? Behörden Spiegel: Wer steht tastrophenhilfe (BBK) und dem phenschutzes lokal angepasst die Vernetzung stärken. Bloch: Bislang findet der Aus- hinter dem EU-Wissensnetz? Technischen Hilfswerk (THW), zu agieren. Eigentlich ist das ein Behörden Spiegel: Sie sprechen tausch eher punktuell statt, Paradebeispiel für das Subsidiaaber auch mit den Ländern im Bloch: Das Wissensnetz bau- Gespräch. ritätsprinzip. Daher muss es aus das Projekt eines EU-Wissensnet- etwa auf Konferenzen. Bislang meiner Sicht lauten: nicht “mehr” zes für Katastrophenschutz an. fehlt eigentlich eine übergrei- en wir derzeit auf. Gemeinsam Behörden Spiegel: Was soll in fende Struktur, in der die vielen mit den Mitgliedsstaaten. Unter EU-Kompetenz, sondern bessere Was wird damit bezweckt? bestehenden Aktivitäten auch deutscher Ratspräsidentschaft Zukunft noch passieren? Zusammenarbeit, besserer AusBloch: Ja, genau, dieses Wis- sektorübergreifend zusammenge- haben wir bereits wichtige Weitausch zwischen MitgliedsstaaBloch: In der ersten Jahresten und bessere Koordinierung. sensnetz befindet sich derzeit im führt werden können und damit chenstellungen vorgenommen. hälfte werden wir die Struktur und die einzelnen Aktivtäten zunächst weiter mit den Mitgliedsstaaten diskutieren. Wir wollen hier nichts mit heißer Nadel stricken. Aber ich hoffe, dass Rechtliche Unklarheit bei Triage dann im Herbst die Konturen, der (BS/bk) Der Schock kam zum Jahresende. Ein Arzt an einem sächsischen Klinikum sagte, man hätte Triage-Maßnahmen durchführen müssen. Grundriss des Netzwerks steht.

Unmöglichkeit der Auswahl

Also eine Priorisierung der Behandlung von Corona-erkrankten Personen bei nicht genügenden medizinischen Ressourcen. Ebenso positionieren sich unterschiedliche Behindertenverbände und fordern vom Gesetzgeber ein Verbot von Triage und eine rechtliche Regelung. Doch wie sieht der Behörden Spiegel: Wo sehen aktuelle rechtliche Rahmen in Deutschland überhaupt aus? Sie den Beitrag von deutscher Konkret forderten mehrere Behindertenverbände: “Die Ex-postTriage, also der Behandlungsabbruch zugunsten anderer, muss eindeutig gesetzlich verboten werden, da es sich hierbei um eine bewusste Tötung handelt.” Nach derzeitigen Empfehlungen zur Priorisierung von medizinischen Fachgesellschaften würden Menschen mit Behinderung weiter benachteiligt und ihr Lebensrecht infrage gestellt. Es müsse dafür ein diskriminierungsfreier Rechtsrahmen für die sogenannte Ex-ante-Triage geschaffen werden. Doch was verbirgt sich hinter Ex-post- und Ex-ante-Triage? Bei dem Begriff Ex-post-Triage handelt es sich um eine Verteilung von medizinischen Ressourcen wie beispielsweise von Beatmungsgeräten, bei der die Behandlung von einem Patienten zugunsten eines anderen abgebrochen wird. Bei der Exante-Triage wird die Auswahl der Ressourcenverteilung vor dem Behandlungsbeginn getroffen, d. h. bei zwei Patienten wird die Behandlung nur bei einem begonnen, während der andere leer ausgeht. Zudem kann es eine Kombination aus beiden TriageMaßnahmen geben. Dabei handelt es sich um eine präventive Maßnahme, mit der keine Behandlung begonnen wird, obwohl Kapazitäten vorhanden sind.

Wenig Bewegung bei Triage-Empfehlungen Die rechtliche Auseinandersetzung ist dabei nicht neu. Schon im Frühjahr veröffentlichte die Fachgesellschaft Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DI-

die Auswahl dann vorgenommen werden soll. Dabei kollidieren die Notwendigkeit einer Auswahl als auch die im Grundgesetz festgeschriebenen Grundrechte miteinander. Eine Auswahl der Patienten aufgrund von beispielsweise Alter, erwartbare Erfolgsaussicht oder Vorerkrankung sei mit dem im Grundgesetz verbürgten Werten nicht vereinbar. Merkel und Augsberger formulieren in einem Beitrag ganz klar: “Unzulässig sind gesetzliche Regelungen, die das menschliche Leben einer wie auch immer gearteten Bewertung unterziehen.” Die Auswahl der Patienten und die Zuweisung von knappen medizinischen Ressourcen in einer Triage-Situation stellen immer noch die Quadratur des Kreises dar. Foto: BS/Gerd Altmann, pixabay.com

VI) eine Handreichung für TriageEntscheidungen, die sich an der klinischen Erfolgsaussicht orientierte. Nach Protesten musste die Vereinigung ihre Empfehlung zurückziehen und neu formulieren. Seitdem ist in diesem Bereich wenig bis nichts passiert. Dies kritisiert der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin (DGKM), Prof. Dr. Leo Latasch. Durch die Aussage des sächsischen Arztes ist dieses Thema wieder auf der Tagesordnung. Rechtlich betrachtet gebe es immer noch keine ausreichende Rechtsgrundlage oder Vorgaben, so Latasch. In der jetzigen Rechtsprechung sei das Abbrechen einer Behandlung zugunsten eines anderen Patienten eine Tötung. Ebenso sei das Vorenthalten von Behandlungen bei Kapazitäten illegitim, so der Mediziner. Einzig bei der Ex-ante-Triage gebe es

rechtlich keine Probleme, “weil eine tragische Unmöglichkeit der Rettung aller vorliegt”. Vo­ rausgesetzt es kommen mehrere Personen mit dem gleichen Behandlungsbedarf zum gleichen Zeitpunkt. Ebenso schreiben die beiden Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Reinhard Merkel und Prof. Dr. Steffen Augsberg, beide Mitglieder des Deutschen Ethikrates, dass es bei der Ex-ante-Triage zu einer “rechtfertigenden Pflichtenkollision” komme. Es bestünde eine Mehrzahl strafbewehrter rechtlicher Handlungspflichten gleichen Ranges, die nicht alle zusammen erfüllt werden könnten. Dies führe nach der derzeitigen Rechtsauffassung dazu, dass eine Pflichtunterlassung bei gleichzeitiger Unmöglichkeit der Erfüllung keine Rechtswidrigkeit darstellte. Umstritten dabei ist natürlich, nach welchen Kriterien

Notwendigkeit versus Grundgesetz Doch welchen Ausweg gibt es aus diesem Dilemma? “Unzweifelhaft brächte eine entsprechende legislative Normierung aus Sicht insbesondere der handelnden Ärzte zusätzliche Klarheit”, so Merkel und Augsberger. Eine rechtliche Regelung ist jedoch schwer mit anderen verfassungsrechtlichen Wertungen vereinbar. Latasch sieht die Initiative ohnehin bei den Medizinern liegen. Nicht Juristen sollten über die medizinische Behandlung entscheiden, sondern Ärzte. Er mahnt mehr Bewegung in diesem Thema von den Fachgesellschaften an. Für ihn und die DGKM soll nach folgendem Grundsatz gehandelt werden: Der Patient, der eine Behandlung am nötigsten hat, soll auch prioritär behandelt werden. Diese Entscheidung der Behandlung müsse transparent und nachvollziehbar von einer Gruppe von mehreren Ärzten getroffen werden.

Seite?

Bloch: Hier zunächst ein ganz großes Lob: Unter deutscher Prä-

sidentschaft wurde Unglaubliches geleistet. Zum einen wurden die Diskussionen im Rat über eine Stärkung des Verfahrens zum Abschluss gebracht und gleichzeitig hat Deutschland ganz entscheidende Impulse für das Wissensnetz selbst geliefert. In Zukunft wird es nun wie in anderen Mitgliedsstaaten darum gehen, die zahlreichen Akteure des Katastrophenschutzes auf das Netzwerk aufmerksam zu machen und als aktive Teilnehmer an Bord zu holen. Aber ich bin da ganz optimistisch. Behörden Spiegel: Sehen Sie die Corona-Pandemie als Initialzündung für mehr europäische Zusammenarbeit im Katastrophenschutz? Bloch: Die Pandemie hat uns sicher die Sinnhaftigkeit koordinierter Ansätze innerhalb der EU drastisch vor Augen geführt. Für mich ist jetzt aber ganz entscheidend, dass wir gemeinsam die Lehren ziehen und, vor allem, diese dann nicht in der Ablage schubladisieren, sondern auch wirklich umsetzen.

MELDUNG

Ausstattung verteilt (BS/bk) Aufgrund der CoronaPandemie beschaffte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ergänzende Infektionsschutzausstattung für die Fahrzeuge der Medizinischen Task Force (MTF) sowie die Krankentransportwagen (KTW) und die Gerätewagen Sanität (GW-San) der Unterstützungskomponente. Die Komponente ist Teil des ergänzenden Katastrophenschutzes der Länder durch den Bund. Die Ausstattung wird durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verteilt. Mit dieser Ausstattung soll jedes Fahrzeug über genug Schutzausrüstung verfügen, um sieben Tage lang einen 24-Stunden-Betrieb aufrechthalten zu können. Die SiebenTage-Inzidenz für Neuinfektionen mit dem Coronavirus legt die Reihenfolge der Auslieferungen fest, sodass die Bundesländer Thüringen, Sachsen, Bayern, Berlin und Sachsen-Anhalt als erstes beliefert werden.

Reformen gefordert 22 Positionen vor der Wahl in Baden-Württemberg (BS/bk) Die beiden Landesverbände des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Baden-Württemberg, das Badische Rote Kreuz und der DRKLandesverband Baden-Württemberg, mahnen im Vorfeld der Landtagswahlen im März Reformen im Bevölkerungsschutz an. Dazu haben die Verbände 22 Positionen formuliert. Die Landesverbände fordern unter anderem, dass man sich von der “Projektförderung im Gießkannenformat” hin zu einer strukturellen Sicherung zur Unterstützung ehrenamtlicher Dienste entwickeln müsse. Denn ehrenamtliche Arbeit benötige Planbarkeit mit verlässlichen finanziellen Strukturen. Ebenso müsse in diesem Zusammenhang auch die Anerkennungskultur durch beispielsweise die Anrechnung von Wartesemestern durch ehrenamtliches Engagement bei zulassungsbeschränkten Studiengängen gestärkt werden. Außerdem müssten die Einsatzstrukturen verstärkt und komplett durch das Land finanziert werden. Die derzeitige Refinanzierung durch das Land für die Aufrechterhaltung des Katastrophenschutzes sei unzureichend, kritisieren die Verbände. Als Beispiel führen die Rotkreuzler die mangelhafte Refinanzierung der Unterbringung der Einsatzfahrzeuge an. Zudem müssten die Potenziale der Digitalisierung auch im Katastrophenschutz ankommen.

Dazu soll eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem Land und den Hilfsorganisationen eingerichtet werden. Dabei gehe es nicht nur um digitale Lösungen für den Einsatzfall vor Ort, sondern auch für die Aus- und Fortbildung von Kräften sowie für eine landesweite Lagedarstellung.

Digitale Lösungen für Einsatz und Ausbildung “Wir erwarten, dass sowohl die Rettungswachen als auch die Einsatzstrukturen des Katastrophenschutzes ausreichend finanziert sein müssen; wir wollen, dass auch gemeinnützige Organisationen Zugang zur Digitalisierungsförderung bekommen müssen; wir fordern nicht zuletzt mehr Gerechtigkeit in der stationären Pflege. Das sind drei konkrete Themenfelder neben einigen weiteren. Bei allen haben wir dabei die Interessen der Menschen in unserem Land im Fokus”, fasste Barbara Bosch, Präsidentin des DRK-Landesverbands Baden-Württemberg, die Forderungen zusammen.


Behörden Spiegel / Februar 2021

Drohnen und Roboter

Seite 39

Hochmoderne Unterstützung aus der Luft

Lösung für die Zukunft?

Drohneneinsatz bei Feuerwehrfacheinheiten RHOT

Mini-Drohnen könnten BOS helfen

(BS/Roger Lewentz) Die rheinland-pfälzische Landesregierung investiert stetig in eine moderne Ausrüstung der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Manchmal machen sich die Investitionen schneller bezahlt, als es einem vielleicht lieb wäre: Nachdem ich Mitte August 2020 in Lahnstein bei Koblenz drei Drohnen an Feuerwehr-Facheinheiten Rettungshunde/Ortungstechnik (RHOT) des Landes übergeben hatte, passierte kaum zwei Wochen später nur wenige Meter von der Feuerwache Lahnstein entfernt ein gravierender Güterzugunfall.

(BS/mfe) Drohnen sind auch bei Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) mittlerweile immer weiter verbreitet und teilweise bereits etablierte Einsatzmittel. Allerdings sind sie oftmals nicht sofort an einem Unglücksort verfügbar und müssen erst – teilweise sehr zeitaufwändig – dorthin gebracht werden. Hier könnten Mini-Drohnen Abhilfe schaffen.

Dabei kamen die neuen Drohnen binnen kürzester Zeit erstmals bei einer Ernstlage zum Einsatz und unterstrichen während ihrer Flüge die Bedeutung für die Erkundung von Unglücksorten. Hochauflösende Video- und Fotoaufnahmen wurden in Echtzeit an die Einsatzleitung übermittelt und halfen bei der Einschätzung des Geschehens.

Landesweiter Drohneneinsatz Landesweit konnten die Drohnen der RHOT-Einheiten mittlerweile bereits bei verschiedenen Einsatzlagen unterstützen. Insgesamt verfügt Rheinland-Pfalz über sieben solcher Einheiten, die ihre Standorte bei örtlichen Feuerwehren haben. Sie verantworten den Einsatz von über 50 Rettungshunden, deren gute Nase durch maßgeschneiderte Spezialtechnik wie spezielle TeleskopSuchkameras, Ortungsgeräte, die Schallwellen detektieren, oder GPS-Geräte unterstützt wird. Die neue Drohnentechnik kann insbesondere bei Trümmerlagen und der Suche nach vermissten Personen sehr sinnvoll einsetzt werden. Bei Trümmerlagen ist eine ausgedehnte Erkundung sehr wichtig, um vorhandene Gefahren zu erkennen und bei der Einsatzplanung mit einfließen zu lassen. Mithilfe der Drohnenkameras, die auch über Wärmebildtechnik verfügen, kann so eine Gefährdung von Einsatzkräften minimiert werden. Bei der Suche nach vermissten Personen können Gebiete mit wenig Aufwand schnell überblickt werden und gerade in unwegsame Gelände oder an Steilhängen die konventionellen Suchmaßnahmen von Mensch und Hund effektiv ergänzen.

Die übergebenen Drohnen unterstützten die Einsatzleitung der Feuerwehr Lahnstein mit Luftaufnahmen bei einem Güterzugunfall. Foto: BS/IM RLP

sen sowie Gefahrgutunfälle. Um den Umgang mit diesen Roger Lewentz (SPD) ist äußerst kompleseit 2011 Minister des xen Fluggeräten Innern und für Sport in zu erlernen, wurRheinland-Pfalz. den insgesamt Foto: BS/MdI RLP, Torsten Silz 30 Einsatzkräfte während eines dreitägigen Workshops auf die AufÜbertragung auf VR-Brillen gabe vorbereitet, möglich die hierbei auch die Prüfung Aber nicht nur, wenn es um zum “Drohnenführerschein” verschüttete oder vermisste Per- ablegen konnten. Auch nach sonen geht, kann die Drohne in diesem Workshop wurde und den Einsatz gebracht werden. wird seitens der Einheiten viel Bei Großschadenslagen kann Freizeit in die Aus- und Fortbildie Drohne der Einsatzleitung in dung investiert. Dies zeigt einden Einsatzleitwagen ein Livebild mal mehr das große Engagement übermitteln, sogar eine Übertra- der Einsatzkräfte, auch bei der gung auf Virtual-Reality-Brillen Erprobung neuer Einsatztechist möglich. Dank einer kabelge- nik. Dank diesem Zusammenbundenen Stromversorgung ist spiel aus moderner Ausrüstung zudem ein Dauerbetrieb mög- und dem persönlichen Einsatz lich, um eine Großlage ständig der vielen ehrenamtlichen und live aus der Luft überwachen hauptberuflichen Einsatzkräfte zu können. Weitere Einsatzsze- sind wir in der Lage, im ganzen narien sind Hochwasserlagen, Land und bei verschiedensten Wald- und Vegetationsbrände, Einsatzszenarien für den Schutz, Schadensereignisse im Straßen-, die Sicherheit und notfalls auch Bahn- und Schiffsverkehr, Scha- die Rettung der Menschen zu denslagen nach Brandereignis- sorgen.

Roboter für bessere Hygienemaßnahmen Automatisierte Desinfektion durch Robotereinsatz (BS/Dr. Birgit Graf) Roboter wie der “DeKonBot” des Fraunhofer IPA können in Zeiten von Covid-19 zu Hygienemaßnahmen beitragen, indem sie regelmäßig, gezielt und ressourceneffizient Oberflächen in öffentlichen Gebäuden reinigen und desinfizieren. Im neuen Projekt “Mobile Desinfektion” (MobDi) führen zwölf Fraunhofer-Einrichtungen diese Entwicklung fort, zudem entsteht ein neuer Roboter für die Desinfektion in öffentlichen Verkehrsmitteln. Desinfektionsroboter sind momentan stark nachgefragt. Sie bieten beispielsweise eine automatisierte UV- oder Sprühdesinfektion. Vor der Desinfektion muss das Reinigungspersonal die betroffenen Oberflächen jedoch zunächst manuell reinigen, sodass durch den Robotereinsatz nur eine minimale Zeitersparnis erzielt wird. Zudem sind viele dieser Roboter nicht in der Gegenwart von Menschen einsetzbar. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA setzt mit “DeKonBot” auf einen mechanisch reinigenden und desinfizierenden Roboter. Er navigiert autonom und erkennt zu reinigende Objekte dank eines neuen Sensors und intelligenter Bildverarbeitungsverfahren selbstständig. So kann er potenziell kontaminierte Oberflächen wie Lichtschalter, Türgriffe oder Aufzugknöpfe bei Bedarf auch rund um die Uhr desinfizieren. Neben Krankheitserregern kann er Verschmutzungen beseitigen, die Erreger verdecken könnten. Durch den Robotereinsatz kommen Arbeitskräfte nicht mit potenziell kontaminierten Bereichen in Kontakt und der Desinfektionsmitteleinsatz kann ideal dosiert sowie automatisch dokumentiert werden. Um den Roboter zu bedienen, ist keine RobotikExpertise notwendig. Ein einfaches Einlernen ist ausreichend für den

und Hardware- wie Software-seitig um Dr. Birgit Graf ist Leiterin neue Technologider Gruppe Haushaltsen erweitert wird, und Assistenzrobotik am wird für den EinFraunhofer-Institut für satz in öffentlichen Produktionstechnik und Verkehrsmitteln Automatisierung (IPA). ein komplett neuer Foto: BS/Fraunhofer IPA Roboter entwickelt, welcher auch kleinere Spalten und nachfolgend komplett autonomen Stufen überwinden kann. Für die Betrieb des Roboters. Dabei kann Desinfektion sollen die Roboter der Roboter auch in Anwesenheit selbstständig aus verschiedenen von Menschen betrieben werden, Werkzeugen wählen, welches für ohne diese zu gefährden. die jeweilige Oberfläche und Reinigung das passendste ist. Auch Weitere Ausbaustufen für bediese Werkzeuge zum Beispiel darfsgerechte Desinfektion für Wischen, Sprühen, UV- oder Mit DeKonBot trägt das Fraun- Plasmabehandlung entstehen hofer IPA zudem zum Projekt im Projekt. Um hier eine quali“Mobile Desinfektion” (MobDi) der fizierte Wahl treffen zu können, Fraunhofer-Gesellschaft bei, das untersuchen die Projektpartner im Oktober 2020 gestartet ist. Da- vorab, wie unterschiedliche Desrin entwickeln zwölf Fraunhofer- infektionsmethoden auf typischen Einrichtungen neue Technologien Oberflächen wirken. Alle Entwicklungen in MobDi für mobile Desinfektionsroboter. Ein besonderer Fokus liegt auf basieren auf Anforderungs-, NutMethoden, mit denen der Roboter zen- und Wirtschaftlichkeitsanadas Material der zu reinigenden lysen, um die Roboter bestmöglich Oberflächen zuverlässig erkennt an den Praxisbedarf anzupassen. und diese bedarfsgerecht und Hierfür tauschen sich die Projektschonend desinfiziert. partner stetig mit Endanwendern Das Projekt adressiert die bei- aus und stehen für alle Fragen den Einsatzumgebungen öffent- und Anregungen zur Verfügung. Die Fraunhofer-Gesellschaft liche Gebäude und öffentliche Verkehrsmittel. Während der fördert(e) beide Projekte im RahRoboter für die Desinfektion in men ihres Aktionsprogramms Gebäuden auf DeKonBot aufbaut “Fraunhofer vs. Corona”.

Davon geht zumindest Oberbrand­rat Franz Petter von der Feuerwehr Hamburg aus. Aus seiner Sicht sind diese kleinen Flugobjekte, die auf jedem Einsatzfahrzeug mitgeführt werden können und sofort einsatzbereit sind, die Zukunft. Denn bislang eingesetzte Spezialdrohnen hätten noch einen Nachteil, so Petter: Ihre Anwendung sei sehr personalintensiv. Zielführender ist es ihm zufolge, jeden Einsatztrupp der Feuerwehren mit mehreren kleineren Drohnen auszustatten. Dann könnte der Einsatzleiter die jeweils richtige, weil passende Entscheidung treffen und das jeweils optimale technische Gerät verwenden. “Bei Drohneneinsätzen folgt die Technik der Taktik”, erklärt Petter dazu.

Noch nicht alles geregelt Allerdings gebe es bei der Nutzung unbemannter Systeme durch die BOS hierzulande noch zahlreiche offene rechtliche Fragen, kritisiert der Hamburger Oberbrandrat. Und dies, obwohl sie von einer Art Bereichsausnahme profitierten, wie Rechtsanwalt Timo Stellpflug erläutert. Offen seien etwa noch einige Sachverhalte aus den Bereichen Versicherung und Haftung. Diese The-

Drohnen sind bei Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) bereits oftmals im Einsatz. Das gilt aber bislang kaum für Mini-Drohnen. Zudem sind einige rechtliche Fragen noch ungeklärt.

matiken seien auch noch nicht abschließend in Empfehlungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katstrophenhilfe (BBK) zum Drohneneinsatz durch BOS behandelt, bemängelt Petter. Auch würden Mini-Drohnen dort bislang nicht erwähnt. Die Empfehlungen seien jedoch bereits bei zahlreichen BOS als Dienstvorschriften umgesetzt worden, erwidert Katrin Uhl vom BBK. Zudem kündigt sie eine Fortentwicklung und Evaluati-

Foto: BS/Veit Schagow, CC BY 2.0, flickr.com

on der Empfehlungen in diesem Jahr an. Anfang 2022 solle dann eine neue Fassung veröffentlicht werden. Beim Militär, vor allem im europäischen Ausland, sind Mini-Drohnen im Übrigen schon länger im Einsatz. Und hierzulande sind wissenschaftliche Erprobungen zur Waldbrandprävention und -bekämpfung mittels Mini-Drohnen geplant, berichtet der Rektor der Northern Business School (NBS), Prof. Dr. Uwe Här.

Nutzungsbeginn frühestens 2022 Neues Drohnensystem für die Bundeswehr (BS/df) Ein neues kleines Drohnensystem soll noch in diesem Jahr unter Vertrag gehen: FALKE (Ferngeführtes Aufklärungssystem, luftgestützt, kurze Entfernung). Die Bundeswehr beabsichtigt die Beschaffung von 14 marktverfügbaren Systemen. Sie sollen hauptsächlich bei Spezialkräften zum Einsatz kommen. Als Details zu dem Projekt nannte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium (BMVg), Thomas Silberhorn (CSU): “FALKE ist ein schnell einsetzbares unbemanntes System zur präzisen luftgestützten Aufklärung im optisch sichtbaren und Infrarotbereich über Entfernungen bis zu 30 Kilometer. Es soll bei Tag und Nacht in allen Klimazonen einsetzbar sein.” Die technische

Machbarkeit wurde durch die Abteilung Luft im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) geprüft. Den Zeitplan erläuterte Silberhorn: “Für das Projekt FALKE werden derzeit die Vergabeunterlagen mit dem Ziel erarbeitet, den Vertrag – nach einer vorausgehenden Marktsichtung und dem sich daran anschließenden Teilnahmewettbewerb

mit Verhandlungsverfahren – bis zum vierten Quartal des Jahres 2021 zu schließen.” Details zur Anzahl der in einem System FALKE enthaltenen Luftfahrzeuge, zum maximalen Abfluggewicht, das zehn Kilogramm nicht übersteigen soll, sowie zur Nutzlast könnten erst nach dem Abschluss des Vergabeverfahrens mitgeteilt werden. Der Nutzungsbeginn sei für das kommende Jahr geplant.

Weiterer Schritt vollzogen Living Lab beim DRZ eingeweiht (BS/fs) Die Digitalisierung eröffnet neue Wege in der zivilen Gefahrenabwehr. Drohnen und Rettungsroboter könnten künftig die Einsatzkräfte der Feuerwehr und Rettungsdienste bei ihrer Arbeit unterstützen. Um die Entwicklung voranzutreiben, weihte das Deutsche Rettungsrobotik-Zentrum (DRZ) nun das “Living Lab”, eine Testhalle, in der Robotersysteme zur zivilen Gefahrenabwehr unter realen Bedingungen entwickelt und getestet werden sollen, ein. Im anschließenden virtuellen Workshop stellten auch Vertreter von Industrie und Wissenschaft die Einsatzmöglichkeiten und ihre Erfahrungen mit verschiedenen Technologien vor. So berichteten unter anderem die Technische Universität Darmstadt von bodengebundenen Robotersystemen und die Universität Bonn von unbemannten Luftsystemen.

Mit der Berliner Feuerwehr waren ebenso Vertreter der Praxis geladen. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des DRZ, Oskar von Stryk, betonte dabei die Bedeutung des Austauschs von Einsatzkräften, Wissenschaftlern und der Industrie. ”Wir sind nicht mehr weit davon entfernt, dass Drohnen künftig im Alarmfall den Einsatzkräften

vorauseilen, um sehr schnell ein möglichst genaues Bild der Schadenslage zu erstellen”, zeigte sich Dirk Aschenbrenner, Koordinator des Forschungsverbundes für das DRZ, zuversichtlich. Durch die pandemiebedingten Einschränkungen sind eine feierliche Eröffnungsveranstaltung und ein wissenschaftliches Symposium erst für Ende Mai vorgesehen.

MELDUNG

Bundespolizei erprobt Drohnen (BS/mfe) Die Bundespolizei hat mehrere unbemannte Luftfahrzeugsysteme (UAS) unterschiedlicher Hersteller bundesweit im Einsatz. An mehreren Standorten findet eine Anwendererprobung statt. Die Drohnen werden zur Aufklärung und Überwachung im Aufgabenbereich der Bundespolizei sowie auf Anforderung für externe Bedarfsträger eingesetzt. Über den künftigen Ausstattungsumfang der Bundespolizei mit UAS ist allerdings noch nicht entschieden. Gleiches gilt für vorgesehene Arten und Typen von Geräten. Diese Festlegungen sollen erst nach Vorliegen valider Daten aus der Anwendererprobung getroffen werden. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Fraktion hervor (Bundestagsdrucksache 19/25675). Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner, die die Anfrage für ihre Fraktion federführend ausgearbeitet und gestellt hat, sagt zu der Antwort: “Der Einsatz von Drohnen darf nicht zu einem Ausfransen von Datenschutz und Grundrechten führen, wenn beispielsweise Versammlungen beobachtet und aufgezeichnet werden. Natürlich lehnen wir auch Drohneneinsätze ab, die die Abwehr von Geflüchteten an Grenzen zum Ziel haben.”


Verteidigung

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Behörden Spiegel / Februar 2021

Leopard erhält abstandsaktives Schutzsystem

MELDUNGEN

NATO vergibt Firefly-Auftrag

Die Active Protection Suite “Trophy” (BS/df) Am 27. Januar bewilligte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages die Mittel zur Beschaffung des abstandsaktiven Schutzsystems Trophy des israelischen Unternehmens Rafael für die Kampfpanzer Leopard 2. “Das gewählte System kann die Bedrohung durch Panzerabwehrlenkflugkörper und -handwaffen erheblich reduzieren. Die israelischen Streitkräfte setzen das Trophy-System bereits erfolgreich ein”, schrieb die Bundeswehr zur Entscheidung. Trophy ist ein sogenanntes Hardkill-Schutzsystem. Dies bedeutet, dass die anfliegende Bedrohung – Lenkflugkörper, Panzerabwehr… – aktiv zerstört wird, statt beispielsweise nur die Sensoren des Angreifers zu stören. Entwickelt wurde das System von dem israelischen Unternehmen Rafael in enger Zusammenarbeit mit den israelischen und später auch amerikanischen Streitkräften, die beim Verkauf und Export ein deutliches Wort mitzureden haben.

Auslieferung der SU-57-Serienproduktion

Trophy auf einem amerikanischen Abrams

Aufbau von Trophy Beim Trophy handelt es sich um eine vollständige Active Protection Suite (APS), also ein abstandsaktives Schutzsystem, das die Besatzung vor Panzerabwehrwaffen schützen soll. Zum System zählt die Überwachung der Umgebung mittels Radar, das Erkennen eines Angriffs sowie die wirksamste Abwehr. Das Erkennen und Klassifizieren sowie die Berechnung der Gegenmaßnahmen findet vollständig im System statt. Da die Bedrohung von Panzerabwehrraketen für die Besatzung von Kampfpanzern meistens überraschend auftaucht und die Reaktionszeit zudem überaus kurz ist, setzen die israelischen und amerikanischen Streitkräfte auf den integrierten Automatismus, was die Wahl der Ab-

(BS/df) Die NATO-Agentur für Kommunikation und Information (NCI Agency) beschafft unter dem Namen “Firefly” verlegefähige Kommunikations- und Informationssysteme (Deployable Communications and Information Systems – DCIS) im Wert von 42 Millionen Euro. “Dieses Vorzeigeprojekt wird der NATO Response Force missionskritische Dienste über moderne verlegbare Technologien zur Verfügung stellen, die kurzfristig an jedem Ort der Welt eingesetzt werden können”, sagte Satinder Sandhu, Principal Project Manager der NCI Agency. “Andere ähnliche Folgeprojekte werden auf den Fähigkeiten und Diensten dieses Vorzeigeprojekts aufbauen.” Das neue Firefly-System soll vor allem kleinere und mittlere Hauptquartiere der NATO Response Force (NRF) unterstützen.

wehrmaßnahmen betrifft. Eine Überprüfung der Entscheidung des Systems wäre aufgrund des Zeitdrucks durch den Bediener auch kaum möglich. Die Handlungsfreiheit des Menschen beschränkt sich in diesem Fall auf “Abwehr Ja oder Nein”, wobei im Falle des Neins mit dem eigenen Tod gerechnet werden muss. Zwei Abwehrmaßnahmen besitzt Trophy aktuell: Splitterkegel und Abwehrflugkörper. Der Schild (im Bild als “Crew Shield” bezeichnet), schützt die eigene Besatzung bei der Abwehr durch einen Splitterkegel, der durch die “Countermeasure” ausgeworfen wird. Im unteren Bereich sind der Starter (Launcher) sowie die Munitionszuführung (Auto Loader) für die Rocket Propelled Grenades (RPG) zu sehen.

Israel hatte als erster Nutzer ab 2009 seine Merkava-IV-Kampfpanzer mit Trophy ausgerüstet. “Der erste Angriff auf einen mit Trophy-HV ausgestatteten Merkava MK4 MBT fand am 1. März 2011 statt”, berichtet der Hersteller Rafael. “Es handelt sich um die erste bekannte Abwehr einer modernen Panzerabwehrwaffe durch eine APS.” Seitdem habe das System in mehreren tausend Einsätzen erfolgreich die Besatzungen schützen können. Als zweiter Nutzer rüsteten seit Herbst 2019 die US-Streitkräfte über 300 ihrer Kampfpanzer Abrams mit Trophy aus.

Ausrüstung des Leopards 2 A6 A3 “Das Schutzsystem Trophy bietet einen Rundumschutz gegen

Foto: BS/Rafael

Panzerfäuste und Lenkflugkörper und dient damit dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten. Die Besatzung des Leopards 2 kann das System je nach Bedrohungs- und Auftragslage jederzeit aktivieren oder ausschalten”, beschreibt die Bundeswehr das neue System. “Mit dem Vorhaben werden einige der Kampfpanzer Leopard 2 A6 A3 umgerüstet. Auch auf einem Versuchsträger für die entwicklungstechnische Betreuung wird das Schutzsystem eingerüstet werden. Dafür müssen die Wannen der Fahrzeuge ausgetauscht werden, um die zusätzlich notwendige Stromversorgung zu integrieren. Daneben werden die erforderlichen Ersatzteile, Munition, aber auch Transport- und Lagercontainer geordert werden.”

Innovationsvorhaben faLKE Flexibel adaptierbare Lichtversorgung für mobile Kräfte im Einsatz

(BS/df) Am 29. Januar meldete das russische Unternehmen United Aircraft Corporation (UAC) die Auslieferung des ersten Serienflugzeugs SU-57 an die russischen Streitkräfte. Damit ist der letzte Meilenstein des modernen Jägers, der 2010 seinen Erstflug absolvierte, überschritten. “Die Su-57 verfügt über eine Reihe einzigartiger Merkmale im Vergleich zu den Kampfflugzeugen der vorherigen Generation und kombiniert die Funktionen eines Kampfflugzeugs mit denen eines Jagdflugzeugs”, lautete die Mitteilung des Unternehmens. “Dieses Flugzeug der fünften Generation ist mit einer völlig neuen, tief integrierten Avionik ausgestattet, die ein hohes Maß an kontrollierter Automatisierung und intelligenter Unterstützung der Besatzung bietet. Dadurch wird der Pilot erheblich entlastet und kann sich auf die Taktik konzentrieren. Die Avionik des neuen Flugzeugs ermöglicht den Echtzeit-Datenaustausch sowohl mit bodengestützten Kontrollsystemen als auch innerhalb von Flugverbänden und erlaubt zudem Operationen im Offline-Modus.”

Mörsersystem für Feuer in der Bewegung (BS/df) Das Mörsersystem Nemo von Patria konnte die Qualifizierung für das direkte als auch indirekte Schießen in Bewegung erfolgreich und abschließen. Mit dem Fire-on-the-Move ist das Identifizieren und Anvisieren eines Zieles sowie die Bekämpfung ohne Unterbrechung der Fahrt möglich. “Patria hat die Fire-on-the-Move-Fähigkeit ursprünglich vor einigen Jahren für die Marineversion des Nemos entwickelt, aber aufgrund der größeren Kundenerwartungen und der Veränderung des Gefechtsfeldes wurde die Entwicklung einen Schritt weitergeführt”, erklärte Kari Reunamäki, Vice President des Geschäftsbereichs Waffensysteme bei Patria. Diese neue herausragende Eigenschaft ermögliche es den Truppen, während des Feuereinsatzes in ständiger Bewegung zu sein und somit kein klares Ziel für das Gegenfeuer zu bieten. Das 1.900 kg schwere Mörsersystem verfügt über einen vollen 360º-Seitenrichtbereich und einen Höhenrichtbereich von -3 bis +85 Grad. Je nach Plattform lassen sich 50 bis 60 Schuss 120-mm-Munition für Nemo mitführen.

Schweden erneuert seine Korvettenflotte

(BS/Josefine Neuschäffer*) Das Einsatz- und Fähigkeitsspektrum des Kommandos Spezialkräfte der Marine (KSM) ist breit und so verfügt das KSM (BS/df) Die Swedish Defence Materiel Administration (FMV) unterauch über eigene Sanitätskräfte zur adäquaten medizinischen Versorgung Verwundeter oder Erkrankter bei Einsätzen der maritimen Spezialkräfte. zeichnete im Januar zwei Verträge zur Erneuerung der Korvetten. Diese Versorgung geschieht beispielsweise auf Schiffen oder in den Hafenanlagen von Krisengebieten. Zum einen zur Produktdefinitionsphase für die Mid-Life Upgrades Bei diesen Einsätzen ist häufig eine Anbindung an die terrestrische Stromanbindung nicht oder nicht mehr gegeben. Gleichzeitig tickt bei sanitätsdienstlichen Einsätzen, wie dem Stillen von arteriellen Blutungen oder der Entlastung eines Spannungspneumothorax, die Uhr: Eine verzugslose Verwundetenversorgung unter taktischen Bedingungen kann Menschenleben retten. Eine wesentliche Voraussetzung dafür sind ausreichende Lichtverhältnisse auch unter improvisierten Bedingungen. Bislang können jedoch mit dienstlichen Leuchtmitteln wie beispielsweise mit Stirnlampen nur unzureichende Lichtverhältnisse zur Versorgung der Verwundeten realisiert werden. Um dennoch die Sanitätsversorgung schnell und flexibel gewährleisten zu können, hat der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw) zusammen mit dem KSM und einem Hamburger Start-up für textile Lichtversorgung nach einer adäquaten Alternative gesucht. Die Lösung: Flexibel adaptierbare Lichtversorgung für mobile Kräfte im Einsatz (faLKE). Im Rahmen des Innovationsvorhabens faLKE testet der CIHBw daher gemeinsam mit dem KSM einen Lichtteppich mit LED-Lampen. Damit wird geprüft, inwieweit die bestehende Lücke mittels dieser alternativen Lichtversorgung geschlossen werden kann. Generell soll die flexibel adaptierbare Lichtversorgung unabhängig von den schon vorhandenen Beleuchtungseinrichtungen der verschiedenen Nutzergruppen getestet werden. Wie viele der Innovationen, die der CIHBw testet, ist auch der Lichtteppich ein sogenanntes Dual-Use-Produkt. So werden die

Die flexibel adaptierbare Lichtversorgung für mobile Kräfte im Einsatz (faLKE) erzeugt einen Lichtteppich für die Verwundetenversorgung. Foto: BS/Cyber Innovation Hub der Bundeswehr

Lichtteppiche im zivilen Umfeld bereits von Filmcrews für Außen-Drehs genutzt, um auch bei nächtlichen Dreharbeiten eine adäquate Lichtquelle zu haben.

Sanitätsdienstlicher Einsatz Gerade im sanitätsdienstlichen Einsatz spielen die Faktoren Zeit und Unabhängigkeit (z. B. von Energieinfrastruktur) bei der Verwundetenversorgung eine entscheidende Rolle. Um die häufig ohne Unterstützung operierenden Kräfte nicht zu belasten, müssen die Lichtteppiche nicht nur unabhängig vom terrestrischen Stromnetz funktionieren, sondern auch ein sehr geringes Packmaß und -gewicht haben. Knautsch- knick- und rollbar, extrem leicht und biegsam, lassen sich die Lichtteppiche gefaltet auch in einem Rucksack oder gar in der Hosenbeintasche des Gefechtsanzuges verstauen, ein wichtiges Kriterium für das Produkt. Trotz ihrer Flexibilität in der Größe sind die Lichtteppiche dennoch extrem leistungsfähig und robust. Sie sind wasserabweisend, was bei Einsätzen in

Hafenanlagen oder bei Unwetter natürlich wichtig ist. Einsatzbar zur Lichtversorgung sind die Lichtteppiche sowohl im Innenals auch im Außenbereich. Zur Befestigung dienen wahlweise Klettvorrichtungen, Ösen oder Magnete, und untereinander können sie mittels eines Verbindungskabels verbunden und in Reihe geschaltet werden. Auch die Möglichkeiten der Stromzufuhr sind flexibel, sei es kraft des integrierten Akkumulators, via terrestrischer Anbindung über ein Netzteil oder mit einer externen Erweiterung.

Digitale Steuerung via App Die Bedienung der Lichtteppiche erfolgt entweder direkt über die integrierte Steuerungseinheit manuell oder remote per App, die über Bluetooth oder WLAN eine Steuerung der Lichtteppiche möglich macht. Die hierfür eigens programmierte App, die die Steuerung digital auf einem handelsüblichen mobilen Endgerät ermöglicht, erhöht die Flexibilität und das Einsatzspektrum des Systems maßgeblich. Mittels dieser App können die Lichtteppiche in Farbe und Helligkeit an die Umgebungsverhältnisse angepasst werden, die je nach Einsatzort variieren können. Auch eine Gruppensteuerung mehrerer Lichtteppiche im Verbund ist über die App einstellbar. So haben die Sanitätskräfte des KSM das richtige, d. h. ein blendfreies und helles Raumund Umgebungslicht für die Verwundetenversorgung und die Überlebenswahrscheinlichkeit der Soldaten wird erhöht. Blinksignale und ein Infrarotmodus für die Verbindungsaufnahme mit eigenen Kräften, etwa beim Rücktransport Verwundeter, erweitern zusätzlich das Einsatz-

spektrum der Lichtteppiche. “Die Steuerung der Lichtteppiche über die App ist eine herausragende Optimierung der Einsatzbereiche. Die App ist klar strukturiert und einfach gehalten. Für den Einsatz sollte sie das KISS-Prinzip (Keep It Safe and Simple) bedienen. Wir brauchen KEINE Spielereien!”, so Stabsbootmann R. (Nutzer aus dem KSM).

Weitere Use Cases Neben dem beschriebenen Use Case werden auch weitere Anwendungsfälle innerhalb der Bundeswehr im Zuge des Innovationsvorhabens geprüft: Der Lichtteppich als initiale Lichtquelle beim tageszeiten- und lichtverhältnisunabhängigen Errichten von Gefechtsständen sowie beim urbanen Kampf. So testet neben dem KSM auch das Ausbildungszentrum Munster mit dem Ausbildungsbereich Schießübungszentrum Panzertruppen bereits mit den abgesessenen Kräften beim Orts- und Häuserkampf in der Einsatzvorbereitung die Verwendbarkeit der Lichtteppiche im urbanen Kampf. Kritischer Erfolgsfaktor in beiden Use Cases ist die Zeit, sei es im Hinblick auf die Verwundetenversorgung oder bei der Herstellung der Einsatzbereitschaft. Die Idee dieser flexiblen Lichtversorgung bietet über die beschrieben Testszenarien hinaus Erweiterungsspielraum für die Nutzung der Lichtteppiche in anderen Einsatzszenarien. Beispielsweise ist auch deren Einsatz zur Markierung der Bodenkräfte für Luftfahrzeuge denkbar. *Josefine Neuschäffer ist Ansprechpartnerin Communications & Strategic Partnerships beim Cyber Innovation Hub der Bundeswehr.

(MLU) von fünf Korvetten der Visby-Klasse sowie zum zweiten zur Produktdefinitionsphase von neuen Korvetten, als Visby-Generation 2 bezeichnet. Die Visby Generation 2 ist eine Weiterentwicklung der Visby-Klasse Version 5 und wird unter anderem mit modernen Seezielflugkörpern sowie einem neuen Torpedo- und Flugabwehrraketensystem ausgestattet. Die erste Korvette der Visby-Klasse lief am 8. Juni 2000 vom Stapel. Heute sind fünf Korvetten im Einsatz. Die nun unter Vertrag gegangene Produktdefinitionsphase bezüglich Mid-Life Upgrades zielt darauf ab, die fünf Schiffe der Klasse über das Jahr 2040 hinaus einsatzfähig zu machen. Neben der Modifizierung der bestehenden Systeme wird ein Flugabwehrraketensystem als neue Fähigkeit hinzugefügt. Der Seezielflugkörper RBS15 wird auf die neueste Version aufgerüstet, ebenso wie das Torpedosystem mit dem neuen Saab Lightweight Torpedo.

Erste Serval in 2022 (BS/df) Frankreich hat die erste Produktionstranche des VBMR (véhicule blindé multi-rôles) “Serval” geordert. 364 Fahrzeuge umfasst diese Tranche, die durch die Unternehmensgruppe (GME), zu der auch Nexter und Texelis zählen, zu liefern sind. Der Serval ist ein gepanzertes 15-Tonnen-Mehrzweckfahrzeug, das im Rahmen des Scorpion-Programms der französischen Streitkräfte entwickelt wurde. Dementsprechend sind mehrere Elemente interoperabel bzw. der Fahrzeugfamilie gemeinsam, so der elektronischen Systemkern, ein ferngesteuerter Turm, Bedrohungssensoren und das Scorpion Combat Information System (SICS), das die Integration in den Scorpion-Systemverbund ermöglicht. Basierend auf einer modularen Architektur haben Nexter und Texelis dabei drei Hauptversionen des Fahrzeugs entwickelt: Patrouille, Aufklärung und Fernmelder, die ihrerseits wiederum in zahlreichen Varianten erhältlich sind. Der Serval ist innerhalb des Mobilitätskonzeptes der französischen Streitkräfte die Ergänzung zum schweren Mehrzweckpanzer Griffon und zum gepanzerten Aufklärungs- und Gefechtsfahrzeug Jaguar. Die Auslieferung der ersten 12 Serval ist für die erste Jahreshälfte 2022 vorgesehen, gefolgt von 96 weiteren Fahrzeugen in der zweiten Jahreshälfte 2022.

Britisches Sensor-to-Shooter-System (BS/df) Die britische Armee beschafft für 102 Millionen Pfund ein modernes Sensor-to-Shooter-System. Der Dismounted Joint Fires Integrator (DJFI) nutzt moderne Wärmebildtechnologie und verbessert hierdurch die Fähigkeit der Soldaten, Ziele auf dem Gefechtsfeld zu erkennen und zu identifizieren. Es liefert im Anschluss die Zieldaten zur präzisen Bekämpfung. Mithilfe einer speziellen Software auf einem Tablet werden die vom DJFI gesammelten Informationen digital an ein Artilleriesystem oder ein Flugzeug gesendet, um das Ziel sofort zu bekämpfen, während der Soldat, der das System bedient, in der Deckung bleibt. DJFI wird mit sechs verschiedenen Integrationssätzen geliefert, die jeweils für bestimmte Einsatzaufgaben auf dem Gefechtsfeld zugeschnitten sind und mit vorhandener Hard- und Software kombiniert werden können.


Behörden Spiegel / Februar 2021

Wehrtechnik

Bestellt, bezahlt, geliefert

MELDUNGEN

Sparen kostet dreifach

Deutsche Marine erhält Laserwaffe (BS/df) Die Bundeswehr erhält eine Laserwaffe, deren Demonstrator bis Ende dieses Jahres erstellt, getestet und integriert werden soll, damit 2022 die Erprobung auf der Fregatte “Sachsen” erfolgen kann. Den entsprechenden Auftrag vergab das BAAINBw vergangene Woche an die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) aus MBDA Deutschland und Rheinmetall. Auch wenn der Zeitplan sportlich klingt, haben beide Unternehmen bereits vor Jahren entsprechende Demonstratoren im Rahmen von Machbarkeitsuntersuchungen fertiggestellt und erprobt. Hintergrund war, dass Laserwaffen keinerlei Munitionsbevorratung erfordern.

Sie eignen sich dementsprechend für Marine-Einheiten, bei denen deutlich mehr Strom vorhanden ist als Stauraum. Auch die USA haben bereits Laserwaffen erfolgreich zur Selbstverteidigung auf ihren Schiffen eingesetzt. Die Aufteilung der Arbeitsanteile in der ARGE erfolgt etwa zu gleichen Teilen. MBDA Deutschland ist für das Tracking, die Bedienkonsole und Anbindung des Laserwaffendemonstrators an das Führungssystem zuständig. Im Verantwortungsbereich Rheinmetalls liegen die Laserwaffenstation, das Strahlführungssystem sowie Kühlung und Integration der Laserwaffe in den Projektcontainer des Laserquellen-Demonstrators.

Neuer Podcast “Voices in Defence” (BS/tk) In der Premierenfolge des neuen Behörden Spiegel PodcastFormats Voices in Defence spricht Dorothee Frank mit dem Direktor der Klinik für Innere Medizin am Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz, Oberstarzt Prof. Dr. Christoph Bickel, über unvorhersehbare Krankheitsverläufe und die Langzeitfolgen von Covid-19. Alter, Vorerkrankungen und allgemeiner Gesundheitszustand seien im Einzelfall kein verlässlicher Indikator für den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung, so der Mediziner. Spätfolgen könne man momentan nur sehr begrenzt einschätzen, die lang- und mittelfristigen Beeinträchtigungen durch die Infektion und ihre Begleiterscheinungen zeigten jedoch schon jetzt ein diffuses Bild. In der zweiten Folge beschreibt Polizeihauptkommissar Toni Kirchmair

der Landespolizei NRW seinen Einsatz in Georgien. Dort ist er Teil einer Beobachtermission. Neben seinem Dienst engagiert er sich in Hilfsprojekten. Im Interview spricht er über seine Beobachterrolle, erzählt von seiner persönlichen Motivation für die ehrenamtliche Arbeit und seinem aktuellen Projekt, dem Friedensraum für Sugdidi. Das neue Podcast-Format liefert alle 14 Tage Fakten, Hintergründe und Analysen rund um die Verteidigung und Wehrtechnik. Es werden hierfür Interviews mit Menschen aus Politik, Verwaltung, Bundeswehr und Verteidigungsindustrie geführt, um neben der Sache immer auch den Menschen im Blick zu behalten. Alle Folgen von Voices in Defence finden Sie auch bei Spotify, Deezer, Apple Podcasts und Podcast.de

Vertrag zur Eurodrohne (BS/df) Während die USA seit Jahrzehnten weltweit Unmanned Aerial Systems (UAS) von Northrop Grumman oder General Atomics fliegen – ohne Abstürze oder Probleme mit dem zivilen Luftverkehr – sah Deutschland keine Chance, diesen UAS eine Zulassung zu erteilen. Obwohl sogar die NATO diese amerikanischen Systeme im Rahmen der Alliance Ground Surveillance (AGS) als Aufklärungsmittel auch mit deutschem Geld beschaffte und fliegt. Trotz aller guten Erfahrungen mit den israelischen UAS, die Deutschland bereits seit 2010 auch in Afghanistan flog, kam eine Beschaffung derselben ebenfalls nicht infrage. Stattdessen wird europäisch entwickelt. “Die Regierungskoalition aus CDU und SPD hat sich am Mittwoch im Rahmen des Koalitionsausschusses auf die Entwicklung und Beschaffung der Eurodrohne geeinigt. Das Gemeinschaftsprogramm Eurodrohne soll zusammen mit den europäischen Partnernationen Frankreich, Italien und Spanien umgesetzt werden”, meldete das BMVg am 5. Februar. “Die Regierungsparteien haben vereinbart, die notwendigen Voraussetzungen

zu schaffen, damit die Verträge wie geplant Ende des I. / Anfang des II. Quartals 2021 gezeichnet werden können. Die Eurodrohne soll in erster Linie zur Aufklärung eingesetzt werden. Der endverhandelte Industrievertrag zur Entwicklung und Realisierung der Eurodrohne umfasst demnach nicht die Bewaffnung des Systems.” Ersten Unmut über das Projekt gibt es allerdings bereits. So berichtete der Spiegel, ein Dokument des Verteidigungsausschusses des französischen Senats kritisiere die Eurodrohne wegen ihres maximalen Startgewichts von elf Tonnen, was doppelt so viel sei wie bei den amerikanischen Drohnen vom Typ Reaper. “Der Grund sind die deutschen Anforderungen an das Fluggerät, etwa dass es zwei Motoren haben soll”, berichtete der Spiegel. Dadurch wird die Drohne laut dem französischen Senat “zu schwer, zu teuer und schwierig zu exportieren”. Die Freude der anderen drei europäischen Partner wird sicherlich noch steigen, wenn sie erfahren, dass die Bewaffnung nicht Teil des Industrievertrages sein darf. Ursprünglich sollte diese nämlich von MBDA stammen.

Keine Verzögerung durch iMERZ (BS/df) Auch wenn die Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion (Drucksache 19/25734) eigentlich das neue integrierte Marineeinsatz-Rettungszentum (iMERZ) des Einsatzgruppenversorgers (EGV) Frankfurt am Main als Thema hatte, stellt sich nach der Antwort der Bundesregierung vor allem die Frage, wieso die “planmäßige Werftinstandsetzung” fast zwei Jahre dauert? Positiv daran ist im Grunde nur, dass sich die Fehler bei iMERZ nicht auf die Einsatzfähigkeit auswirken. “Eine zusätzliche Ein-

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schränkung durch die notwendige Neuanfertigung des iMERZ ergibt sich durch die planmäßige Instandsetzung des EGV Frankfurt am Main absehbar nicht”, so die Bundesregierung. “Der EGV Frankfurt am Main wird sich voraussichtlich bis zum Jahr 2022 in einer planmäßigen Werftinstandsetzung befinden”, iMERZ wird nun neu erstellt, was allerdings dank der fast zweijährigen Werftliegezeit zu keinen Verzögerungen bei der planmäßigen Einsatzbereitschaft des EGV 2022 führen wird.

(BS/Dorothee Frank) Der Puma könnte technologisch betrachtet der modernste Schützenpanzer (SPz) der Welt sein. Für mehrere Millionen wurden neue Systeme – Bewaffnung, Sensorik, Kommunikation – für den Puma geordert, bezahlt und eingelagert. Die Beauftragung des Einbaus fand allerdings noch nicht statt. Man könnte meinen, wenn man mit Freigabe durch den Bundestag neue sinnvolle Systeme wie MELLS (Mehrrollenfähiges, Leichtes Lenkflugkörper-System) oder SVFuA (Streitkräftegemeinsame Verbundfähige FunkgeräteAusstattung) in ausreichender Stückzahl beschafft, dann möchte man diese auch nutzen. Wofür ein durch professionelle Techniker durchgeführter Einbau notwendig ist. Da die Bundeswehr nicht selber schraubt – und in dieser Tiefe wegen der Gewährleistung auch nicht selber schrauben dürfte – müsste der Einbau bei der Industrie beauftragt werden. Aus unternehmerischen Gesichtspunkten könnte man sich dies sogar in einem Schritt vorstellen, dass die Bestellung der Systeme und die Beauftragung der Integration direkt zusammenhängend geschehen. Zumindest wäre zu erwarten, dass gewisse Vorstellungen über den Preis des Einbaus bestehen, weil die Integration als Teil der Systembeschaffung betrachtet wird und in die Kostenkalkulation von Beginn an mit einfließt. Dies alles ist bis heute nicht geschehen. Deshalb sind diese Systeme für die Pumas zwar schon vorhanden oder im Zulauf, allerdings noch nicht in den Fahrzeugen und damit in der Truppe angekommen. So bestätigte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gegenüber dem Behörden Spiegel, dass “ca. 60 Gerätesätze SVFuA noch nicht wie vorgesehen eingerüstet werden konnten”. Bei einem Stückpreis von 150.000 Euro (Zwei-Linien-Konfiguration) bis 200.000 Euro (Drei-LinienKonfiguration) bedeutet dies, dass aktuell Funkgeräte für rund elf Millionen Euro sinnlos im Depot liegen, während die alten analogen SEM-Funkgeräte weiter genutzt und teuer gewartet werden sollen.

Konsolidierte Nachrüstung Der Sprecher des BMVg erläuterte gegenüber dem Behörden Spiegel: “Im Rahmen der sogenannten Musterintegration der Streitkräftegemeinsamen Verbundfähigen Funkgeräteausstattung (SVFuA) in den Schützenpanzer (SPz) Puma wurde deutlich, dass weitere Einbaumaßnahmen erforderlich sind. Diese sollen im Rahmen einer ab Mitte 2021 avisierten sogenannten “konsolidierten Nachrüstung” erfolgen. Mit dieser “konsolidierten Nachrüstung” werden – neben den o. g. Umbaumaßnahmen für die SVFuA – weitere Nachrüstungen (wie z. B. der

Der SPz Puma wäre der modernste Schützenpanzer der Welt, wenn er nicht in Salami-Beschaffungen seine Fähigkeiten erhielte. Foto: BS/Bundeswehr, Maximilian Schulz

Waffenanlage MELLS) in die SPz integriert werden. Damit werden Werksaufenthalte reduziert, die Verfügbarkeit der SPz in der Truppe erhöht und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt.” Dies klingt vernünftig, logisch, schön. Erst ein Detail lässt aufhorchen, als der Sprecher des Verteidigungsministeriums auf die Frage nach den Kosten antwortet: “Die Nachrüstung der SVFuA ist Teil der oben genannten “konsolidierten Nachrüstung” SPz Puma. Das Angebot dazu wird derzeit ausgewertet.” Wenn das Angebot für die konsolidierte Nachrüstung derzeit erst ausgewertet wird, bedeutet dies allerdings: Es gibt noch keinen Vertrag für den Einbau von SVFuA oder MELLS sowie der weiteren vorgesehenen Systeme in den Puma. Es gibt noch nicht einmal einen festgelegten Preis. Was bereits existiert – seit fast einem Jahr – sind die gekauften Systeme, bereit zum Einbau. Und die Anfrage durch die Bundeswehr bei der Industrie, wie teuer denn deren Integration sein könnte. Die Antwort wird derzeit ausgewertet. Das BMVg ist aber anscheinend guter Hoffnung, dass man sich in den nächsten Monaten auf einen Preis einigen kann. Viel Verhandlungsspielraum existiert nicht, weil die Wartungszyklen bereits laufen und die Fähigkeiten dringend benötigt werden. Zudem sind die einzubauenden Systeme vorhanden oder im Zulauf, was wenig Spielraum zur Begründung einer Nicht-Integration lässt. Der Puma könnte auch kaum ohne moderne Funkgeräte oder Pan-

zerabwehrsysteme in einen tatsächlichen Einsatz zur Landesund Bündnisverteidigung gehen. In die VJTF 2023 wird der Puma bereits mit veraltetem bzw. ungenügendem Gerät gehen müssen, weil in den Tests zur Vorbereitung nur jene Systeme Eingang fanden, die damals bereits komplett fertig auf dem Hof standen.

Nachrüstung kostet dreifach Es wurde in der Vergangenheit oft der Industrie der Schwarze Peter zugeschoben, wenn es um Klarstand, Ausstattung und Einsatzfähigkeit des Pumas ging. Hier zeigt sich allerdings das Kernproblem: Der Verbund Puma – Panzergrenadier wurde durch den Auftraggeber nie als Gesamtsystem betrachtet. Hinzu kam politisches Schönwettermalen. Der ursprüngliche Puma durfte einen bestimmten Stückpreis nicht überschreiten, das war damals die Vorgabe, damit die Vorlage zur Beschaffung SPz Puma durch die Ausschüsse bewilligt wurde. Also wurden einzelne Komponenten wie MELLS und SVFuA nicht direkt mit beauftragt und integriert, auch der Infanterist der Zukunft lief in einem getrennten Projekt. Es war von Anfang an klar, bereits bei den ersten Vorlagen an den Haushaltsausschuss, dass der Puma sowohl ein sicheres Funkgerät als auch eine wirksame Panzerabwehrwaffe braucht und an den abgesessenen Panzergrenadier angebunden sein muss. Die dafür notwendigen Technologien nicht direkt mit zu beauftragen, kostet den Steuerzahler im Endeffekt

etliche Millionen – so wird der nachträgliche Einbau durch die Fahrzeughersteller eines SVFuA wahrscheinlich deutlich mehr kosten als das Gerät selber. Die Modernisierung des ersten Loses Puma soll zudem neben MELLS und SVFuA auch weitere Nachrüstungen etwa bei den Sichtsystemen oder der Elek­ tronik beinhalten, die aufgrund der oben genannten politischen Vorgaben nicht direkt mit beauftragt wurden. Durch die Modernisierung ist zudem eine deutliche Verbesserung des Klarstandes zu erwarten.

Unrobuste Kommunikation der schweren Plattformen Ein weiteres Problem wartet bereits. Durch die Konzentration auf die Pumas für die VJTF 2023 standen die übrigen schweren Plattformen wie Leopard oder Boxer nicht mehr im Fokus der Ausrüster. Diese werden beispielsweise per SEM80/90, modernisiertem KommServer und dem neuen Battle Management System SitaWare kommunizieren; in dieser Kombination ist der Aufbau analog, unverschlüsselt und nicht störfest. Der berühmte Konflikt mit einem hochwertigen Gegner dürfte für die Bundeswehr unter diesen Voraussetzungen nicht sehr lange dauern. Es ist allerdings ziemlich teuer, einen Schützenpanzer (Kampfpanzer, Radfahrzeug …) noch mal anzupacken und komplett neue Systeme in die Struktur zu integrieren – dieses hätten die Beschaffer und Beauftrager wissen müssen.

Neue (alte) Standorte der Streitkräfte Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung (BS/df) Anfang Februar informierte der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, in seinem Tagesbefehl über die aktuellen Planungen im Rahmen der Anpassung der Grobstruktur für die Stationierung der Streitkräfte. Der Aufwuchs macht sich auch hier deutlich bemerkbar, da Standorte wiederbelebt oder neu aufgebaut werden, während Strukturanpassungen in der Vergangenheit fast ausschließlich Standortschließungen bedeuteten. “Im Zuge der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung wurden zwei weitere Entscheidungen getroffen, die die Strukturen der Bundeswehr mit Blick auf ihre Einsatzbereitschaft, Bündnisfähigkeit und Flexibilität stärken”, beschreibt General Zorn im “Tagesbefehl des Generalinspekteurs”. “So wird zur Sicherstellung der Führungsfähigkeit der 10. Panzerdivision ab dem 1. April 2021 am Standort Veitshöchheim das Fernmeldebataillon 10 neu aufgestellt. Zudem wird im Rahmen der deutschbritischen Kooperation das in Minden stationierte Panzerpionierbataillon 130 ab dem 1. Oktober 2021 in ein deutsch-

britisches amphibisches Pionierbataillon umgegliedert, um die Verfügbarkeit der Unikatfähigkeit Schwimmschnellbrücke in der NATO nachhaltig zu sichern.” Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft den Ausbau der Logistikkapazitäten: “Hinsichtlich der im Januar 2019 getroffenen Entscheidung zur Wiederinbetriebnahme bereits geschlossener oder zur Schließung vorgesehener ortsfester Lagereinrichtungen hat die Bundesministerin der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer, nun die Stationierung der für den Betrieb dieser acht Lagereinrichtungen erforderlichen Organisationselemente wie folgt entschieden: Munitionslager Alt-

heim mit Bundeswehr-Feuerwehr am Standort (StO) Walldürn mit rund 70 Dienstposten (DP), Munitionslager Lorup am ehemaligen StO Lorup mit rund 50 DP, Munitionslager Kriegsfeld am ehemaligen StO Kriegsfeld mit rund 100 DP, Materiallager Hardheim am StO Hardheim mit rund 90 DP, Materiallager Huchenfeld am ehemaligen StO Pforzheim mit rund 70 DP, Materiallager Königswinter am ehemaligen StO Königswinter mit rund 80 DP, Materiallager Ladelund am ehemaligen StO Ladelund mit rund 80 DP, Materiallager Bargum am ehemaligen StO Bargum mit rund 60 DP. Die Aufstellung der einzelnen Dienststellen erfolgt zeitlich

versetzt bis in das Jahr 2029. Mit der Wiederbelebung der ehemals sechs zur Aufgabe entschiedenen Standorte erhöht sich die Anzahl der künftigen Standorte der Bundeswehr in Deutschland (einschließlich Kaufbeuren) auf dann 271.” An Schließungen verkündete der Generalinspekteur nur die Blücher-Kaserne in Münster, die an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übergeben wird. Die Rückgabe der Liegenschaft Luftverteidigungsanlage Bunker Martin in Meßstetten wird aktuell hingegen ausgesetzt, die frühere Entscheidung zur Auflösung der Liegenschaft Fliegerhorst Kaufbeuren zurückgenommen.


Verteidigung

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it dem Vorschlag, einen Nationalen Sicherheitsrat (NSR) – ein zentrales und ressortübergreifendes Beratungsgremium der Bundesregierung in Angelegenheiten der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik – einzurichten, wartete erstmals Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (CDU) Anfang der 1990er-Jahre auf. In anderen Staaten gehört eine solche In­stitution ganz selbstverständlich zum Standardrepertoire nationaler Sicherheit. Die Umsetzung des Vorschlages in Deutschland scheiterte aber am Widerstand der FDP, dem Koalitionspartner der CDU/CSU bis 1998. Völlig unerwartet tauchte das Thema dann 1998 in den Koalitionsverhandlungen der rot-grünen Nachfolgeregierung plötzlich wieder auf. Die von der SPD und der Partei Bündnis 90/ Die Grünen geschlossene Koalitionsvereinbarung sah vor, die Koordinierung des Schutzes der Inneren und Äußeren Sicherheit durch eine entsprechende Erweiterung des Bundessicherheitsrates (BSR) zu verbessern. Während der Regierungszeit von Rot-Grün in den Jahren 1998 bis 2005 geriet die Vereinbarung dann allerdings in Vergessenheit.

BSC 19

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Behörden Spiegel / Februar 2021

Machtfragen stehen einer Lösung im Wege Nationaler Sicherheitsrat in Deutschland umstritten (BS/Gerd Lehmann) Eine Forderung, die seit Jahren immer mal wieder gestellt und ebenso schnell wieder auf Eis gelegt wird, ist die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates (NSR) für Deutschland. Über die Frage, ob Deutschland ein solches Gremium braucht, diskutieren Think Tanks und Politiker in der Bundesrepublik seit fast drei Jahrzehnten. Es ist eine Debatte, die kommt und geht.

Das Bundeskanzleramt: Der Tagungsort des im Range eines Kabinettsausschusses regelmäßig tagenden Nationalen Sicherheitsrats. Foto: BS/Martin Falbisoner/CC BY-SA 4.0

Neuer Anlauf der Unionsparteien Eine Wiederbelebung erfuhr das Thema erst wieder im Bundestagswahlkampf 2005 und in

der nachfolgend von CDU/CSU und SPD gebildeten schwarzroten Regierungskoalition. Im Mai 2008 legten die Unionsparteien einen zwischen Innen- und

Berlin Security Conference

Congress on European Security and Defence

Verteidigungsministerium abgestimmten 16-seitigen “Entwurf für eine Sicherheitsstrategie für Deutschland” vor. Die Vorlage wurde aber sowohl von der SPD

PR ÄS EN ZV ER

AN STALTU N G VE R SC H O BE N Melden Sie sich zum neuen Term in an unter www.euro-defe nce.eu

als auch von allen Fraktionen der Opposition strikt abgelehnt. Die FDP bezeichnete das Vorhaben gar als verfassungswidrig. “Eine Umsetzung des Unionsvorschlags hieße, Deutschland von einer parlamentarischen zu einer präsidentiellen Demokratie nach US-Vorbild umzubauen”, lautete der Tenor des damaligen außenpolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion. In der Folgezeit ließen die Unionsparteien nichts unversucht, ihren Koalitionspartner von der Notwendigkeit eines Nationalen Sicherheitsrats zu überzeugen. Sowohl bei der Entwicklung des letzten Weißbuchs der Bundesregierung im Jahr 2016 als auch in der Debatte zu Leitlinien der Bundesregierung zu ihrem Krisenengagement im Folgejahr war die Frage nach einem geeigneten Gremium für eine bessere Koordinierung der Ministerien für den Schutz der Inneren und Äußeren Sicherheit wieder einer der wichtigsten Diskussions- und Streitpunkte. Das Ergebnis der Diskussionen war in beiden Fällen lediglich ein reiner Formelkompromiss, der die entscheidenden Machtund Zuständigkeitsfragen nicht löste. Dies wiederum ließ die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nicht ruhen. In ihrer ersten sicherheitspolitischen Grundsatzrede im November 2019 griff sie das Uralt-Thema der Union wieder auf und plädierte für die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates.

Kehrtwende der FDP

18.-19. Mai 2021

Vienna House Andel’s Berlin

Europe – a cohesive bond for strong power Partnerland BSC 2020: Tschechien Highlights im Hauptprogramm, u. a.: > > > >

HIGH-LEVEL-DEBATTE: Europäische Sicherheit und Verteidigung – Mittel- und Osteuropäische (Erwartungen) und Beiträge HIGH-LEVEL-INTERVIEW: Umsetzung der Gender-Politik in der Verteidigungsplanung von NATO und EU MILITÄRISCHES HIGH-LEVEL-FORUM: Stärkung der europäischen Sicherheit durch regionale militärische Zusammenarbeit FORUM ZUKÜNFTIGE STREITKRÄFTE: EU-Verteidigungsinitiativen für technologische Innovation und relevante Fähigkeiten

Fachforen, u. a. > > > > > > > >

Bewertung von CDP / CARD / EDF / PESCO Landstreitkräfte in einem gemeinsamen und verbundenen Umfeld – Verfügbarkeit und Einsatzfähigkeit Chinas militärischer Aufstieg und seine Auswirkungen auf den Westen Wie kann eine glaubwürdige nukleare Abschreckung in und für Europa aufrechterhalten werden? Abwehr von Cyber-Bedrohungen – der Fortschritt digitaler Kriegsführung bei Multidomain-Operationen Framework Nations Concept – wirksamer Katalysator für regionale Mil-Mil-Zusammenarbeit? Personalwesen – Rekrutierung und Bindung Covid-19: Lessons Learned – Aufrechterhaltung der Europäischen militärischen Fähigkeiten (und der Widerstandsfähigkeit) in Zeiten einer globalen Pandemie

140 Top-Referenten, u. a. Tomáš Petříček Minister für Äußere Angelegenheiten der Tschechischen Republik

Helga Maria Schmid Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)

Lubomír Metnar Verteidigungsminister der Tschechischen Republik

Niels Annen MdB Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen

General Claudio Graziano Vorsitzender des Militärausschusses der Europäischen Union

Thomas Silberhorn MdB Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung

Péter Szijjártó Minister für Auswärtige Angelegenheiten von Ungarn

General Eberhard Zorn Generalinspekteur der Bundeswehr

www.euro-defence.eu Veranstalter

Photo oben: Klaus Dombrowsky

Reaktionen auf den Vorschlag der Verteidigungsministerin ließen nicht lange auf sich warten. SPD und Linke erteilten den Plänen unverzüglich eine Absage. Die Grünen waren zwar nicht begeistert, aber offen für Gespräche über eine Reform der Sicherheitsarchitektur und eine Erweiterung des Bundessicherheitsrates. Sie wollten weg von aktionistischem, anlassbezogenem Handeln und plädierten für eine evidenzbasierte Sicherheitspolitik, betonte deren Sprecherin für Innenpolitik, Dr. Irene Mihalic. Für eine Überraschung sorgte die FDP mit ihrem Antrag “Staatsübergreifenden Krisen und Herausforderungen gerecht werden – Deutschland braucht einen Nationalen Sicherheitsrat”, den sie im März 2020 in den Deutschen Bundestag einbrachte. Nicht wenige ordneten die 180-Grad-Wendung der Freien Demokraten deren “Mission Aufbruch in die nächste Bundesregierung” nach der Wahl im September dieses Jahres zu. Der Bundestag überwies den Antrag der FDP zur weiteren Beratung in den federführenden Auswärtigen Ausschuss. Geschehen ist seither nichts. Angesichts der widerstreitenden Interessen und der sich dem Ende zuneigenden Regierungszeit der Großen Koalition wird sich daran wohl auch nichts mehr ändern. Dementsprechend will die Verteidigungsministerin das Thema NSR nunmehr auf die Tagesordnung von Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl gesetzt sehen.

Agieren statt reagieren Nach den Vorstellungen Kramp-Karrenbauers soll der 1955 gegründete und geheim tagende BSR, der derzeit praktisch ausschließlich über Rüstungsexporte entscheidet, aufgewertet und zum NSR mit

einem handlungsfähigen Stab ausgebaut werden. Der NSR soll den institutionellen Rahmen für eine in Zielsetzung, Verfahren und Folgenbewertung abgestimmte Politik bieten. Er soll ein breites Spektrum von Ressorts und Sicherheitsbehörden umfassen und als koordinatives Regierungsgremium direkt der politischen Leitung der jeweiligen Regierung und der Kon­ trolle von Parlament und Justiz unterstehen. Das Gremium soll frühzeitig aufkommende Krisen und Risiken, die die Äußere und Innere Sicherheit betreffen, erkennen, analysieren, strategische Handlungsempfehlungen entwickeln und koordinieren. Es geht vor allem darum, agieren zu können, statt reagieren zu müssen.

Erkenntnis kein Erfolgsgarant Extremismus, Terrorismus, zwischenstaatliche Konflikte, fragile Staatlichkeit, CoronaPandemie, Klimawandel, humanitäre Katas­trophen sowie unkontrollierte und irreguläre Migration: Das Gefährdungsspektrum für Frieden und Sicherheit ist heute vielfältiger und unberechenbarer denn je. Trotz der wachsenden Erkenntnis, dass die deutsche Sicherheitsarchitektur auf solche Herausforderungen nicht optimal eingestellt ist, stehen dem gebotenen Reformprozess und damit zum Beispiel auch einem NSR nicht nur das derzeitige Föderalismus- und Ressortprinzip, sondern insbesondere parteipolitische Positionen im Wege. So fürchtet etwa die SPD, dass mit dem NSR der Einfluss des Bundesverteidigungsministeriums auf die Außenpolitik vergrößert und die Idee einer aktiveren Außenpolitik zu stark vom Wunsch dominiert wird, sich militärisch robust und häufiger zu engagieren. Die einseitige Sicht verkennt, dass viele andere Bereiche wie zum Beispiel Pandemie-Bekämpfung, Klimaschutz, Energieversorgung, Migration und Handelsabkommen existenzielle Sicherheitsinteressen berühren und nationale Sicherheit längst keine rein militärische Angelegenheit mehr ist. Sicher ist aber auch, dass die Einrichtung eines NSR nur auf der Basis einer Reform eine Chance hat, die das Föderalismusund Ressortprinzip wahrt und koalitionspolitischen Stürmen standhält. Das bedeutet, dass bei der Verteilung der Zuständigkeiten der einzelnen Ressorts der künftigen Bundesregierung eine Balance gefunden werden muss, die die Machtverschiebung reflektiert und – je nach Ausgestaltung des NSR – gleichzeitig Verluste des Auswärtigen Amts und anderer Ressorts kompensiert.

MELDUNG

Haushaltsvollzug

(BS/df) Ende Januar meldete das BMVg Haushaltsvollzug. Dies bedeutet, dass im vergangenen Jahr alle für den Verteidigungsetat vorgesehenen Mittel auch tatsächlich ausgegeben wurden. “Insgesamt 35 sogenannte 25-Millionen-Euro-Vorlagen mit einem Gesamtvolumen von rund 27,27 Mrd. Euro wurden vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages im vergangenen Jahr beschlossen”, meldete das BMVg. Das BAAINBw konnte im vergangenen Jahr weit über 10.000 Verträge erfolgreich abschließen und viele weitere Entscheidungen vorbereiten, die in den kommenden Jahren zu treffen sind. Dies ist besonders angesichts der erschwerten Bedingungen durch Corona eine beachtliche Leistung des BAAINBw.


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Behörden Spiegel / Februar 2021

E

rster Amtsinhaber der neu geschaffenen Stelle ist Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb. Der 50-Jährige ist für den kompletten Freistaat zuständig. Angesiedelt ist der bundesweit bislang einmalige Posten bei der Generalstaatsanwaltschaft München und dort bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET). Der Hatespeech-Beauftragte koordiniert und unterstützt die Arbeit der Sonderdezernenten bei allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften in Hinblick auf die strafrechtliche Bearbeitung von Verfahren, die Hass und Hetze im Internet zum Gegenstand haben. “Dabei geht es insbesondere darum, einheitliche Maßstäbe der Sachbearbeitung sowie der Rechtsauslegung und -anwendung zu etablieren”, erläutert Hartleb. Dies geschehe durch regelmäßige Dienstbesprechungen mit den Kollegen und Beratungen. Dabei habe sich ein “sehr kollegiales Verhältnis” herausgebildet.

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Helfer für Betroffene von Hatespeech Klaus-Dieter Hartleb kämpft gegen Verrohung im digitalen Raum (BS/Marco Feldmann) Politiker aller staatlichen Ebenen sehen sich in Sozialen Netzwerken im Besonderen und im digitalen Raum im Allgemeinen zunehmend massivsten und übelsten Beleidigungen ausgesetzt. Umgangsformen verrohen zusehends, der politische Anstand erodiert. Aber die Betroffenen sind den Anfeindungen nicht schutzlos ausgeliefert. In Bayern steht ihnen aufseiten der Justiz ein Hatespeech-Beauftragter zur Seite.

Speicherfrist wäre sehr vorteilhaft

Bayern folgt Flächenkonzept Und zur Aufgabenteilung zwischen den Dienststellen und ihm erklärt der Jurist: “In Bayern verfolgen wir bei der Verfolgung von Hatespeech ein Flächenkonzept. Das bedeutet, dass die einzelnen Taten in der Regel weiterhin bei der örtlich zuständigen Polizeidienststelle angezeigt und von der Staatsanwaltschaft vor Ort angeklagt werden.” Fälle von herausragender Bedeutung verfolgt Hartleb allerdings selbst und bringt die mutmaßlichen Täter auch selbst vor Gericht. Dazu sagt er: “Das sind ganz besonders exponierte Verfahren, etwa weil Politiker die Geschädigten sind.” Selbst Ermittlungsverfahren führen würde er aber auch, wenn es sich um besonders komplexe Sachverhalte oder solche mit landesweiter Bedeutung handele, so der verheiratete Familienvater. Dies sei etwa im Ermittlungskomplex rund um die Ermordung des ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke der Fall gewesen. Hier habe der Generalbundesanwalt die strafrechtliche Verfolgung der Mordermittlungen an sich gezogen. Die dabei festgestellten Hasspostings gegen das Opfer seien dann zunächst von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main erfasst und danach je nach örtlicher Zuständigkeit an die einzelnen Staatsanwaltschaften abgegeben worden. “In diesem Zusammenhang habe ich sieben Verfahren in Bayern selbst geführt. Dabei kam es auch zu Durchsuchungen bei Beschuldigten und es gab auch bereits erste Verurteilungen”, berichtet Hartleb. So habe ein Beschuldigter noch zu Lebzeiten Lübckes gepostet: “Hängt diesen Volksverräter.” Hier sei die Rechtslage eindeutig gewesen, auch wenn jeder Fall individuell geprüft werden müsse. “Zwar muss jeweils die individuelle Kasuistik jedes Postings geprüft werden. Bei Schmähkritik oder einer Formalbeleidigung un-

Deutschen Bundestages sowie des Europäischen Parlaments, die aus Bayern kommen, sowie für Landtagsabgeordnete und kommunale Mandatsträger des Freistaates möglich. Die Strafverfolgung obliegt dann entweder Hartleb selbst oder den Sonderdezernenten bei den örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften.

Der Hatespeech-Beauftragte der bayerischen Justiz, Klaus-Dieter Hartleb, würde sich die Einführung einer Speicherfrist von IP-Adressen durch die Betreiber Sozialer Medien wünschen. Das würde seine Arbeit deutlich erleichtern. Zugleich ist der Jurist gegen eine Klarnamenpflicht im Internet. Fotos: BS/Feldmann

ter Zuhilfenahme von Begriffen aus der Fäkalsprache, wie zum Beispiel “Drecksau”, muss keine Güterabwägung mehr vorgenommen werden”, erläutert der Jurist. Denn die Meinungsfreiheit ende dort, wo ein Straftatbestand beginne.

Ganz genau abwägen Um diese Grenze aber tatsächlich ziehen zu können, bräuchten die Sonderdezernenten vor Ort und er ein hohes Maß an Spezialisierung. “Denn es muss in jedem Einzelfall genauestens abgewogen werden, ob eine Äußerung oder ein Posting im Netz strafbar ist oder noch durch die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit gedeckt ist.” Zudem brauche es gute Technikkenntnisse und Erfahrungen mit Internetermittlungen. Ein Weisungsrecht besitzt Hartleb im Übrigen nur gegenüber den Sonderdezernenten der zehn Staatsanwaltschaften im Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft München. Die übrigen zwölf Staatsanwaltschaften unterliegen der Aufsicht und damit auch dem Weisungsrecht der Generalstaatsanwaltschaften Bamberg oder Nürnberg.

Schon lange in Bayern tätig Hartleb stammt gebürtig aus dem Odenwald in Hessen, wuchs aber in Bonn auf. Dort studierte er auch Rechtswissenschaften. Sein juristisches Referendariat leistete er in Bayern ab. Im Jahr 2000 begann er als Staatsanwalt für Verkehrs- und Betäubungsmitteldelikte bei der Staatsanwaltschaft München I. Diese ist örtlich für die gesamte bayerische Landeshauptstadt zuständig, während sich die Mitarbeiter der

Staatsanwaltschaft München II um Straftaten aus dem Bereich des Landkreises München kümmern. Von 2004 bis 2008 arbeitete Hartleb dann als Zivilrichter für Baurecht beim Landgericht München I. Danach ging er als Strafrichter zum Amtsgericht der 1,5-Millionen-EinwohnerMetropole. Hier war er bis 2011 tätig. Anschließend wechselte Hartleb zurück zur Staatsanwaltschaft München I. “Hier arbeitete ich bis 2018 als Staatsanwalt als Gruppenleiter”, berichtet er. Seitdem ist er bei der Generalstaatsanwaltschaft der bayerischen Landeshauptstadt tätig. In sein aktuelles Amt als HatespeechBeauftragter der bayerischen Justiz wurde der Oberstaatsanwalt am 1. Januar vergangenen Jahres berufen. Mit Blick auf diese Aufgabe sagt Hartleb, der in seiner Freizeit gerne Unternehmungen mit der Familie macht und Mountainbike sowie Rennrad fährt: “Es gibt nicht den einen Tatbestand bei Hatespeech.” Seine Kollegen bei den örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften und er hätten es mit unterschiedlichen Delikten zu tun. Statistisch entfielen die meisten Fälle in Bayern jedoch auf Volksverhetzung, Beleidigung, Bedrohung sowie die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. “Hinzu kommen noch Fälle des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten beziehungsweise der öffentlichen Billigung von Straftaten”, erläutert der Jurist. Ebenso heterogen wie die möglichen Delikte ist die Täterschaft bei Hatespeech-Taten. Dazu sagt der Oberstaatsanwalt: “80 Prozent der Hasspostings stammen von Rechtsextremisten. Es gibt aber auch Taten von Links­extremisten und durch Islamisten.”

Über 1.000 Verfahren

Das Strafgesetzbuch (StGB) enthält auch Delikte aus dem Bereich der Hasskriminalität. Dazu gehören unter anderem Volksverhetzung, Beleidigung und Bedrohung. In Bayern wird bei deren Verfolgung eine sehr strenge Linie verfolgt.

In den ersten drei Quartalen 2020, aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor, haben die Sonderdezernenten bei den Staatsanwaltschaften im Freistaat und Hartleb als Hatespeech-Beauftragter der bayerischen Justiz in eigener Zuständigkeit 953 Verfahren gegen identifizierte Beschuldigte und 165 Verfahren gegen bislang unbekannt gebliebene Beschuldigte geführt. Dabei hat der Oberstaatsanwalt auch schon selbst Durchsuchungsaktionen begleitet und Anklagen erfolgreich vertreten, sodass gerichtliche Verurteilungen möglich wurden. In Bayern existiert im Zusammenhang mit

Hate Speech eine landesweite Vorgabe. Dieser zufolge sind Verfahren wegen Hasskriminalität oder aufgrund gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nur in absoluten Ausnahmefällen wegen Geringfügigkeit durch die Staatsanwaltschaften einzustellen. Gleiches gilt für den Verweis auf die Möglichkeit und den Weg der Privatklage. Denn, so Hartleb unmissverständlich: “Bei Hatespeech besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Da wollen wir Täter vor Gericht bringen und nicht Verfahren einstellen.” Deshalb würden in diesem Bereich zunehmend konzertierte Durchsuchungsaktionen vorgenommen und entsprechende richterliche Beschlüsse beantragt. Ziel sei es, “die Täter aus der vermeintlichen Anonymität des Internets herauszuholen und Hatespeech konsequent zu verfolgen.” Als problematisch betrachtet Hartleb in diesem Kontext jedoch unter anderem die fehlende Speicherverpflichtung für Telemediendienste bei dynamischen IP-Adressen. Dazu meint er: “Wenn überhaupt werden diese IP-Adressen maximal für eine Woche gespeichert. Das hilft uns aber kaum weiter.” Schwierig sei es zudem, dass die Täter oftmals Verschleierungstechniken und das Tor-Netzwerk verwendeten. Und noch etwas kritisiert der Oberstaatsanwalt: “Die Betreiber Sozialer Medien kooperieren kaum mit uns als Strafverfolgungsbehörde. Dabei sind wir in mehr als 90 Prozent auf die dort gespeicherten Bestandsdaten angewiesen.” Diese Angaben, worunter unter anderem die hinterlegte E-Mail-Adresse des jeweiligen Nutzers fällt, würden nur selten genannt.

Rechtshilfeersuchen kaum hilfreich Auch Rechtshilfeersuchen seien nur bedingt hilfreich. “Denn Rechtshilfeersuchen, die wir an die Vereinigten Staaten von Amerika stellen, wo die Betreiber der Netzwerke ihren Sitz haben, dauern sehr lange und werden kaum beauskunftet”, berichtet der Hatespeech-Beauftragte der bayerischen Justiz. In den USA werde die Meinungsfreiheit nämlich – auch im digitalen Raum – deutlich weiter ausgelegt als hierzulande. Das habe zur Folge, dass Postings dort oftmals nicht als strafbar eingestuft würden. Aufgrund dessen würden sich die Betreiber der Sozialen Medien weigern, die Bestandsdaten des Postingverfassers herauszuge-

ben, berichtet Hartleb. Zugleich registrierten seine Staatsanwaltschaftskollegen und er seit der Migrationskrise 2015 eine deutliche Verrohung der Sitten im Internet sowie eine Zunahme von Hatespeech dort. Ein weiterer Katalysator sei die Corona-Lage. “Sie hat Hatespeech gegen Politiker noch mal deutlich befeuert und verstärkt”, erzählt der Oberstaatsanwalt. Bei der Generalstaatsanwaltschaft München seien inzwischen zwei OnlineVerfahren zur erleichterten Anzeigenerstattung bei HatespeechVerdacht eingerichtet worden. Bei beiden werde eine Cloud verwendet. Die eine Anwendung ermögliche es bayerischen Medienunternehmen, Hasspostings aus den Kommentarspalten ihrer Internetseiten anzuzeigen. Zwischen Oktober 2019 und Oktober 2020 seien hier 130 Fälle eingegangen, so Hartleb. Hier übernehme grundsätzlich er selbst die Strafverfolgung. Mithilfe des anderen Verfahrens können Politiker aus dem Freistaat gegen sie gerichtete Beleidigungen oder Bedrohungen aus dem digitalen Raum anzeigen. Dies ist für Mitglieder des

Um hier noch effektiver werden zu können, wünscht sich der Hatespeech-Beauftragte der bayerischen Justiz für die Zukunft die Einführung einer Speicherfrist von IP-Adressen. “Das würde uns bei der Strafverfolgung sehr helfen”, unterstreicht der Jurist. Gleichzeitig ist er gegen eine Klarnamenpflicht im digitalen Raum. “Es gehört zum Wesen des Internets, dass man sich dort in einem gewissen Rahmen anonym bewegen können muss. Außerdem wäre eine Klarnamenpflicht in der Realität nicht durchsetzbar”, zeigt sich Hartleb überzeugt. Der politischen Unterstützung im Kampf gegen Hasskriminalität kann er sich sicher sein. So unterstreicht Bayerns Justizminister Georg Eisenreich: “Angriffe auf unsere Politikerinnen und Politiker sind Angriffe auf unsere Demokratie. Die bayerische Staatsregierung nimmt diese Attacken auf unseren Rechtsstaat und seine demokratischen Repräsentanten nicht hin. Wer beleidigt und hetzt, muss in Bayern mit Konsequenzen rechnen.” Hass und Hetze seien keine Kavaliersdelikte. Volksverhetzung könne zu erheblichen Geldstrafen oder auch zu Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren führen, warnte der Politiker. “Wir lassen unsere Volksvertreter nicht allein. Der Freistaat steht seinen Kommunalpolitikern und den Abgeordneten des bayerischen Landtages zur Seite”, unterstreicht Eisenreich. Innenminister Joachim Herrmann warnt vor einer Verharmlosung von Hasspostings. Hetze im Internet könne die Vorstufe für schlimme Straftaten sein. Und Landtagspräsidentin Ilse Aigner (alle CSU) meint: “Vor allem weibliche Abgeordnete und ehrenamtliche Kommunalpolitikerinnen sind zunehmend Opfer von Hassangriffen aus dem Netz. Wenn wir wollen, dass sich in Bayern mehr Frauen politisch engagieren, ohne dabei in Angst zu leben, ist es unsere Pflicht, sie zu schützen.”

Fast für die Hälfte Bayerns zuständig (BS/mfe) Die Generalstaatsanwaltschaft München ist die größte der bayerischen Generalstaatsanwaltschaften. Mit den Bezirken Oberbayern, Schwaben und fast ganz Niederbayern sind ihre Mitarbeiter flächenmäßig für nahezu die Hälfte des Freistaates und mehr als sieben Millionen Einwohner zuständig. Ihnen obliegt unter anderem die Aufsicht über zehn Staatsanwaltschaften. Dazu gehören die Staatsanwaltschaften Augsburg, Deggendorf, Ingolstadt, Kempten, Landshut, Memmingen, München I und II, Passau und Traunstein. Bei der Generalstaatsanwaltschaft München sind rund 35 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte tätig. Hinzu kommen unter anderem Rechtspflegerinnen und -pfleger sowie Justizsekretärinnen und -sekretäre, sodass die Behörde insgesamt etwa 80 Mitarbeiter umfasst. Die Staatsanwälte ermitteln teilweise selbst, etwa in der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus oder im Bereich der berufsgerichtlichen und der Disziplinarverfahren. Teils unterstützen und beaufsichtigen sie aber auch die örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften des Bezirks bei der Bearbeitung ihrer eigenen Verfahren. Davon gehen pro Jahr mehr als 500.000 neu ein. Zudem fungieren die Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft München als bayernweiter Ansprechpartner für Fragen der Vermögensabschöpfung sowie als Kontaktstelle des Freistaates im Zusammenhang mit dem Europäischen Justiziellen Netz. Seit dem 1. Februar 2019 nehmen die Staatsanwälte der Generalstaatsanwaltschaft München darüber hinaus die staatsanwaltschaftlichen Geschäfte beim Bayerischen Obersten Landesgericht wahr. Auch der Hatespeech-Beauftragte der bayerischen Justiz, Klaus-Dieter Hartleb, ist bei der Behörde in der Landeshauptstadt angesiedelt. Im Freistaat existieren insgesamt drei Generalstaatsanwaltschaften. Neben München gibt es solche Dienststellen auch in Nürnberg und Bamberg.



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