Behörden Spiegel Oktober 2020

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. X / 36. Jg / 40. Woche

Berlin und Bonn / Oktober 2020

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Kein kreditfinanzierter Tarifabschluss

Kommunalverwaltungen massiv gefordert

Knochenjob, Spitzensport, Traumberuf

Ulrich Mädge zu den aktuellen Entwicklungen bei den Tarifverhandlungen ..................... Seite 4

Katharina Schenk über Corona-Auswirkugen auf Thüringer Kommunen ������������������������� Seite 15

Friederike Maas zu ihrer Tätigkeit als Bereiterin ............................. Seite 56

Section Control erlaubt (BS/mfe) Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat die Rechtmäßigkeit der abschnittsweisen Geschwindigkeitskontrolle bestätigt. Die Richter wiesen die Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision gegen ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg zurück. In dieser Entscheidung, die nunmehr rechtskräftig ist, hatten die Richter die Section Control für gesetzeskonform erachtet. Diese findet in Niedersachsen auf einer Bundesstraße in der Nähe von Hannover statt. Um ihre Rechtmäßigkeit abzusichern, war das niedersächsische Polizeigesetz angepasst worden. Niedersachsen hatte als erstes Bundesland überhaupt die Section Control erprobt. Bei ihr wird die Durchschnittsgeschwindigkeit über eine längere Strecke hinweg und nicht punktuell gemessen.

Diszis bei der Polizei (BS/stb) Mecklenburg-Vorpommern hat erstmals eine Statistik über abgeschlossene und anhängige Disziplinarverfahren in der Landespolizei veröffentlicht. Nach den Angaben des Ministeriums für Inneres und Europa zum Stand 31. August 2020 waren 139 Disziplinarverfahren offen. Davon seien 17 bereits 2018 und weitere 50 im Jahr 2019 eingeleitet worden. Abgeschlossen wurden im Berichtszeitraum insgesamt 115 Verfahren. Diese waren in etwa zu gleichen Teilen in den Jahren 2018, 2019 und 2020 erfolgt. Etwa die Hälfte der Verfahren sei eingestellt worden, zumeist weil der Verdacht eines Dienstvergehens nicht erwiesen werden konnte. In einigen Fällen sei keine Disziplinarmaßnahme erfolgt, weil bereits eine anderweitige Ahndung desselben Vergehens erfolgt sei.

Exit-Strategie vertagt Mit der Pandemie ins Superwahljahr (BS/Uwe Proll) Die Corona-Pandemie dominiert seit sieben Monaten Alltags- und Wirtschaftsleben, den politischen Diskurs – und ein Ende ist auch wegen des erneuten Aufschwungs des Virus nicht in Sicht. Das Virus kann nicht nur tödlich sein, es hat auch eine Verlockung, geradezu eine Falle, in die derzeit die gesamte öffentliche Diskussion sich hineinbewegt, nämlich sich nur noch damit zu beschäftigen. Die überfällige Diskussion über Exit-Strategien ist vertagt. Und damit auch der Blick aufs tatsächliche Ausmaß der Krise: Sei es der wirtschaftliche Exodus ganzer Branchen, die Isolationslage in Pflegeheimen oder die wegen der Krise gedämmte politische Auseinandersetzung über Schicksalsfragen wie Umwelt und Migration. Das Gefährliche am Virus ist also nicht allein das Virus selbst, sondern der Sog, den es entwickelt und alles Öffentliche mit sich hier hinein zieht. Die Corona-bedingte Gesetzgebungsschnellmaschinerie hat sich nun seit über einem halben Jahr etabliert. Gesetzesund Kabinettvorlagen kommen Freitagnachmittag bei den Fachressorts, bei den anzuhörenden Verbänden und Nichtregierungsorganisationen mit der Anmerkung auf den Tisch: Steht am Montag zur Beschlusslage an. Lesungen in den Parlamenten, die sich normalerweise über Tage, oder Wochen erstrecken, werden in einem “Durchrutschverfahren” an einem Tag erledigt. Das mag zu Beginn der Krise in Anbetracht der pandemischen Erwartungen gerechtfertigt gewesen sein, mag auch noch im Moment wegen der wieder extrem steigenden Zahlen noch eine befristete Zeit legitim sein. Doch statt sich in den Pandemiestrudel hineinziehen zu lassen, wäre es demokratisch-existenziell

Exit-Strategien gibt es mit Blick auf das Coronavirus in Deutschland bislang noch nicht. Ein solcher Schritt wäre jedoch dringend notwendig. Im Superwahljahr 2021 dürfte es jedoch kaum dazu kommen. Foto: BS/reichdernatur, stock.adobe

notwendig, über Exit-Strategien nicht nur nachzudenken, sondern diese jetzt zu planen und festzulegen. An dieser Stelle soll keineswegs die Virusgefahr kleingeredet werden, doch Gefahr ist im Verzug, wenn sich die verkürzten parlamentarischen

Prozesse und Schnellverfahren einmal etabliert haben. Es findet zu wenig Debatte auf Bundesund Länderebene statt. Eine Krise immer die Chance der Exekutive, doch fragt sich, warum die großen Entscheidungen erst nach der Pandemie parlamenta-

risch aufgearbeitet werden. Der De-facto-Ausnahmezustand soll im Frühjahr enden. Doch hört man aus den Regierungsfraktionen eine Absicht, auch dieses extreme Schwert zu verlängern. Man kann sich dabei nicht des Eindrucks erwehren, dass die

Kommentar

Sachsen: Finanzausgleich erzielt

Schluss mit der Paktiererei

(BS/lkm) Die kommunalen Spitzenverbände und das sächsische Finanzministerium haben sich auf einen neuen kommunalen Finanzausgleich für die Jahre 2021 und 2022 geeinigt. Insgesamt betragen die allgemeinen Deckungsmittel der Kommunen für die beiden Jahre jeweils rund 6,8 Milliarden Euro. In Zukunft soll die Finanzverteilung zielgerichteter stattfinden: Stärker als bisher werde man sich an den tatsächlichen Belastungen orientieren. Zum Ausgleich von Steuermindereinnahmen infolge der Corona-Pandemie erhalten die Gemeinden Zuweisungen in Höhe von 226,25 Millionen Euro im Jahr 2020, 59,7 Millionen Euro im Jahr 2021 sowie 103,5 Millionen Euro im Jahr 2022. Gleichzeitig wird der im Jahr 2022 fällig werdende vorläufige Abrechnungsbetrag des Finanzausgleichsjahres 2020 in Höhe von 365,1 Millionen Euro nur zu 50 Prozent angesetzt.

(BS) Zuletzt der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), davor der DigitalPakt Schule, der Pakt für den Rechtsstaat sowie der Pakt für Forschung und Innovation – Bund, Länder und Kommunen haben in den letzten eineinhalb Jahren so viele Pakte geschlossen wie noch nie zuvor. Ist Paktieren jetzt die neue Zusammenarbeit? Wenn ja, wer bleibt dann am Ende auf der Strecke? Schon Otto von Bismarck hat gesagt: “Wenn irgendwo zwischen zwei Mächten ein noch so harmlos aussehender Pakt geschlossen wird, muss man sich sofort fragen, wer hier umgebracht werden soll.” Das Wort “Pakt” ist im semantischen Sinne negativ. Noch deutlicher wird es durch den Teufelspakt in Goethes Faust: Zur Erfüllung seiner eigennützigen Wünsche wie Lebensfreude und Glück schließt Faust einen Pakt mit dem Teufel und verpfändet seine Seele. Nach einem Leben in Ansehen und Wohlstand soll die völlige Versklavung und das Leiden in der Hölle folgen. Was heißt das nun für die Pakte zwischen Bund, Ländern und Kommunen? Der Bund gibt Gelder in Milliardenhöhe, um den anderen

beiden ihre Forderungen zu erfüllen. Letztere sind berechtigt, schließlich geht es wie beim ÖGD oder beim Rechtsstaat um die Erledigung originärer Aufgaben. Und das, weil diese nach fast zwei Jahrzehnten des Sparens in eine desaströse Lage gekommen sind. Zwar erlaubt es Art. 104 ff. GG dem Bund, die anderen beiden Ebenen finanziell zu unterstützen. Doch was passiert, wenn die Gelder versiegen und die Pakte ausgelaufen sind? Wenn Stellen geschaffen worden sind, die weiter finanziert werden müssen? Wenn auf Bundesebene das Diktat der Schuldenbremse und der Abbau von Altschulden wieder in den Fokus rücken? Und was bekommt der Bund eigentlich als Gegenleistung für die geschlossenen Pakte?

Noch zwingt er die anderen beiden Ebenen nicht zu Versprechen, wie sie Merkmale eines Paktes sind. Das kann sich jedoch ändern, bei Fördergeldern ist es schon jetzt der Fall. Anstatt weiter zu paktieren und darauf zu hoffen, dass der Bund die zu Recht geforderten Mittel entweder an Bedingungen knüpft oder verweigert, wäre es besser, auf allen Ebenen eine dauerhafte auskömmliche Finanzierung zur Erfüllung der jeweiligen Aufgaben sicherzustellen. Sonst drohen gerade die Länder, über kurz oder lang zu einer durchreichenden Instanz degradiert zu werden. Die durch Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung auch noch deutlich verkleinert werden kann. Jörn Fieseler

Vorbildlich

Große Koalition, aber auch die grüne Opposition die Wirklichkeit bei Unternehmen und auf dem Arbeitsmarkt durch diese endlosen Rettungspakete nur verschleiern. Aufschwung am Arbeitsmarkt? Ja, ein erkaufter Aufschwung bis zur nächsten Bundestagswahl. Es ist normales politisches Geschäft, sich, egal in welcher Situation, taktische Vorteile für die nächste Wahl zu verschaffen. Doch wer will dann nach September 2021 regieren, wenn urplötzlich ganze Branchen in Insolvenzverfahren sehen, zig Millionen Arbeitslose zählen und dann, damit verbunden, auch soziale Konflikte auszutragen sind, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten nicht mehr kannten? Die Regierung trägt eine Gesamtverantwortung für alle, nicht nur für ältere und auch jüngere Menschen, die an Covid-19 erkranken könnten, sondern auch für die wirtschaftlichen Existenzen aller. Doch es ist wie im Krieg: Einen anzufangen, ist leicht, ihn zu beenden weitaus schwieriger. Mit anderen Worten: Die schwierigste Aufgabe wird sein, aus dem Pandemiemodus wieder herauszukommen, in einem Superwahljahr mit sechs Landtags- und einer Bundestagswahl. Wer braucht im Dauerwahlkampf Wahrheiten?


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Inhalt

Behörden Spiegel / Oktober 2020

Rathäuser sind nicht nur Aushängeschilder ihrer Stadt, wie hier das Gebäude im niedersächsischen Papenburg, sie sind auch die Schaltzentralen und erste Anlaufstelle der Bürger auf kommunaler Ebene. Entsprechend groß ist die Themenbreite: vom Personal über die IT bis hin zur örtlichen Infrastruktur und Finanzierung. Foto: BS/Einhaus

Rund ums Rathaus Der Ton wird rauer

Nicht unbedingt ein Spagat

Probleme mit Elektro-Kleinstfahrzeugen

Zweite Verhandlungsrunde war ernüchternd / Blankenheimer Weg bei der Leistungsorientierten Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung ÖPNV bleibt separat .................................................... Seite 3 Bezahlung ................................................................... Seite 14 fordert zahlreiche Akteure ......................................... Seite 24

Pakt geschlossen! Bleiben Plätze leer?

Weg vom Auto hin zum Menschen

Individuelle Orientierung im Ausländeramt

Lichtblick für Öffentlichen Gesundheitsdienst ............. Seite 13 Neues Bündnis fordert Umdenken bei der Kölner Behörde bietet barrierefreie Indoor-Navigation... Seite 39 Verkehrsplanung .......................................................... Seite 22 Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innen Spiegel

Gemeinsam gegen Gewalt Neues Thema auf behoerden.blog (BS/tkl) Im März hat der Behörden Spiegel mit behoerden.blog eine Plattform geschaffen, die dem Öffentlichen Dienst den Austausch von Informationen, Meinungen und Themen untereinander ermöglichen soll. Zunächst stand die Corona-Pandemie mit allen dazugehörigen Maßnahmen, Einschränkungen und Entwicklungen im Fokus. Aber mit den Lockerungen kamen auch verstärkt Demonstrationen, bei denen immer wieder Einsatzkräfte angegriffen und beschimpft wurden. Es folgten die “Krawallnächte” in Frankfurt und Stuttgart. So ist es quasi eine organische Entwicklung, die dazu geführt hat, dass sich behoerden. blog seit Anfang September einem neuen Thema widmet: der Gewalt gegen Angehörige des Öffentlichen Dienstes. Angriffe auf Beschäftige erstrecken sich über alle Bereiche, vom Einsatz über die Ämter bis hin zu Schulen und dem Internet. Der Behörden Spiegel hat es sich zur Aufgabe gemacht, Präventionsmaßnahmen, Eigenschutz und nicht zuletzt die psychischen und physischen Folgen von Übergriffen auf Mitarbeitende in die Öffentlichkeit zu tragen und Betroffenen eine Sammlung an Erfahrungen, Informationen und Ansprechpartnern anzubieten. Im behoerden.blog finden Nutzer verschiedene Bereiche. Die InfoSeite bietet einen Überblick über Zahlen, Daten und Fakten zur Gewalt gegen den Öffentlichen Dienst sowie Links und Kontaktdaten zu Programmen, Projekten und Ansprechpartnern. Im BlogBereich finden sich einerseits kurze Meldungen zu Übergriffen auf Beamte, andererseits haben Personen und Organisationen

hier die Chance, sich und ihre Arbeit und Erfahrungen vorzustellen. Betroffene, die sich gerne mit Gleichgesinnten austauschen möchten, finden in den Foren einen anonymen und durch den Behörden Spiegel moderierten Raum, in dem Sie Fragen, Sorgen und Erfahrungen platzieren können. Am Format der “digitalen Sprechstunde” arbeitet der Behörden Spiegel derzeit mit der Heiligenfeld Klinik Berlin. Zudem findet sich auf der Startseite des behoerden.blog eine Umfrage, in der Angehörige des Öffentlichen Dienstes – anonym und ohne auf den Einzelfall einzugehen – angeben können, ob und wie Gewalterfahrungen ihren Arbeitstag beeinflussen. Die Auswertung dieser Umfrage erfolgt monatlich auf der InfoSeite. So soll langfristig ein umfassendes und ganzheitliches Bild des Problems entstehen, denn bisher sind Zahlen nur in Studien und Umfragen erhoben worden, die sich auf einen kleinen Teil des Öffentlichen Dienstes beziehen. Interesse geweckt? Dann schauen Sie vorbei auf www.behoerden.blog .

Der Gesamtauflage des Behörden Spiegel liegt eine Beilage zur Smart Country Convention bei. Je einer Teilauflage liegt eine Beilage von Plan International und/oder der Disy Informationssysteme bei. Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Hansestadt Lüneburg Foto 2: BBS/TMIK, Steve Bauerschmidt Foto 3: BS/Stiebel

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITKPolitik, Haushalt), Michael Harbeke (OnlineRedaktion), Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 31/2020, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag/Redaktion/Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 97-0 Telefax: 0228/970 97 75 Altpapieranteil 100% Für Bezugsänderungen:


Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Oktober 2020

KNAPP

Der Ton wird rauer

Laufbahngesetz geändert

Zweite Verhandlungsrunde war ernüchternd / ÖPNV bleibt separat (BS/Jörn Fieseler) Freiburg, Augsburg, Unna, Duisburg, Hamburg, Kiel und Berlin sind nur einige Orte, an denen die Gewerkschaften zu Warnstreiks aufgerufen haben. Obwohl nach der zweiten Verhandlungsrunde das magische Wort gefallen ist, auf das Arbeitnehmervertreter mit Begierde warten: Die Arbeitgeberseite will rechtzeitig vor der dritten Runde am 22./23. Oktober in Potsdam ein Angebot vorlegen. Dabei sah es zu Beginn der zweiten Verhandlungsrunde noch ganz anders aus. Doch nicht alles geht auf die Tarifrunde mit Bund und Kommunen zum TVöD zurück. “Ich bräuchte einen Tag für Verhandlungen und hätte dann ein Ergebnis”, sagte Ulrich Mädge, Verhandlungsführer und Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vor der zweiten Runde und unterstrich, dass er einen schnellen Abschluss anstrebe. “Wir sind verhandlungsbereit, wenn Herr Mädge wirklich einen schnellen Abschluss will, können wir das gleich dieses Wochenende erledigen”, entgegnete der DBB-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach. Zwar bekräftigte der VKA-Präsident seine Aussage im Interview mit dem Behörden Spiegel (siehe Seite 4). Doch am Ende der zweitägigen Sitzung kam es anders. Ganze fünf Stunden saßen die Verhandlungsführer beider Seiten an den zwei Tagen zusammen. Alles sei angesprochen, in der Kürze der Zeit seien aber noch keine Details erörtert worden. Zudem kamen die beiden gebildeten Sondertische (siehe Behörden Spiegel, September 2020, Seite 3) zusammen und sind nach Mädge auch ein “gutes Stück vorangekommen”, doch auch hier gibt es noch nichts Konkretes. Auch das Thema Arbeitsvorgang ist noch nicht richtig in Fahrt gekommen. Die kommunalen Arbeitgeber haben ein Papier mit konkreten Vorschlägen überreicht, doch diese stoßen auf Gewerkschaftsseite nicht auf Wohlwollen. Dennoch zeigte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer als Verhandlungsführer für den Bund am Ende zuversichtlich. Mitte Oktober sollen die Verhandlungspartner erneut an den Sondertischen zusammenkommen. Am 8. Oktober 2020 und, wenige Tage später, am 13. Oktober, sollen die Tische zum Gesundheitsbereich und zu den Sparkassen

Der Ton zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberseite ist wie die See an der Küste rauer geworden. Brechen zur oder nach der dritten Runde stürmische Zeiten an? Foto: BS/Thomas T., stock.adobe.com

zusammenkommen. Wenn diese Ergebnisse erzielt haben, wollen sich die Arbeitgeber zusammensetzen und den Gewerkschaften noch vor der dritten Runde ein Angebot unterbreiten.

Gegenseitige Schuldzuweisungen “Es war für ein Angebot einfach zu früh”, ergänzte Mädge. Man habe ein solches bewusst noch nicht vorgelegt, weil sich keine Einigungsszenarien herauskristallisiert hätten, die darin hätten aufgegriffen werden können. Zugleich wirft der VKA-Präsident Verdi und dem DBB vor, in vielen Teilen nicht kompromissbereit zu sein. Das ließen die Gewerkschaften nicht auf sich sitzen. Entsprechend deutlich fiel die Schelte aus: “Wir haben Zeit verplempert”, sagte ein sichtlich enttäuschter Verdi-Bundesvorsitzender Frank Wernecke nach der zweiten Runde. Er sieht die Schuld aufseiten der Arbeitgeber. Diese hätten sich zwei Tage lang eingemauert, wodurch Warnstreiks unvermeidlich geworden seien. “Besonders skandalös ist,

dass die Ost-West-Angleichung bei der Arbeitszeit erst 2025 verwirklicht werden und die angestrebte Laufzeit bis in das Jahr 2023 andauern soll.” Das verschärfe den Konflikt, nun müssten die Antworten aus den Betrieben kommen. Zumal auch SPD-Oberbürgermeister und Parteifreunde Mädges aus Nordrhein-Westfalen anständige Einkommenserhöhungen für ihre Beschäftigten angemahnt hätten. In das Geschehen involvierte Personen gehen jedoch schon jetzt davon aus, dass sich die Verhandlungen in der dritten Runde in die Länge ziehen werden. Ein dritter oder gar vierter Verhandlungstag sei nicht unwahrscheinlich. Eine Schlichtung komme wohl eher nicht in Betracht, ganz auszuschließen sei sie jedoch nicht. Noch unwahrscheinlicher sei ein Scheitern der Verhandlungen.

Zweite Streikebene Wann und wo Aktionen stattfinden sollen, wollen die Gewerkschaften rechtzeitig vorab bekannt geben. Bislang kam es zu Warnstreiks und Kundgebungen

in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Berlin. In Niedersachsen, Bremen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland sollen weitere Aktionen folgen. Gestreikt wird in Kitas, Krankenhäusern, Verwaltungen, bei den Stadtwerken und im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Doch bei Letzterem agiert Verdi noch aus einem anderen Interesse. Eigentlich wollte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft im ÖPNV-Bereich Verhandlungen zu einem Manteltarif mit der VKA aufnehmen. Aspekte, die in allen mit den Verkehrsverbünden geschlossenen Spartentarifverträgen enthalten sind, sollten so vereinheitlicht werden. Dazu zählen etwa 30 Tage Urlaub bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche, neue Überstundenregelungen und keine Reduzierungen für Fehlzeiten bei Zuschlägen und (Sonder-) Zulagen. Darüber hinaus sollen Schicht- und Wechselschichtzulagen auch im Fahrdienst vereinheitlicht werden und im Sinne der Nachwuchsförderung

Ausbildungszeiten im Betrieb auf die Beschäftigtenzeit angerechnet werden. Die Entgelte wiederum sollen nicht vereinheitlicht werden. Da die Unterschiede zu groß sind, sollen sie in 16 Tarifbezirken ausgehandelt werden. Damit verbunden ist ein weiterer Nebeneffekt: Die Streikmacht der Gewerkschaft wird von der regionalen auf die bundesweite Ebene verlagert. Doch innerhalb der Mitgliederversammlung der VKA kam die notwendige Zustimmung für ein Verhandlungsmandat nicht zustande (siehe Seite 4). Damit bleibt es bei den regionalen Tarifverhandlungen mit den einzelnen kommunalen Arbeitgeberverbänden (KAVen). Damit würden die Beschäftigten verhöhnt und die Bemühungen torpediert, eine Verkehrswende zu erreichen, kritisiert Christine Behle, stellvertretende VerdiBundesvorsitzende. Betroffen sind rund 87.000 Beschäftigte in 130 kommunalen ÖPNV-Unternehmen in allen Bundesländern. Will die Gewerkschaft an einem Rahmentarifvertrag festhalten, müsste sie diesen durch Streiks erzwingen.

(BS/jf) Der Berliner Senat hat eine Änderung des Laufbahngesetzes beschlossen. Künftig soll die Inanspruchnahme des Mutterschutzes nicht mehr zu einer Verlängerung der Probe- und Erprobungszeit führen. Damit sollen einerseits die Belange von (werdenden) Müttern noch besser berücksichtigt werden. Die Mutterschutzverordnung wurde bereits im vergangenen Jahr an das Bundesgesetz angepasst. Andererseits werde damit die Attraktivität als familienfreundlicher Arbeitgeber gesteigert und die Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen in Berlin ansässigen Dienstherren verbessert. Bislang gibt es im Laufbahngesetz der Bundeshauptstadt keine entsprechende Regelung.

Jeder Dritte systemrelevant (BS/jf) Laut Bundesanstalt für Arbeit waren Ende 2019 von den rund 33,74 Mo. sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten rund 10,24 Mio. in systemrelevanten Berufsgruppen im Öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft tätig.

Wehret den Anfängen (BS/jf) Jeder Rechtsextreme im Öffentlichen Dienst ist einer zu viel. Aus diesem Grund will der DBB Beamtenbund und Tarif­ union NRW mit der Landespolitik und der Regierung eine Rahmenvereinbarung erarbeiten und beschließen. Darin soll unter anderem festgelegt werden, einen Lagebericht zu erstellen, in dem die Situation im gesamten Öffentlichen Dienst erfasst wird, und Extremismus-Beauftragte in jedem Ressort und jeder Gebietskörperschaft einzusetzen. Außerdem soll die Möglichkeit geschaffen werden, Anzeigen von Verdachtsfällen in einem geschützten Umfeld machen zu können und es sollen ControllingMaßnahmen erarbeitet werden.

Zukunft Dienstrecht

Arbeits-, tarif- und beamtenrechtliche Entwicklungen 17.–18. November 2020, Maritim Hotel Bonn

§

Mit Beiträgen u. a. von:

Prof. Dr. Svenja Karb, Fachbereich Bundeswehrverwaltung und Arbeitsrecht, Hochschule für öffentliche Verwaltung Mannheim Aktuelles Urlaubsrecht und die Auswirkungen auf den TVÖD/TV-L

Karin Spelge, Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht (6. Senat) Aktuelle Rechtsprechung des 6. Senats

Dr. Stefan Brink, Datenschutzbeauftragter des Landes Baden-Württemberg DSGVO und der Schutz von Beschäftigten – eine Zwischenbilanz Foto: LfDI, Kristina Schäfer, Fotografie Mainz

Weitere Informationen zur Tagung „Zukunft Dienstrecht“ sowie das Anmeldeformular finden Sie unter: www.zukunft-dienstrecht.de

Eine Veranstaltung des


Aktuelles Öffentlicher Dienst / Gesundheit

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B

ehörden Spiegel: Herr Mädge, in der Tarifrunde ist ein zentraler Punkt seitens der Arbeitgeber der Arbeitsvorgang als Grundlage für die Eingruppierung im Öffentlichen Dienst. Warum? Mädge: Das ist ein sehr kom­ plizierter Sachverhalt, der uns durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vor­ gegeben wurde. Das BAG stellt in seinen jüngsten Entscheidungen auf die schwierigste Tätigkeit als Maßstab für die Eingruppierung ab, auch wenn diese nur mit einem kleinen Zeitanteil erfüllt wird, beispielsweise 20 Prozent der Tätigkeit. Im Ergebnis kommt das BAG dann zu der höchst möglichen Eingruppierung, weil es annimmt, dass die gesamte Tätigkeit ein großer Arbeitsvor­ gang sei. Die Entgeltgruppen mit zeitanteiligen Merkmalen laufen leer. Das führt zu Verwerfungen in der Praxis und muss verhindert werden, deswegen brauchen wir eine Klarstellung im Tarifvertrag. Es ist zwar nur eine technische Korrektur, aber eine, die notwen­ dig ist. Ansonsten kommt es uns teuer zu stehen. Wir brauchen die Flexibilität, Variabilität und Rechtssicherheit im Eingrup­ pierungsrecht. Deshalb müssen wir ein gemeinsames Verständnis des Arbeitsvorgangs und der be­ stehenden Regelungen des § 12 TVöD finden. Behörden Spiegel: Betrifft dies das komplette Eingruppierungsrecht? Mädge: Nein, insbesondere betrof­ fen sind im Allgemeinen Teil die Entgeltgruppen 4, 7, 8 und 10. Aber das Problem ist grundsätz­ licher Natur und zieht sich durch die verschiedensten Entgeltgrup­ pen. Durch diese “Entwertung” wäre ein nicht einkalkulierter und hinnehmbarer Kostenanstieg zu verzeichnen. Das dürften die Ge­ werkschaften nicht wollen, genau­ so wenig wie wir. Deshalb müssen wir zu einer schnellen Lösung kommen. Entscheidend ist, dass beide Seiten die Notwendigkeit erkennen, das Thema zu regeln.

Kein kreditfinanzierter Tarifabschluss Ulrich Mädge zu den aktuellen Entwicklungen bei den Tarifverhandlungen (BS) “Die Gewerkschaften mauern bei dem Thema und haben Bedenken, die wir nicht nachvollziehen können” sagt Ulrich Mädge (SPD), Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) zum Arbeitsvorgang als Bestandteil der aktuellen Tarifverhandlungen. Im Gespräch mit den Behörden Spiegel spricht der Oberbürgermeister der Hansestadt Lüneburg über die aktuellen Verhandlungen zum Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TVöD), die Debatte um einen Manteltarifvertrag im Nahverkehr und die Frage der Tarifbindung bei den kommunalen Arbeitgebern. Die Fragen stellte Jörn Fieseler.

Behörden Spiegel: Das heißt, Sie streben jetzt keine Komplettlösung in der aktuellen Runde an, sondern wollen eine Vereinbarung erzielen, nach dem Abschluss weiterzuverhandeln? Mädge: Wir wollen das schon in dieser Runde regeln. Aber die Gewerkschaften mauern bei dem Thema und haben Bedenken, die wir nicht nachvollziehen können. Damit das klar ist: Niemandem soll etwas weggenommen werden. Wir wollen unser Tarifrecht aber so anwenden, wie es vereinbart ist, nämlich mit zeitanteiligen Tätigkeitsmerkmalen, die im Ergebnis zu unterschiedlichen Eingruppierungen führen. Sonst hätten wir die betroffenen Ent­ geltgruppen gar nicht vereinba­ ren brauchen. Die Zeit bis zur nächsten Runde nutzen wir, um das komplexe Thema auf der Ar­ beitsebene weiter zu bearbeiten. Behörden Spiegel: Ein weiterer Verhandlungspunkt aus Sicht der kommunalen Arbeitgeber sind die Sparkassen. Welche Lösung streben sie hier an? Mädge: Zuerst einmal ist fest­ zuhalten, die Sparkassen sind vor drei Jahren von beiden Sei­

ten schlecht behandelt worden. Es war offensichtlich, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Sparkassen nach unten geht. Beide Seiten hätten hier bereits gegensteuern müssen, durch eine Sonderregelung für die Sparkas­ sen. Die wurde zwar als Verhand­ lungsvereinbarung zugesagt, aber nicht umgesetzt. Aktuell wird die Lage der Sparkassen durch Corona noch verstärkt. Wir ha­ ben nicht nur ein Problem mit der Niedrigzinsphase, sondern uns fehlen auch die Ergebnisse durch Zinsen und im Ertrag. Jetzt herrscht höchste Not, hier etwas zu unternehmen. Dafür gibt es zwei Ansatzpunkte: Entweder den normalen Gehaltstarif, der für alle gilt, oder die Sparkas­ sensonderzahlung und weitere Zuschläge über das 14. Monats­ gehalt hinaus. Damit haben wir zwei Werkzeuge, mit denen wir agieren können, um die Spar­ kassen als Träger der regionalen Wirtschaft zu halten. Andere Banken sind anders auf­ gestellt. Die Commerzbank wird beispielsweise vom Bund gestützt. Im Bereich der Privatbanken hat Verdi übrigens in den letzten Jah­ ren regelmäßig deutlich niedrige­ re Tarifabschlüsse vereinbart. Die Genossenschaftsbanken haben

(BS/Dörthe Schaiper) Stress, Burnout, hoher Krankenstand. Das dürfte Führungskräften in den kommunalen Sozialverwaltungen nur zu bekannt vorkommen. Es ist kein Geheimnis, dass sich die Arbeitsbedingungen in vielen Sozialämtern in den letzten Jahren verschlechtert haben. Höchste Zeit, jetzt die richtigen Strippen zu ziehen und das Ruder in Richtung Zukunft zu lenken.

Überforderung im Beruf ist ei­ ner der Hauptgründe für Unzu­ friedenheit und hohe Kranken­ stände. Auf der Suche nach der Ursache für die Überforderung in der kommunalen Sozialver­ waltung findet sich jedoch ein Zusammenspiel mehrerer Fakto­ ren. Danach sind es nicht nur die offensichtlichen, wie steigende Fallzahlen bei sinkenden Mit­ arbeiterzahlen. Ein wesentlicher Stressfaktor liegt in unflexiblen Arbeitskonzepten, ineffizienten Arbeitsprozessen und technisch veralteten Hilfsmitteln, etwa für die Recherchemöglichkeiten in der täglichen Praxis.

Der Schlüssel zur Lösung Wer hohe Krankenstände und Fachkräftemangel in der kommu­ nalen Sozialverwaltung effizient

Behörden Spiegel: Das heißt, die Sparkassenzulage soll gekürzt werden?

Behörden Spiegel: Beabsichtigen Sie, diese Zuschüsse konkret auszuhandeln?

Mädge: Wir müssen alle sparkas­ senspezifischen tarifvertraglichen Regelungen in Betracht ziehen, dazu gehört auch die Sparkas­ sensonderzahlung. Am Ende muss ein Ergebnis stehen, das die Strukturprobleme löst. Die sind zwar nicht so gravierend wie bei den Flughäfen, aber die Aufwendungen für Personal- und Sachkosten sind sehr hoch, wäh­ rend es auf der Gegenseite kaum Ergebnisse gibt.

Mädge: Wir wollen das gerne auf der örtlichen Ebene belassen, ähnlich wie es die IG Metall sehr häufig handhabt. Für mich ist es ein gutes Vorgehen, wenn die konkrete Ausgestaltung zwischen dem Personalrat und dem Arbeit­ geber erfolgt.

sagt VKA-Verhandlungsführer Ulrich Mädge über die Warnstreiks von Verdi und DBB. Foto: BS/Hansestadt Lüneburgt

Stressfrei und gesund in eine digitale Zukunft

Stressfaktoren machen die Sozialverwaltung krank

ebenfalls einen vergleichsweise moderaten Tarifabschluss mit 1,7 Prozent bereits vor Corona im Jahr 2019 vereinbart. Wir müssen die Sparkassen absi­ chern, gerade durch die Struktur­ problematik durch Corona.

Mägde: Nein. Das sind Maß­ nahmen, um die Arbeitgeberat­ traktivität zu steigern. Sie sind wichtig, um im Wettbewerb um Fachkräfte mithalten zu können. Als Oberbürgermeister darf ich aber nicht so einfach Gelder als Zuschüsse an meine Beschäftig­ ten geben. Dann stehe ich sofort unter dem Verdacht der Untreue. Steuerlich sind solche Zuschüs­ se möglich, wenn sie über den Tarifvertrag abgesichert sind – diese Rechtssicherheit wollen wir schaffen. Wir haben im TVöD die leistungsbezogene Bezahlung von zwei Prozent. Die kann nach unserer Meinung für solche Maß­ nahmen verwendet werden.

“Ich als Verhandlungsführer brauche das nicht und mich beeindruckt das auch nicht”,

Gegen den Teufelskreis

Wie ein Hamster im Rad. So fühlen sich heute viele Sachbe­ arbeiter in den Fachämtern der kommunalen Sozialverwaltun­ gen. Gefangen in einem Teufels­ kreis aus steigenden Fallzahlen, wachsender Komplexität der rechtlichen Rahmenbedingun­ gen, weniger Fachkräften und häufig wechselnden Kollegen, steigt die Unzufriedenheit in den Fachämtern und mit ihr der Krankenstand.

Behörden Spiegel / Oktober 2020

hilfe” von Wolters Kluwer einen kon­ text- und ablauf­ bezogenen Zugriff auf zentral gebün­ Dörthe Schaiper ist Produktmanagerin Public Digidelte Rechtsin­ tal und Redaktionsleiterin formationen mit Sozialrecht eGovPraxis bei voll integrierten Wolters Kluwer Deutschland. lokalen Regelun­ gen der jeweili­ Foto: BS/Wolters Kluwer gen Kommune. Hierdurch stehen und nachhaltig besiegen möchte, sämtliche zur Fallbearbeitung der setzt deshalb auf modernes erforderlichen Daten jederzeit Arbeiten; und erfüllt damit die digital und ortsunabhängig, also Erwartungen der Fachkräfte von auch aus dem Homeoffice, zur heute. Verfügung. Neue, flexible Arbeitskonzepte, Damit der Veränderungspro­ die sich an den Bedürfnissen der zess gelingt, sollten sich die Mitarbeiter orientieren, machen neuen Arbeitsprozesse an den die kommunale Sozialverwaltung bisher üblichen und gelernten zu einem attraktiven Arbeitgeber. Arbeitsbedingungen und -abläu­ Das bindet nicht nur bewährte fen der Fachkräfte orientieren. Mitarbeiter. Wer junge Talente Eine schrittweise Einführung, gewinnen will, kommt an dem bei der die Mitarbeiter mit ein­ Angebot von Homeoffice, flexiblen bezogen werden und welche die Arbeitszeiten & Co. für eine Ver­ tatsächlichen Arbeitsprozesse einbarkeit von Beruf und Familie in der Praxis berücksichtigt, ist nicht mehr vorbei. wichtig, damit die Digitalisie­ Neben mehr Flexibilität sind es rung die erforderliche Akzeptanz vor allem effiziente Arbeitspro­ erfährt und den gewünschten zesse in Form von Digitalisie­ Erfolg bringen kann: eeniger rung und Automatisierung und Stress, größere Zufriedenheit der die dazu passenden innovativen Mitarbeiter und eine Senkung Tools, die die Bewältigung der ge­ der Krankenstände. stiegenen Anforderungen an die tägliche Arbeitspraxis erheblich Mehr zur eGovPraxis Sozialhilfe erleichtern. So ermöglicht etwa unter: wolterskluwer-online.de/ das Produkt “eGovPraxis Sozial­ egovpraxis

Behörden Spiegel: Wie ist die Verhandlungsbereitschaft bei den Gewerkschaften? Mädge: Ich glaube, Verdi und der DBB sehen das Problem, es ist aber nur ein Teil des Gesamtpa­ ketes. Das ist vergleichbar mit der Argumentation zur Laufzeit. Für die Gewerkschaften ist die Krise nur eine Delle und 2022 alles wieder in Ordnung. Der Ernst der Lage ist an dieser Stelle noch nicht deutlich erkannt worden. Wir müssen uns an den Ergebnis­ sen der letzten Steuerschätzung für die Kommunen orientieren. Wir werden erst 2023 die Steu­ erkraft von 2019 erreichen. Wir brauchen aber auch Sicherheit für unsere übrigen Investitionen. Und wir haben eine mittelfristige Finanzplanung. Deshalb brau­ chen wir eine längere Laufzeit. Mein Verhandlungsziel ist kein Tarifabschluss, der mit Krediten finanziert werden muss. Denn erhöhen wir die Entgelte der Be­ schäftigten, bleibt nichts mehr übrig für Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz. Außerdem muss man an dieser Stelle auch die gesellschaftspo­ litische Dimension bedenken! Direkt gegenüber von meinem Rathaus in Lüneburg ist eine Fi­ liale von Karstadt. Dort kämpfen die Mitarbeiter um ihre Existenz. Rund 4.000 Menschen sollen entlassen werden. Die Übrigen müssen vielleicht für mehrere Jahre auf einen Teil ihres Gehalts verzichten, um ihren Arbeitsplatz behalten zu können. Im Rathaus haben die Beschäftigten einen sicheren Arbeitsplatz, ein relativ hohes Lohnniveau und kämpfen um höhere Abschlüsse. Diese Schere müssen wir zusammenbekommen. Das müssen auch unsere Beschäftigten verstehen. Jetzt heißt es, Maß zu halten und für beide Seiten für die nächsten drei Jahre Sicherheit zu schaffen. Behörden Spiegel: Haben sie deshalb weitere Angebote wie Zuschüsse zum E-Bike-Leasing oder Sachkostenzuschüsse für die Kita mit in die Verhandlungen eingebracht?

Behörden Spiegel: Parallel soll die VKA Verhandlungen zu einem Manteltarifvertrag im Nahverkehr aufnehmen. Ihre Gremien befinden sich noch in der Prüfung. Wie ist der aktuelle Stand? Mädge: Unser Gruppenaus­ schuss hat sich damit befasst und eine sehr knappe Entschei­ dung getroffen. Wir brauchen satzungsgemäß für Verhand­ lungsmandate aber eine Drei­ viertelmehrheit. Verdi besteht auf zeitgleichen Verhandlun­ gen sowohl auf Landes- wie auf Bundesebene. Das macht aus unserer Sicht keinen Sinn. Die Mitgliederversammlung hat sich daher gegen die Aufnahme von parallel stattfindenden Tarifver­ handlungen für den Nahverkehr sowohl auf Bundes- als auch Länderebene ausgesprochen. Damit bleibt es wie bisher, dass die Gewerkschaften mit den einzelnen kommunalen Arbeitgeberverbänden (KAVen) verhandeln müssen. Die Gewerk­ schaften sind uns hierbei kein Stück entgegengekommen. Ich finde es bemerkenswert, dass sie uns mittels Streikandrohung dazu zwingen wollen, ihre Forde­ rungen auf zwei Ebenen zu ver­ handeln. Man kann jeden Euro schließlich nur einmal ausgeben. Behörden Spiegel: Wäre es denkbar, dass die Kommunen im Tarifvertrag für den Nahverkehr kostenfreie Tickets für die Beschäftigten verhandeln, um ein weiteres Attraktivitätsmerkmal zu schaffen? Mädge: Das ist schwierig. Es setzt voraus, dass alle einen Zugang zum Öffentlichen Per­ sonennahverkehr (ÖPNV) haben. Das ist in den ländlichen Berei­ chen aber nicht gegeben. Wenn ich mir die ÖPNV-Landschaft so anschaue, gibt es viele Lan­ desüberlegungen zu 365-EuroJahrestickets, Azubitickets etc. Das ist besser vor Ort zu regeln als in einem bundesweit gültigen Tarifvertrag. Es könnte aber ein Bestandteil der Absprachen für die Attraktivitätsangebote vor Ort sein, parallel zum E-Bike Leasing. Behörden Spiegel: Seit einigen Jahren werden die ritualisierten Abläufe der Tarifverhandlungen

kritisiert. Zudem finden Warnstreiks immer früher statt. Könnte dieser Ablauf unterbrochen werden? Mädge: Erst einmal haben wir Corona-Zeiten. Ich kann gut da­ rauf verzichten, auf die Rituale der letzten Jahrzehnte zurückzu­ greifen. Ich als Verhandlungsfüh­ rer brauche das nicht und mich beeindruckt das auch nicht. Ich finde, man kann sich ernsthaft austauschen, verhandeln und Verständnis erwecken. Ich habe es schon mal betont: Ich bräuch­ te einen Tag für Verhandlungen und hätte dann ein Ergebnis. Nun verstehe ich aber auch, dass man Rituale braucht, wenn man überzogene Forderungen stellt. Ich bin aber der Meinung, man muss zuerst Missverständnisse aus dem Weg räumen, die Ver­ handlungspunkte konkretisie­ ren – was bis zur zweiten Runde nicht geschehen ist – und dann verhandeln. Behörden Spiegel: Wie sieht es mit Ritualen auf Arbeitgeberseite aus? Es besteht der Eindruck, die Arbeitgeberseite bekommt die Forderungen überreicht und zieht sich dann erst einmal zurück, um diese zu lesen. Könnte man die erste Verhandlungsrunde nicht aufheben und diesen Schritt digitalisieren? Mädge: Das ist dieses Mal quasi passiert. Zwischen Forderungs­ bekanntgabe der Gewerkschaften und erster gemeinsamer Ver­ handlungsrunde lag nur eine Woche. Die erste Runde dient dazu, dass beide Seiten Verständ­ nisfragen zu den Forderungen der Gegenseite stellen und sich aus­ tauschen. Ich sagte es bereits, die Forderungen der Gewerkschaften waren bis dato zum Teil immer noch wenig konkret. Behörden Spiegel: Fürchten sie, dass bei einem für die Kommunen eher schmerzlichen Abschluss Städte oder Gemeinden den Arbeitgeberverband verlassen und dadurch die Tarifbindung sinkt? Mädge: Bei den Kommunen eher nicht. Dazu bräuchte eine Stadt einen Beschluss ihrer Gremien, zum Beispiel des Rates. Das ist eher unwahrscheinlich. Wahr­ scheinlicher ist, dass im Konzern Stadt einzelne Tochterfirmen den TVöD verlassen. Oder wir glie­ dern Aufgaben wie vor 15 Jahren aus, weil der Kostendruck zu hoch ist und wir durch Aus­ schreibungen gezwungen wer­ den, diese Leistungen anders zu vergeben. Deshalb haben wir damals mit den Gewerkschaften bewusst die Entgeltgruppe 1 eingeführt, um dies zu verhindern. Durch die Mindestforderung von 150 Euro steigt aber der Wettbe­ werbsdruck wieder, sodass ich die Gefahr sehe, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Behörden Spiegel: Wie hoch ist die Tarifbindung bei den Kommunen? Mädge: Die ist sehr hoch, fast bei 100 Prozent. Es ist unwahr­ scheinlich, dass dieser Prozent­ satz signifikant sinkt. Denn jeder Einzelne, der austritt, müsste dann selbst Verhandlungen füh­ ren. Um die teils sehr komple­ xen Verhandlungen führen zu können, müssen sie jede Menge Sachverstand haben. Der ist in der VKA-Geschäftsstelle und den kommunalen Arbeitgeberverbän­ den in den jeweiligen Bundes­ ländern in großem Maße vor­ handen. Zudem würde die Kraft der übrigen Mitglieder fehlen. Und schlussendlich ist es auch eine Wettbewerbsfrage: Wer aus dem TVöD aussteigt, hat eine schlechtere Position im Kampf um Fachkräfte. Ich würde mir das nicht zutrauen – und ich traue mir eine Menge zu.


Aktuelles Öffentlicher Dienst / Bund

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Zwischen Vision und Wirklichkeit

Abschluss ohne Sozialkomponente

Ansätze von New Work in Theorie und Praxis

Bei der Post wird das Tarifeinheitsgesetz angewandt

(BS/pet) Seit seinem Aufkommen Mitte der 1980er-Jahre fordert New Work traditionelle Formen der Personal- (BS/jf) Der Tarifstreit bei der Deutschen Post ist beendet. Insgesamt fünf Prozent mehr Gehalt bekommen die führung und Organisation heraus. Lange Zeit ein Modewort ohne Durchschlag auf die Realität in deutschen Beschäftigten des Logistikunternehmens in den nächsten zwei Jahren. Zudem sind weitere Vereinbarungen Büros, ist New Work heute für viele Arbeitnehmer gelebte Praxis. Dabei geht es um mehr als Homeoffice. getroffen worden. Für die Gewerkschaft DPVKOM fehlt jedoch ein entscheidender Punkt. Inzwischen haben Ansätze von New Work ihren Weg in den öffentlichen Sektor gefunden. Um den Staat als Arbeitgeber attraktiver zu machen, setze man bei der Personalgewinnung auf Anreize wie Fortbildung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bestätigt Ursula Gräfin Praschma, Vizepräsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Auf dem Behörden Spiegel-Kongress “Zukunft Personalentwicklung” referierte sie über aktuelle Methoden der Personalakquise und -bindung.

testen Arbeitgeber für Studenten. Was ist geschehen? Ursula Gräfin Praschma sieht die Ursachen für den Wandel in einer erfolgreichen Neuausrichtung der Personalpolitik.

Kampf um qualifizierte Mitarbeiter

Neue Flexibilität

Um am Markt attraktiver zu werden, muss der Öffentliche Dienst Arbeit flexibilisieren und seinem Personal die Möglichkeit zur Fortbildung einräumen, so die BAMF-Vizepräsidentin Ursula Gräfin Praschma. Foto: BS/M. Echtermann

Im Vergleich zu früheren Zeiten habe sich die Arbeitssituation heute fundamental gewandelt, erklärt Prof. Dr. Jürgen Weibler, Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre an der Fernuniversität Hagen. Nicht nur habe die Digitalisierung dazu geführt, dass sich Produkte und Dienstleistungen geändert hätten. Mehr noch: Prozess- und Arbeitsketten, ja selbst Unternehmensführungen seien durch die Technologieschübe der jüngsten Zeit digitaler geworden. Als prominentesten “Anwendungsfall” der neuen Realität nennt der Experte virtuelle Teams, wie sie seit der Pandemie vielfach zur Realität in deutschen Büros zählen. Mit der neu gewonnenen Flexibilität habe sich auch die Anspruchshaltung vieler Arbeitnehmer gewandelt. Statt hierarchischer Strukturen, die zumal unter Jüngeren als innovationsfeindlich empfunden würden, fordere man heute Raum für Kreativität, Eigeninitiative

und Selbstentfaltung. Wichtiger denn je: die Frage nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns. Der Experte rät Arbeitgebern daher, nicht mehr auf Leistung, sondern auf Inhalte zu setzen. Denn erst wo Prozesse transparent und mit Blick auf einen sozialen Mehrwert gestaltet seien, könne Personal erfolgreich gebunden werden. Soweit die aktuellen Erkenntnisse der Forschung. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Auch im Öffentlichen Dienst hat man die Zeichen der Zeit erkannt. War das BAMF 2015 noch eine der ältesten Behörden der Republik, ist der Personalkörper heute deutlich durchmischter. Im Jahr 2020 ist das BAMF, eine Flächenbehörde mit rund 8.000 Mitarbeitern, nicht nur um einiges jünger als noch vor fünf Jahren, die Fachzeitschrift “WirtschaftsWoche” kürte das Bundesamt jüngst zum belieb-

Im Kampf um qualifizierte Mitarbeiter biete das BAMF heute viele Benefits, darunter die Möglichkeit zur Verbeamtung sowie ein umfassendes Fortbildungsangebot bis hin zum Studium. “Der Öffentliche Dienst muss durch Attraktivität und Flexibilität am Arbeitsmarkt bestehen. Neben finanziellen Anreizen ist die Möglichkeit der persönlichen Entwicklung und Förderung ein zentraler Baustein”, sagt Gräfin Praschma. Teil dieser Strategie: ein Recht auf mobiles Arbeiten. Ebenso wichtig wie handfeste Anreize seien weiche Faktoren. Um Personal nicht nur zu gewinnen, sondern zu halten, müsse ein positives Klima geschaffen und für die Identifikation mit dem Arbeitgeber gesorgt werden. Im BAMF seien Vielfalt und Integration darum mehr als eine staatliche Aufgabe: Genau 57 Nationen sind derzeit für das Bundesamt tätig, “Blaue Karten” sorgen dafür, dass qualifizierte Facharbeiter aus Drittstaaten eine Arbeitserlaubnis erhalten. Interkulturalität, verschiedene Basisqualifikationen, Diversität und Altersvielfalt – für Gräfin Praschma nicht nur wesentliche Faktoren für den Wandel im BAMF, sondern eine Bereicherung für die Organisationsstrukturen im Öffentlichen Dienst insgesamt.

Webkongress

Öffentliche Infrastruktur 2020

Heimat – vernetzt, sozial, modern www.oeffentliche-infrastruktur.de

#infra2020

Eine Veranstaltung des

Nach drei Verhandlungsrunden haben sich der Konzern und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft auf einen Tarifvertrag geeinigt. Denn Verdi hat unbestritten die Mehrheit unter den Beschäftigten. Mit der zweiten Gewerkschaft, der zum DBB Beamtenbund und Tarifunion gehörenden DPVKOM, gibt es keine offiziellen Tarifverhandlungen. Das Tarifeinheitsgesetz (TEG) kommt zur Anwendung, die DPVKOM kann lediglich inhaltsgleich nachzeichnen. Für alle Beschäftigten unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit gilt das gleiche Vertragswerk. Dieses hat nun eine Laufzeit von 28 Monaten.

Zeit statt Geld Somit kommen alle in den Genuss einer gestaffelten Entgelterhöhung. Ab 1. Januar 2021 steigen Löhne und Gehälter um drei Prozent, ein Jahr später zum gleichen Datum um weitere zwei Prozent. Parallel wurde die sogenannte Entlastungszeit fortgeschrieben. Anstelle der Gehaltserhöhungen können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese in zusätzliche freie Zeit umwandeln. 2018 erstmals eingeführt, ist diese Möglichkeit nun bis zum Jahr 2022 verlängert worden. Auch die Auszubildenden profitieren. Ihre Vergütung wird im ersten Schritt um 50 Euro, im zweiten Schritt um 40 Euro angehoben. Darüber hinaus erhalten die Beschäftigten im November 2020 eine Einmalzahlung von 300 Euro, Auszubildende und Teilzeitkräfte mit der Hälfte der

Die Warnstreiks am Posttower in Bonn sind vorbei, die Zusteller fahren nach der Tarifeinigung wieder. Foto: BS/Deutsche Post DHL Group

regulären Arbeitszeit oder weniger bekommen 150 Euro. Auch Beamte profitieren: Die im Mai 2020 ausgelaufene Postzulage wird bis Ende des Jahres 2022 fortgeschrieben. Darüber hinaus kamen beide Seiten überein, auf Fremdvergaben im Bereich Brief- und Verbundzustellung weiter zu verzichten und die Begrenzung der Auftragsvergabe an externe Dienstleister im Bereich Transport bis zum 31.12.2021 zu verlängern. Ebenso sind betriebsbedingte Kündigungen weiterhin ausgeschlossen. Der Schutz wurde bis 31. Dezember 2023 verlängert. Während beide Seiten mit dem Ergebnis zufrieden sind, sieht Christina Dahlhaus, Bundesvorsitzende der DPVKOM, weiteren Gesprächsbedarf. Ihre Gewerkschaft hatte unabhängig von Verdi eine soziale Komponente für die unteren Entgeltgruppen gefordert. Diese sei auch

vom Verhandlungsverführer und Konzernvorstand Personal, Thomas Ogilvie, während der Verhandlungen eingebracht worden. Doch im Abschluss gibt es keine Spur davon. “Die Post hat bei den Einstiegsgehältern ein Personalproblem”, begründet Dahlhaus die Forderung. Insbesondere bei den Zustellern seien die Einstiegsgehälter im Vergleich zu den Zustellern die länger bei der Post beschäftigt sind, sehr unterschiedlich. Die Gehaltsschere geht immer weiter auseinander. So gebe es einerseits verbeamtete Zusteller, andererseits Tarifbeschäftigte die schon zu Zeiten der Bundespost tätig waren und jüngere Kollegen, deren heutige Einstiegsgehälter nicht dem entsprechen, was die älteren Kollegen früher bekommen hätten. “Alle machen den gleichen Job, werden aber unterschiedlich bezahlt”, so Dahlhaus. Nun wolle man bei der Post dies konkret hinterfragen.


Zahlen & Daten

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Behรถrden Spiegel / Oktober 2020


Länder

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S

o manch einem dürften die Bilder des Augusts gut noch vor Augen sein, als sich ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen über die Treppen des Reichstages Zugang zum “Herz der Demokratie” verschaffen wollte. So einprägsam Bilder wie diese auch sein mögen, sie sind nur die Spitze des Eisbergs. Denn Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung sind keine Ausnahmeerscheinungen, sie sind tief im deutschen Alltag verwurzelt. Allein der Freistaat Sachsen notiert fast jeden zweiten Tag einen Übergriff auf Minderheiten, gut ein Viertel aller organisierten Zusammenkünfte der rechten Szene finden hier statt. Das Klima ist rauer geworden: gegen Menschen mit Migrationshintergrund allgemein, Andersgläubige im Speziellen. Auch Ehrenamtler und Repräsentanten des demokratischen Systems sind zunehmend Adressaten eines ungezügelten Hasses, dessen Hang zur Gewalt in den letzten Jahren nur noch gestiegen ist. Nicht grundlos bezeichnet Ministerpräsident Michael Kretschmer Extremismus jedweder Couleur als das “größte Thema” im Freistaat.

Ein Plädoyer für politische Aufklärung Information als Hebel im Kampf gegen Extremismus und Rechtspopulismus (BS/pet) Mehr als ihre politischen Alternativen ist die Demokratie auf Beteiligung und soziales Engagement angewiesen. Mit Einsetzen der CoronaPandemie sowie der mit ihr einhergehenden Kontaktbeschränkungen wurde dieses System auf die Probe gestellt. Doch ist die Demokratie in der Krise noch keine Krise der Demokratie – auch wenn sich einige Konfliktlinien weiter verfestigt haben. Die eigentliche Krise beginnt dort, wo der Dialog mit der Bevölkerung abbricht. Im Freistaat Sachsen versucht man, mit Information und politischer Aufklärung Herr des Problems zu werden. nur schneller wuchern, sondern auch anfälliger für Manipulation werden. Nie war es einfacher, Informationen in die Welt zu setzen, die bestehende Vorurteile verfestigen oder Ängste zugunsten demokratiefeindlicher Meinungsmache ausschlachten.

Dialog fortsetzen

Zusammenhalten statt Spalten: Demokratiearbeit fängt bei den Kommunen an. Foto: BS/moinzon, pixabay.com

Desinformation im digitalen Zeitalter Doch schießen Xenophobie und Demokratiefeindlichkeit ohne entsprechenden Nährboden selten ins Kraut. In der heutigen Wissensgesellschaft, in der Nachrichten hauptsächlich über

Online-Markt wird legalisiert Länder stellen Glücksspielregulierung neu auf (BS/lkm) Im Glücksspiel ist viel möglich, erlaubt bislang aber wenig, meint Nathanael Liminiski, Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen. Mit einem neuen Glücksspielstaatsvertrag soll sich das ändern. Virtuelles Automatenspiel, Online-Poker und Online-Casinospiele sollen dann möglich sein. Bis der Entwurf für den neuen Staatsvertrag stand, gab es ein zähes Ringen der Länder. Die Einigung der Länderchefs auf einen gemeinsamen Vertrag im März dieses Jahrs überraschte daher auch Experten. “Nicht jeder wird mit dem Vertrag ganz zufrieden sein. Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz hätten sich mehr gewünscht. Andere Länder waren zurückhaltender, was die Öffnung des Marktes betrifft”, berichtete Clemens Hoch, Chef der Staatskanzlei in RheinlandPfalz, aus den Verhandlungen. Mit dem neuen Vertrag wollen die Länder den bislang illegalen und unregulierten OnlineGlücksspielmarkt in kontrollierte Bahnen bringen. Denn trotz des bestehenden Verbotes fand Online-Glücksspiel statt. Laut Hoch habe es hier zu wenige Vollzugsmöglichkeiten und kein Unrechtsbewusstsein bei Anbietern und Bürgern gegeben. Um die illegalen Maßnahmen im Online-Glücksspiel zurückzudrängen, habe man daher im neuen Staatsvertrag weitgehende Maßnahmen für den Vollzug vorgesehen. Viel erhofft sich Nathanael Liminiski, Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, für den Vollzug durch dessen Zentralisierung dessen in einer Behörde. Know-how könne hier gebündelt und Reibungsverluste so vermieden werden. Mit der Regulierung des Online-Marktes werde zudem der Schwarzmarkt kleiner und könne effektiver überwacht werden. “Wir wissen, dass wir durch die Maßnahmen die Gefahren nicht ganz beseitigen können. Das ist auch im stationären Bereich so. Es geht hier um eine Reduzierung der Gefahren, ohne diese vollständig ausschließen zu können”, so Liminski.

Absichtserklärungen reichen nicht aus Eine Frage, die bei der neuen Glücksspielregulierung viele Gemüter bewegt, ist der Umgang mit aktuell illegalen Anbietern von Online-Glücksspielen während der Übergansphase bis zum Inkrafttreten des neuen Staatsvertrages. Dazu erklärte Hoch, dass Anbietern, die sich jetzt schon

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an den neuen Rechtsrahmen hielten, bei einer Zulassung ab 2021 nicht vorgeworfen werde, dass sie in der Vergangenheit illegales Online-Glücksspiel angeboten hätten. Aber alle Anbieter, die sich auch jetzt weiterhin illegal verhielten, das Problem haben, dass sie zumindest für eine bestimmte Zeit als nicht vertrauenswürdig gelten und auch keine Erlaubnis erhalten könnten. Auch Dirk Schrödter, Chef der Staatskanzlei in Schleswig-Holstein, betonte, dass eine Absichtserklärung des jetzt illegalen Anbieters, in Zukunft nur legales Glücksspiel anzubieten, nicht ausreichen werde. “Es geht um praktisches Handeln jetzt, das auch überprüfbar ist”, so Schrödter.

Staatsvertrag soll anpassungsfähig sein Mit Blick auf den sich ständig wandelnden Glücksspielmarkt und die hohe Dynamik vor allem im Online-Bereich betonte Schrödter, dass der gegenwärtige Staatsvertragsentwurf gute Antworten auf die jetzt drängendsten Fragen biete. Er sei aber auch eine hervorragende Grundlage, um auch für Bereiche wie E-Sports weiterentwickelt zu werden, zeigte er sich für die Zukunft optimistisch. Auch Hoch meinte, dass der Staatsvertrag eine gute Basis sei, um aktuelle Entwicklungen anzupassen. Es sei auch gar nicht der Anspruch, dass der jetzt vorgelegte Entwurf in 20 Jahren noch Gültigkeit haben werde. Für die jetzigen Gegebenheiten biete er einen guten Rahmen. “Aber ich bin mir ganz sicher, dass wir in den kommenden Jahren noch einige Änderungsstaatsverträge im Bereich des Glücksspiels erleben werden”, so Hoch abschließend. Mitte September fand die erste Webkonferenz des Behörden Spiegel zur Glücksspielregulierung statt. Eine ausführliche Nachberichterstattung lesen Sie in der kommenden Ausgabe unserer Fachzeitschrift “Beiträge zum Glücksspielwesen”, die Anfang November erscheint. Weitere Informationen unter www.gluecks spielwesen.de

digitale Kanäle bezogen werden, beginnt es mit einer Fehlinformation, neudeutsch Fake News. Zwar zählen Bild und Wort seit jeher zu den Machtinstrumenten der Propaganda, doch hat die Digitalisierung dazu geführt, dass Nachrichten heute nicht

Im Freistaat Sachsen zeigten sich die Folgen Mitte des letzten Jahrzehnts, als in Dresden Rechtspopulisten mehrere Tausend Demonstranten hinter sich scharten, die Presse und Politik Lüge und “Volksverrat” vorwarfen. Zwar ist die Gemengelage im Corona-Jahr 2020 eine andere als vor fünf Jahren, doch scheint sich mit der jetzigen Debatte um Verschwörungstheoretiker und Impfgegner zu bestätigen, dass antidemokratisches Gedanken-

gut längst nicht mehr nur Phänomen des rechten Rands ist, sondern Einzug in die Mitte der Gesellschaft gehalten hat. Je näher populistische und extremistische Tendenzen an den Kern der Demokratie rückten, desto wichtiger werde es, mit Mitteln der politischen Aufklärung gegenzusteuern, sagt Petra Köpping, Sachsens Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Um sich gegen Anfeindungen von rechts zu erwehren, setze man im Freistaat daher auf einen “fundierten und faktenbasierten Dialog”. Zwar könne mit einem Gespräch nicht jeder Demokratiefeind zurückgewonnen werden, für den Rest der Bevölkerung, der aufgrund der jüngsten Corona-Einschränkungen unsicher geworden sei, ließe sich mit gezielter Aufklärung aber

viel erreichen. Köpping sieht zumal die Kommunen in der Pflicht, als Bindeglied zwischen Bürgerund Politik für die nötige Transparenz zu sorgen: in manchen Regionen des ländlichen Raums ein Defizit. Konkret fordert Köpping die rund 440 Bürgermeister des Freistaates auf, Konflikte vor Ort zu entschärfen und den zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt durch Förderung ehrenamtlicher Projekte zu stärken. Um die Akteure zu unterstützen, habe man als Landesregierung in diesem Jahr zwei weitere Beratungsstellen in Ostsachsen sowie im Raum Plauen-Zwickau eröffnet. Wichtiger Teil dieser Strategie sei die Erschließung der Sozialen Medien. Insbesondere in Zeiten der Pandemie. Solange die Politik nicht den Austausch mit ihren Kritikern suche, laufe sie Gefahr, dass sich demokratieschädliche Meinungsbilder ausbreiteten. Im schlimmsten Falle werde das Ausbleiben einer Reaktion als Ohnmacht des Staates ausgelegt. Mit verheerenden Folgen. Am Ende müsse der Kampf aufgenommen werden – auch wenn der Prozess lang und beschwerlich ausfalle. Aber auch das gehöre bekanntlich zur Demokratie.


Finanzen

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Behörden Spiegel / Oktober 2020

Muss der Staat zahlen?

Gewerbesteuereinbrüche in den Kommunen

Entschädigung für Betriebsschließungen in der Corona-Krise

Länderunterstützung in der Corona-Krise

(BS/ Dr. Christian Kahle/Thekla Vierow) Während die Zahl der Personen, die an Covid-19 erkranken, aktuell wieder ansteigen, dürften alle noch die Beschränkungen vor Augen haben, welche die Ausbreitung der Pandemie im Frühjahr dieses Jahres mit sich gebracht hat. Da die verordneten Beschränkungen staatlich veranlasst waren, wird diskutiert, ob der Staat Entschädigung leisten muss. Eine Vielzahl an Entschädigungsklagen ist bereits bei den Zivilgerichten anhängig. Der Erfolg von Entschädigungsklagen ist jedoch ungewiss, wie das jüngste Urteil des Landgerichts Hannover verdeutlicht.

(BS/lkm) Im Juni dieses Jahres hat der Bund den “Kommunalen Solidarpakt 2020” beschlossen, mit dem krisenbedingte Ausfälle bei den Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen durch Bund und Länder gemeinsam abgefedert werden sollen. Die Kommunen sollen so liquide bleiben. Doch vielerorts reicht das Geld trotzdem nicht.

Nachdem bereits das Landgericht Heilbronn mit einer eher unbefriedigenden Begründung den Entschädigungsanspruch der Betreiberin eines Friseursalons abgelehnt hatte (Urteil vom 29.04.2020, I 4 O 82/20), hat auch das Landgericht Hannover die Klage eines Restaurantbetreibers auf Zahlung einer Entschädigung abgewiesen (Urteil vom 09.07.2020, 8 O 2/20). Ein Zahlungsanspruch bestehe weder unmittelbar aus § 56 noch aus § 65 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Einen Verdienstausfall nach § 56 IfSG als Ausscheider, Ansteckungsoder Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern, der einem infektionsschutzrechtlichen Verbot der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit unterliege, habe der Kläger nicht geltend gemacht. Einen Anspruch nach § 65 IfSG lehnte das Gericht ebenfalls ab, da die Voraussetzungen (Anordnung von Maßnahmen nach §§ 16 oder 17 IfSG) nicht vorgelegen hätten. Die Verordnung, die unter anderem regelte, dass Restaurationsbetriebe zeitlich befristet nicht betrieben werden dürfen, war auf § 32 in Verbindung mit § 28 IfSG gestützt.

Keine planwidrige Lücke Eine analoge Anwendung der §§ 56 oder 65 IfSG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Erforderlich für eine solche analoge Anwendung ist, dass eine planwidrige Lücke vorliegt, der Sachverhalt also nicht von dem Gesetzeswortlaut erfasst ist, und der Gesetzgeber übersehen hat, für den entsprechenden Fall eine Norm zu erlassen. Schließlich

muss eine vergleichbare Interessenlage gegeben sein. Zunächst hat das Landgericht Hannover mit einer sehr ausführlichen und überzeugenden Begründung das Vorliegen einer Regelungslücke verneint. Aufgrund der Würdigung der Gesetzeshistorie kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass nur für bestimmte Fälle eine Billigkeitsentschädigung gewährt werden sollte. Auch die jüngste Änderung des § 56 IfSG verdeutliche, dass der Gesetzgeber – trotz bereits andauernder Corona-Pandemie – keinen Anlass gesehen habe weitere Entschädigungsregelungen einzuführen. Das Infektionsschutzgesetz habe mit § 65 IfSG zudem eine Regelung für die Entschädigung von sog. Nichtstörern getroffen, diese aber auf die dort genannten Fälle beschränkt. Dies führt nach Ansicht der Richter auch dazu, dass eine Entschädigung nach dem allgemeinen Polizeirecht ausgeschlossen ist und das Infektionsschutzgesetz insofern dessen Anwendbarkeit sperrt.

Auch kein individuelles Sonderopfer Auch einen Entschädigungsanspruch aufgrund eines enteignenden Eingriffs lehnt das Gericht ab. Voraussetzung dafür ist, dass rechtmäßiges staatliches Handeln bei einem Nichtstörer unmittelbar zu einem sogenannten Sonderopfer führt. Dieses Handeln hat er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinzunehmen, gleichzeitig übersteigt es aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren. Im Verhältnis

zu anderen, ebenfalls betroffenen Personen muss die Betroffenheit des Anspruchsstellers eine besondere Schwere aufweisen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirken. Das Gericht verneint ein individuelles Sonderopfer, da ein sehr weiter Personenkreis von den Schließungsmaßnahmen betroffen gewesen sei. Im vorliegenden Fall dürften auch existenzbedrohende Umsatzeinbußen nicht vorgelegen haben, da der Kläger staatliche Hilfen erhalten hat. Im Ergebnis verdient die Entscheidung des Landgerichts Hannover Zustimmung. Abzuwarten ist, wie weitere Gerichte, insbesondere auch höhere Instanzen, entscheiden werden. *Dr. Christian Kahle, LL.M. ist Partner und Rechtsanwalt, Thekla Vierow ist Rechtsanwältin bei BRL BOEGE ROHDE LUEBBEHUESEN, Partnerschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern mbB in Hamburg. Beide sind im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts tätig.

Save the Date Die Voraussetzungen möglicher Entschädigungsansprüche thematisieren die Autoren in einem Webinar des Behörden Spiegel am 3. November 2020. Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “Entschädigung”.

MELDUNG

Verfassungsrechtliche Bedenken (BS/lkm) Brandenburg plant im kommenden Jahr eine erneute Nettokreditaufnahme von 1,9 Mrd. Euro. Hierfür soll der Landtag bereits jetzt den Fortbestand der außergewöhnlichen Notsituation auch für die Jahre 2022 und 2023 feststellen. Der Landesrechnungshof sieht hier verfassungsrechtliche Risiken. Mit Blick auf Sinn und Zweck der Regelungen zur Schuldenbremse

sehen die Prüfer die Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation für den langen Zeitraum von drei Jahren sehr kritisch, zumal auch die Landesregierung in ihrem Gesetzesentwurf darauf verweist, dass niemand die Tragweite, die die Pandemie haben werde, abschließend beziffern könne. Zweifel ergäben sich ferner wegen der Absicht der Regierung, die nicht konjunkturbedingten

Steuermindereinnahmen durch eine notsituationsbedingte Nettokreditaufnahme zu finanzieren. Wenn das zulässig wäre, verlöre die Unterscheidung von konjunkturbedingten und notsituationsbedingten Nettokreditaufnahmen ihren Sinn. Dann könnten nämlich von vornherein die gesamten prognostizierten Steuermindereinnahmen als notsituationsbedingt angesehen werden.

Die jüngste Steuerschätzung vom September machte deutlich, dass die Kommunen vor allem bei der Gewerbesteuer drastische Einbrüche verzeichnen werden. So prognostizierte der Arbeitskreis Steuerschätzungen für die Städte und Gemeinden im Jahr 2020 Steuereinnahmen in Höhe von 103,5 Milliarden Euro und im Jahr 2021 dann 113 Milliarden Euro. Damit werden die kommunalen Steuereinnahmen 2020 um mehr als 14,2 Milliarden Euro unter den ursprünglichen Erwartungen vor Corona liegen. Die Gewerbesteuer wird 2020 voraussichtlich bei 42,2 Milliarden Euro liegen und damit gegenüber dem vergangenen Jahr 2019 um 23,8 Prozent einbrechen. Erst im Jahr 2024 werde die Gewerbesteuer wieder das Niveau des Jahres 2019 erreicht haben. Die Gewerbesteuer deckt im Durchschnitt 20 Prozent der kommunalen Haushalte. In den kommunalen Haushalten wird man ihren Rückgang deutlich spüren. René Geißler, Kommunalfinanzexperte der Bertelsmann Stiftung, geht davon aus, dass rund drei Viertel der kommunalen Einnahmen konjunktur- und pandemiebedingt zurückgehen werden. Denn nicht nur die Einnahmen aus der Gewerbesteuer gehen zurück, auch bei den Anteilen der Einkommens- und Umsatzsteuer und den Zuweisungen der Länder wird es zu Einnahmeverlusten kommen. Allein können die Kommunen diese riesigen Haushaltslöcher nicht schließen. Bund und Länder haben reagiert und über Nachtragshaushalte zusätzliche Mittel bereitgestellt. So erstattet der Bund unter anderem einen Teil der Ausfälle der Gewerbesteuer und stockt seinen Anteil an den Hartz-IV-Kosten auf. Die eigentliche Aufgabe liegt jedoch bei den Ländern. Hier gibt es für den Ausgleich bei den Steuerausfällen auch schon in einigen Ländern die ersten Auszahlungen. Ziemlich schnell war man in Sachsen. Dort hatte man sich bereits Anfang Mai auf einen 750-Millionen-Euro-Schutzschirm für

die Kommunen verständigt. Die erste Tranche zum Ausgleich der Steuerausfälle der Gemeinden in Höhe von 226,2 Millionen Euro wurde bereits Mitte August ausgezahlt. Auch in Sachsen-Anhalt sollen noch im Herbst 2020 über das “Gewerbesteuerausgleichsgesetz Sachsen-Anhalt” pauschale Zahlungen an die Kommunen in Höhe von 162 Millionen Euro geleistet werden. Bund und Länder übernehmen dabei jeweils die Hälfte der Kosten, also je 81 Millionen Euro. SachsenAnhalt finanziert dieses Geld über den bereits beschlossenen Nachtragshaushalt. Andernorts müssen die Kommunen noch auf die Gelder warten.

Gelder nur für 2020 Der Gewerbesteuerausgleich von Bund und Ländern ist einmalig für dieses Jahr verabredet. In den meisten Ländern beschränken sich die Hilfen daher auch nur auf das aktuelle Jahr. Bund und Länder sollten aber auch in den Blick nehmen, wie es ab dem kommenden Jahr weitergeht, fordert die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages, Verena Göppert. “Denn selbst wenn die CoronaPandemie im nächsten Jahr gut beherrscht werden kann, werden die Einnahmen der Kommunen weiterhin schwer von der Krise gekennzeichnet sein. Damit die Kommunen als Stabilitätsanker funktionieren können, werden sie voraussichtlich auch in den Jahren 2021 und 2022 Unterstützung benötigen”, so Göppert. In einigen Ländern gibt es auch bereits Zusagen für 2021, diese fallen aber meist deutlich geringer aus. So stellt Rheinland-Pfalz seinen Kommunen zusammen mit dem Bund 2020 rund 412 Millionen Euro für geschätzte Gewerbesteuermindereinnahmen zur Verfügung. Für 2021 veranschlagt das Land hierfür nur noch 50 Millionen Euro. Ganz anders in Brandenburg, hier erhöht das Land seinen Eigenanteil bei den Ausgleichszahlungen sogar: “Wenngleich das Land selbst deutlich weniger Steuern einnimmt, wie die Sep-

tember-Steuerschätzung nun nochmals prognostiziert hat, so gleicht es doch entsprechend den Vereinbarungen mit den Kommunen zum Kommunalen Rettungsschirm Brandenburg 50 Prozent der kommunalen Steuermindereinnahmen im Jahr 2020 und 75 Prozent im Jahr 2021 aus”, erklärte Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange im September bei der Vorstellung der aktuellen Zahlen zur September-Steuerschätzung. Finanzexperten zufolge sind die Kommunen für das aktuelle Jahr finanziell gut abgeschirmt. Für das kommende Jahr seien hingegen noch viele Fragen offen. So habe die Ersatzleistung für die wegfallende Gewerbesteuer von über einer Milliarde, die demnächst für Hessens Kommunen ausgezahlt werde, diesen im Jahr 2020 die ärgsten Sorgen genommen, “dafür klaffen aber im Jahr 2021 Löcher in den kommunalen Haushalten, die trotz weiterer Finanzspritzen des Landes nicht auszugleichen sind”, mahnt André Schellenberg, Vorsitzender des Ausschusses für Finanzen und Wirtschaft des Hessischen Städtetages und Darmstadts Stadtkämmerer. Die Decke sei bei den allermeisten Städten zu kurz, um ohne neue Schulden in den kommenden Jahren die Leistungen für ihre Bürger erbringen zu können.

Weitere Hilfen Neben der Gewerbesteuer gibt es aber auch andere Maßnahmen, wie die Länder ihren Kommunen unter die Arme greifen können. So stockt ein Teil der Länder den kommunalen Finanzausgleich auf. Rund die Hälfte gewähren Zuwendungen für Krisenmaßnahmen, andere gewähren Erleichterungen im Haushaltsrecht. So können Kommunen in Schleswig-Holstein Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung vorläufig zurückstellen. Zudem verzichten die Aufsichtsbehörden in diesem Jahr ausdrücklich auf Kürzungen im Rahmen von Nachtragshaushalten der Kommunen bezüglich der Finanzierung von Maßnahmen zur Bekämpfung der CoronaEpidemie.

Forum für Kämmerei und Kassenwesen, Beteiligungen, Personal, Organisation und Rechnungsprüfung

Kommunaler Finanzgipfel 26. – 27. Oktober 2020, Rheinhotel Dreesen

Referenten, u. a.: Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen

Dirk Käsbach, Erster Beigeordneter und Kämmerer, Stadt Königswinter

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.finanz-gipfel.de

Dr. Isabell Nehmeyer-Srocke, Amtsleiterin der Kämmerei, Stadt Köln

Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. (Zweiter Senat)

Veranstalter

Unterstützung Weiterbildung Erfahrungsaustausch


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / Oktober 2020

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Geteilte Meinungen

► Entscheidungen zum Vergaberecht

EU-Schwellenwerte sollen erhöht werden ► BAUZEIT

Zuschlag ohne Vertrag Kritische Änderung der ­Ausführungsfristen Die Vergabe von Straßenbauarbeiten hat sich verzögert. Das hätte unproblematisch sein können, hatte doch der Bestbieter einer Bindefristverlängerung zugestimmt, die über das spätere tatsächliche Zuschlagdatum hinaus gereicht hat. Doch dem Bauherrn war das nicht genug. Er kannte die Rechtsprechung zum verzögerten Zuschlag, wonach ihm alle Zusatzkosten zur Last fallen werden, die dem Auftragnehmer durch die Änderung der Bauzeit entstehen. So erteilte er den Zuschlag unter deren Neufestsetzung. Der Bieter erklärte darauf, er müsse zunächst prüfen, ob er mit den vorhandenen Kapazitäten überhaupt in der Lage sei, die neuen Termine einzuhalten und wies auf künftige Mehrkosten hin. Mehrkosten? Das wollte der Bauherr doch gerade vermeiden! So nahm er davon Abstand, den Bieter zur Ausführung zu drängen. Der Bieter aber glaubte, der Vertrag mit dem Bauherrn sei durch den Zuschlag zustande gekommen und verlangt Schadensersatz für den verlorenen Auftrag. In letzter Instanz weist der Bundesgerichtshof diese Forderung zurück. Die zögerliche Antwort auf das abändernde Zuschlagsschreiben genügte nicht, um darin eine Zustimmung zu dem Ansinnen des Bauherrn zu erkennen. Weil somit also gar kein Vertrag zustande gekommen war, fehlt es an einer Grundlage für den Schadensersatz. Zu ergänzen wäre noch: Hätte der Bieter ausdrücklich dem geänderten Zuschlag zugestimmt, wären seine Ansprüche aus der Bauzeitverschiebung entfallen. BGH (Urt. v. 03.07.2020, Az.: VII ZR 144/19)

► DRITTSTAATEN

Keine Tram aus China Angebotszurückweisung ­möglich Für die Beschaffung von 45 neuen Straßenbahnzügen lagen dem Auftraggeber nur drei Bewerbungen vor, die sich für die zweite Runde des Verhandlungsverfahrens qualifiziert hatten. Eines der drei darauf eingegangenen Angebote musste vom Auftraggeber ausgeschlossen werden. Es verblieb ein Angebot aus der Tschechischen Republik und eines von einem Unternehmen aus der Volksrepublik China. Letzterem Bieter war auf seine Frage nach einer möglichen Beteiligung schon vorab mitgeteilt worden, dass Angebote, die aus nicht-GPA-Staaten stammen, zurückgewiesen werden können. Nach Angebotswertung teilte der Auftraggeber dem chinesischen Bieter mit, sein Angebot sei ebenfalls ausschlussbedürftig, weil es mehrere Mindestbedingungen nicht erfülle. Hiergegen wehrt sich das Unternehmen. Derweil hatte der Auftraggeber aber in seiner internen Dokumentation bereits niedergelegt, dass er das Angebot nach § 55 Abs. 1 SektVO zurückweisen werde, sofern noch ein anderes wertbares Angebot aus einem GPA-Staat vorliege. Erst im Nachprüfungsverfahren teilt der Auftraggeber diesen Zu-

rückwesungsbeschluss mit. Das OLG bestätigt die Zurückweisung. Sie sei jederzeit vor Zuschlagserteilung möglich. Es widerspreche auch nicht Treu und Glauben, dass sie so spät ausgesprochen werde. Der Auftraggeber habe das Recht, das Angebot so lange in der Wertung zu halten, bis er sicher sei, dass er den Zuschlag auf ein anderes werde erteilen können, um seine Bedarfsdeckung abzusichern. Die Zurückweisung stelle zudem eine besondere Form des Ausschlusses dar. Damit erledigt sich das Nachprüfungsverfahren nicht, sondern der Bieter unterliegt. Demnach ist auch die beantragte Fortsetzungsfeststellung unzulässig. OLG Brandenburg (Beschl. v. 02.06.2020, Az.: 19 Verg 1/20)

► SPARSAMKEIT

Qualität darf leiden Der Preis als Maß aller Dinge Die Gemeinde sucht einen Betreiber für eine Kindertagesstätte. Allerdings ist die Haushaltslage sehr angespannt, sodass den Kindern lediglich das gesetzliche Leistungsminimum geboten werden kann. In dieser Situation schreibt die Gemeinde die Leistung ohne jedes differenzierende Qualitätskriterium aus: Allein der Preis des Angebotes soll entscheidend sein. Ein Interessent hält das Verfahren für rechtswidrig, weil er – als tarifgebundenes Unternehmen – in einem solchen Preiswettbewerb gegen tariflose Konkurrenten keine Chance habe, wenn er nicht mit höherer Qualität punkten könne. Die Vergabekammer folgt dieser Auffassung nicht. Das Vergaberecht sei schon nicht dafür gemacht, ungleiche wirtschaftliche Ausgangsbedingungen der Bieter – hier die Lohnkosten – zu nivellieren. Zudem sei bei einem extrem angespannten Personalmarkt fraglich, ob tariflose Unternehmen tatsächlich Mitarbeiter fänden, die zu geringerem Lohn arbeiten würden. Auch sei der gänzliche Verzicht auf einen Qualitätswettbewerb nicht unzulässig. So werde der Angebotspreis im Wesentlichen davon bestimmt, mit welcher Personalstärke ein Bieter die gesetzlichen Mindestleistungen zu erbringen in der Lage sei. Der Auftraggeber habe konkret durch Vergleiche mit anderen Ausschreibungen aus benachbarten Kommunen darlegen können, dass jedwede Einführung von Qualitätskriterien zu Kostensteigerungen führe. Wenn dafür keine Haushaltsmittel zur Verfügung stünden, sei eine Beschränkung auf das gesetzliche Minimum nicht zu beanstanden. VK Lüneburg (Beschl. v. 27.04.2020, Az.: VgK-04/2020)

► ZERTIFIKAT

Keine Übertragbarkeit Neuausstellung nach ­Ausgliederung nötig Das Bieterunternehmen war ein halbes Jahr vor Angebotsabgabe durch Ausgliederung aus einem größeren Unternehmensverbund entstanden. Um den Auftrag zu erlangen, musste es eine Qualitäts- und Umweltmanagement-Zertifizierung nach DIN 9001 bzw. 14001 vorlegen. Eine solche Zertifizierung war in früheren Jahren auf den später ausgegliederten

Unternehmensteil ausgestellt worden. Dieses Zertifikat legte der Bieter vor. Das ist nach Auffassung der Vergabekammer des Bundes unzureichend. Ein Zertifikat kann nicht “vererbt” werden – schon gar nicht eines, das Management-Qualitäten bescheinigt. Denn Grundlage des Zertifikates sind die Unternehmensstrukturen zum Zeitpunkt der Zertifizierung. Wenn jedoch der zertifizierte Unternehmensteil aus einem Verbund aus- und in einen anderen eingegliedert wird, lässt sich ohne Weiteres nicht feststellen, ob die einstmals zertifizierte Managementstruktur weiterbesteht. Da hilft dem Bieter auch nicht der Hinweis auf die Rechtsnachfolge. Das Zertifikat ist durch Rechtsgeschäft nicht übertragbar. Herr des Zertifikates bleibt der Zertifizierer, nicht der Zertifizierte. Der Bieter hätte deswegen beim Zertifizierer um eine Umschreibung des Zertifikates nachsuchen und das so geänderte Zertifikat vorlegen müssen. Er hätte dafür ein halbes Jahr Zeit gehabt. VK Bund (Beschl. v. 28.05.2020, Az.: VK 2-29/20)

► RÜGE

Schädliche Erfahrung Verstoß war erkennbar Im elektronischen Vergabeverfahren nach VOB/A-EU ist der bieteröffentliche Submissionstermin entfallen. Stattdessen ist der Auftraggeber gehalten, das Submissionsergebnis unverzüglich den Bietern zu übermitteln. Welche Folge aber hat es, wenn der Auftraggeber dies versäumt? Fünf Wochen nach der Submission lag dem Antragsteller das Ergebnis noch immer nicht vor. Dann mahnte er es an. Ohne Erfolg: Der Auftraggeber teilte mit, er könne es nicht zur Verfügung stellen und tat es auch bis zur Information über die Zuschlagsabsicht weitere drei Wochen später nicht. Jetzt rügte der Antragsteller das Fehlen und blieb auch damit ohne Erfolg. Sein anschließender Nachprüfungsantrag war ebenso erfolglos. Die Vergabekammer hatte sich die Website des Antragstellers angesehen. Danach sei er “erfahren mit Großprojekten” und arbeite typischerweise “für die öffentliche Verwaltung”. Demnach müsse der Antragsteller auch Erfahrung mit dem Vergaberecht und den Verstoß erkannt haben. Sein Zuwarten zwischen der ersten abschlägigen Antwort und der formalen Rüge war viel zu lang. Außerdem entstehe durch das Vorenthalten des Protokolls allein kein Schaden. Hier war nämlich aus der Vergabeakte erkennbar, dass das Submissionsprotokoll tatsächlich korrekt erstellt worden war. Und auch sonst lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der verzögerten Übermittlung irgendeine eine Manipulationsabsicht zugrunde liegen könnte. VK Hessen (Beschl. v. 05.02.2020, Az.: 69d VK27/2019)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

jeden Monat im Behörden Spiegel ◄

(BS/jf) Im Zuge der Corona-Pandemie haben viele Bundesländer im Anwendungsbereich der Unterschwellenvergabeordnung (UVGO) die Wertgrenzen für die Verhandlungsvergabe mit und ohne Teilnahmewettbewerb deutlich angehoben. Nun ist eine Diskussion entbrannt, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die europäischen Schwellenwerte zu verdoppeln. “Um die Einnahmeeinbußen durch die Corona-Pandemie aufzufangen, brauchen wir jetzt einen Schub für die Wirtschaft”, erklärt der Bundesvorsitzende der Kommunalpolitischen Vereinigung (KPV) der CDU/CSU in Deutschland, Christian Haase. Dafür müsse entsprechend der Forderung der kommunalen Spitzenverbände das Vergaberecht entbürokratisiert und entschlackt werden. Konkret solle sich die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dafür einsetzen, die EU-Schwellenwerte zu erhöhen. “Bauleistungen sollen erst ab zehn Millionen Euro europaweit ausgeschrieben werden müssen statt wie bisher bereits ab 5,35 Millionen Euro. Bei Liefer- und Dienstleistungen sollte der Schwellenwert von derzeit 214.000 Euro auf 500.000 Euro angehoben werden”, so Haase. Unterstützung erhält der CDU-Bundestagsabgeordnete von Norbert Portz, Beigeordneter im Deutschen Städte- und Gemeindebund: “Die Märkte sind meist regional begrenzt. Trotz einer nötigen Abgleichung mit dem WTO-Abkommen sollte die Bundesregierung daher ihre EU-Ratspräsidentschaft nutzen.” Zudem müsse bereits für die Planung eines Kindergartens mit einer Summe von 1,2 Mio. Euro eine europaweite Ausschreibung erfolgen. Für Planungsleistungen und andere freiberufliche Leistungen sollte deshalb wie bei “sozialen Dienstleistungen” der Schwellenwert auf 750.000 Euro heraufgesetzt werden, sind sich Portz und Haase einig.

Sonderfall ­Planungsleistungen Noch weiter geht in diesem Punkt Dr.-Ing. Werner Weigl: “Planungskosten betragen circa 20 Prozent der Baukosten”, erklärt der Vorsitzende des Arbeitskreises Vergabe der Bundesingenieurkammer (BIngK) und zweiter Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Während Planungsleistungen schon bei Baukosten ab 1,2 Mio. Eu-

MELDUNG

Grundstein gelegt (BS/jf) Die elektronische Kommunikation mit Bietern und Vergabestelle sowie die elektronische Abgabe eines Angebotes gibt es schon länger, bis der komplette Beschaffungsprozess jedoch digitalisiert ist, ist es noch ein weiter Weg. Jetzt will eine Bund-Länder-Kooperation für dieses Ziel Standards festsetzen. Bremen, NRW, RheinlandPfalz, der Bund und die Koordinierungsstelle für IT-Standards (KoSIT) wollen bis zum Jahresende ein gemeinsames Architekturkonzept vorlegen, das als Blaupause an interessierte Behörden weitergegeben werden kann. Dabei will sich der Bund vornehmlich der standardbasierten Vereinfachung des Unternehmenszugangs zur öffentlichen Beschaffung widmen. Dazu soll das künftige einheitliche Elsterbasierte Unternehmenskonto in den Vergabeprozess integriert werden. Während sich NRW verstärkt um die übergreifende Konzeption der Prozesse zur Bedarfsermittlung und den Beschaffungsantrag kümmert, fokussieren Bremen und Rheinland-Pfalz auf den automatisierten Bestellprozess.

ro europaweit auszuschreiben seien, liege der Schwellenwert bei Bauleistungen aktuell bei 5,3 Mio. Euro. “Dies stellt im Baubereich eine Ungleichbehandlung der Leistungen dar. Der Schwellenwert für Planungsleistungen muss deshalb auf 20 Prozent des Schwellenwertes für Bauleistungen erhöht werden”, fordert Weigl. Das wäre beim jetzigen Schwellenwert eine Grenze von knapp über einer Millionen Euro. Bei den neu geforderten Schwellenwerten sogar von zwei Millionen.

Hoher Preis “Die EU-Schwellenwerte dürfen keinesfalls verdoppelt werden”, unterstreicht dagegen Nils Lau, Abteilungsleiter Recht, Wettbewerb und Verbraucherpolitik

beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Eine solche Anhebung erhöhe die Gefahr intransparenter Verfahren erheblich, weil im sog. Unterschwellenbereich viel weniger strenge Regelungen gelten würden. Zum Beispiel seien weniger formale Vergabeverfahren erlaubt. “Der Preis dafür liegt jedoch in weniger Transparenz und Wettbewerb”, sagt Lau. Der wichtigste Punkt sei aber, dass es im Bereich unter den EU-Schwellenwerten noch immer keinen effektiven Rechtsschutz als Korrektiv gebe. “Wenn dieser Bereich laut der kommunalen Forderungen im Baubereich fast verdoppelt und im Lieferbereich sogar darüber hinausgehen soll, ist das für die deutsche Industrie nicht hinnehmbar.”

qanuun-aktuell Wer entscheidet, der haftet – der öffentliche Dienst auf den Spuren der Privatwirtschaft von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune In der Privatwirtschaft ist der Gedanke der persönlichen Haftung von Führungskräften, besonders in der Unternehmensspitze, inzwischen üblich. Zahlreiche Risiken des entscheidungsfreudigen Manager-Alltags kann eine D&O-Versicherung abfedern, aber nicht bei grob fahrlässigem oder gar vorsätzlichem Handeln. Deshalb muss die Führungskraft stets Risiken und Chancen abwägen, um ihre Entscheidungen zu steuern. Im Öffentlichen Dienst ist das in der Theorie nicht anders, in der Praxis bislang schon. Zahlreiche Prestigeprojekte wurden deutlich teurer als ursprünglich kalkuliert und das (in der Privatwirtschaft) übliche Knowyour-Contracting-Party “übersehen”, wenn denn politischer Ruhm zu erwarten war. Die Liste der Projekte land-auf-landab, bei denen dieses Vorgehen allen Beteiligten auf die Füße fiel und den Steuerzahler sehr viel Geld kostete, ist lang. Die Versuche, die entscheidungsund ausgabefreudigen Amtsträger haftungstechnisch zur Verantwortung zu ziehen, waren im Vergleich dazu kläglich. Das könnte sich jetzt ändern.

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

Auch wenn die Entscheidungsgründe noch nicht publik und eine Berufung zu erwarten ist, so ist das Urteil des VG Köln ein Paukenschlag. Einer früheren Oberbürgermeisterin und dem ehemaligen Stadtdirektor wurde vorgeworfen, beim Bau eines renommierten Kongresszen­ trums ihre beamtenrechtlichen Dienstpflichten grob fahrlässig verletzt zu haben: mit der Konsequenz eines Schadensersatzanspruchs der betroffenen Kommune in Höhe von jeweils einer Million Euro. Das macht nicht nur den Ruhestand, in dem sich beide befinden, bitter, sondern ist auch ein Signal. Die öffentliche Hand zieht beim Thema Compliance Stück für Stück mit der Privatwirtschaft mit und das ist gut so.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen


Diplomaten Spiegel

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U

nsere handelt von der friedlichen, ethnisch weitgehend homogenen Mongolei mit 3,2 Millionen Einwohnern, einem Flächenstaat, der mit 1,6 Millionen km2 viereinhalb Mal so groß ist wie Deutschland. Die enge Verbindung zu diesem reicht bis in die 1920er-Jahre zurück, als die ersten mongolischen Studenten hierherkommen. Seitdem sind wir ein beliebtes Studienland. Demzufolge sprechen über 30.000 Mongolen deutsch, was auch an dem früheren Sonderverhältnis zwischen der DDR und der Mongolischen Volksrepublik liegen mag. Wie auch immer – letztes Jahr feiern Berlin und Ulaanbaatar die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum 45sten Male.

Behörden Spiegel / Oktober 2020

Über die “Dritt-Nachbar-Theorie” Ein Gespräch mit dem mongolischen Botschafter Dr. Damba Ganbat in Berlin (BS/ps) Das mongolische Heer ist mit 100.000 Mann, den 40.000 auf deutsch-polnischer Seite zahlenmäßig und vor allem ob ihrer modernen, operativen Kriegsführung taktisch hoch überlegen. Mit leichter Kavallerie greifen sie die schwerfälligen abendländischen Truppen immer wieder an, fügten ihnen schwere Verluste zu, galoppierten davon und lassen allenfalls Strohpuppen auf den Pferden zurück, um die Gegner über ihre wahre Truppenstarke zu täuschen. So 1241 bei der Schlacht im einst niederschlesischen Liegnitz unter der Führung eines Nachfahren des legendären Dschingis Khan (1162–1227) und seiner “Flexible Response”: Militärisch siegreich vergänglich doch modisch beständig bis heute: Seine Reiter tragen nämlich Stiefel mit Absätzen, um nicht bei wildem Galopp aus den Steigbügeln rutschend vom Pferd zu fallen. Seither haben die Fersenerhöhungen, als mehr oder weniger “High Heels"”, in diversen Variationen den Siegeszug um die Welt angetreten. Doch das ist eine andere Geschichte…

Hauptpartnerland in Europa Seit dem demokratischen Neuanfang der Mongolei 1990, bis dahin faktischer Bestandteil der Sowjetunion, machen die Demokratisierung und der Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen beachtliche Fortschritte. Die enge Partnerschaft mit dem wiedervereinigten Deutschland entwickelt sich in allen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bereichen gut. “Die Bundesrepublik”, so Botschafter Dr. Damba Ganbat, “ist für uns der Hauptpartner unseres “dritten Nachbarn Europa” (neben den geografischen – Russland und China, d. Red.). Diese “DrittNachbarschaftspolitik” ist fester Bestandteil unserer Außenpolitik und bezieht sich auf Staaten, die gemeinsame demokratische Werte sowie kulturelle und historische Verbindung mit uns haben. Die Europäische Union ist ein solcher “Nachbar-Staat”und für mich eine willkommene Gelegenheit, in unserem Hauptpartnerland in Europa die “DrittNachbar-Theorie” umzusetzen.” Eine von vielen Aufgaben des 58-jährigen promovierten Philologen in Berlin. Geboren in Ulaanbaatar, arbeitet er nach dem Philosophiestudium erst einmal als Lehrer, dann im Büro des Premierministers, promoviert in Politikwissenschaften, leitet bis 2017 das Institut für Strategische Studien in Ulaanbaatar, der Hauptstadt der zentralasiatischen Republik, und wird im September desselben Jahres diplomatischer Frontmann in Berlin, sozusagen “in guter Nachbarschaft”, bei der nicht nur die “Chemie” stimmt.

Seit fast drei Jahren Chefdiplomat der Republik Mongolei in Berlin: Dr. Damba Ganbat

Rezept des Botschafters Tsuivan – Eintopf mit Gemüse, Fleisch und Nudeln

Zutaten: 200 g Fleisch ohne Knochen (Lamm, Rind, ev. Schwein); für Mongolen ist fettes Fleisch gutes Fleisch, es geht aber problemlos auch mit magerem oder “Borts”, Trockenfleisch, das vom Rind, Yak, Kamel und Pferd stammt. Das Fleisch wird in schmalen Streifen an der Luft getrocknet und zu einem faserigen Pulver zerstoßen. 350 g Gemüse – Weißkraut und Karotten, anderes Gemüse je nach Vorliebe. 1 Zwiebel in halbe Ringe schneiden, 2 Knoblauchzehen hacken, 2 bis 4 dl Wasser, Salz, Pfeffer, Öl; eventuell einige Frühlingszwiebeln in Ringe schneiden. 300 g breite oder schmale, frische/getrocknete Nudeln. Zubereitung: Das Gemüse in schmale Streifen und das Fleisch in kleine Stücke schneiden (circa halb so groß wie für ein Gulasch). In einem großen Topf die

Hälfte der Zwiebelringe in Öl leicht andünsten. Die Karottenstreifen ein paar Minuten mitdünsten (oder eventuell auch andere Gemüsesorten, die relativ lange zum Garen benötigen), Fleisch dazugeben und anbraten. Nach Bedarf etwas Wasser dazugeben, damit sich nichts festsetzt. Mit Knoblauch, Salz und Pfeffer kräftig würzen. Nun Weißkraut dazugeben, bei geschlossenem Deckel einige Minuten garen lassen, mit Wasser auffüllen und einige Minuten ziehen lassen. Den Rest der Zwiebelringe dazugeben. Garen des Eintopfes: Die Nudeln in den Topf geben, Deckel drauf und bis zum Schluss nicht mehr öffnen und ca. 15 Minuten auf mittlerer und dann auf kleiner Hitze köcheln, bis das Wasser im Topf fast vollständig verdampft ist. Die Nudeln haben nun eine ganz leicht rötlich-braune Färbung angenommen und werden mit Fleisch und Gemüse verrührt. Auf dem Teller anrichten, eventuell mit Tomatenschnitzen oder Petersilie garnieren.

Zwischen Rohstoffen und dualer Ausbildung Seit 2008 bestehen umfassende Partnerschaften und erfolgreiche Kooperationen in politischen, gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Bereichen. “Die bilaterale wirtschaftliche Zusammenarbeit ist seit 2011 mehr und mehr eine strategische Rohstoffpartnerschaft, die umfassend mit Deutschland ausgebaut wird. Interessant ist für uns insbesondere das duale Berufsausbildungssystem in den

Ein echter Hingucker: Der Berliner Buddy-Bär, bemalt mit dem traditionellen Kleidungsstück der Mongolen – dem Deel, einem besonders langen Mantel, dessen Stoff über Brust und Bauch zusammengeschlagen wird.

kleinen und mittleren Unternehmen hierzulande, ihre Standards, Normen und Qualität des “Made in Germany”. Da hoffen wir sehr auf den Wissenstransfer, um zu sehen, wie das alles praktisch funktioniert. Unsere Unternehmer wollen keine Lieferanten billiger Rohstoffe mehr sein, sondern die Wertschöpfung durch neue Technologien und besseres Know-how erhöhen”, berichtet Ganbat. “Meine Regierung arbeitet an einer umfassenden Reform des Berufsbildungssystems und wird dabei von Deutschland beraten. Die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt zwölf ausgewählte mongolische Berufsbildungseinrichtungen bei der Verbesserung der formalen technischen Berufsausbildung sowie bei der Etablierung eines kooperativen Ansatzes zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Im Rahmen des GIZ-Projektes “Kooperative Berufsbildung”, das zudem durch die Schweiz und Australien kofinanziert wird, lernen über 100 unserer Berufsschüler in Fächern wie Metallund Straßenbau, Krankenpflege und Informatik an deutschen Schulen. Die mittelständisch geprägte deutsche Wirtschaft ist weltweit deshalb so erfolg-

reich, weil sie in der Lage ist, Kooperationen und Allianzen zu schmieden, um gemeinsam große Aufgaben zu stemmen. Und genau das ist auch für unsere wirtschaftliche Entwicklung sehr wichtig.”

Rund 30 Jahre Reformpolitik Dies alles ist Teil der seit den 90er-Jahren von Ulaanbataar verfolgten Reformpolitik, in deren Mittelpunkt die Förderung des privaten Sektors und ausländische Investitionen stehen. Heute liegt das BIP der Mongolei bei 13,8 Mrd. US-Dollar (IMF 2019) und das Wirtschaftswachstum beträgt, vor Ausbruch der Corona-Pandemie, circa sechs Prozent, was meist auf den Export von Bodenschätzen beruht und sehr abhängig vom Weltmarkt und den Importeuren ist. “Deshalb setzt die Regierung auf die Stabilisierung und Diversifizierung der Wirtschaft, den Ausbau der verarbeitenden Industrie und eine strukturierten Landwirtschaft”, erklärt der Botschafter. “Direktinvestitionen sind nach wie vor die wichtigsten Wachstumsimpulse dafür. So wird in den letzten Jahren sehr viel für ein gutes Investitionsklima, verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen und in-

teressante Investitionsanreize getan. Mit der Bundesrepublik wurde bereits 1991 der “Vertrag über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitaleinlagen” unterzeichnet.”

Kaum Corona In der Mongolei gibt es im September “nur” 306 Covid19-Fälle und keine Toten. Doch die wirtschaftlichen Aufwärtstrends sind, wie überall, stark verlangsamt. Die Regierung von Premierminister Uchnaagiin Chürelsüch versucht daher mit

Fotos: BS/Dombrowsky

Steuersenkungen, Zahlungsaufschub für Kredite und einer Befreiung von Steuerschulden dagegenzuhalten. “Eine weitere aufwendige Maßnahme ist die Rückholaktion von fast 25.000 unserer Staatsangehörigen aus allen Ecken der Welt. Verglichen mit der Gesamtzahl der Bevölkerung, 3,2 Millionen Einwohner, keine Kleinigkeit. Vor diesem Hintergrund ist es dringlich, unsere Wirtschaft auf neue Produktions- bzw. Produktbereiche umzustellen, wobei der Tourismus, als einer der drei wichtigsten Wirtschaftssektoren, eine sehr bedeutende Rolle spielt. Der Gesamtbeitrag der Tourismusbranche zum BIP”, erläutert Botschafter Dr. Ganbat, “beträgt elf Prozent und die Zahl der Touristen 2019 insgesamt 577.000, was im Vergleich zur Gesamtbevölkerung zufriedenstellend ist. Dennoch möchten wir diese bald auf eine Million erhöhen.” Was gerade in Corona-Zeiten nicht ausgeschlossen scheint. In dem am dünnsten besiedelten Staat der Welt ist die Ansteckungsgefahr überschaubar und die Reise dorthin für deutsche Urlauber ohne Visum möglich. “Die wilde und unversehrte Natur des Landes bietet fast alles – Wüstenlandschaft im Süden, unendliche Steppe im Osten, Berge und Wälder im Westen und Norden. Hinzu kommen unsere Kultur und die Lebenswei-

se der Nomadenbevölkerung”, wirbt Ganbat für eine Reise in die Mongolei.

Sehenswertes Land Sehr sehenswert ist die Schlucht Yolyn Am im Nationalpark Gobi Gurwan Saichan: Unter dicken Eisbrocken strömt am Rand der Wüste ein Fluss durch eine tiefe und enge Schlucht. Ein weiteres unvergleichliches Naturphänomen sind die aus Sandstein bestehenden Roten Klippen von Bayanzak und die Thermalquellen von Tsenkher. Auch der Nationalpark Khustain Nuruu ist ein lohnenswertes Ziel. Er ist Heimat der letzten in Freiheit lebenden Przewalski-Pferde. Rund um den Tuul-Fluss sind außerdem Wölfe, Sibirische Steinböcke, Luchse und zahlreiche andere Wildtiere zu Hause. Ein kultureller Höhepunkt ist das Kloster Erdene Dsuu im Orchon-Tal. “Ich würde sagen, dass Sie drei- sogar viermal für 14 Tage mein Land besuchen sollten, weil es viermal größer als Deutschland ist und es dort jedes Mal etwas Neues zu entdecken gibt.” Als der 32-jährige Damba Ganbat 1994 nach Deutschland kommt, ist es seine erste Reise in ein westliches Land. Alles ist neu, es gibt viel zu entdecken und wir sollen, nach seiner Vorstellung, alle fleißig, ordentlich und pünktlich sein. “Jeden Morgen, auf dem Weg zum Unterricht in Saarbrücken, nehme ich den Bus um 8:47 Uhr und bin immer erstaunt, wie pünktlich er kommt. Nicht nur diese Erfahrung bestätigt meine Erwartungen. Ich erlebe die Menschen hier überdies als ehrlich, vertrauensvoll und hilfsbereit.” Er sieht das heute noch so, als Botschafter in Berlin, und ist im Übrigen auch in diesem neuen Job voll und ganz angekommen. “Ich bin jetzt drei Jahre hier, die Zeit ist schnell vergangen und alles ist gut. Doch ich vermisse meine neun Enkelkinder. Zum Glück leben meine Frau und zwei meiner Töchter hier mit mir. Ich empfinde es als großes Glück, dass sie in der jahrhundertealten Kulturgesellschaft Europas aufwachsen”, so der 58-Jährige.

Letzte Frage Mit wem würden Sie gerne mal für einen Tag tauschen? “Ich wuchs in einer geschlossenen Gesellschaft auf. Eine Kulturwelle durchbrach damals den eisernen Vorhang, es war die Musikgruppe “Dschighis Khan”. Der Sänger Wolfgang Heichel ist seit 2018 Kulturbotschafter der Mongolei. Ein Ehrenamt mit der grenzüberschreitenden Mission zur Entwicklung des kulturellen und humanitären Austausches zwischen Ländern. Als Kulturbotschafter kennt er meine Arbeit als Botschafter gut. Darum hätte ich keine Bedenken, ihm für einen Tag meine Pflichten anzuvertrauen. Dafür würde ich mit Vergnügen meine Gitarre nehmen und singend auf Tournee gehen.” Wie wär’s als – “Rocking Son of Dschingis Khan” in Erinnerung an die gleichnamige Band? Aber das ist wieder eine andere Geschichte…

Moderner Amtssitz im Herzen Berlins: die Botschaft der Mongolei am Hausvogteiplatz, in der Nähe des Auswärtigen Amtes


Personelles

Behörden Spiegel / Oktober 2020

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Ministerium für Justiz, Europa und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein Ministerium für Justiz, Europa und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein Lorentzendamm 35, 24103 Kiel

Ministerbüro Leiter: Christoph Münch -3702 II PR Persönlicher Referent Dr. Frederike Seesko -3859 II PK Politischer Koordinator Dr. Frederik Heinz -3605 II PS Pressesprecher Oliver Breuer -3706 II KR Kommunikation und Reden Dr. Wolf Gehrmann -3705

POSTANSCHRIFT: Postfach 7145, 24171 Kiel E-Mail: poststelle@jumi.landsh.de Telefon: 0431/988-0 bzw. Nebenstelle Telefax: -3870 (Poststelle) -3704 (Pressestelle) -3804 (Koordinierungsstelle) -3883 (Abteilung 1) -3871 (Abteilung 2) -3881 (Abteilung 3) -3895 (Abteilung 4) -2103 (Abteilung 5) Internet: www.mjev.schleswig holstein.de

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Ministerium für Justiz, Europa und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein Stand: Oktober 2020

Gleichstellungsbeauftragte Ministerium Melanie Jochimsen -3854 Justizvollzug Kirsten Lill 3826 Gerichte und Staatsanwaltschaften Insa Norden 0431/604-2430

Minister Claus Christian Claussen Foto: BS/© Soehnke Ehlers

Inklusionsbeauftragte des Arbeitgebers Petra Hänisch -3808

Staatssekretär Wilfried Hoops

Europäische Prüfbehörde Leitung: Markus Stiegler -2500 Koordinierungsstelle Leitung: Hans Peter Mallkowsky -3806 Datenschutzbeauftragte II DB Susanne Hanebuth -3731

Abteilung II 1

Abteilung II 2

Abteilung II 3

Abteilung II 4

Abteilung II 5

Allgemeine Angelegenheiten

Justizvollzug, Ambulante Soziale Dienste der Justiz, Freie Straffälligenhilfe

Rechts- und justizpolitische Angelegenheiten, Gerichte und Staatsanwaltschaften, Gnadenwesen Dr. Dirk Bahrenfuss -3710

Verbraucherschutz

Europa-, Ostsee und Nordseeangelegenheiten

Ursel Hoppe

-3850

II 10 Personal des Ministeriums, Personalrecht und Orden Jan-Hendrik Strunk -3773 II 11 Haushalt, Finanzen , Bauhaushalt Klaus Dietrich Neuhausen -3747 II 12 IT und Servicereferat Richard Hoffmann

-3708

II 14 Organisation, Controlling, Kosten und Leistungsrechnung Daniela Georgus -3750

Tobias Berger

-3810

II 20 Vollzugsgestaltung Dr. Silvia Müller

-3864

II 21 Personal, Organisation, Neue Steuerung und Haushalt Jürgen Kilian-Georgus -3824 II 22 Sicherheit und Ordnung, Bau, Vollzugsrecht, Belegung Stephanie Korn Odenthal -3722 II 23 Arbeit und Qualifizierung von Gefangenen; Aus- und Fortbildung der Bediensteten NN II 24 Ambulante Soziale Dienste der Justiz Freie Straffälligenhilfe, Therapieunterbringung Joachim Tein -3829 Projekt “Übergangsmanagement” NN Teilprojekt “Einführung der Elektronischen Justizakte im Justizvollzug SH” Jens Petersen -5736

Örtlicher Personalrat Vorsitzender: Dirk Matthiesen -3751 Geschäftsstelle: Heike Ridder -3630 Vertrauensperson für Menschen mit Behinderungen Jonas Becht -5207 Hauptpersonalrat Vorsitzende: Inga Orlowski 0451/3711-391 Geschäftsstelle: Tanja Mangelsen 04821/66-2419 Dagmar Wegner 04821/66-2423 Hauptrichterrat Vorsitzender: Andrej Marc Gabler 04621/86-1437

Hauptstaatsanwaltsrat Vorsitzender: Stavros Karagiannidis 0451/371-1130 Hauptvertrauensperson für Menschen mit Behinderungen nicht richterlicher Bereich: Inga Orlowski 0451/3711-391 richterlicher Bereich: Niels Berlin: 04101/503-310 staatsanwaltschaftlicher Bereich: Bernd Kruse 0451/371-1169

Jörg Muhlack

II 30 Strafrecht, Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften, Gnadenwesen Prof. Dr. Jan Schady -3855

-8831

Thorsten Augustin

II 40 Grundsatz und Rechtsangelegenheiten des Verbraucherschutzes, Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein, wirtschaftlicher Verbraucherschutz, Digitalisierung, Qualitätsmanagement Raju Sharma -5142

II 31 Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht, Freiwillige Gerichtsbarkeit Dr. Martina Schall -2115

II 50 Landespolitische Schwerpunkte, INTERREG A, Zusammenarbeit mit Dänemark, Nordseeangelegenheiten, Informationsarbeit NN II 51 Osteeangelegenheiten Stefan Musiolik

II 42 Lebensmittel pflanzlicher Herkunft, Bedarfsgegenstände und Vermarktungsnormen Dr. Peter Seulen -7366

II 32 Staats und Verfassungsrecht, Europarecht, Fachgerichte, Justiziariat Daniel Gruber -3860

HO Hanse Office Thorsten Augustin 040/42609-42

II 43 Produktsicherheit, Interdisziplinäres Kontrollteam, Koodinierungsstelle Export Dr. Karen Lorenz -7321

II 34 Organisation und Service für die Gerichte und Staatsanwaltschaften Sabine Prieß -3712

Projekt “Geschäftsführung der IMAG-EU-Fonds” Dr. Hans Arno Petzold -2163

Projekt “Analyse der Lebensmittelüberwachung” Gudrun Passick -5213

II 35 Gemeinsame Stelle für Informations- und Kommunikationstechnik in Gerichten, Staatsanwaltschaften und Justizvollzug GemIT Dr. Jörg Peter Weiß -3821

Team IT Steuerung Teamleitung: II 35 Dr. Jörg Peter Weiß

Projekt “Zusammenarbeit mit Dänemark, INTERREG VI, europäische Informations- und Kommunikationsarbeit” Thomas Pfannkuch -2109

-3821

Team Verfahrenspflegestellen Fachverfahren Teamleitung: II 35T2 Sascha Bendixen -2088 04321/49071-74

Projekt “eJustiz SH – elektronischer Rechtsverkehr / elektronische Akte bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften” Dominik Mardorf -3769 Andy Mitterer -3796

Team Verfahrenspflegestellen E-Akte / ERV Teamleitung: II 35T3 Daniel Brück -2089 Team IT-Basisdienste Teamleitung: II 35T4 Jan Tröster

-2637

WEITERE ANSCHRIFTEN: Ref. 35 und Projekt eJustiz: Jensendamm 5 , 24103 Kiel Abt. 2: Legienstraße1 , 24103 Kiel Abteilung 4 und 5: Muhliusstraße 38 , 24103 Kiel

Behörde für Justiz und Verbraucherschutz Behörde für Justiz und Verbraucherschutz der Freien und Hansestadt Hamburg 20354 Hamburg, Drehbahn 36 Durchwahl: 040/428 43 - [vierstellige Zahl] 20539 Hamburg, Billstraße 80 20097 Hamburg, Friesenstraße 1-3 Durchwahl: 040/428 37 - [vierstellige Zahl]

Schwerbehindertenvertretung Vorsitzender: Andreas Thater -5306 Personalrat Vorsitzender: Ralf Wilke

Senatorin Anna Galina

IR Innenrevision und Antikorruptionsstelle Bert Hinsch -4743

beh DSB Behördliche Datenschutzbeauftragte Dr. Manuela Gürtler-Bayer -3486

GB Gleichstellungsbeauftragte der Behörde und der Justizvollzugsanstalten GB 1 Florian Bremer-Gast -3649 GB 2 Vertreterin: Jasmin Brunnemann -3649

-2188

FS Leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit Norbert Schulz -3052

-3271

Deputation

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Behörde für Justiz und Verbraucherschutz Stand: Oktober 2020

P Präsidialstab Dr. Thomas Baehr

Foto: BS/© Daniel Reinhardt / Senatskanzlei Hamburg

Postanschrift: 20310 Hamburg, Postfach 30 28 22 E-Mail: Poststelle@justiz.hamburg.de Vermittlung: 040/115

-2110

II 52 Europapolitik am Standort Berlin Simone Stamme 030/746847-215

II 43 Lebensmittel tierischer Herkunft Dr. Corinna Jüptner -7333

II 33 Personal der Gerichte und Staatsanwaltschaften, Juristenausbildung, Rechtsanwälte und Notare Dr. Friedrich Kies -3771

-2639

Staatsrätin Katja Günther

J Amt für Justizvollzug und Recht Dr. Holger Schatz

Z Zentralamt -3164

Dörte Liebrecht

-3163

Z1 Verwaltung Franziska Hoppermann

J1 Justizvollzug Andreas Gross J2 Strafrecht Nora Kaiser

-2151

J3 Zivilrecht, Öffentliches Recht und Rechtsprüfung Jakob Nicolai -3559 J4 Stiftungsangelegenheiten und Justiziariat Christiane Garmatter -1617

Z2 Personal Z 2/1 Dr. Inken von Gadow Z 2/2 Tobias Wille Z3 IT und Digitalisierung André Basten

V Amt für Verbraucherschutz -1631

Dr. Volker Kregel

-4186

V1 Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen Frank Glauser -3595

-2048 -3065

V2 Produkt- und Anlagensicherheit, Gesundheit und Umwelt Oliver Brune -3101

-2149

V3 Amt für Arbeitsschutz Dr. Volker Kregel

-5305

V4 Pharmaziewesen und Medizinprodukte Dr. Helga Ehmcke -3179

Z4 Justizkasse Jens Hardekopf

-3396

-3396

V 5 fehlt aus organisatorischen Gründen

DJT Projekt 73. Deutscher Juristentag Dr. Christopher Sachse -2435

PMO Projektmanagementoffice Sabine Meister -5348

V6 Wirtschaftlicher Verbraucherschutz Frank Höbermann -3548


Webinar-Highlights im Oktober 2020 Kurz und knackig auf den Punkt gebracht WEBINARE zu EU-Projekt-, Regional- und Innovationsförderungen EU-Fördergelder werden als EU-Strukturfondsmittel oder als thematische Förderprogramme ausgegeben, von denen neben kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) auch Kommunen, Forschungseinrichtungen und Vereine profitieren können. In diesen Webinaren erfahren Sie, worauf Sie bei der Fördermittelbeantragung achten müssen, um Ihrer Konkurrenz eine Nasenlänge voraus zu sein. Es gilt: Nur wer einen Antrag stellt, kann auch gefördert werden. Das macht Arbeit, die sich aber rechnen kann.

Europäische Projektentwicklung – von der Idee zum Projekt Grundlagen auf dem Weg in die Europäische Projektförderung 06.10.202, 10:00-12:00 Uhr

Europäische Regionalförderung

Überblick über Förderprogramme, Themen und Grundlagen der Zusammenarbeit 08.10.2020, 10:00-11:30 Uhr

Projektförderung durch die Europäischen Aktionsprogramme Bereiche Bildung, Zivilgesellschaft sowie Forschung und Innovation 12.10.2020, 10:00-11:30 Uhr

Projektförderung im Themenfeld Digitales

Digitale Innovationen als Kern- und Querschnittsthema Europäischer Förderung 15.10.2020, 10:00-12:00 Uhr

Förderung digitaler Innovation in Unternehmen durch nationale Förderprogramme Einstieg in anwendungsorientierte Innovationsförderung des Bundes und exemplarische Landesförderung 20.10.2020, 10:00-12:00 Uhr

Förderung digitaler Innovation in Kommunen und Regionen durch nationale Förderprogramme Einstieg in anwendungsorientierte Innovationsförderung des Bundes und exemplarische Landesförderung 22.10.2020, 10:00-11:30 Uhr

Start-up und Gründungsförderung der EU, des Bundes und der Länder Wirtschaftsförderung durch Zuschuss- und Investitionsförderung 27.10.2020, 10:00-12:00 Uhr

EU-Innovationsförderung in Themenfeld Sicherheit und Verteidigung Europas Weg zu strategischer Autonomie 29.10.2020, 10:00-12:00 Uhr

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de Foto: ©Milan, stock.adobe.com


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Oktober 2020

Pakt geschlossen! Bleiben Plätze leer? Lichtblick für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (BS/Jörn Fieseler) Im Vogtlandkreis mit der Kreisstadt Plauen soll zu Beginn des kommenden Jahres ein Arzt oder eine Ärztin beim Gesundheitsamt eingestellt werden. Mit dem kürzlich geschlossenen Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) hat dies jedoch nichts zu tun. Der sieht zahlreiche Maßnahmen vor, um den ÖGD zu stärken. Doch was auf dem Papier gut klingt, muss in der Praxis seinen Widerhall finden. Insbesondere bei der Attraktivitätssteigerung. “Unser jetziger Amtsarzt geht bald in den Ruhestand “, erklärt Volker Neef, Leiter des Büros von Landrat Rolf Keil, die laufende Stellenausschreibung. Zudem hat er keinen Grund zur Klage. Der ÖGD sei im Vogtlandkreis gut aufgestellt. Die meisten Stellen seien besetzt – auch bei den Ärzten. Lediglich eine Stelle im psychiatrischen Dienst sei derzeit noch vakant. Allerdings sei der Ärztemangel im südwestlichen Sachsen wie auch in anderen ländlichen Regionen spürbar. Dazu brauche es nicht die Corona-Pandemie. Durch diese habe sich zwar der Personalbedarf im Gesundheitsamt des Kreises deutlich erhöht, aber nicht unbedingt bei den Ärzten. Viel eher habe man nicht-ärztliches Personal benötigt, um zum Beispiel Kontakte nachzuvollziehen, berichtet der Leiter des Landratsbüros.

60 Prozent an vier Bundesländer Das soll es mit dem Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst nun geben. Insgesamt 5.000 Stellen sollen bis Ende 2022 entstehen. Allein 1.500 unbefristete neue Vollzeitstellen bis Ende 2021. Allerdings werden hier auch jene Stellen eingerechnet, die in den letzten sieben Monaten vor Beschluss des Paktes geschaffen worden sind. Dafür stehen rund 3,1 Mrd. Euro bereit. Diese werden aufsteigend bis zum Jahr 2025 ausgeschüttet. Während der Bund für 2021 als erste Tranche 200 Mio. Euro bereitstellt, sind es 2026 in der sechsten und letzten Tranche 750 Mio. Euro. Die Verteilung an die Länder erfolgt nach der vertikalen Umsatzsteuerverteilung. Da sich das System der Finanzausgleichsberechnung in diesem Jahr entsprechend

Der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst steht. Jetzt müssen die inhaltlichen Bestandteile umgesetzt werden, damit der ÖGD nicht in ein Schattendasein gleitet. Foto: BS/pict rider, stock.adobe

den gesetzlichen Änderungen aus dem Jahr 2017 deutlich verändern wird, lassen sich die genauen Anteile der Länder noch nicht abschließend ermitteln. Laut Bundesfinanzministerium dürften rund 60 Prozent dieser Mittel auf Nordrhein-Westfalen (21,6 Prozent), Bayern (15,8 Prozent), Baden-Württemberg (13,4 Prozent) und Niedersachsen (9,6 Prozent) entfallen. Die übrigen Länder bekommen Anteile zwischen 7,6 Prozent (Hessen) und 0,8 Prozent (Bremen). Damit nicht genug. Die kommunalen Spitzenverbände haben den Gesundheitsministern der Länder das Versprechen abgerungen, über das Ende des Paktes hinaus die Kosten für den Personalaufwuchs vollständig und dauerhaft auszugleichen. “So konnte auf den letzten Metern die Gefahr einer Dauerhypothek für Landkreise und Städte gebannt werden. Darüber sind wir froh und erleichtert”, sagt Prof. Dr. Hans-Günter Henneke,

Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages (DLT).

noch nie gegeben”, jedoch könne das nur ein erster Schritt sein.

Kein Gießkannenprinzip

Frage der Tarifautonomie

Rein rechnerisch bekommt jedes Gesundheitsamt durchschnittlich 14 zusätzliche Stellen, davon neun Planstellen für Mediziner, den Rest für nichtärztliches Personal. “Das wäre für uns ein unrealistischer Bedarf”, sagt Neef. Deshalb haben sich die Länder verpflichtet, bis zum Dezember 2021 Personalaufwuchskonzepte und -zielsetzungen zur erarbeiten und dem Bund vorzulegen. So könnten Gesundheitsämter in Städten deutlich mehr Personal bekommen als im ländlichen Raum. “Für diese Aufgaben brauchen wir eine Personalstatistik über den gesamten ÖGD”, fordert Dr. Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD). Sie ist zwar sehr froh über den Pakt, “schließlich hat es so etwas

Viel entscheidender sei die Frage, ob die Stellen auch besetzt werden können. Deshalb müsse parallel die Attraktivität des ÖGDs gesteigert werden. Für das verbeamtete Personal ist das relativ einfach. Dies kann der jeweilige Landesgesetzgeber im Beamtenrecht regeln. Für die Tarifbeschäftigten ist das komplizierter. Der Pakt sieht zwar vor, dass die Länder mit ihren jeweiligen kommunalen Spitzenverbänden sprechen, doch diese sind nicht verhandlungsberechtigt. Einzig die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) und die Gewerkschaften können tarifvertragliche Lösungen aushandeln. Bei Letzteren gibt es drei. Auf der einen Seite verhandeln Verdi und der DBB Beamtenbund und Tarifunion aktuell über den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst von Bund und Kommunen (TVöD; siehe

Seiten 3 und 4) mit der VKA. Auf der anderen Seite pocht der Marburger Bund (MB) zusammen mit dem BVÖGD auf Verhandlungen im Rahmen des Tarifvertrages für Ärzte an Krankenhäusern. Dieser soll auf Mediziner im Gesundheitsbereich ausgeweitet werden. “In diesem Punkt stoßen wir bei den kommunalen Arbeitgebern auf eine Betonwand”, kritisiert Teichert. Die meisten Ärzte im ÖGD seien in ihrem Bundesverband organisiert, trotzdem komme es nicht zu Tarifverhandlungen. “Wir wollen keine separate Lösung”, unterstreicht Ulrich Mädge, Präsident der VKA. Schließlich gehöre zum ÖGD auch nicht-ärztliches Personal. “So werden die ärztlichen Stellen nicht besetzt werden können”, prognostiziert Teichert. Junge Mediziner würden sich am Markt orientieren. In allen anderen Bereichen lägen die Entgelte deutlich höher. Selbst im Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) würde ein Arzt rund 1.000 bis 1.500 Euro mehr verdienen. “Ein Arzt im ÖGD hat keinen Schichtdienst, keinen Wochenenddienst oder Bereitschaftszeiten”, betont Neef. Dies müsse ebenfalls berücksichtigt werden. Zudem sieht er die Gefahr, dass bei einer Angleichung der Gehälter an die Entgelte in Krankenhäusern Ärzte von dort in den ÖGD wechseln könnten. Dadurch würde das Personalproblem der Krankenhäuser nur größer werden. Wichtig ist es daher, den ÖGD in Aus-, Fort- und Weiterbildung stärker mit der Wissenschaft zu verbinden und etwa die Bevölkerungsmedizin im medizinischen Studium als neues Fach zu etablieren oder praktische Ausbildungseinheiten auch im Gesundheitsamt ableisten zu können, wie es der Pakt vorsieht. Die Ansätze sind gut, aber der Markt ist momentan leer.

KNAPP Farbwechsel

(BS/pet) Der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf steht ein Machtwechsel bevor. Mit 56 Prozent konnte sich Dr. Stephan Keller (CDU) gegen Thomas Geisel (SPD) im zweiten Wahlgang durchsetzen. Nach einem sechsjährigen Intermezzo liegt Düsseldorf damit wieder in Händen der CDU. Neben Düsseldorf mussten 128 weitere Kommunen in NRW in die Stichwahl, darunter Köln, Dortmund und Münster. Die meisten Siege konnte die CDU einfahren, die SPD bleibt trotz teils kräftiger Verluste zweitstärkste Kraft im Land. Größte Gewinner dieser Wahl dürften aber Bündnis 90/Die Grünen sein, die nach der Stichwahl Mehrheiten in Aachen, Bonn und Wuppertal erringen konnten. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass die Grünen Oberbürgermeister in NRW stellen.

Mehr ausbilden (BS/bk) Der Deutsche Städtetag fordert eine verstärkte Ausbildungsoffensive für Erzieherinnen und Erziehern sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen. Nur mit mehr Fachpersonal könne der Ausbau der Ganztagsbetreuung von Schulkindern gelingen, heißt es vom Städtetag. Neben der Ausbildungsoffensive macht sich der Kommunalverband für eine bessere finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern stark. Mit dem zusätzlichen Geld soll der Rechtsanspruch der Ganztagsbetreuung sichergestellt werden. Der Verband geht von zusätzlichen Investitionskosten in Höhe von 7,5 Milliarden Euro und jährlichen Betriebskosten in der Größenordnung von 4,4 Milliarden Euro aus. Der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung soll zudem nach Altersgruppen gestaffelt eingeführt werden, da eine vollständige Umsetzung flächendeckend nicht möglich sei.

Fotos: mojolo, stock.adobe.com und Igor , stock.adobe.com

13. 1 3. B Bürgermeisterkongress ürgermeisterkongress

HEIMAT, DIE STADT

8. 8.–9. Dezember 2020 Leonardo Le e Hotel, Weimar W

www.buergermeisterkongress.de Eine Veranstaltung des

Foto: Matthiass Ecker ckkert

Eröffnungsredner: Peter Kleine, Oberbürgermeister der Stadt Weimar


Kommunalpolitik

Seite 14

Nicht unbedingt ein Spagat

D

urch LOB sollen Motivation, Eigenverantwortung und Führungskompetenz gesteigert werden. Zwei Prozent eines Monatsentgelts können derzeit nach TVöD und Leistungskriterien ausgeschüttet werden. Zumindest auf viel subjektive Skepsis stieß ich als Bürgermeister im Jahre 2007, als in Blankenheim mittels Zielvereinbarung das Instrument einer “Leistungsbemessung” eingeführt werden sollte. Überwiegend sprach sich die Belegschaft für ein reines “Gießkannenprinzip” oder ein “Wanderpokalsystem” (dieses Jahr Personengruppe A und nächstes Jahr Gruppe B) aus. Neid, Konkurrenzdenken sowie die Tatsache, dass man Leistung im Öffentlichen Dienst selten messen könne, waren die häufigsten Totschlagargumente gegen den Plan, eine Individualisierung der Leistungsprämien einzuführen.

Start mit Zwei-Säulen-System In der Tat: Leistung kann man im Öffentlichen Dienst nicht gut messen. Aber warum soll man es nicht dort tun, wo es möglich ist? Warum sollte man beispielweise nicht den Vollstreckungsbeamten (auch) daran messen, in welcher Häufigkeit er Kunden zu Hause antrifft? So wurde in Blankenheim zunächst ein Verfahren beruhend auf zwei Säulen eingeführt: • Das Anwesenheitsprinzip: Ein bestimmter Betrag wird entsprechend der Anwesenheitszeit ausgezahlt. Beispielsweise reduzieren dann viele Krankheitstage das Leistungsentgelt. Vor allem ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfanden das als ungerecht. Und dennoch wurde es letztlich akzeptiert: Die Grundvoraussetzung von Leistung ist nun mal die Zurverfügungstellung der eigenen Arbeitskraft. • Das Personal war aufgerufen, mit dem Bürgermeister individuelle Zielvereinbarungen zu treffen. Auch der Bürgermeister konnte gezielt Zielvereinbarungen vorschlagen. Die Leistungsprämien aufgrund der Zielvereinbarungen verringerten das Budget für das Anwesenheitsprinzip.

Der Blankenheimer Weg bei der Leistungsorientierten Bezahlung (LOB) (BS/Rolf Hartmann) Leistungsorientierung und Öffentlicher Dienst – wie passt das zusammen? Zugegeben, eine provokante Frage – und dennoch: Es ist die Ausgangslage, vor der jeder Behördenleiter bei der Einführung steht. Seit dem 1. Januar 2007 macht der TVöD eine leistungsabhängige Lohndifferenzierung für grundsätzlich alle Beschäftigten möglich. Die Einführung bei den Beamten ist nach wie vor eine freiwillige Entscheidung. Manche sehen die Einführung von leistungsorientierter Bezahlung als gescheitert an. Das Besondere am System “Blankenheim” ist: Es funktioniert. mit anderen Kollegen zu suchen. Manchen Beschäftigten machten diese Herausforderungen allerdings auch Angst. Rolf Hartmann ist seit 2004 Bürgermeister der Gemeinde So begann in Blankenheim. Foto: BS/privat der Gemeinde Blankenheim ein intensiver Einführungsprozess, Das System fand schnell Zu- um diese Ängste einerseits und stimmung und hin und wieder positive Herausforderungen anwurden auch mehrwertbringende dererseits in einen Einklang zu Zielvereinbarungen getroffen. Wir bringen. Dabei war festzustellen, waren 2007 sozusagen Pioniere dass die Generation Y hohen Wert auf dem Feld der leistungsorien- auf Führungskompetenz legt. tierten Bezahlung und wollten Diese ist vor allem durch Sozierste zarte Gehversuche in Rich- alkompetenz geprägt. Fairness tung Leistungsdifferenzierung und Gerechtigkeit sind wichtige gehen. Und so funktionierte das Werte der Gesellschaft. Leistung System bis 2015, es funktionier- muss sich lohnen. te, weil sich niemand beschwerte.

Problem Anwesenheitsprinzip “Sind Sie des Wahnsinns… damit gefährden Sie den sozialen Frieden im Gemeindeteam” – so bügelte ich ein Ansinnen einer Mitarbeiterin wenig professionell ab. Sie hatte gerade frisch ihr Master-Studium absolviert, sie wollte mehr Gerechtigkeit und Leistungsorientierung in dem System verankern. Gerade junge Mitarbeiter gaben mir zu erkennen, dass sie sich im Quervergleich zu offensichtlich leistungsschwächeren Kollegen durch das Anwesenheitsprinzip nicht gerecht behandelt fühlten. Und so stand ich vor dem von mir subjektiv empfundenen Dilemma, entweder den sozialen Frieden im Gemeindeteam oder motivierte und leistungsorientierte Mitarbeiter zu verlieren. In der Tat war mittlerweile festzustellen, dass immer mehr Beschäftigte sich positiv herausgefordert fühlten, mehr Verantwortung zu übernehmen, flexibler zu sein und vor allem den Wettbewerb

Gerechtere Verteilung

So entstand ein neues LOB-Konzept basierend auf vier Säulen: 1. Zielvereinbarungen. Hier gilt die Prämisse, dass eine ordentliche Leistung nur das “I ohne Punkt” und nicht prämienrelevant ist. Bildlich gesprochen geht es um das i-Tüpfelchen auf dem I. Gefördert wird hier vor allem die Eigenverantwortung und die Führungskompetenz. Zielvereinbarungen sollen auch nicht zum Selbstzweck abgeschlossen werden. Sie sollen der Kundenorientierung und der Steigerung der Wirtschaftlichkeit dienen. 2. Honorierung von Sonderaufgaben, also besonderes Engagement in Bereichen, die nicht in das übliche Aufgabenfeld fallen. Konkret belohnt wird insbesondere Engagement, das einer qualitativ hochwertigen Ausbildung zugute kommt. So schulen und honorieren wir Ausbildungsbeauftragte, die bereit sind, sich regelmäßig fortzubilden und eine bestimm-

Rund 1,2 Milliarden Euro in sechs Jahren Bund finanziert Sanierung von Sportstätten (BS/jf) Fast unbemerkt neben dem DigitalPakt Schule (siehe Seite 29 ff.) und dem Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (Seite 13) hat der Bund einen weiteren Pakt zur Unterstützung der Kommunen auf den Weg gebracht. Diesmal den sogenannten Goldenen Plan für die Sanierung von Sportstätten. Daneben bestehen zwei weitere Möglichkeiten, um an Fördergelder zu gelangen. Der Investitionspakt Sportstätten trägt den verheißungsvollen Namen “Goldener Plan”. Mit ihm will der Bund Kommunen beim Erhalt der Sportinfrastruktur unterstützen. Rund 150 Mio. Euro stehen allein in diesem Jahr für Baumaßnahmen kurzfristig aus dem zweiten Nachtrag zum Bundeshaushalt zur Verfügung. Allerdings ist der Plan noch nicht von allen Ländern gegengezeichnet worden. Erst wenn dies getan sei, könne er in Kraft treten, heißt es aus dem zuständigen Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI). Jeweils weitere 110 Mio. Euro sollen in den nächsten drei Jahren, von 2021 bis 2023, folgen. Für 2024 sind sogar 160 Mio. Euro vorgesehen. Damit nimmt der Bund im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten seine Verantwortung im Kontext des Städtebaus wahr, um dem angestauten Investitionsbedarf entgegenzuwirken. Mit den Geldern sollen die Sportstätten saniert und nach den aktuellen baurechtlichen und technischen Anforderungen und Möglichkeiten ausgerichtet werden. Ziel soll sein, neueste Erkenntnisse und Entwicklungen bei der Modernisierung zu

Behörden Spiegel / Oktober 2020

Nicht nur Leichtathletik- und Fußballstadien sind sanierungsbedürftig, sondern auch Schwimmbäder, Tennisplätze, Sporthallen und Eishockeystadien. Für die Modernisierung stellt der Bund zusätzliche Gelder bereit.

berücksichtigen. Darüber hinaus hat der Haushaltsausschuss im Deutschen Bundestag eine Förderauswahl von weiteren 105 Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von 191 Millionen Euro im Rahmen des Programms zur Sanierung kommunaler Sport-, Jugend und Kultureinrichtungen beschlossen. Basis für die Entscheidung waren Interessensbekundungen nach einem Förderaufruf im Jahr 2018. Auch diese Gelder sind im Rahmen des zweiten Nachtragshaushaltes bereitgestellt worden. Bis

Foto: BS/Dennis Herzner, pixabay.com

2025 stehen hier zusätzliche 600 Mio. Euro zur Verfügung. Für die übrigen 400 Mio. Euro will der Haushaltsausschuss im Bundestag eine Förderauswahl im ersten Quartal 2021 treffen. Dafür können sich Kommunen noch bis zum 30. Oktober 2020 für den laufenden Förderaufruf 2020 bewerben. Die dritte Möglichkeit, Sportstätten mit Geldern des Bundes zu sanieren, besteht im Rahmen der Städtebauförderung www.staedtebaufoerderung. info.

te Zeit im Jahr Auszubildende und Praktikanten zu betreuen. Aus der Last wird die Lust an der Ausbildung unseres Nachwuchses. 3. Das Anwesenheitsprinzip wurde übernommen. 4. Fachbereichsbudget. Die Fachbereichsleiter sind aufgerufen, ein bestimmtes Budget auf die Mitarbeiter im Fachbereich individuell zu verteilen. Auch der Bürgermeister muss sich seinem Führungsteam stellen und das ihm zur Verfügung gestellte Budget zuordnen. Meiner Meinung nach bringt diese Säule den höchsten Mehrwert im Hause. Die Führungsverantwortung ist gestiegen, weil die Führungskraft sich intensiver mit den Leistungen der Mitarbeiter auch durch Mitarbeitergespräche beschäftigen muss. Hinsichtlich der Gewichtung der einzelnen Säulen gehen wir folgenden Weg: Vom Gesamtbudget werden zunächst die Summe der Erfolgsprämien und Zielvereinbarungen (siehe 1.) sowie die Summe für die Sonderprojekte (siehe 2.) abgezogen. Das dann verbleibende Budget wird anschließend aufgrund der Anwe-

senheitszeiten (siehe 3.) nach einem bestimmten Schlüssel verteilt. In der Regel verbleiben dann noch circa 20 Prozent des Gesamtbudgets zur Verteilung in den Fachbereichen (siehe 4.). Mit der Tatsache, dass Zielvereinbarungen und Sonderprojekte Priorität genießen, wurde auch dem Postulat der Individualisierung von Leistungsbewertung Rechnung getragen.

Rechtlich anfechtbar Dieses Vier-Säulen-Modell führt zu einer gerechteren Verteilung der “LOB-Mittel”. Insgesamt ist das System gut angenommen worden. Sonderprojekte motivieren die Mitarbeiter, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen. Sie erfahren eine Wertschätzung für Zielerreichung. Meine ursprüngliche Befürchtung, dass das reguläre Aufgabengebiet vernachlässigt wird, war unbegründet. Die Führungskompetenz wurde gesteigert. Das Engagement im Themenfeld “Ausbildung” steigerte die Attraktivität der Gemeinde Blankenheim als Arbeitgeber und vor allem die Qualität der Ausbildung. Die Mitarbeiter äußeren sich häufig wie folgt: “Ich

bekomme eine Rückmeldung über meine Leistung.” Aus der Führungsriege höre ich Äußerungen wie: “Ich habe gelernt, eine offene Ansprache zu halten, konkret zu sagen, was ich erwarte.” Rückblickend ist es mittlerweile zu verantworten, über den Wegfall des Anwesenheitsprinzips nachzudenken, ohne den sozialen Frieden zu gefährden. Ohnehin ist dieses Prinzip durchaus rechtlich anfechtbar.

Mut aufbringen Entscheidender Faktor bei der Einführung der leistungsorientierten Entgeltbestandteile wird die Bereitschaft der Führungskräfte sein, für die Leistung ihrer Mitarbeiter auf der Basis der Leistungsbemessung Leistungsentgelte zu verteilen und vor allem zu vertreten. Natürlich ist ein mehrstufiges Einführungsverfahren unter Beteiligung aller Ebenen geboten. Es empfiehlt sich, schon bei der Grundsatzentscheidung die vorgeschriebene betriebliche Kommission einzusetzen. Diese ist kein “Schiedsgericht”. Sie ist vielmehr als “wachsame Instanz” für das Verfahren des Systems und die Plausibilitätskontrolle von Arbeitgeberentscheidungen ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Die Leistungsdifferenzierung ist nach wie vor eines der Tabuthemen in öffentlichen Verwaltungen. In der Summe werden die meisten Beschäftigten ihren Behördenchefs aber dankbar sein, wenn diese den Mut haben, den Weg der individualisierten Leistungsbemessung zu gehen.

Einmalige Chance zur Beteiligung! Digitalisierung in Kommunen (BS/Lena Eberl) Die Corona-Krise hat auch in der öffentlichen Verwaltung für einen Digitalisierungs-Sprung gesorgt: Es wurden zehntausende von Notebooks angeschafft und virtuelles Arbeiten ist jetzt vielfach Alltag. Psychologisch war das eine wichtige Barriere, die überwunden wurde, doch der Weg zu dem, was Digitalisierung wirklich für eine Kommune bedeutet, ist noch ein weiter. Der entscheidende nächste Schritt ist jetzt: Mitarbeiterbeteiligung. Große Kommunen wie München oder Nürnberg haben vorgelegt und Digitalstrategien entwickelt, die IT-Konzerne neidisch werden lassen, und arbeiten mit eigenen IT-Start-ups, Innovationslabouren und Transformationsteams bereits flächendeckend an der Implementierung von Lösungen. In vielen kleineren Gemeinden sind erste Digitalisierungsprojekte gestartet, aber das echte digitale Rathaus ist noch ziemliche Zukunftsmusik. Über 500 potenziell zu digitalisierende Verwaltungsvorgänge und möglicherweise tausende kommunale Leistungen sind ein dickes Brett. Wie soll man da herangehen? Das Fazit aus vielen Jahren Erfahrung bei Unternehmen ist: Prozesse digital abzubilden, ist nur ein kleiner erster Schritt – wie virtuelle Meetings. Digitalisierung ist nicht Elektrifizierung, sondern Orchestrierung und Automatisierung. Der wirkliche Quantensprung entsteht, wenn sich eine ganz andere Arbeitsorganisation ergibt, wenn die digitalen Möglichkeiten bis zu Ende durchdacht werden. Erst aus der Verknüpfung und Automatisierung von kommunalen Daten entsteht wirklicher Mehrwert für den Bürger. Diese kommunalen Daten sind ein echter Schatz. Dieser muss selbst genutzt und nicht an Digitalkonzerne verschenkt werden. Aus ihrer Verknüpfung entsteht ein Wert, der für die Bürger als Rendite zurückzugeben ist. Arbeitskultur, übergreifende Zusammenarbeit und das Selbstverständnis der kommunalen Verwaltung müssen sich verändern. Im Kern ist dieses neue Arbeitsverständnis eine Aufwertung kommunaler Tätigkeiten von verwaltenden hin zu gestaltenden und beratenden und unterstützenden Aufgaben. Dazu braucht es neue Kompetenzen

behandeln. Offen über Vor- und Nachteile von Lösungen diskutieren zu können, Lena Eberl ist Kreisrätin im Landkreis Dachau, Gemeinbevor über digitaderätin in Vierkirchen und le Tools, Prozesse arbeitet als Change-Manageoder Organisatiment-Beraterin. onsänderungen entschieden wird, Foto: BS/privat dazu braucht es etwas Mut und auf allen Ebenen. Diese Trans- Vertrauen in den Transformaformation gilt es zu managen tionsprozess. Sachgebietsleiter – in jeder einzelnen Kommune, und Vorgesetzte müssen in diesei sie auch noch so klein. Die sem Prozess immer das Steuerhöchste Barriere der Digitalisie- rad in der Hand behalten und rung ist nicht die Technologie. gemeinsam als ganze Kommune Es ist der Mensch! Wie soll diese eine digitale Vision und Strategie Mega-Aufgabe auch im kleinsten für die eigene kommunale VerRathaus am besten angegangen waltung in zehn Jahren entwiwerden, wenn man auf zahlreiche ckeln. In diesem partizipativen Entscheidungen außerhalb des Prozess entwickelt sich genau eigenen Verantwortungsberei- das neue Zusammenarbeits- und ches angewiesen ist? Führungsverständnis zwischen den Sachgebieten und mit dem Bei den Menschen Bürger. Ein neues kommunales anfangen Selbstverständnis: EigenverantAuch hier eine Lehre aus der wortung, Bürger- und LösungsDigitalisierung in der Industrie: orientierung – genau diese HalBei den Menschen und ihren Be- tung braucht die Digitalisierung dürfnissen anfangen! Menschen in den neuen Verwaltungsrollen. fürchten sich vor Veränderungen, Erst im zweiten Schritt sollten wenn sie den eigenen Status be- die Fragen nach technischen droht sehen und ins Ungewisse Lösungen in den Vordergrund führen. Das Schlüsselwort ist rücken. Technologieberater sollPartizipation. Die meisten kom- ten hier Impulse geben können, munalen Mitarbeiter sind in ih- sollten aber nicht mit fertigen rem privaten Umfeld digital fort- Lösungen kommen, bevor die geschrittlicher, als der Arbeitsplatz meinsam getragene Vision steht. es erlaubt. Sie müssen abgeholt Das ist der Knackpunkt. Die Viund in den Prozess eingebunden sion und die Roadmap können werden. Sie sollen gemeinsam mit den Bürgern in aller Breite mit den Bürgern Visionen ent- diskutiert werden – es wird sowickeln, wie es in 20 Jahren in wieso jeden in irgendeiner Form ihrem Arbeitsbereich aussehen betreffen. Die technische Lösung könnte. Sie kennen ihre Verwal- ist dann eine interne Sache. Nach den Kommunalwahlen tungsvorgänge am besten. Ängste vor Veränderung, der der letzten zwei Jahre in fast Transformation muss man ernst allen Bundesländern ist jetzt der nehmen. Mitarbeiter sollten richtige Zeitpunkt, um nach eiselbst recherchieren, wie andere nem überparteilichen Konsens Organisationen (z. B. Unterneh- zu suchen. Ergreifen wir diese men, Länder) ähnliche Vorgänge Chance!


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Oktober 2020

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ehörden Spiegel: Welche langfristigen Folgen könnte die Corona-Krise auch in Thüringen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben?

Seite 15

Kommunalverwaltungen massiv gefordert Corona-Krise brachte zahlreiche Herausforderungen für Gemeinden mit sich

Behörden Spiegel: Bedrohungen und Gewalt gegen Politiker auf kommunaler Ebene nehmen immer weiter zu. Teilweise treten kaum noch Kandidaten zu Bürgermeisterwahlen an. Was tut die Thüringer Landesregierung dagegen?

Katharina Schenk: Auch in Thüringen gibt es, wie in allen anderen Bundesländern, in der Bevölkerung eine unterschiedli­ che Akzeptanz der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona­ virus. Die überwiegende Mehr­ heit der Bevölkerung sieht ein, wie gefährlich das Virus ist, allerdings gab es auch Demons­ trationen gegen die CoronaEindämmungsmaßnahmen der Landesregierung – auch in mei­ nem Wohnort Altenburg. Dort trafen verschiedenste Gruppen aufeinander, deren Mitglieder zum Teil demokratiefeindliches oder gar rechtsextremistisches Gedankengut vertreten. Wie gefährlich das sein kann, haben die jüngsten Ereignisse vor dem Deutschen Bundestag in Berlin gezeigt. Aus meiner Sicht war das ein besorgniserregendes Ereignis.

(BS) Die Ausbreitung des Coronavirus hatte auch auf kommunaler Ebene erhebliche Folgen. Das gilt sowohl für Verwaltungsabläufe als auch für Steueraufkommen. Und vieles musste gleichzeitig bewältigt werden, berichtet Katharina Schenk im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen an die Staatssekretärin für Kommunales im Thüringer Innenministerium stellte Marco Feldmann. zahlpflicht, sofern im Nachgang festgestellt wird, dass es gar keine Gewerbesteuerausfälle in der betroffenen Kommune gab. Das gehört zur Fairness gegenüber dem Steuerzahler und anderen Kommunen dazu. Mittel, die zurückgezahlt werden müssen, fließen jedoch nicht in den Landeshaushalt, sondern in den Landesausgleichsstock. Aus diesem unterstützen wir dann wiederum gezielt Kommu­ nen, die besonders notleidend sind. Weitere 85 Millionen Euro erhalten die Kommunen im Zu­ ge von Schlüsselzuweisungen, denn natürlich haben nicht nur die Kommunen mit starken Ge­ werbesteuerausfällen finanzielle Einbußen durch die Pandemie.

Schenk: Solche Taten sind durch nichts zu rechtfertigen. Besonders problematisch ist es für Personen, die sich ehren­ amtlich für die Gemeinschaft einsetzen und dann auch noch fürchten müssen, Opfer von Straftaten zu werden. Das sind dann dramatische Auswüchse, gegen die vorgegangen werden muss. Wir haben den Landes­ präventionsrat ins Leben geru­ fen, der wichtige Präventions­ arbeit leistet. Im Rahmen der Innenministerkonferenz setzt sich Thüringen für besseren Schutz und höhere Strafen bei Angriffen auf öffentlich Be­ dienstete und Wahlbeamte ein. Damit löst man allerdings den offenkundig vorhandenen ge­ sellschaftlichen Konflikt nicht.

Behörden Spiegel: Was kann die Politik, nicht nur auf der kommunalen Ebene, dagegen tun?

Behörden Spiegel: Warum diese Aufteilung in zwei Säulen?

Behörden Spiegel: Worauf kommt es dann an?

Schenk: Wir haben uns für diesen Weg entschieden, da viele Thüringer Kommunen strukturell finanzschwach sind. Außerdem sind Schlüsselzuwei­ sungen für die Landkreise von großer Bedeutung. Wir wollten unbedingt verhindern, dass die Konjunktur vor Ort derart stark einbricht, dass die Gewerbe­ steuereinnahmen auch in den kommenden Jahren nicht wie­ der auf das Vor-Krisen-Niveau ansteigen. Deshalb haben wir uns bewusst für beide Ansätze entschieden. Uns ist wichtig, dass die kommunalen Haus­ halte stabil bleiben und keine Gemeinde in Kassenkredite hi­ neinrutscht und deshalb keine Investitionen mehr tätigt.

Schenk: Wichtig ist, dass solche Attacken parteiüber­ greifend verurteilt werden und die demokratischen Parteien zusammenstehen. Das ist in­ zwischen dankenswerterweise immer öfter der Fall. Zudem braucht es vor Ort noch mehr gesellschaftliche Courage. Über Angriffe auf Amts- und Mandatsträgerinnen und -trä­ ger darf nicht einfach hinweg­ gesehen werden. Gewalt gegen sie ist nie zu rechtfertigen. Hier sind alle staatlichen Ebe­ nen gefragt, also neben den Kommunen auch die Länder und der Bund, vor allem aber die Zivilgesellschaft, die sich Hass und Hetze nicht bieten lässt.

Schenk: Politik muss immer wieder erklären, warum die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona notwendig sind. Au­ ßerdem geht es um Vermittlung und wechselseitige Kommuni­ kation mit den Bürgerinnen und Bürgern. Behörden Spiegel: Welche Konsequenzen hat die CoronaPandemie für Kommunalverwaltungen? Schenk: Die schnell notwen­ dig gewordene Digitalisierung der Kommunalverwaltung war für viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Thürin­

“Die schnell notwendig gewordene Digitalisierung der Kommunal­ verwaltung war für viele Bürgermeiste­ rinnen und Bürgermeister in Thüringen eine große Herausforderung.” Katharina Schenk ist Staatssekretärin für Kommunalangelegenheiten im Thüringer Innenministerium. Foto: BS/TMIK, Steve Bauerschmidt

gen eine große Herausforderung. Die Kommunen und Landkreise, die schon über längere Zeit ihre Vorgänge digitalisiert und die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeite­ rinnen und Mitarbeiter flexibili­ siert hatten, waren da zunächst im Vorteil. Aber es war generell schon ein großer Aufwand. Es mussten massenhaft Endgeräte angeschafft und Mitarbeiterin­ nen und Mitarbeiter geschult werden. Außerdem war bei der Ermöglichung von Homeoffice der Datenschutz zu beachten. Das alles musste sehr rasch erfolgen. Und: Mehrere Heraus­ forderungen mussten gleichzeitig bewältigt werden. Behörden Spiegel: Gab es auch Auswirkungen auf Gemeindevertretungen? Schenk: Ja, definitiv. Gemein­ devertretungen konnten längere Zeit nicht zu Versammlungen zusammenkommen. Dabei sind gerade diese Sitzungen als Rück­ kopplung an die Bürger sehr wichtig. Im Thüringer Landtag wird deshalb derzeit eine Reform der Kommunalordnung beraten.

Behörden Spiegel: Was soll sich ändern? Schenk: Da geht es unter anderem um die rechtssichere Ermöglichung von Homeoffice und digitalen Sitzungen und Ta­ gungen. Außerdem sind Verän­ derungen im Bereich der Bürgerund Jugendbeteiligungen sowie bei Einwohnersprechstunden in der Debatte. Nun ist es an den Abgeordneten des Thüringer Landtages, einen Diskussions­ prozess zu führen und danach zu entscheiden, welcher der Punkte zu welchem Zeitpunkt umgesetzt werden soll. Behörden Spiegel: In den vergangenen Jahrzehnten wurden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur oftmals vernachlässigt. Werden sich die Mängel in den Kommunen wegen der Corona-bedingten neuen Schulden ausweiten? Schenk: Eines ist für mich klar: Investitionsstaue sind auch Schulden. Eine alte, marode Schule ist auch eine Schuld. Sie ist zwar nicht auf meinem

Konto zu sehen, aber dennoch eine Schuld. Wir haben deshalb in Thüringen ein kommunales Investitionsprogramm auf den Weg gebracht. Im Zuge dessen werden fast 590 Millionen Euro innerhalb von vier Jahren an die Gemeinden und Landkreise ausgegeben. Diese Mittel kön­ nen die Kommunen dann frei für Investitionen verwenden. Davon können zum Beispiel Straßen oder Spielplätze saniert werden. Sie dienen allerdings nicht als Corona-Hilfen. Behörden Spiegel: Wie wurde wegen der Corona-Krise geholfen? Schenk: Dafür haben wir ein weiteres Programm mit einem Volumen von 185 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Diese Gelder sind als Soforthil­ fen gedacht, um wegbrechende Gewerbesteuereinnahmen auf­ zufangen. Dafür stehen zweck­ gebunden 100 Millionen Euro zur Verfügung. Damit wollen wir vor Ort rasch die konkre­ ten Einnahmeausfälle konso­ lidieren. Es besteht eine Rück­


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Personelles

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Kommunaler Haushalt

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“Wir haben kein Finanzproblem”

Kommunale Einnahmen stark risikobehaftet

Plenardebatte zu Kommunalfinanzen

Drastischer Steuereinbruch in Hessen

(BS/lkm) Der Bundestag hat im September die finanzielle Situation von Städten und Gemeinden erörtert. Anlass war die mehr als 150 Seiten umfassende Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Neben Lösungen für die kommunalen Haushalte ging es dabei vor allem auch um die Frage, wer für die Kommunen die Verantwortung trägt.

(BS/lkm) Der Hessische Rechungshof hat Ende September seinen Kommunalbericht 2020 veröffentlicht. Die Zahlen zeigen, dass die Gewerbesteuer – mit 44 Prozent die wichtigste Steuerart für die hessischen Kommunen – krisenbedingt um 40 Prozent eingebrochen ist. “Die aktuelle Corona-Pandemie verdeutlicht, wie risikobehaftet diese Einnahmen sind und wie schnell diese wegbrechen können – um so wichtiger ist es, dass Bund und Land hier mit ihrer Hilfe ansetzen”, warnte der Präsident des Hessischen Rechnungshofs, Dr. Walter In ihrer Antwort auf die Große An- zurückzuführen und damit die Fricke. Ähnlich sieht es auch Wallmann, bei der Vorstellung der Zahlen.

frage macht die Bundesregierung deutlich, dass sich die Situation der Kommunen bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie sehr gut entwickelt habe. So hätten die Kommunen in ihrer Gesamtheit acht Jahre in Folge “zum Teil deutliche Finanzierungsüberschüsse erzielt”. Auch bei den kommunalen Investitionen sei eine “positive Entwicklung” zu verzeichnen gewesen. Doch trotz der wirtschaftlich guten Ausgangslage habe sich die Kluft zwischen armen und reichen Kommunen weiter verschärft. Die finanziellen Unterschiede hätten in den vergangenen Jahren nur “sehr geringfügig” abgebaut werden können. Dies verdeutliche unter anderem “der auf hohem Niveau verharrende Bestand an Liquiditätskrediten in einigen Regionen sowie die teilweise unterdurchschnittliche Steuerkraft ländlicher und strukturschwacher Kommunen”. Der geringe Spielraum von Städten und Kommunen mit schlechter Finanzausstattung könne zu “deutlichen Unterschieden vor allem in der Qualität der Bereitstellung wichtiger kommunaler Infrastruktur und Angebote führen”.

Uneins bei Altschuldenhilfe für Kommunen Britta Haßelmann, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, betonte, dass 2018 bereits jede fünfte Kommune in Deutschland unter einem Haushaltssicherungskonzept habe arbeiten müssen. “Damit lebt ein Viertel aller Bürgerinnen und Bürger in einer solchen Kommune. Eine Entwicklung hin zu einer Zweiklassengesellschaft ist unübersehbar”, mahnte Haßelmann. Sie fordert deshalb eine Altschuldenhilfe für die Kommunen: “Gemeinsam mit den Bundesländern muss der Bund nun endlich eine kommunale Altschuldenhilfe auf den Tisch legen, um die Überschuldung betroffener Kommunen mit Kassenkrediten und die Altschulden der ostdeutschen Wohnungswirtschaft dauerhaft

Kommunalfinanzen strukturell zu entlasten.” Mittelfristig, so Haßelmann weiter, brauche man auch eine neue Gemeindefinanzreform, um die Kommunalfinanzen künftig für alle Städte und Gemeinden und ihre besonderen Bedarfe auskömmlich auszugestalten.

Kritik an Förderprogrammen Der Chefhaushalter der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg, sieht das Problem jedoch nicht primär bei den Altschulden, sondern bei den vielen Fördertöpfen, die nicht abgerufen würden. “Wir haben in Deutschland kein Finanzproblem mehr zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Wir haben an dieser Stelle ein reines Umsetzungsproblem.” Aufgabe sei es daher, nicht immer mehr Geld “ins Schaufenster zu stellen”, sondern dafür zu sorgen, dass es bei den Kommunen vor Ort auch ankomme. Auch Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sieht die Förderprogramme kritisch. Sie würden auf beiden Seiten viel Aufwand und Kosten verursachen. Viel vernünftiger wäre es, den Kommunen hier zu vertrauen. Sie wüssten viel besser, was sie wirklich bräuchten. Auch die linke Bundestagsabgeordnete Kerstin Kassner will die Förderprogramme auf den Prüfstand stellen: “Wir müssen unbedingt prüfen, woran es liegt, dass diese Fördermittel nicht allen zugutekommen, sondern nur denen, die wirklich die Möglichkeiten haben und denen es in vielen Fällen sowieso schon besser geht als anderen.”

Kommunen sind Ländersache Fricke machte zudem deutlich, dass nicht der Bund, sondern die Länder verantwortlich für die Kommunen seien. Während der Bund nur 38 Prozent der Steuereinnahmen bekomme, erhielten die Länder 42 Prozent: Wenn die Länder bis ins Jahr 2024 jedes Jahr 20 Milliarden Euro mehr als der Bund bekämen, müssten sie sich überlegen, was ihnen ihre Kommunen wert seien, betonte

Sebastian Brehm, Mitglied im Finanzausschuss der CDU/CSUFraktion. “Wir müssen kurz- und mittelfristig viele Länder wieder darauf aufmerksam machen, dass sie zuständig sind, das Geld ist in den Ländern da.” Eine Entschuldung aller Kommunen, wie Haßelmann vorschlug, sieht er kritisch. Damit würden man die Kommunen benachteiligen, die schon gute Arbeit geleistet hätten. Bayerische und andere Kommunen, die sich stark entschuldet und investiert hätten, wären dann benachteiligt. “Das kann nicht der Weg sein”, so Brehm. Eine Umschuldung sei falsch. Auch die Bundesregierung betont in der Antwort die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder für die finanzielle Ausstattung der Kommunen. Die Bundesregierung habe dennoch in den vergangenen Jahren mit “vielfältigen Entlastungs- und Unterstützungsmaßnahmen” zu der positiven Entwicklung der Kommunalfinanzen beigetragen. So auch vor wenigen Wochen, als der Bund umfangreiche finanzielle Entlastungen der Kommunen auf den Weg brachte. Er unterstützt die Kommunen mit der hälftigen Übernahme der Gewerbesteuerausfälle und beteiligt sich mit einem höheren Anteil an den Kosten der Unterkunft im HartzIV-System. Er soll von 49 auf 74 Prozent steigen.

Misstrauen zwischen Bund und Ländern Damit das Geld auch dort ankommt, wo es ankommen soll, nämlich bei den Kommunen, wurde im Gesetzestext bestimmt, dass die Länder bis spätestens Ende März 2021 gemeindescharf über die erfolgte Weitergabe sowohl der Bundes- als auch der Landesmittel an die Gemeinden berichten sollen. Zudem dürften die Ausgleichszahlungen nur der “Kompensation von Gewerbesteuereinnahmen dienen und keiner Zweckbindung durch das Land unterliegen”. Der Bundesrechnungshof soll zudem beauftragt werden, die Verteilung der Gelder durch die Länder zu prüfen.

Weniger Steuererhöhungen Studie zu kommunalen Steuern (BS/lkm) Im Jahr 2019 erhöhten weniger Kommunen ihre Steuern: Der Trend zu immer höheren kommunalen Steuern habe sich im vergangenen Jahr bundesweit abgeschwächt. Der Anteil der Kommunen, die die Grundsteuer erhöht hätten, sei gegenüber dem Vorjahr von elf auf neun Prozent, der Anteil der Gewerbesteuer von acht auf sieben Prozent zurückgegangen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY). “In den vergangenen Jahren hat sich die finanzielle Situation der deutschen Kommunen deutlich verbessert – die Einnahmen überstiegen die Ausgaben, die Verschuldung ging zurück. Damit nahm der Handlungsdruck bei einigen Kommunen ab, Steuererhöhungen wurden seltener nötig”, beobachtet Prof. Dr. Bernhard Lorentz, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector für Deutschland, die Schweiz und Österreich. Das betraf auch die Gewerbesteuer, die im vergangenen Jahr nur noch von sieben Prozent der Kommunen erhöht wurde – dies entsprach dem niedrigsten Anteil seit dem Jahr 2009. “Die Gewerbesteuer spülte in den vergangenen Jahren dank der guten konjunkturellen Lage viel Geld in die kommunalen Kassen, das Einnahmeplus ergab sich aus der guten Wirtschaftslage, Steuererhöhungen waren kaum nötig.”

Die Situation werde sich aufgrund der Corona-Krise aber grundsätzlich verändern, erwartet Lorentz: “Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und die damit einhergehenden Steuerausfälle sind in vielen Kommunen dramatisch. Während die Einnahmen aus der Grundsteuer nur geringfügig sinken werden, sehen wir bei der Gewerbesteuer Einbrüche in einem bisher nicht vorstellbaren Ausmaß.”

Corona-Krise könnte wieder zu Erhöhungen führen Lorentz rechnet aufs Jahr gesehen mit einem Rückgang der Einnahmen aus der Gewerbesteuer um etwa 25 Prozent. “In den kommunalen Kassen fehlen jetzt Milliarden. Gut möglich, dass sich der Trend der vergangenen Jahre nun umkehrt und wieder mehr Kommunen die Grund- und Gewerbesteuer anheben. Allerdings werden Steuererhöhungen

die teils katastrophalen Einbußen nicht einmal ansatzweise ausgleichen können.” Lorentz rechnet daher auch nicht mit flächendeckenden Steuererhöhungen. Die Grundsteuer und die Gewerbesteuer sind die wichtigsten direkten Einnahmequellen der Kommunen. Im vergangenen Jahr spülten die Grundsteuer A, mit der land- und forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke besteuert werden, und die Grundsteuer B, die von Hausund Wohnungseigentümern und auch von Mietern zu zahlen ist, insgesamt 14,4 Milliarden Euro in die Kassen von Städten und Gemeinden. In den vergangenen fünf Jahren kletterten die Einnahmen der Kommunen aus der Grundsteuer um 14 Prozent, im vergangenen Jahr um knapp zwei Prozent. Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer erhöhten sich 2019 um ein Prozent auf 47,2 Milliarden Euro.

Im Jahr 2019 war die wichtigste Steuerart für die hessischen Kommunen die Gewerbesteuer. In allen anderen Flächenländern ist die prozentuale Bedeutung der Gewerbesteuer an den Gesamtsteuereinnahmen geringer gewesen. Lag das Bruttoaufkommen der Gewerbesteuer im ersten Quartal 2020 noch auf dem Niveau der Vorjahre, waren ab dem zweiten Quartal 2020 deutliche krisenbedingte Einschnitte erkennbar: Nach vorläufigen Ergebnissen lag das Bruttoaufkommen bei 878 Millionen Euro. Das entspricht einem Rückgang von rund 40 Prozent gegenüber 2019 (1,439 Milliarden Euro).

Mehr Hundesteuer als Gewerbesteuer Tendenziell waren Großstädte und Mittelstädte stärker von dem Einbruch betroffen als Kleinstädte und Landgemeinden. In Frankfurt ging die Gewerbesteuer um knapp 345 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2020 gegenüber dem Vorjahr zurück. In Hanau war die Hundesteuer im zweiten Quartal mit rund 80.000 Euro einnahmestärker als die Gewerbesteuer mit rund 60.000 Euro. Im regionalen Vergleich zeigen sich zudem große Unterschiede bei den Folgen der Pandemie für Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Die geschätzte Quote der Sozialversicherungspflichtigen in Kurzarbeit schwankte zwischen 20 Prozent (Darmstadt) und 52 Prozent (Kreis Groß-Gerau). Der

Durchschnitt lag in Hessen bei 31 Prozent. Wenn es zu größeren Verwerfungen am Arbeitsmarkt kommt, ist auch der Einkommensteueranteil der Kommunen rückläufig. Dieser ging im zweiten Quartal 2020 um 17,8 Prozent auf rund 820 Millionen Euro zurück.

Einkommenssteuer nicht krisensicher Auch die zweitwichtigste hessische Steuereinnahme – der Einkommensteueranteil (36 Prozent der Netto-Steuereinnahmen) – sei nicht krisensicher. Bedingt durch vermutlich steigende Arbeitslosenzahlen und bereits gestiegene Kurzarbeit vermindere sich absehbar auch diese Einnahmequelle in Krisenzeiten. Bei der – relativ krisensicheren – Grundsteuer hätten die hessischen Kommunen mit 196 Euro je Einwohner den zweithöchsten Wert im Flächenländervergleich (Volumen 2019: 1,2 Milliarden Euro) erreicht. Wallmann betont: “Auch wenn Krisen keine “Gewinner” haben, zeigt sich doch, dass es Kommunen gibt, die aktuell besser durch die Krise kommen als andere.” Die Überörtliche Prüfung empfehle schon länger, die “fetten Jahre” zur Krisenvorsorge zu nutzen”. Wallmann rät: “Angesichts des Ausfallrisikos bei der (Gewerbe-)Steuer sollten die Kommunen in guten Zeiten vorausschauend Rücklagen für “magere” Jahre bilden.” Zur finanziellen Unterstützung der hessischen Kommunen hat

das Land bis zu 2,5 Milliarden Euro vorgesehen. So werden vom Land insgesamt 661 Millionen Euro für den Ausgleich von Gewerbesteuermindereinnahmen des Jahres 2020 an die Kommunen fließen.

Schutzschirm überdenken Das vom Land aufgelegte Corona-Kommunalpaket umfasst auch die Aufhebung des kommunalen Schutzschirmes. Alle noch teilnehmenden Kommunen gelten damit als vom Schutzschirm entlassen. Die vereinbarten Konsolidierungsmaßnahmen und -abbaupfade gelten als erfüllt. Wallmann betont: “Aus unserer Sicht wäre eine vorübergehende Aussetzung – an Stelle einer vollständigen Aufhebung – des kommunalen Schutzschirms zielführender gewesen. Der Schutzschirm war ein Erfolgsmodell und hat sich in den Jahren nach der Finanzkrise bewährt: Die Konsolidierungsmaßnahmen griffen und die Kommunen konnten Schritt für Schritt entlang der Abbaupfade ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Aktuell waren bereits 25 Kommunen aus dem Schutzschirm “entlassen”, 60 weitere Kommunen hatten alle Planvoraussetzungen erfüllt. Die Schutzschirmkommunen haben die Einsparanforderungen um rund 2,5 Milliarden Euro übererfüllt. Deshalb empfehlen wir dem Land, über ein analog wirkendes Instrument für die Bewältigung der Folgen der Corona-Krise nachzudenken.”


Kommunalpolitik

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E-Government pur Infektionsschutzbelehrung erstmalig online (BS/Dr. Michael Dörr/ Raimund Franzen*) Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) sieht vor, dass Personen, die erstmalig im Lebensmittelbereich arbeiten, an einer Schulungsmaßnahme teilnehmen müssen. Diese sogenannte Erstbelehrung ist im § 43 des IfSG verankert. Das geht nun auch digital. Seit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2001 werden in den Gesundheitsämtern Millionen dieser gesetzlich geforderten Belehrungen vorgenommen. Das übliche Prozedere sieht hierbei Präsenzveranstaltungen vor. Letztere werden allerdings in sehr unterschiedlicher Form angeboten. So gibt es Angebote sowohl für einzelne Bürgerinnen und Bürger als auch für größere Kollektive. Auch erfolgt die Vermittlung von Inhalten entweder audiovisuell, schriftlich und/oder in persönlichem Kontext durch Ausführungen eines Dozenten. Bei der Fülle der erforderlichen Veranstaltungen ließ sich aber landauf, landab nie garantieren, ob die vermittelten Inhalte die Betreffenden auch wirklich erreichten.

Klarer Impetus Das Gesundheitsamt des RheinKreises Neuss hat sich bereits vor fünf Jahren an das Bundesministerium für Gesundheit mit der Bitte gewandt, sich für eine fortschrittliche Umsetzung der durchzuführenden Belehrungen einzusetzen. Hierzu hat die Behörde einen Vorschlag unterbreitet, der vorsah, die gesamte Veranstaltung ausschließlich audiovisuell auszugestalten, um sie perspektivisch auch im ambulanten Rahmen, also über ein mobiles Device anzubieten. Im Ministerium wurde der Gedanke zwar begrüßt, sollte aber in die weiteren gesetzlichen Überlegungen einbezogen werden. Inzwischen hat der Gesetzgeber unterschiedliche Vorgaben wie E-Health-, E-Government- und Onlinezugangsgesetz auf den Weg gebracht. Ferner wurde das Infektionsschutzgesetz dahingehend modifiziert, entsprechende OnlineLösungen zuzulassen. Der Impetus

ist klar: Die Dienstleistung sollte langfristig auch ausschließlich informationstechnologisch erbracht werden. Die gesamte Entwicklung hat das Gesundheitsamt des RheinKreises Neuss und das kreiseigene Technologiezentrum Glehn veranlasst, Belehrungsveranstaltungen zwar nach wie vor mit einer persönlichen Teilnahme der Klienten zu verbinden, Inhalte aber nur noch filmisch anzubieten. Dieser Veranstaltungstyp stieß bereits letztes Jahr auf eine immer stärkere Nachfrage, sodass eine Konzeption erstellt wurde, die die gesamte Dienstleistung in eine Online-Version überführte.

Unfreiwillige Hilfe Unfreiwillig verhalf dann die Corona-Pandemie im Frühjahr dieses Jahres zu einer beschleunigten Umsetzung des Konzeptes, weil sich im März 2020 zeigte, dass auf absehbare Zeit keine Veranstaltungen mit öffentlicher Beteiligung mehr möglich sein würden. Nach wie vor bestanden aber bei vielen Bürgerinnen und Bürgern der dringende Bedarf und die Notwendigkeit, eine Erstbelehrung zu erhalten, um beispielsweise in einer Großküche, einem Restaurant oder bei der Essenszubereitung in Gemeinschaftseinrichtungen tätig werden zu können. Demzufolge installierte das hiesige Gesundheitsamt mit fundierter Unterstützung des Technologiezentrums Glehn eine datenschutzkonforme und sicherheitstechnisch unbedenkliche Online-Schulung, die seit April nunmehr jedem Interessenten angeboten wird. Eine entsprechende Nachricht erhielt auch das Bundesministerium für Gesundheit. Über ein Terminre-

servierungs-Portal des RheinKreises Neuss wählt man hierzu das gewünschte Datum und die Uhrzeit der Belehrung aus und bezahlt vorab über ein E-PaymentVerfahren. Zum gewählten Termin kontaktiert dann ein Mitarbeiter den Betreffenden telefonisch und tritt dann mit ihm in elektronischen Kontakt. Hierzu schaltet letzterer PC, Laptop, Tablet oder Handy ein und identifiziert sich dem Anrufer gegenüber mit Personalausweis unter Sichtkontrolle. Anschließend wird den Betreffenden ein seitens des Gesundheitsamtes erstellter Film angeboten, der in fünfzehn Sprachen abrufbar ist. Die Nutzung dieses Lehrfilms wird kontrolliert. Anschließend findet ein Test statt, den der Betreffende zusätzlich erfolgreich bewältigen muss. Letztlich kann der Kunde dann die erforderliche Belehrungsbescheinigung selbst ausdrucken und dem potentiellen Arbeitgeber vorlegen. Zahlreiche andere Gesundheitsämter verweisen ihre Kunden mittlerweile auf den Service des Rhein-Kreises Neuss. Letztlich kann jede Person bundesweit das Angebot nutzen. Weitere Gesundheitsämter haben sich die innovative Lösung zur Übernahme in den eigenen Internetauftritt vertraglich zugesichert. Mit Freude und Stolz ist in diesen Tagen der zehntausendste OnlineKunde bedient worden. Nähere Informationen unter: www.rhein-kreis-neuss.de/ge sundheitszeugnis *Dr. Michael Dörr ist Amtsarzt im Gesundheitsamt Rhein-Kreis Neuss, Raimund Franzen Geschäftsführer des kreiseigenen Technologiezentrums Glehn GmbH.

ZEHN GEBOTE FÜR KOMMUNEN Der öffentliche Sektor ist zu einem freien Markt geworden. Die Kommunen haben es inzwischen mit Kunden und nicht mehr mit Einwohnern zu tun. Es geht um Zielgruppen und Erlöse. Schrumpfen diese, hat das weitreichende Folgen – und das vor dem Hintergrund angespannter Haushalte, steigender Verwaltungsaufgaben und vo­ranschreitender Digitalisierung. Zehn Gebote liefern Lösungsansätze für Kommunen. Gebot 7: Kommunen brauchen eine Vision für ihren Standort Wer nur bis morgen denkt, lebt nicht lange. Das ist Fakt. Deswegen ist es für Kommunen elementar, eine klare Vision mit einer eindeutigen Strategie zu erarbeiten: Was soll in welchem Zeitraum durch welche Handlungen erreicht werden? Wer nach dem Motto “Man müsste mal ...” agiert, wird sich nicht vom Fleck bewegen. Visionen und Strategie sind vielerorts nach wie vor kein Thema und wurden nie ins Visier genommen. Zwar wird hier und da einiges im Hinblick auf Veränderungen und Bedürfnisse geplant, aber richtig strategisch ging man dabei bisher nicht vor. Dabei ist es wichtig, mittels eines durchdachten Plans die Standortentwick-

Dominic Multerer ist Marketingexperte und Gründer des Instituts für Wachstumschancen und Innovation (IWCI). Foto: BS/privat

lung für die nächsten zehn bis 15 Jahre abzusichern. Generell kann man sich bei der Ausrichtung einer Strategie an drei wesentlichen Fragen orientieren: Erstens: Wofür steht die Gemeinde? Diese Frage setzt sich mit der Ist-Situation auseinander und damit, wo die Stärken, aber auch die Schwächen liegen. Als Nächstes ist zu klären, wohin sich die Kommune entwickeln soll. Dieser Punkt betrifft unmittelbar die strategische Ausrichtung. Und abschließend geht es darum, was zu tun ist, um die Vision zu realisieren. Schritt für Schritt sind die jeweiligen Stoßrichtungen und die dazugehörigen Zukunftsmaßnahmen abzuarbeiten. Die wurden idealerweise vorher sauber definiert, dann durch Kompetenzteams formuliert

und können jetzt schließlich umgesetzt werden. Eine regelmäßige Kontrolle der einzelnen Maßnahmen wie auch ein Feedback sind dabei aber auf jeden Fall erforderlich! Um im Wettbewerb zu bestehen, sind diese Schritte für die Entwicklung einer Strategie unabdingbar. Das kann auch schmerzhaft sein – aber drumherum kommt man nicht! Als “Gemischtwarenladen” können gerade kleinere Kommunen nicht mehr überzeugen. Bei diesem Prozess sollte auch betrachtet werden, ob es möglich ist, Schwächen in Stärken zu verwandeln. Ganz entscheidend bei der Weichenstellung Richtung Zukunft ist, die richtigen Fragen zu stellen. Sonst gerät man leicht auf einen Irrweg. Das ist nicht nur kostspielig, man verliert auch Zeit. Die Vision, wie eine Kommune im Idealfall aussehen könnte, muss jede Stadt und Gemeinde für sich entwickeln. Das kann Ihnen keiner abnehmen. Sinnvoll ist daher eine externe Begleitung auf diesem Weg, die den Prozess moderiert, denn ein Außenstehender hat einen anderen, ungetrübten Blick auf die Dinge. Mehr zu den zehn Geboten für Kommunen unter www. fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “10 Gebote”

Behörden Spiegel / Oktober 2020

Introvertierte führen und introvertiertes Führen

(BS) Sie sind meist unscheinbar und ruhig; introvertierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behalten häufig in Gruppendiskussionen wertvollen Input zurück. Dieses Potenzial dennoch zu heben, ist herausfordernd.

In Diskussionen dominieren meist extrovertierte Gruppenmitglieder und bringen raumgreifend ihre Argumente ein. Das ist beispielsweise zu Beginn einer Brainstorming-Session auch gewünscht. So fungieren solche Teammitglieder in diesem Fall als “Icebreaker” und bringen eine breitere Diskussion überhaupt erst in Gang. Doch “ruhige Vertreter” werden sich in solchen Runden sicher nicht hervorwagen und den Meinungsmachern entgegen treten. Welche Möglichkeiten gibt es, solche stillen Teammitglieder aktiv in den Austausch zu integrieren? Wie kann zum einen der benötigte Raum geschaffen und wie können im Weiteren diese Mitarbeiter dazu befähigt werden, sich diesen Raum auch zu nehmen? Typbedingt fällt gerade dieses aktive Agieren und vor anderen, eine Position

Beate van Kempen leitet die Abteilung “Produktmanagement Verbundlösungen” beim LVR Infokom.

Foto BS/privat

beziehen, vielen stillen Teammitgliedern schwer. Hier sind eine gute Vorbereitung und gemeinsame Abstimmung im Vorfeld sehr wichtig. Denn unvorbereitet in den Mittelpunkt gestellt – indem spontan eine Frage direkt an sie gerichtet wird – führt meist nicht zum gewünschten Ergebnis. Eine Möglichkeit besteht darin, am Ende einer Diskussions-

runde gezielt bilateral nachzuhaken. Meist fällt es ihnen leichter, unter vier Augen ihre Meinung zu äußern. Nun ist die Gelegenheit, die nächste Diskussion vorzubereiten, eine aktive Beteiligung anzuregen und die gezielte Rückfrage anzukündigen. Zurück zum Raum geben: Hier gilt es als Führungskraft selbst bewusst zu dosieren und nicht jeden Austausch mit eigenen Redeanteilen zu dominieren. Zielrichtung ist es eher, introvertierter zu führen und sich selbst in bestimmten Themen zurückzunehmen. Wenn dann noch aktiv gemanaged wird, dass stillere Teammitglieder aus der “Deckung” kommen können, werden neue Impulse Diskussionen bereichern. Vielleicht ist weniger (Führung) manchmal mehr…?

Hilfen für öffentliche und soziale Infrastruktur NRW.Bank baut temporäres Förderangebot aus (BS/Gabriela Pantring) Kitas, Kindergärten und Seniorenheime, Kranken-, Frauen- und Mehrgenerationenhäuser, integrative Projekte, Jugendherbergen, Häfen und Verkehrsbetriebe – sie alle sind für unsere Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Viele dieser Institutionen leiden jedoch derzeit erheblich unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie. In Nordrhein-Westfalen hat die NRW.BANK deshalb ihr Förderangebot zeitlich befristet bis Ende dieses Jahres erweitert. Mit der neuen Corona-Variante des bereits seit Längerem bestehenden Förderprogramms “NRW. Bank.Infrastruktur” unterstützt die Förderbank gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen Unternehmen und Institutionen der öffentlichen und sozialen Infrastruktur mit zinsgünstigen Betriebsmitteldarlehen bis maximal 150 Millionen Euro. Gefördert werden gemeinnützige Institutionen und Unternehmen mit mindestens 50 Prozent öffentlichem Gesellschafterhintergrund, zum Beispiel Flughäfen, Messegesellschaften und Verkehrsbetriebe.

Bis zu 80 Prozent Haftungsfreistellung Wer sich für das Förderprogramm interessiert, sollte gemeinsam mit seiner Hausbank den Förderantrag bei der NRW. Bank stellen. Um die Kreditvergabe zu erleichtern, arbeitet die NRW.Bank eng und gut mit den Hausbanken zusammen. Gemeinsam mit dem Land NRW nimmt sie ihnen einen großen Teil des Kreditausfallrisikos ab und stellt sie zu 80 Prozent von der Haftung frei. Diese erweiterte Haftungsfreistellung soll es den kreditvergebenden Hausbanken ermöglichen, Darlehen an die Betreiber der öffentlichen und sozialen Infrastruktur auszureichen, auch wenn bankübliche Kreditsicherheiten nicht zur Verfügung stehen. Die Corona-Pandemie setzt aber auch viele gemeinnützige Organisationen unter Druck, ohne die eine funktionierende Gesellschaft kaum vorstellbar ist. Sie sind häufig sogar besonders von Liquiditätsengpässen betroffen, weil sie mit ihren Einnahmen oft gerade mal nur die Kosten decken. Zahlreiche dieser Einrichtungen haben bereits auf Hilfen aus staatlichen Programmen zurückgreifen müssen. Doch selbst wenn diese Durststrecke bisher

hier beispielsweise stationäre Alten- und PfleGabriela Pantring ist Mitglied geeinrichtungen, des Vorstands der NRW.Bank Organisationen im Gesundheits Foto: BS/NRW.Bank, Christian Lord Otto wesen oder auch integrative Hotels und Restaurants sowie Inklusionswerkstätten. Den Antrag stelüberwunden werden konnte: len kann, wer einen durch die Einnahmen bleiben weiterhin Pandemie ausgelösten Liquidiaus und Geld für dringend nö- tätsbedarf hat. Aber auch wer tige Investitionen fehlt. Die Kita bereits einen Corona-bedingten kann die neue Kletterwand für Liquiditätsengpass überwunden den Sportraum nicht anschaffen, hat – egal ob per Darlehen oder dem Frauenhaus fehlen die Mittel mithilfe von Spendern, Trägern für die Renovierung von Räumen oder Sponsoren – und jetzt und das Seniorenheim schafft es investieren möchte, kann bei finanziell nicht, die digitale Pfle- seiner Hausbank ein Darlehen gedokumentation einzuführen. beantragen. Diese erhält eine Haftungsfreistellung von 100 Maximal 1,5 Prozent Zinsen Prozent, 80 Prozent davon trägt Um hier zu unterstützen, hat die KfW durch eine Bundesgadie NRW.Bank zum ersten Mal rantie, die restlichen 20 Prozent ein spezielles Förderprogramm die NRW.Bank. für von der Körperschaftsteuer Mit beiden Programmen will die befreite Einrichtungen – wie etwa NRW.Bank dazu beitragen, dass Stiftungen, Vereine und Verbän- in Nordrhein-Westfalen weiterhin de – gestartet. Die Förderbank sinnvolle Investitionen in die öffür Nordrhein-Westfalen bietet fentliche und soziale Infrastruküber “NRW.Bank.Gemeinnützi- tur nicht an der Finanzierung ge Organisationen” zinsgünstige scheitern. Förderdarlehen in Höhe von bis Weitere Informationen über Stezu 800.000 Euro mit einem maximalen Zinssatz von 1,5 Prozent fan Schmitz, erreichbar unter: pro Jahr an. Im Fokus stehen stefan.schmitz@nrwbank.de

Die neuen Förderprogramme Förderprogramm

Für wen?

Was?

Konditionen

Darlehen für Betriebsmittel und Investitionen in die soziale Infrastruktur in NRW

Bis max. 800.000 Euro, Laufzeit bis zehn Jahre, Zinssatz Endkreditnehmer max. 1,5 Prozent p.a., 100 Prozent Haftungsfreistellung für die Hausbank, befristet für Zusagen bis 31.12.2020

NRW.BANK.Infrastruktur Unternehmen der öf- Darlehen für den kurzfrisCorona fentlichen und sozialen tigen, Corona-bedingten Infrastruktur (u. a. mind. Betriebsmittelbedarf 50 % öffentlicher Gesellschafterhintergrund, gemeinnützige und gewerbliche Unternehmen)

Neue Variante des Förderprogramms NRW. BANK.Infrastruktur: bis zu 150 Mio. Euro Laufzeit bis max. sechs Jahre, Zinssatz zwei bzw. 2,12 Prozent p.a., 80 Prozent Haftungsfreistellung für die Hausbank, befristet für Zusagen bis 31.12.2020

NRW.BANK.Gemeinnützi- Gemeinnützige Organisage Organisationen tionen (z. B. Stiftungen, Vereine, gGmbHs u. a.), die einen Coronabedingten Liquiditätsbedarf haben bzw. hatten.

Grafik: BS, Quelle: NRW.BANK, Stand September 2020



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er Mensch müsse im Mittelpunkt der Verkehrsplanung von morgen stehen – anstatt des Autos und des Verkehrs an sich. So fordert es ein Bündnis aus Verdi, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem ökologischen Verkehrsclub VCD sowie der Umweltorganisation Fridays for Future. Daher brauche es endlich einen neuen Ansatz für die verkehrspolitische Planung in Deutschland. Dazu gehörten ein langfristig angelegtes Investitions- und Konjunkturpaket und eine Fokussierung auf den öffentlichen Verkehr als einen zentralen Baustein der Verkehrswende, erklärt die Sprecherin von Fridays for Future, Helena Marschall: “Für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels brauchen wir eine sofortige sozial-gerechte Mobilitätswende, die den ÖPNV in den Fokus stellt. Jetzt müssen durch massive Investitionen in den ÖPNV die Bedingungen dafür geschaffen werden. Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten müssen dafür besonders im Vordergrund stehen – sie verdienen als grüne und systemrelevante Jobs der Zukunft mehr Anerkennung.” In ähnliche Kerben schlagen auch Marschalls Mitstreiterinnen und Mitstreiter, beispielsweise die stellvertretende Vorsitzende von Verdi, Christine Behle: “Soll der ÖPNV eine

Weg vom Auto, hin zum Menschen Neues Bündnis fordert Umdenken bei der Verkehrsplanung (BS/Wim Orth) Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Deutschland hat in der Krise schwer gelitten. Während ein Großteil der Bevölkerung ihrer Arbeit in den heimischen Büros, Wohnzimmern und Küchen nachging, fuhren massenhaft Busse, Bahnen und Trams als Leerfahrten durch die Städte und Gemeinden der Republik. Durch die ausbleibenden Umsätze gerieten viele Betreiber schnell in finanzielle Schieflage, die schwerlich wieder auszugleichen ist. Auf der anderen Seite sehen viele Umweltverbände den ÖPNV als einen der Schlüssel hin zu einer nachhaltigen Verkehrswende. Um in diesem Szenario das Gleichgewicht zu wahren, braucht es Förderprogramme und Dialoge zwischen Politik und Expertengruppen – und diese werden nun von letzteren eingefordert. Zukunft haben, muss endlich ausreichend ins Personal investiert werden. Die Verkehrswende kann darüber hinaus nur mit konsequentem Ausbau gelingen.” Da der Klimawandel nunmal kein lokales Phänomen sei, könne die Verantwortung nicht allein auf der kommunalen Ebene liegen. Daher seien Bund und Länder gefordert, sich einzubringen und nach vielen Autogipfeln nun einen ÖPNV-Gipfel abzuhalten, so die zentrale Forderung des Bündnisses. Um thematisch in Vorleistung zu gehen, verbindet man die Forderung mit einem Positionspapier, in dem die notwendigen Maßnahmen im Bereich des ÖPNV skizziert werden und das an die politischen Entscheiderinnen und Entscheider gesandt wurde. Zudem ist es unter www.oepnv brauchtzukunft.de einsehbar, ebenso wie ein offener Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der die Dring-

lichkeit des Handelns deutlich machen soll. Vier zentrale Punkte fordert das Bündnis, das insgesamt zehn Organisationen umfasst, in seinem Papier mit dem Titel “Verkehrswende erfordert entschiedene Investitionspolitik für den Umweltverbund”: Eine nachhaltige und solidarische Finanzierung für den öffentlichen Verkehr, den Ausbau sowie die Modernisierung des ÖPNV, den Aufbau von Personal und die Steigerung der Qualität der Arbeitsplätze sowie abschließend eine klimafreundliche Verkehrsplanung, die durch Vorrang für den Umweltverbund gestärkt werde. Wichtig innerhalb dieser vier Punkte sei vor allem der Fakt, dass zwar rund 24 Millionen Menschen täglich in Bus und Bahn unterwegs seien, es jedoch eine Verdoppelung dieses Wertes bis 2030 brauche, um die Klimaziele im Verkehrssektor überhaupt noch erreichen zu

Hypermotion 2020 Hybrides Networking-Event für Mobilität & Logistik (BS/Melanie Wedler*) Wie wird wohl das Verkehrssystem der Zukunft aussehen? Auf der Hypermotion der Messe Frankfurt vom 10. bis 12. November dreht sich alles um das Thema neue Mobilität, Logistik und digitale Transformation.

Foto: BS/Messe Frankfurt

Entdecken Sie die neuesten Trends und nutzen Sie die Gelegenheit, mitzudiskutieren und sich mit den Innovationstreibern der Branche zu vernetzen. Sowohl live vor Ort in Frankfurt als auch digital mit neuen Features

Behörden Spiegel / Oktober 2020

wie Livestreaming, Matchmaking, Chat-Funktion u.v.m. Freuen Sie sich auf eine neue Form der Interaktion und ein vielseitiges Konferenzprogramm. KeynoteSpeaker sind u. a. Whistleblower Edward Snowden zum Thema

“Datenschutz in Mobilität und Logistik nach Corona” und Bestseller-Autor Marc Elsberg, der in seinen internationalen Bestellern realistische Zukunfts- und Bedrohungsszenarien entwirft. Der 6. Deutsche Mobilitätskongress sowie die smc:smart mobility conference widmen sich dem Thema zukünftige Mobilität in Bezug auf unsere Klimaziele und Digitalisierung. Die EXCHAiNGE fokussiert sich auf Best Practices in der Supply Chain. Die Logistics Digital Conference sowie die scalex conference thematisieren Innovationen im Warentransport und der City Logistik. Und das Hypermotion-Lab stellt disruptive Konzepte im Bereich Urban Air Mobility, Smart Logistics und digitale Infrastruktur vor. *Melanie Wedler arbeitet bei der Messe Frankfurt Exhibition GmbH.

Nicht nur in Jena, sondern auch in Erfurt und sonstwo im Land muss sich der ÖPNV für die Zukunft rüsten. Sollen die Klimaziele erreicht werden, braucht es eine Verdopplung der Passagierzahl bis zum Jahr 2030. Foto: BS/Tabor, pixabay.com können. Um diese zumindest kehrsplanung auch die allgemeigrob anpeilen zu können, sei ne Lebensqualität der Menschen es für die weitere Entwicklung steigern, beispielsweise durch des ÖPNV in Deutschland von verringerte Lärmbelästigung. zentraler Bedeutung, diesen so zu gestalten, dass er “preislich Länder sind bereits aktiv attraktiv, komfortabel, modern Während es also viel zu tun gibt, und verlässlich ist”, so das For- nehmen vor allem die Länder bederungspapier an die Politik. reits Gelder in die Hand, um die Dafür brauche es neue Finan- Verkehrswende im Sinne eines zierungskonzepte, damit nicht öffentlich genutzten Verkehrs nur die Metropolen auf sinnvolle zu fördern und die Einbußen Art und Weise mit ihrem Um- durch die diesjährigen Ausfälle land verbunden würden, son- möglichst gut aufzufangen. In dern damit das Angebot für die Thüringen beispielsweise ist der Menschen eine reale Alternative Öffentliche Personennahverkehr zum eigenen Auto darstelle, dem im Zuge des ÖPNV-Gesetzes zu eies in Sachen Praktikabilität und ner “Aufgabe der Daseinsvorsorge” Attraktivität im Optimalfall sogar definiert worden, der “der Hersteldas Wasser reichen könne. Ne- lung und Sicherung gleichwertiben einer Verbesserung von Luft ger Lebensbedingungen” dienen und Klima durch weniger CO2 und gleichzeitig “eine attraktive könne ein verstärkter Fokus auf Alternative zum motorisierten InKlimafreundlichkeit bei der Ver- dividualverkehr darstellen” soll.

Neben warmen Absichtsbekundungen lässt man im dortigen Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft auch Taten sprechen, wie beispielsweise vor wenigen Wochen in Jena: “Wir fördern die Anschaffung der 24 neuen Straßenbahnen in Jena mit insgesamt 44,4 Millionen Euro. Die beiden Förderbescheide haben wir heute verschickt”, so die Thüringer Staatssekretärin für Infrastruktur, Susanna Karawanskij. Zudem betonte die Staatssekretärin, dass es im Verkehrsministerium des Landes “ein vorrangiges Ziel” sei, “die Kommunen und Verkehrsunternehmen beim Ausbau des klimafreundlichen Nahverkehrs und der kommunalen Verkehrswende zu unterstützen”. Und auch anderswo fließen Gelder aus Landesmitteln, um die lokale ÖPNV-Landschaft besser aufzustellen. Im Autoland BadenWürttemberg beispielsweise wurde in diesem Jahr unter anderem eine eigene ÖPNV-Strategie bis 2030 entworfen und eine ÖPNVZukunftskommission eingesetzt. In den Ländern tut sich also schon einiges, während es aus dem Bund bislang keine Antwort auf die Forderung eines ÖPNVGipfels gab. Dabei würde an einer bestimmten Stelle die gezielte Koordination von ganz oben eine essenzielle Rolle spielen: Denn auch wenn ein die Ländergrenzen überschreitender Verkehr immer wieder angedacht und als begrüßenswert betrachtet wird, tut sich an dieser Stelle nur sehr begrenzt etwas. Ob Verkehrsminister Scheuer sich auf einen bundesweiten Austausch in Form eines – wie auch immer ausgestalteten – ÖPNVGipfels einlässt, bleibt aktuell jedoch offen. Die nächste Verkehrsministerkonferenz findet am 14. Oktober statt. Bis dahin haben die Unterzeichner des Positionspapieres um eine Antwort aus dem Ministerium gebeten.

WEBKONFERENZ

ZUKUNFT KREISLAUFWIRTSCHAFT 28. Oktober 2020, 9:30–15:30 Uhr THEMENÜBERSICHT:

Kreislaufwirtschaft und die Bedeutung für den Klimaschutz Die zukünftige Kreislaufwirtschaft zwischen Energie- und Ressourcenwende Abfallvermeidung und Wiederverwertung Kontrolle, Exekutierbarkeit und der Verlust von Rohstoffen durch fehlenden Vollzug Vorbildrolle der Kommune und umweltfreundliche Vergabe Zukunftsvisionen einer regionalen Abfallwirtschaft – was Kunden und Mitarbeiter für 2030 / 2040 denken / wünschen / fordern Mit Bäumen die Welt retten

www.zukunft-kreislaufwirtschaft.de Eine Veranstaltung des


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Aggressionsauslöser Corona

Mit “Datenschutz-Rollo” ausgestattet

Handlungsempfehlungen gegen Gewalt im dienstlichen Alltag

Videokameras müssen teilweise erkennbar funktionsuntüchtig sein

(BS/Ronald Mikkeleitis) Corona beschäftigt die Außendienste der Ordnungsämter und der Polizei seit März 2020 stark – mit noch zunehmender Intensität. Die Maßnahmen wie Abstandspflicht, Maskenpflicht usw. sind nach Aussage der Wissenschaft zielführend, aber eben auch belastend. Viele Bürgerinnen und Bürger sind durch die Krankheit selbst und die bisher unbekannten Beschränkungen des Alltags verunsichert. Immer mehr reagieren deshalb leider auch aggressiv, wenn sie von Dritten oder den Ordnungsbehörden auf ihr Fehlverhalten angesprochen werden.

(BS/Frank Salder) Die Datenschutzbedürfnisse der Bürger ernst zu nehmen, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz von Videoüberwachung im öffentlichen Raum. So hat etwa das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW gerichtlich festgelegt, dass fest installierte Videosysteme bei friedlichen Kundgebungen erkennbar abgeschaltet sein müssen. Mit dem neuen, ferngesteuerten “Privacy Shield” der Dallmeier Panomera®Kameras können Behörden oder Einsatzkräfte, aber auch Unternehmen nun mit ein paar Mausklicks die Optiken ihrer Videokameras weit sichtbar verdecken.

Übergriffe gegen Mitarbeitende der Polizei und Ordnungsbehörden nehmen zu, Fälle wie in Köln, Stuttgart, Berlin und andernorts sprechen für sich. Nicht nur quantitativ, sondern gefühlt insbesondere qualitativ hat Gewalt deutlich zugenommen! Auch schwere Verletzungen von Einsatzkräften werden mindestens billigend akzeptiert, wie Filmaufnahmen von Einsätzen mit z. B. Flaschen- und Steinwürfen eindrücklich zeigen.

Fingerspitzengefühl gefragt Ansatzlos reagieren Bürger trotz angemessen freundlicher Ansprache mit Bedrohungen, Beleidigungen oder sogar körperlichen Angriffen. Es ist deutlich spürbar, wie niedrig die Schwelle zu aggressivem Verhalten geworden ist. Dem müssen im Außendienst Tätige unbedingt Rechnung tragen und sich genau darauf einstellen, dass sehr viele Menschen schlicht überfordert sind von der Krankheit und den daraus resultierenden einschränkenden Maßnahmen. Gerade jetzt ist also Fingerspitzengefühl gefragt. Auch hier hat es sich als besonders entlastend erwiesen, wenn Mitarbeitende in allen Fragen zu den jeweiligen Corona-Verordnungen bestens informiert sind und kompetent antworten können. Ebenso dass im engeren Kontakt oder auch dort, wo es vorgeschrieben ist, die Abstandsregeln und die

Ronald Mikkeleitis ist seit 2004 Leiter des Außendienstes in einem Berliner Ordnungsamt und führt seit vielen Jahren Seminare zu den Themen Gewalt, Deeskalation und Eigensicherung durch.

Foto: BS/privat

Maskenpflicht auch und gerade von Außendienstmitarbeitenden selbst streng eingehalten werden.

Einsatzkräfte bestens unterstützen Die Dienststellen stehen in der Pflicht, ihre Mitarbeitenden mit allen erforderlichen Schutzausrüstungen bestens auszustatten und die sich ständig aktualisierten Vorschriften zur Infektionseindämmung sofort an den Außendienst durchzustellen. Nicht vergessen werden darf, dass die Einsatzkräfte auch selbst Ängste in einer Pandemie haben. Dies muss ernst genommen werden und die Dienststellen müssen sich entsprechend darauf vorbereiten. Gerade psychologische Ersthelfer haben sich in diesen Situationen bewährt. Das Beschwerdeaufkommen von Bürgern, die nicht mit dem

Einschreiten der Behörden in Corona-Zeiten einverstanden sind, wird zunehmen und ist schon jetzt spürbar. Hier wirkt es entlastend für alle Beteiligten, wenn diese Beschwerden inhaltlich angemessen geprüft werden und in kurzer Zeit ein Ergebnis vorliegt. Es ist gerade in der jetzigen Lage mit steigender Beschwerdebereitschaft belastend für Mitarbeitende, wenn sie wochenlang auf das Ermittlungsergebnis warten müssen. Die Anforderungen an die jeweiligen Außendienste zur Durchsetzung der erforderlichen Schutzmaßnahmen werden noch deutlich steigen. Dem kann man nur mit hoher Professionalität seitens der Mitarbeitenden, aber auch und gerade der Vorgesetzten, gerecht werden.

Seminar zum Thema Wie die Beschäftigten von Ordnungsdiensten und Polizeien zur Eigensicherung beitragen können, um Angriffe zu vermeiden, und lernen, mit den Folgen eines Übergriffs umzugehen, thematisiert der Autor in einem Seminar des Behörden Spiegel am 30. November und 1. Dezember 2020 in Bonn. Mehr finden Sie unter www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Begegnung”.

Planungen in München gekippt Nächtliches Alkoholverbot ist unverhältnismäßig (BS/mfe) Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat ein geplantes nächtliches Alkoholverbot in der Landeshauptstadt München für unverhältnismäßig erklärt (Aktenzeichen 20 CS 20.1962). Die Stadtverwaltung wollte in einer infektionsschutzrechtlichen Allgemeinverfügung den Konsum alkoholischer Getränke im öffentlichen Raum täglich zwischen 23 Uhr und sechs Uhr des Folgetages im gesamten Stadtgebiet untersagen. Ausnahmen waren für Gaststätten und Veranstaltungen vorgesehen. Ab dem Tage, an dem in München der Sieben-Tage-Inzidenzwert für Corona-Neuinfektionen über 35 pro 100.000 Einwohner liege, sollte das Alkoholverbot für sieben Tage gelten. Das Münchner Verwaltungsgericht ordnete die

aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen Bestimmungen der Allgemeinverfügung an. Die Richter entschieden, dass das Verbot weder erforderlich noch angemessen sei. Gegen diesen Beschluss

erhob die Stadtverwaltung Beschwerde, allerdings erfolglos. Die aufschiebende Wirkung der noch zu erwartenden Klage sei zu Recht angeordnet worden. Das Konsumverbot sei rechtswidrig. Es sei nicht verhältnismäßig.

Datenschutzvorgaben elegant erfüllen und Vertrauen sichern: Das “Privacy Shield” für die einfache, kosteneffiziente und eindeutig erkennbare Deaktivierung der Bilderfassung. Fotos: BS/Dallmeier

Das Oberverwaltungsgericht NRW (Aktenzeichen: 15 A 1139/19) stellte eindeutig fest: Bei friedlichen Kundgebungen müssten fest installierte Videosysteme nicht nur abgeschaltet werden, vielmehr müsse dies auch für alle Versammlungsteilnehmer “hinreichend verlässlich erkennbar” sein. Für die Polizei bedeutet dies einen hohen logistischen Aufwand, da bei jeder Kundgebung aufwendig mit Hubsteigern jede einzelne Kamera verhüllt werden muss. Ebenso zeitintensiv ist der Rückbau der Frank Salder ist Geschäftsführer von Maßnahme. Bei bis zu 500 ange- Dallmeier Systems und Safe-City-Exmeldeten Kundgebungen pro Jahr perte bei Dallmeier. in größeren Städten verursacht dies schnell Kosten im sechsstelligen en und Industrieunternehmen im Bereich für zusätzliches Personal Einsatz sind. sowie entsprechende Geräte wie Innovation “made in etwa einen Hubsteiger. Das “Privacy Shield” genannte Sys- Germany” tem des Regensburger VideotechDas “Privacy Shield” ist in Si­ nik-Herstellers Dallmeier schafft gnalfarbe gehalten und eine aufgenun genau für diese Herausforde- druckte, durchgestrichene Kamera rung Abhilfe: Eine “Jalousie” aus macht für jeden Bürger klar erundurchsichtigem Spezialmaterial kennbar: Hier findet keine Videobekann direkt aus dem Leitstand über obachtung oder -überwachung die GUI ferngesteuert werden und statt. Denkbar ist auch der Einsatz verdeckt binnen weniger Sekunden im Unternehmensbereich, wenn die Linsen der Panomera®-Systeme beispielsweise Flächen- oder Parkdes Herstellers, die bereits in 19 platzüberwachung zu bestimmten großen Städten in Deutschland, Zeiten ausgeschaltet werden soll, aber auch in vielen Fußballstadi- etwa bei Betriebsversammlungen

oder Schichtwechseln. Verfügbar ist das System nicht nur in der neuesten Panomera®-Generation; bestehende Systeme können aufgerüstet werden. Genaue Informationen dazu gibt es vom Hersteller. Als deutscher Hersteller haben wir das Thema Datenschutz und Datensicherheit durch die jahrelange Zusammenarbeit mit Behörden verinnerlicht. Deswegen war es uns wichtig, Behörden, aber auch privaten Unternehmen ein System zur Verfügung zu stellen, das die zahlreichen Anforderungen in einer Lösung vereint. Dazu gehören das Bedürfnis nach umfassendem Schutz der Privatsphäre bei Bürgern oder auch Mitarbeitern, die gesetzlichen Vorgaben, aber auch die Anforderung, die Deaktivierung und Aktivierung mit vertretbarem Aufwand umsetzen zu können. Mit dem “Privacy Shield” zeigen wir wieder einmal, dass Innovation “made in Germany” keine leere Floskel ist, sondern einen klar erkennbaren Mehrwert für alle Beteiligten bietet. Dass es das System auch zum Nachrüsten gibt, unterstreicht unseren Nachhaltigkeitsgedanken. Weitere Informationen unter: dallmeier.com/de/privacy-shield

Vom Ankommen zur Integration

Fachforum Flucht, Migration und Integration 12. – 13. November 2020, Düsseldorf

Themen der Veranstaltung, u. a.: , • Rassismuskritik in Gesellschaft und Bildungswesen

• Mythos Bildung – die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft

• Ursachen und Folgen von Bildungsungleichheit Jugendlicher mit Migrationshintergrund • Hürden und Hindernisse für eine nachhaltige Migrationsarbeit in Kommunen • Herausforderungen für die Migrationsarbeit in Kommunen

• Erfolgreiche Fördermittelbeschaffung

• Antirassismusarbeit – aktueller Stand und wichtige Ansätze

Eine Veranstaltung des

www.fluechtlingskongress.de


Kommunale Sicherheit

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o gab es zwischen Januar und Mai dieses Jahres 460 Unfälle mit Elektro-Kleinstfahrzeugen hierzulande. Dabei waren 464 Verletzte zu verzeichnen. Ein Fahrer eines Elektro-Kleinstfahrzeugs kam ums Leben, 82 wurden schwer und 306 leicht verletzt. Das berichtete Marco Schäler, Polizeibeamter im Polizeipräsidium Koblenz und Mitglied in der Kommission Verkehr der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Er geht in diesem Zusammenhang von einer großen Dunkelziffer aus, da insbesondere “Alleinunfälle”, wie etwa Stürze, nicht gemeldet würden. Gleiches gelte für Kollisionen mit geringen Schäden, da hier Ängste vor Repressionen, bestünden.

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Probleme mit Elektro-Kleinstfahrzeugen Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung fordert zahlreiche Akteure (BS/mfe) Elektro-Kleinstfahrzeuge prägen bundesweit immer stärker das Stadtbild. Segways und Elektro-Roller sind insbesondere in Metropolen nahezu allgegenwärtig. Dort führen sie allerdings zu zahlreichen Problemen, etwa weil sie wild abgestellt werden. Das ist aber bei Weitem nicht die einzige Schwierigkeit, die von den Verantwortlichen auf den unterschiedlichen politischen Ebenen bewältigt werden muss. Es geht auch um Unfälle mit diesen Fahrzeugen und dabei verletzte oder sogar getötete Menschen.

Konflikte nicht aufzulösen Kritisch sieht Schäler auch die fehlende Notwendigkeit einer Prüfbescheinigungspflicht für die Nutzung von ElektroKleinstfahrzeugen. Dies verkenne das Erfordernis einer ausreichenden Vorschriftenkenntnis im Straßenverkehr und sei ein Novum im Verkehrsrecht. Darüber hinaus beenge die Radwegebenutzungspflicht für diese Fahrzeuge den ohnehin schlecht ausgebauten Verkehrsraum für Fahrräder. Und das fehlende Radverkehrsnetz in vielen Städten führe zu Konfliktstrukturen mit dem Autoverkehr. Eine Konkurrenzstellung existiere außerdem zwischen ElektroKleinstfahrzeugen und dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Schäler plädiert für eine Mitführpflicht einer Datenbestätigung und der Versicherungsbescheinigung bei der Nutzung von Elektro-Kleinstfahrzeugen. Außerdem spricht er sich für die Festschreibung einer Prüfbescheinigungs- und Helmpflicht sowie den verpflichtenden Anbau von Fahrtrichtungsanzeigen und Bremsleuchten aus. Die Versicherungsplakette sollte zudem durch ein Versicherungskennzeichen ersetzt werden. Von Städten und Gemeinden verlangt er, Auf- und Abstellorte für diese Kleinstfahrzeuge festzulegen und zu kennzeichnen. Eine andere Forderung an die Politik erhebt Roland Stimpel, Geschäftsführender Vorstand von FUSS e.V.. Er verlangt, da die Trennung unterschiedlicher Verkehrsnetze physisch nur begrenzt möglich sei, den schnellen

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ür die Aufsicht der Einhaltung dieser Bestimmungen durch die Verpflichteten sind gemäß § 50 GwG je nach Branche und Bundesland unterschiedlichste Behörden zuständig. Diese Zuständigkeiten sind teilweise breit gestreut. In Niedersachsen sind zum Beispiel nur für den Bereich der Güterhändler über 40 verschiedene Behörden örtlich für die Aufsicht der Geldwäscheprävention zuständig. Dieser Flickenteppich von Aufsichtsbehörden erschwert die einheitliche Anwendung des GwG sowie die Etablierung einheitlicher Prüfungsstandards ungemein. Aus diesem Grund wären zentralere Lösungen wünschenswert. Eine solche existiert bisher ausschließlich für die Finanzbranche, die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht beaufsichtigt wird.

Prüfungshandlung auf zwei Ebenen Unabhängig von der Zuständigkeitsfrage bleiben Prüfungshandlungen seitens der Behörden das zielführende Instrument, um die ordnungsgemäße Geldwäscheprävention durch die Verpflichteten sicherzustellen. Dazu haben diese auf Verlangen der Behörden Auskünfte über alle

Sieht Verbesserungsbedarf bei Elektro-Kleinstfahrzeugen: Marco Schäler, Mitglieder der Kommission Verkehr der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Fotos: BS/Feldmann

Fahrverkehr an die Bedürfnisse von Fußgängern anzupassen und nicht den umgekehrten Weg zu wählen. Es gehe vielmehr darum, Schnelle an Langsame, Starke an Schwache und Geschützte an Ungeschützte anzupassen. Dafür sollten die Kommunen unter anderem alle Möglichkeiten zur Anordnung von Tempo 30-Zonen ausnutzen, Fahrbahnen verschwenken oder einengen und Schwellen nutzen. Des Weiteren brauche es oftmals einen längeren Grünvorlauf für Fußgänger vor dem Abbiegen von Fahrzeugen. Ampeln sollten, wo immer möglich, durch andere Querungshilfen ersetzt werden. Dazu gehörten etwa Zebrastreifen, so Stimpel. Typische Unfallursachen an Kreuzungen seien der fehlende Schulterblick beim Abbiegen, Radfahrer, die sich auf falschen Flächen befänden, sowie Falschparker, erläutert Jörg Ortlepp. Hinzu kämen Rotlichtverstöße, ungünstige Knotenpunktegeometrien, etwa durch weiterhin hohe Abbiegegeschwindigkeiten, sowie hohe Komplexitäten an Kreuzungen, so der Leiter Verkehrsinfrastruktur bei der Unfallforschung der Versicherer. Problematisch seien zudem schlechte Erkennbarkeit, Begreifbarkeit und Sicht an diesen Stellen. Hier könnten kombinierte Verkehrsüberwachungsanlagen zu mehr Verkehrssicherheit

beitragen, ergänzte Tim Bissé, Produktmanager für Verkehrstechnik beim Hersteller Vitronic auf dem “Bundeskongress Kommunale Verkehrssicherheit” des Behörden Spiegel in Bonn. Gleiches gelte für Lärmmessungen, Informations- und Warnschilder sowie Dialogdisplays, unterstrich Rudolf Broer von der RTB GmbH. Poller allein brächten allerdings keinen Sicherheitsgewinn. Vielmehr müsse urbane Sicherheit möglichst kompatibel sein zum Stadtbild und zur Städtebaupolitik, verlangte Prof. Dr. Norbert Gebbeken von der Universität der Bundeswehr in München. Um Fußgänger und Radfahrer vor Abbiegenden zu schützen, seien vorgezogene Haltlinien oder aufgeweitete Radaufstellstreifen sinnvoll, ergänzte Ortlepp. Verkehrssicherheit benötige vor allem Sichtbarkeit und Platz, zeigte er sich überzeugt. Wichtig sei außerdem, das Tempo des innerstädtischen Autoverkehrs zu verringern, unterstrich Peter Schlanstein, von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen sowie Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland. Generell brauche es für mehr Verkehrssicherheit immer ein enges Zusammenwirken zwischen den Beteiligten, insbesondere zwischen Polizei und Verwaltung, so Dieter Schäfer, ehemaliger

Matthias Beck, Fachbereichsleiter Steuerung und Service bei der Stadt KorntalMünchingen, wünscht sich mehr Einheitlichkeit beim baden-württembergischen Gemeindevollzugsdienst der Kommunen.

Leiter der Verkehrspolizei in Mannheim.

Es geht nicht ohne Kooperation Gleiches gilt für die Aufrechterhaltung der kommunalen Sicherheit und Ordnung. So arbeitet etwa das Bonner Ordnungsamt eng

mit der Landespolizei zusammen, um Feiern an den Rheinufern zu unterbinden. Denn dort komme es zum Teil zu erheblichen Straftaten, so der Abteilungsleiter des Stadtordnungsdienstes der Bundesstadt, Carsten Sperling. Nicht zuletzt aufgrund dieser engen Zusammenarbeit der unter-

Rasche Reaktion möglich Seecontainer als Schutz bei Sprengung (BS/Marisa Lutter*) Für eine Bombensprengung direkt an Mehrfamilienhäusern boten die Seecontainer von Bloedorn Container sehr kurzfristig einen massiven Schutzwall. Die Stadt Essen nutzt diese innovative Lösung häufiger und sorgt für ein Plus an Sicherheit.

Seecontainer bieten sich sehr gut als Schutzelemente bei Sprengungen an. Sie sichern auch Wohnhäuser. Foto: BS/Bloedorn

Geschäftsführer Mathias Weber erinnert sich: “Um zehn Uhr fragte die Stadt an und um zwölf Uhr trafen die ersten Container

bereits ein. Das erfordert große Flexibilität von der Disposition sowie Montage, da das Tagesgeschäft um solche Einsätze herum

Zentralere Lösungen wünschenswert Behördliche Kompetenzen zur Prüfung der Geldwäscheprävention (BS/David Schmidt/Lena Olschewski*) Wer bei dem Begriff der Geldwäsche ausschließlich an das organisierte Verbrechen, Steueroasen und Offshore-Konten denkt, unterliegt einem Trugschluss. Vielmehr können für Geldwäscher auch deutsche Unternehmen unabhängig von ihrer Größe attraktive Möglichkeiten bieten, um inkriminierte Gelder in den legalen Wirtschaftskreislauf einzuschleusen. Um diesen kriminellen Bestrebungen entgegenzuwirken, normiert das Geldwäschegesetz (GwG) diverse Verpflichtungen für Unternehmen aus Branchen, die sich besonders für den Missbrauch zur Geldwäsche eignen (Verpflichtete). Geschäftsgelegenheiten zu erteilen und sämtliche Unterlagen vorzulegen, die für die Einhaltung der im GwG festgelegten Anforderungen von Bedeutung sind. Eine Prüfungshandlung kann dabei grob unterteilt auf zwei Ebenen stattfinden. Zum einen gibt es die Überprüfung der organisatorischen Verpflichtungen. Hierzu zählt insbesondere die Begutachtung der Risikoanalyse, welche nach § 5 GwG zur Erfassung und Bewertung der unternehmensinternen Risiken für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu erstellen ist. Daneben wird auch eine Sichtung der gemäß § 6 GwG ausgearbeiteten internen Grundsätze und Verfahren zur Umsetzung der Bestimmungen des GwG notwendig sein. Dazu sollte das zu prüfende Unternehmen valide unternehmensinterne

Richtlinien, die die praktische Umsetzung der Bestimmungen des GwG beschreiben, vorlegen können. Größere Unternehmen sind nach § 6 Abs. 2 Nr. 7 GwG zudem auch selbst verpflichtet, ihre internen Grundsätze und Verfahren auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Daher bietet sich hier auch die Sichtung entsprechender Prüfungsberichte an. Zuletzt können auch Nachweise über die Prüfung der Zuverlässigkeit und die Schulung der Mitarbeiter gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 5 und Nr. 6 GwG eingeholt werden. Zum anderen gibt es die Überprüfung des regelgetreuen Umgangs mit Einzelfällen. Verpflichtete müssen bestimmte Sorgfaltspflichten im Hinblick auf ihre Kunden erfüllen, bevor sie eine Geschäftsbeziehung mit diesen eingehen. Diese ergeben sich aus den §§ 10 ff. GwG. Sämtliche Informationen, die zur Erfüllung

schiedlichen Akteure habe Bonn die Pandemie bisher gut im Griff und seien die Infektionszahlen sehr niedrig. Sperling räumte auf dem “Bundeskongress Kommunale Ordnung” gleichzeitig aber ein, dass Kontrollen der Corona-Regelungen während des Lockdowns deutlich einfacher gewesen sein als derzeit. Momentan hätten seine Ordnungsamtsmitarbeiter sehr viel zu tun, da es wieder Veranstaltungen gebe. Dort müssten die Hygienekonzepte überprüft werden, was erhebliche Ressourcen binde. Es gebe jedoch viele Möglichkeiten zur Digitalisierung von Ordnungsbehörden und Kommunen, unterstrichen Vera Kimmel und Markus Guth vom Kommunalen IT-Dienstleister BadenWürttembergs, Komm.ONE. Problematisch sei allerdings, dass jede Kommune in BadenWürttemberg eigene Regelungen zur Ausbildung gemeindlicher Vollzugsbediensteter habe, so Matthias Beck. Zudem gebe es keine verwaltungsspezifischen Einstellungsvoraussetzungen und kein einheitliches Grundwissen für diese Kräfte, bemängelte der Fachbereichsleiter Steuerung und Service der Stadt KorntalMünchingen. Dies erschwere den Mitarbeiterwechsel zwischen den Kommunen erheblich. Hier bleibt noch einiges zu tun.

der Sorgfaltspflichten gesammelt wurden, sind zu dokumentieren und mindestens fünf Jahre aufzubewahren. Bei Behördenprüfungen kann die Einhaltung der Sorgfaltspflichten durch Vorlage dieser Dokumente stichprobenartig überprüft werden. Auch die Funktionalität des Verdachtsmeldewesens des Verpflichteten kann einer Stichprobe unterzogen werden. Hierzu kann die Behörde die Dokumentation von Verdachtsfällen aus der Vergangenheit sichten, aus der sich für jeden Fall ergeben sollte, warum eine Meldung an die Financial Intelligence Unit (FIU) abgegeben wurde beziehungsweise warum nicht.

Organisatorischer Rahmen nicht gesetzlich normiert Einen organisatorischen Rahmen etwaiger Prüfungen normiert das Gesetz nicht. Die Behörden

dürfen ihrer Aufsichtsverantwortung ohne besonderen Anlass vor Ort nachkommen. Konkret ergibt sich hieraus die Befugnis, die Geschäftsräume eines Verpflichteten während der üblichen Geschäftszeiten aufzusuchen. Als milderes Mittel besteht jedoch auch die Möglichkeit sich sämtliche Prüfungsunterlagen zuleiten zulassen. Auslöser für eine Prüfung können auch konkrete Verdachtsmomente sein. Zum Empfang entsprechender Hinweise müssen Behörden ein Hinweisgebersystem errichten. Die Aufsichtsbehörden sind zur Sanktionierung entdeckter Unzulänglichkeiten mit diversen Kompetenzen ausgestattet. Sie können bedarfsbezogene Maßnahmen erlassen und Zuwiderhandlungen - je nach Branche des Verpflichteten - mit Bußgeldern von bis zu fünf Millionen Euro ahnden. Zudem können bestands-

geplant werden. Das Montageteam weiß zudem nie, wie es vor Ort sein wird. In Essen hat die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) zunächst den Untergrund für die Splitterschutzwand geebnet. Die Container wurden parallel zwischengelagert und später für die Montage nochmals versetzt. Um 22 Uhr standen alle 18 Seecontainer. Um der Wucht der Detonation standzuhalten, wurden die Container mit je vier Tonnen Beton ballastiert. Um 1:20 Uhr kam die Entwarnung: Sprengung geglückt, rund 1.600 evakuierte Menschen durften zurück in ihre Häuser. *Marisa Lutter ist Director mice & pr bei WI-COMMS.COM.

kräftige und unanfechtbare Bußgeldentscheidungen veröffentlicht werden, was weitaus schädlicher als ein Bußgeld sein kann. Das GwG gibt damit den zuständigen Behörden ein scharfes Schwert an die Hand, um die ordnungsgemäße Geldwäscheprävention zu überprüfen und Missstände zu sanktionieren. Verpflichtete sollten daher stets vorbereitet sein und Behörden sollten sich nicht scheuen, zur nachhaltigen Bekämpfung der Geldwäsche von ihren Kompetenzen Gebrauch zu machen. *David Schmidt ist AML Case Specialist bei Kerberos Compliance-Managementsysteme. Lena Olschewski ist Senior Compliance Managerin bei Kerberos Compliance-Managementsysteme.

Save the date Mehr zum Thema Geldwäschebekämpfung und den damit verbundenen ComplianceHerausforderungen erfahren Sie im Rahmen eines Seminars des Behörden Spiegel am 3. November in Berlin. Weitere Informationen unter: www.fuehrungskraefte-forum. de; Suchwort: Geldwäsche


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Oktober 2020

Digitaler Take-off bleibt aus

KNAPP

Trotz einzelner Fortschritte sieht NKR Verwaltungsdigitalisierung hinter ihren Zielen zurück (BS/Thomas Petersdorff) Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat den vierten “Monitor Digitale Verwaltung” vorgelegt. Trotz zahlreicher positiver Entwicklungen in der jüngsten Vergangenheit sieht das beim Bundeskanzleramt eingerichtete Kontrollgremium nach wie vor massiven Nachholbedarf in Fragen der Transparenz und Standardisierung. Zudem mahnen die Autoren des NKRs einen Strategiewechsel an, der über die vom Onlinezugangsgesetz (OZG) verhängte Frist im Jahr 2022 hinausgeht und auch einen digitalen Anschluss der Fachverfahren anstrebt. Anlass zu Optimismus gebe dementgegen ein seit Corona zu verspürender Mentalitätswechsel in Politik und Verwaltung, der Deutschland – zumindest gedanklich – um vier Jahre nach vorne katapultiert habe. Keine ausreichende Flächendeckung bei Online-Verwaltungsleistungen, kein ausgereiftes Standardisierungsregime, keine digitaltaugliche Gesetzgebung – geht es nach Einschätzung des Nationalen Normenkontrollrats, ist der Weg hin zur digitalen Verwaltung noch weit. Und in der Tat: Obwohl die Zeit bis zum Fristende der OZG-Umsetzung im Jahr 2022 allmählich verstreicht, bleibt die Liste ausstehender Todos lang. Zwar notiert der vierte “Monitor Digitale Verwaltung” auch viele positive Entwicklungen wie zum Beispiel den gelungenen Auftakt der Corona-Warn-App, den Hackathon “#WirVsVirus” oder die OZG-Expresslabore für Verdienstausfallsentschädigungen und Überbrückungshilfen. Ob es sich bei den Digitalisierungsschüben der jüngsten Vergangenheit hingegen um Indikatoren für eine dauerhafte Trendwende handle, versehen die Autoren mit einem Fragezeichen. Zumindest mental habe die Krise schon dazu beigetragen, dass Deutschland “vier Jahre weiter” sei als noch zu Beginn des Jahres und man hierzulande Digital als neue Realität akzeptiere.

Es fehlt ein politisches Monitoring Konkreten Nachholbedarf sieht der NKR beim Thema Transparenz. So sei zur Halbzeit des OZGs für die verantwortlichen Akteure noch immer nicht ersichtlich, welche der als besonders relevant eingestuften Verwaltungsleistungen bisher schon im notwendigen Reifegrad zur Verfügung stünden. Die bloß lückenhafte Informationslage erschwere nicht nur eine Gesamteinschätzung des OZG-Umsetzungstands, vielmehr erwachse aus der mangelnden Übersichtlichkeit ein operatives

Warten auf den Abflug: Trotz einzelner Indikatoren für eine positive Entwicklung mangelt es der Verwaltungsdigitalisierung nach Einschätzung des NKRs noch immer an einer ganzheitlichen Vision. Foto: BS/anncapitures, pixabay.com

Problem, da sowohl Bund, Länder als auch Kommunen oftmals keine genaue Kenntnis darüber besäßen, welche Lösungen bereits fertig erarbeitet worden seien und bei welchen Services Eigeninitiative gefragt sei. Möglichkeit zum Austausch bestehe zwar, doch könnten auch die vier Informationsplattformen im Netz, darunter beispielsweise informationsplattform.ozg-umsetzung. de, am Ende keine Abhilfe schaffen. Immerhin habe die Politik das Problem erkannt und mit dem Monitoring-Dashboard eine Lösung angekündigt, die noch bis Ende dieses Jahres ausgerollt werden solle. Als eigentliche Herausforderung identifiziert der NKR jedoch die Flächendeckung und kritisiert Äußerungen auch der politisch Verantwortlichen, dass eine bundesweite Implementierung aller 575 Online-Verwaltungsleistungen bis zum vorgegebenen Termin nicht zu schaffen sei. Für die Autoren des Verwaltungsmonitors der falsche Weg, zumal nicht ein-

mal mit Sicherheit gesagt werden könne, ob eine Realisierung bei Leistungen der Prioritäten eins und zwei machbar sei. Selbst wenn eine Digitalisierung von OZG-Bündeln aller Prioritätsstufen bis Ende 2022 nicht gelinge, müsse bedacht werden, dass Bürgerinnen und Bürger aufgrund der europäischen Single-Digital-Gateway-Verordnung (SDG) ihr Recht auf Online-Verwaltung ab 2024 auch gerichtlich geltend machen könnten.

“Einige für viele” statt “Einer für alle” Ambivalent steht der NKR den zusätzlichen Milliarden aus dem Konjunkturpaket der Regierung gegenüber. Zwar sei die Finanzspritze für die OZG-Umsetzung ein Zeichen politischen Willens und helfe, notwendige Investitionsentscheidungen zu erleichtern, doch sei Geld allein längst kein Garant für den erfolgreichen Abschluss des Megaprojektes OZG. Zumal mit dem vom Bund ausgegebenen Prinzip “Einer für

alle” Probleme eigener Art einhergingen. Statt den Online-Zugang auf nur eine Lösung je Dienstleistung festzuschreiben, müsse Vielfalt und Heterogenität der IT-Landschaft “ertragen”, ja vergaberechtlich gefördert werden. Das sei nicht nur innovationsfreundlicher, da auf diesem Weg auch mittelständische Anbieter und Start-Ups in die Umsetzung miteinbezogen werden könnten, sondern stelle von Anfang an sicher, dass Monopolbildungen und digitale Lock-in-Effekte vermieden würden. Die Kritik zielt nicht zuletzt auf die Konzeption des “FIT-Stores”, eine durch die Föderale IT-Kooperation (FITKO) bereitzustellende Beschaffungs-ErleichterungsPlattform, die dazu beitragen soll, dass einmal entwickelte Lösungen “inhouse” – also ohne erneute Ausschreibung – an interessierte Verwaltungen weitergegeben werden können. In seinem Ansatz “goldrichtig”, befürchtet der NKR, dass das Modell in seiner jetzigen Gestalt geschlossene Strukturen fördere, die es zu vermeiden gelte. Nicht nur ökonomisch, sondern auch mit Blick auf die technische Realisierung vielversprechender als “Einer für alle” ist nach Auffassung des Kontrollgremiums der Ansatz “Einige für viele”. Voraussetzung sei ein staatlich koordiniertes Standardisierungsregime, das die Übertragbarkeit von Lösungen durch Modularisierung und die Verwendung offener Schnittstellen garantieren müsse. Synergieeffekte könnten zudem dort entstehen, wo digitale Entwicklungsgemeinschaften gefördert und Dienste durch kooperative Nutzung von Open-Source-Software für Dritte bereitgestellt würden. Große Versäumnisse macht der Monitor Digitale Verwaltung

schließlich bei der Gesetzgebung aus, die derzeit nur in sehr wenigen Fällen ein digitaltaugliches Design aufweise: “Bisher scheint die Bereitschaft, allen voran der federführenden Ressorts, auf dieser Grundlage gesetzgeberisch tätig zu werden, nur sehr begrenzt vorhanden zu sein”, heißt es im Papier.

IT-taugliche Gesetze nach dem Vorbild Dänemarks Ein positives Gegenbeispiel gebe aktuell der Freistaat Bayern ab, wo durch die Vereinfachung des KFZ-Onlineverfahrens die Nutzung des Digitalservices zwischenzeitlich um das Neunzehnfache angestiegen sei. Was von der Politik nun erkannt werden müsse, sei, dass Praktikabilität und IT-Tauglichkeit nicht nur der rechtlichen Rahmung des OZGs zugutekomme, sondern einer digitalaffinen Gesetzgebung überhaupt. Im Sinne einer “digital ready legislation” plädiert der Nationale Normenkontrollrat daher für die rasche Einführung eines Digital-TÜVs nach dem Vorbild des Nachbarn Dänemark. Am Ende bleibt das Fazit also zwiegespalten. Trotz einzelner Fortschritte fehlt nach Einschätzung des NKRs für den digitalen Take-off der öffentlichen Verwaltung noch immer eine ganzheitliche Vision, die über die Regelung des Online-Zugangs und damit das Jahr 2022 hi­ nausreicht. Denn eines sei sicher: “Die OZG-Umsetzung ist der Anfang – keinesfalls schon das Ende des Weges.” Ein Umdenken ist umso dringlicher, als sich mit der digitalen Anbindung der Fachverfahren schon jetzt weitere Herausforderungen abzeichnen, die den Komplexitätsgrad der Digitalisierung nochmals deutlich erhöhen werden.

Portal für E-Rechnung (BS/wim) Ab dem 27. November 2020 sind alle Lieferanten des Bundes rechtlich verpflichtet, die Rechnungsstellung im Rahmen öffentlicher Aufträge in elektronischer Form vorzunehmen. Das Prinzip, besser bekannt als “ERechnung”, wird also in gut zwei Monaten rechtsverbindlich sein. Jüngst ist nun ein Online-Portal an den Start gegangen, um alle Fragen zum Thema zu klären. Unter www.e-rechnung-bund.de sollen alle Informationen zur ERechnung im Allgemeinen, aber auch zu Formen und Fristen, den Rechnungseingangsplattformen des Bundes und sonstigen Gegebenheiten gebündelt werden. Zusätzlich gibt es viele Inhalte, die die Unternehmen bei der Umstellung auf die elektronische Rechnung unterstützen können. Die Seite wird kontinuierlich um neue Inhalte und Formate erweitert, so die Bundesverwaltung.

BaWü veröffentlicht Breitbandbericht (BS/wim) Das Innenministerium Baden-Württemberg hat einen neuen Breitbandbericht vorgestellt. Dessen Fazit: positiv. Der Bericht notiert Fortschritte beim Ausbau der digitalen Infrastruktur, die durch die Förderung des Landes ermöglicht wurden. So seien seit 2016 mehr als 729 Millionen Euro für über 2.260 Projekte bewilligt worden. Bis 2021 soll die Rekordfördersumme von über einer Milliarde Euro in den Glasfaserausbau fließen, so das Innenministerium. Darüber hinaus sollen zusätzliche Bundesfördermittel in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für Kommunen bereitgestellt werden. Durch den geförderten sowie den privatwirtschaftlichen Ausbau habe sich die Versorgung der Haushalte mit Anschlüssen von mindestens 50 Mbit/s seit Ende 2015 um 20,4 auf nun 91,8 Prozentpunkte verbessert, sodass das Land bei der Verfügbarkeit inzwischen einen Platz in der bundesweiten Spitzengruppe einnehme.


Informationstechnologie

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och ein bloßes Verwalten des Status quo ist zu wenig. Mit der Digitalisierung werden die Karten neu gemischt. Neue Geschäftsmodelle entstehen über Nacht, ebenso schnell verlieren andere ihre Bedeutung. Die Bayerische Staatsregierung ergreift deshalb die Initiative und unterstützt gezielt die Wirtschaft, um Bayern als Digitalstandort nach ganz vorne zu bringen. Mit der Hightech Agenda (HTA) hat Bayern eine bundesweit einzigartige Technologieoffensive gestartet. Zwei Mrd. Euro, 1.000 neue Professoren und 13.000 neue Studienplätze helfen, damit der Freistaat seine Spitzenstellung in der Forschung ausbaut. Als Anschub für den Neustart nach Corona und ein kraftvolles Signal des Aufbruchs und der Zuversicht wird ein zusätzlicher Impuls gesetzt: Mit der HTA plus im Umfang von rund 900 Mio. Euro in den Jahren 2021 und 2022 wird der Freistaat geplante Maßnahmen vorziehen und neue zusätzliche Projekte starten – ein eigenes bayerisches Konjunkturpaket, das stark auf digitale Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz (KI) setzt.

Die Karten werden neu gemischt Die Zukunft des Digitalstandorts Bayern (BS/Judith Gerlach) Trotz vieler Schwierigkeiten hat Bayern die Corona-Krise bisher gut gemeistert – auch wirtschaftlich. Bayern profitiert hier maßgeblich von seinen erfolgreichen kleinen wie auch großen Unternehmen. Viele davon sind führend in ihren Branchen. Dazu kommen Forschungseinrichtungen auf höchstem Niveau, seien es unsere Hochschulen oder Institutionen wie die Fraunhofer- oder Max-Planck-Gesellschaften. Sie sorgen für Innovation. auszeichnen, eine immer wichtigere Rolle. Aber nur mit den klügsten und am besten ausgebildeten Köpfen können wir auf diesem Feld ganz vorne mitmischen. Der Freistaat schafft deshalb mit der HTA unter anderem 100 neue KI-Professuren in ganz Bayern sowie ein “KI-Mission-Institut” in München als Zentrale der Künstlichen Intelligenz. Es wird ein KI-Netzwerk mit Knotenpunkten und Endpunkten überall im Land eingerichtet, die verschiedene KIAnwendungsfelder bearbeiten,

KI spielt in vielen Bereichen, die den Wirtschaftsstandort Bayern

“Zusammen sind wir stärker: Digitale Projekte sind der Motor der Digitalisierung!”, heißt es in der nächsten These. Die ressort- und ebenenübergreifende Zusammenarbeit sei der Schlüssel für die Entfaltung der immensen Potenziale, die in der Verwaltung schlummern. Netzwerkarbeit sei zwingend ein Teil der Verwaltungsarbeit. “Wir müssen weg vom organisierten Silodenken und stärker in die moderne Projektarbeit, die Nutzen und Kundenerfahrung in den Mittelpunkt stellt”, fordern Egyedy und Gaul. Für Digitalprojekte müssten die besten Expertinnen und Experten ressort- und ebenenübergreifend zusammenarbeiten können. Hierbei müsse behördenübergreifendes CoWorking in “crossfunktionalen Teams” ein zentrales Element darstellen. Dann wenden sich die Verfasser dem Thema “User Experience und Kundenerlebnis” zu. Die digitale Verwaltung müsse ein optimales Kundenerlebnis für interne und externe Nutzer bieten. Dafür seien neben nutzerorientierten Produkten und behördenübergreifenden Schnittstellen auch Selbstverständlichkeiten wie die konsequente Umsetzung des Once-Only-Prinzips, einheitliche Identifikatoren oder eine durchgängig digitale Interaktion umzusetzen. Daraus leiten sie die Forderung ab: “Die digitale Interaktion mit dem Staat muss so einfach und

Schlüsseltechnologie ­Blockchain

“Block – Chain – Trust”. Zudem wird noch dieses Jahr das “Bavarian Center for BlockChain [bc]²” eingerichtet. Eine der ersten Anwendungen ist die Umsetzung einer Blockchain-Lösung zur Verifikation von Zeugnissen. Deren Echtheit lässt sich über eine Art digitales Gütesiegel mit wenigen Klicks überprüfen.

Verwaltung wird zum digitalen Treiber Aber auch unsere Verwaltung selbst wird Treiber des Digital­ standorts Bayern. Die Verwaltung soll nicht nur bürger-, sondern auch unternehmerfreundlicher werden. Für Unternehmen ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Bearbeitung ihrer Anträge zeitnah erfolgt. Als erster Schritt muss der Zugriff auf Verwaltungsleistungen für unsere Unternehmen einfach und schnell möglich sein. Bis Jahresende 2020 werden wir deshalb erstmals ein Unter-

nehmenskonto aufsetzen, das bundesweit einheitlich eingesetzt werden kann. Darüber können die im Portalverbund verfügbaren Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern genutzt werden. Ich freue mich besonders, dass die Authentifizierung für das Unternehmenskonto auf Basis der in Bayern entwickelten ELSTERTechnologie umgesetzt wird. Diese hat sich in der Steuer bewährt, gewährleistet neben ihrer nutzerfreundlichen Anwendung einen hohen Sicherheitsstandard und setzt das “Once-Only-Prinzip” konsequent um.

Vollständig digitale ­Verwaltung bis 2025 Doch mit dem einfachen Zugriff auf die Verwaltungsleistungen ist es nicht getan. Deshalb setzen wir auf eine vollständig digitale Verwaltung bis 2025. Nur wenn auch die internen Prozesse der Verwaltung digital ablaufen, schaffen wir Synergien

Diskurs ins Rollen bringen

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Arbeit in crossfunktionalen Teams

u. a. die autonome Mobilität, Medizintechnik, Data Science und Robotik. Der Freistaat Bayern wird damit zu einem international führenden Standort im Bereich der KI.

Die Blockchain-Technologie zählt ebenso zu den Schlüsseltechnologien. Hohe Ausfallsicherheit, automatisierte Prozesse und der Schutz vor Manipulation machen die Blockchain zu einem Game Changer in der Digitalisierung. Bayern will Blockchain weiterentwickeln und bestehende Potenziale für Wirtschaft, GeJudith Gerlach, MdL, ist seit November 2018 Bayerische sellschaft und Staatsministerin für Digitales. Verwaltung nut zen. Dazu haben Foto: BS/StMD wir als erstes Bundesland eine Blockchain-Strategie beschlossen:

100 neue KI-Professuren

unächst wenden sich die Verfasser dabei dem Themenfeld “Digitale Strategie” zu. “Föderale Digitalisierungsstrategie: Digitalisieren – konsistent und konsequent!”, lautet die Forderung. Der digitale Wandel erfordere Einsatz und sorgfältige Planung. Er gehe nicht “nebenbei”, sondern müsse als gemeinsame und dauerhafte Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen – nicht nur technologisch – verstanden und betrieben werden. Aufgabe der Politik dabei sei es, den Rahmen für die Implementierung der Digitalstrategie in der öffentlichen Verwaltung zu setzen. Die geltenden Gesetze müssten dies unterstützen und den Abruf digitaler Lösungen für alle Verwaltungen erlauben. “Es braucht eine gemeinsame, kooperative Digitalisierungsstrategie und einen föderalen “App-Store””, so die NExT-Autoren.

Behörden Spiegel / Oktober 2020

NExT-Netzwerk veröffentlicht Thesen zur Digitalisierung (BS/Guido Gehrt) Der NExT e. V., das Experten-Netzwerk für die digitale Transformation der Verwaltung, vernetzt Beschäftigte aus Bund, Ländern und Kommunen sowie aus deren nachgeordneten Behörden, Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts über Hierarchien, Ressorts und föderale Grenzen hinweg, um den Wandel von klassischen Organisationen, Strukturen und Abläufen hinein in eine digitale Kultur zu gestalten. Als digitale Vorreiter sollen die NExT-Werkstätten und -Communities einen Innovations- und Erprobungsraum bieten, um die digitale Transformation der Verwaltung maßgeblich mitzugestalten. Um diesen Austausch weiter zu intensivieren und inhaltlich zu befeuern, haben die Vorstände des Netzwerks, Dr. Sven Egyedy und Dr. Hans-Günter Gaul, in einem Papier verschiedene Thesen zur Digitalisierung der Verwaltung zur Diskussion gestellt. komfortabel sein wie die Nutzung der Dienste und Plattformen der Tech-Konzerne.”

Risiken eingehen – bewusst und kalkuliert Das zweite Themenfeld der NExT-Thesen befasst sich mit dem Komplex der “Neuen Technologien”. Hier gelte zunächst der Grundsatz “Probieren geht über Studieren”. Neue Technologien und neue Ideen bärgen nicht selten Risiken. Digitalisieren bedeute auch, Risiken bewusst und kalkuliert einzugehen. Hierfür benötige es Wissen, um die bestehenden Spielräume zu erkennen, Mut, diese zu nutzen und Möglichkeiten, um neue Technologien und Ideen in ressortübergreifenden Teams auszuprobieren. “Daher braucht es praxisnahe Digitalisierungslabore und eine Klarstellung der gesetzlichen Spielräume. Eine Experimentierklausel, die die bestehenden Restriktionen für die Startphase teilweise und mit zeitlicher Begrenzung aufhebt, ist erforderlich”, heißt es in dem Papier. Selbst schauen, was möglich sei und mit Prototypen das Verständnis für neue Geschäftsabläufe in der digitalen Welt erfahrbar machen. In einer Verstetigungsphase würden die Laborergebnisse dann regelungskonform ausgebaut und mit Entwicklungspartnern auf Augenhöhe umgesetzt.

Ein dezentrales ­Innovationscluster Des Weiteren brauche es “Digitale Musketiere: Dezentrale Macher für zentrale Nutzung”. “Einer für alle, alle für einen” müsse sich lohnen. Ein dezentrales Innovationscluster, das IT-Dienstleister und öffentliche Institutionen mit Innovationspotential bündele und operative Zusammenarbeit und Nachnutzung nicht nur erlaube, sondern fördere, sei notwendig: Eine auf den Föderalismus angepasste Blaupause wie die des britischen Government Digital Service, die Innovationsideen im Verwal-

tungswettbewerb mit den erforderlichen Ressourcen ausstatte und schlagkräftig umsetzen könne. Daraus leitet man die Forderung ab: “Wir brauchen ein monatliches InnovationsBootcamp und Teilnahme in Spezialisten-Netzwerken.”

Horizontale und vertikale Vernetzung Im Themenfeld “Organisation und Arbeitsweise” nimmt man sodann die “horizontale und vertikale Vernetzung” in den Blick. Bürger und Unternehmen sollten föderale, strukturelle oder hie­ rarchische Grenzen nicht mehr als Hürden wahrnehmen. Eine moderne Verwaltung müsse in der Außenwirkung als verlässliche Partnerin im Ganzen wahrgenommen werden. “Die Behörden müssen sich daher als gemeinsame Organisation ver-

stehen und die kooperative und ebenenübergreifende Zusammenarbeit innen wie außen stärken, indem sie Personal und Ressourcen dafür bereitstellen”, fordern die NeXT-Vorstände. Hierbei sei die nach wie vor stark differenzierte Ressortzuständigkeit im Bereich der Digitalisierung eine große Herausforderung. “Begeisternd führen” lautet ein weiterer Claim des Papiers. Führung sei eine anspruchsvolle Aufgabe und nicht jeder Vorgesetzte sei auch Führungskraft. “In einer vernetzten Verwaltung sind Führungskräfte Möglichmacherinnen statt Alleinentscheider” so die Autoren. In einer neuen Verwaltungskultur brauche es eine veränderte Arbeits- und Führungskultur, in der Führungskräfte als digitale Generalisten die technologischen Entwicklungen und veränderten

Anforderungen verstünden und so ihre crossfunktionalen Teams unterstützen könnten.

Digitalakademie von Bund, Ländern und Kommunen Auch der Umgang mit Wissen spielt für das Netzwerk eine zentrale Rolle: “Wer wissend ist, der macht!” Wissen entfalte erst dann Nutzen für die Verwaltung und die Gesellschaft, wenn es geteilt werde. Die Relevanz einer Information lasse sich an der Anzahl der Adressaten und nicht nur an der Höhe einer VS-Einstufung ablesen. So fordert man: “Wir müssen weg vom verteilten Wissen und hin zum Arbeiten mit geteiltem Wissen, sodass wir Erfolgsgeschichten, aber auch Sackgassen transparent kommunizieren und Teilhabe ermöglichen.” Schließlich nimmt das Papier

und schöpfen die Potenziale der Digitalisierung vollständig aus. Um das Ziel zu erreichen, ist der enge Schulterschluss mit den Kommunen unabdingbar. Sie sind das Gesicht zum Bürger. Wir unterstützen sie auf dem Weg zum digitalen Rathaus, indem Kommunen die Entwicklungskosten nicht gänzlich allein tragen müssen. In Bayern gibt es hierzu das Förderprogramm “Digitales Rathaus”. Besonders wichtig finde ich es, innovative Ideen zu fördern, die zum Schluss vielen Gemeinden, Städten und Landkreisen helfen können. Von der smarten Mülltonne über intelligente Laternen bis zur App für organisierte Fahrgemeinschaften ist alles denkbar. Wichtig ist der smarte Kern, das heißt ein sparsamer Umgang mit unseren wertvollsten Ressourcen: Rohstoffen, Platz und Zeit. In Bayern haben wir dazu den Wettbewerb “Kommunal? Digital!” gestartet. Die zehn besten Ideen fördern wir mit insgesamt fünf Millionen Euro. Es gibt also viele Möglichkeiten, wie der Staat den Digitalstandort weiter prägen kann und wird. Von den sich daraus ergebenden Entwicklungen und Chancen profitieren wir alle. Digitalisierung ist Zukunft und diese werden wir aktiv gestalten.

auch noch das Themenfeld “Digitale Fähigkeiten” in den Blick. Lernen mache beweglich und müsse ein elementarer Bestandteil der digitalen Verwaltung werden und ebenenübergreifend stattfinden. Auch neue Arten der Führung und Zusammenarbeit müssten erlernt und erprobt werden. Open Data müsse Standard sein und erfordere auch Datenkompetenz (Data Literacy). Der Einsatz neuer Technologien bedürfe einer digitalen Anpassungsfähigkeit auf allen Verwaltungsebenen. “Hierzu schlagen wir – über die aktuellen Initiativen hinausgehend – die Gründung einer gemeinsamen Digitalakademie von Bund, Ländern und Kommunen vor”, so die Vorstände des NExT-Netzwerkes. Der NExT Vorstand und die NExT-Werkstattleiter freuen sich über eine Kommentierung der eingebrachten Thesen per E-Mail an info@next-netz.de.

Der Behörden Spiegel ist Medienpartner des Netzwerks.

Software-Roboter Mehr Effizienz im öffentlichen Sektor (BS/Walter Obermeier*) Knapp zwei Stunden benötigen deutsche Bürgerinnen und Bürger durchschnittlich für einen Behördengang. Wichtige behördliche Erledigungen sind für den Großteil der deutschen Bevölkerung also mit einem enormen Zeitaufwand verbunden. Eine Vielzahl der Verwaltungsdienstleistungen könnte jedoch digital und somit schnell und unkompliziert erledigt werden. Laut einer Bitkom-Studie erhoffen sich knapp 70 Prozent der Deutschen, durch Online-Anträge Zeit und Geld zu sparen. Dennoch sind derzeit digitale Behördengänge in Deutschland noch nicht in allen Bereichen – beziehungsweise kaum – möglich. Wie viele andere Länder verfolgt auch die deutsche Bundesregierung aktiv den Ausbau digitaler Verwaltungsangebote. Die Studie eGovernment MONITOR 2019 zeigt allerdings, dass die Nutzung von E-Government-Angeboten in Deutschland noch relativ verhalten ist: Nur etwa 48 Prozent der deutschen Internetnutzerinnen und -nutzer griffen vergangenes Jahr mindestens einmal auf EGovernment-Angebote zurück. Besonders Nutzungsbarrieren, wie ein mangelndes Angebot oder die Unübersichtlichkeit der EGovernment-Dienste, stehen einer vermehrten Nutzung noch im Weg. Eine vielversprechende Möglichkeit für die Digitalisierung von behördlichen Prozessen ist Ro-

botic Process Automation (RPA). RPA ist eine Technologie, mittels der Software-Roboter konfiguriert werden können, um routinemäßige Aufgaben schnell, genau und konsistent zu erledigen. Basierend auf strukturierten Daten automatisiert RPA somit Workflows und Prozesse.

Digitalisierung in deutschen Behörden Für den Öffentlichen Dienst bedeutet das: Modernisierung von Verwaltungsstrukturen und die Verbesserung von Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger sowie die Mitarbeiter. Doch damit die Einführung einer solchen Technologie in der deutschen Verwaltung von Erfolg sein kann, müssen auch andere wichtige

Probleme, wie Umsetzungszeitdruck, Fachkräftemangel oder ein knappes Budget, erfolgreich gelöst werden.

Möglichkeiten von RPA im öffentlichen Sektor RPA kann vor allem durch automatisierte Prozesse und digitalisierte Arbeitsabläufe aktuelle Probleme beheben, auch und insbesondere in Ausnahmezeiten. Durch den immer höheren Andrang von Anfragen sehen sich öffentliche Ämter immer häufiger nicht imstande, zeitnah allen Bürgerinnen und Bürgern einen adäquaten Service zu bieten. Mithilfe von Prozessautomation können Anfragen jedoch schneller und gezielter verarbeitet werden, was Wartezeiten deutlich ver-

kürzt und so die Nutzererfahrung verbessert. Die Vorzüge von RPA im öffentlichen Sektor zeigen sich sowohl in Bezug auf die Arbeitsprozesse als auch auf die Systeme. Diese sind oftmals veraltet und nicht benutzerfreundlich. RPA verbindet Legacy-Systeme ohne invasive Implementierung oder komplette Erneuerung der Infrastruktur und fördert so die Prozessoptimierung. Zudem werden durch den Einsatz von RPA Voraussetzungen für zukünftige digitale Transformationen durch beispielsweise Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) geschaffen. *Walter Obermeier arbeitet als Managing Director Central Europe für das Unternehmen UiPath.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Oktober 2020

Geld allein reicht nicht

B

ehörden Spiegel: Sehr geehrter Herr Popp, seit August 2018 sind Sie der Beauftragte für Informationstechnologie des Freistaates Sachsen. Im darauffolgenden Jahr wurden Sie als Staatssekretär für Digitale Verwaltung und Verwaltungsmodernisierung zum Mitglied der Sächsischen Staatsregierung ernannt. Was sind Ihre Meilensteine?

Popp: Eine große Errungenschaft für die digitale Verwaltung war die Tatsache, dass wir das EGovernment-Gesetz verabschiedet haben. Dadurch haben wir seit 2014 Rechtssicherheit für die Digitalisierung der Verwaltung im Freistaat. Um den Weiterentwicklungsbedarf zu identifizieren, wurde das Gesetz während der letzten Legislaturperiode evaluiert. In meiner Amtszeit wurden mit der Novellierung wichtige neue Regelungen u. a. zum Einsatz der E-Rechnung und von Servicekonten geschaffen. Mit der fortschreitenden Digitalisierung wird auch die Informationssicherheit immer wichtiger. Um hier für die digitale Zukunft gut vorbereitet zu sein, ist es uns als eines von wenigen Bundesländern zum Ende der letzten Legislaturperiode gelungen, ein IT-Sicherheitsgesetz im Landtag zu verabschieden. Durch das Gesetz werden die bisherigen Vorschriften zur Informations­ sicherheit zusammengefasst und erheblich erweitert, u. a. was die Befugnisse des Beauftragten für Informationssicherheit des Landes und die Aufgaben des zentralen Sicherheitsnotfallteams (SAX.CERT) betrifft. Das ist die Basis, auf der ich mich nun auf politischer Ebene weiter dafür

Staatssekretär Thomas Popp über digitale Errungenschaften und Lehren der Corona-Krise (BS) Weniger als zwei Jahre bleiben Bund, Ländern und Kommunen, um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Form des Onlinezugangsgesetzes (OZG) umzusetzen. Im Zuge der Corona-Krise machte die Bundesregierung jüngst weitere drei Milliarden Euro für Zwecke der Digitalisierung locker. Die zusätzliche Finanzspritze könne helfen, doch reiche Geld allein nicht, meint Thomas Popp, Staatssekretär für Digitale Verwaltung und Verwaltungsmodernisierung, Mitglied der sächsischen Staatsregierung und Chief Information Officer (CIO) des Freistaates. Im Gespräch mit Behörden Spiegel-Chefredakteur Uwe Proll erläutert er, wie weit die Digitalisierung in Sachsen bisher gediehen ist und was es zu einer erfolgreichen Umsetzung des OZGs tatsächlich noch braucht. der zugehörigen Leistungen sind Justiz(-verwaltungs-)leistungen und werden nicht durch das OZG abgedeckt. So konnte erst nach einem zeitintensiven Abstimmungsprozess mit den verantwortlichen Ministerien beim Bund und den Ländern geklärt werden, welche Leistungen tatsächlich in das OZG-Themenfeld gehören. Inzwischen läuft die Konzeptionsphase auf Hochtouren und ich bin zuversichtlich, dass wir bis Ende 2020 erste Verwaltungsleistungen wie etwa die Hilfe für Gewaltopfer digital bereitstellen können. Behörden Spiegel: Durch das Konjunkturpaket der Bundesregierung stehen für die OZGUmsetzung zusätzliche Milliarden bereit. Was versprechen Sie sich von der Finanzspritze für das Projekt digitale Verwaltung? Popp: Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Megaprojekt wie die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung ganzheitlich begriffen werden muss. Das OZG hat hier den notwendigen Schwung reingebracht. Sicher wird mehr Geld helfen, Prozesse zu beschleunigen und personelle Kapazitäten aufzustocken. Es ist

“Ich bin fest davon überzeugt, dass ein ­ Megaprojekt wie die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung ganzheitlich begriffen werden muss.” einsetze, dass diese Zukunftsthemen wahrgenommen und mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden. Behörden Spiegel: Von den 14 Themenfeldern, die im Rahmen der OZG-Umsetzung durch die Länder bearbeitet werden sollen, hat sich der Freistaat Sachsen für Recht und Ordnung entschieden. Warum ausgerechnet dieser Bereich? Popp: Wir haben eingeschätzt, dass wir hier einen sinnvollen Beitrag zur arbeitsteiligen Umsetzung des OZGs leisten können. Dieses Themenfeld hält übrigens eine Komplexität bereit, die anfangs nicht absehbar war. Ein Großteil

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olch digitale Lebensäußerungen in privaten, geschäftlichen oder gesellschaftlichen Bereichen sind erst seit Kurzem durch leistungsfähige Technologien möglich, die sich in immer kürzeren Zyklen verbessern, gleichzeitig stets kostengünstiger werden – und dadurch digitale Kulturen mit steigender Konsequenz und rasanteren Geschwindigkeiten in unseren Gemeinschaften lebbar und erlebbar machen. Damit geht ein Bruch zwischen analogen und digitalen Kulturen einher. Die zwischenmenschliche Interaktion erfolgt zusehends durch technische Kommunikationsmittel und weniger durch körperliche Medien. Dies setzt neue ökonomische, soziale sowie politische Potenziale frei und zerrüttet überkommene Strukturen, die sich als Teil der analogen Kulturen lange bewährt hatten. Dadurch werden bisherige Erwartungen der Menschen enttäuscht, neue Erwartungen bilden sich und die Gesellschaft wird in ihrer Gesamtheit dauerhaft und grundlegend verändert. Für die verantwortlichen Akteure in Wirtschaft, Verwaltung und Politik erfordert dieser Kulturwandel ein gänzlich neues Verständnis

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gut, dass die Beschlüsse durch die Koalition im Bund und den IT-Planungsrat so gefasst wurden. Mindestens ebenso wichtig ist aber ein fundamentales Umdenken innerhalb der Verwaltung selbst, was Digitalisierung für jeden Einzelnen und das große Ganze bedeutet. Es reicht nicht aus, neue Ansätze bloß lokal durchzubringen. Vielmehr muss der gesamte Verwaltungsprozess auf Digitalisierung umgestellt und alle Beteiligten müssen bei dieser massiven Veränderung mitgenommen werden. Behörden Spiegel: Bleiben wir beim Thema Ganzheitlichkeit der Digitalisierung. In einem föderalen Staat wie der Bundesrepublik

nach Corona bleibt aber, mobiles Arbeiten grundsätzlich für alle Bediensteten zu ermöglichen. Behörden Spiegel: Thema Homeoffice. Was überwiegt: Reiz oder Risiko?

Thomas Popp ist Amtschef der Sächsischen Staatskanzlei und Beauftragter für Informationstechnologie des Freistaates Sachsen (CIO). Foto: BS/Thomas Popp, ©Matthias Rietschel

Deutschland ist die Durchsetzung ebenenübergreifender Vorhaben kein leichtes Unterfangen. Wie ist es um die Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen aus sächsischer Sicht bestellt? Popp: Wir bewältigen solch ein komplexes Vorhaben wie die OZGUmsetzung nur erfolgreich, wenn wir gemeinsam daran arbeiten. Die sächsische kommunale Familie schätzt dies ebenso ein. Insbesondere kleine und mittlere Gemeinden verfügen nicht über die erforderlichen Ressourcen, um Verwaltungsleistungen selbstständig und in jeglicher Tiefe online anbieten zu können. Hier helfen wir als Freistaat. Zum einen über ein Förderprogramm, das die Sächsische Staatsregierung zur Vertiefung kooperativer Anstrengungen aufgelegt hat. Zum anderen über einen intensiven Dialog, in dem wir uns regelmäßig darüber beraten, wie wir unsere digitalen PS auf die Straße bringen können. Aber auch auf der Ebene von Bund und Ländern wollen wir unser Know-how in der Digitalisierung teilen und sind deshalb in unterschiedlichen Arbeitsgruppen aktiv. Wissensmanagement und Erfahrungsaustausch sind wichtige Eckpfeiler bei der OZG-Umsetzung. Die offene Diskussionskultur auf allen Ebe-

nen stimmt mich zuversichtlich, dass wir gemeinsam auf einem guten Weg sind. Behörden Spiegel: Die CoronaPandemie gilt als “Brandbeschleuniger” der Digitalisierung. Unter welchen Voraussetzungen ist man im Freistaat Sachsen in die Krise gegangen? War die Verwaltung ausreichend gewappnet oder gab es disruptive Entwicklungen? Popp: Aufgrund guter Vorbereitungen konnten wir in der Sächsischen Staatsverwaltung schnell und umfassend reagieren, sodass Regierung und Verwaltung jederzeit arbeitsfähig waren. In der Staatskanzlei beispielsweise haben wir bereits im Jahr 2019 damit begonnen, unsere IT-Ausstattung umzustellen, sodass fast alle Bediensteten während der Hochphase der Einschränkungen von einem eigenen Laptop aus mobil arbeiteten. Obwohl insbesondere die Ministerialverwaltung auf kurze Kommunikationswege und damit auf Präsenz angewiesen ist, konnten wir rund zwei Drittel der Bediensteten der Staatskanzlei zum eigenen Schutz ins Homeoffice schicken. Für das restliche Drittel gelang es uns, den Gesundheitsschutz im Präsenzbetrieb zu garantieren. Unser Ziel für die Zeit

Popp: Die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, dass Arbeit in Zukunft ohne Digitalisierung kaum möglich sein wird. Gleichzeitig braucht es auch Arbeit in Präsenz. Der direkte und intensive persönliche Austausch ist nicht nur eine zwingende Voraussetzung für die Verwaltungsarbeit, sondern vielmehr auch ein menschliches Bedürfnis. Aus meiner Sicht wird es nun darum gehen, die positiven Effekte der Krise zu bewahren und weiterzuentwickeln. Homeoffice – da, wo es möglich ist – als gleichwertige Option zur Präsenzarbeit anzubieten, bleibt ein wichtiges Ziel. Damit können wir uns als attraktiver Arbeitgeber präsentieren, den Bediensteten eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bieten und sicher auch die Motivation und Effektivität der Verwaltungsarbeit steigern, gerade dann, wenn lange Arbeitswege wegfallen. Behörden Spiegel: Sollen sich Modelle wie Homeoffice verstetigen, sind die öffentlichen Arbeitgeber gefragt. Wie könnte ein Tele-Arbeitsplatz der Zukunft aussehen? Popp: Grundsätzlich sehe ich den Freistaat Sachsen in der Pflicht, die notwendigen Bedingungen für flächendeckendes Homeoffice zu schaffen. Das bedeutet, Bedienstete mit einer zeitgemäßen IT-Ausstattung zu versehen, mit der sie ihre Arbeit sicher und wie im Präsenzbetrieb auch von zu Hause aus verrichten können. Im Gegenzug erwarten wir, dass gewisse Mindestvoraussetzungen im Homeoffice erfüllt werden, welche die Vertraulichkeit und Sicherheit der dienstlichen Daten gewährleisten. Nicht zuletzt muss es für die Homeoffice-Option einen verlässlichen Vertragsrahmen geben, der Rechte und Pflichten des Dienstherrn und der Be-

Digitalisierung als digitale Kultur Verantwortliche Akteure brauchen ein neues Verständnis der sie umgebenden Welt (BS/Thomas Bönig/Prof. Dr. Maximilian Wanderwitz) “Kultur ist die Gesamtheit der Lebensäußerungen einer Gemeinschaft”, lautet eine gängige Definition des Kulturbegriffes. Gleichzeitig ist es fast schon eine Plattitüde, festzustellen, dass die Digitalisierung inzwischen alle Lebensbereiche der Menschen durchdringt. Wir können also mit Fug und Recht behaupten, dass unsere technisierten Gemeinschaften neue digitale Kultur sind – gleichermaßen umfassend wie unser allgemeines Verständnis von Kultur an sich. der sie umgebenden Welt, um neue Herausforderungen erkennen und darauf aufbauend zielorientierte Lösungen entwickeln zu können. Dabei werden sie ausgetretene analoge Pfade verlassen und neue digitale Wege beschreiten müssen, auch wenn künftige Entwicklungen der digitalen Welt schwerlich vorauszusagen sind. Es liegt im Wesen digitaler Kulturen, sich zusehends zu vernetzen – ökonomisch und sozial. Diese Kulturen befruchten sich stärker gegenseitig und sind zugleich stärker voneinander abhängig. Folglich werden Wirtschaftskrisen ebenso globalisiert wie gesellschaftliche Ideen, deren Zeit gekommen ist.

Thomas Bönig leitet seit März 2018 als Referent und berufsmäßiger Stadtrat das IT-Referat der Landeshauptstadt München. In seiner Position fungiert zugleich als Chief Digital Officer (CDO) der Landeshauptstadt München. Foto: BS/Dombrowski

Trotz der zunehmenden Komplexität dieser Verflechtungen müssen künftige Entscheider die weltweiten Wirkungen ihres digitalen Handelns abschätzen können – eine immense Aufgabe. Analoge Institutionen und Abläufe können in digitalen Kulturen keinen Bestand haben. Mehr noch: Es wird nicht darum gehen, sie lediglich digital abzubilden, weil jede analoge Lösung

Ganz und gar nicht verborgen werden jedoch die Prof. Dr. Maximilian Wanderwitz hat seit September 2020 Lebensäußeruneinen Lehrstuhl für das Recht gen eines jeden der Informationstechnologie einzelnen sein. an der Hochschule Trier. ZuAlles kann erfasst, vor war er im Direktorium quantifiziert, quader Rechtsabteilung in der lifiziert und ausLandeshauptstadt München gewertet werden. tätig. Die Unmengen an Foto: BS/Dombrowski Daten erfordern intelligente und nur ein notwendiges Kind ihrer leistungsfähige Technologien, Zeit ist. Vielmehr schlägt nun um sie auswerten und damit die Stunde völlig neuer digitaler menschlichen Entscheidungen Einrichtungen und Prozesse. Die zugrunde legen zu können. Die Menschen freilich werden das Ge- verantwortlichen Akteure in Wirtfühl haben, dass vieles einfacher schaft, Verwaltung und Politik wird, weniger komplex – denn können dadurch wesentlich efdigitale Institutionen und Abläufe fizienter auf Herausforderungen verrichten ihr Werk unsichtbar reagieren. Doch für den einzelnen und im Hintergrund. Sie sind, Menschen bedeutet dies maximawenn man so will, die verborgene le Transparenz – anderen gegenordnende Macht. über, aber auch gegenüber sich

diensteten klar regelt. In vielen Behörden gibt es dies bereits in Form von Dienstvereinbarungen mit den Personalvertretungen. Behörden Spiegel: Unsicherheiten bestehen beim Datenschutz, zumal die Nutzung nichteuropäischer Videokonferenzsysteme rechtlich umstritten ist. Wie haben Sie das Problem gelöst? Popp: Dadurch, dass die Krise unvermittelt eingesetzt hat, mussten wir schnell reagieren. Nach einer ersten Bestandsaufnahme wurden die Kapazitäten für Videokonferenztechnik hochgefahren. Um die Kommunikation zwischen den Behörden, aber auch mit dem Bund und anderen Ländern aufrechtzuerhalten, haben wir mit WebEx gearbeitet. Unser landeseigener IT-Dienstleister hat uns dabei unterstützt, sowohl beim Ausbau der Kapazitäten als auch beim Betrieb der erforderlichen In­frastrukturkomponenten. Natürlich stellten wir rasch fest, dass mit einer flächendeckenden – teilweise parallelen – massenhaften Nutzung schnell die technischen Grenzen erreicht waren. Die bisherigen Systeme waren für ein solches Einsatzszenario nicht ausgelegt. Hier müssen in Zukunft alle verantwortlichen Akteure dafür sorgen, dass die Infrastruktur so erweitert wird, dass Verbindungen stabil und sicher funktionieren. Dann ist eine Videokonferenz eine echte Alternative für manchen Sitzungstermin, der vor der Pandemie gewohnheitsgemäß analog abgehalten wurde. Insofern ist durch die Pandemie eine neue Arbeitskultur in der Verwaltung eingezogen, für die Digitalisierung und technische Hilfsmittel selbstverständlich und Teil des Arbeitsalltags sind. Behörden Spiegel: Und was werden Sie persönlich aus der Krise mitnehmen? Popp: Dass das Leben immer wieder Überraschungen bereithält. Dabei bleiben Werte wie Verlässlichkeit, Beständigkeit, aber auch feste Strukturen und Abläufe in der Verwaltung immens wichtig. Jedoch müssen wir ebenso bereit sein, auf etwas Unvorhergesehenes spontan und manchmal improvisiert zu reagieren und aus diesen Erkenntnissen zu lernen. Die eigentliche Aufgabe besteht darin, Probleme zu erkennen, an sie heranzugehen und sie frohen Mutes zu lösen. Insoweit hoffe ich, dass wir alle gestärkt aus dieser ersten herausfordernden Phase der Pandemie herausgehen und besser vorbereitet auf das zugehen, was noch vor uns liegt.

selbst; in einer digitalen Kultur wird es schwer werden, sich etwas vorzumachen. Zugleich wird sich der Mensch zusehends in rein digitalen In­ frastrukturen bewegen. In seiner Wahrnehmung wird die digitale Welt schlicht “Welt” sein, mit eigenen Regeln, Mechanismen, Geboten und Verboten – und sie wird das ethische und moralische Empfinden der Menschen nachhaltig beeinflussen und verändern. Gleichwohl ist diese digitale Welt ein Produkt unterschiedlicher Interessen, allen voran der großen Technologiekonzerne, die schon längst ihre virtuellen Ölfelder erschlossen haben. Damit geht die Gefahr einher, dass es in den Händen von wenigen liegt, zu bestimmen, was in digitalen Kulturen als richtig und falsch geglaubt wird. Jede Kultur ist einzigartig – diese Einsicht gilt ebenso für künftige digitale Kulturen, deren Wesen wir aktuell nur erahnen können. Doch bei all dem vielbeschworenen digitalen Wandel wird eines gleich bleiben: die conditio humana, also das, was den Menschen in seinem Innersten ausmacht.


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Nordl@nderDIGITAL 3. Dezember 2020, Kiel Zukunftskongress Bayern 25. Februar 2021, München > www.nordlaender-digital.de

März 2021

Digitaler Staat 23.–24. März 2021, Berlin > www.digitaler-staat.org

Febr. 2021

Zukunftskongress Bayern > www.zukunftskongress.bayern

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Ansprechpartner Informationen zu Beteiligungsmöglichkeiten erteilt: Benjamin Bauer Mitglied der Geschäftsleitung Tel.: 0228/970 97-0 E-Mail: benjamin.bauer@behoerdenspiegel.de

Nov. 2020

Illustration: denisismagilov, stock.adobe.com

Nov. 2020

e-nrw: Zukünftige IT-Strategien in NRW 5. November 2020, Neuss


Digitale Bildung

Behörden Spiegel / Oktober 2020

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Kommt endlich Schwung in die Sache?

ass die zuständigen Behörden und Bildungseinrichtungen nach der ersten Schließungswelle ganz besonderen Bedarf haben, sich für einen möglichen zweiten Lockdown mit Digitalunterricht, aber auch für eine allgemeine Zukunft auch ohne globale Krise besser aufzustellen, zeigt allein der Vergleich der fest gebundenen und verplanten Finanzmittel aus dem DigitalPakt seit Beginn der Pandemie. Während zum Stichtag 31.12.2019, also kurz vor Beginn des Corona-Zeitalters, lediglich rund 14,5 Millionen Euro aus dem Förderprogramm fest genehmigt waren, ist diese Summe zum 30. Juni 2020 auf gut 242 Millionen Euro in die Höhe geschossen – der Zuwachs liegt hier bei fast dem 17-fachen Wert der Vorkrisenbindung. Und auch der konkrete Abfluss der Mittel hat sich von rund sieben Millionen bis Ende 2019 auf nun knapp 16 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Die Investitionen, die Schulen und Trägerinstitutionen nun zunehmend tätigen, sind also tendenziell eher nicht “trotz Krise stark angestiegen”, wie es das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) formuliert, sondern vielmehr gerade wegen der Krise, die ja, wie das BMBF es beschreibt, “dringende Handlungsbedarfe in Schulen offengelegt” hat. Um aber nicht nur Mittel in Planungsphasen fest zu vergeben, sondern auch die wirklich greifbare Ausstattung von Schulen und Lehrern voranzutreiben, hat im Bundeskanzleramt ein weiterer Gipfel zur digitalen Bildung stattgefunden, bei dem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und der Chef des Bundeskanzleramts Prof. Helge Braun sowie die SPD-Vorsitzende Saskia Esken mit den Kultusministerinnen und -ministern der Bundesländer getroffen haben, um über konkrete Maßnahmen zu sprechen, wie man die Bildung in der Krise stärken und zukunftssicher aufstellen kann.

Dabei betonte man erneut, wie wichtig der gesellschaftliche “Stellenwert des Lernens und Lebens in der Schule” sei und bekannte sich dazu, dass Bund und Länder “gemeinsam entschlossen” seien, “eine erneute flächendeckende Schließung der Schulen nach Möglichkeit zu verhindern”. Ein Wunsch, der einerseits selbstverständlich klingt, für den es aber zwingend eine gute Zusammenarbeit braucht, die die Bundesregierung den Ländern verspricht. Denn obwohl die Zuständigkeit für das Bildungssystem nach föderalem Recht bei den Ländern liege, “bekennt sich die Bundesregierung zu ihrer Verantwor-

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Es braucht konkrete Rahmenbedingungen

n den zurückliegenden Monaten hat digital unterstütztes Lernen deutlich an Bedeutung gewonnen. Während jedoch einige Schulen bereits erfolgreich digitale Medien in den Unterrichtsalltag integrieren konnten, sind andere noch ganz am Anfang der digitalen Entwicklung. Nun gilt es, aus diesen Erfahrungen der vergangenen Monate zu lernen und notwendige Transformationsschritte umgehend einzuleiten, damit Unterricht zukünftig auch ohne durchgehende Präsenz stattfinden kann. Schulen müssen in der Lage sein, den Unterricht für Kinder aller Altersstufen digital zu realisieren – das gilt für den Präsenzunterricht gleichermaßen wie für das Lernen zu Hause. Die ICILS 2018 (International Computer and Information Literacy Study 2018) offenbart, dass hier großer Handlungsbedarf besteht: Nur 23 Prozent von Deutschlands Achtklässlerinnen und Achtklässlern setzten 2018 digitale Medien mindestens einmal pro Woche für schulbezogene Zwecke ein, täglich nutzten sie gerade einmal vier Prozent. Ein Sechstel (17 Prozent) verwendete digitale Medien nach eigener Angabe nie für schulbezogene Zwecke. Zahlen, die sich im letzten halben Jahr sicherlich geändert haben, die aber dennoch zu denken geben. Der Ruf nach Digitalisierung der Schulen und digital unterstütztem Unterricht ist richtig und wichtig. Gleichzeitig ist das Unverständnis, warum noch immer große Lücken und Schwierigkeiten vorhanden sind, zum Teil sehr groß. Fakt ist: Digitalisierung ist, auch in der Bildung,

Bei der Digitalisierung der Bildung sind alle Ebenen gefragt (BS/Wim Orth) Es ist keine Neuigkeit mehr, dass der Stand der Dinge bei digitaler Bildung in Deutschland ernüchternd ist. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass viele Schulen, Universitäten und sonstige Bildungseinrichtungen nicht annähernd so ausgestattet sind, sei es nun materiell oder mit der entsprechenden Kompetenz, um in kurzer Zeit vom Präsenz- auf den Remote-Betrieb umzustellen. Damit der vor zwei Jahren verabschiedete Digitalpakt Schule nun endlich den gewünschten Schwung in die Sache bringt, hat die Regierung auf ihrem neuerlichen Bildungsgipfel im Kanzleramt weitere Maßnahmen beschlossen.

Bislang hat es noch ordentlich gehapert bei der Umsetzung des DigitalPaktes Schule. Mit den neuen Hilfestellungen für Lehrkörper, Schulen und Bildungsträger sowie besserer Kooperation zwischen Bund und Ländern soll bei der Umsetzung der Bildungsoffensive nun alles besser werden. Foto: BS/steveriot1, pixabay.com

tung, die Länder nicht nur bei der grundsätzlichen Aufgabe der Digitalisierung der Schulen zu unterstützen, sondern darüber hinaus auch Maßnahmen zu ergreifen bzw. sich an Maßnahmen zu beteiligen, die Schulen, Kindern und Lehrkräften zügig neue und zukunftweisende Formen des digitalen Lernens ermöglichen sollen”.

Kommt endlich Zug in die Sache? Große Worte also, die zeigen sollen: Nun wird alles anders – und vor allem besser. Doch wie viel sich in den Schulen der Republik bis zum nächsten Ernstfall wirklich ändern

wird, muss sich noch zeigen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek ist bereits vorab voll des Lobes für die neuen Abmachungen. Um die Schulen zu entlasten, werde man vonseiten des BMBF nun “rechtssicher festlegen, dass die Mittel aus dem Digitalpakt bis Ende 2021 fließen können, ohne dass die Schulen zuvor ein pädagogisches Konzept vorgelegt haben müssen. Mit dieser Flexibilisierung reagieren wir auch auf die besonderen Herausforderungen, vor denen Schulen und Schulträger während der Schulschließungen standen”. Die Schulen kommen also einfacher an Gelder, sodass viele Investitionen schneller

und unkomplizierter möglich werden sollen. Neben dieser Erleichterung im bürokratischen Prozess habe man außerdem vereinbart, alle Schulen zügig an das Glasfaser-Netz anzuschließen, Kompetenzzentren für die Entwicklung von Konzepten für digitalen und digital gestützten Unterricht aufzubauen sowie eine Bildungsplattform durch den Bund zu schaffen, die die bereits bestehenden Systeme integriert. Zudem sollen sämtliche Lehrkräfte in Deutschland sowie bei Bedarf auch die Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden, so Karliczek: “Ich bin sehr froh, dass wir nun zügig die Voraussetzungen schaffen können, damit die Lehrerinnen und Lehrer mit Endgeräten ausgestattet werden können. Der Bund wird die 500 Millionen erst einmal vorstrecken. Deshalb können wir jetzt direkt in die Verhandlungen mit den Ländern einsteigen. Zur Erinnerung: Zunächst war der Plan, dass die Mittel aus dem Europäischen Wiederaufbaufonds fließen, was erst im nächsten Jahr möglich ist.” Der Wille ist also da, aus den Problemen der Krise zu lernen und die Schulen schneller auf ein neues digitales Niveau zu heben.

Opposition ist nicht überzeugt Doch reichen die nun angekündigten Maßnahmen für einen Turnaround bei der Bildungspolitik? Die Opposition ist sich zumindest in der klaren Antwort einig: Nein. So werden die Ausstattung der Lehrkräfte als das “einzige konkrete Ergebnis

Digitale Bildung hängt nicht allein an der Technik (BS/Tim Brauckmüller) Der vom Bundesfamilienministerium veröffentlichte, aktuelle Bericht “Bildung in Deutschland 2020“ widmet einen seiner Schwerpunkte dem Themenkomplex “Bildung in der digitalisierten Welt”. Die Notwendigkeit einer digitalen Transformation unserer Schulen ist durch die Auswirkungen der Pandemie noch sichtbarer und dringender geworden. Nicht erst seit den Schulschließungen im Frühjahr dürfte jedem klar sein: Der Schulunterricht in Deutschland muss digitalisiert werden, denn gute Bildung für unsere Kinder muss auch in schwierigen Zeiten gewährleistet sein. tung von Schulen mit digitaler Technik zu fördern. Der Bund stellt hierfür durch ein Sondervermögen bis 2024 insgesamt fünf Milliarden Euro bereit. Die Schulträger bzw. die Bundesländer leisten darüber hinaus einen Eigenanteil von mindestens 10 Prozent der Investitionssumme, sodass bis 2024 mindestens 5,6 Milliarden Euro in die Digitalisierung von Schulen fließen sollen. Zusätzlich hat der Koalitionsausschuss beschlossen, 500 Millionen Euro für Schülerinnen und Schüler bereitzustellen, die zu Hause auf kein mobiles Endgerät zugreifen können. Das scheint dringend notwendig, denn bei einer Anfang 2020 durchgeführten Schulleitungsbefragung gaben mehr als zwei Drittel (71 Prozent) der Grundschulleitungen an, dass in ihrer Schule keine Klassensätze an mobilen Endgeräten vorhanden seien (Verband Bildung und Erziehung, 2020). Als erste Maßnahme sollen mit den zusätzlichen Mitteln laut

Digitalisierungsexperte Tim Brauckmüller ist geschäftsführender Gesellschafter der atene KOM GmbH in Berlin. Das Unternehmen begleitet den öffentlichen Sektor bei der Projektentwicklung in den Bereichen Digitalisierung, Energie, Mobilität, Gesundheit und Bildung. Für Tim Brauckmüller ist es ein besonderes Anliegen, digitale Bildung zu fördern und den Akteuren in der Bildungspolitik entsprechende Handlungsempfehlungen zu geben. Foto: BS/atene KOM

ein vielschichtiges Thema, eine Aufgabe, die mit einer Lösung in einem Teilbereich Fragen in anderen Bereichen aufwirft. Im Kern sind es vier große Komplexe, die ineinandergreifen: die Infrastruktur (in Form von Breitbandanschlüssen, Endgeräten, Plattformen etc. in Schulen, für Lehrende und für Lernende), neue didaktische Konzepte, die Lehreraus- und -weiterbildung und die Sicherheit für alle Beteiligten. Über allem steht die akute und auch dauerhafte Finanzierung der notwendigen Infrastrukturen und Maßnahmen. Bereits vor der Pandemie wurde im Rahmen des DigitalPakts Schule beschlossen, die Ausstat-

Kultusministerkonferenz jedoch für die 800.000 Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland noch in diesem Jahr Dienstlaptops angeschafft werden. Denn dass die meisten Lehrerinnen und Lehrer im Jahr 2020 ihre Unterrichtsgestaltung über private Endgeräte und weitgehend ohne technischen Support realisieren müssen, ist schlicht untragbar. Insgesamt muss der IT-Betrieb einer Schule genauso ernst genommen werden, wie der einer Behörde oder eines Unternehmens. Nicht nur die technische Installation, sondern auch der effiziente Betrieb muss sichergestellt werden. Stabile Netzwerke und IT-Support müssen deshalb ganz oben auf der To-do-Liste der Akteure, allen voran der Schulträger, stehen. Der Erfolg digital unterstützter Lernprozesse hängt außerdem maßgeblich von einem didaktisch sinnvollen Einsatz digitaler Technologien ab. Das Konzept des “Blended Learnings”, des Nutzens verschiedener Methoden und Medien, und die Herausforderung, darauf abgestimmte didaktische Konzepte zu entwickeln, gibt es bereits seit einigen Jahren. Genauso wie Unternehmen müssen sich auch Schul- und Lernkonzepte in

gewissen Abständen erneuern, muss sich das System Schule den neuen Rahmenbedingungen, Herausforderungen und Bedarfen anpassen. Die Aufgabe besteht jetzt darin, eine Form der Organisation zu finden, die einen effizienten und modularen Schulbetrieb in der Schule wie zu Hause technisch und didaktisch sinnvoll gewährleisten kann. Um die digitale Transformation der Schulen umfassend zu erreichen, müssen zudem sowohl die Curricula der Hochschulen um digitale Inhalte ergänzt werden als auch die Lehrerfortbildung verstärkt auf digitale Technologien, Medien und didaktische Möglichkeiten eingehen. Rein privates Interesse und Engagement und ein einzig auf „Learning by Doing“ fokussierter Änderungsprozess sind hier nicht zukunftsfähig. Auch eine Multiplikatorenausbildung kann dabei helfen, Schulen und Lehrenden das notwendige Maß an Sicherheit und Unterstützung zu geben. Nicht zu vernachlässigen ist die Sicherheit. Kinder und Jugendliche müssen im Umgang mit digitalen Medien natürlich vor Cyber-Kriminalität oder Datenmissbrauch geschützt werden.

des Schulgipfels” und “diese Finanzspritze” im Jahr 2020 für etwas, das “in der von Angela Merkel im Jahr 2008 ausgerufenen “Bildungsrepublik” selbstverständlich sein sollte”, durch den bildungspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Thomas Sattelberger, harsch kritisiert: “Es macht fassungslos, dass Deutschland für solche Entscheidungen einen Gipfel im Kanzleramt braucht. Den Gipfelteilnehmern fehlt nicht nur jedes Gespür für die nötige Geschwindigkeit in einer Krise, sondern auch der Wille, ein weiteres verlorenes Schuljahr zu verhindern. Corona legt schonungslos offen, wie träge und rückständig das deutsche Bildungssystem ist, erst recht im internationalen Vergleich. Statt mit Kosmetik zu kleckern, müssten Bund und Länder jetzt klotzen”, so der FDP-Mann. Und auch für Margit Stumpp, die Sprecherin für Bildungspolitik der GrünenFraktion im Bundestag, sind die Ergebnisse aus dem Kanzleramt “mehr als enttäuschend”. So habe der Föderalismus im Bildungswesen dringenden Reformbedarf, denn die beschlossenen “Absichtserklärungen, gepaart mit fehlendem Bewusstsein für die Dringlichkeit, werden bereits in Kürze schmerzhafte Konsequenzen haben”. Statt solcher Erklärungen brauche es stattdessen ein beherztes Anpacken und Handeln der verantwortlichen Häuser und Personen, denn die Probleme rund um Breitbandausbau und fehlende Endgeräte seien schon lange bekannt. Ob nun zu spät, zu langsam oder nicht entschlossen genug: Dass die Opposition mit dem Ergebnis nicht vollends zufrieden sein würde, war abzusehen. Ob die hehren Ziele nun besser und nachhaltiger erreicht werden als bislang, wird sich zeigen. Und an diesen Ergebnissen wird sich die Regierung messen lassen müssen. Zeit für ein erstes Fazit ist Anfang 2021, denn dann soll der nächste Austausch zwischen den Beteiligten stattfinden.

Die technischen Lösungen hierzu müssen wohl überlegt sein und auf die Erfordernisse der jeweiligen Altersstufen angepasst werden können. Es gilt abzuwägen, welchen Inhalt ein Schüler in welcher Altersstufe kennen soll und an welchen Stellen es gefährlich wird. Das IT-Konzept muss hier flexibel reagieren können. Auch im Übergang der Schulformen wird es zu Herausforderungen kommen, damit durch den Einsatz von Plattformen, geeigneten Serverstrukturen und durchlässiger, aber dennoch sicherer IT-Konzepte z. B. der für die Schülerinnen und Schüler ohnehin herausfordernde Übergang von der Primar- auf die Sekundarstufe ohne technische Barrieren möglich wird. Letztendlich liegt es in der Verantwortung der Lehrerinnen und Lehrer und vor allem auch der Eltern, die Kinder in digitalen Umgebungen nicht allein zu lassen. Es braucht Aufklärung im Unterricht, es sollte Gegenstand von E-Learning-Inhalten und auch des Rahmenlehrplans sein. Die Rolle des Schulträgers muss es sein, dies zu unterstützen und die technischen Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen. Und darum geht es bei der digitalen Transformation generell: Wir müssen jetzt Rahmenbedingungen schaffen, damit der Umgang mit digitalen Medien in schulischem Kontext, sei es im Präsenzunterricht oder für das Lernen zu Hause, selbstverständlich, zukunftsorientiert, einfach und sicher wird und im besten Fall den Bedürfnissen aller Beteiligten – Lehrenden, Lernendernund Eltern – gerecht wird.


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icht ohne Grund spricht man von einer digitalen Revolution, die unsere Gesellschaft verändert – mit allen Chancen, aber auch mit den gesellschaftlichen Herausforderungen, die Revolutionen mit sich bringen. Eine dieser Herausforderungen ist die Geschwindigkeit der Entwicklungen. Smartphone, Internet, Blended Learning – Als ich vor rund 35 Jahren das erste Mal als Lehrer vor einer Klasse stand, waren noch nicht einmal Worte erfunden für das, was unseren beruflichen und privaten Alltag inzwischen zunehmend bestimmt. Heute hat nahezu jeder und jede Jugendliche in Deutschland über smarte Geräte Zugriff auf die unendlichen Weiten des Internets, das belegt etwa die JIM-Studie 2019, die den Medienzugang der 12- bis 19-Jährigen in Deutschland untersucht. Weil es unser Anspruch sein muss, junge Menschen bestmöglich auf ein erfolgreiches und selbstbestimmtes Berufs- und Privatleben vorzubereiten, haben Medienkompetenz und digitale Bildung eine hervorgehobene Bedeutung im schulischen Kontext. Neben den Kulturkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen müssen wir digitale Bildung als Zukunftskompetenz verstehen und vermitteln. In RheinlandPfalz haben wir das bereits früh verstanden. So gehörten wir im Jahr 2007 mit unserem Landesprogramm “Medienkompetenz macht Schule” bundesweit zu den Pionieren und sind mit den breit aufgestellten und ständig gewachsenen Angeboten in vielen Bereichen schulischer Medienkompetenzvermittlung Vorbild unter den Ländern.

“Medienkompetenz macht Schule” Inzwischen nehmen nahezu alle weiterführenden Schulen in Rheinland-Pfalz und bereits rund zwei Drittel der Grundschulen

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Zukunftskompetenz vermitteln Digitale Bildung in Rheinland-Pfalz (BS/Hans Beckmann) Digitale Bildung entscheidet zunehmend über berufliche Chancen und gesellschaftliche Teilhabe. Mehr noch: Digitale Bildung entscheidet mit, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickelt. Fragen des Datenschutzes oder der Medienkompetenz im Angesicht von Fake News sind Fragen an jeden und jede von uns. Die Digitalisierung ist Wind in den Segeln des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts, aber wir müssen am Steuer bleiben und den Kurs bestimmen. Zukunft wird nicht unter Deck gemacht! Face-Interaktion, Miteinander. Das Verständnis von Eltern, Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Politik hinsichtlich Foto: BS/Ministerium für Bildung, Thorsten Doerk der Bedeutung unserer Schulen als soziale Räume wurde durch die SchulschließunSchwerpunkt bei der digitalen gen nochmals bekräftigt. Gut so! Bildung gesetzt: Damit wird in weitere mobile Endgeräte inves- Zusätzliche Mittel für digitale Bildung tiert, in dienstliche Mailadressen für alle Lehrkräfte und einen Nach den Sommerferien sind alle Messenger-Dienst, der daten- und Länder zum Regelbetrieb im Prädamit rechtssichere Kommunika- senzunterricht zurückgekehrt. tion erlaubt. Das bedeutet aber nicht, dass jetzt wieder alles so wie vorher Corona legte digitale Defizite ist: Wir müssen weiter die Hyoffen gieneregeln beachten, müssen Aber Corona mit den daraus re- lernen, mit dem Virus zu leben sultierenden Schulschließungen und den Schwung, den die Krihat ohne Frage – bei uns wie in se in die Weiterentwicklung der allen Ländern – auch digitale Defi- digitalen Bildung gebracht hat, zite deutlich gemacht. Defizite aus mitnehmen. Alle Länder haben einer Situation geboren, mit der das verstanden. Und der Bund niemand gerechnet hat, niemand hat mit seinen Ergänzungen zum rechnen konnte. Nicht einmal die DigitalPakt Schule ebenfalls die kühnsten Digitalpropheten haben Bedeutung des digitalen Lernens vor Corona Szenarien gezeichnet, und Lehrens für den Standort in denen von einem auf den ande- Deutschland hervorgehoben und ren Tag alle Schulen geschlossen unterstützt die Länder bei dieser sind und der komplette Unterricht gesamtgesellschaftlichen Aufgabe nach Hause verlagert wird. War- in erheblichem Umfang. Neben um auch? Digitale Bildung sollte dem ursprünglichen DigitalPakt und darf nie bedeuten, dass Schu- Schule stehen inzwischen zulen überflüssig werden. Schule ist sätzliche Mittel für mobile Endviel mehr als die reine Vermittlung geräte – Tablets und Laptops – von Wissen. Schulen sind Orte für Schülerinnen und Schüler der menschlichen Begegnung. bereit. Nach dem Gespräch im Wir brauchen diese Orte, wir Bundeskanzleramt, an dem unter brauchen Menschen, Face-to- anderem KMK-Präsidentin Dr. Hans Beckmann ist bereits seit März 2012 Staatssekretär im Ministerium für Bildung der Landesregierung Rheinland-Pfalz.

In Rheinland-Pfalz und der restlichen Republik gilt seit Ende der Sommerferien wieder Präsenzunterricht. Von einer Rückkehr in die Vor-Corona-Zeit kann aber noch lange nicht die Rede sein. Foto: BS/Alexandra_Koch/pixabay.com

an “Medienkompetenz macht Schule” teil, erhalten Unterstützung für digitale Ausstattung, bekommen Beratung und eröffnen ihren Lehrkräften zusätzliche Fortbildungsmöglichkeiten. Wir sind dementsprechend sehr weit bei der digitalen Rahmensetzung an unseren Schulen, wovon wir auch im Zuge der Corona-Pandemie profitieren konnten. Die bestehende Struktur, etwa beim Ausbau von Lernplattformen oder pädagogischen Unterstützungsund Beratungsangeboten, konnte in den ersten Wochen nach den Schulschließungen einige Härten abfedern. Nach den Schulschließungen haben wir dann schnell reagiert, Serverkapazitäten ausgebaut und Bandbreiten verbessert, damit Lernplattformen auch unter Volllast stabil laufen. Unser

Pädagogisches Landesinstitut in Rheinland-Pfalz hat außerdem innerhalb weniger Tage einen Leitfaden für den Fernunterricht entwickelt und diesen ständig erweitert. Außerdem haben wir allen Schulen die kostenfreie Nutzung eines Videokonferenz-Systems ermöglicht und überführen dieses Angebot demnächst in eine Landeslösung. Neben zahlreichen Bildungs-Kooperationen, wie etwa mit “Corona School”, bei der engagierte Studierende OnlineNachhilfe für Schülerinnen und Schülern anbieten, ist auch die länderübergreifende Plattform MUNDO ganz frisch online und bietet über 30.000 Lehr- und Lern-Medien. Im Nachtragshaushalt des Landes haben wir neben einem deutlichen Aufwuchs für mehr Personal den zweiten

Stefanie Hubig teilgenommen hat, hat der Bund zudem zugesagt, dass alle Lehrkräfte mit dienstlichen Endgeräten ausgestattet werden. Auch für Administration, Anwendungsbetreuung und Wartung sind zusätzliche Gelder des Bundes versprochen, die den Schulträgern vor Ort zugutekommen. Jetzt müssen die Gelder zügig dort ankommen, wo sie gebraucht werden: an den Schulen. Die KMK-Präsidentin hat sich deshalb bei der Bundesbildungsministerin dafür eingesetzt, dass die Anträge einfacher gestellt und die Mittel aus dem DigitalPakt Schule damit schneller fließen können.

Mehr als nur Technik Einen Fehler dürfen wir als Gesellschaft jedoch nicht begehen und das Gelingen digitaler Bildung mit möglichst viel technischer Ausstattung vor Ort gleichsetzen. Und diese Gefahr sehe ich durchaus, wenn ich die politische und öffentliche Debatte der letzten Monate zu diesem Thema überblicke. Ja, digitale Bildung braucht digitale Ausstattung. Aber digitale Bildung braucht auch digital gebildete Lehrkräfte, sie braucht Strategien, die langfristig ausgerichtet sind. Und nach wie vor muss der Leitsatz gelten: “Das pädagogisch Sinnvolle vor dem technisch Machbaren”.

Digitale Verwaltung RLP Staatssekretär Hans Beckmann wird auch auf dem diesjährigen Kongress “Digitale Verwaltung RLP”, den der Behörden Spiegel am 24. November in Mainz veranstaltet, zum Thema digitale Bildung im Hauptprogramm sprechen und in einem Fachforum diskutieren. Weitere Informationen zu dieser Veranstaltung unter www.dv-rlp.de


Digitale Bildung

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Cottbus wird zur Gigabitcity

Bildungs-Cloud rechtlich sicher nutzen

Neue Maßstäbe für das deutsche Bildungssystem

Saarland setzt auf Dienstvereinbarung

(BS/Jan Gloßmann*) Ende September wurde beim feierlichen Spatenstich für “Cottbus als Gigabitstadt” der (BS/stb) Seit März 2020 bietet das Saarland seine Bildungscloud Online-Schule Saarland (OSS) an. Neben Vertrag zwischen der Stadt Cottbus/Chósebuz und dem ausbauenden Unternehmen und Netzbetreiber, der einer Lernplattform für Videokonferenzen und der Bereitstellung von Dokumenten und Medien bietet die DNS:NET, unterzeichnet. Plattform auch erstmals offizielle E-Mail-Adressen für alle Lehrkräfte. Mit einer nun unterzeichneten Dienstvereinbarung sollen diese nun mehr rechtliche Sicherheit bei der Nutzung des Systems bekommen. Im Vergabeverfahren der zweitgrößten Stadt Brandenburgs wurde das Ziel definiert, die unterversorgten Bereiche der Stadt, die bislang zum großen Teil mit 30 Mbit/s und darunter versorgt waren, zukunftssicher per Glasfaser zu erschließen. Im Auswahlverfahren fiel die Entscheidung auf die DNS:NET, die als Spezialist für die Erschließung unterversorgter Regionen gilt und als Netzbetreiber mit ihrer Expertise und der eigenen Glasfasernetzinfrastruktur in Brandenburg überzeugte. Das Gigabitprojekt wird mit neun Millionen Euro durch das Land Brandenburg und den Bund gefördert. In den beiden Ausschreibungslosen können im ersten Schritt 350 Haushalte und 40 Schulen und Bildungseinrichtungen direkt per FFTH (Glasfaser bis ins Haus) mit Gigabitgeschwindigkeit angeschlossen werden. Die ersten Tiefbauarbeiten über 36 Kilometer starteten im September.

Digitaler Innovationsmotor in Brandenburg “Dieser Schritt Richtung Digitalisierung ist genau der richtige auf unserem Weg zur Smart City” freut sich der Oberbürgermeister von Cottbus/Chóśebuz, Holger Kelch. “Wir läuten mit der Vertragsunterzeichnung und Zusammenarbeit mit der DNS:NET das Gigabitzeitalter ein. Als digitalem Innovationsmotor in Brandenburg liegt der Stadt Cottbus besonders am Herzen, dass wir in sehr kurzer Zeit über 40 Schulen und Bildungseinrichtungen mit einer Infrastruktur versorgen, mit der Lernen und Forschung bestmöglich unterstützt werden. Hier setzen wir

Gigabitgeschwindigkeit für Cottbus: OB Holger Kelch, Colin Rauer von DNS:NET und Peter Schirrgott von der Stadt Cottbus (v.l.n.r.) beim symbolischen Spatenstich für die Gigabitcity. Foto: BS/www.cottbus.de, DNS:NET

mit einer Bandbreite von einem Gigabit pro Sekunde definitiv Maßstäbe für Deutschlands Bildungssektor.” Peter Schirrgott, Referent für Strukturentwicklung und Digitalisierung ergänzt: “Für unsere ehrgeizigen Pläne bei der Strukturentwicklung spielen für die Neuansiedlung und Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandortes in Cottbus und der Niederlausitz intelligente Technologien und eine zukunftstaugliche Netzinfrastruktur eine maßgebliche Rolle für die digitale Agenda von Cottbus. Die He­ rausforderungen der 4.0-Ära in den Handlungsfeldern Bildung, Energie, Mobilität, Stadtentwicklung, Gesundheit, Verwaltung und Wirtschaft lassen sich nur mit einer Infrastruktur auf Glasfaserbasis lösen.”

“Glasfaser für alle” “Bandbreiten mit Lichtgeschwindigkeit und Netze, die mit bis zu zehn GB/s sowohl Haushalte als auch Wirtschaft, Verwaltung und Bildungseinrichtungen versorgen, sind bundesweit noch

immer Mangelware”, fügt ColinAlexander Rauer, Leitung Sales der DNS:NET hinzu. “Wir sind stolz darauf, dass wir Cottbus auf dem Weg zur Smart City mit unserer Expertise unterstützen können und freuen uns schon, wenn demnächst die ersten 350 Haushalte und 40 Schulen in Cottbus angeschlossen werden können. “Glasfaser für alle” ist aus unserer Sicht ein Schlüssel für Chancengleichheit, Standortsicherung und Innovationsmotor und wir sind gerne dabei, wenn es darum geht, mit dem Glasfaserausbau einen kleinen Beitrag zum Strukturwandel von der Kohleregion hin zum noch attraktiveren Industrie-, Innovationsund Dienstleistungs­standort zu leisten.” Cottbus gehört zu den 13 Kommunen und Stadtverbänden, die das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und die KfW im Rahmen des Wettbewerbs “Modellprojekte Smart Cities” fördern. *Jan Gloßmann ist Pressesprecher der Stadt Cottbus/Chóśebuz.

Notwendig ist die Dienstvereinbarung, weil die Einführung neuer technischer Verfahren nach saarländischem Personalvertretungsrecht mitbestimmungspflichtig ist. Unterschrieben wurde die Vereinbarung von der Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot und den Hauptpersonalräten aller Schulformen. Geregelt ist nun, dass grundsätzlich alle auf der OSS registrierten Lehrkräfte plattformintern per E-Mail zu erreichen sind. Derzeit haben bereits über 7.800 der rund 8.900 Lehrkräfte im Land eine entsprechende E-Mail-Adresse.

Datenschutz und Rechtssicherheit geklärt Diese können sie nun rechtssicher für die Kommunikation mit Schülerinnen und Schülern, Eltern und Kolleginnen und Kollegen nutzen. “Damit geben wir allen Lehrkräften, die die Online-Schule Saarland nutzen, die Sicherheit, die sie brauchen, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – guten, digital gestützten Unterricht für unsere Kinder und Jugendlichen. Wer die Online-Schule Saarland nutzt, muss sich über Datenschutz und Rechtssicherheit beim digitalen Unterrichten keine Sorgen mehr machen“, erklärt Bildungsministerin Streichert-Clivot. Noch im Schuljahr 2020/21 soll zudem eine amtliche dienstliche E-Mail-Adresse unabhängig von der Bildungs-Cloud eingeführt werden. Die OSS ist am 20. März online gegangen, mitten in der Hochphase der Corona-Pandemie in Deutschland. Betreiber sind das Bildungsministerium und das

Digitalisierung an den Ufern der Saar. Immer mehr Schulen im Saarland schließen sich der Landes-Bildungscloud OSS an. Zudem werden Schüler mit Endgeräten ausgestattet. Foto: BS/west468, www.pixabay.com

Landesinstitut für Pädagogik und Medien. Über die Plattform können Lehrkräfte und Schüler miteinander kommunizieren und Materialien austauschen. Herzstück ist das Lernmanagementsystem. Dieses stellt virtuelle Lernräume zur Verfügung, in denen Teilnehmer im Klassenoder Kursverbund ihre Arbeit koordinieren, sich austauschen und direkt Rückmeldung über Fortschritte geben können. Dazu gehört auch ein Videokonferenzsystem. Nach Angaben des saarländischen Bildungsministeriums nutzen inzwischen rund 300 Einrichtungen die OSS. Registriert sind 62.000 Nutzerinnen und Nutzer, darunter etwa 53.000 Schüler. Zudem statten die Kommunen Schüler mit digitalen Endgeräten aus, die sonst darauf keinen Zugriff hätten. Von insgesamt 24.000 benötigten Geräten, sind laut Ministerium etwa 12.000 bestellt worden. Über das Landesinstitut für Pädagogik und Medien könnten

Schulen zudem Geräte aus einer Notfallreserve des Landes, die 1.000 Stück umfasst, ausleihen. Mittelfristig soll eine landesweite “Geräte- und Medienleihe” eingerichtet werden, um alle Schüler und Lehrkräfte auszustatten.

Mittel aus Digitalpakt bewilligt Aus dem “Sofortausstattungsprogramm” des Bundes, einem Zusatz zum DigitalPakt Schule, erhält das Saarland für die Ausstattung mit Endgeräten rund sechs Millionen Euro. Zehn Prozent davon werden als verpflichtender Eigenanteil vom Land übernommen. Zuvor waren im Rahmen des DigitalPakts bis zum 30. Juni 2020 fünf von 63 von saarländischen Kommunen eingereichten Anträgen bewilligt worden, so Angaben der Bundesregierung. Demnach wurden bis zu diesem Stichtag Fördermittel in Höhe von gut 1,9 Millionen Euro bewilligt. Davon entfallen gut 1,7 Millionen auf öffentliche Schulträger.

Das digitale Klassenzimmer

Schulen und IT

Online-Unterrichtsmaterialien von SMART Technologies und MedienLB

Herdt|Campus unterstützt das digitale Lernen

(BS/Edith Laga*) Für interaktiven, zeitgemäßen Unterricht an allen Schulen braucht es neben technischer Ausstattung vor allem die pädagogischen Voraussetzungen und passenden digitalen Content. Zusammen mit der Medien für Lehrpläne und Bildungsstandards GmbH (MedienLB) stellt Smart Technologies deshalb rund 500 interaktive Unterrichtseinheiten und Arbeitsblätter kostenfrei online zur Verfügung.

(BS/Karin Kemmer*) Mit dem Herdt|Campus für Schulen stellt der Herdt-Verlag eine Online-Plattform zur Verfügung, auf der alle digitalen Lehr- und Lernmedien des Verlags hinterlegt sind. Innerhalb der Jahreslizenz “All you can read” erhalten Schulen unbegrenzten Zugriff auf über 850 digitale Bücher und Zusatzmedien zu mehr als 500 IT-Themen.

Die Materialien wurden von Pädagoginnen und Pädagogen erarbeitet und haben sich im Unterricht bewährt. Die Inhalte sind komplett rechtefrei – d. h. Lehrkräfte müssen sich nicht um Bildrechte oder andere juristische Fragestellungen kümmern, wenn sie interaktive digitale Inhalte verwenden und neue Methoden ausprobieren. Die Dateien stehen auf dem SMART Exchange Server (SMEX) zur Verfügung. Zusätzlich gibt es zu allen Materialien der MedienLB auch passende Filme, die auf DVD und online in den meisten Medienzentren erhältlich sind. Für ihren digitalen Content wird die MedienLB regelmäßig ausgezeichnet. Lehrkräfte können die Unterrichtseinheiten kostenfrei herunterladen: https:// exchange.SMARTtech-prod.com .

Lerneinheiten zu oder mit ITThemen sind inzwischen in den meisten Schulfächern ein fester Bestandteil – beispielsweise die Auswertung einer Testreihe in Chemie mit Excel, die Vorbereitung einer Präsentation für den Englisch- oder das Schreiben eines Referats für den Deutschunterricht. Neben dem klassischen IT-Unterricht entstehen so immer öfter unterschiedliche Herausforderungen. Durch Homeschooling gewinnt aktuell das Thema “gemeinsames Lernen an verschiedenen Orten” an Bedeutung. Mit den Lerninhalten zu Microsoft Teams können Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler diese neue Art der Zusammenarbeit optimal trainieren.

Für mehr Motivation und leichteres Lernen SMART Technologies und die MedienLB arbeiten seit 15 Jahren erfolgreich zusammen und wollen mit dieser Initiative die Digitalisierung in Schulen erleichtern. Die Materialien wurden mit der SMART Notebook-Software erstellt, die seit 20 Jahren kontinuierlich in Zusammenarbeit mit Lehrkräften und Bildungsforschern weiterentwickelt wird. Die Inhalte der MedienLB sind lehrplankonform für alle Bundesländer in Deutschland und Österreich. Um die Materialien anwenden zu können,

Foto: BS/SMART Technologies (Germany) GmbH

benötigen Lehrkräfte die SMART Notebook-Software, die sie in einer kostenfreien Basisversion hier herunterladen können: htt ps://support.SMARTtech.com/ downloads/notebook .

Online-Seminare rund um digitalen Unterricht SMART Technologies gibt zusätzlich in ebenfalls kostenfreien Online-Seminaren weitere Hilfestellungen. Am 13.10.2020 und am 12.11.2020 klären bespielsweise die Autorin und Dr. Sarah Henkelmann vom Netzwerk Digitale Bildung über Stolpersteine bei der Beschaffung digitaler Bildungslösungen auf. Denn ein schnelles WLAN und ein paar Tablets garantieren noch keinen guten Unterricht – dafür braucht es auch pas-

sende pädagogische Konzepte und Vorarbeit. Außerdem geben weitere Bildungsexperten Lehrkräften Tipps und Tricks für den Umgang mit digitalen Welten im Unterricht an die Hand. Das ergänzt wunderbar die kostenfreien Unterrichtsmaterialien von der Medien LB. “Nach wie vor herrscht riesiger Informationsbedarf bei Lehrkräften und Schulen nach digitalen Inhalten für Präsenz- und Fernunterricht. Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, gemeinsam Zukunft zu gestalten”, erklärt Christian Schwaiger, Managing Director DACH bei SMART Technologies (Germany) GmbH. *Edith Laga arbeitet bei der SMART Technologies (Germany) GmbH.

Für unbegrenzte Nutzung Um den Anforderungen gerecht zu werden und Schulen bestmöglich zu unterstützen, hat der Herdt-Verlag die OnlinePlattform Herdt|Campus “All you can read” aufgebaut. Auf dieser Plattform werden alle digitalen Lehr- und Lernmaterialien inklusive aller Zusatzmedien (Lernvideos, Beispieldateien, Übungsdateien, Wissenstests) zur Verfügung gestellt. Alle Lehr- und Lernmedien stehen unbegrenzt im Lizenzzeitraum zur Verfügung. Ob als Download, Kopie, Handout, Präsentation, Ausdruck im Ganzen oder in Teilen – die Schule hat hier die volle Flexibilität bei der

Einfacher Zugriff: Sämtliche digitalen Lehr- und Lernmaterialien inklusive aller Zusatzmedien sind über eine Plattform abrufbar. Foto: BS/Herdt-Verlag für Bildungsmedien GmbH

Nutzung. Die Medien dürfen darüber hinaus auch zur eigenen Fortbildung verwendet werden. Damit bleiben Lehrerkräfte immer auf dem neuesten Stand und interessierte Schüler können ihr Wissen entsprechend vertiefen.

Technisch einfach Zugriffsberechtigt ist immer die komplette Schule, das heißt neben den Lehrern dürfen auch die Schüler sowie die Mitarbeiter einer Schule auf die Plattform zugreifen. Aus dem Blickwinkel des Datenschutzes ist dabei alles in trockenen Tüchern, da der Zugriff über einen schuleigenen Link ohne weitere Registrierung funktioniert.

Diese technisch einfache Lösung ermöglicht den Zugriff auch von zuhause aus, was das Vor- und Nachbereiten des Unterrichts erheblich vereinfacht. In über 300 Schulen kommt Herdt|Campus “All you can read” bereits erfolgreich zum Einsatz. Während des Corona-Lockdowns konnte die Lernplattform über 550 Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz beim Homeschooling unterstützen. Schulen sind eingeladen, HHerdt|Campus “All you can read” ab sofort unter herdt.com/campus kostenlos zu testen. *Karin Kemmer arbeitet im HerdtVerlag für Bildungsmedien GmbH.


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Digitale Bildung

Behörden Spiegel / Oktober 2020

Digitale Schule – aber richtig!

native zu Office 365 können OpenSource-Lösungen und gebrauchte Lizenzen sein. Letztere ermöglichen es Behörden, Software bedarfsgerecht zu erwerben und so zu nutzen, wie sie es möchten (BS/Andreas E. Thyen) Die Corona-Pandemie hat wieder einmal deutlich gemacht, dass wir bei der Digitalisierung der Schulen schneller voran- – und nicht, wie es der Hersteller kommen müssen. Bemühungen, eine digitale Bildungsplattform einzuführen, erhalten jetzt einen verstärkten Schub. Doch dabei sollten Kultusmi- vorschreibt. Gebrauchte Lizenzen nisterien genau hinsehen, auf welche Software-Basis sie setzen. Denn sonst entstehen Abhängigkeiten und Datenschutzmängel, die kostspielig sind erheblich günstiger als neue und gefährlich werden können. und bieten häufig einen Funktionsumfang, der für die meisten Anwendungsfälle völlig ausreicht. Wer umgekehrt einen Überhang Andreas E. Thyen ist Präsident des Verwaltungsrates an Lizenzen in der LizenzDirekt AG. seinem Inventar entdeckt oder Fotos: BS/Lizenzdirekt sich lieber für eine Cloud-Lösung entscheidet, kann liche Abhängigkeit im Klaren sein, freiwerdende On-Premises-Lizenin die man sich mit Office 365 zen verkaufen und gewinnt dabegibt. Denn Microsoft bietet die durch Geld für dringend benötigte Software nur noch im Abomodell pädagogische IT-Konzepte. Nach an. Für die Kunden fallen damit Ansicht des BGH gibt es übrigens regelmäßige monatliche Kosten keine Einschränkungen, was den an. Sie mieten die Software, statt Weiterverkauf von Behörden- oder sie zu kaufen. Das mag auf den EDU-Lizenzen anbelangt. Denn ersten Blick attraktiv klingen, dabei handelt es sich lediglich Nicht nur ausgebildete Spürnasen wie unser Hund Rocky Direkt wissen, dass bei immer gleichem Softwareeinsatz führt aber zu einer noch stärkeren um freiwillige Rabattprogramme Bindung an den Hersteller. Wäh- des Herstellers und nicht um abdauerhafte Abhängigkeiten im digitalen Handeln entstehen. Vorsicht vor dauerhafter rend man On-Premises-Lizenzen weichende Lizenzen hinsichtlich Abhängigkeit Auftrag des Bundesministeriums litiker der Regierungs- als auch GH) in einer Entscheidung vom nur einmal bezahlen muss, von der Verkehrsfähigkeit. Sowohl Die Initiative warnt vor einer dau- des Inneren ist die Bundesverwal- der Oppositionsfraktionen den 16. Juli 2020 das transatlantische der Steuer abschreibt und dann beim An- als auch beim Verkauf erhaften Abhängigkeit im digitalen tung bereits in allen Schichten Umgang mit personenbezogenen Datenschutzabkommen “Privacy viele Jahre nutzen kann, besitzt von Gebrauchtsoftware empfiehlt Handeln – zu Recht. Denn wenn des Software-Stacks von wenigen Daten in Microsoft Office 365 als Shield” für ungültig erklärt hat. man gemietete Software nie. Es es sich, mit einem fachkundiNutzer nicht mehr auf die Soft- Anbietern stark abhängig, insbe- bedenklich an. Auch der Landes- Auch die Standardvertragsklau- kommt zu einer Dauerschuld- gen, erfahrenen Händler zusamware eines bestimmten Herstel- sondere von Microsoft. Vor allem beauftragte für Datenschutz Stefan seln, mit denen Microsoft sich verschreibung, einem sogenann- menzuarbeiten. Er beschäftigt lers verzichten können, sind sie hinsichtlich der Informationssi- Brink hegt erhebliche Zweifel, dass zum europäischen Datenschutz ten Obligo. Ob Behörden und zertifizierte Software-Asset-Maihm ausgeliefert, sowohl was die cherheit und des Datenschutzes sei die Software datenschutzkonform bekennt, helfen da nicht wirklich öffentliche Einrichtungen dieses nagement-Experten, kennt die Preisgestaltung als auch andere dies als kritisch zu betrachten und eingesetzt werden kann. Microsoft weiter. Denn sie können in den überhaupt eingehen dürfen, ist komplexen Vertragsstrukturen Vertragskonditionen anbelangt. gefährde die digitale Souveränität steht schon seit Längerem in der USA aufgrund der unverhältnis- fraglich. Für Microsoft aber ist der Hersteller und garantiert, Änderungen in den Lizenzbe- des Staates, so die Analysten. Sie Kritik, weil die Anwendungen im mäßigen Zugriffsbefugnisse der eine solche Bindung natürlich dass der Lizenztransfer sicher stimmungen oder unzureichende empfehlen daher dringend, die Office-365-Paket standardmäßig Sicherheitsbehörden gar nicht erstrebenswert, denn so kann und rechtlich einwandfrei abTelemetrie- und Diagnosedaten eingehalten werden. Sicherheitsmaßnahmen müssen Abhängigkeiten zu reduzieren. der Hersteller Preise und Ver- gewickelt wird. an den Hersteller senden. Dabei tragskonditionen diktieren. Er Kunden dann wohl oder übel ist es nicht möglich, alle Daten- Dauerbindung durch Cloudversucht daher mit allen Mitteln, Souveränität statt Lock-in akzeptieren – ob sie wollen, oder Unzureichender Datenschutz Modell bisherige On-Premises-Kunden in Sollte sich Baden-Württemberg nicht. Laut einer strategischen In der Diskussion um die digita- flüsse individuell abzuschalten. Marktanalyse der Wirtschafts- le Bildungsplattform in Baden- Erschwerend kommt hinzu, dass Neben den Datenschutzbedenken die Cloud zu locken. Gleichzeitig tatsächlich für Office 365 als prüfungsgesellschaft PwC im Württemberg sehen sowohl Po- der Europäische Gerichtshof (Eu- sollte man sich über die wirtschaft- hat Microsoft im Mai seine Lizenz- Teil der digitalen Bildungsplattbestimmungen geändert: Wer von form entscheiden, setzt das völlig On-Premises-Produkten mit Soft- falsche Signale. Denn die Diware Assurance auf das Abomo- gitalisierung der Schulen darf dell umsteigt, darf die freigeworde- nicht auf Kosten der digitalen nen On-Premises-Lizenzen nicht Souveränität gehen. Gerade weiterverkaufen. Damit entgeht Behörden müssen mit gutem Die Hochschulen für den Öffentlichen Dienst auf dem Weg aus der Krise Kunden die wertvolle Chance, Beispiel vorangehen und Wege (BS/Prof. Dr. Jürgen Stember) Die Hochschulen für den Öffentlichen Dienst (HöD) praktizieren aktuell mehr oder minder umfangreiche Öffnungen. brachliegende Ressourcen wieder aus der Abhängigkeit von großen Dennoch sind viele Hochschulen weit von der Vor-Corona-Normalität entfernt und betreiben entweder “präsenzreduzierten Betrieb”, “einge- in Kapital zu verwandeln und IT- US-Software-Herstellern zeigen, statt sie noch weiter auszubauen. schränkten Lehrbetrieb” oder auch “geschützte Präsenzphasen”. Schließungen sind aber auch in Zukunft trotz bundesweit steigender Infektions- Budgets zu entlasten. zahlen kaum mehr ein Thema. Sowohl im Hinblick auf den DaGebrauchtsoftware macht tenschutz, die Entscheidungsfreiunabhängig heit und die Wirtschaftlichkeit ist auch besonders von den StuTrotzdem haben die Hochschulen dierenden: “Während sich die Kultusministerien sollten also gut das unerlässlich. Als seit Jahren vielfach noch das Problem mit Technik zunehmend stabilisierte, überlegen, ob sie die Schulen von im Behördenbereich spezialisierder zukünftigen Umsetzung der Präsenzlehre, da die entsprewurde reziprok eine zunehmende einem großen, amerikanischen ter Gebrauchtsoftware-Händler chenden Hygiene-AbstandsbeOnline-Müdigkeit erkennbar.” Hersteller abhängig machen unterstützt die LizenzDirekt AG dingungen große Räume und Das Primat der Ausbildung ist wollen, oder ob der Weg nicht gerne dabei, bedarfsgerechte Lögute Infrastrukturen voraussetin den Hochschulen für den Öf- vielmehr raus aus dem Vendor- sungen zu finden, die die digitale zen. Allerdings konnten mittlerfentlichen Dienst noch deutlich Lock-in führen sollte. Eine Alter- Unabhängigkeit bewahren. weile fast alle Einrichtungen die abzulesen. So ist in vielen Hochbisherigen Prüfungen wieder in schulen die Fort- und WeiterbilPräsenzform durchführen. dung immer noch bis auf Weiteres komplett abgesagt. Aber mehr Drei mögliche Szenarien und mehr Hochschulen versuchen, entsprechende Aktivitäten Die Lehre wird aktuell nicht mehr Vitako veröffentlicht Papier mit Empfehlungen wieder “anzufahren”. Gleichzeitig komplett über Online-Kurse aufrechterhalten, sondern erfolgt ist aber auch ein sehr gedämpftes (BS/wim) Um die Schulen und schultragenden Kommunen bei Bezunehmend wieder über die Nachfrageverhalten seitens der schaffung, Management und Support von digitalen Endgeräten besser Präsenzlehre. Bei diesem VorBehörden erkennbar. Die größte unterstützen können, hat Vitako ein neues Empfehlungspapier für die im gehen kann man zwei Typen Trotz Virus soll in den Vorlesungssälen der Hochschulen des Öffentlichen Krisenresistenz hat nach wie vor Zuge der Corona-Soforthilfen geförderten mobilen Endgeräte erarbeitet. die Forschung. unterscheiden. Hochschulen Dienstes die Präsenzlehre wieder aufgenommen werden. mit Präsenzdominanz schätzen Foto: BS/AK Snapshot, stock.adobe Die Handreichung mit dem erklärt der Leiter der VitakoNeue Pandemie-Normalität die Erfolge der Online-Lehre als Titel “Kurzfristige Maßnahmen Projektgruppe Bildung, Thomas Überbrückung in der Vergan- • Szenario 1 geht von einer komDie Hochschulen für digitale Bildung – Corona- Coenen. “Kinder sind unsere Zugenheit, wollen aber möglichst für den Öffentli- Soforthilfen zum Einsatz mo- kunft. Deshalb sind der Digitalpletten und raschen Wiederherschnell den normalen Präsenzchen Dienst ha- biler Endgeräte nutzen” der Pakt Schule und die Förderung stellung des normalen Lehrbetrieb wiederherstellen. Hochben bislang einen Bundes-Arbeitsgemeinschaft der im Rahmen der Corona-SofortProf. Dr. Jürgen Stember ist und Hochschulbetriebs aus. schulen mit Digitaldominanz Präsident der Rektorenkonsehr erfolgreichen kommunalen IT-Dienstleister, hilfen wichtige Maßnahmen, um Elemente der digitalen Lehre ferenz der Hochschulen für versuchen hingegen, in der naWeg vom kom- kurz Vitako, soll die Bildungs- Schul-Digitalisierung voranzuwerden zwar aufgenommen, den Öffentlichen Dienst. hen Zukunft eine ausgewogene pletten Lockdown einrichtungen vor allem dabei treiben”, so der Experte. Vitako jedoch in einem eher geringen Mischung zwischen Präsenz- und Umfang. zu einer neuen unterstützen, Schülerinnen und begrüße daher ausdrücklich die Foto: BS/privat “Pandemie-Nor- Schüler aus schwierigen sozio- Investition in die Digitalisierung Online-Lehre herzustellen. Die • Szenario 2 geht von der Entwicklung einer neuen, strategiKriterien für die Differenzierung malität” beschrit- ökonomisch geprägten Haus- der Schulen und somit in die schen Neukonzeption der Lehre zwischen Präsenz- und Digitalten. In jeder Krise halten insofern zu unterstützen, Bildung der jungen Generation. aus, innerhalb der digitale und lehre orientieren sich u. a. an der stecken aber be- dass sie Endgeräte erhalten. Die Um die Schulen professionell beanaloge Formen neu austariert Hochschulleiter formulierte: “Es kanntlich immer auch Chancen. Empfehlungen richten sich zu- raten, ausstatten und langfristig Veranstaltungsform (Vorlesungen, Übungen, Trainings), an der wurden gute Erfahrungen ge- Und diese Chancen bestehen vor dem an die Beschaffung und den begleiten zu können, sei neben werden. Veranstaltungsgröße sowie an • Szenario 3 geht letztlich da- wonnen, aber auch die Gren- allem darin, dass die Vorteile und Umgang mit Dienstgeräten für einer ordentlichen technischen den Zielgruppen (Erstsemester von aus, dass die digitalen zen erkannt. Dauerhaft werden Chancen, aber auch Risiken und Lehrerinnen und Lehrer, für de- Ausstattung auch Fachpersound Abschlusskurse vs. “norElemente erneut einen Schub die digitalen Lehr- und Lern- Grenzen des Einsatzes digitaler ren Finanzierung der Bund den nal vor Ort notwendig. Die im bekommen werden, der durch formate stärkere Berücksich- Medien in der Lehre nicht mehr Ländern rund 500 Millionen Euro Vitako-Verbund organisierten male” Studierende). Rückschläge in der Pandemie- tigung bei der Durchführung theoretisch diskutiert, sondern auslegen will. Nach dem “Corona-Freezing” und kommunalen IT-Dienstleister zeider Lehre finden und auch als praktisch erfahrbar wurden. Und bekämpfung ausgelöst wird. “Die Schulen müssen bei tech- gen sich motiviert, die Schulen dem aktuellen “Auftauen” an den HöD ergeben sich aus heutiger Grundlage in die kommende das ist ein enormer Vorteil für nischer Ausstattung, Beschaf- und Kommunen bei der SchulSicht drei wahrscheinliche Zu- Der Online-Lehre überdrüssig Re-Akkreditierung einfließen.” die weitere Entwicklung, deren fung, Support, Management und Digitalisierung in professionellem kunftsszenarien, die natürlich Integrierte Konzepte und konkre- Nichtsdestotrotz wird auch im- innovative Ausgestaltung sich Nutzung von Informations- und Rahmen zu unterstützen und von der allgemeinen Weiterent- te Strategien für die zukünftige mer wieder die Überdrüssigkeit auch eine neu konstituierte Kommunikationstechnik in Zu- dabei auch die wichtigen Frawicklung der Corona-Pandemie Lehre werden also noch gesucht, an der Online-Lehre thematisiert, Forschergruppe zur Aufgabe kunft professioneller beraten und gen der Sicherheit kompetent im Betrieb unterstützt werden”, mitzudenken. abhängig sind: trotz guter Erfahrungen, wie ein sowohl von den Lehrenden als gemacht hat. s mag verlockend sein, auch im Bildungswesen zu den naheliegenden Lösungen der großen amerikanischen Hersteller zu greifen. Schließlich sind MicrosoftProdukte überall im Berufsleben weit verbreitet und etabliert. So will Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann Office 365 inklusive Teams an Schulen einsetzen. Ihre Pläne stießen jedoch auf heftige Kritik, sowohl aus der Politik als auch von Eltern und der Initiative “Digital Souveräne Schule”. Letztere wandte sich in einem offenen Brief an die Mitglieder des Bildungsausschusses und deren Vertreter. Die Initiative hält es für höchst bedenklich, schon Kinder und Jugendliche über ihre gesamte Schulzeit hinweg mit “dem immer gleichen digitalen Setting einer einzelnen Firma” zu konfrontieren. Vielmehr sei es Aufgabe der Schule, Prinzipien zu vermitteln und Alternativen aufzuzeigen, damit Kinder und Jugendliche digitale Kompetenzen aufbauen. Nur so seien sie in der Lage, adäquate digitale Werkzeuge auszuwählen und selbstbestimmt einzusetzen.

Kommt nach dem Lockdown der Microsoft-Lock-in?

Zurück auf Anfang?

IT-Dienstleister wollen helfen


Behörden Spiegel / Oktober 2020

Digitale Bildung / Informationstechnologie

Digitaler BWL-Unterricht 4.0 ist Corona-fit Zertifikat für Wirtschaftskompetenz liefert Motivation zum Lernen (BS/Victor Mihalic*) Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Schulen, Hochschulen und Behörden ihren Unterricht bzw. ihre Weiterbildung wieder online abwickeln müssen. Wie eine aktuelle OECD-Studie zeigt, muss bei der Entwicklung von neuen Online-Unterrichtskonzepten ein besonderer Fokus auf die Motivation der Lernenden gelegt werden. Diese ist nach den zuletzt gemachten Erfahrungen nämlich tief im Keller. Maßgeblich verantwortlich dafür sind Bildungskonzepte, welche die Pädagogik wieder in die Steinzeit zurückwerfen; sprich lähmende Frontalvorträge und spröde Unterlagen und Arbeitsaufträge in PDFs. Für das Thema Betriebswirtschaft gibt es eine attraktive Alternative, welche ohne weiteren Entwicklungsaufwand sofort eingesetzt werden kann. Diese besteht aus folgenden Komponenten: 1. Das europaweit führende und mehrfach preisgekrönte E-Learning-Programm “Easybusiness – der leichte Weg zur Betriebswirtschaft”. Dieses ermöglicht ein vollkommenen selbstständiges Aneignen der Inhalte. Unglaublich, aber wahr: Da macht das BWL-Lernen sogar Spaß. Die Bundesagentur für Arbeit bietet die Lernsoftware seit mehreren Jahren auf ihrer Lernbörse an. 2. Webinare, bei denen der Frontalvortrag auf ein Minimum reduziert wird und interaktives Lernen im Fokus steht. Der Lehrer/Trainer ist Moderator der Lernprozesse.

3. Das internationale EBC*L-Zertifikat, welches dem Inhaber wirtschaftliche Kompetenz auf europäischem Niveau (EQF) bestätigt und somit bessere Chancen am (internationalen) Arbeitsmarkt ermöglicht. Das dient als großer Motivations-Schub. Die OECD sieht die genannten Punkte als Schlüssel für einen erfolgreichen OnlineUnterricht. Zahlreiche renommierte Unternehmen und Behörden bilden damit Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter und Arbeitssuchende erwerben jene Wirtschafts-Kompetenz, die vom Markt gefordert wird. Schulen begleiten damit ihre Übungsfirmen, die Junior-Projekte und Businessplan-Wettbewerbe (z. B. das erfolgreiche Siebenberg-Gymnasium Bad Honnef). Erfreulicher Zusatzeffekt: Es werden auch Unternehmerisches Denken und Entrepreneurship gefördert.

Grafik: BS / EBC*L International

Unter www.ebcl.eu gibt es weitere Infos und Gratis-Kostproben des E-Learning-Programms. Überzeugen Sie sich selbst, wie praxisnah und spannend die Betriebswirtschaftslehre sein kann. Kontakt: EBC*L International, Wien; team@ebcl.eu / Telefon 0800 / 9080302 (gebührenfrei) *MMag. Victor Mihalic ist Vorsitzender von EBC*L International.

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C-19 informiert über Corona Bundesverwaltung startet Betaversion des neuen Chatbots (BS/wim) Um aktuelle Sachstände und empfohlene Handlungsweisen rund um das Sars-CoV-2-Virus und die davon ausgelöste Krankheit Covid-19 zusammenzuführen, hat die Bundesverwaltung einen neuen, ressortübergreifend aufgebauten Chatbot online gestellt. Der Bot mit dem Namen “C-19” soll Bürgerinnen und Bürgern einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu Informationen rund um die aktuelle Krise und Pandemie bieten. Die Betaversion von C-19 ist unter der URL https://chatbot. it.bund.de zu erreichen und bietet Auskunft zu den Inhalten der beteiligten Ministerien, die sich mit Corona befassen. Das Themenspektrum umfasst derzeit, neben grundsätzlichem Basiswissen zum Coronavirus, Informationen zur allgemeinen Situation und den Vorgaben im öffentlichen Leben und zu sozialen Kontakten, auch Infos zu Reisen, Finanzhilfen von Bund und Ländern sowie zu Migrationsthemen. Speziellere Informationen gibt es für Seeleute und Reedereien, für medizinisches Personal und zu Fragen rund um den Zoll, die sich durch Corona stellen. Im Hintergrund arbeitet ein Redaktionsteam, um die Daten des Bots so aktuell wie möglich zu halten.

Breites Entwicklungsteam Hinter C-19, der aktuell noch ausschließlich in deutscher Sprache zur Verfügung steht, arbeitet ein interdisziplinäres Team in den beteiligten Ministerien und Ämtern, beim Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik und beim IT-Dienstleister des Bundes. Das Team, das den

Chatbot in Zukunft auch in weiteren Sprachen herausgeben will, besteht neben den Redakteurinnen und Redakteuren auch aus Programmiererinnen und Programmierern, Trainerinnen und Trainern, Softwarearchitektinnen und -architekten, Administratorinnen und Administratoren und weiteren Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern sowie Fürsprecherinnen und Fürsprechern, die die größtenteils auf Basis von Open-Source-Lösungen erstellte Chatbot-Software mit Informationen versorgen, beim Lernen unterstützen und sich um das Wohlergehen von C-19 kümmern. Dieses Team freue sich zudem über Feedback bezüglich der Wünsche und Bedarfe von Bürgerinnen und Bürgern, damit diese Schritt für Schritt in die weitere Entwicklung des Chatbots C-19 einfließen könnten, so die Bundesverwaltung bei der Vorstellung des Bots.

Weitere Bots sind bereits in Planung C-19, der alle Inhalte datenschutzkonform behandelt und die digitalen Unterhaltungen zum Lernen in anonymisierter Form speichert, ist so programmiert, dass er neben der Informations-

Der Chatbot C-19 beantwortet im Anschluss an eine Datenschutzbelehrung breitgefächerte Fragen zu vielen Themen rund um Vorgaben, Einschränkungen und temporäre Gesetzesänderungen, die von der aktuell grassierenden Corona-Pandemie hervorgerufen werden. Logo:BS/chatbot.it.bund.de

pflege durch das Redaktionsteam auch auf Basis der eingegebenen Fragen und Nachfragen der Bürger selbstlernend agieren kann. Zudem soll die Applikation in Zukunft noch weitere Geschwister bekommen. Im Rahmen der Dienstekonsolidierung des Bundes plant die Bundesverwaltung, weitere Chatbots zu anderen Themen zu entwickeln.

“Datencockpit statt Zettelwirtschaft” BMI legt Gesetzesentwurf zur Registermodernisierung vor

Vom Hörsaal auf den Bildschirm Exzellente Videoübertragung in der Lehre mit Logitech-Raumlösungen (BS/Andreas Kunz*) Mit Agilität durch die Pandemie – dieses Mantra begleitet fast alle Unternehmen in den letzten Monaten. Aber auch der öffentliche Sektor muss Flexibilität zeigen, die ihm manch ein Kritiker nicht zutraut. Die Digitalisierung in Lehre und Studium ist gerade zu Beginn des neuen Semesters ein wichtiges Thema. Wie sich Präsenzveranstaltungen erfolgreich und simpel aus dem Hörsaal auf den Bildschirm bringen lassen, zeigt die Universität Basel mit den Raumlösungen von Logitech.

(BS/pet) Je digitaler die öffentliche Verwaltung wird, desto mehr ist sie auf moderne Register mit strukturierten Daten angewiesen. Vom Nationalen Kontrollrat (NKR) bereits 2017 angemahnt, will das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) mit dem Gesetzesentwurf zur Registermodernisierung (RegMoG) jetzt den Grundstein für die Verwaltung von morgen legen. Die Regierung hat den lang ersehnten Gesetzesentwurf zur Registermodernisierung beschlossen. Innenminister Horst Seehofer (CSU), dessen Ressort für den Entwurf verantwortlich zeichnet, spricht von einem Durchbruch für die digitale Verwaltung: “Eine Verwaltung ist nicht schon deshalb digitalisiert, weil man den Termin online reservieren kann. Solange beim Elterngeld-Antrag Kopien von Personalausweis und Geburtsurkunde verlangt werden, leben wir noch im letzten Jahrhundert. Die Zukunft heißt: Datencockpit statt Zettelwirtschaft. Das Registermodernisierungsgesetz ist der Grundstein, auf dem wir die digitale Verwaltung bauen können.” Werden Daten bisher noch mehrfach erhoben und entsprechend fachlicher Zuständigkeiten in den rund 220 Registern der öffentlichen

Mit einem Datencockpit will der Gesetzesentwurf sicherstellen, dass Bürgerinnen und Bürger im Bild bleiben, welche ihre Daten zwischen Behörden ausgetauscht werden. Foto: fietzfotos, pixabay.com

Verwaltung abgespeichert, soll der Gesetzesentwurf den Grundstein für ein registerübergreifendes Identitätsmanagement legen. Als zentrales Ordnungsmerkmal soll die Steuer-Identifikationsnummer dabei sicherstellen, dass Daten künftig eindeutig zugeordnet und in den für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) relevanten Fachregistern gespei-

chert werden können. Die Vorteile des registerübergreifenden Identitätsmanagements sollen darüber hinaus auch Bürgerinnen und Bürgern den mehrfachen Gang zur Tastatur ersparen. Für mehr Transparenz soll laut Gesetzesentwurf ein Datencockpit sorgen, das darüber informiert, welche Daten jeweils zwischen den Behörden ausgetauscht werden.

Foto: BS/Logitech

Für das anstehende Wintersemester stand in Basel schnell fest: Vorlesungen können vor Ort nur mit einer Minimalbesetzung stattfinden. Die neu eingeführte digitale Übertragung sollte aber ohne Qualitätseinbußen funktionieren – weder auditiv noch visuell. Die Entscheidung fiel daher schnell auf die Lösung aus Logitech MeetUp mit Zusatzmikrofon. Während die Projektverantwortlichen zunächst eine personalisierte Lösung für Dozierende ins Auge gefasst hatten, überzeugte letztlich die Praktikabilität der flexiblen Raumlösungen von Logitech. Auf der technischen Seite punktet die Lösung mit herausragender Bild- und Tonqualität sowie dem großen, verzerrungsfreien Aufnahmewinkel von 113 Grad. So werden selbst bei kürzesten Entfernungen zur Kamera zwei nebeneinanderliegende Tafeln mit vier Metern Breite detailreich aufgenommen. Die MeetUp ist

dabei vollumfänglich kompatibel zu den genutzten Videokonferenz- und AufnahmesoftwareLösungen der Universität. Die Uni Basel nutzt unter anderem Zoom für die Übertragung aus dem Hörsaal. Die Kooperation von Logitech und Zoom bildet hierbei die ideale Basis für eine harmonische und nutzerfreundliche Verbindung von Hard- und Software. So profitieren die Anwender direkt von der Partnerschaft der beiden Unternehmen. Neben den technischen Vorzügen der MeetUp war für die Universität Basel auch ausschlaggebend, dass Logitech gemeinsam mit seinem Partner Kilchenmann eine schnelle Verfügbarkeit und Implementierung der bisher insgesamt 161 Geräte garantieren konnte. “Aus unserer Erfahrung heraus kam ziemlich schnell Logitech infrage. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist sehr gut und die Geräte waren zeitnah lieferbar. Besonders überzeugt haben uns dabei die

Anwenderfreundlichkeit und die exzellente Bild- und Tonqualität der MeetUp,” kommentiert Nico Frobenius, Head of ITS Project Management Office an der Universität Basel, die Entscheidung für Logitech. Auch bei den Dozierenden ist die Logitech-MeetUp sehr beliebt. Die Lehrkräfte sind vor allem von der guten Tonaufnahme und -wiedergabe begeistert und geben an, dass der Ton besser wäre als bei zum Teil deutlich teureren Geräten der Konkurrenz – sogar, wenn sich die Dozierenden im Raum bewegten. Auch wenn die Kapazitäten in den Lehrräumen wieder steigen und die Zeiten wieder ruhiger werden, möchte die Universität Basel das “hybride” Lehrmodell daher weiterführen – als wichtigen Schritt in die digitale Zukunft. *Andreas Kunz ist Head of Marketing & PR Enterprise DEAT bei Logitech.

OZG-Konjunkturmittel Es läuft auf die öffentlichen IT-Diensleister zu (BS/gg) In einer Sondersitzung hat der IT-Planungsrat sich über den Weg verständigt, wie die zusätzlichen drei Milliarden Euro des Bundes aus dem Konjunkturpaket für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) in die Digitalisierung der Verwaltung in ganz Deutschland investieren werden sollen. Unter der Leitung des diesjährigen Vorsitzenden des IT-Planungsrates, Staatssekretär und Bundes-CIO Dr. Markus Richter, hat man sich auf folgende Schritte verständigt: 1. Die OZG-Leistungen werden nach dem Prinzip “Einer für alle” umgesetzt. Dies beschleunigt eine ressourcenschonende, flächendeckende OZGUmsetzung. 2. Die Digitalisierung der Verwaltungsleistungen folgt sechs Prinzipien: “Relevanz”, “Nutzerfreundlichkeit”, “Geschwindigkeit”, “Einer für Alle/ Wirtschaftlichkeit”, “Innovation und nachhaltige technische Qualität”, “Offene Standards und Open Source”.

3. Bereits etablierte und leistungsfähige Arbeitsstrukturen werden genutzt. Task-Forces klären den rechtlichen und technischen Rahmen. 4. Ergänzend zur finanziellen Unterstützung des Bundes aus dem Konjunkturprogramm stellen die Länder die fachlichen Ressourcen und die notwendigen Kapazitäten der IT-Dienstleister bereit. 5. Die Länder tragen dafür Sorge, dass die Kommunen zur Umsetzung hinreichend unterstützt werden. Dr. Markus Richter kommentierte die Schritte : “Das Konjunkturpaket gibt uns die Chance, unsere Vision der digitalen Verwaltung trotz eines äußerst ambitionierten

Zeitplans Wirklichkeit werden zu lassen. Wir handeln entschlossen, gemeinsam und koordiniert, damit – egal wo und wann – jede Verwaltungsleistung nutzerfreundlich und mit nur wenigen Klicks online zur Verfügung gestellt werden kann. “Einer für Alle” ist der Schlüssel zum Erfolg.” Alle Maßnahmen sind an die Umsetzung des “Einer-füralle”-Prinzips gebunden. Dies bedeutet, dass ein Land oder eine Allianz aus mehreren Ländern eine Leistung zentral entwickelt und betreibt – und diese anschließend anderen Ländern und Kommunen zur Verfügung stellt. Der NKR äußert Bedenken, mit den öffentlichen IT-Dienstleistern könnten neue Monopolisten entstehen und die Verwaltung abhängig machen.


Informationstechnologie

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Behörden Spiegel / Oktober 2020

Mobiles Arbeiten

B

ehörden Spiegel: Herr Hedde, es ist davon auszugehen, dass Homeoffice auch nach der Corona-Krise von Bedeutung bleiben wird. Was bedeutet das Ihrer Ansicht nach für die Entwicklung und den Einsatz von Verwaltungssoftware?

Behörden Spiegel: Was können Verwaltungen Ihrer Ansicht nach aus den Erfahrungen der CoronaPandemie mitnehmen?

Die Zukunft der Verwaltung

(BS) Die öffentlichen Verwaltungen sind derzeit noch viel stärker als vorher gefragt, sich auf neue, mobile Arbeitsweisen einzustellen. Aus dem Homeoffice heraus zu arbeiten, haben einige Verwaltungen ihren Beschäftigten auch in der Vergangenheit schon ermöglicht, aber ein echter Durchbruch kam erst jetzt durch die Corona-Pandemie. Doch auch über die Corona-Krise hinaus dürfte Homeoffice an Bedeutung gewinnen und in Hedde: Das bedeutet, dass sich vielen Verwaltungen zur Normalität gehören. Welche Anforderungen dieses mobile Arbeiten an Behörden stellt, war Gegenstand eines Interviews, die Arbeitsmethoden und Soft- welches der Behörden Spiegel mit Dr. Per Hedde, Geschäftsfeldleiter der MACH AG, führte. warelösungen, mit denen mobil gearbeitet wird, überhaupt dafür eignen müssen. Notwendig sind Anwendungen, die einfache Einstiegsmöglichkeiten für dezentrale Nutzer/-innen ermöglichen – also Verwaltungsmitarbeiter/innen, die aus der Ferne auf bestimmte Funktionalitäten ihrer Verwaltungssoftware zurückgreifen wollen. Selfservice-Funktionalität ist ein Stichwort, das bei uns in diesem Zusammenhang schon länger ganz oben auf der Agenda steht.

Behörden Spiegel: Was hat Sie denn bereits vor Corona veranlasst, die Entwicklung von Selfservice-Anwendungen umzusetzen? Hedde: Das hat neben der Corona-Pandemie noch einen weiteren Hintergrund. So gibt es

nau diese Anwendungen empfinden Gelegenheitsnutzer/-innen im ERP oft als zu sperrig. Behörden Spiegel: Welche Eigenschaften zeichnen eine Selfservice-Lösung im Vergleich zu herkömmlicher ERP-Software aus? Hedde: Die digitalen Anwendungen der Selfservices müssen noch einfacher strukturiert und leicht zugänglich sein und sich schnell erfassen lassen. Nur so sind die Endnutzer/-innen in der Lage, beispielsweise bei sich zu Hause oder unterwegs im Zug die erforderlichen Informationen einzutragen, damit diese an zentraler Stelle weiterverarbeitet werden können. Nutzerführung ist hier das A und O. Die Anmel-

“Selfservice-Funktionalität ist ein Stichwort, das bei uns in diesem Zusammenhang schon länger ganz oben auf der Agenda steht.” seit vielen Jahren den Trend, in Verwaltungen bestimmte Arbeitsabläufe ein Stück weit zu dezentralisieren. Es sollen also nicht mehr wie bisher alle Informationen umständlich in Papierform durch Sachbearbeiter/-innen gesammelt und dann zentral in ein System übertragen werden. Vielmehr sollen die Endnutzer/innen stärker daran beteiligt werden, bestimmte Informationen direkt über die zentrale Anwendung bereitzustellen. Dies betrifft beispielsweise die Arbeitszeiterfassung und Beantragung von Urlaubstagen, das Prüfen von Rechnungen sowie die Budgetplanung und Beschaffung in den öffentlichen Verwaltungen. Ge-

dung muss rasch und einfach vonstattengehen und um die Anwendung bedienen zu können, darf kein Fachvokabular vorausgesetzt werden. Ganz im Gegenteil: Je einfacher man es den Endnutzer(inn)en macht, desto eher sind sie bereit, die Anwendung auch zu nutzen. Behörden Spiegel: Warum spielen Gelegenheitsnutzer/-innen im Verwaltungsalltag zukünftig eine so wichtige Rolle? Und wie genau kann diese Nutzergruppe besser in Prozesse eingebunden werden? Hedde: Auch in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland sind alle Arbeitsbereiche

vom demografischen Wandel betroffen. Dadurch stehen immer weniger Expert(inn)en für die Verwaltung zur Verfügung. Das bedeutet, dass Arbeitsabläufe stärker dezentralisiert werden müssen. Hier werden nun die Gelegenheitsnutzer/-innen in die Pflicht genommen, manche Abläufe durch eigenes Handeln zu unterstützen. Durch diese Entwicklung gibt es sehr viel mehr Anwender/-innen in der Fläche. Und genau hier kommt die Digitalisierung mit den ERPSelfservices ins Spiel: Sie versetzt öffentliche Verwaltungen in die Lage, dem demografischen Wandel ein Stück weit entgegenzuwirken, sodass den Mitarbeiter/innen in den Verwaltungen mehr Zeit für die wesentlichen Dinge bleibt. Behörden Spiegel: Wie unterscheiden sich die Bedürfnisse der Gelegenheitsnutzer/-innen von denen der anderen Nutzergruppen? Hedde: Die Nutzer/-innen, die täglich mit ihrer Verwal-

Foto: BS/MACH

tungssoftware arbeiten, sind häufig Sachbearbeiter/-innen, die quasi im Akkord Rechnungen oder Reisen buchen. Für sie ist das Arbeiten am großen Monitor relevant, wo ihnen alle Funktionalitäten der Software zur Verfügung stehen, um auch komplexe Sachverhalte zu bearbeiten. Gelegenheitsnutzer/innen bedienen hingegen häufig nur einen kleinen Ausschnitt der Funktionalitäten einer Software. Das heißt, sie brauchen eine viel stärkere Führung durch das System und weniger Alternativen, aus denen sie auswählen können. Und sie benötigen eine Rückmeldung des Systems, wenn ihre Eingaben nicht erwartungsgemäß sind. Behörden Spiegel: Und wie spiegelt sich das in der Software wider? Hedde: Es ist beispielsweise nicht zielführend, wenn die Selfservices für Dienstreisen sämtliche Sonderfälle mit den Spesensätzen der unterschiedlichsten Länder abbilden – da ist

Behörden Spiegel: Bedeutet die Anwendung von Selfservices eine große Umstellung für Verwaltungen? Hedde: Glücklicherweise haben sich die meisten Mitarbeiter/innen vor allem durch die zunehmende Digitalisierung im privaten Umfeld bereits an digitale Anwendungen gewöhnt. Dadurch ist es heutzutage nicht mehr notwendig, dass gewisse Abläufe in der öffentlichen Verwaltung, wie etwa Dienstreiseabrechnungen oder Beschaffungsanträge, analog auf Papier stattfinden. Die Mitarbeiter/-innen wollen ihre Reisekosten schnell verbucht wissen und ihre Beschaffung mit wenigen Klicks auslösen können – und das auch, wenn sie sich zu Hause im Homeoffice oder auf Dienstreise befinden. Dafür eignen sich smarte Anwendungen, die aus der Ferne bedient werden können, natürlich deutlich besser als eine monolithische Einheitssoftware.

Cloud-native Entwicklung

D

eutschland steht vor der Aufgabe, das digitale Verwaltungsangebot voranzutreiben und das effiziente und wirtschaftliche Verwaltungshandeln durch die Nutzung produktiverer Technologien zu erhöhen. Die Entwicklung und der Betrieb von Fachverfahren stehen deshalb vor einem merklichen Wandel. Veränderungen werden in verschiedensten Bereichen sichtbar: Immer mehr Daten müssen immer schneller verfügbar und immer stärker vernetzt sein. Ruhende Daten, beispielweise in zentralen Registern, werden nur durch Datenaustausch zur Digitalisierung beitragen.

Dr. Per Hedde ist Geschäftsfeldleiter der MACH AG.

es sinnvoll, dass die komplexen Fälle weiterhin Sachbearbeiter/innen übernehmen. Aber für die 90 Prozent der Standardfälle muss ein einfacher Einstieg ermöglicht werden. Wenn damit Gelegenheitsnutzer/-innen das Gros der Arbeit übernehmen, beschleunigen sich die Prozesse enorm. Denn der Vorteil der zügigen Eingabe ist ja, dass der Prozess auch zügiger bearbeitet werden kann. Hinzu kommt, dass weniger Rückfragen und Übertragungsfehler anfallen, die häufig entstehen, wenn eine zentrale Stelle unzählige Angaben aus Papierformularen in die Software überträgt.

Beschleunigte Innovationen in der Verwaltung (BS/Markus Eisele/Christof Orth) Der Cloud-nativen Applikationsentwicklung gehört zweifellos die Zukunft. Mit dem Cloud-nativen Konzept können Verwaltungen die Geschwindigkeit, Flexibilität und Qualität ihrer Applikationsentwicklung steigern und gleichzeitig die Risiken reduzieren. Die Kernkomponente einer solchen Strategie sind Container.

von Methoden, Frameworks, Architekturen und Sprachen zur Verfügung. Erst große Wahlmöglichkeiten schaffen die Flexibilität, um die Anforderungen unterschiedlicher Verwaltungsanwendungen optimal zu erfüllen. Trotz der Heterogenität, die zu hoher Komplexität führt, ist eine Konstante aber erkennbar: Die Zwölf-Faktor-Methodologie hat sich in der Zwischenzeit mehrheitlich als Standard bei der Bereitstellung moderner, Cloudbasierter Anwendungen etabliert. Hinsichtlich des allgemeinen Markus Eisele ist Developer Adoption Program Lead Cloud-nativen EMEA bei Red Hat. Hypes muss al lerdings eine Foto: BS/Redhat Einschränkung gemacht werden. Die vollständiUm dieser Situation gerecht zu ge Unterstützung der zwölf werden, setzen auch Verwaltun- Faktoren ist nicht zwingend gen zunehmend auf Cloud-native erforderlich für die gesamte Entwicklungsstrategien und die Applikationslandschaft einer Nutzung von Container-Techno- Verwaltung, da damit unweilogien. Die umfassende Nutzung gerlich ein hoher Komplexivon Open-Source-Software im tätsgrad verbunden ist. Die Speziellen und der Open-Source- hohe Komplexität der CloudMethodik im Allgemeinen stellt nativen Entwicklung erfordert ein entscheidendes Instrument auf jeden Fall den Einsatz eifür die Gestaltung und erfolgrei- ner Container-basierten Anche Umsetzung digitaler Möglich- wendungsplattform, die die keiten dar. In der Cloud-nativen benötigten Architekturen und Entwicklung steht eine Vielzahl Frameworks unterstützt und

kontinuierlich mit technologischen Änderungen aktualisiert wird.

Die Basis ist Kubernetes Die verteilten Anwendungsteile im Cloud-native Bereich führen unweigerlich zum Thema Orchestrierung und damit Kubernetes. In der Diskussion rund um Container-Orchestrierung wird oft übersehen, was Kubernetes wirklich leistet. Kubernetes wird vielfach nur als eine Anwendung definiert, die Container ausführt – also als Laufzeitumgebung. Eine genauere Betrachtung zeigt aber, dass Kubernetes ein Bundle von APIs und Dienstprogrammen für die Orchestrierung und das Ressourcenmanagement bereitstellt. Mit Kubernetes ist aber trotzdem noch nicht alles vorhanden, was Verwaltungen für eine Container-Plattform benötigen. Sie erfordert darüber hinaus folgende Komponenten: Container-Registry, Netzwerk, Storage, Protokollierung, Security und Überwachung sowie Authentifizierung und Autorisierung. Dieses Lösungspaket bietet beispielsweise Red Hat OpenShift Container Platform, die branchenweit umfas-

sendste Kubernetes-Plattform für Entwicklung und Betrieb. Neue Entwicklungsprozesse verursachen aber auch neue Herausforderungen. So kann es sein, dass Entwickler sehr viel Zeit für die Konfiguration und Administration der Infrastruktur und Plattformumgebung aufwenden. Deshalb sollte zwingend ein Software-Development-Lifecycle definiert werden, der die Software in den Mittelpunkt stellt. Vor allem in der Verwaltung ist Sicherheit bei der Cloud-nativen Applikationsentwicklung ein Muss. Folgende Aspekte sind zu berücksichtigen: Beim Hostsystem muss sichergestellt sein, dass zwischen den genutzten Ressourcen keine unberechtigten Zugriffe möglich sind. Neben der Container Runtime und Orchestrierung bildet ein Betriebssystem wie Red Hat Enterprise Linux das Fundament. Es muss gewährleistet sein, dass Contai-

Christof Orth ist Senior Manager Sales Government, Health Care, Education and Research des Unternehmens. Foto: BS/Redhat

ner Images nur aus vertrauenswürdigen Quellen, zum Beispiel einem Marketplace, stammen. Und auf der Anwendungs- oder Container-Seite müssen Sicherheitsmaßnahmen etwa für die verwendeten Basis-Images, den Build-Prozess oder das Deployment ergriffen werden. In Kombination mit Cloud-nativen

Hedde: Ich bin der Meinung, dass vieles beibehalten werden sollte. Denn die Erkenntnis dieser durch die Pandemie erzwungenen Homeoffice-Situation, dass mobiles Arbeiten doch möglich ist, eröffnet uns in der Arbeitswelt viele neue Chancen. Wir sollten sie uns nicht entgehen lassen, indem wir die Uhren möglichst rasch wieder zurückdrehen. Wir müssen diese Mehrwerte für die Zukunft in ein hybrides Arbeiten hinüberretten. Schließlich lernten in der Corona-Krise auch die Mitarbeiter/-innen, die bislang skeptisch waren, die großen Vorzüge der digitalen Arbeit kennen. Die positiven Erfahrungen aus den letzten Monaten geben der Digitalisierung einen neuen Schwung, den die öffentliche Verwaltung mitnehmen sollte. Behörden Spiegel: Ist das von Ihnen beschriebene hybride Arbeiten ein Zukunftsmodell für die Verwaltung? Hedde: Sicherlich brauchen wir wieder die Präsenzarbeit und das unmittelbare Miteinander, und sicherlich ist Homeoffice nicht für alle Arbeitnehmer/innen und in allen Situationen die perfekte Lösung. Aber die Freiheitsgrade des dezentralen Arbeitens sollten wir uns auf jeden Fall erhalten. Sie sollten meines Erachtens durch das Bereitstellen einer entsprechenden digitalen Infrastruktur eher noch verstärkt werden. Bei all dem Schlimmen, was Corona mit sich gebracht hat, ist dies sicher ein positiver Effekt und in meinen Augen ein unumkehrbarer Trend. Für die vielen Gelegenheitsnutzer/-innen, die in den Verwaltungen zukünftig ihre Arbeit von unterwegs oder aus dem Homeoffice erledigen, sind wir bei MACH bestrebt, mit Selfservice-Anwendungen optimale Voraussetzungen für dezentrales Arbeiten zu schaffen.

Laufzeitumgebungen stellen Container-Plattformen einen der dynamischsten Treiber für Innovationen in der Verwaltung dar. Nach unserer Einschätzung wird diese Kombination ein dominierendes Deployment-Muster werden. Im Cloud-Umfeld ist derzeit auch ein klarer Trend in Richtung Hybrid Cloud erkennbar. Hier gilt: Verwaltungen sollten eine integrierte Plattform einsetzen, die eine einheitliche Cloud-native Anwendungsentwicklung auf einer beliebigen Infrastruktur unterstützt – von Multi-Cloud-Umgebungen bis zu On-Premise-Implementierungen.

MELDUNG

OZG-Umsetzung in Hessen (BS/gg) Die hessische Plattformstrategie mit der kostenlosen Bereitstellung der Digitalisierungsplattform Civento über den kommunalen IT-Dienstleister ekom21 wird von den Kommunen des Landes gut angenommen. Inzwischen nutzen 380 von 422 Kommunen die Plattform. Dabei wird auch das Bürger- und Servicekonto des Landes Hessen genutzt, das bei der ekom21 gehostet wird. Mit Civento kann neben Online-Antragsprozessen die elektronische Bearbeitung von Anträgen mit einem durchgängigen elektronischen Prozess erfolgen. Die Bürger können dadurch beispielsweise die Beantragung von Unterhaltsvorschussleistungen, die Übernahme von Kitagebühren sowie die Förderung von Kindertagespflege auf

elektronischem Weg vornehmen. Die Software ermöglicht es, die vom Bürger eingegebenen Daten automatisiert den jeweiligen Fachverfahren über eine standardisierte Schnittstelle zur Verfügung zu stellen und somit einen digitalen Workflow zu generieren. Civento ist damit die maßgebliche technologische Basis zur Digitalisierung von Prozessen in der Kommunalverwaltung und somit für die Umsetzung des OZGs in Hessen. Auf Grundlage von Civento steht ebenfalls die digitale Beantragung von ALG II in drei kommunalen Jobcentern seit Juni zur Verfügung, in fünf weiteren ist sie in Vorbereitung. Inzwischen können alle 104 kommunalen Jobcenter in Deutschland die erste Version des digitalen Antrags nutzen.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Oktober 2020

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Der geschlossene HP-Recycling-Kreislauf Effiziente und nachhaltige Verbrauchsmaterialien für den Behördeneinsatz (BS) Investitionsentscheidungen in Behörden und Unternehmen gleichermaßen sind heute von zwei Dingen geprägt: von Kosteneffizienz – hoher Qualität zum guten Preis – und der Nachhaltigkeit der Produkte. Dies schließt nicht nur den Einsatz von recycelten Materialien, sondern auch eine nachhaltige Produktion und entsprechende Zertifizierungen mit ein. Dieses Umweltbewusstsein wird auch in der Gesellschaft allgemein reflektiert. Die Fridays-for-Future-Demonstrationen haben die Menschen aufgerüttelt und zu einem nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen angeregt. In diesem Zusammenhang bekommen auch weitere Umweltthemen eine hohe Visibilität. Beispiel Plastikmüll: Es schwimmen immer größere Mengen an Plastik in unseren Ozeanen, die den Lebensraum von Fischen gefährden – und damit auch das Leben der Menschen. HP gehört zu den Vorreitern bei den Unternehmen, die sich aktiv darum kümmern, die Umwelt zu schützen. Mit seinen Bemühungen hinsichtlich Plastik-Recycling kann HP energiesparende, langlebige Geräte zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten. Denn nur wenn umweltbewusst produzierte Produkte auch kosteneffizient sind, finden sie Abnehmer in Unternehmen und Behörden.

Genutzte Tintenpatronen von HP werden in Deutschland in einer Recyclingfirma in der Nähe von Bamberg entsprechend den HP-Standards wiederaufbereitet und die unterschiedlichen Materialien dem Produktionskreislauf wieder zugeführt. Unter Beigabe von gebrauchten Plastikflaschen entstehen daraus dann neue Tonerkartuschen und Tintenpatronen. Fotos: BS/HP

Ein Beispiel, bei dem sich Preis, Qualität und Leistung mit nachhaltiger Beschaffung gut verbinden lassen, ist das Thema Drucken. Hohe Qualität bei Ausdrucken bedeutet satte Farben und tiefes Schwarz und eine hohe Beständigkeit der Ausdrucke. Sie geben aber nicht alleine den Ausschlag hinsichtlich der Entscheidung für die richtige Kombination aus Drucker und Verbrauchsmaterialien. HP verfügt über eine der breitesten Paletten an Druckern und Verbrauchsmaterialien, die durch den Blauen Engel zertifiziert sind. Das begehrte Siegel gilt als ältestes deutsches Umweltzertifikat mit den strengsten Kriterien und schließt neben Energieeffizienz und Reparierbarkeit vor allem die umweltschonende Produktion und das Recycling der Geräte mit ein.

Kriterien des Blauen Engels erfüllt HP-Drucker sind dabei immer als Gesamtpaket bestehend aus dem Drucker, Tonerkartusche oder Tintenpatrone zertifiziert. Damit ist gewährleistet, dass die Drucker als System bestmöglich funktionieren und die harten Kriterien des Blauen Engels hinsichtlich eines niedrigen Energieverbrauchs, Schadstoffarmut, geringer Lärmemissionen, Langlebigkeit der Produkte, Recyclingfreundlichkeit oder umweltverträglicher Bauteile auch im Büroalltag erfüllt werden. Eine Veränderung beispielsweise bei der Wahl der Verbrauchsmaterialien führt zu deutlichen Einschränkungen bei der Erfüllung der Kriterien des Blauen Engels,

welche besonders relevant sind, wenn es Ausschreibungskriterien zu erfüllen gilt. HP setzt sich kontinuierlich neue, herausfordernde Ziele hinsichtlich Recycling und Nachhaltigkeit. Nur so ist sichergestellt, dass die wichtigen Umweltkriterien eingehalten werden.

Nachhaltigkeit bereits seit ­Jahrzehnten großgeschrieben HP setzt bereits seit Jahrzehnten auf eine nachhaltige Produktion seiner Tintenpatronen und Tonerkartuschen. Die Verbrauchsmaterialien entstehen in einem geschlossenen RecyclingKreislauf. Kunden können im Rahmen des Planet-Partner-Programms ihre verbrauchten Tintenpatronen und Tonerkartuschen kostenlos zurückgeben. In Deutschland genutzte Tintenpa­ tronen von HP werden beispielsweise in einer Recyclingfirma in der Nähe von Bamberg entsprechend den HPStandards wiederaufbereitet und die unterschiedlichen Materialien dem Produktionskreislauf wieder zugeführt. Unter Beigabe von gebrauchten Plastikflaschen entstehen daraus dann neue Tonerkartuschen und Tintenpatronen. Viele der verwendeten Plastikflaschen wären sonst auf der Mülldeponie oder im Meer gelandet – als Teil des geschlossenen HP-RecyclingKreislaufs lassen sie sich nützlich wiederverwerten.

Plastik einsammeln, bevor es in den Ozean gerät HP engagiert sich beim Thema ozeangebundenes Plastik aber noch deutlich stärker: Damit Plastikflaschen erst gar

nicht in den Ozeanen landen, sondern direkt eingesammelt werden, hat HP in ein entsprechendes Pilotprojekt in Haiti investiert. Zwischen 2016 und September 2019 wurden als Teil dieses Projekts 35 Millionen KunststoffFlaschen gesammelt. Diese wären sonst im Ozean gelandet. Stattdessen wurden sie bei der Produktion von HP Tonerkartuschen oder Tintenpatronen wiederverwertet. Eine Initiative, die gleichzeitig die lokale Gesellschaft mit nachhaltigen Arbeitsplätzen für die Bevölkerung unterstützt. HP baut die Initiative weiter aus. Dazu hat sich HP dem NextWavePlastics-Konsortium angeschlossen. Das Projekt baut das erste Netzwerk an Lieferketten ausschließlich für Plastik aus dem Ozean auf. Durch diese Initiativen stellt HP seine Versorgung mit bereits gebrauchtem Kunststoff sicher, der in neuen Produkten recycelt wird. So ist es HP gelungen, dass mittlerweile 82 Prozent der neuen Tintenpatronen 45 bis 70 Prozent an recycelten Materialien enthalten (je nach Modell). In allen neuen HPTonerkartuschen werden bis zu 35 Prozent recyceltes Material verwendet. HP arbeitet aber nicht nur daran, dass die Ozeane frei von Plastik werden. Das Unternehmen geht in allen seinen Verantwortungsbereichen auch schonend mit anderen Ressourcen um. Beispiel Wasserverbrauch. Im Vergleich zu 2018 hat HP seinen Wasserbedarf in der Produktion innerhalb eines Jahres um 249.030.000 Kubikmeter reduziert. Immerhin drei Prozent des Jahresbedarfs.

Das Engagement von HP zahlt sich aus: Seit 2000 hat HP mehr als 90.000 Tonnen recycelten Kunststoff bei der Herstellung neuer Original-HP-Tintenpatronen und -Tonerkartuschen verwendet, was fast 5.000 Sattelzugladungen Plastik entspricht. Gleichzeitig sammelte HP über 453 Tonnen Plastik aus dem Ozean. Eine enorme Menge.

Ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele – auch in Zukunft Doch das ist nicht genug. HP setzt sich ambitionierte Ziele. Bis 2025 will das Unternehmen 1,2 Millionen Tonnen Hardware und Verbrauchsmaterialien recyceln. Auch das Verpackungsmaterial steht bei jedem Produkt auf dem Prüfstand. Auch wenn die Geräte bruch- und transportsicher verpackt sein müssen, heißt dies nicht, dass viel Verpackungsmüll anfallen muss. HP setzt darauf, neue Materialien reduzierter und smarter als Verpackungsmaterial zu nutzen. Gleichzeitig sollen die Wiederverwertungs- und Recycling-Quoten erhöht werden. Zu den Neuerungen gehören beispielsweise Verpackungen aus Zellstoff-Formteilen, dank derer sich 934 Tonnen an Schaumstoff-Verpackungen einsparen lassen, die sich nur sehr aufwendig wiederverwerten lassen. HP wird künftig verstärkt leicht wiederverwertbare Verpackungskissen auf Faserbasis einsetzen. Diese isolieren die Geräte ebenso gut vor Transportschäden wie Schaumstoff, sind aber deutlich umweltfreundlicher, da sie typischerweise 100 Prozent recycelten Inhalt enthalten.

Alle Komponenten – Drucker, Original-HP-Verbrauchsmaterialien und Verpackung – geben einen großen Spielraum für die Wiederverwertung der unterschiedlichen Bestandteile. Daher sind Behörden in der Lage, aus dem breiten HP-Angebot nicht nur die Drucksysteme und Verbrauchsmaterialien auszuwählen, die für den optimalen Ausdruck perfekt aufeinander abgestimmt sind, sondern auch alle Anforderungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit erfüllen. Angebote wie Instant Ink, XL-Tintenpatronen, NeverStop oder SmartTank ermöglichen Behörden zudem eine größere Auswahlmöglichkeit für den konkreten Anwendungsfall. Gleichzeitig hat HP in seinem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht sein Bekenntnis erneuert, sich langfristig für den Umweltschutz sowie die nachhaltige Entwicklung und Herstellung seiner Produkte zu engagieren. Ein Bekenntnis, das auch die Partner von HP aktuell nochmals erneuern. HP hat sich eine Reihe ehrgeiziger Ziele gesetzt. Dazu gehört, dass bis 2025 auf 75 Prozent des nur einmal genutzten Plastiks verzichtet werden soll. Darüber hinaus wird weiterhin an einem niedrigeren Energieverbrauch und einer längeren Lebensdauer der Geräte gefeilt. Damit sind die Investitionen von Behörden in die Produkte geschützt, anfallende Neben- und Folgekosten werden so gering wie möglich gehalten. Behörden, die dem Bürger verpflichtet sind, haushalten damit sparsam und nachhaltig.

Damit Plastikflaschen erst gar nicht in den Ozeanen landen, sondern direkt eingesammelt werden, hat HP in ein entsprechendes Pilotprojekt in Haiti investiert. Zwischen 2016 und September 2019 wurden als Teil dieses Projekts 35 Millionen Kunststoff-Flaschen gesammelt und bei der Produktion von HP-Tonerkartuschen oder -Tintenpatronen wiederverwertet.


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Führungskonzepte anpassen

MELDUNG

Main verstärkt MACH

“Wer A sagt, muss auch B sagen” ist nicht mehr zeitgemäß (BS) Rosa Thoneick forscht am CityScienceLab der HafenCity Universität Hamburg. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sind Digitalisierungsprozesse von Städten. Sie hat klare Vorstellungen, welche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Digitalisierung erfüllt werden müssen: Der Mensch muss im Vordergrund stehen. Behörden Spiegel: Frau Thoneick, worauf kommt es Ihrer Ansicht nach bei der Digitalisierung der Verwaltung an? Thoneick: Bei der Digitalisierung von Verwaltungen geht es keineswegs nur um den Einsatz digitaler Tools, sondern um den Kontext, um Menschen, Prozesse und Zusammenarbeit. Besonders wichtig ist meiner Erfahrung nach, dass der Mensch bei allem im Fokus steht. Denn wir alle sind nicht nur Arbeitskräfte oder Nutzer/-innen von Angeboten. Für den Erfolg der Digitalisierung sind daher eine empathische Kommunikation, hybride Arbeitsmöglichkeiten, gegenseitiges Vertrauen und eine menschzentrierte Entwicklung von Lösungen entscheidend. Behörden Spiegel: Sie arbeiten mit verschiedenen Organisationen zusammen – was kann die Verwaltung von ihnen lernen? Thoneick: In Digitalisierungsprojekten können Verwaltungen vor allem von agilen Organisationen lernen. Sie schnüren die Entwicklungsarbeit in kleine Pakete. Das heißt: Statt langwierige Zielvereinbarungen über mehrere Jahre zu schließen, werden Projektschritte für kürzere Zeiträume vereinbart und regelmäßig überprüft. Das gibt Raum zum

“Der Kern der Digitalisierung besteht tatsächlich aus neuen Formen der Zusammenarbeit.”

Experimentieren, aber auch zum Fehlermachen. Behörden Spiegel: Was genau meinen Sie mit Fehlermachen? Thoneick: Bei Digitalisierungsprojekten wird es immer zu Fehlern kommen, das geht gar nicht anders. Statt so zu tun, als seien Tools oder Prozesse unfehlbar, ist es wichtiger, offen und transparent Unzulänglichkeiten zu dokumentieren, transparent zu kommunizieren und daraus zu lernen. Für Verwaltungen bedeutet das: Sie müssen eine Fehlerkultur entwickeln. Denn wer Angst hat, Grenzen zu überschreiten, traut sich nicht mehr, sich zu bewegen. Behörden Spiegel: Braucht es eine Neuorganisation in Verwaltungen, damit die Digitalisierung erfolgreich gelingt?

Mitarbeitern in Verwaltungen?

Thoneick: Der Kern der Digitalisierung besteht tatsächlich aus neuen Formen der Zusammenarbeit. Doch dabei geht es längst Ihre Thesen für eine erfolgreiche Digitalisierung wird Rosa Thoneick auch am 12. nicht darum, nur digital November beim Kongress “Innovatives zu arbeiten. PräsenzManagement” in Lübeck vertreten. und Remote-Arbeiten werden künftig in hy­ Foto: BS/privat briden Formen ineinanThoneick: Verwaltungswis- der übergehen. Zudem gewinnt sen ist oft in Silos aufgeteilt. Ko-Kreation immer mehr an BeDas verhindert Bewegung, und deutung, also das gemeinschaftWissenstransfer. Um diese Silos liche Entwickeln, Erarbeiten und aufzubrechen, wäre es gut, die Entscheiden. Digitalisierung der Verwaltung Behörden Spiegel: Und wie mit interdisziplinären Teams umzusetzen. Diversen Teams fällt sieht Führung in diesem neuen es leichter, neue Ansätze für die Umfeld aus? komplexen Herausforderungen Thoneick: “Wer A sagt, muss unserer Zeit zu finden. In Digitalisierungsprojekten auch B sagen”, das ist nicht erlebt man auch häufiger, dass mehr zeitgemäß. Führungskräfte Daten teilweise parallel erhoben, sollten vielmehr nach der Devikaum ausgewertet und nicht se handeln, dass sie ihre Entmiteinander verknüpft werden. scheidungen angesichts neuer Interdisziplinäre Teams können Informationen neu überdenken. sich besser austauschen. So Dafür ist ein starkes Wertesystem lässt sich auch doppelte Arbeit unersetzlich. Die Corona-Krise vermeiden und blinde Flecken ist dafür das beste Beispiel: In werden entdeckt. den ersten Wochen haben wir erlebt, wie Politiker/-innen und Behörden Spiegel: Inwiefern Virolog(inn)en ihre Einschätverändert die Digitalisierung die zungen wöchentlich hinterfragt bisherige Zusammenarbeit zwi- und überdacht haben. Diese Art schen den Mitarbeiterinnen und von Leadership mag in manchen

Ohren unentschlossen klingen, ist angesichts der wachsenden Komplexität unserer Welt und disruptiver Veränderungsprozesse aber der beste Modus, um Verlässlichkeit herzustellen. Digitalisierung verlangt letztendlich nach neuen Konzepten für Führungskräfte. Sie müssen lernen, ermöglichend zu führen. Das heißt: Die Mitarbeiter/-innen stärken und zum Handeln befähigen. Behörden Spiegel: Was können Sie Verwaltungen noch mit auf den Weg geben, damit die Digitalisierung erfolgreich gelingt? Thoneick: Soll die Digitalisierung gelingen, müssen Abläufe, Prozesse und auch Tools immer wieder hinterfragt werden. Dienen sie wirklich einer Verbesserung und den Menschen? Oder digitalisieren wir um der Digitalisierung Willen?

(BS/gg) Die MACH AG will den Wachstumskurs des Unternehmens fortsetzen und verstärkt sich durch den auf SoftwareUnternehmen spezialisierten Investor Main Capital Partners. Die Gründerfamilie Müller-Ontjes bleibt aktiver Eigentümer. Main Capital Partners beteiligt sich mehrheitlich an MACH. Gründer und Geschäftsführung haben sich damit für einen der führenden Wachstumsinvestoren im Bereich Unternehmenssoftware in Nordwesteuropa entschieden. Main Capital investiert ausschließlich in Software-Unternehmen und bringt somit wertvolle Branchenerfahrung und Kontakte aus dem Technologiebereich mit. Der Investor hält allein im deutschsprachigen Raum gegenwärtig neun Beteiligungen an mittelständischen SoftwareUnternehmen. Überzeugt habe zudem der langfristig orientierte Investitionsansatz, der auf einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Gründern und dem Management-Team sowie der weiteren Eigenständigkeit von MACH basiere, teilte das Unternehmen mit.

Corona als Chance Schub für die Digitalisierung (BS) Ein massiver Wandel prägt dieses Jahr, denn Corona hat verändert, was bislang unveränderbar schien. Verwaltungen ermöglichten plötzlich Homeoffice und digitalisierten Prozesse im Eiltempo. Ein Digitalisierungsschub geht durch die öffentliche Verwaltung. Das Positive aus dieser besonderen Zeit festhalten und mitnehmen; den Fokus weg von der Krise hin zu den vielen Neuerungen und Fortschritten lenken – diese Ziele verfolgt der Kongress “Innovatives Management” am 12. November 2020 in Lübeck. Passend zum Thema und damit krisensicher ist auch das diesjährige Veranstaltungsformat: Erstmals erhalten die Teilnehmer die Möglichkeit, die Vorträge über einen Livestream online zu verfolgen, sich interaktiv in Diskussionen einzubringen oder am Pausen-Chat teilzunehmen Als Expertin für gesellschaftliche Themen eröffnet die bekannte Autorin Marina Weisband den Kongress. Deutschlands profiliertester Kenner von Krisen, Frank Roselieb, bringt seine Erkenntnisse ein. Vertreterinnen und Vertreter der Europäischen

Konferenz der Digitalisierungslabore treffen Expertinnen und Experten aus der Stadtforschung. Bürgermeister Andreas Brohm berichtet vom digitalen Rathaus in seiner Stadt Tangerhütte. Der Autor und Soziologe Prof. Dr. Jens Weidner setzt mit einer optimistischen Interpretation der Krise und ihrer Effekte die Schlusspointe. Durch das Programm wird ntv-Moderatorin Christiane Stein führen. Rolf Sahre, Vorstandsvorsitzender der MACH AG, erwartet einen intensiven Austausch zum Thema: “Öffentliche Ver-

waltungen haben in der Corona-Pandemie zielorientiert und selbstbewusst gehandelt, um bürgernahe Lösungen zu etablieren. Dabei sind ganz neue Formen der Zusammenarbeit entstanden – technisch und menschlich. Das kennzeichnet einen Wendepunkt! Jetzt gilt es, die Erfahrungen zu nutzen und die erkannten Lücken zu

schließen. Der Austausch ­unter Digitalisierungsexpert(inn)en soll auch als Inspiration für weitere Digitalisierungsschritte dienen.” Der Behörden Spiegel ist auch in diesem Jahr erneut Medienpartner des Kongresses in den Lübecker Media Docks, welcher auch erstmals als Livestream übertragen wird. Weitere Informationen zum Programm und eine kostenfreie Anmeldemöglichkeit sind auf der Veranstaltungsseite abrufbar: www.mach.de/ima .


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Digitale Transformation

Verwaltung von morgen

Wie schaffen dies kleinere und mittlere Kommunen?

Was die Verwaltung aus der Corona-Pandemie lernen kann

(BS/Wilfried Kruse*) In wenigen Wochen wird “e-nrw” 2020 in Neuss stattfinden. Digitalminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart wird den Kongress am 5. November erneut als Keynote-Speaker eröffnen und die NRWStrategie in der begonnenen dgitalen Dekade mit all ihren aktuellen und langfristigen Herausforderungen aufzeigen. Ex-Landes-CIO Hartmut Beuß hat zugesagt, nach Ablauf seiner Amtszeit über ein besonderes und persönliches Thema zu sprechen: “Was ich immer schon mal sagen wollte…”.

(BS/Theodoros Moutsokapas/Dr. Florian Theißing) Die deutsche Verwaltung zeigt seit Beginn der CoronaPandemie, wozu sie in der Lage ist, wenn die Situation es erfordert. Vieles, was sich im “Normalbetrieb” der Verwaltung eher zäh gestaltete, wurde wie selbstverständlich realisiert.

Die Themenpalette im Hauptprogramm und in den 14 KongressForen mit ihren ca. 60 Fachbeiträgen ist außerordentlich breit: So, wie die Herausforderungen, Chancen und Risiken der Digitalisierung sich überall in den öffentlichen Verwaltungen, für Mitarbeitende, Führende, Nachwuchskräfte und ihre Ausbildung in den Hochschulen, Personalvertretungen, aber auch z. B. für die Schulen auf Basis der neuen Logineo-Plattform stellen. Viele kleine und mittlere Kommunen in NRW stehen dabei vor der besonderen Aufgabe, mit mancherorts kaum vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen die Digitalisierung ihrer Verwaltung – quasi nebenbei und neben dem laufenden Tagesgeschäft – stemmen zu müssen. Ein drängendes Problem, weil der demografiebedingte Verlust an Know-how bevorsteht und die ausscheidenden Kollegen(inn)en mit ihren Erfahrungen und Expertisen nur schwer zu ersetzen sein werden.

Digitalvision 2025 Das Kommunale Rechenzen­ trum Minden-Ravensberg/Lippe, das “krz Lemgo”, hat das vor zwei Jahren mit seinen 40 Verbandskommunen erkannt, eine gemeinsame Digitalisierungsstrategie erarbeitet und eine “Digitalvision 2025” proklamiert. Mit einem gesamtkonzeptionellen Digitalansatz im Rahmen von besonderen “Entwicklungs- und Innovationsprojekten” werden gemeinschaftlich in eingerichteten

Facharbeitsgruppen Lösungen gesucht – z. B. zur vollständigen Umsetzung des OZGs Ende 2022 mit einem erarbeiteten OZG-Content, der die kommunale Relevanz der ca. 5.500 OZGEinzelleistungen gesondert für das gestufte Aufgabenmodell in NRW in einem dafür entwickelten Tool, dem OZG-Kompass, aufzeigt und für die Verbandskommunen umsetzbar macht.

All-in-Kompetenzcenter Mit solcherlei kooperativem Vorgehen werden konsequent konkrete Lösungen und Umsetzungen des OZGs vor allem für kleinere und mittlere Kommunen möglich gemacht, das krz Lemgo geht damit einen innovativen Weg, sich vom traditionellen Rechenzentrum zu einem “Allin-Kompetenzcenter” für seine Mitglieder zu entwickeln, das mit strategischer und operativer Beratung / Konzeptionierung zu allen relevanten Digitalisierungsfragen bis hin zu technischen Lösungen seine Mitglieder mit auf den gemeinsamen Weg zur Digitalvision 2025 nimmt. Weitere Projekte – eingebettet

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen 5. November 2020 Düsseldorf/Neuss www.e-nrw.info

in die Gesamtstrategie – komplettieren den gemeinsamen Weg: Wissensmanagement, DMS und Workflow-Strategien, G2BLösungen gemeinsam mit den Wirtschaftsförderungen, Digital Change und neue Tech-Projekte sind beispielhaft zu nennen.

DigiCheck@Kom Speziell für die kleineren und mittleren Verbandskommunen ist ein völlig neues Produkt kreiert worden, das in den zurückliegenden sechs Monaten von der kommunalen Zielgruppe stark nachgefragt ist: “DigiCheck@ Kom” benannt, integriert es die drei Ansätze Qualifizierung, Change Management und die technische Umsetzung aus einer Hand und mit unmittelbarem Praxisbezug vor Ort in und für die Kommunen. Lars Hoppmann, Geschäftsleiter des krz Lemgo, wird über solch beispielhaftes, gemeinsames Digital-Management, seine Grundlagen, konkrete Erfahrungen und Lösungen berichten. Gerade für kleinere und mittlere Kommunen ein hochinteressantes Feld, auch ein Weg, der für weitere kommunale IT-Dienstleister in NRW interessant sein dürfte. *Wilfried Kruse, Geschäftsführender Gesellschafter IVM², ist fachlicher Leiter und Moderator des Verwaltungskongresses “enrw”, den der Behörden Spiegel am 5. November in Neuss veranstaltet. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.enrw.info

Neuer Internetknoten gestartet Ruhr-CIX soll digitale Wirtschaft ankurbeln (BS/gg) Mit Ruhr-CIX (Ruhr-Commercial Internet Exchange) ist der erste Internetknoten Deutschlands gestartet, der durch den Zusammenschluss dreier regionaler Netzbetreiber und eines globalen Internetknotenbetreibers realisiert wurde. Über einen Hochgeschwindigkeitsring aus Glasfaser sind die Ruhrgebietsstädte Dortmund, Bochum und Gelsenkirchen zukünftig miteinander verbunden. Der technische Betrieb wird vom Frankfurter Internetknotenbetreiber DE-CIX sichergestellt. Harald Summa, Geschäftsführer von DE-CIX, erläutert die Bedeutung des regionalen Pilotprojekts für ganz Deutschland: “Mit dem regionalen Ansatz zahlt Ruhr-CIX auch auf das Projekt GAIA-X der Bundesregierung ein, dessen Ziel es ist, eine wettbewerbsfähige, sichere und vertrauenswürdige Cloud-Infrastruktur für Europa zu schaffen. Gaia-X hat einen starken infrastrukturellen Aspekt, insbesondere die Rolle des DE-CIX. Der Ruhr-CIX kann die Gaia-X Infrastruktur für das Ruhrgebiet perfekt ergänzen.”

Ruhr-CIX verbessert Internetqualität in der Region Durch die lokale Verteilung der Daten verbessert der neue Netzknoten die Internetqualität in der Region und trägt zum wirtschaftlichen Wachstum bei. Zudem fördert er die Nutzung digitaler Dienste für Unternehmen und Verwaltungen sowie digitale Ar-

beits- wie Freizeitangebote. Der Ruhr-CIX reduziert die Paketlaufzeit zwischen den angeschlossenen Internetunternehmen und führt zu einem stabileren Netz für Anwendungen wie Cloud Computing, VoIP-Verbindungen, Video, Gaming oder Streaming. Zudem soll der neue Internetknoten eine verbesserte Verbindung zu den wichtigen Internetunternehmen wie Google, Microsoft, Amazon, Akamai, Netflix oder Facebook aufbauen. “Durch den Ruhr-CIX erhöht sich die Stabilität und Flexibilität der regionalen Infrastruktur. Angeschlossene Unternehmen werden die Verbesserung der Internetstruktur deutlich spüren, allein schon durch die lokale Verteilung der Daten. Der Ruhr-CIX wird somit zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen. Durch die direkte Anbindung an DE-CIX ergibt sich zudem die Einbindung in ein globales digitales Ökosystem

Die Zeit von Kohle und Stahl im Ruhrgebiet ist in den letzten Jahren endgültig zu Ende gegangen. Um sich für die Zukunft zu rüsten, arbeiten die Städte jetzt zusammen an digitalen Innovationen. Foto: BS/herbert2512, pixabay.com

mit bedeutenden internationalen Playern”, erläutert Harald Summa, Geschäftsführer von DE-CIX.

Regionales digitales Ökosystem als Innovationstreiber Die Telekommunikationsdienstleister DOKOM21 aus Dortmund, die Gelsenkirchener GELSENNET und die Bochumer TMR möchten mit Ruhr-CIX die Bedeutung der Region für das Internet steigern und gemeinsam mit dem Betreiber DE-CIX den regionalen Internetknoten RuhrCIX in der Region etablieren. Ziele der Partner sind die Stärkung digitaler Wertschöpfung, der Ausbau der digitalen Infrastruktur und die Neuansiedlung von Internetunternehmen in der Me­ tropolregion Ruhr. “Mit dem Ruhr-CIX soll ein neues Ökosystem für digitale Wirtschaft entstehen”, sagt Jörg Figura, Ruhr-CIX-Sprecher und Mitbegründer und Geschäftsführer von DOKOM21. “Mit dieser Glasfaser- und Rechenzentrumsvernetzung über das gesamte Ruhrgebiet und durch die größten Glasfasernetz- und Rechenzentrumsbetreiber der Region befördern wir die Technik, das Angebot sowie die Erreichbarkeit der Dienstleistungen internationaler Technologie- und Medienkonzerne im größten Ballungsraum Deutschlands. Hierdurch werden die Digitalisierung und die Vernetzung der gesamten Metropole Ruhr für Unternehmen und Privatpersonen gesteigert”, betont er.

Schon vor der Corona-Krise wurde innerhalb der Verwaltung über einen Paradigmenwechsel des Verwaltungshandelns nachgedacht. In einer “VUCA-Welt”, so die Argumentation, sei die “traditionelle Bürokratie” immer weniger in der Lage, den gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. In diesem Kontext lassen sich viele Impulse aus der Krise auch für einen veränderten “Normalbetrieb” der Verwaltung nutzen. Dazu wollen wir einige Gedanken zur Diskussion stellen. Im Normalbetrieb der Verwaltung blieb die Einführung digital gestützter Arbeitsformen oft im Sumpf dienstrechtlicher Bedenken stecken. Die Krise hat diese Bedenken weggespült: Zehntausende Beschäftigte kooperierten von zu Hause aus im digitalen Raum. Flexible, digitale Arbeitsformen funktionieren also – trotz aller Probleme – auch im behördlichen Kontext! Ihnen muss aber auch eine moderne, digitale Infrastruktur zur Verfügung stehen. Auch die Verfügbarkeit staatlicher Leistungen bedeutete während der Eindämmungsmaßnahmen vor allem OnlineVerfügbarkeit. Und auch hier deckte die Krise gnadenlos die Schwächen auf: Zentrale staatliche Leistungen, die nicht online zur Verfügung standen, konnten nur unter Schwierigkeiten in Anspruch genommen werden. Es zeichnet sich bereits ab, dass diese Krisenerfahrungen die Dynamik der Verwaltungsdigitalisierung weiter verstärken. Im Normalbetrieb der Verwaltung sind viele Digitalisierungs-

im Normalbetrieb aus! Im Normalbetrieb der Verwaltung werden insbesondere föderale und resTheodoros Moutsokapas (oben) und Dr. Florian Thei­ sortübergreifende ßing unterstützen als Manager Vorhaben durch der Cassini Consulting AG die Konflikte zwischen Verwaltung in der digitalen den Akteuren beTransformation. Sie werden hindert. In der am 5. November 2020 auf dem Krise wurde aber Kongress “e-nrw” in Düsselauch das enorme dorf/Neuss in verschiedenen Potenzial des FöFachforen aktiv die innovative deralismus für inGestaltung der Verwaltung novative Problembehandeln. lösungen sichtbar: Man erprobte Fotos: BS/Cassini unterschiedliche Lösungsansätze und einigte sich dann auf einen gemeinsamen projekte durch defensive Feh- Ansatz – mit vermutlich beslervermeidung gekennzeichnet. seren Resultaten als bei einem Die Krise erzwang einen anderen zentralisierten Vorgehen. Dieses Handlungsmodus, etwa bei den Potenzial des Föderalismus als Soforthilfen für Selbstständige: Labor für Innovation sollte auch Man strebte keine 100-prozenti- im Normalbetrieb stärker zum ge Lösung an, sondern konzen­ Tragen kommen. Dafür müssen trierte sich auf die große Masse sich die Beteiligten aber als Koder Fälle. Es wurde schnell mit operationspartner verstehen und der Umsetzung begonnen und nicht als Konkurrenten. das Vorgehen unterwegs laufend angepasst. Damit setzte die Ver- Aus der Krise lernen waltung geradezu lehrbuchmäßig Angesichts eines rasanten geein agiles Vorgehen um, das vor- sellschaftlichen Wandels muss her oft als unvereinbar mit den die öffentliche Verwaltung lernVerwaltungsregularien galt. Die fähig sein, agil handeln und Diskussion um die Corona-Warn- zielgerichtet kooperieren. Die App verdeutlichte zudem, dass Verwaltung hat in der aktuellen Schnelligkeit in der Umsetzung Krise bewiesen, dass sie dazu durchaus vereinbar ist mit der in der Lage ist. Es kommt nun sorgfältigen Abwägung von Risi- darauf an, Lernfähigkeit, Agilität ken und Alternativen. Hoffent- und Kooperationsvermögen nicht lich strahlt diese neu gewonnene nur im Angesicht der Krise zu Agilität auch auf die Verwaltung beweisen.


Informationstechnologie

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Behörden Spiegel / Oktober 2020

Digitale Souveränität als Staatsaufgabe

Digitale Souveränität auf allen Ebenen

ÖFIT legt Whitepaper für strategische Autonomie im IT-Bereich vor

Auch Kommunen müssen unabhängig aufgestellt sein

(BS/pet) Durch die zunehmende Digitalisierung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erstreckt sich die Frage staatlicher Handlungsmacht mehr und mehr auch auf den Bereich von Technik und IT. In einem kürzlich erschienenen Whitepaper erörtern Autoren des Kompetenzzentrums Öffentliche IT (ÖFIT), warum digitale Souveränität kein bloßer Modebegriff, sondern eine Staatsaufgabe ist. Digitale Souveränität zählt zu den politischen Schlagworten der Gegenwart. Doch trägt der teils inflationäre Gebrauch nicht zwingend zur Verständlichkeit des Begriffes bei. In einem jüngst veröffentlichten Whitepaper erörtert ÖFIT, was unter digitaler Souveränität zu verstehen ist und weshalb sie für den Erhalt staatlicher Leistungen von höchster Priorität ist. Dabei begreife man digitale Souveränität nicht als absoluten Zustand, sondern als “facettenreiche strategische Autonomie”, die gegenseitige Abhängigkeiten bewusst mache und dadurch zu steuern versuche, so die Autoren des Whitepapers, das durch das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) und durch das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS gefördert wird.

Sechs Handlungsempfehlungen Auf Grundlage ihrer Beobachtungen kommen die Autoren zu sechs Handlungsempfehlungen, die dazu beitragen sollen, staatliche Souveränität im Digitalen zu erhöhen. Zunächst müsse man Abhängigkeiten systematisch identifizieren und verstehen lernen. Das erfordere eine kritische

(BS/wim) Seit einiger Zeit hat der Begriff “digitale Souveränität” in der Diskussion um die Digitalisierung des Staates und die dazugehörigen Folgen Hochkonjunktur. Nicht nur analog, sondern auch digital souverän zu handeln, ist aber nicht nur für den Bund essenziell, sondern auch für Kommunen grundlegend. Aktuell gibt es hier jedoch noch große Abhängigkeiten, beispielsweise durch Software-Systeme, die nicht flexibel anzupassen sind oder nur durch einen bestimmten Hersteller bereitgestellt werden. Die öffentliche Verwaltung von ßes Gewicht legen die Verfasser einzelnen Herstellern und Systemen unabhängiger zu machen, ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, auch zudem auf eine strategische Part- im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft in der EU. nerschaft mit den europäischen Nachbarstaaten. Dabei könne sich die Ressourcenausstattung der EU als entscheidender Hebel erweisen, um den strategischen Spielraum – beispielsweise bei der Vertragsgestaltung mit Anbietern der Privatwirtschaft – für digitale Autonomiebestrebungen zu erweitern.

Souveränität: kein Zustand, sondern ein Prozess

Statt Digitalisierung in Eigenregie betreiben zu wollen, geht es nach ÖFIT bei strategischer Autonomie darum, sogenannte Schmerzpunkte zu identifizieren: Vulnerabilitäten mit potenziell negativen Folgewirkungen technischer und rechtlicher Natur. Foto: BS/whitesession, pixabay.com

Bestandsaufnahme aller Prozessschritte sowie der eingesetzten Technologie-Bündel. Vorgeschlagen wird ferner ein differenziertes Abhängigkeitsmanagement, das den jeweiligen Abhängigkeitsgrad einer Technologie bestimme und gegebenenfalls durch institutionelle Arrangements einhege. Gro-

Wichtig sei es, digitale Souveränität als Prozess zu begreifen, der sich nicht einmal herstellen lasse, sondern unter Berücksichtigung wechselnder Konstellationen in Politik und Wirtschaft fortlaufend überprüft werden müsse. Als Querschnittsthema, das in unterschiedliche Bereiche und Politikfelder hineinwirke, müsse bei der strategischen Autonomie ein kooperatives Handeln aller involvierten Ressorts im Mittelpunkt stehen. Last but not least: Da zahlreiche Produkte und Dienstleistungen der öffentlichen IT auf externe Zuarbeit angewiesen seien, empfiehlt das Whitepaper schließlich Aufbau und Stärkung eigener Kompetenzen, beispielsweise bei der Systemintegration oder -wartung.

Als klare Leitlinie gilt: Souverän ist, wer selbstbestimmt handelt. Aber was bedeutet eine solche Souveränität in einer zunehmend digitalen Welt? Aktuell schränken technologische Abhängigkeiten die Handlungsfreiheit teilweise spürbar ein. Das wurde in den letzten Monaten besonders offensichtlich, in denen es flexible Systeme und Möglichkeiten gebraucht hätte. Technische Systeme, die nicht zusammenpassen, verhindern einen schnellen Informationsfluss. Nur eine bestimmte Software nutzen zu können, begrenzt die Möglichkeiten. Um das Thema “Digitale Souveränität” näher für die kommunale Ebene zu beleuchten, haben der Deutsche Städtetag und die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) eine gemeinsame Initiative gestartet. Neben einer politisch-strategischen Ausrichtung soll die Initiative in Handlungshilfen münden, die das kommunale Management dabei unterstützen, zu mehr digitaler Souveränität in der kommunalen Praxis zu gelangen. Dabei ist für Dr. Klaus Effing, Vorstand der KGSt, vor allem der Einsatz

Nicht nur in Bund und Ländern braucht es eine digitale Souveränität, sondern auch in Kommunen jeder Größe. Um diese in Planung und Umsetzung zu unterstützen, haben Städtetag und KGSt eine neue Initiative gestartet. Foto: BS/fbhk, pixabay.com

von Open-Source-Anwendungen: “ein wichtiger Baustein für mehr digitale Souveränität der Kommunen. Wir werden gemeinsam mit unseren Mitgliedern konkrete Hinweise für die Forcierung von Open-Source-Strategien und deren sukzessive Umsetzung erarbeiten und gute kommunale Beispiele vorstellen”, verspricht Effing.

Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, will das Thema in die Umsetzung bringen und aus den Fachkreisen herauslösen: “Digitalisierung betrifft uns alle. Aber sie wird oft technisch diskutiert und häufig auch ausschließlich in Fachkreisen. Uns ist wichtig, den Begriff digitale Souveränität politisch zu übersetzen. Wir wollen Position beziehen zu technologischen Abhängigkeiten. Und wir wollen mit unserer gemeinsamen Initiative Antworten finden auf diese Fragen: Was verstehen wir in den Kommunen unter digitaler Souveränität? Welches politische Leitbild ergibt sich daraus für die Städte und ihr selbstbestimmtes Handeln?” Mit diesen Antworten wollen die beiden Häuser die zwei Stränge “Politisches Leitbild” und “Operative Umsetzung” zusammenbringen. Wichtig sei vor allem die Zusammenarbeit, denn zu mehr digitaler Souveränität komme man nur dann, wenn kommunale Kräfte gebündelt werden. In diesem Sinne hat sich die Initiative vorgenommen, in den nächsten Monaten in zwei Projektsträngen die beschriebenen Fragen zu erörtern.

Autonome Verwaltungsverfahren

Lehren aus der Corona-Krise

Optionen im Fördermittelmanagement

Bitkom präsentiert Vorschläge für den digitalen Staat

(BS/Kai Sattler/Stephan Göttlicher) Der demografische Wandel wird den öffentlichen Sektor mit voller Wucht (BS/gg) Vor dem Hintergrund der bislang gesammelten Erfahrungen im Zuge der Corona-Pandemie hat der treffen – allein in der Bundesverwaltung gehen in den nächsten zehn Jahren mehr als 25 Prozent der Beschäf- Bitkom ein Papier mit der Überschrift “In zehn Schritten zum digitalen Staat” vorgelegt, um den digitalen tigten in den Ruhestand. Damit einhergehen sollte eine konsequente Digitalisierung und Automatisierung Wandel zu verstetigen und nachhaltig zu gestalten. des Arbeitsplatzes. Unkreative Tätigkeiten werden in Zukunft von Maschinen erledigt. Die Attraktivität des Staatsdienstes dürfte dadurch nur weiter steigen. Dieser Zehn-Punkte-Plan um4. Öffentliche Beschaffung rung und Weiterentwicklung in der Diskussion befindliche Harmonisierung und Modernisierung der ReKai Sattler ist Senior Solution Consultant Public Sector bei gisterlandschaft der PASS Consulting Group. voranschreitet. Foto: BS/PASS Consulting Group Gleichzeitig profitiert sie von einer Datengrundlage, die eindeutig und über standarisierte Schnittstellen Technologische Ansätze Von dieser Kapselung profitieren abrufbar ist. Noch nie war die Technologisch stehen hierfür die Analyse, die Testung und Notwendigkeit, dass die öffentzahlreiche Möglichkeiten zur Ver- die spätere Weiterentwicklung liche Verwaltung den “Pfad der fügung. 2015 wurde mit dem genauso wie die eigentliche Im- Automatisierung” beschreitet, “Decision Modell and Notation” plementierung, etwa im Zuge so groß wie heute: Der demo(DMN) ein internationaler Stan- modellgetriebener Softwareent- grafische Wandel zwingt zu einer Neubewertung und die technodard zur Modellierung und Aus- wicklung. führung von Entscheidungen etalogischen Möglichkeiten bieten bliert. DMN ergänzt die bekannte Optionen im bestmögliche Voraussetzungen. ­Fördermittelmanagement Business Process Model and NoMit der Abbildung von Entscheitation 2.0 und fokussiert konseDie Verwaltung öffentlicher dungslogik unter Nutzung des quent den soziologisch geprägten Fördermittel erfordert eine Viel- DMN-Standards könnte zudem Prozess der Anforderungsanalyse zahl von Prozessen und Regeln ein Feld für den Einsatz von und die Konzeption der Entschei- im Zusammenspiel von Förder- Maschine Learning (ML) in der dungsprozesse. DMN ermöglicht mittelgeber und Antragsteller. öffentlichen Verwaltung geöffnet eine getrennte Betrachtung der Gleichzeitig sind in vielen Be- werden. Die beim DMN eingeAnforderungs- und Implemen- reichen die Voraussetzungen setzten Methoden zur Abbildung tierungsebene. Auf der Anfor- für eine konsequente Digitali- der Input-Output-Beziehungen derungsebene wird analysiert, sierung durchaus schon vor- innerhalb der Entscheidung wie eine Entscheidung getroffen handen, die Entscheidungslogik könnten mittels ML-Methoden wird. Abgebildet wird dies unter im Ansatz digitalisiert: Neben implementiert werden. Die SachEinbindung der Fachebene “aus Gesetzen und Verordnungen bearbeitung muss die Ergebnisse der Vogelperspektive” in Decis- stehen Anwendungscode aus der Entscheidungen dann nur ion-Requirements-Diagrammen Fachverfahren, Dienstanwei- noch überwachen. (DRD). Anschließend wird die sungen usw. zur Verfügung. InsLetzteres wird auch in ferneEntscheidungslogik definiert besondere eine Prüfung formaler rer Zukunft nötig bleiben. Eiund in Tabellen festgehalten. Fördervoraussetzungen (KMU- ne dauerhafte Akzeptanz kann Eigenschaft, De- Automatisierung nur erfahren, minimis-Prüfung) wenn bspw. strukturelle Benachkönnten bereits teiligungen von Antragstellern heute vergleichs- verhindert werden. Beim Design weise problemlos, der Prozessautomatisierung ist weil eindeutig daher unbedingt darauf zu achStephan Göttlicher ist Business Development Manager Public durch Prüfregeln ten, dass die Algorithmen QuaSector des Unternehmens. abbildbar, auto- litätsstandards erfüllen. Diese matisiert werden. Standards sollte sich jede Or Foto: BS/PASS Consulting Group Diese Prüfung ist ganisation selber erarbeiten und dann umso ef- deren Einhaltung bei der Entfektiver, je weiter wicklung von neuen Systemen die seit Jahren konsequent einfordern.

Ein zentrales Element wird dabei die Automatisierung von Geschäftsprozessen sein – im Versicherungs- und Bankenumfeld bekannt als “Dunkelverarbeitung”. Dabei geht es um mehr als die reine Entlastung von Routinetätigkeiten – Verwaltungsentscheidungen sollen in Zukunft durch ein IT-System getroffen werden, welches zuvor alle relevanten Parameter abfragt.

fasst folgende Vorschläge: 1. Verwaltung konzertiert modernisieren Die Modernisierung der Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen muss konzertiert erfolgen. Dieser Prozess sollte den Leitprinzipien “digital zuerst” und “nutzerzentriert” untergeordnet werden. Das Onlinezugangsgesetz zur Digitalisierung aller 575 Verwaltungsdienstleistungen muss wie avisiert bis 2022 umgesetzt werden. 2. Digitale Demokratie ermöglichen Parlamente müssen auch in Krisenzeiten voll beschlussfähig bleiben. Daher sollten die rechtlichen Grundlagen für volldigitalisierte Abstimmungen geschaffen werden. In Parteien sollten Satzungen so weiterentwickelt werden, dass Wahl- und Nominierungsverfahren sowie weitere Abstimmungsverfahren online durchgeführt werden können. Die Sicherheit elektronischer Abstimmungen muss dabei an erster Stelle stehen. 3. Rahmenbedingungen für Smart Cities und Smart Regions schaffen Deutschland benötigt als Smart Country eine erstklassige In­ frastruktur. Zur Förderung einer bestmöglichen öffentlichen Daseinsvorsorge sollte ein bundesweites Kompetenzzentrum eingerichtet werden, das sich an digitale Städte und Regionen richtet. Überschuldeten Kommunen sollte ein Schuldenschnitt angeboten werden – unter der Bedingung, dass der gewonnene finanzielle Spielraum für die Digitalisierung genutzt wird. Zudem muss Deutschland stärker in die Netzinfrastruktur von Städten und Gemeinden investieren und smarte Mobilitätsökosysteme zum festen Bestandteil öffentlicher Infrastruktur machen.

digitalisieren Für einen starken digitalen Staat braucht es einen Endezu-Ende-digitalisierten Beschaffungsprozess, von der Ausschreibung über die Angebotsvergabe bis zur elektronischen Rechnungsstellung unter Nutzung von E-Vergabeplattformen. 5. Digitale Infrastruktur ausbauen Der digitale Staat muss Investitionen für einen Infrastruktur-Boost mobilisieren und die Rahmenbedingungen für den Ausbau der Kommunikationsnetze verbessern. Der Ausbau sollte beschleunigt und entbürokratisiert werden, etwa durch vereinfachte Genehmigungsverfahren, Offenheit für innovative Verlegemethoden und die Bereitstellung öffentlicher Liegenschaften für den Mobilfunkausbau. 6. Den Staat als attraktiven Arbeitgeber weiterentwickeln Im Wettbewerb um IT-Fachkräfte muss der Staat als Arbeitgeber attraktiver werden und die Durchlässigkeit zwischen Privatwirtschaft und Öffentlichem Dienst erleichtern, etwa indem ein unbürokratischer Quereinstieg ermöglicht wird. Neben der Modernisierung von Technologien und Prozessen ist auch ein Wandel in der Organisationsstruktur und -kultur erforderlich. Der Staat sollte seinen Beschäftigten flächendeckend Telearbeit ermöglichen – sowohl mit Blick auf die Ausstattung als auch hinsichtlich der Arbeitsprozesse. 7. Open Government Data nutzbar machen Der Staat muss Open Data verstärkt bereitstellen und breit nutzbar machen. Ein offener Umgang mit Daten wird zunehmend zum Wettbewerbsfaktor, etwa mit Blick auf die Etablie-

von Schlüsseltechnologien wie Blockchain und Künstlicher Intelligenz. Schnittstellen sollten standardisiert und geöffnet werden, um eine Bereitstellung von Open Government Data über offene Datenformate zu ermöglichen. 8. Ebenenübergreifende Zusammenarbeit stärken Um Medienbrüche bei der Kommunikation staatlicher Stellen zu vermeiden, sollten technische Standards geschaffen werden. Dafür sollte ein IT-ArchitekturBoard eingerichtet werden, das die gemeinsame Vernetzung und Entwicklung vorantreibt. 9. Sichere digitale Identifizierung ermöglichen Sichere digitale Authentifizierungs- und Identifizierungswege sind Grundlage für eine effektive Digitalisierung unseres Staates und verhindern erfolgreiche Angriffe. Sorgen bzgl. Sicherheit und Datenschutz digitaler Identitätslösungen müssen ernst genommen und adressiert werden. Moderne Verschlüsselungstechnologie erlaubt die Umsetzung eines digitalen Authentifizierungsstandards in vollständiger Anonymität. 10. IT-Sicherheit als Grundlage der Verwaltungsdigitalisierung vorantreiben Deutschland und Europa sollten Vorreiter in den Schlüsseltechnologien Quantencomputer, Quantenkryptografie und Postquantenkryptografie werden. Im Sinne der digitalen Souveränität sollte für sicherheitskritische Anwendungen ähnlich wie in den USA ein möglichst zeitnaher Umstieg auf Quantencomputerresistente Verfahren angestrebt werden. Das vollständige Papier steht auf der Homepage des Bitkom zur Verfügung.


Behörden Spiegel / Oktober 2020

Informationstechnologie

Seite 39

Individuelle Orientierung im Ausländeramt

EU-Kommission will gemeinsames 5G-Konzept

Kölner Behörde bietet barrierefreie Indoor-Navigation

Neue Empfehlung an Mitgliedsstaaten herausgegeben

(BS/Harald Gellhaus/Dr. Ilja Radusch/Natascha Stadtler*) Ob zu Fuß, auf dem Rad oder im Auto, die Navigation mit einer Smartphone-App gehört für die meisten zum Alltag. Leider endet die digitale Assistenz beim Eintritt in ein Gebäude, da das GPS-Signal in Innenräumen nicht empfangen werden kann und stellenweise mit Abweichungen von mehreren Metern viel zu unpräzise ist.

(BS/wim) Wie von Präsidentin von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union angekündigt, hat die Europäische Kommission zur Stärkung der europäischen digitalen Souveränität eine Empfehlung an alle Mitgliedsstaaten herausgegeben, in der sie diese auffordert, verstärkt in Infrastrukturen für Breitbandverbindungen mit sehr hoher Kapazität, darunter auch 5G-Netze, zu investieren. Diese extrem schnellen Netze, die zudem einen hohen Datendurchsatz möglich machen, sieht die Kommission als den “wichtigsten Baustein für den digitalen Wandel und eine wesentliche Säule für die wirtschaftliche Erholung”.

Bei der Veranstaltung “KölnDigital” im Jahr 2018 hat die Stadtspitze im historischen Rathaus in Köln eine kleine Teststrecke der hochgenauen Indoor-Navigation everGuide vom Fraunhofer-Institut FOKUS kennengelernt und war so begeistert, dass ein Pilotprojekt ins Leben gerufen wurde. Köln gehört im Bereich Digitalisierung zu den Vorreiter-Städten in Deutschland. Die Dom-Me­ tropole zählt beispielsweise zu einer der neun Modellkommunen OpenGovernment des Bundes (Bundesinnenministerium) und zur Pilotkommune OpenGovernment des Landes NRW. 2012 hat sie als erste deutsche Großstadt eine digitale Agenda unter dem Titel “Internetstadt Köln, Ziele – Strukturen – Zusammenarbeit – Unterstützung” verabschiedet. Nach einigen Vorplanungen wurde das Gebäude des Ausländeramtes der Stadt Köln ausgewählt. Die verwinkelte bauliche Struktur und die Gebäudegröße bieten gute Rahmenbedingungen für eine Navigation. Sie erleichtert den Kundinnen und Kunden des Ausländeramtes die räumliche Orientierung bei der Erledigung notwendiger Behördengänge. Im Frühjahr 2019 begannen die ersten Vermessungsarbeiten vor Ort. Das Forscherteam setzte dafür einen selbst entwickelten Scan-Roboter ein. Ferngesteuert fuhr er durch die Gänge des Amtes und erstellte mithilfe von zwei Kameras und einem Laserscanner in kurzer Zeit zentimetergenaue digitale Karten. Nach umfangreichen Verfeinerungsarbeiten an den Android- und iOSApps startete im März 2020 der offizielle zweijährige Pilotbetrieb für die Öffentlichkeit.

Verschiedene Datenquellen für hohe Genauigkeit Ist die kostenlose App heruntergeladen, kann die Navigation ab Betreten des Gebäudes gestartet werden. Innerhalb des Gebäudes erkennt die App über die Frontkamera des Smartphones und an der Decke angebrachte Marker die jeweilige Position. Auf dem Smartphone erscheint zunächst eine Übersichtskarte, in die der gewünschte Raum als Ziel eingegeben werden kann. Neben

Die zügige Einführung von 5GNetzen werde als “entscheidender Trumpf für die Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit Europas” in der näheren Zukunft große wirtschaftliche Möglichkeiten für die Mitgliedsstaaten und ihre Wirtschaftsakteure eröffnen.

Hochleistungstechnik für Europa

Nicht nur Büros können über die Suche der Navigationsapp gesucht und gefunden werden, sondern auch weitere Ziele wie beispielsweise Toiletten, Aufzüge oder der Ausgang des Gebäudes. Foto: BS/Stadt Köln, Fraunhofer FOKUS

Büroräumen können auch definierte Points of Interest (POI) wie zum Beispiel Aufzüge, sanitäre Anlagen und die Ausgänge ausgewählt und angesteuert werden. Wie bei der Navigation für die Straße wird die Route angezeigt und die Person zusätzlich mit akustischen Ansagen geführt. Die Sprachausgabe erfolgt aktuell in Deutsch und demnächst auch in englischer und französischer Sprache. Besucherinnen und Besucher im Rollstuhl können angeben, dass sie einen Weg ohne Treppen wünschen. Sehbehinderten Personen steht zusätzlich ein kontrastreicher Pfeil in der Anzeige zur Verfügung. Blinde Menschen haben die Möglichkeit, sich mit einem akustischen Kompass leiten zu lassen. Dieser gibt bei der falschen Richtung ein Klicken von sich, das immer schneller wird, je weiter man vom richtigen Weg abkommt. Die Indoor-Navigation ergänzt so die analogen Maßnahmen, wie farbliche Markierungen und Beschilderungen, für einen barrierefreien Zugang zum Ausländeramt. Um bei der Indoor-Navigation eine sehr hohe Genauigkeit zu erzielen, nutzt das FraunhoferForschungsteam verschiedene Datenquellen gleichzeitig. Beschleunigungs- und Drehratensensoren in Smartphones werden zur Lagebestimmung eingesetzt. Sie erfassen die Ab- und Zunah-

me der Geschwindigkeit sowie die Lageveränderung des Geräts. Verwendet wird zudem der Magnetfeldsensor im Smartphone. Das everGuide-System funktioniert ohne permanente InternetVerbindung auf jedem modernen Smartphone. Alle verwendeten Daten werden nur lokal auf dem Smartphone verarbeitet, die Privatsphäre bleibt somit gewahrt. Der Pilotcharakter bietet der Stadt Köln eine sehr gute Möglichkeit, die Navigation zusammen mit dem Fraunhofer-Institut FOKUS beständig an die Anforderungen vor Ort anzupassen und so die Nutzbarkeit zu verbessern. Während des Pilotzeitraumes wird die Stadt Köln über eine eventuelle Erweiterung und einen langfristigen Einsatz entscheiden. Weitere Informationen finden sich auf der Internetseite der Stadt Köln, https://www.stadt-koeln. de/leben-in-koeln/internetstadtkoeln/barrierefreie-indoor-navi gation, und auf der Internetseite des Fraunhofer-Instituts FOKUS: https://www.fokus.fraunhofer. de/go/indoor-navigation . *Harald Gellhaus und Natascha Stadtler, Projektleitung und Mitarbeitende der Stabsstelle Digitalisierung der Stadt Köln; Dr. Ilja Radusch, Leiter des Geschäftsbereichs Smart Mobility am Fraunhofer-Institut FOKUS

In enger Verknüpfung mit der Aufforderung zum Invest in schnelle Netze hat die Kommission zudem eine neue Verordnung über das Gemeinsame Unternehmen für europäisches Hochleistungsrechnen vorgeschlagen, damit Europa seine führende Rolle in der Hochleistungsrechentechnik behaupten und ausbauen könne. Zudem solle damit die Digitalstrategie der Union in allen Bereichen untermauert und die globale Wettbewerbsfähigkeit der Union gesichert werden. Für die Exekutiv-Vizepräsidentin für ein Europa für das digitale Zeitalter, Margrethe Vestager, bildet eine dichte Infrastruktur für Breitband und 5G “die

Grundlage für den ökologischen und digitalen Wandel der Wirtschaft, unabhängig davon, ob es um Verkehr und Energie, Gesundheit und Bildung oder Fertigung und Landwirtschaft geht. Wir haben in der aktuellen Krise gesehen, wie wichtig es ist, dass Unternehmen, öffentliche Dienste sowie die Bürgerinnen und Bürger Zugang zu sehr schnellem Internet haben, dass aber auch der 5G-Ausbau beschleunigt werden muss. Wir müssen daher zusammenarbeiten, damit diese Netze nun ohne weitere Verzögerungen rasch ausgebaut werden.”

Drei Säulen der Strategie Konkret fordert die Kommission die Mitgliedsstaaten im Rahmen der Empfehlungen auf, bis zum 30. März 2021 ein gemeinsames Konzept in Form eines Instrumentariums bewährter Verfahren für den zügigen Ausbau von Fest- und Mobilfunknetzen mit sehr hoher Kapazität, einschließlich 5G-Netzen, zu entwickeln. Diese Maßnahmen sollen

im Speziellen auf drei Themen ausgerichtet sein: Die Senkung der Kosten und Beschleunigung des Aufbaus von Netzen mit sehr hoher Kapazität, insbesondere durch Beseitigung unnötiger administrativer Hürden, die zügige Gewährung des Zugangs zu 5GFunkfrequenzen und Förderung von Investitionen der Betreiber in den Ausbau ihrer Netzinfrastrukturen und abschließend eine stärkere grenzübergreifende Koordinierung der Frequenzzuteilungen zur Unterstützung innovativer 5G-Dienste, insbesondere in Industrie und Verkehr. Neben dem Fokus auf dem Aufbau der Infrastrukturen müssen die Netze zudem so sicher und resilient wie möglich sein, so die Kommission. Die Mitgliedsstaaten haben zusammen mit der Kommission und der EU-Cybersicherheitsagentur (ENISA) ein Instrumentarium ausgearbeitet, das mit Maßnahmen und Plänen der wirksamen Minderung der Risiken für 5G-Netze dienen soll. Im Juli wurde ein Fortschrittsbericht veröffentlicht.

Digitalisierung für den Klimaschutz Technologien bieten enormes Potenzial für Effizienzsteigerungen (BS/Kilian Recht) Digitale Technologien können eine positive Wirkung auf die Klimabilanz haben. Zumindest sind 56 Prozent der Deutschen laut einer neuen Umfrage von eco – Verband der Internetwirtschaft e. V. dieser Meinung. Den Befragten zufolge liegen die größten Klimaschutzpotenziale in den Bereichen Mobilität (32,8 Prozent), Industrie 4.0 (20,5 Prozent) und Arbeiten im Homeoffice (17,3 Prozent). Oliver Süme, eco-Vorstandsvorsitzender, zu den Ergebnissen: “Die Digitalisierung hält enorme Lösungspotenziale für mehr Energie- und Ressourceneffizienz bereit. Die Politik sollte daher gemeinsam mit der Internetwirtschaft Konzepte und Strategien für digitalen Klimaschutz entwickeln. Mithilfe energieeffizienter und vernetzter Maschinen, Telematik und Mobilitätskonzepten sowie smarten Tools fürs Homeoffice und -schooling kann die Internetwirtschaft einen entscheidenden Schritt zu mehr Nachhaltigkeit beitragen.” Den Einfluss digitaler Infrastrukturen auf eine verbesserte

Klimabilanz erkannten lediglich 7,7 Prozent der Befragten. “Viele Menschen haben das Potenzial und die Notwendigkeit digitaler Infrastrukturen noch nicht erkannt, obwohl diese das Rückgrat der Digitalisierung” bildeten, so Dr. Béla Waldhauser, Sprecher der unter dem Dach des ecoVerbands gegründeten Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen in Deutschland. Hinsichtlich der von Bundesumweltministerin Svenja Schulze vorgestellten Pläne für mehr Energie- und Ressourceneffizienz digitaler Infrastrukturen warnt Waldhauser davor, die darin enthaltenen Potenziale nicht

ausreichend in energiepolitische Konzepte miteinzubeziehen. So würden Rechenzentren zwar Energie verbrauchen, man müsse aber auch die enormen Einsparpotenziale digitaler Dienste miteinbeziehen. Für einen flächendenkenden klimaneutralen Betrieb von Rechenzentren in Europa bis 2030 müsse vor allem die Energiewende in Deutschland beschleunigt werden. Die Betreiber der Infrastrukturen setzten sich laut Waldhauser seit Jahren für mehr Nachhaltigkeit ein, wodurch deutsche Rechenzentren im internationalen Vergleich bereits heute zu den energieeffizientesten zählten.


IT-Sicherheit

Seite 40

B

ehörden Spiegel: Im Sommer ist die Agentur für Innovation in der Cyber-Sicherheit offiziell als GmbH gegründet worden. Die Initiative ging gemeinsam vom Bundesinnenministerium (BMI) und dem Bundesverteidigungsministerium (BMVg) aus. Wie ist die Beteiligung des Bundes nun organisiert? Prof. Dr. Igel: Die Bundesrepublik ist alleinige Gesellschafterin der Cyberagentur. Die Wahrnehmung der Rechte der Gesellschafterin wurde an die Beteiligungsführung im BMVg übertragen. Diese koordiniert zentral die Abstimmung zwischen BMI und BMVg. Ansonsten verfügt die die Cyberagentur wie jede andere Inhouse-Gesellschaft des Bundes über eine Geschäftsführung und als Besonderheit über einen fakultativen Aufsichtsrat. Zusätzlich haben wir auch noch einen Beirat, der demnächst berufen werden wird und die Geschäftsführung in inhaltlichen und wissenschaftlichen Fragen berät. Behörden Spiegel: Welche Vorteile versprechen Sie sich von der Organisationsform GmbH? Prof. Dr. Igel: Als GmbH haben wir grundsätzlich relativ schlanke Prozesse und die Möglichkeit, Dinge sehr schnell und agil zu gestalten. Das ist grade in der Anfangsphase enorm wichtig, in der wir quasi als Start-up agieren, wenn sie so wollen, und schnell in der Lage sein müssen, unser Kerngeschäft aufzubauen. Das sind Chancen, die wir so mit einem anderen Organisationsmodell nicht hätten. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit, bei der Bewilligung von Ausnahmen vom Verbot der Besserstellung durch das Bundesministerium der Finanzen marktorientierte Gehälter zu zahlen und Personal auch abseits der in Behörden üblichen Modelle gewinnen zu können. Behörden Spiegel: Für die Agentur sind zunächst 100 Stellen vorgesehen. Bis wann wollen Sie die besetzt haben?

Prof. Dr. Igel: Neben den zwei Geschäftsführern, Frank Michael Weber für den kaufmännischen und administrativen Teil und mich für die Bereiche Forschung, Entwicklung und Strategie, ist seit Anfang September ein weiterer Mitarbeiter für die Agentur tätig. Jetzt, Anfang Oktober, werden die nächsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Tätigkeit aufnehmen. Wenn ich zuversichtlich nach vorne schaue, würde ich prognostizieren, dass

Impulse für die Cyber-Sicherheit Cyberagentur fördert Forschung im Auftrag des Bundes

mit Fördervolumen, die in Ländern wie USA, China oder Israel in dem Themengebiet aufgebracht werden, wirken 282,5 Millionen Euro bescheiden. Werden Sie damit etwas bewegen können?

(BS) Die Agentur für Innovation in der Cyber-Sicherheit (kurz Cyberagentur) soll Trends und innovative Entwicklungen im Bereich der CyberSicherheit identifizieren und konkrete Forschungsvorhaben beauftragen und fördern. Nach der Gründung der GmbH sprach Benjamin Stiebel mit Prof. Dr. Igel: Die Diskussion einem der zwei Geschäftsführer, dem Forschungsdirektor Prof. Dr. Christoph Igel, über den Aufbau der Agentur, Herausforderungen im Forschungs- um die Höhe des Budgets und ob wir damit im internationamanagement und Perspektiven für die digitale Souveränität Deutschlands. wir in sechs Monaten etwa 15 Stellen besetzen können. Der weitere Aufwuchs wird sich dann sicherlich über den Zeitraum 2021 bis 2022 hinziehen. Wir reden hier über die Gewinnung von Personal mit besonderen Kompetenzen und Fähigkeiten. Das ist nicht nur eine Frage von Gehalt, sondern auch eine Frage von Kultur, von Arbeitsmodellen und wie attraktiv wir am Ende des Tages als Arbeitgeber am Markt agieren können.

“Als GmbH haben wir grundsätzlich relativ schlanke Prozesse und die Möglichkeit, Dinge sehr schnell und agil zu gestalten.” Prof. Dr. Christoph Igel ist Forschungsdirektor und Geschäftsführer der Agentur für Innovation in der Cyber-Sicherheit GmbH.

cher Ebene realisiert werden und welchen Beitrag leisten sie zur Entwicklung der CyberSicherheit? Diese Wissensträger können im universitären oder im Industriekontext, aber auch in Start-ups tätig sein. Es können aber auch einzelne Personen sein, die sich überhaupt keiner Entität zuordnen lassen.

Foto: BS/Riethausen

Behörden Spiegel: Welche Kompetenzen suchen Sie beim Personal? Prof. Dr. Igel: Die Anforderungen an das Personal leiten sich aus den Aufgaben der Cyberagentur ab. Unser Zweck und Kerngeschäft ist es, Forschungsfelder der Cyber-Sicherheit mit Blick auf Anwendungsbereiche der Inneren und Äußeren Sicherheit zu identifizieren, zu finanzieren und zu koordinieren. Entsprechend suchen wir Menschen, die Kompetenzen im Bereich des Forschungsmanagements und der Forschungskoordination haben. Dazu braucht es eine Nähe zu den Bereichen Digitales, CyberSicherheit und Hochtechnologie. Wir suchen einerseits Menschen mit einem wissenschaftlichen Hintergrund, aber auch solche IT-Spezialisten, die als professionelle Hacker-Talente oder Software-Entwickler tätig sind. Es kann auch sein, dass wir Kompetenzen in geistes- oder verhaltenswissenschaftlichen oder volkswirtschaftlichen Bereichen brauchen werden. Das heißt, es wird auch Bedarf an Menschen mit Qualifikationen geben, die vielleicht nicht unmittelbar auf der Hand liegen. Was allerdings alle mitbringen müssen, ist eine hohe Affinität zur Gestaltung von Innovation und sie müssen open-minded sein, um neue Wege zu beschreiten. Insgesamt ist das schon ein recht spezielles Anforderungsprofil. Behörden Spiegel: Wie entscheiden Sie, in welchen Forschungsfeldern Sie sich engagieren? Prof. Dr. Igel: Da sehen wir zwei notwendige Wege. Einerseits suchen wir das Gespräch

mit Wissensträgern aus dem Bereich der Cyber-Sicherheit, also mit den Universitäten und Hochschulen, der Industrie und der Wirtschaft. Deren Expertise besteht genau darin, dass Sie bereits Vorstellungen haben, was in einer mittel- und langfristigen Perspektive an neuen Themen und Innovation sowie auch forschungsmethodisch auf uns zukommen kann. Wir werden dann so etwas wie einen Monitor bzw. einen Forecast über einen gewissen Zeitraum zur Forschung im Bereich der Cyber-Sicherheit ableiten. Der zweite Weg besteht darin, dass wir mit den nachgeordneten Bereichen des BMI sprechen, also etwa mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), mit der Zentralstelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) und mit dem Bundeskriminalamt (BKA), aber auch mit dem BMVg und dem nachgeordneten Bereich wie z. B. dem Kommando Cyber-und Informationsraum, den Universitäten der Bundeswehr sowie den anderen Teilstreitkräften. Wir müssen wissen, welchen Bedarf diese Behörden eigentlich in der Forschung sehen und welche Entwicklungen für sie relevant werden können. Das werden in der Regel Betrachtungen sein, die kurzfristiger ausgelegt sind, auf einen Zeitraum von vielleicht zwei bis vier Jahren. Behörden Spiegel: Deutschland gilt in vielen Bereichen als Wissenschaftsstandort mit exzellenter Forschung, es mangelt aber an der Transferfähigkeit in praktisch anwendbare Technologien oder Methoden. In einem Spektrum von Grundlagenforschung bis

hin zu nutzbaren Produkten und Diensten: Wohin werden Ihre Fördermittel fließen? Prof. Dr. Igel: Da haben wir ein breites Verständnis. Es geht um mittel- und langfristige Forschung. Die kann sowohl grundlagenorientiert sein, aber auch Forschung zur Entwicklung von Demonstratoren und Prototypen sein oder Transferforschung. Was wir definitiv nicht tun, ist Ansätze zur Produktentwicklung zu finanzieren. Behörden Spiegel: Wann ist mit ersten Förderprojekten zu rechnen? Prof. Dr. Igel: Es gibt zugegebenermaßen eine gewisse Erwartungshaltung an uns, was die Identifizierung und Finanzierung von Forschungsthemen angeht. Im Moment sind wir in der internen Abstimmung mit den Vertretern vom BMVg und BMI zu möglichen Forschungsschwerpunktthemen. Wenn es zügig geht, werden wir diese noch 2020 oder Anfang 2021 angehen können. Behörden Spiegel: Abgesehen von Hochschulen und Forschungsgesellschaften, welche Organisationen werden in den Genuss Ihrer Förderung kommen? Prof. Dr. Igel: Wir sprechen hier gerne von Wissensträgern und -trägerinnen, die mit uns zusammenarbeiten sollen. Es geht um Köpfe, die auf ihren Gebieten exzellent und in besonderer Art und Weise innovativ sind. Die wesentliche Frage ist: Welche Forschungsthemen können von welchen Personen und auf wel-

Behörden Spiegel: Wird es auch Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb Deutschlands geben? Prof. Dr. Igel: In der ersten Phase konzentrieren wir uns zunächst auf die Zusammenarbeit mit exzellenten Köpfen aus Deutschland und darum, bestehende Strukturen auszubauen und zu nutzen. In einer Phase zwei oder drei ist es nicht ausgeschlossen, dass wir uns auch international umschauen. Dabei sage ich aber ganz deutlich, dass wir Forschung mit dem Ziel beauftragen werden, die digitale Souveränität der Bundesrepublik Deutschland zu steigern. Das kann dazu führen, dass in bestimmten Bereichen Internationalität nicht infrage kommt. Behörden Spiegel: Für die Jahre 2020 bis 2023 stehen Ihnen zunächst 282,5 Millionen Euro zu Verfügung. Wie viel davon wird in den Aufbau und Betrieb der Agentur fließen und wie viel in die Forschungsförderung? Prof. Dr. Igel: Das kann ich im Moment nur holzschnittartig prognostizieren. Wir gehen davon aus, dass etwa zehn bis maximal 20 Prozent der Mittel in der Gesellschaft für den Grundbetrieb verbleiben, also zur Deckung der Personalkosten, technischer Ausstattung etc. Dazu gehören auch Dinge, die schon forschungsunterstützend sind, wie die Planung und Umsetzung eines strategischen Kommunikationskonzepts. Mindestens 80 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel sind für den Projektbetrieb, also Forschungsprogramme und Forschungsprojekte, vorgesehen. Behörden Spiegel: Verglichen

Die unsichtbare Gefahr

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ranchenübergreifend wird die IT-Security-Situation in Deutschland von der Sicherheitsfirma Rapid7 als bedenklich eingestuft: Auf einer Liste der verwundbarsten Länder weltweit steht Deutschland auf Platz fünf. Vor diesem Hintergrund mussten Hacker beim Ausbruch von Covid-19 gar keine neuen Angriffsvektoren schaffen, denn durch die Pandemie funktionieren bewährte Methoden noch besser als zuvor. Vor allem PhishingMails sind aktuell sehr erfolgreich, wenn sie beispielsweise um emotionale Komponenten rund um Corona ergänzt werden. Angreifer kombinieren dazu die aktuelle Unsicherheit und bestehende Ängste mit dem Bedürfnis der Menschen, mehr über das Virus zu erfahren. Wie der Report “Analyzing the Covid-19 Data Breach Landscape” von Verizon zeigt, enthalten Phishing-E-Mails derzeit besonders häufig Begriffe wie Covid, Coronavirus, Masken, Test, Quarantäne oder Impfstoff. Die Funktionsweise dieser gefährlichen E-Mails hat sich indes

Behörden Spiegel / Oktober 2020

Cyber-Attacken in Zeiten der Corona-Pandemie (BS/Eugenio Carlon*) Cyber-Attacken sind zu einer ständigen Bedrohung für die öffentliche Verwaltung und für Betreiber Kritischer Infrastrukturen geworden. Der Mensch gilt nach wie vor als eine der größten Schwachstellen. Dabei gibt es für Behörden einfach zu realisierende Maßnahmen, um die IT-Sicherheit zu steigern. nicht geändert: Täuschend echt aussehende Nachrichten fordern den Anwender auf, persönliche Daten in ein Formular einzutragen oder aber einen Link zu klicken bzw. ein Dokument zu öffnen, sodass Schadcode auf den Rechner nachgeladen werden kann. Die Folgen können unterschiedlich sein, von einer Verschlüsselung wichtiger Daten durch Ransomware über das Ausspähen sensibler Informationen bis hin zur Übernahme bestehender Nutzerkonten. Darüber hinaus werden weitere Formen des Phishings oder des Social Engineerings genutzt. Bei dem sogenannten Spear-Phishing ist der Angreifer bereits im Besitz persönlicher Informationen und kann den Betrug noch persönlicher gestalten. Gelingt es

dem Angreifer, die Person sowohl namentlich anzusprechen als auch weitere Informationen wie Vereinsmitgliedschaften, die Position innerhalb der Organisation oder die private HandyNummer oder weitere Details in Erfahrung zu bringen, fällt es dem potenziellen Opfer deutlich schwerer, den Angriff überhaupt zu erkennen. Zum Schutz vor solchen Angriffsmethoden sind daher zwei Maßnahmen empfehlenswert. Erstens: Den Menschen im Blick behalten. Auf der organisatorischen Seite besteht der effektivste Weg für mehr Sicherheit in Trainings und Best-Practice-Schulungen. Diese sollen den Mitarbeitern zeigen, wie sie Phishing-E-Mails und falsche Links erkennen kön-

nen. Aber auch Befragungen zur Selbsteinschätzung sowie Testszenarien können helfen, Mitarbeiter auf die Gefahren hinzuweisen. Zweitens: Die Technik überwachen. Die IT-Organisation hat schließlich die Aufgabe, die eigenen ITSysteme abzusichern. Prozesse für das Schwachstellen-Management sowie Penetrationstests helfen dabei, strukturiert die IT-Infrastruktur auf mögliche Lücken zu untersuchen. Weiterhin sind Simulationen von Cyber-Attacken hilfreich, um die gesamte Organisation auf den Ernstfall vorzubereiten.

Leistungen aus einer Hand Materna unterstützt Behörden mit einem ganzheitlichen Ansatz

rund um das Thema IT-Security. Speziell für die Vorsorge gegen Phishing-Mails bietet Materna einen qualifizierten Test, um zu überprüfen, wie gut Mitarbeiter bereits mit personalisierten Angriffen umgehen können. Mitarbeiter werden – ähnlich wie bei einer bösartigen PhishingAttacke – in Versuchung geführt, vermeintlich harmlose Anhänge, Webseiten oder Links zu öffnen. Das Angebot kann mit unterschiedlichsten E-LearningEinheiten kombiniert werden, sodass es gelingt, die Brisanz des Themas IT-Security immer wieder aufs Neue zu vermitteln. Für eine ganzheitliche Betrachtung der Cyber-Sicherheit in Organisationen bietet Materna neben dem AwarenessProgramm weitere Leistungen

len Wettbewerb Bestand haben, halte ich persönlich für zu eng und gleichzeitig für zu weit gesprungen. Unsere Aufgabe ist, dass wir aktiv werden und uns forschungsmäßig intensiv mit der Emergenz von Innerer und Äußerer Sicherheit in der CyberSicherheit beschäftigen. Nach meinem Verständnis geht es um sehr viel Geld, mit dem wir einiges bewegen können. Man muss das in der Relation betrachten zu hierzulande üblichen Finanzierungsrahmen. Für die deutsche Hochschullandschaft und das ganze deutsche Forschungssystem, auch in Industrie und Start-ups, ist das eine immense Summe. Das ist der eigentliche Punkt. Entscheidend ist jetzt, die richtigen, wegweisenden Impulse zu setzen. Es geht darum, jetzt anzufangen und etwas zu tun, damit Deutschland im Bereich Cyber-Sicherheit souveräner wird. Behörden Spiegel: Die Cyberagentur wurde schon in der Konzeptionsphase gern mit der US-amerikanischen Militärforschungsbehörde DARPA verglichen. Können Sie den daraus folgenden Erwartungen entsprechen? Prof. Dr. Igel: Diesen Vergleich verstehe ich aus einer politischen Motivation heraus. Der direkte Vergleich ist nach meinem Dafürhalten allerdings unzulässig. Nicht nur hat die DARPA ein jährliches Volumen von etwa 3,5 Milliarden Euro zu Verfügung. Sie besteht auch schon seit Jahrzehnten und bei der DARPA geht es natürlich ausschließlich um militärische Forschung – und zwar in ihrer ganzen Breite inklusive zum Beispiel wehrtechnischer Forschung. Bei uns geht es um Cyber-Sicherheit im Kontext der Inneren und Äußeren Sicherheit. Der Vergleich kann nur als Metapher gemeint sein. Für uns ist aber interessant, auf welchen Wegen die DARPA zu neuen Erkenntnissen kommt. Da wurden vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren Instrumente eingeführt, die heute klassische Elemente des Innovationsmanagements sind, wie Challenges zur Förderung innovativer Ideen. Solche Ansätze wird sich die Cyberagentur zu eigen machen und in dieser Hinsicht ist die DARPA für uns ein gutes Vorbild.

für die technische IT-Sicherheit. Dazu zählt das Angebot für einen Schwachstellen-Scan: Materna liefert einen aussagekräftigen Bericht mit einer Risikoeinschätzung von IT-Security-Experten. Der Bericht zeigt auf, welche bekannten Schwachstellen in Organisationen existieren und wie diese zu beheben sind. Im nächsten Schritt beheben die Materna-Experten die gefundenen Schwachstellen und implementieren optional einen Prozess für das Vulnerability Assessment und Schwachstellen-Management, um den Schutz einer Kritischen IT-Infrastruktur dauerhaft zu erhalten. Zudem können Behörden die Überwachung ihres Schwachstellen-Managements an das Security Operation Center (SOC) von Materna übertragen und erhalten damit einen 24/7-Schutz durch erfahrene und spezialisierte Security-Experten. *Eugenio Carlon ist Abteilungsleiter Cyber Security & Defence bei Materna.


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Behörden Spiegel / Oktober 2020

Langer Atem im Notfallmanagement

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in Lösungsansatz ist es, die Grenzen neu zu bewerten und dann auch neu zu ziehen – ein Beispiel dafür ist “entferntes” Arbeiten. Was heute mittels Telearbeit (Homeoffice) alles möglich ist, war noch vor wenigen Monaten undenkbar. Das führte aber nicht nur zu angenehm leeren Straßen in den Stoßzeiten, sondern zu neuen und bisher in dieser Form nicht erlebten Staus: und zwar auf unseren “digitalen Autobahnen”, in Netzwerken, auf Kollaborationsplattformen, bei der Telefonie – im Arbeitsalltag eben. Damit alle zu gleicher Zeit an Videokonferenzen teilnehmen, große Anhänge via E-Mail hinund herschicken oder sonstige, für den Arbeitsalltag notwendige Dinge tun und ohne Einschränkungen tun können, muss im Hintergrund viel Arbeit geleistet werden. Kapazitäten wurden erhöht, neue Server und Leitungen wurden beschafft und in Betrieb genommen, um – trotz steigender Last – die gewohnte Performance aufrechtzuerhalten – und das möglichst ohne Unterbrechungen. Dennoch, Technologie kann für diese Herausforderungen nicht als Allheilmittel dastehen. Ohne eine notwendige sorgfältige und umsichtige Planung bleibt Krisenresilienz ein nie zu erreichendes Ideal.

Führt Covid-19 zu mehr Krisenresilienz? (BS/Paul Große-Venhaus) Viele Fragen der letzten Monate drehen sich um Grenzen – auch im allgemeinen Sinne: Reisewarnungen, Öffnungen, Schließungen –, aber auch um die, die manchmal gar nicht so klar definiert sind. Wie gehen wir um mit persönlichen Grenzen, wie gestaltet sich der Arbeitsalltag, welche Herausforderungen hatten wir alle schon, welche stehen noch vor uns? Nicht auf alle Fragen gibt es schon Antworten und selbst schon bereits beantwortete Fragen können neu gestellt – und völlig anders beantwortet werden. IT kann keine der obigen Fragen abschließend beantworten – jedoch Hilfestellung dazu geben, dass Fragen überhaupt beantwortet werden können. Ohne funktionierende Kommunikation und Kollaboration von Entscheidungsträgern, Behörden und Wissenschaftlern gibt es weder Antworten noch können Entscheidungen zeitnah übermittelt werden, die uns helfen könnten, die Situation zu “managen”. Daraus folgt die Anforderung, dass IT immer und überall funktionieren muss, egal wie sich die Bedingungen ändern. Doch wie erreicht man das – und kann man dieses Ziel überhaupt erreichen?

wichtiger, Kommunikation nicht nur zuzulassen, sondern aktiv zu fördern, um so ein gemeinsames Verständnis über diese Notwendigkeit herbeizuführen. Diese kooperative Herangehensweise führt zu gemeinsamen Lösungen anstelle vieler losgelöster Teillösungen, womit der optimale Einsatz der – in einer Krisensituation ohnehin knappen – Ressourcen gewährleistet ist. Unsere (erfolgreiche) Lösung hierzu war es, alle notwendigen Ressourcen in einer Taskforce mit erweiterten Befugnissen und Rechten zusammenzuziehen.

Fazit

Geprüfte und ganzheitlich gehaltene Notfallpläne führen dazu, dass durch erprobte Maßnahmen und vorhandenes Know-how kurzfristig agiert werden kann. Ganzheitliche Notfallvorsorge kann und darf heutzutage nicht in mehr infrage gestellt werden. Foto: BS/ilkercelik, stock.adobe.com

wusst darauf eingegangen wird, dass eine Änderung an einer StelDie Rolle der Krisenresilienz le Auswirkungen an einer oder Krisenresilienz ist die Fähigkeit, mehreren anderen Stellen herden wechselnden Herausforde- vorruft. Dies muss dazu führen, rungen im Rahmen vereinbarter dass die Welten, die bisher mehr Prozesse flexibel und zielgerichtet nebeneinander existiert und sich zu begegnen. Dies beinhaltet, möglicherweise sogar gegenseitig ignoriert haben – IT und die anderen Bedarfsträger – nunmehr auch in der WahrnehPaul Große-Venhaus ist ITProduktionsleiter/ IT-Notfallmung und Heran­ beauftragter von IT.NRW und gehensweisen, auf IT-Notfallverantwortlicher Augenhöhe interNordrhein-Westfalens gemäß agieren. BSI-Grundschutz 200-4. Foto: BS/IT.NRW

den Reifegrad des Notfallmanagements auf den Punkt gebracht zu haben. Ausfallszenarien müssen dabei so weitgehend behandelt worden sein, dass entstehende neuartige Szenarien – wie in diesem Fall die Einschränkungen durch Covid-19 – keine unüberwindbare Herausforderung mehr darstellen. Hierzu gehört auch, dass die verschiedenen Disziplinen des Business Continuity Managements nicht isoliert, sondern als ganzheitliches Ökosystem betrachtet werden, in dem be-

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für die Geschäftsfortführung zu haben. Es ist wesentlich einfacher gesagt, als getan, aber ein ganzheitliches Notfallmanagement sowie Notfallvorsorge können und dürfen heutzutage nicht in mehr infrage gestellt werden. Wer die Notfallpläne nicht oder zu selten überprüft, reagiert in den meisten Lagen situativ und immer wieder aufs Neue, verliert Zeit, Handlungsoptionen und ggf. auch wertvolle Ressourcen. Geprüfte und ganzheitlich gehaltene

Im behördlichen Umfeld ist es natürlich nicht einfach, ganzheitliche Vorgehensweisen “aus dem Nichts” zu etablieren. Es war aber eine wichtige Erkenntnis, dies aus der Notwendigkeit heraus doch zu tun. Je größer eine Behörde, desto kleinteiliger können die Zuständigkeiten zwischen Behördenleitung, Stabstelle, Organisation, Informationssicherheit und sogar unter den einzelnen IT-Fachgruppen aufgeteilt sein. Deshalb ist es umso

Paul Große-Venhaus wird am 12. November auf der PITS Online an einer Diskussionsrunde zu “Business Continuitiy Management – Notfallmanagement” teilnehmen. Mehr Informationen unter www. public-it-security.de

Spuren führen nach Russland

Neue Konzepte nötig?

Wer bisher kein Notfallmanagement oder gar keine Notfallvorsorge etabliert hatte, sollte spätestens jetzt die Erkenntnis gewonnen haben, dieses schleunigst nachzuholen. Aber auch Institutionen, die bereits ein an sich gut funktionierendes Notfallmanagement in einzelnen Bereichen haben, können zumindest einige Erkenntnisse für die Ausarbeitung zukünftiger Pläne mitbetrachten. Auch wenn Szenarien wie Pandemien bisher nur äußerst selten vorkamen, ist es eine Notwendigkeit, valide Pläne

Pläne führen auch dazu, dass durch erprobte Maßnahmen und vorhandenes Know-how kurzfristig agiert werden kann – wie in der aktuellen Situation. Skalierbarkeit der Systemkapazitäten, zuverlässige Lieferanten, flexible Vereinbarungen und Lizenzgeber, die ebenfalls flexibel auf geänderten Bedingungen reagieren können, sind für Notfallpläne nicht nur nützlich, sondern erwiesener Maßen die Grundlage für den Erfolg.

Um die anfängliche Frage zu beantworten: Ja, eine Pandemie dieses Ausmaßes kann für vieles sorgen, unter anderem auch dafür, dass IT und Bedarfsträger sich auf Augenhöhe treffen und gemeinsam Pläne für eine krisenresiliente Zukunft erarbeiten. Es darf aber eines nicht vergessen werden: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie – auch wenn solche Situationen nur selten vorkommen, sind sie nicht ausgeschlossen und auch andere, heute noch nicht vorstellbare Ereignisse können unser (Arbeits-)Leben beeinflussen. Daher kann und darf Notfallmanagement keine Strategie ohne langen Atem sein. Ein erfolgreiches Notfallmanagement muss über Zuständigkeitsgrenzen hinaus agieren und insbesondere reagieren können.

War Angriff auf Düsseldorfer Uni-Klinik ein Versehen? (BS/jf) 30 Server der Düsseldorfer Universitätsklinik sind nach einem Angriff verschlüsselt worden. Dabei wurde eine Schadsoftware namens “DoppelPaymer” in das System eingeschleust. Obwohl die Täter den Schlüssel zwischenzeitlich übermittelt haben, dauert es, alle Systeme wieder hochzufahren. Der Verschlüsselungstrojaner ist kein Unbekannter. Zahlreiche Unternehmen weltweit sind mit “DoppelPaymer” bereits angegriffen worden. Wie das Justizministerium im Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags mitteilte, ist dieses Programm nach Einschätzung von privaten Sicherheitsfirmen in der Russischen Föderation beheimatet. Auf die

Server der Uniklinik gelangte es über eine Sicherheitslücke der Software Citrix. Diese sei bereits seit Jahreswechsel unter dem Namen “Shitrix” bekannt, teilte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mit. Obwohl diese geschlossen worden war, konnte die eigentliche Schadsoftware über einen so-

genannten Loader eingespeiß werden. Demnach hätten die Cyber-Kriminellen diesen Loader noch vor Schließen der Sicherheitslücke auf einen Server der Klinik eingeschmuggelt und heimlich eine Backdoor platziert. Wie die Ermittlungsbehörden mitteilten, hatten die Hacker urprünglich die Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität als

Ziel im Visier. Diese hatte ein entsprechendes Erpresserschreiben erhalten. Allerdings schickten die Hacker nach einer Mitteilung der Polizei den Schlüssel, um die infizierten Systeme der Klinik wieder hochfahren zu können. Dieser Prozess dauert jedoch mehrere Tage. Selbst nach einer Woche war der Betrieb der zentralen Notaufnahme nicht sicher.

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ie DRV verfügt aufgrund ihrer Organisation und Größe über eine sehr komplexe Netzstruktur sowie über eine äußerst heterogene Landschaft an eingesetzter Hard- und Software. Die zahlreichen Netzzugänge der DRV werden zurzeit im Rahmen eines mehrjährigen Projektes auf einen georedundanten, hochverfügbaren Netzzugang konzentriert; dieses Projekt steht kurz vor dem Abschluss. Als CERT sind wir natürlich sehr daran interessiert, dass die Netzzugänge auf ein Mindestmaß reduziert werden.

Threat Intelligence System etablieren Zu unseren ständigen originären Aufgaben im CERT gehören alle Tätigkeiten, die zur Schaffung und Aufrechterhaltung eines aktuellen Lagebildes in der DRV beitragen. Eine der aktuellen Herausforderungen liegt für uns darin, einen aktuellen Überblick über Tausende von Hardware- und Software-Assets zu erhalten, um ein gezieltes Threat-Intelligence-System (TI) zu etablieren. Schwachstellenmeldungen vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) oder aus anderen vertrauenswürdi-

Lücken und Datenabflüsse im Blick Informationssicherheit bei der Deutschen Rentenversicherung (BS/Uwe Kriester) Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) gehört zu den Betreibern Kritischer Infrastrukturen. Mit dem Inkrafttreten der KRITISVerordnung wurde auf Management-Ebene vor etwas mehr als zwei Jahren ein Computer Emergency Response Team (CERT-DRV) etabliert, das für die operative Informationssicherheit der gesamten DRV verantwortlich ist. Das CERT-DRV wird durch vier Security Operation Center (SOCs) unterstützt, die einzelne Regionen der DRV vertreten. Die Organisation der IT-Security ist in einer Informationssicherheits-Policy geregelt, die eine Leitlinie, Grundzüge der Informationssicherheit, Richtlinien, Konzepte und Handlungsanweisungen umfasst. inneren Sicherheitszone befindet. Ist darüber hinaus bereits ein Exploit für eine gemeldete Schwachstelle verfügbar, dann ist mit Hochdruck an der Behebung des Problems zu arbeiten. Parallel arbeiten unsere SOCs daran, Schwachstellen automatisiert selbst zu identifizieren, zu bewerten und zu beheben. In diesem Kontext wurden in diesem Jahr mehrere Proof of Concepts (PoCs) mit Schwachstellen-Management-Tools durchgeführt. Wir verfolgen dabei das Ziel, DRV-weit einheitliche Lösungen einzusetzen. Mit Tools für Threat Intelligence und Data Loss Prevention behält die Deutschen Rentenversicherung Risiken für die Informationssicherheit im Blick. Foto: BS/Murrstock, stock.adobe.com

Informationsflut bewältigen

Eine weitere Herausforderung liegt für das CERT-DRV aktuell darin, mit der Flut von ThreatIntelligence-Informationen (TIInformationen) umzugehen. Konkret geht es dabei darum, externe TIInformationen mit Meldungen aus Uwe Kriester ist Leiter des Computer Emergency Resunseren internen ponse Teams bei der DeutSecurity-Eventschen Rentenversicherung ManagementBund. Systemen (SIEM), Foto: BS/privat den Sandbox-Systemen und den gen Quellen müssen überprüft Antiviren-Systemen zu verknüpwerden. Bei derartigen Betrach- fen. So haben wir in den zurücktungen ist neben der Kritikalität liegenden Monaten im Rahmen einer Schwachstelle auch zu be- von PoCs die Lösungen in dierücksichtigen, ob sich die betrof- sem Marktsegment ausführlich fene Komponente zum Beispiel in getestet bzw. das am besten geeiner exponierten oder in einer eignete Tool ausgewählt. Dabei

ist für uns das automatisierte Scoring der Software besonders wertvoll, denn das Ermitteln der kritischen Events aus den zahllosen TI-Meldungen würde einen enormen manuellen Aufwand für uns bedeuten.

Zielgruppenorientiert berichten Einer der bereits von Beginn an etablierten Prozesse ist das monatliche Berichtswesen des CERT-DRV. Es wird dabei zwischen einem kurzen Summary für die Management-Ebene und einem ausführlichen Bericht für die SOCs und die IT-Sicherheitsbeauftragten der Träger der Rentenversicherung unterschieden. Schwerpunkte dabei bilden aktuelle Sicherheitsvorfälle, aber auch sicherheitsrelevante Statis-

Drehstuhlschnittstellen nicht mehr nötig Geheimhaltungsgrade und Systemgrenzen stehen der Digitalisierung nicht im Weg (BS/Marc Akkermann*) Sogenannte “Drehstuhlschnittstellen” und Schreibtische mit zwei oder mehr Computern, um Verschlusssachen (bspw. GEHEIM) zu bearbeiten und mit dem Rest der Welt verbunden zu sein, sind für viele Mitarbeiter in (Sicherheits-)Behörden oft Alltag. Das ist in den meisten Fällen nicht nötig. Jahrelang galt: “Systeme mit unterschiedlichen Sicherheitseinstufungen sind voneinander zu separieren.” Geräte, die “getrennte Sessions” ermöglichen, verringern zwar die Anzahl an Bildschirmen, entfernen aber nicht den Medienbruch. Das ist die Vergangenheit, nicht die Gegenwart. In Zeiten fortschreitender Digitalisierung ist und wird es an vielen Stellen wichtiger, Prozesse von Ende zu Ende zu digitalisieren. Den Nutzern und Nutzerinnen abzuverlangen, ihre täglichen Aufgaben in verschiedenen Systemen zu bearbeiten oder den Datenaustausch zwischen Systemen nur mit Datenträgern zu ermöglichen, ist keine Option. Die Lösung: “Cross Domain Solutions” (CDS). Das sind Produkte, die es ermöglichen, auf sichere Art und Weise zu entscheiden, ob Daten ein System verlassen oder in ein System eingebracht werden dürfen. Hierbei ist zu unterscheiden, ob strukturierte

Daten (wie XML) einen solchen Netzübergang passieren sollen oder unstrukturierte Daten (wie Bilder). Strukturierte Daten können anhand von Regeln geprüft und gefiltert werden. Bei unstrukturierten Daten stoßen diese Mechanismen an die Grenzen der technischen Machbarkeit. Aber auch für diese Daten gibt es eine Lösung, um sie mit CDS transportieren zu können. Hierbei ist es notwendig, dem Nutzer oder System die Möglichkeit zu geben, Informationen einstufen bzw. klassifizieren zu können – genau wie in der “Papierwelt”. Diese Einstufung wird der eigentlichen Datei dann als sogenanntes Security-Label mitgegeben und die CDS kann auf dieser Basis entscheiden. Was heißt das in der Praxis? Eine CDS ist in der Lage, Systeme so miteinander zu verbinden, dass deren Nutzer sich (von der Einstufung abgesehen) keine Gedanken mehr zu Systemgrenzen machen müssen. Möchte also

Mit einer umfassenden Cross Domain Solution wie Secure Domain Transition von infodas können auch unstrukturierte Daten klassifiziert und Netzübergänge zwischen Systemen unterschiedlicher Sicherheitseinstufungen realisiert werden. Grafik: BS/infodas

beispielsweise ein Nutzer in einem geheimen System eine Mail an einen Nutzer in einem offenen System senden, so kann er dies tun, solange die Mail keine eingestuften Inhalte enthält. Im Alltag kann dies in einem geheimen System in etwa so aussehen, dass ein Nutzer beim Absenden einer offen eingestuften Mail diese auch direkt aus seinem Mail-Programm heraus kennzeichnet und die Mail danach zugestellt wird. Eine umfassende Cross Domain Solution bietet somit Funktionalitäten an, die derartige Netzübergänge unidirektional (“Datendioden”) oder bidirektional (“Sicherheits-Gateways”) realisieren und auch den Umgang mit unstrukturierten Daten durch Datenklassifizierung (“LabellingService”) ermöglichen und – für die öffentliche Verwaltung wichtig – durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zugelassen sind. In Deutschland gibt es derzeit nur eine Produktfamilie, die alle o. g. Komponenten beinhaltet und diese – seit wenigen Wochen auch den Labelling-Service – in einer vom BSI allgemein zugelassenen Variante bis GEHEIM anbietet: Secure Domain Transition (SDoT) der Firma infodas. Diese Produkte werden seit Jahren im Kontext Militär und Nachrichtendienste eingesetzt und sind ein wesentlicher “Enabler” für die Digitalisierung über Systemgrenzen hinweg. *Marc Akkermann ist Mitglied der Geschäftsleitung bei infodas.

tiken zum Beispiel von E-MailAppliances und Web-Proxies an den zentralen Netzzugängen der DRV. Wir müssen dabei immer wieder feststellen, dass trotz des Einsatzes hochmodernster Sicherheitstechnik in diesem Segment doch noch ein Bodensatz an Schadsoftware übrig bleibt, der nicht erkannt wird bzw. bis zum Endgerät des Anwenders gelangt und erst dort vom Virenscanner erkannt wird. Perspektivisch werden wir uns – gerade aus den genannten Gründen – mit

dem Einsatz einer EndpointDetection-Lösung beschäftigen.

Datenabfluss verhindern Neben dem Schutz gegen Bedrohungen von außen sind wir immer wieder damit konfrontiert, unerwünschten Datenabfluss aus dem Netz der DRV zu verhindern (Data Loss Prevention). Aktuell beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe in der DRV mit der Erarbeitung einer Richtlinie zur Nutzung von Cloud-Services. Aufgrund der Corona-beding-

ten Situation ist der Bedarf an Cloud-basierten CollaborationServices zur DRV-übergreifenden Kommunikation oder auch zur Kommunikation mit externen Stellen in den letzten Monaten enorm gestiegen. Seit Anfang 2018 ist im CERT eine Software im Einsatz, mit der die Nutzung von Cloud Services in der DRV kontrolliert werden kann. Vom Hersteller der Software als “High risk Services” eingestufte Cloud-Dienste werden von uns geblockt, aber auch solche Services, bei denen keine Transparenz darüber besteht, wie der Cloud-Anbieter mit den Daten des Anwenders umgeht, die gerade in den Cloud-Service transferiert wurden. Durch den Einsatz dieser Software wurde als Nebeneffekt bereits mehrfach Schatten-IT in der DRV identifiziert, das heißt Prozesse, die an den definierten Standard-Prozessen der DRV vorbeigehen.

Security by Design fördern In jüngster Vergangenheit wurde auf Management-Ebene entschieden, dass bei der Entwicklung von Systemen, Services und Verfahren die IT-Sicherheit von Beginn an involviert wird beziehungsweise nicht – wie bisher – oft erst in späteren Phasen oder überhaupt nicht. Hierfür wurde der sogenannte ISIP-Prozess (ITSicherheit in Projekten) entwickelt. Durch diese Vorgehensweise entsteht für uns eine höhere Transparenz. Zudem vermeiden wir nachträgliche, oft deutlich höhere Aufwände, die Aspekte der IT-Sicherheit zu berücksichtigen.

Mobile Kommunikation schützen Was Länder und Kommunen tun können (BS/Sascha Wellershoff*) Mobiles Arbeiten beschleunigt die Verwaltung und ermöglicht den Mitarbeitern flexibleres Arbeiten. Doch mobiles Arbeiten stellt auch hohe Anforderungen an die IT-Sicherheit und den Datenschutz. Die Daten der Bürger und der Behörden dürfen nicht in fremde Hände gelangen. Aber wie können Behörden ihre Mitarbeiter flächendeckend und mit vertretbarem Aufwand mit sicheren mobilen Anwendungen ausstatten? Die Digitalisierung ist längst noch nicht in jedem Behördenalltag angekommen. Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung wollen auch von unterwegs aus Zugriff auf ihre Mails haben, Termine vereinbaren, sich mit anderen Dezernaten austauschen oder Akteneinsicht haben. Gerade im Außendienst bietet mobiles Arbeiten deutliche Vorteile, etwa wenn Ordnungsämter Forstbehörde oder Aufsichtsbehörden unterwegs sind: Der jeweilige Mitarbeiter fotografiert vor Ort, macht sich Notizen, greift etwa auf Fachanwendungen im Behörden-Netzwerk zu und kann direkt Dateien via E-Mail oder Messenger an seine Kollegen weiterleiten.

Behördliche Daten müssen immer geschützt sein Beim mobilen Arbeiten lauern allerdings zahlreiche Risiken, vor allem wenn Mitarbeiter auch private Geräte im Rahmen des BYOD-(Bring Your Own Device)Modells für dienstliche Aufgaben nutzen wollen. Veraltete Betriebssysteme, unsichere WLAN-Verbindungen und Nutzung von nicht DSGVO-konformen Apps sind häufige Einfallstore für Cyber-Kriminelle. Der Schutz personenbezogener Daten von Bürgern, Unternehmen und Mitarbeitern hat höchste Priorität – die DSGVO legt hier sehr strenge Maßstäbe an. Problematisch sind weitverbreitete Dienste wie WhatsApp, die auch in Behörden viel genutzt werden: Die App liest die Adressbücher der Mitarbeiter mit den Kontaktdaten von Kollegen und Lieferanten aus und gibt die Daten an die Konzernmutter Facebook weiter. Darüber hinaus erfasst WhatsApp auch Metadaten, etwa GPS-Daten, Absturzbe-

Grafik: BS/Virtual Solution

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richte und Nutzerverhalten. Viele Behörden haben für WhatsApp, Evernote, Dropbox und Co. keine Nutzungs-Regelungen oder dulden sie stillschweigend – trotz aller Verbote und Vorschriften. Und es gibt eine weitere He­ rausforderung für Länder, Kreise und Kommunen: Wird den Mitarbeitern die freiwillige Nutzung von privaten Geräten für den dienstlichen Gebrauch erlaubt, ergeben sich nahezu unendliche Kombinationsmöglichkeiten von mobilen Betriebssystem-Versionen und Endgeräte-Modellen. Ein Albtraum für jede IT-Abteilung! Und besonders drastisch steigt die Komplexität, wenn zum Beispiel auf Ministerialebene oder bei Polizeibehörden Informationen mit der Einstufung VS-NfD (Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch) mobil verarbeitet werden sollen.

SecurePIM: Die ContainerTechnologie hilft! Die sichere Kommunikationsanwendung SecurePIM Government für iOS- und Android-Smartphones und -tablets schützt sensible

Behördendaten und die interne Kommunikation – und steigert gleichzeitig die Mitarbeiterproduktivität. SecurePIM ermöglicht den Zugriff auf wichtige dienstliche Daten und Prozesse, ist dabei aber vor dem Zugriff durch andere Anwendungen oder das Betriebssystem wie in einem abgeschlossenen Container geschützt. Funktionen wie E-Mails, Kontakte, Kalender, Aufgaben, Notizen, gehärteter Browser, Dokumente und Kamera sind damit als Teil des Behördennetzwerks vor unbefugtem Zugriff geschützt. Unsere Lösung bietet zusätzlich einen sicheren Messenger und verschlüsselte Telefonie. Alle Daten auf dem Gerät sind verschlüsselt und jede Datenübertragung erfolgt Ende zu Ende verschlüsselt. Dienstliche und private Daten sind bei SecurePIM Government DSGVO-konform voneinander getrennt. Für Behörden, die auf der Geheimhaltungsstufe VS-NfD kommunizieren müssen, wird die vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) für iOS zugelassene und für Android freigegebene Version SecurePIM Government SDS angeboten. Mitarbeiter in Landes- und Kommunalbehörden können so private Apps ohne Einschränkungen nutzen – die Integrität und die Sicherheit der Behördendaten sind trotzdem gewährleistet. Behörden können so mit einer BYOD-Strategie und SecurePIM ihre Investitionskosten für Mobilgeräte senken, die Betriebsaufwände durch eine plattformübergreifende Lösung reduzieren und erhöhen die Mitarbeiterzufriedenheit durch selbstbestimmte, flexible Geräteauswahl. * Sascha Wellershoff ist CEO bei der Virtual Solution AG.


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An einem Strang ziehen

Grenzüberschreitender Bedrohung begegnen

Digitale Souveränität braucht klare Zielvorstellungen

Wie hoch müssen die Verteidigungsmauern im Cyber Space sein?

(BS/stb) Digitale Souveränität wird zunehmend zum politischen Leitthema. Dabei würden wir uns jedoch noch zu häufig an Einzelfragen aufhängen, meint der FDP-Bundestagsabgeordnete Mario Brandenburg. Der Staat müsse eine Gesamtrechnung aufmachen, die Basisinfrastrukturen, Hardware, Anwendungen und digitale Identitäten umfasse. Vor allem die Verwaltung müsse gestaltungsfähig sein. Souveränität heiße dabei aber nicht, alles selbst zu machen.

(BS/Dr. Philipp Amann) Angetrieben durch die fortschreitende Industrialisierung der Cyber-Kriminalität und des “Crime-as-a-Service”-Modells, sinkt die technische Hemmschwelle für Kriminelle, komplexere CyberAngriffe durchführen zu können. Diese Bedrohung ist durch die Krise noch verstärkt worden – wie kann man sich also davor schützen?

“Souveränität ist nicht Protektionismus, Souveränität ist Auswahl”, sagt Brandenburg. Wenn der Bund beispielsweise Wert darauf lege, einen CloudDienst im eigenen Rechenzen­ trum zu betreiben, statt ihn aus der Public Cloud zu beziehen, sehe die Verhandlungsposition dafür deutlich besser aus, wenn noch andere Anbieter zur Wahl stünden. “Im Moment fehlen uns einfach Optionen, weil wir uns nicht darum gekümmert haben”, so Brandenburg.

Allheilmittel Förderung? Doch wie schafft man bei Technologien der Zukunft mehr Optionen in Deutschland und Europa? Die Antwort lautet häufig: mehr staatliche Förderung. Die könne es aber nicht alleine richten, sagt der Beauftragte für digitale Wirtschaft und Start-ups im Bundeswirtschaftsministerium, Thomas Jarzombek: “Unsere heutige Situation geht nicht nur auf die Politik zurück. Wir leben in einer Marktwirtschaft und vieles hat auch mit unternehmerischen

Entscheidungen zu tun.” Als Beispiel führt er die etablierten deutschen Automobilhersteller an, die spät in die Wende zur Elektromobilität eingestiegen seien und nach wie vor wenig Kompetenzen im zukunftsträchtigen SoftwareBereich vorweisen könnten. “Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nur mit Wettbewerb und neuen Akteuren vorankommen werden.” Die häufig anzutreffenden Versuche, bestehende Akteure zu schützen, hält Jarzombek für “brandgefährlich”. Wenn es um Kritische und sicherheitsrelevante Infrastrukturen gehe, dürfe man nicht alles dem Markt überlassen, fordert dagegen Wilfried Karl, Präsident der zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS). So habe der Siemenskonzern noch um die Jahrhundertwende als großer Lieferant für Mobilfunktechnik alles geliefert, von den Basiskomponenten bis hin zu den rechtsstaatlich nutzbaren Überwachungsanlagen. “All das ist verschwunden. Man müsste sich als Staat ei-

ne Strategie zumindest für den Sicherheitsbereich überlegen: Welche Fähigkeiten will ich industriell im Land erhalten?” Im Verteidigungsbereich und teils im Bereich der Nachrichtendienste gebe es schon lange eine Strategie, was aus nationalen, was aus EU- und was aus internationalen Lieferketten bezogen werde, so Karl weiter. “Im Bereich der Sicherheitsbehörden müssten wir so etwas auch haben, um gezielt Fähigkeiten in der Industrie aufzubauen. Dazu gehört dann auch, KMUs gezielt mit Aufträgen zu fördern.”

Ratspräsidentschaft nutzen Der Staat müsse sich auf eine starke industrielle Basis abstützen können, sind sich Jarzombek und Karl einig. Das erfordert klare Zielvorstellungen und eine Abwägung, welche Kompetenzen Deutschland und Europa vor Ort aufbauen wollen. Mit der EU-Ratspräsidentschaft hat Deutschland einen guten Ausgangspunkt, die Koordination voranzutreiben.

Nach dem Fall des Privacy Shields Irische Aufsicht erklärt Facebooks Datentransfer für rechtswidrig (BS/stb) Per vorläufiger Anordnung hat die irische Datenschutzaufsichtsbehörde DPC Facebook mitgeteilt, dass dessen Datentransfer von der EU in die USA beendet werden muss. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) den EU-US Privacy Shield für unwirksam erklärt hatte, stützt sich das Soziale Netzwerk wie viele andere Unternehmen auf Standardvertragsklauseln. Der EuGH hatte in seinem Urteil vom Juli klargestellt, dass solche Standardvertragsklauseln prinzipiell anwendbar bleiben. Das setzt aber voraus, dass im Einzelfall der Schutz der Daten bei der Verarbeitung in den USA auf EU-Rechtsniveau sichergestellt ist. Im Zweifel sollen die

Aufsichtsbehörden entscheiden. Facebook hat inzwischen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich zur Anordnung der DPC zu äußern. Das Unternehmen stützt sich auf die richterlich klargestellte mögliche Wirksamkeit der Standardvertragsklauseln und will die Da-

Nach dem Fall des Privacy Shields stützt sich Facebook auf andere Rechtsgrundlagen zur Datenübertragung in die USA. Dagegen geht die irische Aufsicht nun vor – scheibchenweise, wie kritisiert wird. Foto: BS/Descrier, CC BY 2.0, www.flickr.com

tenübermittlung fortsetzen. Die Datenschutzbehörde kann nun mit einer verbindlichen Anweisung reagieren.

Salamitaktik kritisiert Diese könnte jedoch ebenfalls im Sande verlaufen, wie der Datenschutzaktivist Max Schrems moniert. Die Befürchtung: Das Unternehmen könnte sich im nächsten Schritt auf die Notwendigkeit der Datenübertragung gemäß Datenschutzgrundverordnung berufen. Da dieser Schwenk, obwohl vorhersehbar, nicht durch die vorläufige Anordnung umfasst werde, werde der Rechtsstreit unnötig in die Länge gezogen. Mit seiner Organisation noyb will Schrems mit einer einstweiligen Verfügung gegen die irische Datenschutzbehörde vorgehen. Diese müsse sofort hinsichtlich aller rechtlichen Grundlagen zur Datenübertragung gegen Facebook vorgehen, statt Verfahren nur zu Teilfragen einzuleiten.

Für viele von uns sind während der Krise viele Lebensbereiche online gegangen. Leider trifft das auch auf Kriminelle zu, die ihren Fokus in dieser Zeit der Heimarbeit verstärkt auf die CyberKriminalität gerichtet haben. So haben Kriminelle das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit hinsichtlich der Covid-19-Krise rasch missbraucht, um PhishingE-Mails zu verbreiten, um mit neuen Betrugsmaschen basierend auf der Krise Geld zu machen oder Websites aufzusetzen, um gefälschte oder minderwertige Produkte wie Gesichtsmasken, Corona-Testkits oder Arzneimittel zu verkaufen. Der Vertrieb dieser Arten von gefälschten oder minderwertigen Produkten gefährdet unsere Gesundheit und Sicherheit bei gleichzeitiger Erzielung erheblicher illegaler Gewinne für Kriminelle. Darüber hinaus haben sich vor allem Ransomware-Angriffe als ein ernst zu nehmendes Problem entwickelt. Mittlerweile wird nach der Verschlüsslung der Daten den Opfern häufig außerdem die Veröffentlichung der gestohlenen Daten angedroht, um den Druck für die Lösegeldzahlung zu erhöhen.

Gefahr durch Ransomware Auch wenn es grundsätzlich nachvollziehbar ist, warum Unternehmen in solchen Fällen bereit sind, den Forderungen nachzugeben, ist die Empfehlung aus polizeilicher Sicht ganz klar: Bitte zahlen Sie nicht! Zum einen, weil man damit das kriminelle Geschäftsmodell Ransomware

bildung und Sensibilisierung der Mitarbeiter, das Umsetzen geeigneter Sicherheitsmaßnahmen bis hin zum Erstellen Dr. Philipp Amann ist Head of Strategy am European Cyvon Notfallplänen bercrime Center (EC3) von reicht. Ein koEuropol. operativer Ansatz Foto: BS/privat zwischen allen relevanten Partnern, weiter befeuert und unter Um- inklusive Ermittlungsbehörden, ständen andere Verbrechensfor- ist dabei unumgänglich. men mitfinanziert, zum anderen Die einzelnen Verteidigungsweil überhaupt nicht gesichert mauern im Cyber Space können ist, ob man bei einer Zahlung also nicht hoch genug sein, um seine Daten zurückbekommt. einen hundertprozentigen Schutz Man verlässt sich schließlich bei zu gewährleisten, sondern es beeiner Zahlung des Lösegeldes nötigt eine EU-weite Koordination auf die “Ehrlichkeit” von Krimi- und Kooperation, um den oft nellen. Darüber hinaus erhöht grenzüberschreitenden Cyberman bei einer Bezahlung das Bedrohungen nicht nur adäquat Risiko, wieder Ziel eines Angriffes begegnen zu können, sondern zu werden, da sich Kriminelle auch um das Potenzial, das der die “Zahlungswilligkeit” eines Cyber-Raum für Wirtschaft und Gesellschaft bietet, optimal reabetroffenen Opfers merken. Stattdessen sollen sich Betrof- lisieren zu können. fene an die Ermittlungsbehörden Besonders hervorzuheben ist wenden. Neben RansomwareAngriffen spielen derzeit auch die Initiative “No More Ransom” DDoS-Attacken sowie “Fake- (www.nomoreransom.org): Dabei news”-Kampagnen eine Rolle mit handelt es sich um eine erfolgpotenziell schädlichen Folgen reiche Kooperation mit der Prifür die effektive Krisenkommu- vatindustrie, wo sich Betroffene konkret Hilfe holen können. Mit nikation. Die steigende Bedrohung durch zurzeit über 100 frei zur VerfüRansomware verdeutlicht bei- gung stehenden Werkzeugen spielhaft die Notwendigkeit, lassen sich mehr als 140 unterCyber-Sicherheit als ein umfas- schiedliche Ransomware-Familien sendes Konzept zu begreifen, wel- kostenlos entschlüsseln. ches nicht nur die IT-Dimension, Dr. Philipp Amann spricht am sondern gleichermaßen alle Prozesse und Mitarbeiter umfasst. 22. Oktober auf dem Online-KonEs benötigt hier einen proaktiven gress Münchner Cyber Dialog. Ansatz, der über Bewusstseins- Programm und Anmeldung unter: bildung, die kontinuierliche Fort- www.muenchner-cyber-dialog.de


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ie vergangenen Monate stellten einen riesigen Stresstest für die globalen Infrastrukturen des Internets dar. Sicher hat es jeder einmal selbst erlebt: Bestimmte Dienste sind nicht verfügbar oder die Videokonferenz ruckelt. In Zeiten des flächendeckenden Homeoffice ist die Beanspruchung der Netzwerke einfach viel größer. Hier zeigt sich aber auch die enorme Bedeutung, die diese mittlerweile haben. Wenn Mitarbeiter keinen Zugriff auf die Ressourcen haben, die sie benötigen, steht der ganze Betrieb still. Das kann wiederum längere Wartezeiten für Bürger bedeuten.

Improvisation war gefragt Nicht nur für Unternehmen, sondern auch in der Verwaltung stellte sich im Frühjahr die Frage, wie man überhaupt weiterarbeiten kann. Deshalb mussten einfache und pragmatische Lösungen her. So war es oftmals die erste Reaktion, eigene VPN-Kapazitäten auszuweiten, um Remote-Mitarbeiter an die zentralen Ressourcen anzubinden. Langsam zeigt sich aber, dass die Krisensituation noch eine ganze Weile andauern könnte. Außerdem werden Homeoffice-Konzepte auch danach wesentlich weiter verbreitet bleiben – davon kann man ausgehen. Das Netzwerk muss also auf eine Zukunft vorbereitet werden, in der Remote-Arbeit von der Ausnahme zum Standard wird. Netzwerke, die künftig das Rückgrat einer digitalen Verwaltung bilden sollen, müssen auf Ausnahmesituationen vorbereitet sein. Aber auch im normalen Betrieb müssen sie so ausgestattet sein, dass sie mit der regelrechten Datenexplosion unserer Zeit zurechtkommen. Flexibles Arbeiten war ohnehin ein Trend, der schon längere Zeit existierte. Die Corona-Pandemie

Behörden Spiegel / Oktober 2020

Neue Ansätze für das Netzwerk “New Normal” erfordert Anpassung (BS/Oliver Ebel*) Zuverlässige Netzwerke bilden heute mehr denn je die Grundlage für einen zuverlässigen Betrieb von Unternehmen, Behörden und Institutionen. Das Netzwerk hat aber auch großen Einfluss darauf, wie Bedienstete ihren Arbeitsalltag erleben. Gutes Netzwerk-Design schafft eine gute “Employee Experience”. hat diesen nur noch einmal beschleunigt.

Netzwerke zukunftsfit machen Aktuell befinden wir uns im “New Normal” und daran muss man sich anpassen. Haben Institutionen keine zuverlässigen, hochperformanten Netzwerke zur Verfügung, besteht die Gefahr, dass sich Mitarbeiter selbst Mittel und Wege suchen, also eine Schatten-IT aufbauen. Das bringt vielfältige Risiken hinsichtlich Sicherheit und Compliance mit sich. Arbeitgeber müssen deshalb vorsorgen und selbst die benötigten Ressourcen bereitstellen und dafür sorgen, dass die eigenen Netzwerkinfrastrukturen rund um die Uhr betriebsbereit sind. Auch in den verteilten Arbeitsumgebungen von heute muss der Zugriff problemlos funktionieren. Sonst leidet schnell die Produktivität der Mitarbeiter. Wie können IT-Abteilungen diese Herausforderungen adressieren? Hier gibt es einige Ansatzpunkte, um Netzwerke zu optimieren: 1. Software-defined Wide Area Network (SD-WAN) Im Gegensatz zu alten, statischen Netzwerken, die häufig auf MPLS basieren, erlaubt es die SDWAN-Technologie, Endanwender dynamisch mit allen Ressourcen zu verbinden, die sie benötigen. Das können virtuelle Apps, Desktops oder digitale Workspaces sein, die in der Cloud oder im eigenen Rechenzentrum gehostet werden. Außerdem wählt ein SDWAN automatisch die beste Route

für den Datenverkehr aus und verteilt den Traffic über mehrere Pfade, um die Performance zu optimieren. Dadurch wird die SD-WAN-Technologie zu einer Kernkomponente für verteiltes Arbeiten. 2. Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen (ML) Mit den immer komplexeren Netzwerken von heute stößt die manuelle Administration an ihre Grenzen. Mit den neuen Technologien ML und KI wird nicht nur kontinuierliches Monitoring

realisiert, sondern sie sorgen auch für die schnelle Erkennung und Behebung von Anomalien, bevor dadurch ein Schaden entsteht. Fortschrittliche Analysemethoden sorgen auch dafür, die Performanz hochzuhalten, indem immer der optimale Weg für den Traffic automatisch ausgewählt wird. 3. Sicherheit mit Zero Trust Traditionelle Sicherheitskonzepte beruhen auf einem Perimeter, bei dem zwischen sicherem Innen und gefährlichem Außen unterscheiden wird. Im “New Nor-

mal” lässt sich das so nicht mehr anwenden. Stattdessen muss nun jedes Gerät als potenziell unsicher gelten. Dieser Ansatz sieht ein kontinuierliches Identity- und Access-Management vor. Dazu gehören auch umfassende Analysekapazitäten, die bei ungewöhnlichem Nutzerverhalten Alarm schlagen. Im besten Fall wird das auch um eine automatisierte Reaktion ergänzt (Incident Response). 4. Priorisierung Ein Netzwerk der Zukunft muss

in der Lage sein, zwischen kritischen und unkritischen Anwendungen zu unterscheiden und den Traffic entsprechend selbstständig zu priorisieren. Dazu gehört es, dass die Konnektivität auch dann aufrechterhalten wird, wenn ein komplettes Rechenzentrum ausfällt.

Fazit Die allumfassende Digitalisierung der Arbeit ist ein Trend, der schon seit Längerem aktuell ist. Durch die Corona-Pandemie wurde diese Entwicklung allerdings noch einmal enorm beschleunigt. Jetzt kommt es darauf an, resiliente Netzwerke für die Zukunft aufzubauen, um für das New Normal und künftige Krisen gewappnet zu sein. *Oliver Ebel ist Area Vice President DACH bei Citrix.

Gesetzentwurf beschlossen Baden Württemberg schafft sich Cyber-Sicherheitsagentur (BS/wim/stb) Um Abwehrmaßnahmen im digitalen Raum zu koordinieren und das Sicherheitsniveau im Land zu erhöhen, hat die Landesregierung von Baden-Württemberg in einem Gesetzesentwurf die Gründung einer neuen Cyber-Sicherheitsagentur beschlossen. Als eines der ersten Bundesländer setzt Baden-Württemberg damit auf eine zentrale Institution für die Analyse von Bedrohungen und die Abwehr von Gefahren im Cyber-Space. Die neu zu gründende Agentur soll künftig als eigene Landesoberbehörde die Kräfte im Bereich der Cyber-Sicherheit im Ländle bündeln und als zentrale Koordinierungs- und Meldestelle in Baden-Württemberg Daten zur aktuellen Sicherheitslage und zu Angriffsszenarien im Land sammeln, dokumentieren und auswerten. Diese Analysen (und gegebenenfalls auch Warnungen) werden dann allen relevanten Akteuren zur Bewertung der Situation und der Umsetzung entsprechender Maßnahmen dienen. Zu den Aufgaben soll auch die Vernetzung der Akteure im Bereich der Cyber-Sicherheit ge-

hören. Für Cyber-Sicherheitsbehörden des Bundes, der EU und international soll die Agentur zentraler Ansprechpartner sein. Zudem soll sie Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung für das Thema sensibilisieren und konkrete Hilfleistungen bieten.

Schutz der Landes-IT Die gebündelde Sicherheitsarchitektur umfasst auch die strategische Steuerung und Überwachung landesweiter Maßnahmen zum Schutz der IT des Landes. Bisher erfolgt die Cyber-Abwehr dezentral. Alle öffentlichen Stellen in Baden-Württemberg müssen eigene Strukturen und

technische Voraussetzungen dafür selbst schaffen oder externe Dienstleister dafür in Anspruch nehmen. “Die Cyber-Sicherheitsagentur wird das Herz unserer neuen Cyber-Sicherheitsarchitektur”, sagte der Stv. Ministerpräsident und Digitalisierungsminister Thomas Strobl. “Damit bieten wir potenziellen Angriffen auf unsere digitalen Infrastrukturen Paroli. Größtmögliche Sicherheit ist ein entscheidender Parameter für die nachhaltige Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und somit ein wesentlicher Standortfaktor.” Die Agentur soll ihre Arbeit schon Anfang 2021 mit einer

Aufbauphase aufnehmen. Bevor der Entwurf zum Gesetz werden kann, erfolgt zunächst eine Anhörung von Expertinnen und Experten. Auch Bürgerinnen und Bürger können sich über das Beteiligungsportal des Landes zu dem Vorhaben äußern und in die Ausgestaltung der Agentur einbringen.

Eckpunkte für neue Sicherheitsstrategie vorgelegt Neben der Bündelung der Kräfte in der Cyber-Sicherheitsagentur wird Baden-Württemberg auch eine neue Cyber-Sicherheitsstrategie aufsetzen. Eckpunkte dafür hat der Ministerrat ebenfalls vorgelegt.

NEUES AUS DER CYBER AKADEMIE

European Cyber Security Month 2020 – Cyber Akademie mit Start der “Webbies” dabei Die Cyber Akademie (CAk) hat den Start der neuen “Webbie”Reihe als Beitrag für den European Cyber Security Month (ECSM) angemeldet. Der Aktionsmonat, dieses Jahr vom 15. September bis 15. November, wird seit 2012 von den EU-Mitgliedsstaaten unter Federführung der Agentur der Europäischen Union für Cybersicherheit (ENISA) durchgeführt und hat zum Ziel, Cyber-Sicherheit in den Fokus von Bürgern und Bürgerinnen, Unternehmen und Organisationen zu rücken. Auf nationaler Ebene koordiniert das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik den Aktionszeitraum, 2019 beteiligten sich hierzulande mehr als 100 Partner mit

knapp 200 Aktionen. In den Sozialen Medien sind die Aktionen leicht durch den Hashtag #ECSM identifizier- und auffindbar.

Gegen den Datenexodus Bei den Webbies der CAk handelt es sich um einmal im Monat erscheinende, zehnbis fünfzehnminütige Online-Gespräche zu aktuellen Digitalthemen. Im Zentrum stehen dabei der Schutz sowie die Datensouveränität und digitale Kompetenz der Nutzerinnen und Nutzer. So beleuchtet die erste Ausgabe unter dem Titel “Hände weg von meinem Smartphone” den Datenexodus vom eigenen Smartphone und wie mit einfachen Maßnahmen und Selbstrefle-

xion des eigenen Verhaltens der ungewollte Datenabfluss ohne allzu große Komforteinbußen eingeschränkt werden kann. Gesprächspartner ist Hannes Munzinger, mehrfach ausgezeichneter Redakteur der Süddeutschen Zeitung (SZ) für Daten- und investigative Recherchen. Neben der für das Webbie relevanten SZ-Story “Wie wir uns verraten” (erschienen im Dezember 2019) wirkte er unter anderem an den Enthüllungen der Panama und Paradise Papers mit.

Von C2C zu B2C Mit den Webbies ergänzt die CAk ihr Portfolio um ein zeitgemäßes Business-to-CustomerFormat (B2C). “Eine grundlegende digitale Kompetenz von Endnutzerinnen und Endnutzern wie SmartphoneUsern, Smart-Watch-Trägern oder Smart-Home-Nutzern ist zentrale Voraussetzung für gesamtgesellschaftliche ITSicherheit und die viel zitierte “digitale Souveränität” der bzw. des Einzelnen. Entsprechend wichtig ist es, mit kurzweiligen, verständlichen und praktikablen Angeboten einerseits auf mögliche Gefahrenquellen hinzuweisen, andererseits Hilfestellungen mitzuliefern”, erläutert Lukas Schäfer, COO der Cyber Akademie. “Ich selbst habe im Gespräch mit Herrn

Munzinger Neues gelernt und kann die erste Folge wärmstens empfehlen. Nahezu ein jeder besitzt mittlerweile ein Smartphone und ist ohne proaktives Eingreifen einer Vielzahl an unbemerkten, teilweise dubiosen Datenabgriffen ausgeliefert. Mit der entsprechenden Awareness kann man jedoch leicht gegensteuern, ohne auf Komfort – wie die Nutzung weit verbreiteter Messenger- oder Karten-Dienste – verzichten zu müssen.” Doch nicht nur den Nutzern kommt eine Sensibilisierung zugute. Ein datensparsamer Umgang mit Smartphones und Apps sorgt auch für resilientere IT-Infrastrukturen von Unternehmen und Organisationen. Insbesondere wenn auf das Arbeitsmodell “Bring Your Own Device” (BYOD) zurückgegriffen wird, bei dem die Arbeitnehmenden ihre privaten Endgeräte für Arbeitszwecke verwenden. Das Model verspricht zwar schnelle Verfügbarkeit und Kosteneinsparungen, was angesichts der Corona-Lage als großer Vorteil scheint, stellt aber einen erheblichen Mehraufwand für die IT-Sicherheit und Datenschutzaufsicht dar. Das erste Webbie “Hände weg von meinem Smartphone” mit Hannes Munzinger ist ab 5. Oktober unter www.cyber-akademie. de/webbies verfügbar.

Unser Kursangebot Digital oder vor Ort ■ Webinar: Das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 19. Oktober, 10:00-12:30 Uhr ■ Online-Kongress Münchner Cyber Dialog 2020 – Datensouveränität in IT-kritischen Zeiten 21.-22. Oktober, 10:00-12:15 Uhr ■ IT-Sicherheit bei der Nutzung von Cloud-Diensten Bonn, 28. Oktober, 9:00-17:00 Uhr ■ BSI-Grundschutz in der Praxis Berlin, 4.-5. November, 10:00-15:30 Uhr ■ Datenschutz bei der Polizei – EU-DSGVO, BDSG-Neu, RI-Richtlinie & Co. Bonn, 4.-5. November, 9:30-14:30 Uhr ■ Praxis-Kurs Darknet: Grundlagen, Einführung und Recherche Bonn, 4.-5. November, 10:30-15:30 Uhr ■ Datenschutz Praxis: Aufbau und Umsetzung eines Datenschutz-Management-Systems (DSMS) Hannover, 12. November, 9:00-17:00 Uhr ■ Datenschutzbeauftragte/r in der öffentlichen Verwaltung (mit TÜV-Rheinland-gepr. Qualifikation) Stuttgart, 23.-27. November, 10:30-11:30 Uhr

Anmeldungen und komplettes Programm: www.cyber-akademie.de Grafik: BS/Dach unter Verwendung von ribkhan, stock.adobe.com


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Oktober 2020

Panne – (Mo)WaS?

KNAPP

Bundesweiter Warntag offenbarte technische und strukturelle Probleme (BS/Uwe Proll/Marco Feldmann) Stell Dir vor, es gibt einen Alarm – eine Rakete ist im Anflug, ein Meteorit droht einzuschlagen oder ein Atomkraftwerk droht wegen eines Terroranschlages zu zerbersten – dann braucht es einen nationalen Alarm. Diesen muss jeder – aber auch jeder hören oder lesen können. Zu Zeiten des Kalten Krieges war das kein Problem. Denn in der Bundesrepublik (alt) gab es 86.000 Sirenen, zehn Warnämter mit insgesamt 500 Mitarbeitern und 30 Millionen Deutsche Mark Budget. Das wurde aufgrund der sogenannten Friedensdividende abgeschafft. Man glaubte sich in Frieden. Doch die neue sicherheitspoliti­ sche Situation führte dann zu der Überlegung, dass eine nationale Warnung der gesamten Bevöl­ kerung durchaus wieder Sinn machen würde. Also beschloss die Innenministerkonferenz (IMK) 2019, dass eine Warnung der Bevölkerung wieder notwendig sei. Da das Gesamtsystem des Zivilschutzes zu diesem Zeitpunkt aber schon weitestgehend he­ runtergefahren war, gab es jah­ relange Diskussionen über eine neue Warnmöglichkeit für die Bevölkerung. Es wurden dann technische Lösungen auf ver­ schiedenen Kanälen gesucht. Das ist das eine Problem. Das andere Problem besteht jedoch in der Tatsache, dass das Bundesamt für Zivilschutz aufgelöst wurde und stattdes­ sen in gewisser Weise unter Ver­ schleierung und Vermengung der Aufgaben von Zivil- und Ka­ tastrophenschutz auf Bundes­ ebene ein neues Amt unter dem Innenminister Otto Schily (SPD) ins Leben gerufen wurde. Das war 2004. Da laut Grundgesetz die Bundesländer für den Katas­ trophenschutz zuständig sind, nannte man das Amt dann Bun­ desamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Es sollte aber implizit auch eine Weiterführung des Zivilschutzes wahrnehmen, der aber explizit als solcher politisch in Friedenszeiten gar nicht gewollt war.

Überraschende Kritik Die Probleme mit dem Warntag, der schieflief, sind also nicht nur technischer Natur, sondern auch struktureller. Bundesinnenminis­ ter Horst Seehofer (CSU) erklärte: “Die Verantwortung liegt beim BBK.” Der Innenminister setzte dann noch einen drauf: “Sie kön­ nen davon ausgehen, dass sich da in jeder Richtung Grundsätzliches

sicherlich nicht schlecht angelegt. Da liegt aber ein anderer Ha­ senfuß. Der Bund möchte das Thema nicht zentral anpacken, weil der Katastrophenschutz Ländersache ist. Und die Länder verteidigen dieses Privileg vehe­ ment, obwohl sie selbst in der Vergangenheit äußerst wenig in den Katas­trophenschutz investiert haben. Der Bund leistet da deut­ lich mehr. Doch er hat erstens das Problem, dass das BBK eine Art Zwitter ist. Und zweitens ist eine Zusammenlegung von BBK und der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW), die bereits vor Jahren ausgiebig diskutiert wur­ de, derzeit nicht durchsetzbar.

Zivilschutzamt wäre wohl besser gewesen Sirenen wurden in Deutschland nach dem Ende des Kalten Krieges in Deutschland flächendeckend abgebaut. Wo es sie noch gibt, werden sie – wenn überhaupt – noch zur Alarmierung der Freiwilligen Feuerwehr genutzt. Dieser Rückzug hat sich nun beim ersten bundesweiten Warntag seit 30 Jahren gerächt. Die Aktion hat aber nicht nur technische, sondern auch strukturelle Probleme im Katastrophenschutz offenbar werden lassen. Foto: BS/Thomas Max Müller, pixelio.de

ändern wird. Wir müssen da völlig neu ordnen dort. Und da kümmere ich mich persönlich drum.” Die Kritik kam überraschend, denn längst lag dem Innenminister ein Drei-Stufen-Konzept zur Stär­ kung des nationalen Risiko- und Krisenmanagements vor. Das hat­ te er sogar in seiner Aktenmappe, als er noch vor zwei Monaten auf der Innenministerkonferenz (IMK) in Erfurt war. Seine Mitarbeiter hatten es ihm mitgegeben, um den Vorstoß zur Stärkung des Bundes im Katas­trophenschutz zu machen. Er hat es aber auf der IMK nicht zur Sprache gebracht. Denn das Grundgesetz regelt ein­ deutig, dass Katastrophenschutz eine Aufgabe der Bundesländer ist. Kommt der Bund hier auch nur mit einem Vorschlag in Rich­ tung Zentralisierung um die Ecke, stehen die Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen sofort auf der Matte und blockieren.

Seehofer hatte in seiner Akten­ mappe auf der IMK zwei Vorschlä­ ge. Beim einen ging es um eine Verbesserung und Stärkung des nationalen Risiko- und Krisen­ managements aufseiten des BBK, ohne dass eine Grundgesetzän­ derung notwendig gewesen wäre. Das zweite Papier enthielt dann aber giftige Vorschläge, die die Bundesländer sicherlich auf die Palme gebracht hätten. Danach sollten eine Überprüfung des bis­ herigen verfassungsrechtlichen Rahmens und eine Veränderung in den Zuständigkeiten von Bund und Ländern in Sachen Katas­ trophenschutz zugunsten des Bundes stattfinden. Dazu sollte der Artikel 87 des Grundgesetzes geändert werden und eine Zen­ tralstellenfunktion – vergleichbar der des Bundeskriminalamtes – für das BBK eingerichtet werden. Der gescheiterte bundesweite Warntag war für das Bundesin­

nenministerium (BMI) eine Blama­ ge par excellence. Denn dort wurde groß angekündigt, dass man seit 30 Jahren erstmals wieder eine nationale Bevölkerungswarnung durchführen wolle.

Alarm zu früh ausgelöst Nun muss dringend die Software verbessert werden. Doch das al­ leine dürfte kaum ausreichen, zumal es derzeit keine Schnitt­ stelle zwischen MoWaS und den Sirenen gibt. Seit Jahren steht im Raum, dass neue HochleistungsSirenen in Stellung gebracht wer­ den könnten. Diese wären in der Lage, mit nur 500 an der Zahl und den ergänzenden Warnka­ nälen über Medien die gesamte Bevölkerung zu erreichen. Eine komplexe Aufgabe, vor allem eine finanzielle. Doch wenn man jetzt betrachtet, welche Geldsummen zu Corona-Zeiten auf den Weg ge­ bracht werden, wären diese Mittel

Zum Zeitpunkt der BBK-Errich­ tung 2004 war möglicherweise noch nicht klar, dass wir in eine andere sicherheitspolitische Lage geraten würden. Vielleicht hätte der Bund seinerzeit besser wie­ der ein Zivilschutzamt einführen sollen. Doch das lag damals nicht auf SPD-Linie. Besser wäre es in jedem Falle gewesen, denn dann hätte der Bund einen einfacheren Zugriff auf Kompetenzen und Zuständigkeiten. Nun kam es dennoch zum Showdown. Der jetzige BBKPräsident Christoph Unger, ein bekennender SPD-Mann, wurde öffentlich demissioniert. Armin Schuster, derzeit CDU-Bundes­ tagsabgeordneter, wird folgen. Das ist jetzt eine parteipolitische Personalentscheidung. Ob die­ se Entscheidung jedoch auch tatsächlich einen Wechsel und ernsthaften Ansatz bietet, das BBK in eine Zentralstellenfunk­ tion zu hieven, wird sich noch zeigen. In den verbleibenden elf Monaten bis zur Bundestagswahl bleibt dafür eigentlich keine Zeit mehr.

Zusätzliche Stellen gefordert (BS/mfe) In einem Offenen Brief an den Thüringer Ministerprä­ sidenten Bodo Ramelow (Die Linke) verlangt der Landesvor­ sitzende der Deutschen Polizei­ gewerkschaft (DPolG), Jürgen Hoffmann, eine Stärkung der Personalausstattung für Poli­ zei und Verfassungsschutz. Es brauche mindestens 200 zu­ sätzliche Planstellen für den Polizeivollzug, 50 weitere Plan­ stellen für die Polizeiverwaltung und 40 zusätzliche Stellen beim Verfassungsschutz. Des Weite­ ren komme es darauf an, die Führungs- und Einsatzmittel der Polizei zu modernisieren. Der Er­ satz der Maschinenpistole MP5 sei bereits lange überfällig und zur Bewältigung von Amokla­ gen unablässig. Außerdem solle der Verfassungsschutz wieder Ausrichtung finden auf die Be­ kämpfung der Organisierten Kri­ minalität (OK) und das stärkere Vorgehen gegen Extremismus.

Reichskriegsfahnen verboten (BS/mfe) Im Land Bremen ist das Zeigen von Reichskriegs­ flaggen künftig untersagt. Bis­ lang galt das nur für die mit dem Hakenkreuz versehene Reichsfahne, die von 1935 bis 1945 genutzt wurde. Reichs­ kriegsflaggen unterlagen diesem Verbot bislang nicht. Diese Re­ gelungslücke hat Bremens In­ nensenator Ulrich Mäurer (SPD) jetzt per Erlass geschlossen. Demnach stellt die Verwendung von Reichskriegsflaggen in der Öffentlichkeit nun regelmäßig eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Reichskriegsflag­ gen im Sinne des Erlasses sind die Kriegsflagge des Norddeut­ schen Bundes beziehungsweise des Deutschen Reiches von 1867 bis 1921, die Kriegsflagge des Deutschen Reiches von 1922 bis 1933 sowie die Kriegsflagge des Deutschen Reiches von 1933 bis 1935.


Innere Sicherheit

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Behörden Spiegel / Oktober 2020

Mehr Dialog erforderlich

MELDUNGEN

Sicherheitskoordinator vorgesehen

Polizeien müssen stärker mit Migranten kommunizieren

(BS/Marco Feldmann) In Zukunft braucht es mehr Austausch und Kommunikation zwischen den Polizeibehörden und der migrantischen Community. Denn Letztere ist inzwischen deut- (BS/mfe) Im Freistaat Sachsen lich selbstbewusster geworden und setzt sich vermehrt gegen (vermeintliche) Ungleichbehandlung durch die Polizei zur Wehr. Aufseiten der Sicherheitsbehörden ist deshalb deutlich soll es künftig einen Sicherheitsmehr interkulturelle Kompetenz und Kommunikation vonnöten. Hier ist noch Nachholbedarf. koordinator geben. EntsprechenDie Forderung nach Verbesserungen in diesem Kompetenzbereich stellt Souad Lamroubal von der Behörden Spiegel-Stiftung auf. Zudem brauche es bei der Polizei eine stärkere Kritikfähigkeit und Selbstreflektion. Vor rechtsextremen Strukturen in den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) – wie sie zuletzt in NordrheinWestfalen und Hessen offenbar wurden – dürften nicht die Augen verschlossen werden. Insgesamt brauche es mehr Menschen, die für die Rechte der migrantischen Gemeinschaft gegenüber den Behörden einträten und verstärkte rassismuskritische Ansätze, so Lamroubal. Es müsse mehr mit den Migranten als über sie gesprochen werden. Bislang sei der Austausch jedoch oftmals noch gestört. Auch Polizeibeamte mit Migrationshintergrund, von denen es aus Lamroubals Sicht derzeit in Deutschland noch zu wenige gibt, könnten als Brückenbauer dienen. Hilfreich könnten zudem möglicherweise Polizeibeauftragte oder ähnliche Institutionen sein.

Behörden bereit zum Dialog Die Polizeien seien gegenüber der migrantischen Gemeinschaft sehr wohl gesprächs- und dialogbereit, erwiderte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Dietmar Schilff. Zudem setzten sich die Behörden durchaus mit Rassismus und Fehlverhalten in den eigenen Reihen auseinander. Hierfür erhielt er Zuspruch von Prof. Dr. Dieter Hermann, Kriminologe an der Universität Heidelberg. Deutschlands Polizeien arbeiteten Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter recht gut auf und seien durchaus zur kritischen Selbstreflektion fähig. Problematisch sei jedoch, dass es immer gesellschaftliche Gruppen geben werde, die nicht mit der Polizei sprechen wollten und die Beamte nicht als Menschen, sondern als Tiere betrachten würden, ergänzte Schilff. Hinzu komme, so Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), dass die Debatte um angebliche Polizeigewalt zum Teil noch in den Sozialen Medien angeheizt werde. Darüber hi­ naus müssten sich die Beamten Rassismusvorwürfe gegen sie von der politischen Ebene aus gefallen lassen. Und, so kritisierte Wendt: gesellschaftliche Urteile über polizeiliches Handeln, das sich selbstverständlich einer kri-

Debattierten über (vermeintliche) Polizeigewalt und den richtigen Umgang mit der migrantischen Gemeinschaft (im Uhrzeigersinn): Prof. Dr. Dieter Hermann, Uwe Proll (Moderator), Souad Lamroubal (Behörden Spiegel-Stiftung), Rainer Wendt (DPolG) und Dietmar Schilff (GdP). Screenshot: BS/Feldmann

tischen und rechtsstaatlichen Überprüfung aussetzen müsse, würden teilweise zu schnell gefällt. Diese Aufgabe sei ausschließlich Gerichten und Staatsanwaltschaften vorbehalten. Deshalb dürften Polizeibeauftragte auch nur vermittelnd und nicht als Paralleljustiz tätig werden. Durch ihre Einrichtung dürfe keine eigene Behörde entstehen, die ausschließlich gegen Polizisten ermittle, waren sich Schilff und Wendt einig.

Nicht gleich verteilt Denn Polizei müsse in gewisser Weise selektiv tätig sein. Schließlich sei Kriminalität innerhalb der Bevölkerung ungleich verteilt, erklärte Kriminologe Hermann. Junge Männer würden überproportional oft straffällig werden, Migranten per se in Gesamtheit nicht. Allein schon aus diesem Grunde könne und solle die Polizei Kontrollmaßnahmen nicht gleichmäßig auf alle Bürger verteilen, sondern müsse bewusst Schwerpunkte setzen. Dabei könne sie auch von ihrem großen Vertrauen, das ihnen die Bürger entgegenbrächten, und dem geringen Dunkelfeld im Bereich der Polizeigewalt profitieren, unterstrich der Wissenschaftler. Damit die Gesellschaft jedoch nicht auseinanderfalle, brauche es eine gewisse “Kernhomogenität”. Ein bestimmter, von allen akzeptierter Wertekanon sei zwingend notwendig, betonte Hermann im Rahmen einer OnlineDiskussionsrunde bei “Digitaler Staat Online”. Polizeibeamte sind nicht nur immer wieder Rassismusvorwürfen ausgesetzt. Ebenso wie Feuerwehrleute, Mitarbeiter des Rettungsdienstes und andere Angehörige des Öffentlichen Dienstes werden sie im Dienst auch immer öfter attackiert. Feststellbar sind

eine zunehmende Aggressivität und eine immer stärker anwachsende Respektlosigkeit gegenüber Vertretern des Staates. Solch ein Verhalten bestimmter Mitglieder der Gesellschaft kann jedoch massive Folgen für die Einsatzkräfte und Mitarbeiter in den Ämtern haben. Das gelte zum einen im physischen Bereich – wo schlimmstenfalls eine dauerhafte Dienstunfähigkeit drohe. Zum anderen drohten auch schwerwiegende Konsequenzen für die Psyche der Betroffenen, erklärt Bernd Schünke, Leiter des Teams zur psychosozialen Unterstützung (PSU-Team) der nordrhein-westfälischen Polizei. Hier brauche es wirksame Hilfe und Unterstützung durch den jeweiligen Dienstherrn. Denn derartige Angriffe gingen nicht spurlos an den Kolleginnen und Kollegen vorbei. Für die Opfer spiele es eine große Rolle, ob sie Rückhalt durch ihre Dienststelle und deren Leitung erführen oder nicht. Ebenso wichtig sei für sie, ob die Tat strafrechtlich verfolgt oder das Verfahren eingestellt werde, betonte der Chefarzt der Heiligenfeld Klinik Berlin, Sven Steffes-Holländer. Die Verrohung in den Umgangsformen sowie das höhere Maß an Beschimpfungen und Gewalt gegen Angehörige des Öffentlichen Dienstes beobachte er mit Schrecken.

Mehr Rückhalt wünschenswert Beim Rückhalt durch den Dienstherrn sei jedoch oftmals noch Luft nach oben, ergänzte Valentino Tagliafierro, Vorsitzender des Personalrates der Berufsfeuerwehr Duisburg und Vorsitzender des Fachbereichs Feuerwehr und Rettungsdienst der Komba Gewerkschaft. Nur dann und wenn Vorfälle kon-

Neuerung in Potsdam

sequent zur Anzeige gebracht würden, könne das erhebliche Dunkelfeld verkleinert werden, unterstrich das Vorstandsmitglied der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft (DFeuG) im Landesverband Hessen, Andreas Bauer. Derzeit würden Verfahren noch zu häufig eingestellt, kritisierte Tagliafierro, der im Dienst bereits selbst Gewalterfahrungen machen musste. Hier müssten Staatsanwälte stärker sensibilisiert werden. Zudem brauche es mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften für derartige Delikte. Die Justiz dürfe dort keine falschen Signale setzen, ergänzte Niels Sahling, Bundesjugendvorsitzende der Jungen Gruppe der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und aktiver Polizeibeamter. Auch Richter seien gefragt, bei Strafzumessungen konsequent und kreativ zu sein, unterstrich Dr. Janina Lara Dressler. Die Gewaltpräventionsbeauftragte der Berliner Feuerwehr berichtete, dass ihre Behörde sich künftig stärker mit der Staatsanwaltschaft vernetzen wolle. Zudem gehe sie proaktiv auf von Gewalt betroffenen Mitarbeiter zu und biete ihnen Prozessvorbereitungsgespräche an. Dabei handele es sich jedoch nicht um Rechtsberatungen. Und in Nordrhein-Westfalen ermunterten die Leitungen der Polizeibehörden Beamte, die im Dienst Gewalterfahrungen machen mussten, zur Erstattung von Anzeigen. Würden dann auch Strafanträge gestellt, schlössen sich die Behördenleitungen diesen in aller Regel an, berichtete Schünke. Seine Kollegen und er vom PSU-Team, das seine Arbeit weg von einem personenbezogenen hin zu einem einsatzanlassbezogenen Vorgehen verändern wolle, stellten im Übrigen fest, dass jüngere Kollegen eher Hilfsangebote annähmen als Ältere.

Vorruhestand nicht immer gut Wenig hilfreich sei es, von Gewalt betroffene Mitarbeiter, die deshalb nicht mehr einsatzdiensttauglich seien, einfach in den Vorruhestand zu versetzen. Hier waren sich Tagliafierro, Schünke und Steffes-Holländer einig. Denn dies sei auch für ihre Genesung nicht hilfreich. Die Beschäftigten dürften – auch als Ausdruck der Wertschätzung ihrer Arbeit – nicht alleingelassen werden. Vielmehr müssten sie proaktiv angesprochen werden, da sie oftmals selbst nicht in der Lage seien, Hilfe für sich einzufordern. Des Weiteren könnten in den Behörden Sozialstellen für einsatzdienstuntaugliche Kollegen geschaffen werden, verlangte Tagliafierro. Zustimmung zu der Idee kam von Steffes-Holländer.

Neben Repression und Nachsorge sei im Falle von Gewalt gegen öffentlich Bedienstete aber auch Vorbeugung wichtig. Die Prävention müsse dabei immer in zwei Richtungen gehen. Einerseits müsse das eigene Personal geschult werden, etwa in Deeskalationsstrategien. Andererseits brauche es auch Vorbeugung nach außen, in die Gesellschaft hinein. Hier gehe es unter anderem um kiezorientierte Arbeit, erläuterte Dressler. Solch ein Tätigwerden sei für eine Behörde jedoch nur schwer möglich, betonte sie im Rahmen der Diskussionsrunde des “Digitalen Staats Online” des Behörden Spiegel. Die Berliner Feuerwehr schule ihre Kräfte unter anderem im Bereich der Einsatzkommunikation. Wissenschaftlich betrachtet, müsste dies eigentlich einmal im Monat erfolgen. Dafür seien derzeit die Ressourcen allerdings nicht vorhanden. Letzteres bedauerte Steffes-Holländer. Denn: “Prävention muss regelmäßig geübt werden.” Hier wollte auch Dressler nicht widersprechen, die zudem feststellte: “Deeskalation geht nie ganz ohne Selbstverteidigung.” Wichtig sei es für Polizei und Feuerwehr darüber hinaus, bereits in Kindergärten und Schulen präventiv tätig zu sein. Hier könne sehr gut für Respekt gegenüber den Beschäftigten geworben werden, zeigte sich Sahling überzeugt. Er forderte: “Wir dürfen bei der Aufklärung nicht müde werden.” Dabei müsse jedoch klar sein, dass Werbekampagnen zwar einen Großteil der Gesellschaft, aber eben gleichzeitig auch nur Interessierte erreichten. Zudem sei der Wirkungsgrad von Kampagnen im digitalen Raum nur schwer zu ermitteln, ergänzte Schünke, der Polizeiabteilungsleiter in der Kreispolizeibehörde Borken ist.

Außenkameras nicht überall sinnvoll Prävention ist dabei nicht nur durch Aktionen und Trainings, sondern auch mithilfe von Technik möglich. So plädierte Sahling etwa für eine flächendeckende Einführung von Bodycams bei den Polizeien, da die Geräte deeskalierend wirkten. In der Diskussion waren auch Außenkameras. Sie werden teilweise bereits bei Landespolizeien verwendet. Für die Feuerwehren seien sie allerdings weniger sinnvoll, unterstrich Tagliafierro. Denn im Rettungsdienst geschehe viel mehr im Fahrzeug als bei der Polizei. Und, so Dressler, die Videobeobachtung im Innern von Rettungswagen sei datenschutzrechtlich problematisch.

de Pläne zur Schaffung einer solchen Stelle hat Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller (CDU) dem Kabinett in Dresden präsentiert. Demnach soll der Koordinator seinen Sitz im Innenministerium haben und direkt der Hausspitze unterstehen. Er soll die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), darunter neben der Polizei auch das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV), noch besser vernetzen. Zudem soll er als Schnittstelle zu vergleichbaren Behörden des Bundes und anderer Länder fungieren. Des Weiteren ist vorgesehen, dass ihm die Fachaufsicht über das LfV sowie die konzeptionelle Lösung strategischer Fragestellungen unter anderem in den Bereichen Extremismus- und Terrorismusbekämpfung obliegen. Außerdem soll er ein fortlaufendes Lagebild zur Erkennung und Entwicklung von Tendenzen und Ereignissen erstellen, Impulse für die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden geben sowie den einheitlichen Umgang mit extremistischen Verdachtsfällen innerhalb der Verwaltung regeln. Nach Schaffung aller gesetzlichen Voraussetzungen kann der Sicherheitskoordinator vo­ raussichtlich Mitte 2021 seinen Dienst antreten.

Initiative geplant (BS/mfe) Der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, Lorenz Caffier (CDU), will im Kampf gegen Kinderpornografie und extremistische Straftaten künftig die Vorratsdatenspeicherung nutzen. Mithilfe einer Bundesratsinitiative will er die Mindestspeicherfrist einführen. Caffier will einen Entschließungsantrag stellen. Er sagte: “Im digitalen Zeitalter müssen die ermittelnden Behörden die richtigen Instrumente zur Verfolgung von Straftaten und zur Durchsetzung des Rechtsstaats haben. Jeder Ermittler weiß: Ohne Vorratsdatenspeicherung ist die Bekämpfung von Kinderpornografie erheblich eingeschränkt.” Er könne es keinem betroffenen Kind oder Elternteil erklären, dass die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) aus ideologischen Gründen auf eines ihrer schärfsten Schwerter verzichten müssten. “Der Schutz unserer Kinder ist eine der wichtigsten Aufgaben. Der Staat hat hier eine Schutzpflicht, der er wirksam nachkommen muss”, so der Schweriner Ressortchef. Die Mindestspeicherfrist sei erforderlich, da ansonsten wichtige Bestandsdaten oder Informationen verloren gingen, die zur Aufklärung schwerster Straftaten notwendig seien.

Polizeiabteilung im Innenministerium wird umstrukturiert (BS/mfe) Im Brandenburger Innenministerium wird die Polizeiabteilung (Abteilung vier) umstrukturiert. An der Spitze der Abteilung steht nun auch wieder Dr. Herbert Trimbach. Er hatte diesen Posten in der Vergangenheit schon einmal inne, war dann aber umgesetzt worden und ist jetzt wieder auf seiner früheren Position. Die Entscheidung zur grundlegenden Neustrukturierung sei Ergebnis eines längeren Diskussionsprozesses und werde derzeit in Workshops auf Fachebene vorbereitet, so Minister Michael Stübgen (CDU). Er sagte: “Zu einer hochprofessionellen Polizei gehört eine leistungsfähige Fachaufsicht auf ministerieller Ebene. Damit wir das auch weiterhin gewährleisten können, wollen wir zu klareren Strukturen finden und Schwerpunkte noch stärker an zukünftigen Anforderungen moderner Polizeiarbeit ausrichten.” Ziel sei es zudem, die strategische Planung im Ministerium zu bündeln und die operative Führung in der Polizei zu stärken.

Beabsichtigt ist unter anderem, in der Polizeiabteilung ein reines IT-Referat zu schaffen. Dieses soll künftig entweder das Referat 41 oder 42 bilden, die beide derzeit noch unbesetzt sind. Dessen Mitarbeiter sollen sich um die strategische Planung für die digitale Ausrüstung und Struktur in der Polizei kümmern. Des Weiteren soll im Ministerium eine neue Bürgerbeschwerdestelle eingerichtet werden. Auch diese wird eine der beiden momentan unbesetzten Referate bilden. Parallel dazu will der Landtag die Position eines Polizeibeauftragten schaffen. Maßnahmen der präventiven Kriminalitätsbekämpfung sollen stärker in

den Fokus rücken. Dafür ist eine Stärkung des Landespräventionsbeauftragten, der vom Landtag bestellt ist, vorgesehen. Prävention soll künftig noch umfassender betrachtet werden. Die Planungen zur Umstrukturierung sollen bis Jahresende abgeschlossen sein, um sie bis Mitte 2021 dann umzusetzen. Dr. Trimbach, der nun endgültig auf seinen Posten zurückkehrt, obliegt die Umstrukturierung. Dafür verlängerte er seine Dienstzeit nochmals bis zum 31. August 2021. Er hatte sie zuletzt bereits bis 31. Dezember dieses Jahres verlängert. Die bisher laufende Ausschreibung für seine Nachfolge wurde aufgehoben.

KOMMENTAR

Verfassungsschutzstrukturen brauchen mehr Einheitlichkeit (BS) Weder das Grundgesetz noch eine Einzelnorm legen fest, wie die Länder ihre Verfassungsschutzbehörden zu organisieren haben. Je nach Bundesland existieren entweder eigenständige Landesämter als Oberbehörden (etwa in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen) oder nichtselbständige Abteilungen in den Innenverwaltungen. Diesen Ansatz verfolgen unter anderem NordrheinWestfalen, Niedersachsen, Berlin und Brandenburg. Dem Beispiel sollten alle Bundesländer folgen. Derzeit sitzen im für Verfassungsschutzfragen zuständigen Arbeitskreis IV der Innenministerkonferenz (IMK) zwei Gruppen zusammen, deren Interessen und Ansichten keineswegs

immer deckungsgleich sind. Das ist problematisch. Denn während die Abteilungsleiter, in deren Ländern keine eigenständigen Landesämter existieren, eine große Nähe zum operativen Geschäft aufweisen, ist dies bei den Abteilungsleitern, die “nur” die Fachaufsicht über eine eigenständige Landesoberbehörde innehaben, nicht unbedingt der Fall. Außerdem unterscheiden sich die Kenn- und damit auch die Vertrauensverhältnisse innerhalb dieser beiden Gruppen erheblich. Ist die Abteilungslösung ersteinmal bundesweit eingeführt, sind im AK IV nur noch die Abteilungsleiter und damit die operativ Verantwortlichen vertreten.

Eine Straffung der Strukturen bringt eine deutliche Effizienzsteigerung mit sich. Die Verfassungsschutzbehörden können schneller (re-)agieren und ihre Aufgaben besser erfüllen. Bislang teilweise noch vorhandene Barrieren, Informationsdefizite und Reibungsverluste aufgrund der Zweiteilung im IMK-Arbeitskreis werden beseitigt oder entstehen im besten Falle erst gar nicht. Außerdem werden derzeit teilweise noch vorhandene Animositäten und Friktionen zwischen Verfassungsschutzchefs und ihren Fachabteilungsleitern bedeutungslos. All dies wäre eindeutig ein Gewinn für die Sicherheitslage in Deutschland! Marco Feldmann


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Oktober 2020

B

ehörden Spiegel: Vor welchen sicherheitspolitischen und polizeilichen Herausforderungen steht der Freistaat Sachsen derzeit? Prof. Dr. Roland Wöller: Auch bei uns in Sachsen existieren die Gefahren, die bundesweit bestehen. Das ist zum einen die terroristische Bedrohung. Hier besteht weiterhin eine abstrakt hohe Anschlagsgefahr. Zum anderen haben wir es mit einem zunehmenden Extremismus zu tun. In Mitteldeutschland und Sachsen betrifft das insbesondere den Bereich des Rechtsextremismus. Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus sind die größte Gefahr, die wir derzeit in Deutschland im Sicherheitsbereich zu verzeichnen haben. Da teile ich eindeutig die Auffassung von Bundesinnenminister Horst Seehofer. Behörden Spiegel: Was bewegt Sie noch? Wöller: Aufgrund der geografischen Lage Sachsens haben wir es leider auch vermehrt mit Organisierter Kriminalität (OK) und grenzüberschreitender Kriminalität zu tun. Außerdem nimmt die Cyber-Kriminalität stark zu, sowohl in Sachsen als auch deutschlandweit. Darauf müssen sich die Sicherheitsbehörden einstellen. Behörden Spiegel: Gibt es nach dem Corona-bedingten Lockdown mehr Gewalt gegen Polizeibeamte als zuvor?

Größte Gefahr durch Rechtsextremisten Sachsens Innenminister zu Bedrohungen für die demokratische Grundordnung (BS) Prof. Dr. Roland Wöller (CDU) betrachtet die Sicherheitslage weiterhin als angespannt. Neben Rechtsextremismus und -terrorismus seien die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) auch noch durch Organisierte Kriminalität (OK), grenzüberschreitende Delikte und Cyber Crime gefordert. Die Fragen an den sächsischen Innenminister stellten Uwe Proll und Marco Feldmann. die Polizei. Wie helfen Sie Ihren Beamten, damit umzugehen? Wöller: Die Polizei ist als Träger des staatlichen Gewaltmonopols einem besonderen Rechtfertigungsdruck – auch durch Soziale Medien – ausgesetzt. Das ist in einer freiheitlichen Gesellschaft auch richtig und wichtig. Zumal die Arbeit der Polizei dadurch an Transparenz gewinnt, weil viel direkter und unmittelbarer als in der Vergangenheit mit den Bürgern kommuniziert werden kann. Die fortschreitende Digitalisierung betrifft also auch die Polizei. Denn die Geschwindigkeit der Geschehnisse nimmt zu. Gleiches gilt für die Komplexität der Gesellschaft. Wir stehen mit unseren Bediensteten darüber im ständigen Austausch. Behörden Spiegel: Was haben Sie dafür getan? Wöller: Dazu haben wir bei der sächsischen Polizei eine Stabsstelle Kommunikation und ein Social-Media-Team aufgebaut. Dieses hat eine enorme Reichweite und trägt viel zur Erklärung polizeilichen Handelns bei. Außerdem wird so die direkte und schnelle Kommunikation mit dem Bürger gesichert. Sie kann heute

“Jeder Polizeieinsatz muss erklärt und gerechtfertigt werden. Klar ist aber auch, dass Bilder und Videos immer nur Ausschnitte eines Einsatzes zeigen und nie das gesamte Geschehen abbilden.” Wöller: Wir beobachten schon seit einiger Zeit, dass die Gesellschaft rauer und der Umgangston schärfer geworden ist. Zudem haben wir es inzwischen vermehrt mit Beleidigungen gegen und Körperverletzungen an Einsatzkräften zu tun. Das betrifft im Übrigen nicht nur die Polizei, sondern auch Feuerwehr, Rettungsdienst und Hilfsorganisationen. In der Hochphase der Corona-Krise war hier jedoch eine Abnahme zu verzeichnen, da wir generell einen Rückgang der Zahl an Straftaten zu verzeichnen hatten. Inzwischen gibt es jedoch wieder einen Anstieg. Derzeit liegen wir hier etwa zehn bis 15 Prozent über dem Vorjahreswert. Das macht uns Sorge. Dagegen gehen wir mit allen rechtsstaatlichen Möglichkeiten vor. Behörden Spiegel: Durch die Corona-Krise ist die Exekutive deutlich sichtbarer als früher. Zahlreiche Polizeieinsätze werden von Bürgern inzwischen auf Video festgehalten. Hinzu kommt eine “Shaming-Kampagne” gegen

MELDUNG

Neue Fahrzeuge (BS/mfe) Die Bayerische Polizei hat elf neue Streifenwagen mit Mild-Hybrid-Technik erhalten. Es handelt sich um BMW 3er Touring. Sie weisen sehr geringe Verbrauchs- und Emissionswerte auf und sind mit 48-Volt-MildHybrid-Technik ausgestattet. Des Weiteren verfügen sie über polizeispezifische Einbauten. Dazu gehören u. a. eine optimierte Unterbringung der Maschinenpistole oder die Ausstattung der Arbeitsscheinwerfer im Blaulichtbalken mit neuester LED-Technik. Die neuen Fahrzeuge werden in München sowie in Ober- und Unterfranken unterwegs sein.

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in Minutenschnelle erfolgen. Das ist ein großer Beitrag zu mehr Sicherheit, auch wenn die Tätigkeit für die Bediensteten nicht immer einfach ist, da sie auch Vorwürfen und Beleidigungen ausgesetzt sind. Hier müssen wir konsequent handeln. Denn das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Behörden Spiegel: Braucht es angesichts der zunehmenden Videos von Polizeieinsätzen Änderungen im Polizeirecht, etwa hinsichtlich der Anwendung unmittelbaren Zwangs bei Festnahmen? Wöller: Jeder Polizeieinsatz muss erklärt und gerechtfertigt werden. Klar ist aber auch, dass Bilder und Videos immer nur Ausschnitte eines Einsatzes zeigen und nie das gesamte Geschehen abbilden. Dort wird oft nur das polizeiliche Handeln gezeigt, aber nicht, wie es dazu gekommen ist. Somit besteht immer die Gefahr, dass etwas herausgerissen und kontextfrei veröffentlicht wird. Eine Diskussion über Veränderungen im Polizeirecht ist deshalb aus meiner Sicht grundsätzlich statthaft und zulässig. Sie muss aber mit dem Bewusstsein geführt werden, dass es sich bei den Aufnahmen immer nur um Teilausschnitte handelt. Behörden Spiegel: Existiert ein latenter Rassismus innerhalb der Polizei? Wöller: Es ist wichtig, sich zunächst die Fakten vor Augen zu führen. Von 2014 bis 2019 sind 26 Verdachtsfälle gegen sächsische Polizeibeamte im Zusammenhang mit rechtsex­ tremistischen Motiven oder Einstellungen bekannt geworden. Hinzu kommen in diesem Zeitraum sechs Beschwerden wegen vermeintlichen “Racial Pro-

filings”. Das ist vergleichsweise wenig, wenn man bedenkt, dass der Personalkörper der sächsischen Polizei rund 13.000 Mitarbeiter umfasst. Zumal damit noch nicht gesagt ist, dass die Verdachtsfälle auch erhärtet werden oder tatsächlich berechtigt sind. Aber klar ist auch: Rassismus hat weder in der Gesellschaft noch in der sächsischen Polizei etwas zu suchen. Behörden Spiegel: Wie wollen Sie das sicherstellen? Wöller: Schon bei der Einstellung in den Polizeidienst kommt es uns nicht nur auf die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten der Bewerber an, sondern auch auf deren Haltung. Wir erwarten von unseren Anwärtern ein klares Bekenntnis zur freiheitlichdemokratischen Grundordnung. Ist das nicht vorhanden, hat diese Person in der sächsischen Polizei keinen Platz. Hier nutzen wir alle Möglichkeiten des Straf- und Disziplinarrechts. Außerdem schulen wir unsere Führungskräfte fortlaufend, um entsprechende anti-demokratische Einstellungen möglichst frühzeitig zu entdecken. Außerdem haben wir erst jüngst in meinem Hause eine Koordinierungsstelle für Extremismusbekämpfung und -prävention eingerichtet. Dort sollen alle Maßnahmen der Behörden in meinem Geschäftsbereich gebündelt werden, die mit der Bekämpfung von Extremismus und Rassismus zu tun haben. Behörden Spiegel: Braucht es eine Studie zu Rassismus durch die und bei der Polizei? Wöller: Nein, da es sich dabei nicht um ein massenhaftes Phänomen handelt, sehe ich derzeit keine Notwendigkeit für eine derartige flächendeckende Studie. Das kann sich in der Zukunft ändern, auch wenn derzeit nichts darauf hindeutet, dass solch eine Untersuchung erforderlich werden könnte. Denn die Polizei genießt innerhalb der Gesellschaft weiterhin ein sehr hohes Ansehen. Und einen Generalverdacht gegen die Polizei darf es nicht geben.

Wöller: Ja, wir haben dazu eine Ge“Die Polizei ist als setzesinitiative ge­Träger des staatlichen startet. Ihr zufolge soll auch unser LanGewaltmonopols einem desamt für Verfasbesonderen Rechtfersungsschutz berechtigungsdruck – auch tigt sein, in Zukunft über Verdachtsfälle durch Soziale Medien – zu berichten. Derzeit ­ausgesetzt.” haben wir in Bund und Ländern noch Prof. Dr. Roland Wöller (CDU) ist seit Dezember 2017 Sächsischer Staatsmiunterschiedliche nister des Innern. Foto: BS/SMI, C. Reichelt gesetzliche Bestimmungen zu dieser Thematik. Das ist Behörden Spiegel: Welche Ver- nicht immer hilfreich und den änderungen soll es aus Ihrer Sicht Bürgern auch nur schwer zu beim sächsischen Landesamt für vermitteln. Das bringt uns in der Öffentlichkeit oftmals in eiVerfassungsschutz geben? ne Schieflage. Um die ZusamWöller: Wir brauchen ein funk- menarbeit mit den anderen tionierendes Landesamt für Ver- Verfassungsschutzbehörden fassungsschutz. Dieses muss zu verbessern, wollen wir nun in der Lage sein, seine Früher- Rechtsgleichheit schaffen. kennungs- und Analysefähigkeit auszuspielen. Wir brauchen Behörden Spiegel: Sollte der ein Amt, das rechtzeitig für die Bund im Cyber-Bereich mehr ZuDemokratie Alarm schlägt und ständigkeiten erhalten und beauf gefährliche Entwicklungen stimmte Aufgaben für die Länder mit wahrnehmen? hinweist. Behörden Spiegel: Was braucht es noch?

Wöller: Im Cyber-Bereich merken wir immer mehr, dass die bestehenden Zuständigkeiten die reale Welt nicht mehr in Gänze abdecken. Das sieht man bereits in der Abgrenzung zwischen Innerer Sicherheit einerseits und Äußerer Sicherheit andererseits. Das ist aus meiner Sicht eine veraltete Trennung, die der heutigen Situation nicht mehr gerecht wird, da die Grenzen zunehmend verschwimmen.

Wöller: Außerdem benötigen wir im Verbund mit der Polizei eine neue Wirkungszusammenarbeit, um rechtsextremistischen Gefahren rechtzeitig entgegenzutreten. Der Prozess zum Umbau des Landesamtes für Verfassungsschutz ist eingeleitet. Dazu haben wir eine neue Führung in­ stalliert und eine neue Abteilung Behörden Spiegel: Wie muss eingerichtet. Diese wird gerade aufgebaut. In ihr soll ganz spe- darauf reagiert werden? ziell der Rechtsextremismus und Wöller: Nur nach juristischen -terrorismus bekämpft werden. Darüber hinaus haben wir die Zuständigkeiten zu fragen, ist juristische Expertise im Landes- zwar nicht falsch, kann jedoch amt für Verfassungsschutz qua- nur ein Teil der Antwort auf molifiziert, um Beobachtungs- und derne Bedrohungen sein. Aus Verdachtsfälle meiner Sicht ist noch besser es viel wichti“Rassismus hat weder ger, beurteilen zu sich der in der Gesellschaft können. ZuAufgabe zuzudem haben wir wenden. Denn noch in der die Zusammendie Gefahr und sächsischen Polizei die Herausforarbeit mit dem etwas zu suchen.” derung besteBundesamt für hen unzweiVerfassungsschutz (BfV) und den anderen felhaft und müssen gebannt Landesämtern auf eine neue und bewältigt werden. Das geht inzwischen oftmals nur noch Grundlage gestellt. gemeinsam, insbesondere im Behörden Spiegel: Ihr Landes- Cyber-Bereich. Aber es gibt auch amt für Verfassungsschutz darf weiterhin Phänomenbereiche, die derzeit noch nicht öffentlich über eindeutig und ausschließlich in Verdachtsfälle berichten. Soll sich den Zuständigkeitsbereich der Landespolizeien fallen. Wenn das ändern?

es aber um OK oder grenzüberschreitende Kriminalität geht, ist selbstverständlich die Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und anderen Sicherheitsbehörden des Bundes notwendig. Behörden Spiegel: Welche Probleme gibt es bei der gemeinsamen Bewältigung dieser He­ rausforderungen? Wöller: Aus meiner Sicht existieren noch zu viele Schnittstellen, die medienbruchfreie Übergänge erschweren. Außerdem müssen Ressourcen und Kapazitäten der unterschiedlichen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in Zukunft noch besser zusammengefasst werden. Hier sind wir in Sachsen schon recht weit. Wir haben zum Beispiel ein “Cybercrime Competence Center Sachsen” beim Landeskriminalamt (LKA). Aber in der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland ist noch Luft nach oben. Außerdem braucht es noch mehr Kooperation zwischen Bund und Ländern. Behörden Spiegel: Woran hapert es beim Projekt “Polizei 2020”? Wöller: Da haben wir noch keine abschließende Antwort gefunden. Klar ist jedoch, dass sich der Föderalismus wandeln und anpassen muss, um neuen Herausforderungen gerecht werden zu können. Dass das funktionieren kann, zeigt die Corona-Lage derzeit eindrücklich. Beim Projekt “Polizei 2020” haben sich Bund und Länder gemeinsam auf den Weg begeben. Nun zeigt sich aber leider, und da nehme ich Sachsen nicht aus, dass die Beharrungskräfte offenbar teilweise zu groß sind, um schnelle Lösungen zu ermöglichen. Eine Lösung könnte die Entwicklung technologischer Anwendungen, etwa eines digitalen Einsatzführungssystems, durch eine Polizeibehörde für alle anderen interessierten Polizeien deutschlandweit sein. Behörden Spiegel: Welche Erwartungen haben Sie an die derzeit laufende EU-Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland? Wöller: Wir verbinden mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die klare Erwartung, Fortschritte bei einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik zu machen. Wir brauchen rechtssichere Asylentscheidungen auf Basis einheitlicher Rechtsgrundlagen, effektive Rückführungen und einen wirksamen Außengrenzschutz. Derzeit funktioniert das nur unzureichend. Zu einem effektiven Schutz der EU-Außengrenzen gehören auch dort eingerichtete Transferzentren.

Behörden Spiegel: Ist in Sachsen die Regelabfrage beim Verfassungsschutz für Polizeibewerber ein Thema? Wöller: Momentan führen wir eine solche Regelabfrage noch nicht durch. Derzeit laufen aber entsprechende Diskussionen. Sie müssen dabei bedenken, dass solch eine Regelabfrage einen immensen Aufwand bedeutet. Denn dann müssten Tausende Anwärter überprüft werden. Wir setzen darauf, mögliche extremistische und demokratiefeindliche Tendenzen im Rahmen der Auswahlgespräche oder im Zuge der Ausbildung zu erkennen und dann konsequent zu handeln.

POLIZEITAGE 2020 17. November | Kiel www.polizeitage.de

1. Dezember | München Eine Veranstaltung des

15. Dezember | Düsseldorf und der


Innere Sicherheit

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Behörden Spiegel / Oktober 2020

Kritik an Bundesverfassungsgericht

Außentragehüllen erhalten

Karlsruher BND-Urteil gefährdet internationale Zusammenarbeit

Mecklenburg-Vorpommern modernisiert Ausrüstung

(BS/Marco Feldmann) Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich klare und enge Vorgaben für die künftige Anwendung der Ausland-AuslandFernmeldeaufklärung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) aufgestellt. Was aus Sicht des Grundrechtsschutzes möglicherweise richtig und wichtig erscheint, behindert jedoch die Arbeit des deutschen Auslandsnachrichtendienstes erheblich. Insbesondere der Austausch mit Nachrich­ tendiensten anderer, befreundeter Staaten wird massiv erschwert.

(BS/Konrad Herkenrath) Wie auch andere Bundesländer und Bundesbe­ hörden führt die Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern für den Be­ reich der Schutzpolizei eine sogenannte Außentragehülle (ATH) ein. Mit diesem Ausrüstungsgegenstand trägt der Dienstherr den Anforderungen an eine zeitgemäße Ausstattung Rechnung, verbessert die Sichtbarkeit Möglichkeit der Zuarbeit durch und erhöht die Trageakzeptanz der Schutzkleidung. Außerdem schafft er Mitarbeiter der Abgeordneten. so neue Möglichkeiten des Tragens vorhandener sowie der Befestigung Derzeit dürfe sie mit diesen nicht neuer, künftig einzuführender Führungs- und Einsatzmittel (FEM).

Diskutierten über die Notwendigkeit nachrichtendienstlicher Kooperation zwischen unterschiedlichen Staaten und die Erforderlichkeit einer effektiven parlamentarischen Kontrolle der Dienste (im Uhrzeigersinn): Mag. Peter Gridling, Uwe Proll (Moderator), Katharina Schulze, Gerhard Schindler und Dr. August Hanning. Screenshot: BS/Feldmann

Davor warnt auch der ehemalige BND-Präsident Dr. August Hanning. Er kritisiert, dass es sich bei der Entscheidung aus Karlsruhe um eine Grenzüberschreitung mit weitreichenden Konsequenzen handele. Das Bundesverfassungsgericht habe sich als Gesetzgeber geriert und die sogenannte “Third-Party-Rule” de facto außer Kraft gesetzt. Dies gefährde die internationale Kooperation der Nachrichtendienste und mache Deutschland noch abhängiger von Informationen und Erkenntnissen ausländischer Dienste. Hanning, der auch Mitglied des Programm- und Herausgeberbeirats des Behörden Spiegel ist, prognostizierte: “Das Urteil singularisiert Deutschland.” Die Bedeutsamkeit grenzüberschreitender, nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit unterstrich auch Mag. Peter Gridling, Direktor des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Ohne sie sei das Erkennen und die Abwehr terroristischer Bedrohungen nicht möglich. Er unterstrich: “Ohne Informationen aus dem Ausland wären wir blind.”

Zu großer Schutzkreis Kritik am Richterspruch übte auch der frühere BND-Chef Gerhard Schindler. Er bemängelte im Rahmen einer Online-Diskussionsrunde des “Digitalen Staat

N

atürlich sind Sanitäter und Feuerwehrleute Auseinandersetzungen etwa mit alkoholisierten Personen “gewohnt”. Aber auch höhere Eskalationsstufen wie Stein- und Flaschenwürfe, Angriffe mit Brandsätzen und sogar Schüsse auf Rettungspersonal sind offenbar keine spektakulären Einzelfälle mehr. Nicht wenige Mitarbeiter von Feuerwehr- und Hilfsorganisationen erleben in ihrer Dienstzeit Angriffe mit Steinen, Feuerwerkskörpern, Waffen oder gefährlichen Gegenständen. Tatsächlich wurde bereits von tragischen Todesfällen durch Behinderung der Rettungsarbeit berichtet. Auch Sachbeschädigungsdelikte an Fahrzeugen sind nicht eben selten. Die Ursachen sind vielfältig. Sie reichen von der Verwechslung mit der Polizei über Missverständnisse durch kulturelle Differenzen bis hin zu übertriebenen Egos von Kraftfahrern, die sich in ihren Rechten beschnitten sehen. Möglichkeiten, den diversen Formen von Gewalt effektiv zu begegnen, werden natürlich breit diskutiert. Eine Bewaffnung von Feuerwehr und Sanitätsdiensten kommt aus naheliegenden Gründen natürlich keinesfalls

Online” des Behörden Spiegel, dass nunmehr jeder Mensch auf der Erde einen Schutz des in Artikel zehn des deutschen Grundgesetzes verbrieften Post- und Fernmeldegeheimnisses geltend machen könne. Das gelte auch für den Talibankämpfer in Afghanistan und den IS-Angehörigen in Syrien. Die bayerische Landtagsabgeordnete Katharina Schulze (Bündnis 90/Die Grünen), die auch stellvertretende Vorsitzende des dortigen Gremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste ist, hingegen verteidigte das Urteil. Dabei handele es sich um Grundrechtsschutz in der digitalen Welt, so die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Münchner Landtag. Darüber hinaus plädierte sie für eine aktive Kontrolle der Nachrichtendienste durch die Parlamentarier in Bund und Ländern. Denn momentan stocherten die Abgeordneten im Kontrollgremium noch zu oft “im Nebel herum” und erhielten Informationen eher aus den Medien als von den Diensten.

Effizienz steigern Das wollte Hanning so nicht stehen lassen. Er ist vielmehr der Auffassung, dass die Wirksamkeit parlamentarischer Kontrolle über die Arbeit der Dienste vom individuellen Engagement der einzelnen Parlamentarier abhängig ist. Denn die Kontrolle durch die

Volksvertreter, die unzweifelhaft wichtig sei, diene dazu, einen politischen Missbrauch der Dienste zu verhindern. Aus seiner Sicht gibt es in Deutschland derzeit kein Problem der Kontrolle der nachrichtendienstlichen Aktivitäten, sondern eher eines mit Blick auf die Effizienz der Dienste. Problematisch sei in diesem Zusammenhang, dass in der Bundesrepublik den Nachrichtendiensten ein besonderes Misstrauen entgegengebracht werde. Im Vereinigen Königreich oder in Frankreich sei dies anders, erläuterte Hanning. Auch Schindler bemängelte fehlendes Vertrauen in die Tätigkeit des BND. Dies sei unbegründet. Denn auch wenn ein gewisser Teil nachrichtendienstlicher Arbeit geheim bleiben müsse und es sich bei diesen Behörden um Einrichtungen sui generis handele, seien die deutschen Dienste die bestkontrollierten Behörden hierzulande.

Noch Verbesserungs­ potenzial Problematisch sei jedoch, so die Landtagsabgeordnete Schulze, dass die Überprüfungsrechte der Kontrollgremien diesen nur als Ganzes zustünden und nicht den einzelnen Abgeordneten. Dies erschwere insbesondere den Parlamentariern der Opposition die Kontrolle. Hier brauche es stärkere Individualrechte sowie die

einmal über ihre Kontrolltätigkeit sprechen. Außerdem sollte das bayerische Kontrollgremium aus ihrer Sicht mindestens einmal pro Jahr öffentlich tagen. Und die Anzahl der parlamentarischen Kon­trolleure über die Nachrichtendienste sollte erhöht werden, weil die Befugnisse der Dienste kontinuierlich erweitert worden seien. Hanning hingegen warnte davor, den Kreis der Involvierten zu erweitern. Und Schindler plädierte für eine Straffung der Kontrollstrukturen. So hält er zum Beispiel das Nebeneinander von Parlamentarischem Kontrollgremium (PKGr) und G-10-Kommission nicht mehr für zielführend. Zudem sollte sich das PKGr wie der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages selbst als Untersuchungsausschuss konstituieren können. Des Weiteren müsse der Austausch zwischen den parlamentarischen Kontrollinstanzen in Bund und Ländern intensiviert und über einen Nachrichtendienstbeauftragten des Deutschen Bundestages nachgedacht werden. Bei alledem müsse es aber weiterhin einen gewissen Kern nachrichtendienstlicher Tätigkeit geben, der nur geheim kontrolliert werde. Denn, und hier war sich Schindler sogar mit der Grünen-Politikerin Schulze einig: “Geheime Kontrolle ist keine undemokratische Kontrolle.”

Enges Korsett für BVT In Österreich erfolgt die Kontrolle des BVT unter anderem durch zwei ständige Unterausschüsse des Nationalrats sowie durch den beim Innenminister angesiedelten Rechtsschutzbeauftragten, berichtete Gridling. Zu berücksichtigen sei dabei, dass das BVT einen hybriden Charakter aufweise. Die Behörde sei zum einen Nachrichtendienst. Zum anderen fungiere sie aber auch als polizeilicher Staatsschutz und beschäftige sich mit unterschiedlichen kriminalpolizeilichen Phänomenen. Dabei unterliege sie einem sehr engem Kontrollkorsett.

MecklenburgVorpommern mit Beteiligung der Konrad Herkenrath ist Leiter Anwender, der der Abteilung “Polizei; Brandund Katastrophenschutz” im Einsatztrainer Schweriner Innenministerium. sowie des Polizei Foto: BS/Innenministerium ärztlichen DiensMecklenburg-Vorpommern tes, der Fachkraft für Arbeitssicherheit und dem Über alledem steht jedoch das Hauptpersonalrat voraus. Dort Hauptargument für die Einfüh- wurde das vorliegende Modell für rung der ATH, nämlich den Ge- die Anforderungen der Landesposundheitsschutz für die Beamtin- lizei Mecklenburg-Vorpommern nen und Beamten zu verbessern. entwickelt. Mit jeder ATH wird ein TaschenDienstwaffe, Holster, Taschenlampe, Handschuhe, Ersatzma- satz, bestehend aus vier untergazin, Schreibutensilien, Funk- schiedlich dimensionierten Mulgerät, Handfessel und einiges tifunktionstaschen, ausgegeben, mehr führen die Beamtinnen und sodass ausreichend Stauraum Beamten im täglichen Dienst mit. vorhanden ist. In Verbindung Rein vom Gewicht her sind das in mit dem Oberschenkelholster, der Summe etwa 3,5 Kilogramm. das zeitgleich als neues StanSicher nicht viel, wird mancher dardholster eingeführt wird, denken. Überblickt man jedoch lässt sich der jetzt noch besondie Verteilung, wird schnell klar, ders beanspruchte Beckenbedass der weit überwiegende Teil reich deutlich entlasten. Die ausschließlich am Gürtel befestigt ATH ist aber weit mehr als ein wird und somit der Beckenbereich reines Tragesystem. Sie nimmt punktuell das meiste Gewicht zu die bisher von den Beamtinnen tragen hat. Daneben treffen die und Beamten in den UnterziehFEM auch immer wieder mit der schutzwesten verwendeten balInneneinrichtung und Ausstat- listischen Schutzkomponenten tung der Dienst-Kfz aufeinander. auf, wodurch die Handhabung Es drückt, kneift und belastet der Schutzausrüstung deutlich diesen sensiblen Bereich dann einfacher wird. Im Gegensatz zur Unterziehschutzweste kann sie zusätzlich. Die ATH bietet zukünftig die mühelos abgelegt werden. Ein Möglichkeit, die am Gürtel ge- großer Vorteil, insbesondere in tragenen FEM individuell auch der warmen Jahreszeit. Neben den ergonomischen auf die Weste zu verlagern. Dafür verfügt das ausgewählte Modell Gesichtspunkten waren auch über ein flexibles Schlaufensys- Flexibilität und Kompatibilität tem, an dem sich unter anderem weitere Kernpunkte im EntwickTaschen oder auch Adapter an- lungsprozess für das Modell der derer Verbindungssysteme an- Landespolizei Mecklenburg-Vorbringen lassen. Zudem sind im pommern. Durch das gewählte Schulterbereich diverse Elemente Layout mit dem bereits beschrieangebracht, die beispielsweise benen Schlaufensystem lassen die Befestigung des Funkgerätes sich beispielweise ohne großen erlauben. Aufwand neue Ausrüstungsgegenstände oder FEM, wie etwa eiArbeitsgruppenphase ne Bodycam, anbringen. Optional vorgeschaltet ausziehbare fluoreszierende und Der nunmehr erfolgten Beschaf- reflektierende Elemente auf Vorfung ging eine Arbeitsgruppen- der- wie Rückseite können zwar phase unter Federführung des die Warnwesten nicht ersetzen, Landesamtes für zentrale Auf- erhöhen jedoch bei Bedarf die gaben und Technik der Polizei, Erkennbarkeit der Beamtinnen Brand- und Katastrophenschutz und Beamten deutlich.

Wie rettet man die Retter? Sicherheitsverscheibungen trotzen verschiedenen Gefahren (BS/Stefan Kindsvater*) In der aktuellen Berichterstattung über Gewalt gegen Polizisten geht ein wenig unter, dass Ordnungshüter nicht die einzi­ gen sind, die sich im Einsatz immer öfter massiven “Vorbehalten” gegenübersehen. Auch Rettungskräfte müssen sich im Einsatz einer wachsenden Gewaltbereitschaft stellen.

Kunststoff-Sicherheitsverscheibungen bieten Kräften von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) bei Angriffen effektiven Schutz. Foto: BS/KRD

infrage. Bei undurchsichtigen Einsatzlagen zunächst auf das Eintreffen der Polizei zu warten, ist allerdings ebenfalls eher unpraktikabel. Stattdessen wird über Selbstverteidigungskurse, Deeskalationsschulungen oder

gar den Einsatz von Schutzwesten nachgedacht.

Sicherheitsscheiben gegen Steinwürfe und Brandsätze Ein erster Schritt zu mehr Sicherheit könnte in der Ausrüstung

des Fuhrparks mit Kunststoff-Sicherheitsverscheibungen bestehen. Zumindest derjenigen Fahrzeuge, die in der Regel zuerst vor Ort eintreffen. Die Scheiben sind schließlich das “natürliche” Angriffsziel potenzieller Gewalttäter. Bei Anti-Riot-Einsatzfahrzeugen der Polizei haben sich KunststoffSicherheitsverscheibungen bereits seit Jahrzehnten bewährt. Anerkannter Technologieführer bei der Entwicklung und Herstellung dieser Produkte ist die in Norddeutschland ansässige KRD Sicherheitstechnik GmbH. Dieses Unternehmen verfügt über mehr als drei Jahrzehnte Erfahrung auf ihrem Gebiet und hat vor einigen Jahren die sogenannten Kunststoff-Verbundsicherheitsscheiben aus mindestens zwei Polycarbonat-Teilscheiben vorgestellt, die seither stetig weiterentwickelt wurden und wohl als das Optimum des technisch

Möglichen angesehen werden dürfen. Polycarbonat, abgekürzt “PC”, gilt zurecht als unverwüstlicher Kunststoff. Aktuelle PCVerbundscheiben parieren Steinschläge sicher, selbst auf die Randregionen, die bei einfachen Ausführungen noch eine Achillesferse sind. Sie verwandeln das Einsatzfahrzeug im Fall der Fälle in einen sicheren Rückzugsort, dessen Inneres auch vor Böllern oder brennbaren Flüssigkeiten verschont bleibt; zugleich erhalten sie bei einem Angriff die Sicht des Fahrers – anders als bei Mineralglasscheiben, die im gesplitterten Zustand oft keinen optimalen Durchblick mehr bieten.

Allgemeine Straßen­ zulassung: kein Thema mehr Alle Kunststoff-Verbundscheiben werden bei KRD ab Werk per

Beschichtung mit einer nahezu glasharten Oberfläche ausgestattet, die Eintrübungen durch Abrieb und feine Kratzer wirksam verhindert und die Lebenserwartung dieser Hightech-Sicherheitsausrüstung – Stichwort Investitionsschutz – deutlich steigert. Dieser Beschichtung in ihrer neuesten Ausführung ist es auch zu verdanken, dass entsprechend ausgerüstete PCScheiben die Voraussetzungen für eine allgemeine Straßenzulassung nach ECE R43 mitbringen – sofern einige Nebenbedingungen erfüllt sind, die aber eher konstruktiver Art sind. Mit derartigen Scheiben lässt sich die Sicherheit der Feuerwehr- und Rettungsdienst-Mitarbeiter in unklaren Situationen massiv steigern. Gleichzeitig bewahren sie die Einsatzfahrzeuge vor Schäden in potenziell gefährlichen Einsätzen, wie etwa bei der Beseitigung von Sturmschäden. Sie beugen Vandalismus vor und bieten zudem zusätzliche Sicherheit bei riskanten Fahrten zum Einsatzort. *Stefan Kindsvater ist Produktmanager KASIGLAS®Sicherheitsscheiben bei der KRD Sicherheitstechnik GmbH.


Behörden Spiegel / Oktober 2020

Deutschlands Sicherheitskräfte – mobil, sicher, digital

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Bodycams sind Mittel der Deeskalation

Geld oder Leben!

Technik kann vorbeugend vor Attacken auf Polizisten schützen

Sicherheitslücken öffnen Hackern die Tür

(BS/Peter Beuth) Leider nimmt auch in Hessen die Gewalt gegen Polizeibeamte seit Jahren zu. Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als 4.000 Polizisten als Opfer von Übergriffen registriert. Eine zu Beginn des Jahres in Hessen durchgeführte Polizeistudie hat gezeigt, dass neun von zehn Schutzpolizisten schon mindestens einmal im Dienst körperlich angegriffen wurden.

(BS/Jochen Koehler*) Immer öfter verschaffen sich Hacker erfolgreich Zugang zu sensiblen Daten von Ämtern und Behörden. Schwachstellen in der IT-Infrastruktur und unvorsichtige Mitarbeiter werden dabei zum Einfallstor für die Cyber-Kriminellen. Klassische Sicherheitslösungen helfen nicht weiter, nur eine vollständige Isolierung der Gefahrenherde schützt vor Angriffen.

Solche Attacken hinterlassen bei den Kolleginnen und Kollegen nicht nur körperliche Spuren. Für jeden zweiten Polizeibeschäftigten sind solche Erlebnisse auch emotional sehr belastend. Wir nehmen diese Verrohung gegenüber unseren Polizeibediensteten nicht hin. Bereits in den vergangenen Jahren haben wir daher kontinuierlich für mehr Solidarität mit Einsatzkräften geworben und gleichzeitig die persönliche Schutzausrüstung unserer Polizistinnen und Polizisten verbessert. Als kluges Einsatzmittel, welches unsere Polizisten im Dienstalltag präventiv vor Übergriffen schützt, hat sich in den vergangenen Jahren die Bodycam erwiesen. Hessen hat die Bodycam als erstes Bundesland bereits seit fünf Jahren im Einsatz. 2013 wurde sie zunächst in Frankfurt am Main erprobt, ehe sie 2015 landesweit eingeführt wurde. Die jahrelangen Erfahrungen hessischer Polizeivollzugsbeamter haben gezeigt, dass durch den Einsatz der Bodycam die Kooperationsbereitschaft in Konfliktsituationen bei polizeilichen Kontrollsituationen deutlich gestiegen ist. Die Möglichkeit einer beweisund gerichtsfesten Aufnahme durch Polizisten führte zu einem spürbaren Rückgang des aggressiven und unkooperativenen Verhaltens. Darüber hinaus verhindert der Einsatz der Bodycam etwaige Solidarisierungseffekte bei Kontrollmaßnahmen beziehungsweise die Einmischungen von unbeteiligten Dritten. Auch

Schutzwesten mit integriertem Stichschutz, Körperschutzausstattungen, ballistischer HalsPeter Beuth (CDU) ist Hessischer Minister des Innern Schulter-Tiefund für Sport. schutz, Schnittschutzschals, Foto: BS/Hessisches Ministerium des Innern und für Sport schnittfeste Arbeitshandschuhe sowie weitere innerhalb der Bevölkerung und ballistische Schutzausrüstunder Öffentlichkeit gibt es eine gen für Not-Interventionskräfte hohe Akzeptanz und die Body- wurden neu angeschafft. Mit cam wird überwiegend positiv dem Distanzelektroimpulsgerät, wahrgenommen. dem sogenannten “Taser”, steht den Beamten, nach einer umWeitere Beschaffungen fangreichen Erprobungsphase stehen bevor im Jahr 2017, darüber hinaus Bereits heute sind bei der hessi- eine moderne Distanzwaffe für schen Polizei rund 400 Kameras besondere Einsatzsituationen erfolgreich im Einsatz, weite- zur Verfügung. Anschlags- und Amoktaten re 400 Kompaktgeräte werden zeitnah angeschafft. Da rund mit schwer bewaffneten Tätern 100 Geräte der ersten Genera- haben uns in den vergangenen tion sukzessive ausgetauscht Jahren auf schreckliche Weise werden, stehen dann perspek- verdeutlicht, dass die Polizei tivisch 700 moderne Bodycams auch für solche Szenarien gein Hessen zur Verfügung. So rüstet sein muss. Mit der neukann künftig in jedem hessi- en Mitteldistanzwaffe, dem G schen Streifenwagen eine Bo- 38, geben wir den Kolleginnen dycam vorgehalten werden, die und Kollegen die notwendige dann je nach aktueller Lage in Durchschlagskraft im Kampf Brennpunktbereichen zum Ein- gegen Schwerverbrecher und gesatz kommen kann. fährliche Fanatiker an die Hand. Den Schutz der Kollegen durch Der Schutz unserer Polizisten technische Innovationen zu ver- hat für uns oberste Priorität. bessern und dies auf das gesam- Deshalb investieren wir in ihre te Land auszuweiten, ist nur eine moderne Ausstattung. Genauso Komponente unseres hessischen wichtig erachte ich es aber, dass Maßnahmenpakets. Bereits in sie im täglichen Dienst den Resden vergangenen Jahren haben pekt, die Anerkennung und die wir die persönliche Schutzaus- Dankbarkeit sowie das Vertraustattung unserer Polizisten um en der gesamten Gesellschaft wichtige Elemente erweitert. entgegengebracht bekommen.

Behörden und andere öffentliche Einrichtungen sind längst ins Visier von Hackern geraten. Allein die Zahl an ErpressungsAttacken, bei denen Schadprogramme die Datenbestände verschlüsseln und erst gegen Lösegeld wieder zugänglich machen, hat in den letzten Monaten extrem zugenommen. Gestohlene Datensätze, die Name, Adresse und vielleicht sogar eine Bankverbindung enthalten, lassen sich aber auch gut im Darknet verkaufen. Für die “Räuber” ist es dabei in der Regel recht einfach, ins interne Netzwerk vorzudringen. Schwachstellen in der IT-Infrastruktur, aber auch ein mangelndes Sicherheitsbewusstsein der Mitarbeiter öffnen den Hackern die Tür.

Tückische Gefahren für die IT-Sicherheit Der Großteil aller Cyber-Angriffe erfolgt nach wie vor über Phishing-Mails mit manipulierten Links oder Anhängen. Mit ihrer Hilfe können Hacker Malware verbreiten und kommen so an Nutzernamen, Passwörter oder Zugangsdaten für Behördenrechner. Dank dieser Informationen ist es dann relativ leicht, immer tiefer ins Netzwerk vorzudringen. Vor dem Hintergrund, dass viele Menschen inzwischen gegenüber Nachrichten unbekannter Herkunft und zweifelhaften Inhalts zurückhaltend reagieren, werden die Attacken der Cyber-Kriminellen immer ausgefeilter und persönlicher. Eine Dynamit-Phishing-Mail der neuesten Generation hängt bei-

spielsweise gestohlene Mails an, um so eine schon existierende Kommunikation aufzugreifen. Durch einen bekannten Absender sind Empfänger eher geneigt, virenverseuchte Dateianhänge zu öffnen oder Links auf PhishingSeiten im Netz zu folgen.

Bei Dateidownload drohen Malware-Attacken Der Trojaner Emotet etwa, der seit 2014 zahlreiche Rechner infiziert hat und aktuell wieder aktiv ist, hat mit Dynamit-Phishing seine Angriffe perfektioniert. Aber auch beim Download von Dateien aus externen Quellen – ob nun durch die Installation von Programmen oder das Starten von FTP-Filetransfers – besteht immer die Gefahr, Opfer von Malware-Angriffen zu werden. Aufseiten der Behörden-IT sind ungepatchte Rechner geradezu eine Einladung für Hacker. Viele staatliche Organisationen lassen sich zu lange Zeit, bis sicherheitsrelevante System-Updates über die komplette Hardware-Flotte ausgerollt werden. Prominentes Beispiel ist die Schadsoftware WannaCry, die innerhalb weniger Tage Hunderttausende Rechner lahmlegte. WannaCry nutzte eine bekannte WindowsSchwachstelle aus, die Microsoft bereits Wochen vorher gepatcht hatte. Genauso gefährlich kann es aber auch sein, vermeintliche System-Updates von unbekannten Webseiten herunterzuladen und damit Schadcode auf die Rechner einzuspielen. Ein anderes Sicherheitsrisiko ist das Thema Schatten-IT: Nutzen

Mitarbeiter ohne Wissen der ITAbteilung ihre eigenen Apps oder gar Hardware, ist es unmöglich, diese in die üblichen firmeninternen Schutzmechanismen und Update-Zyklen zu integrieren.

Isolierung ist die Antwort auf die Bedrohung Mit klassischen Sicherheitslösungen, die auf Malware-Erkennung angewiesen sind, kommen Behörden und Ämter angesichts der zahlreichen Angriffsvektoren allerdings nicht weiter. Einzig sinnvolle Schutzmaßnahme ist die Isolation der jeweiligen Anwendung durch Micro-Virtualisierung. Mit einer Lösung wie HP Sure Click Enterprise wird jede riskante Aktivität wie das Downloaden und Öffnen eines Dokuments in einer eigenen Micro-Virtual-Machine (MicroVM) gekapselt. Eine mögliche Schädigung durch Malware bleibt dadurch immer auf die jeweilige Micro-VM beschränkt, eine Kompromittierung des Endgerätes und nachfolgend des Behördennetzes ist damit nahezu ausgeschlossen. *Jochen Koehler ist Sales Director Security Solutions bei HP Personal Systems. Weitere Informationen zur Lösung HP Sure Click Enterprise, die auf die Isolation der jeweiligen Anwendung durch MicroVisualisierung setzt, und andere Anwendungen finden sich unter der Internetadresse: www8. hp.com/us/en/solutions/sureclick-enterprise.html.



Wehrtechnik

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eine Vision “Empowering Innovation in Defence” richtet sich am Bedarf der Soldatinnen und Soldaten und zivilen Angehörigen im Geschäftsbereich des BMVg aus. Deren Arbeit soll durch innovative Ideen und Produkte aus der Start-up-Welt unterstützt werden. Gemeinsam mit Nutzern und Nutzerinnen aus der Bundeswehr testet der CIHBw derzeit verschiedene Lösungen, um die Bundeswehr mobiler, sicherer und digitaler zu machen. Das Spektrum der hierbei getesteten Innovationsvorhaben ist breit und sie unterliegen teilweise der Geheimhaltung.

Empowering Innovation in Defence! Aktuelle Innovationsvorhaben des Cyber Innovation Hubs der Bundeswehr

terium der Verteidigung (BMVg) als Pilotprojekt gegründet, um als “schnelles Beiboot” die digitale Transformation der Bundeswehr voranzutreiben Um Ärzte wie Patienten zu entund Schnittstelle zwischen Bundeswehr und Start-up-Ökosystem zu sein. Seit Anfang 2020 wurde der CIHBw nach einer erfolgreichen Pilotphase lasten, erprobt der CIHBw geals neue Abteilung in der BWI GmbH, dem IT-Systemhaus der Bundeswehr, verankert. meinsam mit dem Bundeswehr-

Dabei hat die Corona-Pandemie insbesondere den Mehrwert digitaler Lösungen unterstrichen, die sich direkt am Soldaten-Alltag orientieren. Es hat sich gezeigt, dass das Thema “Bring your own device” (BYOD) eine immer größere Rolle spielt, wenn man wirklich die breite Masse erreichen möchte. Die Bereitstellung dienstlicher Applikationen für private Endgeräte stellt eine effiziente und wirksame Möglichkeit dar, Soldaten auch ohne dienstliche Smartphones oder Tablets gezielt Informationen und Funktionen zur Verfügung zu stellen.

Jüngstes Beispiel ist die vom CIHBw entwickelte ReservistenApp. Sie erleichtert Angehörigen der Reserve, aktiven Soldaten und Interessierten sowohl den Zugang zu Informationen zur Reserve als auch im Bereich BwCommunity den Austausch untereinander. Zudem bietet die App eine Stellenbörse mit einer Übersicht der in der Reserve offenen Dienstposten. Freie Stellen sollen dadurch einfacher und schneller durch qualifiziertes Personal besetzt werden können.

gen beeinträchtigten auch den Wirkungskreis des medizinischen Fachpersonals der Bundeswehr.

Einsatz mobiler Endgeräte in Bundeswehrkrankenhäusern (BS/Dr. Stephanie Khadjavi, Josefine Neuschäffer) Der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw) wurde im März 2017 durch das Bundesminis-

Bring your own device

App der Reserve / Cyber Mission – Befehlsrecht

Behörden Spiegel / Oktober 2020

Von überall aus online: Mobile, digitale und sichere Lösungen stellen den Kern der Innovationsvorhaben des Cyber Innovation Hubs der Bundeswehr dar. Foto: BS/Bundeswehr, Jonas Weber

Mit der App Cyber Mission – Befehlsrecht bietet der CIHBw eine digitale Begleitung des Rechtsunterrichts von Soldatinnen und Soldaten. Muss ein Befehl befolgt werden? Um solche und andere Fragestellungen geht es in realitätsnah illustrierten Szenarien aus Übung und Alltag der Bundewehr. Auf motivierende Art und Weise verhilft die App so zu Handlungssicherheit im soldatischen Alltag.

Bw-eToken-App und BwChat Auch die Bw-eToken-App, die der CIHBw im Mai dieses Jahres mit Partnern aus dem BMVg, der Bundeswehr und der BWI an den Start gebracht hat, zeigt, wie Nutzerzentrierung einen konkreten Mehrwert schafft. Im Rahmen des kostenfreien Bahnfahrens in Uniform können Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr fortan auf privaten Endgeräten die zur Buchung von

Bahnreisen in Uniform notwendigen digitalen Zugangscodes, sogenannte “eToken”, beziehen und verwenden – bis dahin waren die Buchungscodes nur über das Bundeswehr-Intranet erhältlich. Die App erleichtert den Soldaten ihre Mobilität im Alltag und unterstützt das politische Ziel, ihre Wahrnehmbarkeit als Staatsbürger in Uniform im öffentlichen Leben weiter zu stärken.

krankenhaus Berlin derzeit zwei Innovationsvorhaben: eine Video-gestützte Online-Konsultation Arzt-Patient und die Pflege-App. Dr. Stephanie Khadjavi (o.) und Josefine Neuschäffer Mit der Pflege-App sind Ansprechpartnerinnen kann der Patient für Communications & Strateauf dem mobilen gic Partnerships des CIHBw. Endgerät seinen Fotos: BS/CIHBw Bedarf signalisieren, wie beispielsweise Unterstützung beim Toilettengang, das Auffüllen des Getränkevorrates oder die Einnahme von Schmerzmitteln. Sein Anliegen wird dann über eine Ein weiteres Beispiel für die gesicherte Verbindung an das Vorteile des BYOD-Ansatzes Smartphone des Pflegedienstist das Messenger-System Bw- personals gesendet. Unnötige Chat, das der CIHBw seit Herbst Gänge zur Bedarfsklärung beim 2018 testet. Als ein sicheres Patienten bleiben dadurch aus und genehmigtes Kommuni- und er bekommt via App sofortikations- und Kollaborations- ge Rück- und Statusmeldungen. mittel auf privaten Endgeräten Beide Ansätze, Online-Konsultazu dienstlichen Zwecken für tion und Pflege-App, verhelfen zu offene Kommunikation verfügt einer in diesen Zeiten gebotenen der Messenger über alle gängi- Verminderung des persönlichen gen Funktionalitäten moderner Kontakts sowie zu einer effiziKommunikationstools. Insbe- enteren Nutzung dienstlicher sondere seit der Corona-Krise Ressourcen. Auch in der Zukunft zeigt sich in der Bundeswehr wird dadurch eine nachhaltige verstärkt, wie wichtig es ist, eine Erhöhung der Qualität in der sichere, schnelle und direkte Patientenversorgung erreicht. Kommunikationsmöglichkeit Mobile, digitale und sichere für die Truppe bereitzustellen. Lösungen stellen den Kern Corona-bedingte Mobilitäts- und der Innovationsvorhaben des Kommunikationseinschränkun- CIHBw dar.


Wehrtechnik

Behörden Spiegel / Oktober 2020

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andsackkommando” oder gar “Elefantenfriedhof”? Befragt man heute Soldatinnen und Soldaten nach dem KdoTerrAufgBw, so gibt es häufig nur unklare Vorstellungen von der heute schon komplexen und umso mehr zukunftsgerichteten Rolle des Kommandos. Vielfach ist die Assoziation mit Hochwasser und Sandsäcken das Erste, was die eine oder der andere mit dem Kommando verbindet. Die, die etwas weiter zurückblicken, kommen auf die Begriffe Wehrbereichskommando (WBK), Verteidigungsbezirkskommando (VBK) und Verteidigungskreiskommando (VKK). Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Kommandos lässt sich diese Perzeption durchaus ableiten, denn das KdoTerrAufgBw ist ja letztlich Erbe der Territorialen Wehrorganisation aus den Zeiten des Kalten Krieges. Die Territoriale Wehrorganisation leistete im rückwärtigen Raum des Gefechts Führungs- und Unterstützungsaufgaben zur Aufrechterhaltung der Operationsfreiheit der kämpfenden Truppe. Diese Organisation wurde als “Friedensdividende” nach 1990 kontinuierlich aufgebraucht, ein Umstand, der uns mit der Neuakzentuierung von Landes- und Bündnisverteidigung sehr deutlich vor Augen tritt. Es lohnt sich also, diesen “Rest der alten Zeit” einmal genauer zu betrachten und festzustellen, welches Potenzial in diesem Kommando steckt.

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Wir dienen Deutschland. Jederzeit. Das Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr (BS/Generalmajor Carsten Breuer) Das Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr (KdoTerrAufgBw) ist in Frieden, Krise und Krieg das taktische Führungskommando des Nationalen Territorialen Befehlshabers (NatTerrBefh) für alle Nationalen Territorialen Aufgaben (NatTerrAufgBw), für den Host Nation Support (HNS) sowie für den Heimatschutz. Damit hat sich die Rolle des Berliner Kommandos seit der Aufstellung 2013 deutlich weiterentwickelt. Was bedeutet das für den Dienstbetrieb, insbesondere in der Führungsrolle im Rahmen der Covid-19-Pandemie, und welche Folgerungen sind daraus für die zukünftige Aufgabenwahrnehmung, für Fähigkeiten und Ausstattung des Kommandos Territoriale Aufgaben zu ziehen?

Wachsende Verantwortung Nach der Indienststellung des Kommandos Anfang 2013 folgte im Sommer mit dem Elbehochwasser nahezu sofort die erste Bewährungsprobe. Und sie wurde mit Bravour bestanden. Über 19.000 Soldaten wurden durch das Kommando Territoriale Aufgaben in den Einsatz gebracht und geführt. 2015 und 2016 setzte sich dies mit der langfristigen Bindung im Rahmen der Flüchtlingshilfe, mit bis zu 7.000 Soldaten im Einsatz, fort. Eine Vielzahl von Einsätzen bei Waldbränden, Überschwemmungen, Schneelagen und die Unterstützung im Rahmen von G20 und der Münchner Sicherheitskonferenz folgte – und führt, ebenso wie die neue Rolle, die dem Kommando nach der durch das Weißbuch 2016 initiierten Gemeinsamen Terrorabwehrübung (GETEX) 2017 zugetragen wurde, zu einem erheblich erweiterten Portfolio auf der taktischen Ebene. Aber auch außerhalb eines besonders schweren Unglücksfalles, wie ihn für eine solche Lage Artikel 35 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) definiert, haben die Aufgaben, auf die sich die Soldaten des Kommandos einstellen müssen, erheblich zugenommen.

Ein Kommando für alle Einsätze in Deutschland Der Einsatz von Bundeswehrkräften zur Bekämpfung des Moorbrandes auf dem Gelände der Wehrtechnischen Dienststelle (WTD) in Meppen hat zum ersten Mal die Notwendigkeit eines die Einsatzkräfte koordinierenden Kommandos für die Bundeswehr aufgezeigt. Die tragischen Abstürze der beiden Eurofighter der Luftwaffe und des EC 135 der Heeresflieger im Sommer 2019 haben diese Notwendigkeit nicht nur bestätigt, sondern die neue Rolle des KdoTerrAufgBw auch ausreichend klar definiert. Wenn schon im vergangenen Sommer die Bewertung des Stellvertreters des Generalinspekteurs der Bundeswehr war, dass “das Kommando ja gar nicht mehr aus den Gummistiefeln” herauskam, so ist die taktische Führung, die das Kommando für das Hilfskontingent – immerhin 15.000 Soldaten – zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie im März übernommen hat, eine Aufgabe, über die bei der Aufstellung 2013

Taktische Führung des Corona-Hilfskontingents: Hier überprüft ein Soldat die Technik einer mobilen Sauerstofferzeugeranlage in der Koblenzer FalckensteinKaserne zur eventuellen Unterstützung des dortigen Bundeswehr-Zentralkrankenhauses während der Covid-19-Pandemie. Foto: BS/Bundeswehr, Patrick Grüterich

niemand hat nachdenken können, hat nachdenken müssen. Und wenn auch Umfang und Dimension dieser aktuellen Hilfeleistung deutlich weiter gefasst sind als bisherige Unterstützungsleistungen, so folgt doch auch diese Amtshilfe den krisenbewährten Mechanismen und Verfahren, die bei jeder Katastrophe, bei jedem Unglücksfall Anwendung finden.

die Welle” zu kommen, frühzeitig krisenhafte Entwicklungen zu identifizieren, zu bewerten, was gefordert sein könnte und die aktuell verfügbaren Fähigkeiten “auf dem Schirm zu haben”. Damit ist es dann den Landeskommandos mit ihren Bezirks- und Kreisverbindungskommandos (BVK/KVK) – im territorialen Netzwerk – möglich, bereits sehr frühzeitig die zivilen Stellen über mögliche Fähigkeiten zur Bewältigung einer krisenhaften Lage zu beraten. Generalmajor Carsten Breuer ist Kommandeur des KomOperationsfühmandos Territoriale Aufgaben rung 24/7 der Bundeswehr.

Foto: BS/KdoTerrAufgBw

Wenn nicht die Bundeswehr selbst der Bedarfsträger für Unterstützung wie bei den drei Abstürzen oder beim Moorbrand in Meppen ist, bildet der Hilfeleistungsantrag auf Grundlage des Artikel 35 GG die Basis für die Unterstützung der zivilen Seite. Hier ist in Absatz 1 festgelegt, dass sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe leisten. Die Bundeswehr unterstützt subsidiär in Notlagen, wenn zivile Behörden Hilfe im Katastrophen- oder Unglücksfall anfordern, wenn zudem als Unterstützer Personal, Material und Technik von Hilfs- und Blaulichtorganisationen an ihre Grenzen stoßen – und nur dann und so lange, bis den Behörden zur Aufgabenerfüllung eigene Fähigkeiten, die anderer ziviler Behörden oder auch privatwirtschaftliche Fähigkeiten bereitstehen. Das System der Hilfeleistung auf der Grundlage der Amtshilfe hat sich in den zurückliegenden Jahren gut eingespielt und aktuell in der Pandemie-Lage erneut bewährt. Aus meiner Sicht ist es entscheidend, immer “vor

zentral aus Berlin

Die Fäden dazu laufen in der Operationszentrale (OpZ) des KdoTerrAufgBw zusammen. Hier sind Profis am Werk, die das Lagebild im Bundesgebiet zusammenführen, bewerten und die Einsätze im Auftrag des NatTerrBefh taktisch führen. Die OpZ wurde im Sommer 2018 mit der Befähigung zur Operationsführung 24/7 aufgestellt und personell lediglich mit einer Anfangsbefähigung versehen. 22 Soldaten leisten hier in sechs Schichten ihren Dienst. Im gesamten territorialen Netzwerk, von den KVK bis hin zum Kommando Streitkräftebasis (KdoSKB), ist dies die Stelle, die einen 24/7-Betrieb ermöglichen muss. Diese territoriale Schlüsselrolle ist mit der des Einsatzführungskommandos für die Führung von Auslandseinsätzen vergleichbar. Die ursprüngliche Aufstellung war in Zeiten von kurzen, singulären Einsätzen im Inland sicherlich ausreichend, muss aber bei langandauernden Einsätzen, wie bei der Flüchtlingshilfe 2015/16 und im derzeitigen Einsatz zur Bekämpfung der Pandemie, aber auch, wenn es auf eine sogenannte Mehrlagenfähigkeit wie im Sommer letzten Jahres mit den Abstürzen

der drei Luftfahrzeuge und dem Waldbrand auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Lübtheen, ankommt, vor allem personell, aber auch technisch und in Verfahren weiterentwickelt werden.

Investitionen in die Zukunft Mit dem Neubau einer dann hochmodernen OpZ in der Julius-Leber-Kaserne, der Einrüstung aller erforderlichen Systeme aller Geheimhaltungsgrade in redundanter Ausstattung mit avisierter Fertigstellung 2022 zeichnet sich ein spürbarer Fortschritt für die Führungsfähigkeit des NatTerrBefh ab. Mit einem zusammen mit dem Planungsamt der Bundeswehr 2019 aufgelegten Digitalisierungsvorhaben im Zuge eines CD&E-Projekts (Concept Development & Experimentation) “Optimierung der Einsatzführung für den Bereich KdoTerrAufgBw im Rahmen der NatTerrAufgBw” verspreche ich mir einen erheblichen Schub in unseren Verfahren – immer mit dem Ziel, schneller, effektiver, mithin effizienter zu werden. Mit fortschreitender Digitalisierung erhoffe ich mir, durch Straffung von Verfahren, Durchgängigkeit über Ebenen und umfassende Vernetzung mit allen Playern im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit, einen erheblichen Qualitätssprung und eine Zeitersparnis in der Führung eines gemeinsamen Lagebildes, in dessen Aus- und Bewertung und in der Koordination des gemeinsamen Handelns. Das KdoTerrAufgBw steht damit in der Verantwortung für eines der Leuchtturmprojekte der SKB im Bereich der Digitalisierung. Es wird damit auch den Nukleus für einen “Territorial Hub” bereitstellen können. Dieser Hub ist im Idealfall die Idee einer gemeinsamen zivil-militärischen Plattform, behörden- und ebenenübergreifend, bei der sich die zivilen und militärischen Akteure, Behörden und Hilfsorganisationen je nach Aufgabe zielgerichtet vernetzen, unter-

einander koordinieren und damit effektiv zusammenarbeiten können.

Zugriff auf alle Fähigkeiten und Ressourcen Truppe für die Einsätze der Bundeswehr zur Hilfeleistung im Inland wird dem KdoTerrAufgBw regelmäßig von den Teilstreitkräften (TSK)/Organisationsbereichen unterstellt – wie aktuell in der Pandemie-Lage – oder über das Instrument des Militärischen Katastrophenalarms generiert. Im Rahmen des Militärischen Katastrophenalarms kann sich das KdoTerrAufgBw jeden Verband und jede Einheit der Bundeswehr, die für einen Einsatz zur Hilfeleistung benötigt werden, unterstellen. Gerade der Militärische Katastrophenalarm ist ein höchst flexibles und vor allem schnelles Instrument, das sich in den letzten Einsätzen des Kommandos mehr als bewährt hat. Und gerade dem Militärischen Katastrophenalarm ist es zu verdanken, dass über mögliche Amtshilfe nicht nur innerhalb kürzester Zeit entschieden wird. Damit tragen wir auch dem Umstand Rechnung, dass das Kommando selbst nur wenig aktive Truppe führt und die Kräfte der territorialen Reserve, also die regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien und das in Aufstellung befindliche Landesregiment, nur eingeschränkt und mit der notwendigen Vorlaufzeit zur Einberufung von Reservisten zur Verfügung stehen. Aktive Truppe im Kommandobereich reduziert sich auf das Wachbataillon des BMVg, dessen protokollarischer Dienst und bei Sicherungsaufgaben am Regierungssitz bereits im Grundbetrieb sehr hoch ist und so wenig Spielraum für die Heranziehung bei Hilfseinsätzen lässt.

The Way Ahead Es bleiben die wesentlichen Handlungsfelder für die Zukunft des Kommandos, für die Zukunft der Wahrnehmung der territoria-

len Aufgaben in Deutschland. An die erste Stelle setze ich dabei die Steigerung der Führungsfähigkeit. Wie bereits für die OpZ des Kommandos dargestellt, muss der Aufbau einer Führungsfähigkeit auch für die Landeskommandos gelten. Deren Rolle ist nur für den Friedensgrundbetrieb klar umrissen und das verlangt, mit Blick auf Landesund Bündnisverteidigung, eine konsequente Weiterentwicklung. Die Digitalisierung allein ist nur ein Schritt, denn daneben wird es auf die Schaffung durchhaltefähiger und resilienter Strukturen ankommen. Das zweite große Handlungsfeld ist die Weiterentwicklung der territorialen Reserve. Mit der neuen Strategie der Reserve, der Aufstellung des Landesregiments in Bayern als Pilotprojekt oder dem jüngst gestarteten Vorhaben “Dein Jahr für Deutschland”, dem Freiwillig Wehrdienstleistenden Heimatschutz, sind Maßnahmen zur Stärkung der territorialen Reserve getroffen worden, die die Weichen in die richtige Richtung gestellt haben. Der dritte Arbeitsschwerpunkt liegt in der Stärkung der Multinationalität. Die Entwicklung im Bereich Host Nation Support (HNS), einem stark geforderten Arbeitsbereich im Kommando, zeigt dieses Erfordernis exem-plarisch auf. Über die letzten Jahre nahm die Zahl der Unterstützungsleistungen für alliierte und befreundete Nation kontinuierlich zu und erreichte 2019 annährend die Marke von 1.000 Vorgängen. Dies umfasste die breite Palette vom einzelnen Schiffsbesuch bis hin zum Transit von Brigaden im Rahmen der Übungsserie “Atlantic Resolve” und fanden ihren vorläufigen Höhepunkt in der Übung “Defender Europe 20” Anfang dieses Jahres. Die Drehscheibe Deutschland, die starke Beteiligung der Bundeswehr bei der NATO Response Force (NRF) und der EU-Battlegroup, deren Aufmarsch und Verlegung aus der Berliner OpZ gesteuert werden, neue Mitspieler wie das Joint Support and Enabling Command (JSEC) der NATO und die grenzüberschreitende Zeit – während der Schneehilfe in Bayern dauerte der Prozess vom Stellen des Antrags bis zur Entscheidung jeweils weniger als 90 Minuten – stellen sicher, dass einer Entscheidung auch innerhalb weniger Stunden Kräfte zur Unterstützungsleistung folgen können. Kooperation bei der Verlegung von Truppe genauso wie bei gemeinsamer Schadensabwehr in Katastrophenfällen erfordert, auch die Befähigung zum Handeln im internationalen Umfeld und multinationalen Rahmen zu stärken.

Jederzeit. Deutschlandweit. “Sandsackkommando” oder “Elefantenfriedhof”? Ich hoffe, dass ich vermitteln konnte, dass das Kommando Territoriale Aufgaben eine viel größere Palette an Aufgaben abdeckt als nur Hochwasser und Waldbrände. Das KdoTerrAufgBw ist jung, es hat sich dynamisch entwickelt und wird absehbar eine tragende Rolle in allen denkbaren Szenarien einnehmen. Ein Kommando mit territorialen Fachleuten, mit Krisenmanagern, deren Fachexpertise und fachliche Flexibilität die Garantie für eine erfolgreiche Aufgabenwahrnehmung auch in Zukunft sind. Für Krisen aufgestellt, haben diese Fachleute in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, dass sie Krisen können. Auch wenn ich hier nur einen kurzen Einblick in das Kommando geben konnte, so bin ich überzeugt davon, dass der Satz “Wir.Dienen.Deutschland.” für die Soldaten des KdoTerrAufgBw eine besondere Bedeutung hat, eine besondere Aufgabe ist. Wir dienen Deutschland. Jederzeit. Deutschlandweit.


Verteidigung

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Truppenbilder mit Damen

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ie aktuell das Thema ist, zeigt die aufkommende Diskussion um weibliche Dienstgrade. Dr. Roger Töpelmann, bis zu seiner Pensionierung im Sommer Sprecher des Evangelischen Militärbischofs, erklärt dazu gegenüber dem Behörden Spiegel: “Die Ränge von Soldatinnen der Bundeswehr sollten nicht gegendert werden. Denn Hauptmann oder Feldwebel lassen sich nur schwer feminisieren. Viele weibliche Militärangehörige sagen sogar, sie sähen es als äußerst wichtig an, männlich formulierte Ränge mit dem vorangestellten “Frau” zu tragen: Denn andernfalls würden sie kein gleichberechtigter Teil der immer noch männerdominierten Streitkräfte sein.” Seit 1975 können Frauen in den Sanitäts- und Militärmusikdienst der Bundeswehr eintreten. Alle Laufbahnen stehen ihnen seit 2001 offen. Die Bundeswehr betont, dass mittlerweile Frauen “ausdrücklich auch in den Kampftruppen” anzutreffen seien. Dies gilt jedoch nicht für die Kommandotrupps der Spezialkräfte, d. h. beim Kommando Spezialkräfte (KSK) und beim Kommando Spezialkräfte Marine (KSKM). Lediglich bei den Unterstützungskräften und in den Stäben der Spezialkräfte gibt es vereinzelt weibliche Soldaten. “Die Integration von Frauen in die Bundeswehr hat in der Nachfolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom Januar 2000 im Fall Tanja Kreil versus Bundesrepublik Deutschland und der dadurch initiierten vollständigen Öffnung der Streitkräfte für das andere, das vermeintlich schwache Geschlecht enorme Fortschritte gemacht und zu einer Vervielfachung der Zahl weiblicher Soldaten geführt”, so Dr. Gerhard Kümmel, Wissenschaftlicher Direktor am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), in seiner Grundlagenstudie “Truppenbild mit Dame”.

Aktuelle Zahlen Heutzutage dienen 23.049 Frauen in den Streitkräften, was einem Anteil von 12,4 Prozent entspricht. Bei den Zivilbeschäftigten sind immerhin 37,8 Prozent weiblich, d. h. rund drei Mal so viele wie bei den Soldaten. Trotzdem ist immer noch mit 40,9 Prozent der höchste Frauenanteil bei den Teilstreitkräften (TSK) und Organisationsbereichen beim Sanitätsdienst anzutreffen. Dort hat es auch die erste Frau im Generalsrang gegeben: 1994 wurde die Luftwaffenärztin Dr. Verena von Weymarn vom damaligen Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU) zum Generalarzt befördert. Damit wurde sie zum ersten weiblichen General in der deutschen Militärgeschichte. Auf Platz zwei folgt mit 13,3 Prozent, d. h. bereits deutlich abgeschlagen, das Bundesministerium der Verteidigung mit den unmittelbar nachgeordneten Dienststellen. Dann kommt die Streitkräftebasis (SKB) mit einem Anteil von 10,6 Prozent, dicht gefolgt von der Marine mit 10,2 Prozent und dem Cyber- und Informationsraum (CIR) mit 9,7 Prozent. Den vorletzten Platz belegt die Luftwaffe mit 8,5 Prozent. Das Schlusslicht mit nur 7,1 Prozent bildet ausgerechnet die größte TSK: nämlich das Heer. Von den 3.056 deutschen Soldaten, die sich im Auslands­ einsatz befinden (Stand Anfang September), sind 279 weiblich, was einem Anteil von 9,1 Prozent entspricht. Damit sind Frauen im Einsatz in Relation zum Gesamtanteil in den Streitkräften leicht unterrepräsentiert. Was den Berufsstatus betrifft, so ist der weibliche Anteil mit 18,4 Prozent bei den Freiwillig Wehrdienstleistenden (FWDL)

Behörden Spiegel / Oktober 2020

Frauen in den Streitkräften (BS/Dr. Gerd Portugall) Artikel 65a des Grundgesetzes (GG) regelt: “Der Bundesminister für Verteidigung hat die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte.” Seit 2013 hat die Bundeswehr eine Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (IBuK): bis 2019 Dr. Ursula von der Leyen, seither Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU). Im Verteidigungsfall geht die BuK gemäß Artikel 115b GG “auf den Bundeskanzler” über – seit 2005 mit Dr. Angela Merkel (CDU) auch eine Frau. Doch wie sieht es eigentlich mit den Streitkräften selbst aus? Hierzulande? In anderen europäischen Staaten? am höchsten. Neben den 1.610 FWDL dienen 17.691 Frauen als Zeitsoldaten, was einem Anteil von 14,4 Prozent entspricht. Unter den Berufssoldaten finden sich mit 3.751 nur 6,9 Prozent Frauen. Hier also eine noch deutlichere Unterrepräsentation als bei den Einsatzsoldaten. Merkwürdigerweise verhält sich das Ranking bei den Laufbahngruppen (inkl. Anwärter) prozentual genau umgekehrt: Mit 6.119 weiblichen Soldaten stellen Frauen mit 13,5 Prozent den höchsten Anteil bei den Offizieren, gefolgt von den Unteroffizieren (mit und ohne Portepee) mit 12,8 Prozent (11.536 in absoluten Zahlen) und den Mannschaften mit 10,8 Prozent (5.394).

Stellungnahme der NATO Clare Hutchinson, Sonderbeauftragte des NATO Generalsekretärs für Frauen, Frieden und Sicherheit, erklärt gegenüber dem Behörden Spiegel, dass die Zahl weiblicher Soldaten in den NATO-Staaten kontinuierlich zunehme: “Wir haben aktuell insgesamt zwölf Prozent Frauen, die in Operationen, Missionen und Übungen der NATO entsandt sind.” Außerdem würden Führungspositionen innerhalb der Atlantischen Allianz immer häufiger mit Frauen besetzt. Wichtig sei, so die gebürtige Britin Hutchinson, dass alle Aufgaben und Funktionen für Frauen genauso offen seien wie für Männer – “einschließlich der Kampfeinsätze!” Skeptisch äußert sie sich in Bezug auf Quoten für Frauen als Allheilmittel: “Quoten können nur funktionieren, wenn die tiefer liegenden strukturellen Hindernisse erkannt und entfernt werden.” Nur zeitlich begrenzte Sondermaßnahmen zur Förderung der Geschlechtergleichheit könnten vereinzelt Anwendung finden, so die Sonderbeauftragte.

Beispiele aus Europa Bereits 2002 übernahm mit Michèle Alliot-Marie die erste Frau das Verteidigungsministerium in Frankreich – elfeinhalb Jahre vor Deutschland. Mittlerweile ist mit Florence Parly schon die dritte Verteidigungsministerin im Amt. Frauen dürfen in sämtlichen Einheiten der französischen Streitkräfte Dienst leisten, außer auf U-Booten und in der Aufstandsbekämpfung der Gendarmerie. Dennoch ist der weibliche Anteil bei bestimmten Einheiten noch sehr gering, zum Beispiel bei der Marineinfanterie. Der Zugang zur Fremdenlegion ist Frauen nach wie vor verwehrt, auch wenn es immer wieder einige weibliche Offiziere gibt, die vom Heer für Verwaltungsaufgaben zur Fremdenlegion versetzt werden. Bemerkenswert: Die verpflichtende Wehrerfassung wurde nach der Aussetzung der Wehrpflicht in Frankreich Ende 2002 auch auf Mädchen ausgeweitet. Noch weiter geht Norwegen: Seit 2009 sind dort auch Frauen verpflichtet, sich mustern zu lassen, der Wehrdienst blieb aber zunächst freiwillig. 2015 wurde dann die allgemeine Wehrpflicht auch für Frauen eingeführt. Bereits Mitte der 1980er-Jahre hatte Norwegen die Verwendung von Frauen auch in Kampfeinheiten ermöglicht. 2014 stellten die Streitkräfte des skandinavischen Landes sogar eine Spezialeinheit nur mit Frauen auf: die “Jegertroppen”. Die Idee dahinter: Insbesondere in Aus-

Alles fest in weiblicher Hand (v.r.n.l.): Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (IBuK) im Verteidigungsfall, und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, IBuK in Friedenszeiten, sprechen mit zwei Soldatinnen des Wachbataillons anlässlich des feierlichen Gelöbnisses am 20 Juli des vergangenen Jahres auf dem Paradeplatz in Berlin – mehr Symbolik in Bezug auf Ort und Zeit geht kaum. Foto: BS/Bundeswehr, Christian Vierfuß

BSC

landseinsätzen in muslimischen Ländern können einige spezielle Aufgaben nur von weiblichen Soldaten wahrgenommen werden. Die norwegischen Streitkräfte sind daher neben der Britischen Armee die ersten Streitkräfte, die in Spezialeinheiten Frauen integrieren. Oberst i. G. László Hajnik, Verteidigungs-, Heeres- und Luftwaffenattaché an der ungarischen Botschaft in Berlin, berichtet dem Behörden Spiegel, dass der Frauenanteil in den Streitkräften seines Heimatlandes schon fast 20 Prozent betrage. Insbesondere seit der Aussetzung der Wehrpflicht in Ungarn im Jahre 2005 träten immer mehr weibliche Soldaten in die Berufsarmee ein. Bereits 2007 habe ihr Anteil 17,3 Prozent betragen. Besonders viele Frauen gebe es bei den Reservisten. Mittlerweile gebe es auch eine erste Brigadegeneralin in Ungarn, das seit 1999 Mitglied der ­NATO ist: Sie sei Generaldirektorin des Nationalen Amtes für Wehrwirtschaft. Daneben gebe es bereits fünf weibliche Oberste, was einem Anteil von fünf Prozent an dieser Dienstgradgruppe entspreche, betont Oberst Hajnik abschließend.

Berlin Security Conference

1 9 th C o n g r e s s o n E u r o p e a n S e c u r i t y a n d D e f e n c e

PR ÄS EN ZV ER AN STALTU NG Melden Sie sich zu Europas führ ender Veransta Sicherheit und ltung für Verteidigung au f www.euro-defe nce.eu an.

24. – 25. November 2020 Vienna House Andel’s Berlin

Europe – a cohesive bond for strong power Partnerland BSC 2020: Tschechien Highlights im Hauptprogramm, u. a.: > > > >

HIGH-LEVEL-DEBATTE: Europäische Sicherheit und Verteidigung – Mittel- und Osteuropäische (Erwartungen) und Beiträge HIGH-LEVEL-INTERVIEW: Umsetzung der Gender-Politik in der Verteidigungsplanung von NATO und EU MILITÄRISCHES HIGH-LEVEL-FORUM: Stärkung der europäischen Sicherheit durch regionale militärische Zusammenarbeit FORUM ZUKÜNFTIGE STREITKRÄFTE: EU-Verteidigungsinitiativen für technologische Innovation und relevante Fähigkeiten

Fachforen, u. a. > > > > > > > >

Bewertung von CDP / CARD / EDF / PESCO Landstreitkräfte in einem gemeinsamen und verbundenen Umfeld – Verfügbarkeit und Einsatzfähigkeit Chinas militärischer Aufstieg und seine Auswirkungen auf den Westen Wie kann eine glaubwürdige nukleare Abschreckung in und für Europa aufrechterhalten werden? Abwehr von Cyber-Bedrohungen – der Fortschritt digitaler Kriegsführung bei Multidomain-Operationen Framework Nations Concept – wirksamer Katalysator für regionale Mil-Mil-Zusammenarbeit? Personalwesen – Rekrutierung und Bindung Covid-19: Lessons Learned – Aufrechterhaltung der Europäischen militärischen Fähigkeiten (und der Widerstandsfähigkeit) in Zeiten einer globalen Pandemie

140 Top-Referenten, u. a. Tomáš Petříček Minister für Äußere Angelegenheiten der Tschechischen Republik

Helga Maria Schmid Generalsekretärin Europäischer Auswärtiger Dienst (EEAS)

General Claudio Graziano Vorsitzender des Militärausschusses der Europäischen Union

Thomas Silberhorn MdB Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung

Lubomír Metnar Verteidigungsminister der Tschechischen Republik

Niels Annen MdB Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen

Péter Szijjártó Minister für Auswärtige Angelegenheiten von Ungarn

General Eberhard Zorn Generalinspekteur der Bundeswehr

Weitere Informationen und Anmeldung www.euro-defence.eu Veranstalter

Photo oben: Klaus Dombrowsky


Katastrophenschutz

Behörden Spiegel / Oktober 2020

K

arl-Heinz Banse ist Präsident des Landesfeuerwehrverbands Niedersachsen. Er wurde von den Landesfeuerwehrverbänden Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Hamburg vorgeschlagen. Behörden Spiegel: Herr Banse, welche Gründe haben Sie zu einer Kandidatur bewogen?

Karl-Heinz Banse: Das waren zum einen der Zuspruch aus vielen verschiedenen Landesfeuerwehrverbänden und die vielen Unterstützer aus meinem Umfeld. Zum anderen kenne ich die Feuerwehrwelt als Vorsitzender des mit rund 220.000 Mitgliedern, zweitgrößten Landesfeuerwehrverbandes in Deutschland sehr gut. Ich engagiere mich seit Jahren auf den verschiedenen Ebenen von meiner Ortsfeuerwehr über die Kreis- und Landesebene bis hin zum Deutschen Feuerwehrverband. Die Chance ,gemeinsam mit den vielen Kameradinnen und Kameraden das Deutsche Feuerwehrwesen in der ersten Reihe aktiv mitzugestalten und fit für die Zukunft zu machen, empfinde ich als spannende Herausforderung und Privileg zugleich. Behörden Spiegel: Was wollen Sie im Falle einer erfolgreichen Wahl zum Präsidenten im DFV ändern? Banse: Mein Ziel ist es, vor allem wieder die Gemeinsamkeiten aller Feuerwehren und ihrer Mitglieder und jene Werte, die uns als Feuerwehr ausmachen, in den Vordergrund zu stellen und diese aktiv zu leben. Damit einher geht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Landesfeuerwehrverbände, der Deutschen Jugendfeuerwehr sowie der Bundesgruppen der Berufs- und Werkfeuerwehren. Eine wichtige Aufgabe wird sein, die Ergebnisse aus dem “Zukunftsausschuss” in entsprechende Maßnahmen und Veränderungen im Verband zu verwandeln. Wir Feuerwehren müssen mit einer Stimme sprechen, um Gehör zu finden und ich bin überzeugt davon, dass wir nur gemeinsam stark sind. Im Falle einer Wahl zum Präsidenten des DFV ist mir die gemeinsame Entwicklung zukunftsfähiger Verbandsstrukturen besonders wichtig. Zudem möchte ich die Arbeit des Deutschen Feuerwehr-

Viel vor im Feuerwehrverband DFV-Kandidaten über ihre Pläne

persönlich bekannt. Dadurch könnte die Hauptaufgabe des DFV – nämlich eine einheitliche und starke Interessenvertretung der Feuerwehren auf Bundesebene – zeitnah wieder in den Fokus rücken.

(BS/bk) In wenigen Wochen ist es so weit. Nach den internen Streitigkeiten im Präsidium des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) mit anschließendem Rücktritt des damaligen Präsidenten Hartmut Ziebs findet die Wahl eines neuen DFV-Präsidenten Ende Oktober in Fulda statt. Die drei Kandidaten haben bei einer erfolgreichen Wahl viel mit dem DFV vor. Die Fragen stellte Behörden Spiegel-Volontär Bennet Klawon. Behörden Spiegel: Was wollen

Die Kandidaten für die Präsidentschaft des Deutschen Feuerwehrverbands (DFV): (v.l.n.r.) Karl-Heinz Banse, Frank Kliem und Dr. Karsten Homrighausen Fotos: BS/LFV Niedersachsen, Julian Stähle, Feldmann

verbandes für die Kameradinnen und Kameraden in der Fläche transparenter und nachvollziehbarer machen. Darüber hinaus liegt mir eine einheitliche soziale Absicherung für alle Angehörigen der Deutschen Feuerwehren am Herzen. Die zurzeit bestehenden unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern sind reformbedürftig. Last but not least gilt es eine nachhaltige, erfolgreiche Lobbyarbeit mit den politischen Akteuren und Gremien auf der Bundes- und EU-Ebene zu etablieren. Frank Kliem ist Vizepräsident im Landesfeuerwehrverband Brandenburg. Kliem wurde von seinem Heimatverband vorgeschlagen. Behörden Spiegel: Herr Kliem, welche Gründe haben Sie zu einer Kandidatur bewogen? Frank Kliem: Der DFV ist im vergangenen Jahr in eine Situation geraten, welche ihm nicht gerecht wird. Interne Unstimmigkeiten wurden in der Öffentlichkeit ausgetragen, der Eindruck ist entstanden, dass wir als unpolitischer Gesellschaftsteil im Umgang mit der AfD intern unterschiedliche Auffassung vertreten. Dem war und ist nicht so und hatte mit dieser Diskussion nichts zu tun. Ich bin nun über 30 Jahre in Führungsfunktionen der Feu-

erwehr. Den Kontakt zur Basis habe ich in der gesamten Zeit aber nie verloren. Ich kann zuhören, suche den gemeinsamen, konstruktiven Dialog. Es gibt nichts im Verbandsleben, was nicht gemeinsam zu beschließen und zu bewältigen ist. Mein Motto ist: “Klar in der Sache und kameradschaftlich im Ton!”. Das ist meine Grundeinstellung und hat mich stets im besten Sinne begleitet. Die ehemaligen DFV-Präsidenten Hinrich Struwe und Hans-Peter Kröger waren für mich schon immer gute Vorbilder. Ich schätze insbesondere ihre ruhige und überlegte Art, die auch meine ist. Die Probleme im Präsidium des DFV, welche Ende 2019 offen bekannt wurden, aber schon viel länger bestanden, habe ich aus der Distanz als Vizepräsident des Landesfeuerwehrverbandes Brandenburg wahrgenommen. Diesen Abstand, da ich weder Präsidiums- noch Präsidialratsmitglied des DFV bin, will ich nutzen, um unbelastet und unvoreingenommen einen vor allem nachhaltigen Neuanfang im DFV zu gestalten. Behörden Spiegel: Was wollen Sie im Falle einer erfolgreichen Wahl zum Präsidenten im DFV ändern? Kliem: In erster Linie gilt es, gemeinsam eine konstruktive,

Mängel bei LF-KatS Probleme beim ergänzenden Katastrophenschutz (BS/bk) Die Löschgruppenfahrzeuge Katastrophenschutz (LF-KatS), die im Rahmen des Ergänzenden Katastrophenschutzes durch den Bund an die Länder verteilt wurden, weisen Mängel auf. Im Freistaat Bayern habe man grundsätzlich zwar positive Rückmeldungen von den Kreisverwaltungsbehörden, an die die Fahrzeuge zur Nutzung weitergegeben wurden, erhalten, doch bestehen bei allen ausgelieferten Fahrzeugen die gleichen Mängel. Die auf den LF-KatS verlasteten Faltbehältern mit einem Fassungsvermögen von 5.000 Litern könnten bereits bei einer geringen Neigung der Standfläche beim Befüllvorgang umkippen. Nach Kenntnissen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern ist dies ein Serienproblem. Die Faltbehälter seien vorerst außer Dienst gestellt worden. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sei informiert worden und bemühe sich um eine Lösung. Der Landesfeuerwehrverband Hessen berichtet zudem von einem weiteren Problem. So beklagt der Verband die fehlende Möglichkeit eines Anschlusses einer Abgasabsaugeinrichtung. Das Endrohr ende nicht, wie üblich, seitlich des Fahrzeugs, sondern unter dem LF-KatS. Dies habe

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zur Folge, dass kein Absaugschlauch angeschlossen werden könne. Eine Abgasabsaugung von Diesel-Emissionen ist jedoch nach den Unfallverhütungsvorschriften (UVV) nötig. Eine Lösung für das Problem sei bisher noch nicht gefunden worden. Bei den erst im Sommer 2020 in den Freistaat Sachsen ausgelieferten LF-KatS waren die Behälter schon nicht mehr verlastet. Laut dem sächsischen Innenministerium stehe das BBK mit dem Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern (BeschA) und dem Auftragnehmer in Kontakt, um kurzfristig eine Lösung zu erarbeiten. Das BeschA prüfe die beschafften Fahrzeuge durch einen Qualitätssicherungsprozess in verschiedenen Schritten. Diese Prüfung basiere unter anderem auf der Leistungsbeschreibung und den einschlägigen technischen Regelwerken sowie den Erkenntnissen aus den vorangegangenen Musterprüfungen und den Erprobungen. Die qualitätssichernde Begleitung der Serienproduktion erfolge vom ersten

Musterfahrzeug bis zum letzten Serienfahrzeug. Das BeschA wisse jedoch zum jetzigen Zeitpunkt über keinerlei Mängel, die über die üblichen Transportschäden, wie Kratzer, hinausgingen. Das BBK führe selbst keine Materialprüfungen durch. Das Amt spricht im Zusammenhang nur von Mängeln bei den ersten 20 Fahrzeugen der aktuellen Beschaffungsmaßnahme, die beanstandet worden seien. Es könne kein erhöhtes Aufkommen von Mängeln im Vergleich zu sonstigen Beschaffungsmaßnahmen festgestellt werden. Nach Behörden Spiegel-Informationen waren früher vermehrt Fahrzeuge fehlerhaft, da das Musterfahrzeug einige Fehler aufwies. Diese wurden jedoch nicht entdeckt, sodass die nachfolgenden LF-KatS fehlerhaft produziert und auf dem Materiallager des BBK zwischengelagert wurden. Rosenbauer, das verantwortliche Unternehmen, besserte die betreffenden Fahrzeuge nach. Rosenbauer reagierte auf eine Anfrage des Behörden Spiegel bis zum Redaktionsschluss nicht.

ergebnisorientierte Kommunikation im Verband wiederherzustellen und die Abspaltung auch nur eines einzigen Landesfeuerwehrverbandes unbedingt zu verhindern. Es wäre ein großer inhaltlicher Verlust, der schwer auszugleichen ist. Ich werde mich den Aufgaben, Problemen und Personen stellen und mit allen Beteiligten Lösungswege gemeinsam erarbeiten. Der Arbeitskreis “Zukunft DFV”, in dem ich im Übrigen selbst aktiv mitarbeite, hat Ideen und Vorschläge erarbeitet, die dabei eine gute Grundlage bilden werden. Die besondere Situation in den vergangenen Monaten hat gezeigt, dass es Dinge gibt, die bisher nicht im DFV geregelt waren, z. B. wie wir mit internen Konflikten umgehen. Das müssen wir unbedingt ändern, z. B. durch die Bildung eines Ethikrates. So et-

was funktioniert auch in anderen Organisationen sehr gut. Neben den verbandsinternen Aufgaben müssen wir uns aber auch einer Vielzahl von fachlichen Themen dringend widmen. Als Beispiele möchte ich hier die Digitalisierung in den Feuerehren nennen, als Unterstützung im Einsatz oder in der Aus- und Fortbildung. Ebenso die stärkere Förderung des Ehrenamtes sowie die nachhaltige Mitgliederentwicklung. Eine einheitliche soziale Absicherung der Feuerwehrmitglieder ist zwingend erforderlich und wir müssen mehr Frauen in Führungspositionen der Verbandsgremien bringen. Das sind nur einige wichtigen Aufgabengebiete. Dr. Karsten Homrighausen ist Berliner Landesbranddirektor und wurde überraschend vom Landesfeuerwehrverband Sachsen-Anhalt vorgeschlagen. Behörden Spiegel: Herr Dr. Homrighausen, welche Gründe haben Sie zu einer Kandidatur bewogen? Dr. Karsten Homrighausen: Es ist mir wichtig, für einen dringend notwendigen Neuanfang des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) mit Blick nach vorne auch eine personelle Alternative darzustellen. Da ich ohnehin bereits heute in Berlin präsent bin und auch auf der bundespolitischen Ebene an unterschiedlichen Stellen mitwirke, sind mir viele Gremien und Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung auch

Sie im Falle einer erfolgreichen Wahl zum Präsidenten im DFV ändern? Homrighausen: Beim DFV bedarf es meiner festen Überzeugung nach dringend eines Neuanfangs. Auch in strukturellorganisatorischer Hinsicht. Mit diesem Neuanfang gilt es auch verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Ein Neuanfang, der gleichzeitig Strukturen etabliert, die deutlich besser mit eventuellen Krisen umgehen können. Hierzu gilt es, die aktuellen Strukturen und Gremien zu hinterfragen. Die Aufgaben der Organe und die der Bundesgeschäftsstelle sind eindeutig zu beschreiben. Mögliche Abgrenzungen und Schnittstellen sind zu definieren. Aufgaben sind im Sinne eines dokumentierten und transparenten Geschäftsverteilungsplanes eindeutig zuzuweisen, Kompetenzen zu beschreiben und Verantwortungen festzulegen. Ich habe die Erwartung an den DFV, dass er auf bundespolitischer und internationaler Ebene nachhaltig in Erscheinung tritt und insbesondere inhaltlich mit ausgewogenen Fachmeinungen und -positionen in der Fachwelt anerkannt und geschätzt wird. Bestenfalls gelingt mit einem Neuanfang auch die Bündelung aller Feuerwehrfachmeinungen in Deutschland unter dem Dach des DFV. Bei einer Wahl zum DFV-Präsidenten werde ich aber definitiv Landesbranddirektor in Berlin bleiben.


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aas und ihre neun Kol­ leginnen und Kollegen an der Hengstprüfungsanstalt ar­ beiten im Schnitt immer mit et­ wa 70 Pferden. Insgesamt liegt der Bestand an den Neustädter Gestüten bei 300 bis 400. Im reitfähigen Alter ist davon im­ mer nur etwas weniger als die Hälfte. Die Pferde der Reitschule, Zuchtpferde und für den Verkauf bestimmte Pferde gehören nicht in den Verantwortungsbereich der Prüfungsanstalt. “Nach der Geburt bleiben die Fohlen noch ein halbes Jahr bei der Mutter, dann werden sie getrennt”, er­ zählt Maas auf dem Weg entlang einer großen Koppel. “Bis sie drei oder vier sind, je nach Entwick­ lung, dürfen sie dann noch auf der Wiese mit ihren Freunden spielen.” Anschließend beginnt schon die Selektion. Wird aus dem Jungtier ein Deckhengst oder eine Zuchtstute? Hat es die Anlagen für den großen Sport? Wäre es gut für die Reitschule geeignet? Die Karriere ist aber nicht in Stein gemeißelt. Später, wenn die Pferde schon länger beritten wurden, gibt es noch weitere Selektionsrunden. Bei der Ausbildung legen die Bereiter auf Vielseitigkeit Wert, besonders in den ersten Jahren, so Maas. “Auch ein Dressurpferd muss am Anfang springen und ein Springpferd dressurmäßig gerit­ ten werden.” Gegen Eintönigkeit hilft außerdem das Training der verschiedenen Gangarten und der Wechsel von Kulisse und Bodenbeschaffenheit. Einhei­ ten können auf die zahlreichen Reitplätze und -hallen und ins Gelände bzw. den direkt angren­ zenden Wald verlegt werden. Ein Meilenstein im Werde­ gang der Zuchtpferde ist die Leistungsprüfung. Die erfolgt vor einer Prüfungskommission der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Die Bereiter des Landgestüts präsentieren und reiten ihre Pferde vor, zusätzlich müssen Prüfungen mit einem gestellten Fremdreiter geritten werden. “Wenn ein Hengst für die Zucht ausgewählt wird und seine Leistungsprüfung schafft, bleibt er in der Regel auf dem Gestüt”, erzählt Maas vor dem Eingang der Besamungsstation. “Dann versuchen wir, ihn an die Züchter zu vermarkten, das heißt sein Sperma zu verkaufen.” Bleibt die Nachfrage hinter den Erwartungen zurück, wird der Hengst kastriert und geht als Wallach in den Sport. Ein anderer Pfad führt zum Ver­ kauf. Der ideale Zeitpunkt ist dabei unterschiedlich. Freizeit­ pferde, die vor allem mit gemütli­ chem Charakter und schickem Aussehen punkten, werden gerne schon mit vier bis fünf Jahren verkauft. Bei vielversprechenden Sportpferden lohnt es sich oft, sie vor Ort bis zur Klasse S auszu­ bilden. In der schweren Klasse werden die Prüfungen mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad geritten. Ein soweit im Dressuroder Springreiten ausgebildetes Pferd erzielt höhere Erlöse beim Verkauf. Entsprechend gehören Turniere fest zu Friederike Maas’ Arbeit. Mit Siegen in der schw­ eren Klasse kann sie auf große sportliche Erfolge stolz sein. Genauso gerne reitet sie aber die jungen Pferde auf Turnieren. “Das macht wirklich Spaß: mit den Drei- oder Vierjährigen an­ zufangen, ihre Entwicklung zu verfolgen, zu sehen, wie sie sich mit den anderen messen. Wenn man dann noch gemeinsam in der schweren Klasse ankommt und erfolgreich ist, ist das natür­ lich richtig toll.”

Die Beziehung ist der Schlüssel Es kommt immer auf beide an: Pferd und Reiterin. So ist eine Leistungsprüfung immer auch eine Prüfung für die Reiterin, ein Turniererfolg immer eine ge­ meinsame Leistung. “Das Pferd

Knochenjob, Spitzensport, Traumberuf Friederike Maas ist Bereiterin – und nichts lieber als das (BS/Benjamin Stiebel) Mit kräftigen Stiefelschritten geht Friederike Maas voran. Die Reitkluft scheint ihr wie eine zweite Haut zu sitzen. Sie führt über die Plätze, durch die Hallen und Ställe des Gestüts und es fühlt sich ein bisschen an, als würde sie ihr eigenes Zuhause zeigen. “Das Ausreitgelände ist direkt am Stall und auch die Wege zu den Reitplätzen und Reithallen sind kurz”, sagt sie stolz. “Das hat man so nicht überall, dass man nicht erst groß irgendwo hinlaufen muss. Ich kann am Stall aufsitzen und praktisch direkt losreiten.” Losreiten, das macht sie jeden Tag viele Male. Woche für Woche sitzt sie etliche Stunden auf vielen verschiedenen Pferderücken. Friederike Maas ist Bereiterin in der Hengstprüfungsanstalt am Haupt- und Landgestüt im brandenburgischen Neustadt (Dosse). Sie begleitet die Entwicklung der Tiere ab dem reitfähigen Alter, bereitet sie auf die Leistungsprüfungen vor und tritt mit ihnen bei Turnieren im Dressurreiten an. “Ein Knochenjob”, wie sie betont. “Aber ich kann mir nach wie vor keinen besseren vorstellen.”

Rund sieben Pferde reitet Maas jeden Tag. Jede Einheit ist Training und Beziehungsarbeit zugleich.

spürt meine Euphorie, wenn alles gut läuft, aber auch, wenn ich aufgeregt bin. Das sind ganz fein­ fühlige Tiere.” In einer der großen Reithallen schaut Maas einem Kollegen zu, der Runden auf einer grau-weißen Stute ­dreht. “Umgekehrt spüre ich auch, wie es den Pferden geht. Wenn eins heute nicht so gut drauf ist, werde ich auch nicht versuchen, das Letzte rauszuholen. Dann geht es eben mal bummelig ins Gelände. Das funktioniert natür­ lich nur, wenn man eine Bezie­ hung aufbaut.” Das erfordert Zeit, viele gemeinsame Reitstunden und Einfühlungsvermögen. Die Reiter müssen wissen, wie es den Pferden geht und wie sie sie zum Arbeiten motiviert bekommen. “Ein Pferd muss alles freiwillig machen und mit Spaß, sonst geht es nicht”, sagt Maas als sie einem dunkelbraunen Hengst mit kurzer schwarzer Mähne Zaumzeug und Sattel anlegt. Damontez (siehe Foto oben) ist ein entspannter und besonders gutmütiger Zeitgenosse – ihr persönlicher Liebling, wie die Reiterin verrät. Auch nach der Arbeit macht sie sich manch­ mal Gedanken, was sie anders machen, wie sie die Beziehung zu einem ihrer Tiere noch neu auf­ bauen kann. “Das muss man leb­ en”, ist sie überzeugt. Sie schließt den Verschluss ihres Reithelms und steigt auf. Damontez habe zwar ein sehr gemüt­liches Natur­ ell, meint Maas, aber wenn sie ihn

reite, dann wisse er, worauf es ankomme. “Das ist ja die Kunst des Reitens und unser Job: Das Pferd so zu nehmen, wie es ist und das Beste herauszuholen.” Das heißt zum Beispiel, faul­ eren Pferden Abwechslung mit kurzen Übungen zu geben, statt sie stundenlang voll durchzuar­ beiten. Bei einem temperament­ vollen Hengst bedeutet das, ihn möglichst häufig aus dem Stall zu holen und ihn regelmäßig im Gelände galoppieren zu lassen. “Das ist ein 600-Kilo-Tier. Das muss Spaß bei der Arbeit haben und es auch wollen, sonst habe ich keine Chance mit meinem Ge­ wicht.” Nachdem sie eine Runde mit Damontez gedreht hat, geht es zurück in den Stall. Die Ausbildung der Pferde ist herausfordernd, zugleich schwere körperliche Arbeit und Spitzen­ sport. Im Schnitt haben die Be­ reiter sieben Pferde am Tag zu reiten. Dazu kommt der Stall­ dienst mit Ausmisten, Füttern und Putzen der Pferde – alle vier Wochen auch am Wochenende. “Wochenenden und Feiertage sind den Pferden egal. Die wissen nicht, wann Weihnachten ist und wollen dann genauso gefüttert und bewegt werden.” Das gilt für alle Wetterlagen. Maas: “Es ist nicht immer nur schön. Auch wenn die Füße und Hände ein­ frieren, es hilft nichts: Man muss raus. Aber es gibt auch Tage, an denen ich denke, es gibt keinen schöneren Job als diesen.” Heute

Fotos: BS/Benjamin Stiebel

Zur stundenlangen Arbeit mit den Pferden kommt für die Bereiterin auch noch der Stalldienst.

ist es z. B. angenehm warm, der Himmel blau. Maas schnappt sich eine Karre und eine Mistga­ bel. Als Büroangestellte könnte man sie sich tatsächlich schwer vorstellen.

Beruf und Berufung Rund zehnmal im Jahr fahren die Bereiter übers Wochenende zu Turnieren. Auch in die regel­ mäßigen Veranstaltungen wie die Hengstparaden im September, den Fohlenfrühling oder diverse Pferdeschauen sind die Bereit­ er involviert. Viel freie Zeit hat Friederike Maas nicht, schon gar nicht für ein Hobby neben dem Reiten. Und auch im Urlaub mache sie noch Abstecher aufs Gestüt zu ihren “Kumpels”, den Hengsten, erzählt sie. “Ich muss schon richtig verreisen, um gar nicht zu reiten. Solange ich in

Die Neustädter Gestüte (BS/stb) Das Brandenburgische Haupt- und Landgestüt in Neustadt (Dosse) ist eines von zehn staatlichen Landgestüten in Deutschland und die größte Gestütsanlage Deutschlands. 1788 als Zuchtanlage “Friedrich Wilhelm” gegründet und im klassizistischen Stil erbaut, werden die Neustädter Gestüte seit 2001 als eine Stiftung des öffentlichen Rechts geführt. Zu den Aufgaben der Stiftung zählen insbesondere die Pferdezucht, die Wahrung des kulturhistorischen Erbes, der Tourismus als Baustein der regionalen Entwicklung sowie die Wiederherstellung, Pflege und der Erhalt der denkmalgeschützten Gestütsanlagen. Zu den Tätigkeitsfeldern gehören außerdem die Ausbildung in der Reit- und Fahrschule und das Reiten in der Schule als Wahlpflichtfach für Schülerinnen und Schüler der Schule Neustadt. Eine der wichtigsten landeshoheitlichen Aufgaben des Haupt- und Landgestütes ist die Bereitstellung

Foto: BS/SBHLG

M

Behörden Spiegel / Oktober 2020

von qualitativ hochwertigen, leistungsgeprüften Hengsten. Weltweit bekannt ist der Deckhengst Quaterback. Er rangiert unter den fünf besten Dressurvererbern der Welt und hat bereits zahlreiche sportlich erfolgreiche Nachkommen gezeugt. Das schlossartige Landstallmeisterhaus (Foto) beherbergt heute die Gestütsverwaltung und das Gestütsmuseum.

der Nähe bin, reite ich auch.” Mit geübten Bewegungen hievt sie verbrauchtes Stroh in die Karre. So viel Zeit wie eben möglich verbringt Maas noch mit ihrer Familie und mit ihrem Freund. Mit ihm wohnt sie zusammen in Küritz, rund 12 Kilometer vom Gestüt entfernt. Er hat noch nie auf einem Pferd gesessen. “Er hat tatsächlich ein bisschen Angst vor Pferden”, sagt die Bereiterin. “Streicheln oder mal festhalten sind okay, aber darauf sitzen will er lieber nicht.” Aber er ist stolz auf seine Freundin, ihre Leiden­ schaft, ihre Erfolge. “Er fährt auch mit zu den Turnieren. Er hat zwar keine Ahnung von dem Sport, guckt aber zu und freut sich für mich”, sagt Maas. Man merkt, wie wichtig ihr sein Ver­ ständnis für ihre Leidenschaft ist. Sie verbringt unheimlich viel Zeit mit den Pferden, bezeichnet sie scherzhaft als ihre zweite Familie. “Das ist mein Leben und er steht da voll hinter mir. Ich kann mir keinen besseren wünschen.” In die Wiege gelegt war ihr dieses Leben allerdings nicht – ihre Eltern hätten selbst nichts mit Pferden am Hut, sagt sie. Dennoch hat sie früh angefangen zu reiten. Mit sechs folgte die kleine Friederike in die Reitstiefel­ spuren ihrer älteren Schwester. Mit 14 hatte sie dann ihr er­ stes eigenes Pferd bekommen und echten sportlichen Ehrgeiz entwickelt. Neben dem eigenen Training fing sie an, mit behin­ derten Kindern im Reitsport zu arbeiten. Mit 17 machte sie ihren Trainerschein und übernahm die Leitung des Behindertenreitens in ihrem Verein. “Spätestens da war mir klar: Das ist genau mein Ding, ich will mit Pferden

arbeiten.” Ihr Abitur hat Maas noch in Berlin gemacht, wo ihre Familie auch heute noch lebt. Bei den Neu­städter Gestüten wurde sie gleich beim ersten Anlauf angenommen, bei rund 200 Be­ werberinnen und Bewerbern auf vier Stellen schon eine Leistung. Als erstes hatte sie Zucht und Haltung gelernt, 2008 war das. An die dreijährige Ausbildung hatte sie dann direkt noch die einjährige Weiterbildung zur Be­ reiterin gehängt. Beides schloss sie mit Auszeichnung ab. Maas blinzelt gegen die Sonne an, als sie auf das Lehrlingswohnheim zeigt. Dort hatte sie die erste Zeit gewohnt, später dann in einer WG mit einer Kollegin, bevor sie mit ihrem Partner zusammenge­ zogen ist. Dass sie nach der Ausbildung am Gestüt bleiben konnte, war nicht selbstverständlich. Sicher­ heitshalber hatte sie sich noch woanders beworben. Am Ende bekam sie überall eine Zusage und hatte die Wahl. “Ich war aber froh, dass ich hierbleiben konnte. Ich fühle mich hier sehr wohl, wir sind ein tolles Team.” Die erste Zeit arbeitete Maas im Verkaufs­ stall, in der Hengstprüfungsan­ stalt ist sie nun seit fünf Jahren. Vor zwei Jahren machte sie noch ihren Pferdewirtschaftsmeister – wieder mit Auszeichnung. Damit kann sie Lehrlinge ausbilden oder später in andere Bereiche wechseln, zum Beispiel in die Besamungsstation. Heute schon an später zu denken, ist in dem Job besonders wichtig. Denn: Reiten geht nicht bis ins hohe Alter. Irgendwann lässt die Be­ weglichkeit nach und Knochen, Muskeln und Gelenke stecken Stürze nicht mehr gut weg. Und dass man mal vom Pferd fällt, das bleibt auch bei erfahrenen Reitern nicht aus. “Pferde sind Fluchttiere”, stellt Maas klar. “Wenn die sich erschrecken und aufbäumen oder ausbüchsen, stürzt man eben.” Schlimmes sei ihr aber glücklicherweise nie passiert – nach spätestens ein paar Wochen sei sie stets wieder aufgestiegen. Möglich wäre es für Maas auch, ihre Karriere im administrativen Bereich fortzusetzen, Führungs­ aufgaben und Personalverant­ wortung zu übernehmen. “Aber da bin ich nicht der Typ für”, ist sie sich sicher. “Mein Bestreben ist immer das reiterliche Wei­ terkommen.” Ausgelernt habe man in dem Sport nie, man könne immer noch besser werden. Dabei geht es ihr aber nicht in erster Linie um den persönlichen Erfolg. Ihr Ehrgeiz ist es vor allem, die Pferde immer besser auszubilden, ihren Anlagen entsprechend das Beste aus ihnen herauszuho­ len, sie immer besser zu präsen­ tieren. Die Voraussetzungen dafür sind an den Neustädter Gestüten besonders gut, dank einer exklusi­ven Kooperation mit Isabell Werth. Die erfolgreichste Reitsportlerin aller Zeiten hat regelmäßig Pferde aus Neustadt bei sich zur Ausbildung, auch ein Bereiter ist immer mit vor Ort. In regelmäßigen Abständen können Maas und ihre Kollegen bei Werth für vier bis sechs Wochen eine Art Trai­ningslager absolvieren. Abge­ sehen vom eigenen Trainingska­ der der sechsfachen Olympiasie­ gerin haben nur die Bereiter von den Neustädter Gestüten diese Möglichkeit. “Das ist eine große Ehre und bringt uns reiterlich immer noch einmal ordentlich nach vorne”, freut sich Maas. Sportlich vorankommen. Ler­ nen, sich immer besser in die Tiere einfühlen zu können. Sie zu motivieren und ihre Entwick­ lung miterleben zu dürfen. Friederike Maas hat ihre Berufung und ihren Traumjob gefunden. So viel ist klar. Nach dem Rund­ gang verabschiedet sie sich mit einem Wink geht mit kräftigen Stiefelschritten zurück zu den Ställen, wo ihre “Kumpels” viel­ leicht schon auf sie warten.


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