Behörden Spiegel Dezember 2020

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ISSN 1437-8337

Nr. XII / 36. Jg / 50. Woche

Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

Berlin und Bonn / Juli 2020

G 1805

www.behoerdenspiegel.de


Digitale Akademie ONLINE

AKADEMIE

Keine Zeit hat so viel Schwung in die Digitalisierung gebracht wie die heutige. Dort, wo Digitalisierung sinnvoll ist, müssen Potenziale identifiziert, präzisiert und schlussendlich verstetigt werden. Wie aber kann dieser Digitalisierungsschub für die Zukunft der Verwaltung genutzt werden? Antworten auf diese Frage liefern die Fortbildungsangebote der Digitalen Akademie des Behörden Spiegel. Bringen Sie sich durch Ihre Teilnahme an den folgenden Webinaren im ersten Quartal 2021 auf den neuesten Stand: Januar 2021

Digital Leadership in der öffentlichen Verwaltung 12. und 19.01.2021 Remote Collaboration 13.-14.01.2021

Datenschutz beim Einsatz von KI und Robotik 13.01.2021

Führung 4.0 – neue Herausforderungen an Führungskräfte 14.01.2021

Kanban in öffentlichen Verwaltungen 20.01.2021

Online-Zertifizierungskurs: IT-Security-Beauftragte/r 21.01.-26.02.2021

Online-Meetings und Telefonkonferenzen erfolgreich leiten 26.01.2021

Erfolgreich kommunizieren in Online-Meetings und Telefonkonferenzen 27.01.2021 Datenschutz für Datenschutzkoordinator(inn)en und -Manager(inn)en 27.01.2021

Februar 2021

Führung zwischen Büro und Home Office 04.02.2021 Modellieren mit der BPMN 2.0 05.02.2021 Barrierefreie PDFs erstellen 19.02.2021

Home Office – Arbeits- und datenschutzrechtliche Anforderungen 24.02.2021 Cloud und DSGVO – “Gegensätze ziehen sich an?!” 25.02.2021 Threat Intelligence Basics 25.02.2021

März 2021

Agiles Arbeiten mit virtuellen Teams 01.03.2021

Anforderungen an den Datenschutz bei der Vertragsgestaltung 02.03.2021 Service-Design für die öffentliche Verwaltung 02.-03.03.2021

Systematic Creative Thinking – Verwaltungsherausforderungen systematisch und kreativ lösen 16.-17.03.2021 Eine Reise durch das Darknet 16.03.2021

Online-Meetings und Telefonkonferenzen erfolgreich leiten 16.03.2021 Führung 4.0 – neue Herausforderungen an Führungskräfte 24.03.2021

Grundlagen der Kryptowährungen – Funktionsweise und Anwendung 16.03.2021

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.digitaler-staat.online/akademie


Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. XII / 36. Jg / 50. Woche

Berlin und Bonn / Dezember 2020

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Mit allen auf Augenhöhe

Bit für Bit für Bayern

Panoramablick auf Koblenz

Ludger Banken zur Zukunft der Stadt Rheinbach ���������������� Seite 19

Judith Gerlach zum Digitalministerium des Landes ������ Seite 36

Noelia Wostry leitet die Finanzabteilung der GDKE ��������������� Seite 72

Ungemach aus Europa

Freud und Leid bei Verkehrswende (BS/jf) Bund und Länder haben eine Vereinbarung zum Radver­ kehrsausbau unterzeichnet. Bis 2021 sollen 900 Millionen Euro bereitgestellt werden, um den Ausbau der Radverkehrswege zu beschleunigen. Das sei gut, meint Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe, Vizepräsident des Deutschen Städtetages. Nach wie vor sei es das Ziel, beim Umbau des Verkehrs in Städten rasch voranzukommen. Zugleich for­ dert er deutlich mehr Gestal­ tungsmöglichkeiten. Einerseits müssten Städte Modellprojekte initiieren können, andererseits bedürfe es einer flexibleren Hand­ habung, Geschwindigkeitsbe­ schränkungen zu erlassen. Und letztlich brauche man endlich die Einigung bei der Novelle der Straßenverkehrsordnung.

Corona-Teststrategie gestartet (BS/mfe) In Mecklenburg-Vor­ pommern hat die Landespolizei mit der Umsetzung einer Test­ strategie zur Bekämpfung des Coronavirus begonnen. Ziel ist es, Neuinfizierungen möglichst frühzeitig festzustellen. Außer­ dem geht es darum, schwer auszumachende Infektionsket­ ten rasch zu erkennen und zu unterbrechen. Dies soll mithilfe freiwilliger Testungen der Poli­ zisten gelingen. Genutzt werden Antigen-Schnelltests. Pro Woche stehen zunächst 2.500 Tests zur Verfügung. Damit sollen Kräfte aus dem operativen Bereich der Landespolizei untersucht wer­ den, um die Funktionsfähigkeit der Polizei aufrechtzuerhalten. Die Tests sollen von den Beschäf­ tigten selbst durchgeführt und ausgewertet werden. An einem Standort der Landespolizei wur­ de bereits vorab im Zuge eines Pilotprojekts mit den Testungen begonnen.

Drohnenkrieg der nächsten Generation (BS/por) Wie erst jetzt bekannt geworden ist, hat Aserbaidschan im jüngsten Waffengang um Bergkarabach nicht nur isra­ elische und türkische Aufklä­ rungs- und Kampfdrohnen einge­ setzt, sondern auch unbemannte Flugzeuge des alten sowjetischen Typs An-2. Diese von Aserbaidschan umge­ bauten Doppeldecker sind sowohl als “Lockvögel” gegen die arme­ nische Luftverteidigung als auch als Bombenträger gegen Land­ ziele geflogen worden. Laut der britischen “Air Forces Monthly” könnte der systematische Einsatz von aserbaidschanischen Droh­ nen den künftigen “Modus Ope­ randi” für den Masseneinsatz von “Unmanned Air Systems” (UAS) und von “Loitering Attack Mu­ nitions” (LAM) darstellen. (Mehr dazu im Drohnen-Sonderteil ab Seite 62.)

Mischt sich der EuGH in die Tarifautonomie ein? (BS/Jörn Fieseler) Es ist ein verhältnismäßig “kleiner” Sachverhalt, zu dem sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) in diesem Jahr äußern musste: der Eingruppierung einer Lehrerin in das Entgeltstufensystem des Tarifvertrages der Länder (TV-L). Doch die Antwort aus Luxemburg verdeutlicht einmal mehr: Der Tarifautonomie sind Grenzen gesetzt. Zugleich werden Tarifverhandlungen immer komplexer. Doch das haben die Vertragsparteien selbst in der Hand. Tarifpartner haben es selten gern, wenn Gerichte anhand von Ein­ zelfällen mühsam ausgehandelte Elemente des Vertragswerks als nicht vereinbar mit den gelten­ den Gesetzen erklären. In der Vergangenheit haben sich die Gerichte mit zwei Verweisen zurückgehalten. Zum einen sei die Judikative nicht an den Ta­ rifverhandlungen beteiligt, zum anderen leite sich die Tarifauto­ nomie aus der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit ab und sei ein hohes Schutzgut. Doch in jüngster Zeit bröckelt diese Zurückhaltung. Entspre­ chend wurde die Entscheidung der siebten Kammer des EuGH vom 23. April 2020 mit wenig Begeisterung aufgenommen. Bei der Vorlage zur Vorabent­ scheidung ging es um eine Lehrerin, die 17 Jahre lang in Frankreich unterrichtet hatte und anschließend an eine Schule in Niedersachsen wechselte. Ge­ mäß § 16 Abs. 2 TV-L erfolgte die Stufenzuordnung bei mindestens drei Jahren einschlägiger Berufs­ erfahrung in der Stufe drei – von insgesamt fünf. Anders ausge­ drückt: Die übrigen 14 Jahre Berufserfahrung der Lehrerin wurden nicht weiter berücksich­ tigt. Diese Regelung schränke die Arbeitnehmerfreizügigkeit ein, so die Luxemburger Rich­ ter. Und da im weiteren Verlauf

Mehrere Vorabentscheidungen stehen beim Europäischen Gerichtshof an, die mitunter stark auf das Tarifrecht und die Tarifautonomie wirken. Foto: BS/Gerichtshof der Europäischen Union

des Paragrafen 16 TV-L geregelt wird, nach wie vielen Jahren in einer Entgeltstufe abhängig von der Leistung der Aufstieg in die nächsthöhere Stufe erfolgt, muss die Klägerin der höchsten Erfah­ rungsstufe zugeordnet werden. “Es droht Ungemach aus Eu­ ropa”, kommentiert Karin Spelge, Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht (BAG), die Entscheidung. Es sei sogar

vorstellbar, dass der EuGH die Koalitionsfreiheit aushebele. Zu­ mal gegen eine Entscheidung des Gerichtshofes nicht weiter vorgegangen werden könne, auch nicht mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Endeffekt sei der EuGH derjenige, der das Recht auslege, entscheide und den nationalen Gerichten vorschreibe, wie sie zu entschei­ den hätten.

Und die nächsten Entschei­ dungen stehen schon an. Auf der einen Seite geht es um die Frage, ob die Personalgestellung nach dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) und dem TV-L unter das Arbeitneh­ merüberlassungsgesetz (AÜG) fällt oder davon ausgenommen ist, wie im Gesetz normiert. Wenn nicht, wäre die gesamte Personalgestellung so nicht mehr

Kommentar

Umfassender denken! (BS) Für “Lessons learned” ist es noch viel zu früh, doch wird nach fast einem Jahr Pandemie klar: Der Katas­ trophenschutz muss wesentlich umfassender gedacht werden. Neben den üblichen Verdächtigen aus den klassischen Katastrophenschutzorganisationen wie Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk (THW) und Rettungsdiensten müssen weitere Akteure einbezogen werden. Der Öffentliche Gesundheits­ dienst ist wahrscheinlich so gefordert und überfordert wie noch nie. Von einer konsequen­ ten Nachverfolgung von Infekti­ onsketten ist man mittlerweile meilenweit entfernt. Die Gründe hierfür sind so offenkundig wie bekannt: Es fehlt an Personal und an digitalen Prozessen. Es fehlt jedes Benchmarking. Dabei spiel(t)en die Gesundheitsämter eine der wichtigsten Rollen bei der Eindämmung. Veterinärmediziner müssen in Zukunft Gehör finden. Nicht erst seit dem Coronavirus bedrohen Zoonosen, also vom Tier zum Menschen übertragbare Infek­ tionskrankheiten, die Bevölke­ rung. Über BSE, Vogelgrippe bis zur Schweinegrippe hatten diese Krankheiten unterschiedliche Ursprünge und Ausprägungen. Experten gehen davon aus, dass

nach der Pandemie auch neue Zoonosen anstehen. Zudem kön­ nen wir eine Gleichzeitigkeit von mehreren Krankheitsausbrü­ chen beobachten. Die CoronaPandemie überschattet z. B. die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest in Europa. Die Vogelgrippe tritt immer wieder sporadisch auf. Neue Akteure im Katastrophen­ schutz können weitere Impulse liefern. So könnten Abwasserex­ perten Analysen in den kommu­ nalen Klärwerken durchführen, um frühzeitig Hotspots zu erken­ nen. Das Abwasser ist wie eine Röntgenaufnahme einer Stadt. Gemein ist diesen Akteuren, dass sie nicht oder nur am Rande der Katastrophenschutzpläne aufgetaucht sind. Ebenso wird immer davon ausgegangen, dass Katastrophen eine nach der anderen und nicht gleich­

zeitig geschehen. Verschiedene Katastrophenlagen treten auf der Welt aber immer häufiger und gleichzeitig auf. Welche Auswirkungen eine Pandemie haben würde, hatte realitätsnah eine LÜKEX-Übung vor 13 Jahren präzise vorher­ gesagt. Wegen “geringer Wahr­ scheinlichkeit des Eintritts” blieb die Prävention aus. Die aktuelle Krise zeigt, dass neben weiteren Akteuren der Resilienz mehr Be­ deutung zukommen muss. Doch nicht etwa durch Trinkwasservor­ räte und Spirituskocher, sondern durch Stärkung der Strukturen im staatlichen und kommunalen Sektor. Belastbarkeit, Digitalisie­ rung und Krisenstabstraining in Sachen Kreativität, nicht die für ewig formulierten und angehef­ teten Notfallpläne. Resilienz ist ein Prozess, kein Zustand. Bennet Klawon

Ersehnte Gaben

durchführbar. Auf der anderen Seite soll der Gerichtshof klären, ob Teilzeitkräfte einen Überstun­ denzuschlag bekommen können, wenn sie über ihre Teilzeitarbeits­ zeit hinaus arbeiten, aber noch unter der tariflich fixierten regu­ lären Wochenarbeitszeit liegen. Das Regelwerk zu pflegen, wird angesichts dieser anstehenden Entscheidungen nicht einfacher. In der Vergangenheit haben Ar­ beitgeber und Gewerkschaften in sogenannten Tarifpflegegesprä­ chen die Verträge zwischen den verschiedenen Verhandlungsrun­ den angepasst. Doch inzwischen werden alle Änderungen, die sich monetär auswirken, in eben diese Runden verschoben. Ohne Er­ folgsgarantie, wie die Diskussion um den Arbeitsvorgang in der jüngsten Tarifrunde von Bund und kommunalen Arbeitgebern gezeigt hat (siehe Behörden Spiegel, November 2020, Seite 3). Es scheint fast so, dass der Handlungsdruck erst anwachsen muss. Zum Beispiel durch massi­ ve Klagewellen der Beschäftigten, wie es in den letzten fünf Jahren bei der Beamtenbesoldung bun­ desweit der Fall war. Doch so weit muss es nicht kommen. Besser wäre es, zur früheren Praxis zurückzukehren und in einem dialogorientierten Verfahren das Tarifrecht weiter zu gestalten.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / Dezember 2020

2020 neigt sich langsam, aber stetig seinem Ende zu. In Erinnerung bleiben wird es als das Jahr der Corona-Pandemie und – unmittelbar damit verknüpft – der Digitalisierung. Ob bei Schulen, Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben oder den Verwaltungen der Kommunen, Länder und des Bundes: Neue Wege wurden beschritten und müssen nun konsequent weiter gegangen werden, um den Zumutungen der Krise zu begegnen. Doch die Herausforderungen bleiben vielschichtig. Foto: BS/uniquedesign52, pixabay.com

Neue Wege weitergehen Staatliche Souveränität in Zeiten der Digitalisierung

Kann Verwaltung Krise?

Alle müssen Hand in Hand arbeiten ........................................................................ Seite 4

Lektionen für das IT-Notfallmanagement ............................................................... Seite 44

Souveränität auf allen Ebenen

Finnland plant Virve 2.0

Bessere Rahmenbedingungen für Kommunen gefordert ....................................... Seite 17

Weltweit bestes Funknetz für Einsatzkräfte ........................................................... Seite 50

Gut vorbereitet in den Lockdown

Die Zukunft findet bereits statt

Dank langjährigem Landesprogramm konnte RLP spontan reagieren ................... Seite 26

Beispiele der militärischen Nutzung von Landrobotern .......................................... Seite 64

Große Fortschritte Landrat Kubat: zur Digitalisierung der Schulen in Waldeck-Frankenberg ............. Seite 27

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Bit für Bit für Bayern Das Digitalministerium startet ins dritte Jahrn ....................................................... Seite 36

Innen Spiegel

Aus off- wird online

→ WEBKONFERENZ

Tag der Beteiligungsverwaltung 23. Februar 2021

Präsenzkongresse erfolgreich transformiert (BS/pet/gg) Ursprünglich waren die Behörden Spiegel-Kongresse “enrw”, “Digitale Sicherheit-” und “Digitale Verwaltung Rheinland-Pfalz” in Präsenzform geplant. Aufgrund der Entwicklungen beim Infektionsgeschehen musste aber umdisponiert und auf die virtuelle Bühne gewechselt werden.

g

Vom passiven Verwalten zum aktiven Steuern DER Treffpunkt für das Beteiligungsmanagement, öffentliche Unternehmen, Politik und Aufsichtsrat Herausforderungen der Covid-19-Pandemie für den Konzernverbund Stadt Dr. Sibylle Roggencamp, Amtsleitung Vermögens- und Beteiligungsmanagement, Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg Warum eigentlich Töchter? – die Beteiligungsverwaltung und die Stadtwirtschaftsstrategie der Wissenschaftsstadt Darmstadt Prof. Dr. Klaus-Michael Ahrend, Vorstand HEAG Holding AG – Beteiligungsmanagement der Wissenschaftsstadt Darmstadt Praxis-Dialog: Neuausrichtung der Beteiligungssteuerung – zukunftsfähig, nachhaltig, krisenfest Moderation: Dr. Martin Schellenberg, Rechtsanwalt und Partner, Kanzlei HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK

Workshops u. a. zu den Themen: • Stadtwirtschaftsstrategie der Freien und Hansestadt Hamburg • Herausforderung der Covid-19-Pandemie aus Sicht des Beteiligungsmanagements • Nachhaltigkeit in der Beteiligungssteuerung • Analyse und Steuerung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften • Inhouse-Fähigkeit von Beteiligungsgesellschaften • Liquiditätsmanagement und Cash-Pooling • Übergeordnetes Controlling von Bauprojekten • Berichtserstellung auf Knopfdruck • D-PCGM – wie können die Regelungen nutzenstiftend in die Praxis umgesetzt werden? • PCG als Mittel zur Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit

www.beteiligungsverwaltung.org

Foto: ©Daniel Fröhlich - stock.adobe.com

Fachvorträge und Key-Notes u. a. von:

Die Corona-Pandemie hat einen Technologieschub ausgelöst, wie er zuvor für unmöglich gehalten wurde. Das gilt auch für den Behörden Spiegel, der mit Digitaler Staat Online (www.digitalerstaat.online) eine Dachmarke mit mehr als 120.000 Usern im Netz etabliert hat. Auch ganze Kongresse wechselten aufgrund der Corona-Pandemie auf die virtuelle Bühne. So wurden die für November ursprünglich als Präsenzveranstaltungen in Neuss, Berlin bzw. Mainz geplanten Kongresse “e-nrw” (www.e-nrw. info), “PITS” (www.public-it-security.de), “Digitale Sicherheit Rheinland-Pfalz” (www.digitalesicherheit-rlp.de) und “Digitale Verwaltung Rheinland-Pfalz” (www.dv-rlp.de) erfolgreich in digitale Events umgewandelt. Dank des Engagements aller Veranstaltungspartner gestaltete sich dieser Umstieg nahezu problemlos. Die große Resonanz von über 1.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei den vier Veranstaltungen zeigte zudem, dass die Akzeptanz für derartige Formate in der Community vorhanden ist, auch wenn der Bedarf nach “echtem Networking” mit Dauer der Krise weiter zunimmt. Doch über Tools wie Expo-IP und Wonder lässt sich das Kongressgeschehen zumindest auch auf einer digitalen Plattform simulieren. Zudem zeigte sich eine große Bereitschaft

der Teilnehmenden, sich über den Chat mit ihren Fragen und Kommentaren in die Diskussionen einzuklinken und so die Interaktivität des Austausches zu erhöhen. Da derzeit bereits absehbar ist, dass auch in den ersten Monaten des kommenden Jahres keine Kongresse vor Ort in einem angemessenen Rahmen durchgeführt werden können, wird auch der “Zukunftskongress Bayern” (www.zukunftskongress.bayern) am 25. Februar 2021 als OnlineEvent durchgeführt.

Mediathek+ gestartet Auf der Plattform Digitaler Staat Online besteht ab sofort die Möglichkeit, über die “Mediathek+” (www.digitaler-staat.online/media thek) Aufnahmen und Mitschnitte verschiedener Behörden SpiegelKongresse und -Diskussionsrunden on demand abzurufen. Dies ermöglicht Interessierten, auch im Nachgang der Veranstaltungen auf deren Inhalte zuzugreifen.

Der Gesamtauflage des Behörden Spiegel liegt eine Beilage der Deutschen Lebens-RettungsGesellschaft (DLRG) bei. Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/privat Fotos 2: BS/STMD Bayern Foto 4: BS/Harbeke

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Dorothee Frank (Verteidigung, Wehrtechnik), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall(Sicherheitspolitik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 31/2020, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag/Redaktion/Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 97-0 Telefax: 0228/970 97 75 Altpapieranteil 100% Für Bezugsänderungen:


Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Dezember 2020

KNAPP

ÖPNV rollt bundesweit – fast

Neues Gewaltschutzprogramm in Bayern

Keine Vereinheitlichung bei Tarifvertragsverhandlungen erkennbar

(BS/jf) “Wir sagen laut und deut-

(BS/Jörn Fieseler) Nachdem die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VKA) für die Verhandlungen zu einem bundesweit geltenden Rahmentarifvertrag im Öffentlichen Personennah- lich NEIN zu jeglicher Gewalt verkehr (ÖPNV) kein Mandat erhalten hat (siehe Behörden Spiegel Oktober 2020, Seite 3), sind die vormals geltenden Spartentarifverträge in den einzelnen Bundesländern verhandelt gegen Beschäftigte im Öffentworden. In den meisten Ländern ist ein Abschluss erzielt worden, doch von einer Vereinheitlichung der Regelwerke kann keine Rede sein. lichen Dienst”, sagt Bayerns Wie heterogen die Lage in den einzelnen Bundesländern ist, zeigen zum Beispiel die vereinbarten Corona-Sonderzahlungen. Während NordrheinWestfalen und Sachsen sich an der 600-Euro-Prämie für die kommunalen Beschäftigten orientiert haben, haben andere Länder die Prämien erhöht. In Bayern betragen sie gestaffelt nach den Entgeltstufen zwischen 350 und 700 Euro, in Hessen und Rheinland-Pfalz bis zu 1.000 Euro und in Sachsen-Anhalt sogar bis zu 1.300 Euro. Auch die Laufzeiten sind unterschiedlich. Bremen hat die Verhandlungen auf das 1. Halbjahr 2021 verschoben. Bayern und Sachsen-Anhalt haben kurze Laufzeiten für einen Übergang abgeschlossen, um dann erneut in die Verhandlungen einsteigen zu können. Demgegenüber ha-

Es kann wieder eingestiegen werden. In fast allen Bundesländern sind die Tarifverhandlungen zu den Spartenverträgen im ÖPNV abgeschlossen worden. Foto: BS/connel_design, stock.adobe.com

ben andere Länder eine Laufzeit von mehr als drei Jahren vereinbart. Auch bei den strukturellen

Aspekten sind unterschiedliche Ergebnisse erzielt worden. Diese reichen von einem zusätzlichen

Entlastungstag ab zehn Jahren Betriebszugehörigkeit (BadenWürttemberg, Hessen) über die

Kommentar

Richtige Entscheidung (BS) “Nicht auch noch die CDU”, mochte manch Beamtin oder Beamter gedacht haben, als vor Kurzem ein Vorschlag des CDU-Abgeordneten Kai Whittaker zur Reform des Rentensystems die Einbeziehung der Beamten vorsah. Nun hat der parteiinterne Bundesfachausschuss “Soziale Sicherung und Arbeitswelt” eine notwendige Korrektur vorgenommen. Das Gremium hat entschieden, das Renteneintrittsalter zu individualisieren und das bisherige reine Umlagesystem umzubauen. Stattdessen soll ein Mix aus Umlage und Kapitalanlage eingerichtet und ein Rentenfonds bei der Rentenversicherung aufgebaut werden. Ein vernünftiges Konzept. Ein Wechsel bei der Berechnung der Rente weg vom Lebensalter hin zur Beitragsdauer ist sinnvoll. Wer mit 15 Jahren als Lehrling dauerhaft in die Rente eingezahlt und Zeit seines Lebens auf dem Bau oder im Handwerk

gearbeitet hat, der soll nach 45 Beitragsjahren, sprich mit 60 Jahren, ruhigen Gewissens in den Ruhestand gehen dürfen. Wer sich fit und gesund fühlt, dem sollte die Chance gegeben werden, darüber hinaus zu arbeiten und zusätzliche Punkte sammeln können. Wenn man aber erst nach dem Studium Beitragszahler wurde, ist es auch mehr als gerecht, wenn man einige Jahre später als im ersten Beispiel in den Ruhestand geht. Trotzdem bleibt die Frage, wie die Finanzierung des Rentensystems gewährleistet bleibt.

Der Vorschlag, die Masse der Beitragszahler zu erhöhen und die Beamten in die Rente zu überführen, ist zum Glück fallen gelassen worden. Warum auch die Attraktivität des Öffentlichen Dienstes schmälern und ein wesentliches Anreizmerkmal streichen? Zumal ein Systemwechsel die öffentlichen Haushalte über Jahrzehnte doppelt belasten würde. Neben den Pensionen müsste die Besoldung mindestens um den Faktor der Rentenzahlungen angehoben werden. Und nicht zuletzt sind die gesetzlichen Hürden sehr

hoch: Nicht nur, dass Artikel 33 Grundgesetz mit Zwei-DrittelMehrheit hätte geändert werden müssen. Zusätzlich müsste eine Zwangsversicherungspflicht im SGB normiert werden. Dies bedarf der Zustimmung im Bundesrat, dessen Mitglieder, die 16 Bundesländer, anschließend umfangreiche Änderungen in ihren Beamtengesetzen vollziehen müssten. Dass dabei alle Länder gleichermaßen mitziehen, ist mehr als fraglich. So ist das jetzige Konzept eindeutig der bessere Weg. Jörn Fieseler

Anpassung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 38 Stunden ab 2023 (Sachsen) bis zur Abschaffung der Entgeltgruppe 5a in Nordrhein-Westfalen. Auch die Jahressonderzahlung war mancherorts Teil der Ergebnisse. Bis Redaktionsschluss standen die Ergebnisse der laufenden Verhandlungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern noch nicht fest. “Gleiche Arbeit – gleicher Lohn” – auf diese einfache Formel lassen sich Bestrebungen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bringen. Wenn dazu verschiedene Aspekte wie einheitlich 30 Tage Urlaub, Überstundenregelungen oder Schicht- und Wechselschichtzulagen vereinheitlicht werden sollen, dann geht dies nur über zwei Wege: Entweder passen die Gewerkschaften ihre Forderungen für einheitliche Regelungen an und fordern beispielsweise in Bayern x und in Hessen y zusätzliche Tage Urlaub, um so bundesweit auf 30 Tage Urlaub zu kommen. Oder sie bilden mit den 16 kommunalen Arbeitgeberverbänden einen runden Tisch und versuchen, sich in einem Dialogverfahren zu einigen – unabhängig von der Laufzeit der Verträge. Beides ist jedoch sehr langatmig. Und schwierig obendrein. Zu groß sind die regionalen Unterschiede. Nicht ohne Grund gibt es beispielsweise zwei Tarifverträge für Brandenburg und Berlin. Weil die Arbeitssituation in manchen Regionen Brandenburgs eine andere ist als in der Bundeshauptstadt. Und sich zu jedem Punkt aus 16 Tarifverträgen das Beste herrauszusuchen, wird kurz- und mittelfristig nicht gelingen. Zu autark sind die kommunalen Arbeitgeberverbände.

Finanzminister Albert Füracker (CSU). Jeder Fall sei einer zu viel. Deshalb hat Bayern ein neues Gewaltschutzprogramm entwickelt. Dieses setze auf drei Ebenen an: Prävention, Intervention und Nachsorge. Des Weiteren sieht das Programm drei Schulungsmodule vor, die sich zielgerichtet an Vorgesetzte, Betroffene sowie an sogenannte “kollegiale Soforthelfer” richten. Letztere sind Kollegen, die unmittelbar erste emotionale Unterstützung bieten sollen. Darüber hinaus übernimmt das Land bestehende Schmerzensgeldansprüche von Beschäftigten, um diese vor Gericht einzuklagen.

Vollbremsung in Hamburg? (BS/jf) Seit 2011 streitet der Hamburger Landesverband des DBB Beamtenbunds und Tarifunion in Musterklagen vor Gericht um die verfassungsgemäße Besoldung. Kommt das Verwaltungsgericht (VG) zu dem Schluss, dass die Klagen rechtens sind, muss der Senat Gehälter in dreistelliger Millionenhöhe nachzahlen. Jetzt zeichnet sich ab, dass das VG eine Beschlussvorlage an das Bundesverfassungsgericht richten wird. Parallel hat das Personalamt in der Mitteilung zu den Dezemberbezügen festgehalten, dass eine damals getroffene Gleichbehandlungszusage an alle Beamten nur für die Jahre 2011 und 2012 gelte. Der DBB Hamburg reagiert empört, spricht von einem eklatanten Wortbruch, sieht in der Mitteilung eine Vollbremsung des Senats und hat die Landesbeamtenschaft aufgefordert, gegen diese Mitteilung Widerspruch einzulegen, um mögliche Ansprüche in beziehungsweise ab 2020 zu wahren. Parallel will der DBB Hamburg den Senat erneut verklagen.

→ 21. Januar 2021 WEBKONFERENZ

Praxis-Workshops: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

Keynotes u.a. von:

Wettbewerblicher Dialog Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Angebotswertung Die vergaberechtskonforme Beschaffung von Verpflegungsleistungen Die Wahl der Verfahrensart und ihr Einfluss auf den Markt Lieferantenmanagement Vergaberecht und Insolvenz Die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen Häufige Fehler im Vergabeverfahren Aktuelle Rechtsfragen zur Vergabe von Wegenutzungsrechten IT-Beschaffung konkret Nutzung der Inhouse-Vergabe Ausschlussgründe und Selbstreinigung im Vergaberecht Dringlichkeit, Rügen, Kostenexplosion und Co. Beschaffung gebrauchter Software-Lizenzen

Veranstalter:

Dr. Christine Maimann, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, Vergabesenat des OLG Düsseldorf

Bettina Lentz, Staatsrätin, Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg

Dr. Gundula Fehns-Böer, Richterin am Oberlandesgericht, Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M.

Hamburger Vergabetag – DER Treffpunkt für öffentliche Einkäufer, Auftragnehmer und Vergaberechtler Diskutieren Sie über aktuelle Rechtsfragen und einschlägige Spruchpraxis und erfahren Sie, wie digitale Einkaufsstrategien wirksam und zugleich rechtskonform umgesetzt werden können. Die insgesamt 14 Workshops mit einem stark praxisorientierten Ansatz sowie die Möglichkeit zum virtuellen Erfahrungsaustausch in der Behörden Spiegel-Weblounge runden den Hamburger Vergabetag weiter ab.

Mit fachlicher Unterstützung von:

→ Online-Anmeldung unter www.hamburger-vergabetag.de

Foto Hamburg: © John Smith, stock.adobe.com

Hamburger Vergabetag 2021


Aktuelles Öffentlicher Dienst / Bund

Seite 4

B

ehörden Spiegel: Herr Kollatz, wie ist es mit dem Wettbewerb um Nachwuchskräfte in Berlin aktuell bestellt? Kollatz: Die Situation ist recht gut. Es gibt Menschen aus allen Regionen Deutschlands, die nach Berlin wollen und die Aufgaben in der Hauptstadt spannend finden. Einerseits bei den Unternehmen der Daseinsvorsorge wie der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG), der S-Bahn Berlin, der Berliner Stadtreinigung (BSR) oder den Wasserbetrieben. Diese Unternehmen sind jeweils die größten ihrer Art in Deutschland und spielen eine führende Rolle in ihrer jeweiligen Branche. Andererseits auch in den Landesbehördenstrukturen. Kurzum: Wir haben was zu bieten. Behörden Spiegel: Das war nicht immer so.

Kollatz: Stimmt. Wir hatten beispielsweise vor zehn bis 15 Jahren noch deutlich weniger gezahlt als in anderen Bundesländern oder Städten. Bei den Beamten haben wir die Gehälter schrittweise angepasst und werden zum 1. Januar 2021 den Besoldungsdurchschnitt aller Länder erreicht haben. Bei den Tarifbeschäftigten war das schon 2017 der Fall. Damit haben wir auf den Arbeitsmarkt reagiert und befinden uns in einer guten Ausgangslage. Trotzdem werden wir in den nächsten Jahren zu wenig Lehrer, zu wenig Pflegekräfte und zu wenig Sozialarbeiter haben. Behörden Spiegel: Wie groß ist der Bedarf?

“Wir haben was zu bieten” Senator Kollatz zur Arbeitgeberattraktivität des Landes Berlin (BS) “Uns ist es gelungen, nicht nur das ausscheidende Personal zu ersetzen, sondern – und das haben uns viele nicht geglaubt – auch noch zuzulegen”, sagt Dr. Matthias Kollatz. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel erläutert Berlins Senator für Finanzen, welche attraktivitätssteigernden Maßnahmen das Land im Beamten- und im Tarifbereich unternommen hat, was noch kommt, etwa die Angleichung der Besoldung oder die Neuregelung des Familienzuschlags, und wie es mit Berlin und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) bei der Hauptstadtzulage weitergeht. Die Fragen stellte Jörn Fieseler. Kollatz: Das ist schwierig zu ermitteln, da sich in jedem Sektor durch Produktivitätsfortschritte oder in der Verwaltung durch die Digitalisierung Personalbedarfe verändern. Global betrachtet haben wir immer noch eine asymmetrische Alterspyramide bei gleichzeitig steigenden Bedarfen. Zudem hatten wir im Jahr 2014 einen Personaltiefstand von 103.000 Vollzeitäquivalenten (VZÄ). Inzwischen ist der Personalkörper auf rund 118.000 VZÄ [Anmerkung: Stand 09/2020] angewachsen. Insgesamt ist es uns gelungen, nicht nur das ausscheidende Personal zu ersetzen, sondern – und das haben uns viele nicht geglaubt – auch noch zuzulegen. Jährlich stellen wir rund 9.000 Beschäftigte ein, während circa 7.000 Beamte und Tarifangestellte ausscheiden. Wobei in diesem Jahr durch Corona die Einstellungszahlen etwas geringer ausfallen werden. Behörden Spiegel: Wie lange dauern die Einstellungsverfahren? Kollatz: Früher dauerte die Einstellungszeit zwischen fünf und sieben Monaten, Inzwischen sind es zwei Monate weniger. Das ist ein großer Fortschritt!

“Wenn der Vorschlag aus meinem Haus vom Senat und dem Abgeordnetenhaus angenommen wird, wird es die Besoldungsstufe A 1 bis A 4 in Berlin nicht mehr geben”, sagt Berlins Finanzsenator Dr. Matthias Kollatz zur Neugestaltung des Familienzuschlags. Foto: BS/Fieseler

Behörden Spiegel: Haben Sie weitere Maßnahmen unternommen, um die Arbeitgeberattraktivität Berlins zu steigern? Kollatz: Bei den Beamten stand natürlich die Angleichung der Besoldung an den Durchschnitt der Bundesländer im Mittelpunkt. Auch hier haben viele Menschen nicht geglaubt, dass wir das Ziel in dieser Wahlperiode erreichen werden, doch wie schon erläutert, wir haben es geschafft. Das war ein Kraftakt, da wir bei den ohnehin anstehenden Besoldungserhöhungen in den vergangenen Jahren die durchschnittliche Besoldungserhöhung der Länder um weitere 1,5 Prozent zusätzlich erhöht haben. Im neuen Jahr

werden wir sogar ein bisschen besser sein als der Durchschnitt der Länder, da wir die Erhöhungen zum 1. Januar vornehmen, während andere Länder einen späteren Termin gesetzt haben. Wir haben zudem gezielt etwas bei den unteren Gehaltsgruppen bis einschließlich der Besoldungsgruppe A 8 getan. Die Jahressonderzahlung, also das Weihnachtsgeld, haben wir bewusst etwas stärker als in den oberen Gehaltsgruppen erhöht. Letztlich auch, weil im Vergleich zu den übrigen Bundesländern hier die Abstände überproportional höher waren. Und als dritte Maßnahme haben wir die Hauptstadtzulage geschaffen. Die gilt für Beamte

Staatliche Souveränität in Zeiten der Digitalisierung Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft müssen Hand in Hand arbeiten (BS/Vizeadmiral Dr. Thomas Daum) Durch die immer weiter voranschreitende Digitalisierung hat sich unsere Welt maßgeblich verändert. Wir leben heute in einer Informationsgesellschaft. Informationen stehen für uns in vielerlei Hinsicht im Mittelpunkt. Information ist zu einer unverzichtbaren Ressource geworden, die es entsprechend zu schützen gilt. Mit dieser zentralen Abhängigkeit sind Gefahren und Verwundbarkeiten verbunden. Da ist zum einen die Abhängigkeit von technischen Systemen, deren Funktionsfähigkeit auf Informationen in digitaler Form aufbaut. Hierzu zählt das weite Spektrum von Kritischer Infrastruktur bis hin zum Heim-PC mit den eigenen Finanzdaten und privaten Fotos. Mittlerweile ist sicherlich jedem bewusst, welche gravierenden Folgen ein Befall mit Schadsoftware sowohl für global agierende Unternehmen als auch für Privatpersonen haben kann.

Alles hängt von sicheren Informationen ab Gerade unsere offenen westlichen Gesellschaften sind in Bezug auf eine Beeinflussung von Informationen besonders gefährdet. Laut einer aktuellen Studie wird die Manipulation der öffentlichen Meinung durch sogenannte Fake News inzwischen von Politikern und Wirtschaftsvertretern als die größte “Cyber-Gefahr” für Deutschland angesehen. Beide Elemente – Cyber-Angriffe und Desinformation – sind wesentliche Bestandteile einer Strategie von hybrider Einflussnahme, die wir immer wieder beobachten können. Durch sie können Spannungen erzeugt, Kohäsion in Staaten und Staatengemeinschaften beeinflusst und im Extremfall sogar handfeste Konflikte ausgelöst werden. Von daher lässt sich durchaus sagen: “Die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft hängt von der Lösung der Frage ab, wie wir die Verfügbarkeit, die Integrität

Behörden Spiegel / Dezember 2020

zur Wahrung der staatlichen Souveränität im Cyberund Informationsraum beitragen, sie reichen aber – anders als in den Vizeadmiral Dr. Thomas anderen DimensiDaum ist Inspekteur Cyberonen – nicht aus. und Informationsraum. So bleiben AktiFoto: BS/Bundeswehr vitäten in einem durch Hybridität und die Vertraulichkeit unse- geprägten Konfliktverlauf häufig rer Informationen sicherstellen unterhalb der Schwelle, die zu einem Verteidigungsfall führt können.” Staatliche Souveränität kann und damit die Streitkräfte auf nicht mehr ausschließlich über den Plan ruft. In solch einem die physische Kontrolle des Szenario sind viele wichtige FraStaatsgebietes definiert werden. gestellungen noch nicht umfasVon essenzieller Bedeutung ist send geklärt. Zum Schutz gegen es inzwischen auch, sich gegen Attentäter mit konventionellen Gefahren aus dem Cyber- und Waffen kann die Polizei prävenInformationsraum zu schützen. tiv Stellung beziehen. Aber wie Die NATO hat bereits vor vier Jah- verhindern wir Cyber-Attacken ren den Cyber-Raum als eigen- auf unsere Kraftwerke? Wie sieht dort Prävention aus? ständige militärische Dimension anerkannt. In der Bundeswehr Hat man schon beim Entwurf haben wir diese neue militärische am Reißbrett Cyber-Sicherheit Dimension bewusst noch weiter mitgedacht? “Security by Degefasst und den Informations- sign” muss heute der Standard raum mit einbezogen. Wir haben sein. Nachträglich sind Verbesunsere Expertise im Cyber- und serungen nur in geringem UmInformationsraum in einem ei- fang und mit hohem Aufwand genen Organisationsbereich im möglich. Auch mit Blick auf die Rahmen einer ganzheitlichen Sozialen Medien stellen sich vieBetrachtung zusammengefasst le Fragen. Wer deckt bewusst und stellen uns damit den neuen gestreute Falschinformationen Herausforderungen. auf? Wurde überhaupt gegen Gesetze verstoßen oder beweNeuer Standard: gen sich die Aktivitäten noch in “Security by Design” einem legalen Rahmen? Bisher Nun unterscheidet sich die ist es so, dass sich hier – bis auf Dimension Cyber- und Infor- die Ausnahmen, in denen Strafmationsraum aber grundlegend taten vorliegen – die Zivilgesellvon den anderen klassischen schaft des Problems annehmen Operationsräumen. Streitkräfte muss. Sie muss die Resilienz können sicherlich ihren Anteil entwickeln, solche Kampagnen

zu entlarven und ihre Wirkung zu neutralisieren.

Antwort: ein gesamtstaatlicher Ansatz All diese Beispiele zeigen: Digitale Souveränität und Immunisierung kann umfassend nur als gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe angegangen werden. Der Cyber- und Informationsraum macht nicht an Zuständigkeits- oder Ländergrenzen halt. Alle relevanten Akteure – Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft –, national wie international, müssen diesen Herausforderungen gemeinsam entgegentreten und sich vernetzen, um im Fall der Fälle handlungsfähig zu sein. Wir brauchen ein gemeinsames und umfassendes Lagebild im Cyber- und Informationsraum. Wir brauchen die Organisation und die Verfahren, um im Bedarfsfall verzugslos und umfassend reagieren zu können. Wir brauchen die dafür erforderliche Infrastruktur, das entsprechende Know-how und die dazugehörige Spitzentechnologie. Wir brauchen zudem Überlegungen, wie wir bei einem Ausfall wichtiger Infrastruktur, wodurch auch immer hervorgerufen, die Führungs-, Arbeits-, Handlungsund Funktionsfähigkeit hinreichend aufrechterhalten können. Das Ziel ist Resilienz. Wie wichtig das ist und dass dies nicht von heute auf morgen gelingt, sehen wir gerade auf einem ganz anderen Feld: Das Coronavirus zeigt uns manche Versäumnisse auf. Lernen wir daraus!

und Tarifbeschäftigte gleichermaßen und ist eine Pauschale in Höhe von 150 Euro, aufgeteilt in eine Barkomponente und ein kostenloses ÖPNV-Ticket. Sie gilt für alle Beamten und Angestellten bis zur Besoldungs- oder Entgeltgruppe A 13 / E 13 und ist damit ein deutliches Signal für die Attraktivität. Behörden Spiegel: Bleiben wir im Beamtenbereich: Sie haben außerdem die Eingangsbesoldung für einige Berufsgruppen erhöht, beispielsweise in der Steuerverwaltung. Aus welchen Gründen? Kollatz: Zum einen, weil andere Bundesländer dies auch getan haben. Zum anderen haben sich im Rahmen der Stellenbewertung und durch die Digitalisierung neue Anforderungsprofile ergeben. Ein anderer Punkt der notwendigen Attraktivität: Wir werden aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Familienzuschlag anpassen. Das Gericht hat Vorgaben zu bestimmten Abstandsregelungen gemacht. Wir haben zwar noch bis Mitte nächsten Jahres Zeit, diese Vorgaben umzusetzen, wollen dies aber so schnell wie möglich tun. Behörden Spiegel: Und wie soll der Familienzuschlag ausgestaltet werden? Kollatz: Wenn der Vorschlag aus meinem Haus vom Senat und dem Abgeordnetenhaus angenommen wird, wird es die Besoldungsstufe A 1 bis A 4 in Berlin nicht mehr geben. Die jetzige Besoldungsgruppe A 5 wird dann die niedrigste sein. Darauf aufbauend wird es bis zur Besoldungsgruppe A 8 Zuschläge geben, wobei diejenigen profitieren, die mehrere Kinder haben. Das kann einen Rahmen von bis zu 250 Euro betragen und ist ein erheblicher Betrag für diese Besoldungsgruppen. Behörden Spiegel: Und im Tarifbereich? Kollatz: Da haben wir in den vergangenen Jahren die Ab-

schlüsse der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) übernommen, die deutliche Verbesserungen bei Pflegekräften und bei Erzieherinnen und Erziehern gebracht haben. Zudem haben wir eine berlinspezifische Besonderheit bei angestellten Lehrkräften, die wir weiterhin in der Erfahrungsstufe fünf einstellen. Behörden Spiegel: Das war doch beim Wiedereintritt Berlins in die TdL eine zeitlich befristete Maßnahme. Kollatz: Ja, die Übergangsfrist für diese übertarifliche Regelung lief 2017 ab. Wir haben sie dann für fünf Jahre bis 2022 verlängert. Behörden Spiegel: Sie haben die Hauptstadtzulage schon angesprochen. Im Zuge der Einführung hat Berlin den Status als vollwertiges Mitglied in der TdL verloren (siehe Behörden Spiegel, November 2020, Seite 5). Ist es vorteilhaft für Berlin ohne Stimmrecht in der TdL zu bleiben? Kollatz: Zuerst muss man sagen, wir wollten vor einigen Jahren in den Tarifverbund zurück. Mir wird das Zitat zugeschrieben “ohne Tarifverbund ist Mist”, das beschreibt sehr gut meine Position. Wir haben die Hauptstadtzulage so beschlossen, wir müssen aber auch respektieren, dass die Hauptstadtzulage von anderen Mitgliedern der TdL als ein Ärgernis empfunden wird. Wir haben nach Wegen gesucht, wie man doch zusammenbleiben kann, wir müssen aber auch akzeptieren, dass der Beschluss der TdL nun der gefundene Weg ist. Ich hoffe, dass es in fünf Jahren zu einem positiven Ergebnis kommt. Unterm Strich verlieren wir zwar an Einflussmöglichkeiten, da wir uns nun auf die Kraft des Wortes stützen müssen und nicht auf die Kraft des Stimmrechts. Es könnte aber auch positive Effekte geben. Welchen Sinn würde es bei den Tarifrunden der Länder in den kommenden fünf Jahren ergeben, in Berlin zu streiken? Der wichtigste Punkt ist, dass die Tarifverträge für Berlin weiterhin gelten. Damit haben wir und alle Beschäftigten Rechtssicherheit. Behörden Spiegel: Sie hoffen auf ein positives Ergebnis in fünf Jahren. Was machen Sie, wenn das nicht der Fall ist? Kollatz: Es ist jetzt noch viel zu früh, dazu etwas zu sagen. Wir werden abwarten, wie die Situation sich dann gestaltet. Die Diskussion um kostenlose ÖPNV-Tickets gibt es ja nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Regionen. Ein weiteres Thema, das relevant werden wird, ist das Lohngefüge in den unteren Entgeltgruppen. Wir sprachen beim Beamtenbereich bereits darüber. Da werden wir ebenfalls abwarten müssen, wie es dort generell weitergeht. Wir werden schauen, ob sich daraus Spielräume ergeben, die es erlauben, sich bei der Hauptstadtzulage aufeinander zuzubewegen.

MELDUNG

Neues Positionspapier (BS/jf) Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), ist der Ansicht, der Gesetzentwurf zum Homeoffice drohe “nach den Verwässerungen aus dem Bundeskanzleramt zu einer großen Enttäuschung zu werden”. Deshalb hat der DGB ein ElfPunkte-Papier vorgelegt. Danach soll unter anderem ein Recht auf

selbstbestimmtes mobiles Arbeiten im Rahmen der Tarifverträge ausgestaltet werden, bei dem der bestehende Schutz hinsichtlich Arbeitszeiten und -grenzen erhalten bleibt. Auch die Präsenz der Betriebs- und Personalräte soll verbessert und ihnen ein digitales Zutrittsrecht gewährt werden, indem sie einen eigenen Intranet-Auftritt erhalten.


Bund / Länder

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S

eit dem 1. Juli 2007 weist die nordrhein-westfälische Polizei einen zweistufigen äußeren Behördenaufbau mit 47 Kreispolizeibehörden (KPB) aus. Dienst- und Fachaufsichtsbehörde ist das Innenministerium. Den 18 Polizeipräsidien sowie 29 Landratsbehörden als KPB obliegt die Gefahrenabwehr nach dem Polizeigesetz des Landes, die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie die Überwachung des Straßenverkehrs. Die Polizeipräsidien Hamm und Oberhausen sowie die 29 Landesratsbehörden sind nicht zuständig für die Verfolgung von Delikten schwerer Kriminalität. Diese Aufgabe obliegt 16 zu Kriminalhauptstellen bestimmten Polizeipräsidien. Die Zuständigkeitsbereiche der Kriminalhauptstellen und die der schweren Kriminalität zuzurechnenden Delikte ergeben sich aus der Verordnung über die Bestimmung von Polizeipräsidien zu Kriminalhauptstellen (KHSt-VO). Dabei sind die zu Kriminalhauptstellen bestimmten Polizeipräsidien Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster neben den in Paragraf 2 KHSt-VO genannten Delikten gemäß Paragraf 4 KHStVO sachlich auch zuständig für die Gefahrenabwehr und die Verfolgung von • Straftaten des erpresserischen Menschenraubs (Paragraf 239a StGB) und der Geiselnahme (239b StGB), wenn Täter bei Bekanntwerden der Tat Personen in ihrer Gewalt haben, • Straftaten im Zusammenhang mit größeren Schadensereignissen oder der Gefahr derselbigen, Anschlägen mit einem erheblichen zu erwartenden oder eingetretenen Schadens­ ausmaß oder für notwendige Maßnahmen in einem erheblichen Umfang sowie Amoklagen, • besonders schweren und gemeingefährlichen Straftaten, die unter maßgeblicher Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik begangen werden. Drei Landesoberbehörden (LOB) unterstützen polizeiintern die Behörden. Das Landeskriminalamt (LKA) unterstützt das Innenministerium in Angelegenheiten der Kriminalitätsbekämpfung und die KPB bei der vorbeugenden Bekämpfung sowie bei der Verfolgung von Straftaten (Paragraf 13 POG NRW). Das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) unterstützt das Innenministerium in Angelegenheiten der Gefahrenabwehr, der Einsatzbewältigung, der polizeilichen Verkehrssicherheitsarbeit, der Führung und Steuerung, unterstützt die Polizeibehörden in Angelegenheiten der Technik und übernimmt Haushalts- und Wirtschaftsangelegenheiten sowie Koordinierungsaufgaben in Liegenschaftsangelegenheiten in dem durch das Innenministerium übertragenen Umfang (Paragraf 13a POG NRW). Das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei (LAFP) ist zuständig für die Ausbildung und Fortbildung in der Polizei, soweit die Ausbildung nicht von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung oder den KPB als Ausbildungsbehörden wahrgenommen wird, und erledigt die durch das Innenministerium übertragenen Arbeiten im Bereich Personalentwicklung.

Das Reformvorhaben Mit einer neuen Struktur der Fachaufsicht soll die Qualität der polizeilichen Arbeit gesteigert werden. Die oberste Fachaufsicht über alle Polizeibehörden soll weiterhin beim Innenministeri-

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NRW plant Polizeireform Bessere Fachaufsicht und modernes Qualitätsmanagement im Fokus (BS/Gerd Lehmann) Eklatante Fehlleistungen und Pannen bei den Ermittlungen im Kriminalfall des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie der Produktion und Verbreitung von Kinderpornografie im nordrhein-westfälischen Lüdge waren für NRW-Innenminister Herbert Reul Anlass, die Struktur der Organisation und das Qualitätsmanagement der Polizei zu hinterfragen. um verbleiben. Die Fachaufsicht über die KPB soll künftig bei den LOB angesiedelt sein. Ziel ist es, eine vom Einzelfall unabhängige Fachaufsicht zu installieren, die nicht erst interveniert, wenn sich ein Problem auftut. Dadurch sollen in Zukunft sowohl Verbesserungspotenziale als auch Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt werden, verlautbart es aus dem Innenministerium. Danach soll die Aufsicht grundsätzlich folgendermaßen erfolgen: • systematischer (klare Strukturen sollen zu stetigen Verbesserungen führen), • ganzheitlicher (Aufsicht fachübergreifend “aus einem Guss”), • häufiger anlassunabhängig (neben der anlassbezogenen Aufsicht soll Aufsicht häufiger anlassunabhängig stattfinden), • nachhaltiger (Begleitung der Polizeibehörden von der Feststellung einer Problematik bis zur Lösung des Problems). Eine vom Innenministerium eingerichtete Landesarbeitsgruppe (LAG) befasst sich seit Anfang des Jahres 2020 mit der erforderlichen Gesetzesänderung sowie mit den Standards und Prozessen, wie die Aufsicht zukünftig durchgeführt werden soll. Ein Gesetzentwurf zur Änderung des Polizeiorganisationsgesetzes liegt dem Kabinett seit dem Frühjahr vor. Soweit möglich, sollen die ersten Umsetzungen beim LKA NRW noch im laufenden Jahr erfolgen. Die anderen LOB sollen dann im Laufe des Jahres 2021 folgen.

Fokussierung des Vorhabens stößt auf Skepsis Während die Gewerkschaft der Polizei (GdP NRW) das Reformvorhaben ausdrücklich begrüßt, stößt dessen ausschließliche Fokussierung auf die Fachaufsicht bei Experten auf Skepsis. Die personelle Ausstattung der Polizeiabteilung im Innenministerium mit mehr als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sucht bundesweit ihresgleichen. Sie sollte in der Lage sein, sich neben der Erledigung strategischer Aufgaben auch mit dem fachlichen Handeln der nachgeordneten Behörden sowohl im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit als auch auf die Rechtmäßigkeit zu befassen. Teilweise basiert die Skepsis gegenüber einem dreistufigen äußeren Behördenaufbau auch auf schlechten Erfahrungen, die bei dem bis 2007 in NRW existenten dreistufigen äußeren Behördenaufbau der Polizei (Innenministerium, Bezirksregierung, KPB) gemacht wurden. Der mit den Bezirksregierungen angestrebte Bündelungseffekt wurde durch gleichzeitiges Einschalten des Innenministeriums

allzu oft unterlaufen. Auch die sogenannte Pufferfunktion gegenüber dem Innenministerium war kaum relevant, da bedeutsame Angelegenheiten in der Regel direkt an das Innenministerium gelangten. Nicht selten degradierte die Ministerialbürokratie die Regierungspräsidenten zu einer reinen Befehlsweiterleitungsund Aufklärungsbehörde. Eine Gefahr, vor der auch die LOB als fungierende Mittelinstanz nicht gefeit sind. Zudem bieten die den LOB im Jahr 2021 vorgesehenen zusätzlichen Ressourcen von gerade mal 21 Planstellen kaum Handlungsspielraum. Einige Bedenkenträger unterstellen gar die Delegation der Verantwortung in die Verantwortungslosigkeit. Im Übrigen besteht gute Führung in der Reduktion von Komplexität und nicht in deren Erweiterung.

Der Behördenaufbau der Polizei ist in keinem anderen Bundesland so zersplittert und inhomogen wie in NRW. Sehr unterschiedliche Größen in den 47 KPB, bezogen auf Fläche, Einwohner und Mitarbeiter, kennzeichnen die Situation. Dadurch bedingt können nicht alle Behörden das polizeiliche Aufgabenspektrum voll wahrnehmen. Daher ist auch die Zuständigkeit der einzelnen KPB uneinheitlich und regelt sich danach, ob es sich um eine Nicht-Kriminalhauptstelle, eine Kriminalhauptstelle oder um eine “Megabehörde” handelt. Dies hat eine Vielzahl von Schnittstellen, Regelungs- und Abstimmungsproblemen zur Folge. Der Kriminalfall in Lüdge belegt als jüngstes Beispiel die Schwächen der Organisation. Die zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens

der Ereignisse zuständige Tatortbehörde, die KPB Lippe in Detmold, war von vornherein sowohl personell als auch materiell überfordert. Als Folge davon wurde die sachliche Zuständigkeit für die Erforschung und Verfolgung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen in Fällen der Paragrafen 174 bis 180 und 182 StGB inzwischen mit der Änderung des Paragrafen 2 der KHSt-VO den zu Kriminalhauptstellen bestimmten Polizeipräsidien übertragen. Diese und andere Schwachstellen der Organisation der nordrhein-westfälischen Polizei wurden bereits von der im November 2003 vom damaligen Innenminister Fritz Behrens eingesetzten unabhängigen Kommission “Neuordnung der Polizeibehörden” aufgezeigt.

Mit Ausnahme des Umstiegs vom dreistufigen zum zweistufigen äußeren Behördenaufbau und einer erheblichen Personalverstärkung der Polizeiabteilung im Innenministerium sind wesentliche Veränderungen kaum zu verzeichnen. Der Umstieg war zudem noch kontraindiziert, weil er eng mit den Reformvorschlägen einherging, die Zahl der Polizeibehörden deutlich zu verringern, die Aufgabenstruktur einheitlicher zu gestalten und die Größe der Behörden stärker anzugleichen. Wer eine wirksame und nachhaltige Reform anstrebt, sollte den 2004 unter Vorsitz des Landespolizeipräsidenten i.e.R. Dr. Udo Scheu erstellten Bericht zur Neuorganisation der Polizeibehörden in NRW aus dem Archiv holen. Die von der “Bosbach-Kommission” vertretene Ansicht, dass die NRW-Polizei mit weniger, aber größeren und spezialisierten Einheiten auch nicht schlagkräftiger werde als sie es derzeit sei, wird weder von ihrem Vorsitzenden noch von Polizeiexperten geteilt. Auf den Prüfstand gehört ebenso das NRW-Modell “Landrat als Polizeichef”.


Beschaffung / Vergaberecht

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Vergabe der 450-MHz-Frequenzen rückt näher

Behörden Spiegel / Dezember 2020

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Jahrelanger Streit um das Spektrum nunmehr entschieden (BS/Gerd Lehmann) Mit der Veröffentlichung der mit der Bundesregierung abgestimmten Entscheidung der Bundesnetzagentur (BNetzA), den Energieversorgern die vorrangige Nutzung der zum 1. Januar 2021 frei werdenden Frequenzen im 450-MHz-Bereich zu ermöglichen, ist nunmehr auch das Ausschreibungsverfahren eröffnet. Interessierte Unternehmen können bis zum 18. Dezember 2020 ihre Bewerbungen einreichen. Die Auswahl des Bewerbers soll in einem objektiven und diskriminierungsfreien Auswahlverfahren erfolgen. Die Frequenzen werden zur bundesweiten Nutzung vergeben. Bei der Auswahl des Zuteilungsinhabers sollen Sicherheitsbelange und spezielle Schutzanforderungen der Energie-und Wasserwirtschaft berücksichtigt werden. Mehrere Unternehmen der Energie- und Wasserversorgung haben für den Erwerb der 450-MHz-Funkfrequenzen ein Joint Venture gegründet. Es besteht aus 450connect und dessen Ankerkunden sowie der Versorger-Allianz 450. Die vier gleichberechtigten Gesellschafter des Joint Ventures 450connect

Das Vergabeverfahren für die Frequenzen im Bereich 450 MHz ist gestartet.

Foto: BS/M. Schuppich, stock.adobe.com

qanuun-aktuell Goodbye 2020 von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Wer hätte gedacht, dass ein einstmals für seine digitale Umtriebigkeit gelobtes Unternehmen nicht nur selbst ins Aus gerät, sondern auch noch jene ins Wanken bringt, die sein wirtschaftliches Agieren beaufsichtigen und prüfen sollten? Da steigt ein Zahlungsdienstleistungsunternehmen 2018 in den DAX-Olymp auf und verglüht im Juni 2020 wie ein Komet, nachdem sein Vorstandsvorsitzender einräumen musste, dass ein vermeintliches Guthaben auf Treuhandkonten von über 1,9 Mrd. Euro wohl doch nicht existiert. Zweifelhaftes Geschäftsgebaren ist seit den Panama-Papers und cum-ex nichts wirklich Neues. Interessant wird der Fall Wirecard aber durch den Blick auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) einerseits und die Wirtschaftsprüfer, die dem Unternehmen jährlich ein Testat erteilt haben, andererseits. Abgesehen davon, dass die Europäische Wertpapieraufsicht ESMA die Arbeit der bundesdeutschen Finanzaufsicht wegen einiger struktureller Defizite und Kompetenzprobleme deutlich kritisiert, bekommt die Causa Wirecard eine politische Dimension. Zweifel am rechtmäßigen

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

Agieren des Unternehmens gab es nach Medienberichten bereits länger, nur blieben sie von den Aufsichtsbehörden – weitgehend – ungehört. Schadensersatzansprüche geprellter Anleger gegen die Bundesrepublik stehen ebenso im Raum wie die Frage, ob die politische Spitze sich schützend vor Wirecard gestellt habe. Auch die Wirtschaftsprüfer erwartet von den ehemaligen Aktionären Ungemach. Kanzleien, die sich davon ein Zubrot erwarten, stehen schon bereit. Es genügt eben nicht, auf eine Kontrolle zu verweisen, wenn diese den Namen nicht verdient. Mir bleibt an dieser Stelle nur, Ihnen für Ihr bisheriges Interesse an dieser Kolumne zu danken und Ihnen – trotz der eben nicht leichten gegenwärtigen Umstände – ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest sowie alles Gute für 2021 zu wünschen!

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen

GmbH werden mit je 25 Prozent • der bisherige Eigentümer der 450connect, Alliander AG, • ein Konsortium kommunaler Regionalversorger, • die Regionalversorger der E.ON SE/die Versorger-Allianz 450, ein Zusammenschluss von Stadtwerken, Energie- und Wasserversorgern unter Beteiligung der EnBW. Zusammen stellen die Unternehmen auf 90 Prozent der Fläche Deutschlands die Energieund Wasserversorgung sicher. Ob sich weitere Unternehmen an dem Ausschreibungsverfahren beteiligen, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass der erfolgreiche Bewerber für die Zuteilung der Frequenzen eine Zuteilungsgebühr in Höhe von rund 113 Mio. Euro zu zahlen hat. Die Entscheidung der Präsidentenkammer der BNetzA vom 16. November 2020 über die Anordnung und Wahl des Verfahrens zur Vergabe sowie zu den Festlegungen und Regeln im Einzelnen (Vergaberegeln) und über die Festlegungen und Regelungen für die Durchführung des Verfahrens (Ausschreibungsregeln) von Frequenzen in dem Bereich 450 MHz für den drahtlosen Netzzugang sind auf der Homepage der BNetzA nachlesbar. Mehr zur Vergabe der Frequenzen für den BOS-Digitalfunk sowie zum Vorgehen in Finnland lesen Sie auf den Seiten 50 und 51 in dieser Ausgabe.

MELDUNG

Beschaffung soll optimiert werden

(BS/jf) “Der öffentliche Einkauf ist ein wichtiger Impulsgeber, wenn es darum geht, dass die europäische Wirtschaft sich möglichst schnell und umfassend von den Folgen der Covid-19-Pandemie erholt”, betont Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Der CDU-Politiker freut sich, dass es Deutschland während der EU-Ratspräsidentschaft gelungen ist, einen europäischen Diskussionsprozess anzustoßen, um den öffentlichen Einkauf auf EU-Ebene zu optimieren. In den dazu einstimmig beschlossenen Ratsschlussfolgerungen wird gefordert, Vergabeverfahren effizienter zu gestalten. In diesem Kontext hat sich der Rat ausdrücklich dafür ausgesprochen, die Möglichkeiten zur Erhöhung der EU-Schwellenwerte zu prüfen. Ebenfalls geprüft werden sollen weitere Ausnahmen bei der Beschaffung strategischer Waren und Dienstleistungen in Not- und Krisensituationen. Darüber hinaus sollen EU-Kommission und Mitgliedsstaaten in kritischen Sektoren zuverlässige und diversifizierte Lieferketten etablieren. Außerdem hat sich der Rat unmissverständlich dafür ausgesprochen, innovative, nachhaltige und klimafreundliche Beschaffungen zu fördern. Pa­ rallel forderte er die Europäische Kommission dazu auf, hierfür Leitlinien mit Beispielen bereitzustellen. Dabei ist die Zahl der Leitfäden und Handbücher schon jetzt unüberschaubar, wie ein Blick auf die Webseiten der Kompetenzstelle nachhaltige Beschaffung beim Beschaffungsamt des BMI (BeschA) sowie beim Kompetenzzentrum Innovative Beschaffung des Bundeswirtschaftsministeriums (KOINNO) offenbart.

► INTERIM

Nachfolger des Vorgängers Kein Recht auf Beteiligung Der Auftraggeber hatte Briefdienstleistungen neu ausgeschrieben, doch das Vergabeverfahren verzögerte sich durch einen Nachprüfungsantrag. Deswegen schloss er für die Dauer der Nachprüfung einen Interimsvertrag mit demjenigen Unternehmen, das bei Obsiegen des Auftraggebers den Zuschlag für den Hauptauftrag erhalten sollte. Dagegen wendet sich ein anderes Unternehmen: Es ist der Auffassung, dass es an der Interimsvergabe hätte beteiligt werden müssen, weil es zuvor solche Leistungen für den Auftraggeber erbracht hatte. Doch der Fall ist etwas komplizierter. Denn bei diesem Unternehmen handelt es sich nicht etwa um den Vorauftragnehmer selbst, sondern um eine Gesellschaft, die erst nach dem Angebotsschluss für den Hauptauftrag gegründet worden war und die sodann die Rechtsnachfolge des Vorauftragnehmers angetreten hat, und für die Restlaufzeit des Altvertrages die Leistungserbringung für den liquidierten Vorgänger übernommen hat. Die Vergabekammer weist zwar noch darauf hin, dass ein Vorauftragnehmer, der sich um den Folgeauftrag beworben hat, bei der Interimsvergabe zu berücksichtigen ist. An dieser Bewerbung fehlt es hier aber, weil das Angebot des Vorauftragnehmers mit dessen Liquidation nach § 124 I Nr. 2 GWB ausgeschlossen worden war. Eine bietergleiche Stellung schließlich scheitert daran, dass der Nachfolger bei Ablauf der Angebotsfrist noch gar nicht existierte. VK Rheinland (Beschl. v. 25.03.2020, Az.: VK 3/20-L)

► NACHWEISE

Gültigkeit abgelaufen Ausschluss dennoch zwingend Der führende Bieter um einen Lieferauftrag hatte auf Anforderung eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Berufsgenossenschaft (BG) einzureichen. Dies war den allgemeinen Auftragsunterlagen zu entnehmen. Weitere Nachweise waren für jedes Los einzeln aufgeführt. Der Auftraggeber erklärte, er werde bei deren Fehlen nicht nachfordern, sondern ausschließen. Ein Bieter legte eine Bescheinigung seiner BG vor, deren Gültigkeit fünf Monate zuvor abgelaufen war. Gegen den darauf gestützten Ausschluss wehrt er sich mit einer Reihe von Argumenten. Die Bescheinigung sei nicht wirksam gefordert, weil die Forderung nicht für jedes Los einzeln erhoben worden sei. Zudem habe der Auftraggeber nicht ausdrücklich eine gültige Bescheinigung verlangt. Jedenfalls hätte er die Bescheinigung nachfordern müssen, wenn sie fehlt. Nur dem letzten Gedanken schließt sich die Vergabekammer teilweise an: Eine abgelaufene Bescheinigung ist nicht falsch, sondern fehlend. Das hilft aber nichts, denn der Auftraggeber musste von der Nachforderung absehen. Die Forderung war auch wirksam. Nachweise, die für alle Lose gleichermaßen gefordert werden (wie z. B. das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen), müssen nur einmal erbracht werden und stehen deswegen in den

allgemeinen Unterlagen. Nur Nachweise, die sich auf das jeweilige Los beziehen, sind in den losspezifischen Unterlagen zu erwähnen. VK Nordbayern (Beschl. v. 15.11.2019, Az.: RMFSG21-3194-4-50)

► AUFMASS

Falscher Leistungs­ nachweis Ausschluss wegen Schlechtleistung Im Zuge der Sanierung eines Bahnhofs war es die Aufgabe, das Fundament eines bestehenden Bahnsteigs vollständig abzubrechen. Der Auftragnehmer brach aber nur einen Teil ab und glich den Rest mit Mörtel aus. In einer Abschlagsrechnung verlangte er jedoch den Preis für den Komplettabbruch. Das fehlerhafte Aufmaßblatt wurde erst danach zur Abzeichnung vorgelegt. Der Auftraggeber kündigte unter anderem deswegen den Bauvertrag und verhängte eine interne Vergabesperre. Anlässlich eines Folgeauftrages wehrt sich das Unternehmen gegen seinen damit begründeten Ausschluss. Es liege keine schwere Verfehlung vor, die dem Unternehmen zuzurechnen sei. Vielmehr handele es sich um einen individuellen Fehler eines Mitarbeiters, der wegen seiner mangelhaften Leistungen das Unternehmen bereits verlassen musste. Die Vergabekammer bestätigt den Ausschluss. Nicht eine schwere Verfehlung, sondern eine Schlechtleistung begründe den Ausschluss. Nach § 16 Abs. 1 VOB/B sind Abschlagszahlungen nur in Höhe der bis dahin ausgeführten, nachgewiesenen Leistungen zu gewähren. Es ist also eine wesentliche Nebenpflicht des Auftragnehmers, diese Leistungen korrekt nachzuweisen. Diese Pflicht hat das Unternehmen nicht erfüllt, denn der Nachweis war falsch. Aufgrund dieses Mangels wurde der Bauvertrag gekündigt. Damit ist der Ausschlussgrund der Schlechtleistung erfüllt. VK Rheinland (Beschl. v. 25.03.2020, Az.: VK 3/20-L)

► MINIMALWERT

Wertung der Unterkriterien Überflüssige Erläuterungen verwirren Der Auftraggeber wollte den Preis zu 60 Prozent und den technischen Wert zu 40 Prozent werten. Letzterer setzt sich meistens aus einer Vielzahl von Unterkriterien zusammen. Darauf ausgerichtet ist auch das Standard-Formular, das der Auftraggeber den Vergabeunterlagen beigefügt hat. Ihm war zu entnehmen, dass die Bewertungen der Unterkriterien gemittelt würden. In diesem speziellen Fall hat der Auftraggeber aber nur ein einziges Kriterium für den technischen Wert definiert, nämlich das Terminkonzept, das in vier einzelne Bewertungen zerfiel. Offenbar um diese Matrix in das Formularschema zu pressen, hat er das Terminkonzept als Unterkriterium zum Hauptkriterium “technischer Wert” bezeichnet. Das hat einen Bieter verwirrt. Der Bieter kritisiert, dass in der Auswertung die vier Teilbewertungen des Terminplans

nicht gemittelt worden waren, sondern der jeweils geringste Wert für die Punktzuteilung herangezogen wurde. Mit diesem Einwand scheitert er jedoch vor der Vergabekammer: Wenn es nur ein Unterkriterium gibt, kann nicht über “die Unterkriterien” gemittelt werden. Die Vorschrift kann auch nicht einfach auf die Unter-Unterkriterien übertragen werden. Sie sind davon nicht erfasst, zumal ausdrücklich in den Unterlagen darauf hingewiesen war, dass auf dieser Ebene nicht der Mittelwert, sondern der Minimalwert entscheidend sei.

VK Bund

(Beschl. v. 16.06.2020, Az.: VK 2-37/20)

► KORRUPTION

Der zugeschanzte Auftrag Gefährliches HerstellerLeistungsverzeichnis Ein Gebäude soll direkt neben einem Wasserlauf errichtet werden. Der Auftraggeber schaltet für diesen Bau einen Planer ein. Der wiederum beauftragt für die Bauwerksabdichtung einen Subplaner und erklärt, fast alle Wasserbauplaner hätten ein jeweiliges Lieblingssystem für Abdichtungen, das sie regelmäßig als Leitprodukt verwendeten. Das führe erfahrungsgemäß aber nicht dazu, dass dann auch nur diese Leitprodukte zum Zuschlag kämen. Hier aber ging es nicht nur um ein Lieblingsprodukt: Der Subplaner war zugleich an der Herstellerfirma des Leitproduktes in nicht unwesentlichem Maße finanziell beteiligt. Von einem Prokuristen des Herstellers ist bekannt, dass er Planern herstellerseitig vorgegebene Leistungsverzeichnisse zur Verwendung empfiehlt. Ein Teil eines solchen HerstellerLVs findet sich dann schließlich auch in den Vergabeunterlagen für den fraglichen Bau. Das LV verlangt zudem einen Gleichwertigkeitsnachweis für Alternativprodukte, lässt aber offen, woran diese Gleichwertigkeit gemessen werden soll. Im Nachprüfungsverfahren findet ein Bieter, dessen Angebot wegen angeblicher Nicht-gleichwertigkeit seines Alternativproduktes ausgeschlossen werden sollte, die Anmerkung in der Vergabeakte: Das Alternativprodukt sei erst drei, das Leitprodukt aber schon zwölf Jahre auf dem Markt. Die Vergabekammer hebt das Verfahren auf. Der Ausschluss ist wegen unklarer Gleichwertigkeitsanforderungen schon nicht rechtmäßig. Der Subplaner ist Mitarbeiter im Vergabeverfahren im Sinne von § 6 Abs. 1 VgV. Er hätte nicht eingesetzt werden dürfen, denn durch seine Verflechtung mit dem Hersteller erlangt er einen wirtschaftlichen Vorteil aus der Bezuschlagung eines Angebotes, welches das Leitprodukt verwendet, was in einen Interessenkonflikt führt. VK Berlin (Beschl. v. 08.07.2020, Az.: VK B 2-16/20)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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Personelles

Behörden Spiegel / Dezember 2020

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Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus Briefanschrift: 80327 München Vermittlung (089) 2186-0 Telefon: Durchwahl (089) 2186-... (089) 2186-2800 Telefax: E-Mail: poststelle@stmuk.bayern.de Internet: http://www.km.bayern.de

Staatsminister Prof. Dr. Michael Piazolo

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus Stand: Dezember 2020

Zentrale Stellen Mdgt. Martin Wunsch

-2432

Leitung des Büros des Herrn Staatsministers Mdgt. Martin Wunsch -2432

Zusammenarbeit mit der Stiftung “Bildungspakt Bayern” MR Ralf Kaulfuß -2092

Persönliche Referenten Johannes Lindinger -2906 RDin Luzie Sunkler -2905

Foto: BS/©Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus

Leitung des Büros der Frau Staatssekretärin MR Christian Bruchhäuser -2532 Persönliche Referentin StDin Sabine Lauterbach -2431

Staatssekretärin Anna Stolz

-2539

ZS.1 Ministerrat, Orden MR Dr. Harald Niedermair -2321 ZS.2 Verbindung zum Landtag, Landtagsbeauftragte (LB) MRin Tanja Götz -2947

Amtschef Ministerialdirektor

Leitung des Büros des Amtschefs MR Tobias Müller -2230

Herbert Püls

-2506

ZS.3 Presse MR Günther Schuster

-2729

ZS.4 Planung MR Robin Pantke

-2772

ZS.5 Öffentlichkeitsarbeit, Soziale Medien StD Dr. Gregor Pelger -2152 ZS.6 Reden, Wertebildung MRin Birgit Kleinhappl -2435

Abteilung I Zentrale Aufgaben, Personal, Digitalisierung, IT, Kultus

Abteilung II Haushalt, Recht Mdgt. Stefan Graf

Mdgt. Adolf Schicker

-2494

-2261

Referat I.1 Personal des Ministeriums, Geschäfts­verteilung, Fortbildung Ltd. MR Dr. Thomas Maier-Reichenberger -2281 Referat I.2 Innere Dienste MR Hans-Peter Schroth

Abteilung III Grund-, Mittel- und Förderschulen, Inklusion

-2312

Referat I.3 IT im Ministerium, eGovernment, EPA MR Peter Thoma -2416 Referat I.4 Digitale Bildung, Medienbildung MR Matthias Stein -2643 Referat I.5 Förderprogramme Digitalisierung Schulen MR Hans Kiefer -2440 Referat I.6 Schulverwaltungs-IT, ASV MR Robert Tumpek -2360 Referat I.7 Europapolitik, EU-Förderprogramme, Datenschutzrecht MR Kai Kocher -2349 Referat I.8 Kultusangelegenheiten, Stiftungsangelegenheiten Ltd. MR Dr. Dieter Schütz -2747 Referat I.9 Politischer und religiös begründeter Extremismus, Erinnerungskultur MR Werner Karg -2185 Datenschutzbeauftragte MRin Gabriele Kamm -2744

Vertretung des Ministeriums in Berlin: ORR Markus Fürstenberg -2350 Tel. in Berlin: -030/20265609 Vertretungen des Ministeriums bei der EU in Brüssel: MR Dr. Marc Jäger -2414 Tel. in Brüssel: -00322/2374-864 Personalratsvorsitzende: MRin Doris Dobmeier -2354 Gleichstellungsbeauftragte: Ministerium: MRin Maria Wilhelm -2476 Nachgeordneter Bereich: KRin Yvonne Zimmermann -2413 Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen: Dominikus Schmiedl -2009

Mdgt. Walter Gremm

Referat III.1 Grundschulen, Verkehrserziehung MRin Maria Wilhelm -2476

Referat II.2 Haushalt MRin Sibylle Ludovisy

Referat III.2 Mittelschule, Unterricht für ausländische Schüler und für Kinder beruflich Reisender MRin Alexandra Brumann -2470

Referat II.3 Bundesrat, Grundgesetz, amtl. Veröffentlichungen, Sponsoringrichtlinie, Innenrevision MR Dr. Udo Dirnaichner -2317 Referat II.4 Statistik, quantitative Fragen der Bildungsplanung (Statistikstelle gemäß Art. 20 BayStatG) MR Bernhard Puell -2407 Referat II.5 Dienstrecht, Arbeitsrecht Ltd. MR Roland Krügel -2287 Referat II.6 Schulfinanzierung, Konnexität MRin Eva-Maria Wüstendörfer -2249 Referat II.7 Vergaberecht, Zentrale Vergabestelle MRin Gisela Kappel -2928 Referat II.8 Rechtsaufsichten, Betreuung nachgeordneter Behörden, Verwaltungsreform MRin Carolin Kabs -2414 Sachgebiete “Personal und Finanzen” der Abt. II SG II-1: RRin Doris Hofmeister -2486 SG II-2: RRin Theresia Schoberth -2717 SG II-4: RD Jürgen Gigl -2560 SG II-5: RD Peter Schillmaier -2553 SG II-6: RDin Martha Mayer -2575 SG II-7: RR Humaiun Ahmadsai -2290 Stabsstelle Unterrichtsversorgung/ Demographie (SU) Grundsatzfragen MR Günter Liebl -2517 Koordination ASV / ASD Mdgt. Stefan Graf -2494 ASV: MR Robert Tumpek -2360 -2140 ASD: MR Thomas Dietrich

Abteilung V Gymnasien

Abteilung VI Berufliche Schulen

Mdgtin. Elfriede Ohrnberger -2627

Mdgt. Adolf Präbst

-2297

Mdgt. German Denneborg

-2505

Referat IV.1 Fachliche Fragen der Schulaufsicht, Lehrpläne, Schulversuche und des Vorbereitungsdienstes MR Rüdiger Wieber -2530

Referat V.1 Haushalt, Personalrecht an Gymnasien, Finanzierung privater Gymnasien und Realschulen MRin Dr. Stefanie Martin -2514

Referat VI.1 Grundsatzfragen, Planung, überregionale und internationale Angelegenheiten, Jugendliche ohne Ausbildungsplatz StD Sven Meyer-Huppmann -2523

Referat IV.2 Fachliche Fragen der Schulordnung, Abschlussprüfungen, Zulassung von Lernmitteln an Realschulen, Schulbau, Schulverwaltung Ltd. MR Konrad Huber -2542

Referat V.2 Naturwissenschaftlich-technologische, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftl. Gymnasien, Religionslehre, Ethik, Geografie, Wirtschaft und Recht, Ökonomische Bildung Ltd. MR Dr. Wolfgang Mutter -2283

Referat VI.2 Lehrpersonal einschl. Ausbildung und Fortbildung MR Jochen Hofmann -2524

Referat IV.3 Staatl. Lehrpersonal, Unterrichtsversorgung MR Walter Huber -2549

Referat V.3 Sprachliche Gymnasien, Alte Sprachen, Schullaufbahn, Begabten­ förderung, Hochschulzugang MR Dr. Rolf Kussl -2352

-2556

Referat II.1 Schulrecht, Schulverwaltung, MRin Doris Dobmeier -2354

-2467

Abteilung IV Realschulen, Grundsatzfragen

Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe Dr. Ludwig Spaenle -2760

Referat III.3 Personalfachliche Angelegenheiten der Grund- und Mittelschule, Schulverwaltung, Aus- und Fortbildung der Lehrer, Fach- und Förderlehrer MRin Dr. Gisela Stückl -2552 Referat III.4 Schulrecht an Grund- und Mittelschulen, Schulpflicht, Schulordnung Ltd. MR Bernhard Butz -2536 Referat III.5 Personalrecht an Grund-, Mittelund Förderschulen MRin Eva Maria Schwab -2555 Referat III.6 Angelegenheiten der Förderschulen, Klassenbildung, Aus- und Fortbildung MR Klaus Gößl -2608 Referat III.7 Schulrechts-, Schulfinanzierungsund Haushaltsangelegenheiten an Förderschulen MR Hubert Killer -2572 Referat III.8 Künstlerisch-Kulturelle Bildung, Zusammenarbeit mit der Stiftung “art. 131”, Museumspädagogik, Kulturfonds (StMUK) MRin Birgit Huber -2298 Stabsstelle Inklusion OStDin Kerstin Wollenschläger -2067

Referat IV.4 Personal- und Schulrecht an Realschulen MR Elmar Diller -2547 Referat IV.5 / Prüfungsamt Standorte: München und Gunzenhausen Erste Staatsprüfung für alle Lehrämter, Lehrerbildung, Zusammenarbeit mit den Hochschulen, Zweite Staatsprüfung für die Lehrämter an Gymnasien und Realschulen MR Claus Pommer -2777, 09831/686-200 Referat IV.6 Kultusministerkonferenz (KMK) MR Dr. Maximilian Gromes -2302 Referat IV.7 Qualitätssicherung und -verbesserung, Evaluation, Internationale bildungspolitische Entwicklungen, Lernmittelzulassung, Ferienordnung MRin Dr. Christine Modesto -2292 Referat IV.8 Ganztagsschulen, Mittagsbetreuung MR Michael Rißmann -2606 Referat IV.9 Lehrerfortbildung, Schulpsychologie, Beratung, außerunterrichtl. Aktivitäten, Erziehungswissenschaften Ltd. MRin Sylvia Gürtner -2498 Referat IV.10 Integration, Päd. Grundsatzfragen, ISB, Landesschulbeirat MR Dr. Ulrich Seiser -2619 Referat IV.11 Innere Schulentwicklung, Elternarbeit MR Ralf Kaulfuß -2092

Referat V.4 Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, Grundfragen der Rechtschreibung, Schulbibliotheken, Schulentwicklung und -qualität am Gymnasium MR Peter Kammler -2294 Referat V.5 Staatl. Musische Gymnasien, Gymnasien mit Internat, Kollegs, Abendgymnasien, private und kommunale Gymnasien, Grundsatzfragen, Lehrpläne, Schulversuche, Oberstufe, Abitur MR Stephan Zahlhaas -2288 Referat V.6 Moderne Fremdsprachen, Studienkollegs, Zeugnisanerkennung MR Robert Gruber -2745 Referat V.7 Mathematik, Physik, MINT, Lehrerausbildung MR Dieter Götzl -2295 Referat V.8 Biologie, Chemie, Sport, Gesundheits- und Sexualerziehung, Umwelterziehung, Lehrpersonalreferat MR Thomas Sienz -2615 Referat V.9 Schulrecht an Gymnasien, Ministerialbeauftragte, Finanzierung öffentlicher Gymnasien -2348 Ltd. MR Dr. Ulrich Ossig Referat V.10 Internat. schulische Zusammenarbeit, Internationale Schulen, Schulische Arbeit im Ausland und Austauschmaßnahmen MR Thomas Mayer -2345

Verehrte Leserinnen und Leser! Sollten Sie Interesse an Organigrammen haben, die in früheren Ausgaben veröffentlicht wurden, besteht die Möglichkeit, diese über ein Abonnement der Behörden Spiegel-App zu erhalten. Dort finden Sie rückwirkend bis Januar 2014 alle Ausgaben. Die App ist erhältlich im Apple App Store, Google Play Store und Amazon Appstore.

Referat VI.3 Gewerbl. berufliche Schulen, Digitale Bildung im Bereich der beruflichen Schulen Ltd. MR Werner Lucha -2515 Referat VI.4 Kaufmännische berufliche Schulen, Innere Schulentwicklung und Qualitätsmanagement MR Dr. Alfons Frey -2528 Referat VI.5 Sozialpflegerische, sozialpädagogische Schulen; Schulen des Gesundheitswesens MRin Christine Hefer -2516 Referat VI.6 Fachoberschulen, Berufsoberschulen, Berufliche Oberschule; (Fach-) Hochschulreifen, Begabtenprüfung, Fremdsprachenberufe MR Günter Liebl -2517 Referat VI.7 Haushalt, Personal, Schulrecht an Berufsschulen, Berufl. Oberschulen, Wirtschaftsschulen; Schulfinanzierung, Telekolleg, Urheberrecht an Schulen MR Maximilian Pangerl -2456 Referat VI.8 Schulrecht an Berufsfach-, Fachschulen und Fachakademien, einschlägige Bundesgesetze MR Dr. Guido Klinger -2527 Referat VI.9 Erwachsenenbildung, Polit. Akademien MRin Dr. Andrea Niedzela-Schmutte -2597 Referat VI.10 Schulsport MRin Heidi Repser

-2055

Abteilung VI Berufliche Schulen Mdgt. German Denneborg

-2505

Referat VI.11 Sportlehrerausbildung, Anerkennung von Sportlehrerqualifikationen, schulischer Sportstättenbau, Verbundsystem SchuleLeistungssport MR Matthias Lorenz -2052 Stabsstelle Flüchtlingsintegration im Bildungsbereich (SF) StD Sven Meyer-Huppmann -2523


Diplomaten Spiegel

Seite 8

D

ie 59-Jährige kommt nach einem Geografiestudium an der Universität Kalkutta in den diplomatischen Dienst in Madrid, Kathmandu, Paris und Yangon (Rangun, Myanmar). Sie vertritt ihr Land bei den Vereinten Nationen, als stellvertretende Hochkommissarin in Bangladesch, Generalkonsulin in Chicago und nun erstmalig als Botschafterin in Deutschland. “Ich habe das Vergnügen”, so Botschafterin Tomar, “schon mehr als drei Jahre in diesem schönen Land zu leben und habe nun alle Bundesländer besucht. Die natürliche Schönheit der Landschaft, die Präzision der deutschen Ingenieure und die Offenheit der Deutschen haben mich beeindruckt. In diesen drei Jahren habe ich viele gute Freunde in Deutschland gefunden und ich schätze die offenen Gespräche, die ich mit ihnen führen kann. Was mir besonders fehlt, sind das indische Street Food und die köstlichen Mangos. Es gibt wohl keinen Inder, der sie nicht vermisst. Gleiches gilt, wenn man im Ausland ist, auch für Familie und enge Freunde. Als Diplomaten lernen wir jedoch, uns darauf einzustellen.”

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Ein idealer Handelspartner für Deutschland Ein Gespräch mit der indischen Botschafterin Mukta Dutta Tomar in Berlin (BS/ps) Die indische Botschaft steht im Berliner Botschaftsviertel zwischen Hildebrand- und Stauffenberg Straße in direkter Nachbarschaft zur südafrikanischen und der Landesvertretung von Baden-Württemberg. Im Januar nächsten Jahres ist es 20 Jahre her, dass das knapp 40 Meter breite Gebäude aus rotem indischem Sandstein eröffnet wurde. Hausherrin ist dort seit April 2017 Mukta Dutta Tomar.

Erste Berührung mit der Politik

Für die deutsch-indische Partnerschaft Was umso leichter ist, wenn die bilateralen Beziehungen stimmen. Die ersten Botschafter werden bereits 1952 ausgetauscht, nachdem Indien 1949 als eines der ersten Länder die junge Bundesrepublik anerkennt. Nach fast 70 Jahren ist diese Verbindung auf allen politischen Ebenen immer noch ausgezeichnet. Grundlage ist nun die “Agenda für die deutsch-indische Partnerschaft im 21. Jahrhundert” vom Mai 2000, die seither durch weitere gemeinsame Erklärungen fortgeschrieben wurde. Besonders wichtig sind auch die gegenseitigen Regierungskonsultationen, zu denen die Kabinette beider Länder seit 2011 im Zweijahresrhythmus abwechselnd in Deutschland und Indien zusammenkommen. Die deutsche Wirtschaft verspricht sich viel davon, denn Indien ist ein Markt der Superlative: Das Land hat 1,3 Milliarden

Parallel hierzu entwickelt Indien einen eigenen Impfstoff. Die drei daran beteiligten Unternehmen wollen insgesamt 300 Millionen Dosen des Serums pro Monat produzieren. Darüber hinaus strebt man eine Zusammenarbeit mit dem russischen GamaleyaInstitut Moskau an, das den ersten Covid-19-Impfstoff Sputnik-V entwickelt hat.

Seit 36 Jahren im diplomatischen Dienst und seit mehr als drei Jahren in Berlin: Mukta Dutta Tomar, Botschafterin der Republik Indien.

Weltraumforschung eine Rolle spielt, ist der deutschen Öffentlichkeit nicht so bekannt. Die Medien spielen hier dabei eine wichtige Rolle und ich hoffe, dass sich diese, wie unser Image, in naher Zukunft ändern werden. Deutschland genießt in Indien ein hohes Ansehen. Die Präzision der deutschen Ingenieure, die Qualität der deutschen Automobilindustrie und die Leidenschaft der Deutschen für den Fußball, sind in Indien bekannt und geschätzt.” Wobei sich die Leidenschaft für die Balltreterei in Grenzen halten dürfte, denn dortzulande ist, wie in vielen Common-

nerschaft zwischen Indien und Deutschland, damit wir weiterhin konkrete Schritte unternehmen können, um das enorme Potenzial in unseren bilateralen Beziehungen auszuschöpfen”, so die Diplomatin. Abgesehen davon schöpft man in Neu-Delhi in Sachen Covid-19 wieder berechtigt Hoffnung, nachdem das Land noch im Juli nach den USA die meisten Neuinfektionen hatte. Doch das konsequente Vorgehen der indischen Regierung bei der Eindämmung der Krankheit mit Ausgangssperren und Quarantäneauflagen war erfolgreich. Die täglichen Corona-Erkrankungen sinken

von über 90.000 im September auf rund 30.000 Mitte November. “In über 1.400 Labors werden täglich über eine Millionen Tests durchgeführt, Masken produziert, PPE-Schutzkleidung und Beatmungsgeräte usw. bereitgehalten. Die innerstaatlichen Kapazitäten zur Bekämpfung der Pandemie wurden durch die regelmäßige Aufstockung der Krankenhäuser, Betten und La-

Fotos: BS/Dombrowsky

bors erheblich verbessert. Gegenwärtig gibt es etwa 69.265 Krankenhäuser mit 1.929.692 Betten, 96.485 Intensivstationen und 48.242 Beatmungsgeräten. Dies führte zu einer erheblichen Verbesserung der Heilungsrate (Stand Oktober 2020) von 81 Prozent und einer CoronaSterblichkeit von 1,59 Prozent!”, berichtet Botschafterin Tomar über die Lage in Indien.

Mukta Dutta Tomar ist seit 36 Jahren im diplomatischen Dienst und das “war sehr erfüllend, sodass ich mir nicht vorstellen kann, etwas anderes zu tun. Ich war zehn Jahre alt, als Indien mit dem Problem der Zwangsmigration konfrontiert wurde. In unserem Nachbarland, damals “Ost-Pakistan” genannt, wurden Millionen aufgrund ihrer Religion diskriminiert. Dies führte zu einem Angriff Pakistans auf Indien, der 1971 im Unabhängigkeitskrieg Bangladeschs eskalierte. Da ich in einem Grenzstaat lebte, habe ich das ganze Elend dieser obdachlosen Flüchtlinge hautnah mitbekommen. Ich erlebte Stromabschaltungen, mit denen Städte während des Krieges notwendigerweise verdunkelt wurden. Ich war auch Zeuge der flammenden Reden Sheikh Mujibur Rahmans, Bangladeschs erstem Präsidenten, in denen er das bengalische Volk aufrief, sich dem Krieg für seine Unabhängigkeit anzuschließen. Wenn Sie so möchten, ist das das erste Mal, dass ich mit Politik in Kontakt kam.” Es hat ihr offenbar nicht geschadet. Letzte Frage – müssen Botschafterinnen immer noch besser sein als männliche Diplomaten? “Sie waren schon immer besser.” Spätestens seit dem von der UFA 1941 produzierten ersten deutschen Kino-Farbfilm, “Frauen sind doch bessere Diplomaten”. Aber das ist eine andere Geschichte …

Rezept der Botschafterin Linsen Dal – Typisches Gericht, das auch als Beilage zu zahlreichen anderen indischen Rezepten passt.

Zutaten für den Kuchen 1/2 Tasse Linsen gelb oder rot, 1,5 Tassen Wasser, 1 große Tomate, 1 mittlere Zwiebel, 1 Stück Ingwer 1cm, 2 Knoblauchzehen, 3/4 TL Kreuzkümmel, 1/4 TL ­Kurkuma, 1/4 TL Chilipulver, Salz, Butter/Ghee, Korianderblätter zur Deko Zubereitung Linsen nach Packungsanweisung ca.25-30 Minuten kochen. Knoblauch, die Zwiebel, den Ingwer und

Menschen (wir 82 Millionen), gehört zu den dynamischsten Wirtschaftsregionen, schafft hohes Wachstum und verspricht mit seiner Appetenz auf “Made in Germany”, ein idealer Handelspartner für Deutschland und die EU zu sein. Der bilaterale Handel zwischen Indien und Deutschland lag im Jahr 2019 bei einem Volumen von rund 21,3 Milliarden Euro und damit circa 18 Prozent höher als im Vorjahr.

Cricket versus Fußball “Die wirtschaftlichen Verbindungen sind fürwahr robust und werden immer enger. Die Beziehungen zwischen Deutschen und Indern könnten aber differenzierter sein. Ich habe viele Deutsche in den höchsten Tönen von uns reden hören – vornehmlich über unsere Küche, Yoga und andere kulturellen “Exporte”nach Deutschland”, so Tomar. “Dass Indien die größte Demokratie der Welt und die fünftgrößte Weltwirtschaft ist und zudem in der

die Tomate klein schneiden. Öl in einer Pfanne erhitzen, Kreuzkümmel, Knoblauch und Ingwer dazugeben. Temperatur reduzieren, Zwiebeln hinzufügen und 1-2 Min. mitkochen. Wenn sie angebräunt sind, mit den Gewürzen gut durchmischen und die Tomaten und Salz hinzufügen. Wenn die Tomaten gar sind, die gekochten Linsen drunter rühren. Für ein authentisch indisches Dal fügt man noch etwas Ghee und Korianderblätter beim Köcheln sowie 1-2 EL Kokosmilch dazu.

Fliesenmosaik der Federn des indischen Nationalvogels gegenüber des VIP-Eingangs der Botschaft. Der Pfau hat für eine Vielzahl von Religionen in Indien eine besondere Bedeutung. Im säkularen Kontext repräsentiert er Schönheit, Liebe und das Leben.

wealth-Ländern, Cricket der Nationalsport. In Indien dürfte die Begeisterung für Cricket sogar noch größer sein als in Großbritannien, dem Mutterland dieses Sports. Nicht Cricket spielenden Nationen dieses angelsächsische Spiel zu erklären, ist eigentlich von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Wer einmal versucht hat, die Regeln dieses Spiels zu verstehen, weiß, dass man all die vielen Regeln, die beim Cricket ineinandergreifen und zusammenspielen, nur mithilfe eines besonderen Cricket-Gens wirklich nachvollziehen kann.

Aktuelle Herausforderungen Verständlich dagegen die Hoffnung von Botschafterin Tomar auf eine stärkere globale Zusammenarbeit, “damit eine kollektive Antwort auf die verschiedenen aktuellen Herausforderungen, wie etwa auf die Corona Pandemie, gefunden wird. Ich hoffe auch auf eine weitere Intensivierung der strategischen Part-

Die Vielzahl der indischen Götter spiegelt sich in der Botschaft des Landes wider. Links: Bronzestatur der stehenden Göttin Lakshmi. Lakshmi ist die Göttin des Wohlstands und Reichtums. Sie ist die Gemahlin von Lord Vishnu und eine der populärsten Göttin in der hinduistischen Mythologie. Mitte: eine Statue von Lord Buddha vor dem Eingang der Botschaftsbibliothek. Lord Buddha hat in Indien gelebt und erlebte seine Erleuchtung nahe des heutigen Bodhgaya (Bundesstaat Bihar) unter einem Bodhibaum. Rechts: Bronzestatue der Göttin Saraswati im Foyer des Botschaftsgebäudes. Saraswati ist die Göttin des Wissens, der Musik, der Weisheit und des Lernens. Hier tanzend mit einer Sitar dargestellt.


SONDERBEILAGE des Behörden Spiegel

zum 50-jährigen Bestehen des Bundesinstituts für Berufsbildung Berlin und Bonn / Dezember 2020

Moderator zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser zu Herausforderungen und Zielen der Berufsbildung (BS) Wie die Gesellschaft selbst unterliegt das Berufsbildungssystem einem steten Veränderungsprozess. Kompetenzprofile müssen folglich angepasst werden, damit Berufsbilder nicht aus der Zeit fallen. Um zu verhindern, dass es so weit kommt, wurde vor genau 50 Jahren das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) gegründet. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel äußert sich Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des BIBB, zu den Aufgaben, die das Institut im Auftrag des Bundes erfüllt, den Herausforderungen der Digitalisierung für die Berufsbildung sowie den Kernzielen der BIBB-Strategie 2025. Die Fragen stellte Guido Gehrt.

B

ehörden Spiegel: Welchen Beitrag leistet das BIBB für die berufliche Bildung und die Berufsbildungsforschung in Deutschland und weltweit? Esser: Die Arbeit des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) stellt insbesondere darauf ab, die Leistungsfähigkeit sowie die Weiterentwicklung des deutschen Berufsbildungssystems zu sichern. Dabei ist die Berufsbildung als Teil des Bildungssystems mit dem Beschäftigungssystem eng verzahnt. Sie soll Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, zur Entwicklung ihrer beruflichen Handlungsfähigkeit beitragen und diese auch im Sinne von Erwerbsarbeitsfähigkeit dauerhaft sichern. Sie muss flexibel auf neue oder veränderte Herausforderungen reagieren, um einerseits Lernende in ihrer Persönlichkeit zu fördern und andererseits die Unternehmen dabei zu unterstützen, ihren Bedarf an Fachkräften zu decken. Dabei verknüpft das BIBB gesetzliche Entwicklungs- und Beratungsaufgaben mit Forschungstätigkeiten – sicher ein Alleinstellungsmerkmal. Besonders herauszustellen ist hier seine Zuständigkeit für die Entwicklung von Aus- und Fortbildungsordnungen im Auftrag des Bundes, gemeinsam mit den Sozialpartnern und den Kammerorganisationen. Wir verstehen unser Institut in diesem Prozess vor allem als Moderator einer Wissenschafts-Politik-PraxisKommunikation, die unsere Basis der von uns im BIBB gelebten Institutskultur ist. Für unsere Arbeit ist demzufolge die Beziehung zu Institutionen der Wirtschaft und Bildungspolitik besonders wichtig, wie sie im BIBB-Hauptausschuss gesetzlich repräsentiert ist. Dieser erfüllt für uns eine wichtige Resonanz-, Reflexions- und Austauschfunktion und trägt mit seiner Verfasstheit dazu bei, dass ein konstruktiv-kri-

wie auch weltweite Vernetzung kooperieren wir mit renommierten Akteuren der Berufsbildung und Berufsbildungsforschung. Neben dem Monitoring der nationalen Berufsbildung für unseren Datenreport zum Berufsbildungsbericht sowie Forschung zu unterschiedlichen Themenbereichen der beruflichen Bildung forschen wir deshalb auch international vergleichend und sind mit weltweiten Beratungsaufträgen unterwegs. Behörden Spiegel: Beim BIBB sind aktuell rund 770 Beschäftigte tätig. Welchen Background haben diese Bediensteten bzw. was muss eine Person mitbringen, um beim BIBB “an Bord zu gehen”? Esser: Die Aufgaben im BIBB sind vielseitig und verlangen damit einen vielfältigen Kompetenzmix, der sich in unserer diversen Belegschaft widerspiegelt. Rekrutierungen im höheren Dienst erfolgen überwiegend aus den Fachbereichen Pädagogik und Soziologie, gefolgt von den Sozialwissenschaften, Psychologie, Ökonomie und Rechtswissenschaften. Im gehobenen Dienst rekrutieren wir schwerpunktmäßig aus den Bereichen Verwaltungswissenschaften, BWL und Pädagogik. Im mittleren Dienst liegt der Schwerpunkt auf den Büroberufen. IT-Berufe werden für uns allerdings immer wichtiger, genauso wie Veranstaltungskaufleute bei uns qualifiziert werden, weil das BIBB auch Anbieter vieler Events und Veranstaltungen ist. Die Qualifikationen, die potenzielle BIBB-Beschäftigte mitbringen sollen, sind aber nicht ausschließlich auf die Studienfächer bzw. Berufsabschlüsse zu reduzieren. Besonders wichtig ist uns ebenso die Motivation und die Begeisterung dafür, die Berufsbildung jeden Tag ein wenig besser zu machen.

Bei der Bewältigung des Trans­ formationsprozesses hat auch die Weiterbildung eine herausragende Bedeutung.“ tisches wie auch vertrauensvolles Miteinander der wesentlichen Stakeholder in der beruflichen Bildung möglich wird. Das Berufsbildungsgesetz weist der Forschung in unserem Institut eine bedeutsame Rolle zu. Sie soll zum Erklären und Verstehen der sich stets verändernden sozioökonomischen Grundlagen der Berufsbildung beitragen und so die Basis bilden für unsere Entwicklungsarbeiten in der Ordnung der Aus- und Fortbildungsregelungen sowie unsere wissenschaftlichen Dienstleistungen, die wir insbesondere im Bereich des ProgrammManagements für den Bund erfüllen. Unsere Forschungsdaten werden breit gefächert publiziert und stehen darüber hinaus über unser Forschungsdatenzentrum abrufbar zur Verfügung. Durch unsere nationale

Behörden Spiegel: Die meisten Berufsbilder durchlaufen derzeit einen großen Transformationsprozess. Was bedeutet dies für die Berufsbildung und auch für die Arbeit des BIBB? Esser: Bei der Modernisierung von Ausbildungsberufen im BIBB ist bereits seit einigen Jahren das Thema Digitalisierung ein Schlüsselbegriff. Ab August 2021 wird ein entsprechender qualifikatorischer Mindeststandard für alle Berufe in den Ausbildungsordnungen etabliert. So wird sichergestellt, dass alle Auszubildenden digitale Grundkenntnisse erwerben, auf denen sie im Berufsverlauf aufbauen können. Systemisches Denken und IT-spezifisches Grundlagenwissen sind zukunftsrelevante Kompetenzprofile genauso wie die bewusste Auswahl spezifischer Medien für

Verlaufskontrollen zeigen, gelingt uns die Bündelung unserer Arbeit auf die wesentlich zu erfüllenden Aufgaben effektiver, wir reagieren flexibler auf unvorhersehbare, nicht geplante Entwicklungen und wir haben mehr Raum für Kreativität und Innovation. Zum Gelingen dieses Strategieprozesses hat sicherlich auch die intensive Einbindung unserer Partner aus dem Hauptausschuss beigetragen. Ergänzend und auf der Grundlage unserer Strategie 2025 hat das BIBB im Jahr 2019 in einem gemeinsamen Projekt mit dem Bundesverwaltungsamt eine Digitalisierungsstrategie erarbeitet und dabei ein Digitales Selbstbild, strategische Digitalisierungsziele sowie einen Maßnahmenkatalog zur Umsetzung dieser Ziele abgestimmt. Damit haben wir nicht nur einen entscheidenden Schritt zur Umsetzung der Vorschriften Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des im E-Government-Gesetz getan, BIBB Foto: BS/Gelowicz sondern waren auch für die CoronaPandemie hervorragend gerüstet. Wir konnten sehr schnell ein bereits etabliertes Mobilitätskonzept an die neuen Rahmenbedingungen anpassen und mit einer flächendeckenden mobilen IT-Ausstattung kurzfristig institutsweit mobiles Arbeiten ermöglichen. Damit war und ist die Arbeitsfähigkeit auch in dieser schweren Zeit seit dem ersten Lockdown sichergestellt. Dass es uns gelungen ist, bei der Planung und Umsetzung dieses Prozesses die Betroffenen wirklich zu Beteiligten die Bewältigung von Arbeits- und genannten Geschäftsfeldern. Diese zu machen, war für mich in der RückLernaufgaben. Die sichere Nutzung Geschäftsfelder, die sich teilweise schau das eigentliche Erfolgsrezept. von Daten, die Übernahme von Ver- abteilungsübergreifend zusammenBehörden Spiegel: Wie wirkt sich antwortung und hohe Teamfähigkeit setzen, wurden im Strategieprozess runden u. a. die zukunftsweisenden neu konstituiert. Dazu wurden die die Pandemie auf die Berufsbildung Kompetenzprofile ab. Nicht alles, Empfehlungen des Wissenschaftsra- aus und was kann das BIBB beitragen, was gelernt wird, muss expressis tes an das BIBB berücksichtigt, der in um in diesem Bereich die negativen verbis in den Ausbildungsord- seiner Stellungnahme Anfang 2017 Folgen der Krise zu mindern? nungen stehen, da vor allem im u. a. einen strukturellen VerändeKundenauftrag ausgebildet wird. rungsprozess empfohlen hatte, um Esser: Für die Jahre 2020 und Die Ordnungsmittel bieten den Be- das BIBB als forschende Einrichtung 2021 müssen wir leider von einem trieben deshalb durch technikof- zu fördern. Entsprechend haben wir deutlichen Rückgang der neu abfene Formulierungen ausreichend neben “Ordnung” und “Dienstleis- geschlossenen Ausbildungsverträge Spielraum, die für die jeweiligen tungen zur Stärkung der beruflichen ausgehen. Die Corona-Krise trifft Berufsbilder marktrelevanten Ent- Bildung” das Geschäftsfeld “Berufs- vor allem Branchen, in denen verwicklungen in ihren betrieblichen bildungsforschung” etabliert. Der mehrt Schülerinnen und Schüler Ausbildungsplänen aufzugreifen. Strategieprozess wurde von einer mit Hauptschulabschluss einen Das Ausbildungs- und Lehrpersonal institutsweit besetzten Projekt- Ausbildungsplatz finden. Ihnen hat gerade hier eine Schlüsselrolle gruppe organisiert und begleitet. stehen als Ausbildungsalternatifür den Transformationsprozess. Das Ergebnis dieses Prozesses war ven weniger Möglichkeiten offen Sie sind Innovationsmanager und schließlich die BIBB-Strategie 2025, als Schülerinnen und Schülern mit Lernprozessbegleiter. Bei der Be- an der wir seit nunmehr gut 2,5 (Fach-)Hochschulreife. Wie wir aus wältigung des Transformationspro- Jahren unsere Aufbau- und Ablauf­ der Finanzkrise wissen, nutzen letzzesses hat auch die Weiterbildung organisation mit großem Erfolg aus- tere gerade dann ihre Option auf eine herausragende Bedeutung. richten. Wie unsere strategischen ein “krisensicheres Studium”. Die Überhaupt müssen wir davon weg, unter Berufsbildung vorwiegend Eine spannende Zeitreise durch Berufsausbildung zu verstehen. Bedie Geschichte des BIBB rufliche Bildung ist vielmehr in der unmittelbaren Verknüpfung von Aus- und Weiterbildung auszuge(BS) Gegründet im Jahr 1970, feiert das BIBB 2020 stalten und als ein verbindliches, das 50. Jahr seines Bestehens. Das Jubiläumsjahr lebensbegleitendes Angebot zur bietet den willkommenen Anlass, auf eine bewegte persönlichen Weiterentwicklung Vergangenheit zurückzublicken und natürlich auch zu verstehen. nach vorne zu schauen. Die Online-Chronik “50

Die Aufgaben im BIBB sind viel­ seitig und verlangen damit einen vielschichtigen Kompetenzmix, der sich in unserer vielfältigen ­Belegschaft widerspiegelt.“

Behörden Spiegel: Das BIBB hat sich mit seiner Strategie 2025 nicht nur ein Facelifting verpasst. Was ist zentral daran und was können andere Behörden davon lernen? Esser: Das zentrale Merkmal der BIBB-Strategie 2025 ist die Ausrichtung der Institutsziele an so-

Daten der Bundesagentur für Arbeit vom Herbst 2020 deuten aber auch darauf hin, dass die Zahl der gemeldeten Bewerberinnen und Bewerber zurückgehen wird. Der betriebliche Zugang im Rahmen von Praktika wird für junge Menschen vor dem Hintergrund von Kurzarbeit und betrieblichen Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen derzeit immer noch erheblich erschwert. Auch Berufsorientierung in Überbetrieblichen Berufsbildungszentren kann nur noch in kleineren Gruppen stattfinden. Dies behindert die Berufswahl für junge Menschen ganz erheblich und führt uns vor Augen, wie wichtig es ist, hier auch digitale Möglichkeiten des sogenannten Matchings von Ausbildungsangebot und -nachfrage zu entwickeln und anzubieten. Dies gilt im Übrigen für alle Bereiche der beruflichen Bildung. Die aktuelle Krise zeigt uns, dass wir zwar schon seit Jahren über Digitalisierung sprechen, bei unseren Ansprüchen im Bildungssystem jedoch zurückbleiben. Dies gilt sowohl für die Erlangung entsprechender Kompetenzen durch das Bildungsund Prüfungspersonal als auch für die Entwicklung digitaler Formate auf Basis einer verfügbaren technischen Infrastruktur. Leuchttürme aus der Praxis zeigen aber auch, dass überall dort, wo gut qualifiziertes Ausbildungs- und Lehrpersonal in modern ausgestatteten Betrieben bzw. Aus- und Fortbildungszen­ tren ihren Aufgaben nachkommen können, die berufspädagogischen Herausforderungen trotz der durch die Pandemie geltenden Einschränkungen sehr gut bewältigt werden. Von daher wird sich das BIBB in den nächsten Wochen und Monaten über seine Standardaufgaben hi­ naus vor allem dafür engagieren, die Weiterbildung des Ausbildungs-, Lehr- und Prüfungspersonals sowie die Ausstattung der Lernorte mit modernen Medien voranzutreiben. Damit wollen wir auch einen aktiven Beitrag zur Attraktivitätssteigerung der beruflichen Bildung leisten, der zwingend notwendig ist, um die zukünftige Nachfrage nach Fachkräften in Deutschland zu sichern. Denn die Finanzkrise 2008/09 hat ebenfalls gezeigt, dass eine einmal erfolgte Abkehr der jungen Generation vom dualen Ausbildungssystem nur unter größten Anstrengungen wieder umzukehren ist.

Jahre BIBB” gibt Einblicke in die Geschichte und Entwicklung des Instituts sowie der Berufsbildung in Deutschland. Denn die Berufsbildung muss sich fortlaufend weiterentwickeln und damit zugleich Foto: BS/BIBB den Anforderungen von Gegenwart und Zukunft gerecht werden. In dem Sinne wird das BIBB mit viel Innovationskraft die in den vergangenen fünf Jahrzehnten gesammelte Expertise auch weiterhin einbringen, um Antworten auf die vielfältigen Herausforderungen zu finden, vor denen die berufliche Bildung aktuell steht und immer wieder aufs Neue stehen wird. Die Online-Chronik “50 Jahre BIBB” findet sich unter https://50jahre.bibb.de .


50 Jahre BIBB

Behörden Spiegel / Dezember 2020

der Führungskräfte im BIBB. Um sicherzustellen, dass aktuelle Vereinbarkeitsbedarfe und Themen angemessen Berücksichtigung finden, wurde das Programm gemeinsam mit den Beschäftigten entwickelt. Hierfür kamen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in “Fokusgruppen” zusammen, um die inhaltlichen Eckpunkte zu erarbeiten, die daraufhin der Leitung vorgeschlagen und anschließend finalisiert wurden.

Gemeinsam die Ziele vor Augen Mitarbeiterorientierung ist das A und O einer erfolgreichen Personalpolitik (BS/Thomas Petersdorff) Das BIBB ist ein Ort für gutes Arbeiten und soll es auch in Zukunft bleiben. Demografischer und digitaler Wandel, aber auch eine sich verändernde Anspruchshaltung vieler Beschäftigter an ihre Tätigkeit und ihr Arbeitsumfeld (Stichwort: Generation Z), erfordern eine Anpassung der hergebrachten Formen der Arbeit auf der Basis neuer Konzepte, Strukturen, Prozesse und Instrumente. Im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) weiß man, dass dabei Faktoren wie Gesundheit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Transparenz einen attraktiven Arbeitgeber ausmachen und eine langfristige Personalbindung sicherstellen.

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esellschaftliche Sensibilitäten für Themen wie Demografie und Digitalisierung, Klimawandel, Nachhaltigkeit und in Corona-Zeiten insbesondere auch Respekt und Rücksicht gegenüber Mitmenschen haben sich zu unabdingbaren Voraussetzungen einer erfolgreichen Personalpolitik entwickelt. Das BIBB ist sich seiner Rolle bei der Mitgestaltung einer verantwortungsbewussten, zukunftsorientierten und modernen Gesellschaft und Arbeitswelt bewusst. Aus diesem Grund ist es dem BIBB besonders wichtig, als attraktiver Arbeitgeber die Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Beschäftigten ein ressourcenschonendes, umwelt- und gesundheitsbewusstes Umfeld sowie bestmögliche Bedingungen für eine familien- und lebensphasenbewusste Karriereplanung ermöglichen.

Für eine nachhaltige Zukunft Ergebnis eines partizipativen Zusammenwirkens innerhalb des BIBB ist auch das Betriebliche Gesundheitsmanagement, das eine Vielzahl an Angeboten bereithält, die ein gesundheitsbewusstes Verhalten der Beschäftigten unterstützen und fördern. Auch auf der Basis der Ergebnisse einer Beschäftigtenbefragung wurde beispielsweise eine Mobilitätsstrategie im BIBB umgesetzt, die Telearbeit und mobiles Arbeiten befördert. Gemeinsam mit den Gremien des BIBB wird derzeit eine neue Dienstvereinbarung abgestimmt, die einen neuen Rahmen für noch mehr Flexibilisierung bezogen auf Arbeitsort und Arbeitszeit setzt. Die damit verbundene Stär-

BIBB-Haushalt 2019 (Ist-Ausgaben) Gesamt: 351,146 Mio. € Personalausgaben: 32,968 Mio. € sachliche Verwaltungsausgaben inkl. Zuschüsse und Investitionen: 20,235 Mio. € Betriebsmittel von BMBF, EU, etc.: 26,434 Mio. € Programmmittel: 271,509 Mio. € ٠ Bildungsstätten (ÜBS) ٠ Berufsorientierung ٠ Nationale Agentur “Bildung für Europa” ٠ Jobstarter ٠ Dekade für ­Alphabetisierung etc.

Hätten Sie es gewusst?

Fokus: Familien- und ­Lebensphasenorientierung Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter bedeutet eine individuelle Biografie mit unterschiedlichen Zielen und Bedürfnissen je nach Lebensphase. Über die letzten Jahre hinweg wurde die familienbewusste und lebensphasenorientierte Personalpolitik im BIBB da­ rum konsequent ausgebaut. Durch das Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen und Instrumente ist die Arbeitsumgebung im BIBB heute so gestaltet, dass vorhandene Ansprüche an Qualität und Leistung bestmöglich umgesetzt sind. Oberstes Ziel ist eine befähigende

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onzeption und Anpassung von Berufsbildern ist ein facettenreiches Unternehmen, das Kompetenz und Expertise der Beschäftigten in verschiedenen Bereichen und Disziplinen verlangt. Da verwundert es kaum, dass auch das Ausbildungsportfolio des BIBB entsprechend breit aufgestellt ist. Ausgebildet wird in fünf Ausbildungsberufen, angefangen mit Fachangestellten für Markt- und Sozialforschung über Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, Kaufleute für Büromanagement und Veranstaltungskaufleute bis zu Fachinformatikern und Fachinformatikerinnen. Aktuell stehen 26 Azubis in einem Vertragsverhältnis, wobei das BIBB grundsätzlich über Bedarf ausbildet. Für erste Praxiserfahrungen nach der dreijährigen Ausbildung sorgt ein befristetes Übernahmeangebot, das sich im Regelfall auf ein Jahr, bei Vorzieherinnen und Vorziehern auf eineinhalb Jahre beläuft. Voraussetzung ist ein Abschluss mit einer Note im Bereich sehr gut bis befriedigend. Aber nicht nur eigenen Azubis gibt das BIBB die Möglichkeit zur praktischen Selbsterprobung, auch Bewerberinnen und Bewerber, die nach Schulende keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, können durch ein Einstiegsqualifizierungspraktikum ihre Chancen im Berufsleben verbessern. Finanziert durch die Bundesagentur für Arbeit, findet das Praktikum im Rahmen eines Ausbildungsberufes statt und umfasst damit – anders als bei Praktika üblich – auch den Besuch der Berufsschule.

Über den fachlichen ­Tellerrand hinaus Um auch nach innen umzusetzen, was es nach außen hin kommuniziert, bietet das BIBB seinen Auszubilden-

kung von Modellen mobiler Arbeit trifft sich mit den Bestrebungen, durch Einsparung von CO2 nachhaltiger und ökologischer zu werden. Denn auch Umweltschutz hat im BIBB Tradition: Seit über zehn Jahren beteiligt sich das Institut nunmehr am europäischen “Eco Management and Audit Scheme”, kurz EMAS genannt. In jährlich herausgegebenen “Umwelterklärungen” werden Ziele und ausgerollte Maßnahmen beschrieben sowie der aktuelle Umsetzungsstand dokumentiert. Dabei werden direkte und indirekte Umweltaspekte unterschieden, die wiederum nach Handlungsrelevanz und Steuerungspotenzial eingestuft werden. Einzelne Aspekte beziehen sich zum Beispiel auf die direkte Nutzung von Ressourcen wie Wasser, Strom oder Energie, andere – mehr indirekt – auf Aus- und Fortbildungsordnungen sowie die Berufsbildungsforschung. Tragend auch hier: die rege Mitarbeit des Personals, das Anregungen und Verbesserungsvorschläge über das hauseigene Ideenmanagement einreichen kann. Regelmäßige Informationen über das BIBB-Intranet sorgen für Transparenz über die weitreichenden Aktivitäten des Arbeitgebers BIBB.

770 Mitarbeitende

506 264 inklusive der 26 Auszubildenden: 9 weibliche, 17 männliche 196 Zeitverträge

Mehr als 350 Millionen Euro stehen dem BIBB für Zwecke der beruflichen Bildung bereit. Foto: BS/BIBB

und motivierende Atmosphäre, in der alle Mitarbeitenden ihre Potenziale optimal ausschöpfen können. Verbindlichkeit, Verantwortung und Transparenz sind tragende Säulen dieser Arbeits- bzw. Personalpolitik und werden durch zahlreiche Maßnahmen, beispielsweise in Dienstvereinbarungen, abgesichert. Besonders mit Blick auf den Faktor Familienfreundlichkeit bereitet das “audit berufundfamilie” seit

2010 den Boden für eine langfristige Anpassung an die Entwicklung der Organisation. Konkret handelt es sich um ein strategisches Management­instrument, mit dem sich das BIBB für eine nachhaltige Umsetzung von familiengerechten Arbeitsbedingungen sowie für eine zukunftsfähige Personalpolitik einsetzt. Voraussetzung für das jeweils drei Jahre gültige Zertifikat ist die erfolgreiche Durchführung eines

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205 Mitarbeitende gehobener Dienst 151

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53 Führungskräfte Audits, so wie es im anschließenden Dialogverfahren erfolgt ist, welches das BIBB mit seinem Handlungsprogramm für die Jahre 2019 bis 2022 erfolgreich abgeschlossen hat. Dessen Maßnahmenpaket reicht von Unterstützungsangeboten für die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung sowie von Beruf und Pflege über Aspekte von Arbeit und Alter bis hin zu Handlungsansätzen für eine Sensibilisierung

14 Mitarbeitende einfacher Dienst 177 Mitarbeitende mittlerer Dienst

ohne Auszubildende

348 Mitarbeitende höherer Dienst

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268 teilzeitbeschäftigte MA

228

48 Quelle: BIBB

Tor zur Berufswelt Als Ausbildungsbetrieb bietet das BIBB ein breites Portfolio (BS/Thomas Petersdorff) Bekannt ist das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) als Modernisierer, der Berufsbilder heutigen Anforderungen gemäß anpasst und fortentwickelt. Doch das Institut will auch in der praktischen Ausbildung seinen Beitrag leisten. Seit dem Umzug aus der Bundeshauptstadt Berlin in die Bundesstadt Bonn im Jahr 1999 haben bislang 162 junge Menschen ihre Ausbildung im Institut erfolgreich abgeschlossen, 80 von ihnen sind heute noch im BIBB tätig. den zahlreiche Zusatzqualifizierungen an. Das Angebot umfasst neben ausbildungsergänzenden Maßnahmen wie beispielsweise dem Unternehmensplanspiel “TopSim”, das betriebswirtschaftliche Kenntnisse vermitteln soll, auch spezielle Sprachund IT-Fortbildungen bis hin zum “Internationalen Computerführerschein”. Doch sind handfeste Qualifikationen, sogenannte Hard Skills, nur die eine Seite. Abgerundet wird das Paket durch einen Pool an Möglichkeiten, auswärts Erfahrungen zu sammeln. Angeboten werden Praktika in der heimischen Wirtschaft, aber auch im Ausland. Ferner ermöglicht das BIBB seinen Azubis regelmäßig die Teilnahme an einer Fahrt in die Bundeshauptstadt, wo sie mit der deutschen Geschichte wie auch staats- und verfassungsrechtlichen Organen in Berührung kommen.

Digital als neue ­Ausbildungsrealität Vor dem Hintergrund zunehmender Technifizierung der Berufswelt nimmt nicht zuletzt auch die Digitalisierung einen prominenten Platz in der Ausbildung im BIBB ein. Einmal in begleitender Funktion: Seit seiner Einführung 2015 dient etwa das “Online-Berichtsheft” (BloK) der Dokumentation des Ausbildungsverlaufes sowie des Erwerbs der damit verbundenen fachlichen Qualifikationen. Inwieweit die Anwen-

dung neuer Technologien bereits im Alltag des BIBB aufgegangen ist, zeigte sich aber zuletzt noch zu Beginn der Corona-Pandemie, als im März 2020 schlagartig auf Telearbeit bzw. Homeoffice umgestellt werden musste. Dank schnell verfügbarer IT-Ausstattung gestaltete sich der Übergang zu Online-Lernformaten für die Auszubildenden im Haus weitgehend problemlos.

der andere in Präsenzform vor Ort. So war es während des Sommers möglich, eine hybride Einführungswoche für die neu eingestellten Azubis durchzuführen. Bei größeren Präsenzveranstaltungen wie der Ausbildungsmesse der Stadt Rheinbach ging das freilich nicht, doch konnte hier erfolgreich auf eine komplett virtuelle Version ausgewichen werden: Über einen digitalen

Nach der ersten Hochphase im Frühjahr konnte bis September sukzessive wieder auf Präsenzformate zurückgewechselt werden – alles im Rahmen der geltenden Kontaktbeschränkungen. Zum Schutz aller Beteiligten ist Ausbildung im BIBB noch heute hybrid gestaltet. Während ein Teil über Videokonferenz und BIBB-Cloud am regulären Betrieb teilhat, arbeitet

Eine gute duale Ausbildung ist für junge Menschen das Tor in die Berufswelt.

Foto: BS/BIBB

Messestand konnten Ausbildungsflyer heruntergeladen und eine Verlinkung zu Stellenausschreibungen für Azubis abgerufen werden. Für die persönliche Kontaktaufnahme stand die Ausbildungsleitung via Chatfunktion bereit. Dabei ist die Ausbildungsmesse nur ein Beispiel: Eine weitere Online-Informationsveranstaltung fand im Oktober mit der Kooperationsschule Nell-Breuning-Berufskolleg in Frechen statt. Überhaupt ist die enge Zusammenarbeit mit den Kooperationsschulen eine tragende Säule der Ausbildung im BIBB. Das gilt zumal für die Gewinnung neuer Interessenten für Praktika oder Ausbildungsplätze. Die aktive Zusammenarbeit – beispielsweise im Rahmen des Berufsorientierungsprogramms (BOP) – beginnt in der Regel ab der achten Klasse, sodass die Schülerinnen und Schüler frühzeitig eine Bindung zum BIBB als Ausbildungsstätte aufbauen. Unter dem Motto “KAoA – kein Abschluss ohne Anschluss” werden ferner Betriebserkundungen, praxisnahe Trainingssessions für angehende Bewerberinnen und Bewerber sowie Praktikumsplätze vermittelt. Aktionstage wie der jährlich stattfindende Girls‘ oder Boys‘ Day geben Einblick in die Welt der Ausbildungsberufe und räumen mit gängigen Rollen-Klischees und Vorurteilen des Arbeitsmarktes auf. Eine gute duale Ausbildung ist für junge Menschen das Tor in die Berufswelt. Diesem wichtigen gesellschaftlichen Thema widmet sich das BIBB auch als Ausbildungsbetrieb und kommt seiner Verantwortung unter anderem mit einem breiten Ausbildungsportfolio, mit digitalen Lernformaten und zahlreichen Zusatzqualifikationen nach.


Behörden Spiegel / Dezember 2020

50 Jahre BIBB

Aus der Verwaltung für die Verwaltung (BS) Als alles verändernde Zäsur stellt die digitale Transformation den Öffentlichen Dienst vor beträchtliche Herausforderungen. E-Akte und Online-Dienste implementieren sich bekanntlich nicht von allein, sondern erfordern ein umsichtiges Vorgehen und – im Föderalismus ganz besonders wichtig – einen ebenenübergreifenden Dialog. Seit 2015 bringt das Bonner Behördenforum (BBF) Expertinnen und Experten von Bund, Ländern und Kommunen zusammen, um Stand und Wege des E-Governments in Deutschland zu diskutieren. Sein Motto: Kompetenzen und Ideen aus der Verwaltung – für die Verwaltung. Diesem Aufruf folgen jährlich inzwischen knapp 300 Interessierte aus allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung. Organisiert durch das “Koordinierungsbüro eGovernment, Digitalisierung” des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) werden im Rahmen der Veranstaltung alle Facetten der Digitalisierung beleuchtet und in parallel stattfindenden Fachforen vertieft. Noch im vergangenen Jahr in Präsenzform durchgeführt, fand das BBF in diesem Jahr erstmalig virtuell statt. Fotos: BS/BIBB

Das digitale Selbstbild Ganzheitlicher Ansatz für die Digitalisierung des Arbeitsumfelds

Handlungsfeld Führung Die Führungskräfte werden den digitalen Wandel ermöglichen und begleiten. Die Führung in einer mobilen und flexiblen Arbeitswelt wird mit digitalen Instrumenten unterstützt, die Kompetenzen bei den Führungskräften werden weiter ausgebaut

Handlungsfeld Veränderung mit Beteiligung

Die Prozesse werden für ein attraktives und zukunftsfähiges ArUm den digitalen Wandel gebeitsumfeld digitalisiert. Mit dem meinsam zu gestalten, sollen die bedarfsgerechten Ausbau der Kompetenzen, Bedarfe und Inter-

der Digitalisierung

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Fünf Handlungsfelder

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Die ausgeprägte Fortbildungskultur des BIBB wird auch für den Aufbau und die Stärkung digitaler Kompetenzen genutzt. Zudem werden die Arbeitsplätze um digitale Lernumgebungen erweitert. Dabei werden die Kompetenzen für ein erfolgreiches Arbeiten in einem digitalisierten Umfeld vorausschauend aufgebaut und anforderungsgerecht weiterentwickelt. Das Portfolio von lehr- und lernförderlichen Medien wird um digitale Angebote zur Kompetenz­ entwicklung bereichert.

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Umgang mit Fehlern hinwirken und diesen ihrerseits auch selbst vorleben.

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Handlungsfeld Digitale Prozesse

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Digitale Prozesse

Mitarbeiter werden transparent, frühzeitig und bedarfsgerecht über alle internen Medien informiert. Neben der Beteiligung spielt hier aber auch das Fehler-

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“Für uns im BIBB ist Digitalisierung eine Chance, die Attraktivität unserer Arbeitsplätze und das Institut als attraktiven Arbeitgeber zu fördern sowie für unsere externen Kunden und Partner die Qualität unserer Leistungen auf hohem Niveau zu halten. Aufbauend auf unseren Fachkompetenzen und Ressourcen gestalten wir die Digitalisierung mit Mut und Offenheit und setzen rechtliche sowie politische Vorgaben um”, so die Kernbotschaft des Digitalisierungsverständnisses des BIBB. Zur Erreichung dieser Zielsetzung wurden in den fünf Handlungsfeldern des digitalen Selbstbildes zahlreiche Maßnahmen definiert:

essen der Beschäftigten aus allen Bereichen eingebracht werden. Die von Digitalisierungsmaßnahmen berührten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in die jeweiligen Umsetzungsprozesse inte­griert, um gemeinsam die He­ rausforderungen zu meistern und die Chancen der Digitalisierung Handlungsfeld zu nutzen. ­Zielgruppenorientierung Hierzu gehört auch ein über die Die Digitalisierung wird zur Wei- gesetzlichen Vorgaben hinausgeterentwicklung der Kunden- und hender intensiver Austausch mit Mitarbeiterbindung genutzt. Zudem den Interessenvertretungen im wird die Kundeninteraktion gestärkt, BIBB. Die Mitarbeiterinnen und um mit diesen noch zielgerichteter kommunizieren und sie effizienter in die Wertschöpfung des BIBB integrieren zu können. Auch die Kommunikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird durch digitale Instrumente unterstützt.

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Förderung der ­Arbeitgeberattraktivität

technischen Infrastruktur sowohl im Hard- als auch im Softwarebereich wird das BIBB seine Aufgaben zeit- und ortsunabhängig effizient erledigen können. Grundsätzlich sollen alle Prozesse hinsichtlich ihres Potenzials für eine sinnvolle Digitalisierung analysiert werden.

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m Zuge der Erarbeitung dieses digitalen Selbstbildes wurden in einer hausinternen Projektgruppe im Rahmen eines Workshops zunächst fünf Handlungsfelder identifiziert: “Digitale Prozesse”, “Zielgruppenorientierung”, “Kompetenzentwicklung”, “Führung” und “Veränderung mit Beteiligung”. Diese sind nicht isoliert zu betrachten, sondern sind gewissermaßen Fundament, Wände und Dach eines integrierten digitalen Selbstbildes bzw. -verständnisses. In einem nächsten Schritt wurden hieraus die strategischen Digitalisierungsziele abgeleitet. Die gemeinsame Stoßrichtung all dieser Digitalisierungsmaßnahmen kommt in einer Präambel zum Ausdruck: “Mit der Digitalisierung erbringen wir unsere Leistungen auf hohem Niveau und fördern die Mitarbeiterorientierung im BIBB. Wir nutzen unsere Expertise, um die Digitalisierung mit Mut und Offenheit im Rahmen der rechtlichen und politischen Vorgaben zu gestalten.”

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(BS/Guido Gehrt) Die Digitalisierung der Arbeitsprozesse bzw. die Gestaltung des digitalen Wandels ist eines der zentralen Ziele der Strategie 2025 des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Hierdurch will man ein attraktives, zukunftsfähiges Arbeitsumfeld gestalten und die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen im BIBB aufgaben- und mitarbeiterorientiert gestalten. Als Grundlage für diesen Transformationsprozess dient ein “digitales Selbstbild”, in welchem das Institut sein Verständnis der Digitalisierung niedergeschrieben und als verbindlich beschlossen hat.

Im Rahmen eines hausinternen Diskussionsprozesses wurden im BIBB fünf Handlungsfelder als Grundlage der Digitalisierung des Instituts definiert. Grafik BS/BIBB

management eine wichtige Rolle. So sollen bei der Umsetzung und Einführung von Digitalisierungsprojekten die Führungskräfte im BIBB auf einen konstruktiven

Das BIBB als modernes und digitales Institut “Mit der Erarbeitung unseres digitalen Selbstbildes und den daraus abgeleiteten strategischen Zielen haben wir in den Arbeitsprozessen einen wichtigen Grundstein für das BIBB als digitales Institut gelegt. Besonders stolz macht mich, dass dies in einem breit angelegten hausinternen Projekt gelungen ist, sodass wir mit Fug und Recht sagen können: Das ist unser Digitales Selbstbild, das uns fortan bei allen Digitalisierungsmaßnahmen leiten wird”, erklärt Andreas Schuldenzucker, der als Leiter der Zentralabteilung im BIBB für die digitale Transformation des Instituts verantwortlich ist.


50 Jahre BIBB

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Aus der Theorie in die Praxis Attraktive Berufsbildung beginnt bei einer gut aufgestellten Forschung (BS/Prof. Dr. Hubert Ertl) Die Aufgaben des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) werden in Paragraf 90 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) beschrieben. Forschung nimmt dort eine prominente Stellung ein und wird separat definiert. Die Forschungsarbeiten des Instituts stellen die Grundlage für die Gestaltung der Berufsbildung und für die Politikberatung dar. Dies war ein wesentlicher Anlass zur Gründung des Instituts vor 50 Jahren.

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ie Erkenntnisse unserer Forschung fließen in die Berufsbildungspraxis in Betrieben und Schulen ein und natürlich in die Gestaltung von Aus- und Fortbildungsberufen – also in die sogenannte Ordnungsarbeit. Auch leiten wir daraus Handlungsempfehlungen für die Politik ab. Womit beschäftigt sich Forschung im BIBB? Ein zentrales Forschungsfeld bildet die duale Berufsausbildung. Kennzeichnend für die duale Berufsausbildung ist, dass sie an zwei Lernorten durchgeführt wird, nämlich in beruflichen Schulen und im Ausbildungsbetrieb, wobei das BIBB als Bundeseinrichtung vor allem für die betriebliche Ausbildung zuständig ist. Hierbei betrachten wir folgende Bereiche: • die Übergänge in Ausbildung und Beruf: Warum entscheiden sich junge Menschen für eine Ausbildung? Welche Voraussetzungen bringen sie für einen bestimmten Beruf mit? Welche Berufe sind zukünftig gefragt? Was sind Vorund Nachteile von beruflichen im Vergleich zu akademischen Berufsabschlüssen? • die Ausgestaltung der betrieb­ lichen Ausbildung: Was muss in der Ausbildung gelernt werden, damit die angehenden Fachkräfte für zukünftige Anforderungen im Berufsleben gut gerüstet sind? Über welche Kompetenzen müssen Ausbilderinnen und Ausbilder verfügen? Wie viel kostet eine Berufsausbildung? • die Berufe selbst: Wie ändern sich die Anforderungen in den Berufen, zum Beispiel im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt? Wie sieht das Weiterbildungsverhalten in Deutschland aus? Sind die Berufsabschlüsse verschiedener Länder vergleichbar? Um Antworten auf diese und viele weitere Fragen geben zu können, haben wir Erhebungsinstrumente etabliert, die uns die Dauerbeobachtung relevanter Entwicklungen ermöglichen. Gleichzeitig können auch neue Fragestellungen aufgenommen werden, um auf aktuelle

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it einer systematischen Nachwuchsförderung leistet das BIBB einerseits einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung hochqualifizierter Fachkräfte. Andererseits ist das Konzept darauf ausgelegt, neue Sichtweisen und innovative Ansätze in die Forschungsarbeit einzubringen und die Vernetzung mit Hochschulen voranzutreiben. All das soll die Berufsbildungsforschung stärken. Diese ist im Berufsbildungsgesetz (BBiG) als zentrale Aufgabe des BIBB verankert. Bereits 2005 wurden am BIBB nach einer Evaluation durch den Wissenschaftsrat Promotionsstellen eingerichtet. In einer späteren Evaluation 2016/2017 wurde die Entwicklung durch den Wissenschaftsrat ausdrücklich gewürdigt und ein Ausbau der Bemühungen um Nachwuchsförderung empfohlen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) legte in einem Leitlinienpapier den Grundstein für die Einrichtung von Nachwuchsgruppen für exzellente Postdoktoranden (Postdocs) im Geschäftsbereich des Forschungsdirektors. Das BIBB reagierte mit einer umfassenden Strategie, die eine effektive und kontinuierliche Graduiertenförderung ermöglichen

BIBB-Datenreport (BS) Eine evidenzbasierte Politikberatung ist auf Daten und Fakten angewiesen. Hierzu hat das BIBB 2009 mit dem Datenreport eine zentrale Grundlage geschaffen. Er ist eine Ergänzung des im Berufsbildungsge­ setz verankerten und seit 1977 jährlich er­ scheinenden Berufsbildungsberichtes der Bundesregierung. Die Indikatoren und Analysen zur beruflichen Aus- und Weiterbildung beschreiben die aktuelle Lage und Entwicklungen und machen Herausforderungen und Handlungsbedarfe sichtbar. Sie bilden die Basis der jährlichen Debatten über die aktuelle Ausbildungsmarktlage. Als ein wich­ tiges Instrument der Berufsbildungsberichterstattung fließen in den Datenreport nicht nur Erkenntnisse aus der Berufsbildungs­ forschung ein, sondern es werden auch neue Forschungsbedarfe aufgezeigt. Gerade die Verzahnung von Forschung und Monito­ ring gilt es in Zukunft weiter auszubauen.

Gegebenheiten schnell reagieren zu können. So haben wir Fragen zu den akuten Auswirkungen der CoronaPandemie beispielsweise in unserem BIBB-Qualifizierungspanel ergänzt. Um diese und andere Daten langfristig zu sichern und weiterer Nutzung zuzuführen, haben wir ein Forschungsdatenzentrum etabliert (siehe Infokasten).

Anschauliche Beispiele Gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schauen wir mit unseren “Modellrechnungen der Qualifikationsund Berufsfeldprojektionen” in die Zukunft. Mit ihnen können wir verschiedene Szenarien modellieren, um Auswirkungen auf die berufliche Bildung besser abschätzen zu können. So können wir beobachten, wie sich der Fachkräftebedarf in einzelnen Berufen unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen – wie die zunehmender Digitalisierungen oder Elektromobilität – entwickelt. Daraus können wir dann Empfehlungen für die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung ableiten. Ein wichtiges Themenfeld unserer Forschung stellt auch die Untersuchung von Kosten und Nutzen der Berufsbildung dar. Ein Thema, das vor allem international auf große Nachfrage stößt. In Ländern, in denen die duale Be-

rufsbildung der Politik als Vorbild dient, braucht es Argumente für Unternehmen, sich mehr in der Berufsausbildung zu engagieren. Die Berechnung von Kosten und Nutzen zeigt, in welchem Maß Unternehmen finanzielle Vorteile aus ihrem Engagement schöpfen können und inwieweit Ausbildung für Unternehmen eine lohnende Investition darstellt. Hieraus ergeben sich wichtige Grundlagen für die Ausbildungsentscheidungen von Unternehmen. Das BIBB kann auf der Grundlage seiner Dauerbeobachtungsinstrumente kurzfristig auf Bedarfe der Politik reagieren. Als eines der aktuelleren Beispiele sei die Diskussion um die Mindestausbildungsvergütung genannt. Hier hat das BIBB wesentlich dazu beigetragen, das Delta zwischen den Fragen a) wie hoch die Mindestvergütung mindestens sein sollte, damit möglichst viele Auszubildende davon profitieren, aber auch b) wie hoch sie höchstens sein sollte, damit Betriebe sich nicht aus der Ausbildung zurückziehen, zu bestimmen und einzugrenzen.

Zentrale Forschungsfelder Für die nächsten Jahre haben wir unsere Forschungsarbeiten in fünf zentrale Fragenbereiche gebündelt, sogenannte Themencluster, damit

sie mit einem gezielten Ressourceneinsatz bearbeitet werden können. Im Themencluster “Digitale Transformationen – Zukunft beruflicher Bildung und Arbeit” führen wir unsere Forschung zu den Auswirkungen der Digitalisierung fort. Dabei interessiert uns, wie sich Berufe verändern und was wir daraus für die Aus- und Weiterbildung ableiten können. Im Themencluster “Betriebliches Entscheiden und Handeln” analysieren wir die Einflussfaktoren betrieblicher Qualifizierung und die Entscheidungsprozesse rund um die Rekrutierung von Personal, um Aus- und Weiterbildung auch in Zukunft für Betriebe attraktiv gestalten zu können. Im Themencluster “Berufliches Lernen” untersuchen wir Bildungsbedingungen, Lernformen und Konzepte des Lernens im Prozess der Arbeit. Daraus werden Empfehlungen für förderliche Lernumgebungen und Lernsituationen in der beruflichen Bildung abgeleitet. Im Themencluster “Berufsorientierung und Übergänge – Integration in Ausbildung und Beruf” werden Berufswahlprozesse und berufliche Entscheidungen junger Menschen vor dem Hintergrund regionaler und beruflicher Charakteristika erforscht. Die erzielten Ergebnisse tragen dazu bei, Chancenunterschiede bei Zugängen zu beruflicher Bildung zum Beispiel aufgrund von sozialen Ungleichheiten auszugleichen.

Prof. Dr. Hubert Ertl ist Forschungsdirektor und Ständiger Vertreter des Präsidenten. Foto: BS/BIBB

Mit unserem Themencluster “Berufliche Segmentierung in der Ausbildung” beschreiten wir neue Wege. Ziel des Clusters ist es, ein differenziertes Bild der Berufslandschaft zu entwickeln, um Zugänge zu verschiedenen Berufssektoren und deren längerfristige Konsequenzen für Lernende identifizieren und beeinflussen zu können.

Struktur des Geschäftsfeldes Neben der Forschungsarbeit im engeren Sinne werden in unserer Forschungsabteilung statistische Daten erhoben und ausgewertet. Diese Arbeiten bilden u.a. die Grundlage für den Datenreport zum Berufsbildungsbericht der Bundesregierung (siehe Infokasten). Zudem gibt es in allen anderen Abteilungen des BIBB – wenn auch zu einem kleineren Anteil – Forschung. Insgesamt ist die Forschung im BIBB dem Prinzip der Interdisziplinarität verpflichtet. Neben Berufs- und Wirtschaftspädagogen forschen Psychologen, Soziologen, Politologen und andere Geisteswissenschaftler. Mit der Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und

Forschung (BMBF) bauen wir derzeit unsere Nachwuchsförderung weiter aus. In unserem Graduiertenförderungsprogramm werden über 20 Promovenden finanziell unterstützt und durch ein breites Qualifizierungsprogramm ausgebildet. Ziel ist es, sie sowohl auf eine akademische Karriere als auch auf das Aufgabenfeld in einer Ressortforschungseinrichtung vorzubereiten. Zudem sind wir mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen eng vernetzt. Unsere Kolleginnen und Kollegen engagieren sich in der Lehre. Meine eigene Position wurde in gemeinsamer Berufung mit der Universität Paderborn besetzt. Derzeit befinden wir uns in zwei Ausschreibungsverfahren für gemeinsame Berufungen zu Juniorprofessuren an der TU Kaiserslautern und mit der Universität zu Köln. Zudem arbeiten wir eng mit unseren internationalen Partnerinstitutionen zusammen. Nicht zuletzt durch diese Vernetzung erhoffen wir uns, auch in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zur Forschungslandschaft und zur Weiterentwicklung einer attraktiven Berufsbildung zu leisten.

Das Forschungsdatenzentrum im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB-FDZ) (BS) Als Teil der deutschen Forschungsdatenin­ frastruktur stellt das BIBB-FDZ seit 2008 der nicht-kommerziellen Forschung anonymisierte Forschungsdaten für Auswertungen zur Verfü­ gung. Das Datenangebot umfasst aktuell rund 80 Datensätze. Diese decken thematisch alle Statio­ nen eines idealtypischen (beruflichen) Bildungs­ verlaufs ab. Sie reichen von der Schule über die “1. Schwelle” (Übergang in die Berufsausbildung), die Berufs­ ausbildung und die “2. Schwelle” (Übergang in

den Arbeitsmarkt) bis hin zur Berufstätigkeit und Weiterbildung. Dieses breite thematische Spekt­ rum wird durch verschiedene Erhebungsdesigns (Quer- und Längsschnitt) sowie Befragungsein­ heiten (Personen und Betriebe) komplettiert. Damit steht Forschenden eine Vielzahl an Analy­ semöglichkeiten zur Verfügung. Der Zugang zu den Forschungsdaten des BIBB-FDZ ist standar­ disiert und transparent. Bisher haben mehr als 900 externe Forschungsprojekte aus dem In- und Ausland die Daten genutzt.

Investition in die Zukunft

Arbeiten; Forschungsfragen sollen aktuelle Relevanz für die Berufsbildungspolitik oder -praxis haben.

Graduiertenförderung im BIBB fußt auf drei Säulen

Gemeinsames Fundament ausbauen

(BS/Benjamin Stiebel) Wissenschaftlicher Nachwuchs ist das Fundament für Kompetenz und Qualität in der Forschungsarbeit. Die Förderung des Nachwuchses ist deshalb ein notwendiges Investment, besonders in Zeiten großer Konkurrenz um die besten Köpfe. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hat seine Nachwuchsförderung als wichtige Voraussetzung zur Erfüllung seiner Forschungsaufgaben ausgeweitet und auf eine systematische Grundlage gestellt. Basis ist ein breit angelegtes Qualifizierungsprogramm für alle Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Darauf bauen spezifische Säulen der Graduiertenförderung auf.

Graduierende aus allen Säulen profitieren vom Qualifizierungsprogramm. Darin werden Kompetenzen vermittelt, die für die Arbeit in Ressortforschungseinrichtungen und für eine wissenschaftliche Karriere im Allgemeinen relevant sind. Hier gibt es Angebote zur Methodenschulung, Theorieentwicklung und zum Wissenstransfer in Politik und Praxis. Das Programm ist modular aufgebaut und damit zeitlich flexibel und in gewissem Grad individualisierbar. Allen Nachwuchswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen soll hier eine fundiere Einführung in das interdisziplinäre Arbeiten gegeben werden. Hierdurch sollen die Graduierenden mit unterschiedlichen disziplinären und methodischen Hintergründen ein gemeinsames Grundverständnis zur Berufsbildungsforschung erlangen. So trägt das BIBB nicht nur zur Ausbildung der nächsten Generation von hochqualifizierten Fachkräften bei, sondern stellt auch sicher, dass die verschiedenen Zugänge im Bereich der Berufsbildungsforschung kompatibler werden.

soll und die Besonderheiten der Berufsbildungsforschung berücksichtigt. Schließlich ist sie weniger eine eigenständige Disziplin. Vielmehr werden die Forschungsgegenstände “Beruf” und “Berufsbildung” aus vielen unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Das stellt besondere Anforderungen an die Nachwuchsförderung, die die große methodische, thematische und institutionelle Vielfalt in dem Bereich berücksichtigen muss.

einer oder einem Postdoc geleitet, die oder der in den letzten sechs Jahren promoviert hat. Die Stellen werden für drei Jahre ausgeschrieben, mit Verlängerungsmöglichkeit um ein Jahr. Die Leitungsstelle wird um ein halbes Jahr länger finanziert. Die Gruppen sind formal beim Forschungsdirektor des BIBB, Prof. Dr. Hubert Ertl, angesiedelt

Aller guten Dinge sind drei Die Graduiertenförderung im BIBB umfasst drei Säulen: die Förderung in den Arbeitsbereichen des BIBB, in größeren Forschungsprojekten und in den neu eingerichteten Nachwuchsgruppen: Die Nachwuchsgruppen bestehen aus drei Personen und werden von

Mit Graduiertenförderung zur nächsten Generation qualifizierter Fachkräfte. Foto: BS/cocosa007, pixabay.com

und sollen eigenständig Forschung betreiben, die auf Praxisrelevanz abzielt. Ausdrücklich erwünscht ist eine inhaltliche Vernetzung mit der Forschung an Hochschulen. Eine weitere Säule der Graduiertenförderung ist stärker in die Beforschung der BIBB-Themencluster integriert. Hier wird für größere Projekte, die meist Teil des Jahres-

forschungsprogramms sind, ein Pool von sechs Promotionsstellen und drei Studentischen Hilfskräften gebildet. Die Projekte sind in der Regel längerfristig angelegt und beinhalten häufig abteilungsübergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die Projektleitung obliegt etablierten Forscherinnen und Forschern des BIBB. Der Nachwuchs lernt so den strukturierten Projektzusammenhang im Rahmen der Berufsbildungsforschung am BIBB kennen. Die dritte Säule, Graduiertenförderung in den Arbeitsbereichen, ist die direkte Fortsetzung der Doktorandenförderung im BIBB durch Promotionsstellen. Es gibt hier eine direkte Anbindung an Forschungsprojekte oder an Daueraufgaben des BIBB. Ausdrücklich erwünscht ist eine Überschneidung von Promotionsarbeiten mit laufenden


50 Jahre BIBB

Behörden Spiegel / Dezember 2020

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ig Data, Vernetzung und Automatisierung – die verschiedenen Aspekte der Digitalisierung wirken sich massiv auf die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst und ihre Tätigkeiten aus. Für das Bestandspersonal wird deshalb auf Bundesebene über einen sogenannten Digitalisierungstarifvertrag diskutiert, in dem unter anderem Weiterbildungsansprüche garantiert werden sollen, wenn durch die Digitalisierung von Prozessen Tätigkeiten wegfallen. Und für Nachwuchskräfte?

Berufe zukunftsfähig gestalten Ordnungsarbeit in Aus- und Fortbildung / strukturelle Besonderheiten bei Pflegeberufen (BS/Jörn Fieseler) 325 staatlich anerkannte Ausbildungsberufe gibt es in Deutschland: von A wie Änderungsschneider über V wie Verwaltungsfachangestellter bis Z wie Zweiradmechatroniker. Deren Ausbildungsinhalte im Blick zu behalten und an sich wandelnde Anforderungen wie die Digitalisierung anzupassen, ist eine der Kernaufgaben des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). 133 der 325 Ausbildungsordnungen wurden in den letzten Jahren überarbeitet. Und auch bei den Pflegeberufen gibt es seit 2020 neue Aufgaben für das BIBB.

Eine Blaupause liegt vor Hier werden neben dem Kaufmann für Büromanagement weiterhin Verwaltungsfachangestellte ausgebildet. Bei letzteren ist die Ausbildungsordnung schon sehr alt und sollte aktualisiert werden. “Hier könnte eine Analyse der Ausbildung zum Industriekaufmann als Blaupause dienen, die sich auf den Öffentlichen Dienst übertragen lässt”, unterstreicht Dr. Monika Hackel, die Leiterin der Abteilung “Struktur und Ordnung der Berufsbildung” im BIBB – der Abteilung, die sich mit der Ordnungsarbeit aller Ausbildungsberufe sowie der Beobachtung und Erforschung des Ausbildungsgeschehens in Deutschland befasst. Denn beide Berufe seien generalistisch angelegte Querschnittsberufe, die bundesweit ausgebildet würden. Erst im letzten Jahr der Ausbildung erfolge eine spezifische Vertiefung der beruflichen Handlungsfähigkeit. Auf diese Weise könnten Fachkräfte qualifiziert werden, die einerseits als Generalisten und Generalistinnen den Überblick über die gesamten Prozesse besäßen und andererseits in einem Bereich besonders befähigt

Mit dem Pflegeberufegesetz hat das BIBB Aufgaben außerhalb des dualen Bildungssystems erhalten. Doch auch hier gilt es, mit allen Akteuren bei der Ordnungsarbeit Hand in Hand zusammen­ zuarbeiten. Foto: BS/truthseeker, pixabay.com

seien. Allerdings ist die Industrie bei der Digitalisierung von Prozessen schon viel weiter. “Der Weg wird zu Cloud-Lösungen hingehen, sei es im HR-Bereich oder mit anderen Daten, weil es einfach noch viel schneller und effektiver und effizienter machbar ist”, sagt etwa eine Fachkraft Personal aus einem Großunternehmen in dem Forschungsbericht “Berufsbildung 4.0 – Fachkräftequalifikationen und Kompetenzen für die digitalisierte Arbeit von morgen: der Ausbildungsberuf “Industriekaufmann/kauffrau” im Screening” des BIBB. Außerdem hat die Projektarbeit an Bedeutung gewonnen. “Es ist schnelllebiger geworden. Man muss sich schnell in komplexe

Themen reindenken”, beschreibt eine Fachkraft aus der Personalbetreuung eines mittelständischen Unternehmens den Arbeitsalltag. Dazu gehört, Projekte eigenständig zu planen, durchzuführen und zu kontrollieren. Im Gegenzug wird die Übernahme von Assistenzfunktionen immer weniger werden. Ein Trend, der sich im Zuge des E-Governments und der Umstellung auf digitale Workflows bei den Verwaltungsfachangestellten wiederholen wird. “Künftig wird die Aufgabe als interner Organisator und Schnittstellenmanager an Bedeutung gewinnen”, prognostiziert Hackel für die Verwaltung. Denn viele Prozesse seien trotz aller Unterschiede zwischen Privatwirtschaft

und Öffentlichem Dienst vergleichbar, sodass sich die Ergebnisse aus dem Berufsscreening auf die Verwaltungsfachangestellten und auf den Kaufmann für Büromanagement übertragen ließen. Des Weiteren haben die Forschungen im Bereich der Industriekaufleute ergeben, dass Aus- und Fortbildung systematischer zu verzahnen sind. Es bedarf neuer Laufbahnkonzepte und der Einrichtung von Fachkarrieren. Dies trifft für den Öffentlichen Dienst gleichermaßen zu. Im Zuge der Aufgabenveränderungen wird der Bedarf an Fachkräften auf Spezialistenniveau stärker ansteigen als der Bedarf von Fachkräften auf der mittleren Fachkräfteebene. Außerdem ist es ein Attraktivitätsgewinn für die Berufsbildung, wenn berufliche Fortbildung im Rahmen bundeseinheitlicher Regelungen stärker genutzt und von öffentlichen Arbeitgebern im Rahmen einer durchlässigen Laufbahnplanung anerkannt wird. Die Erarbeitung und Modernisierung von Aus- und Fortbildungsregelungen nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) und der Handwerksordnung (HwO) ist Aufgabe der Sozialpartner und Verordnungsgeber. Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, bestehend aus Sachverständigen und Koordinatoren, müssen sich

in einem vom BIBB moderierten Verfahren zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern der zuständigen Bundesressorts sowie der Kultusministerkonferenz um Konsens bemühen.

Neues Aufgabenfeld: ­Pflegeberufe Anders bei den Pflegeberufen nach dem Pflegeberufegesetz (PflBG). Hier liegt die Zuständigkeit beim Familienministerium (BMFSFJ) und im Gesundheitsressort (BMG). Zudem sieht das PflBG die Einbindung der

Sozialpartner nicht vor. Überhaupt stellen die Pflegeberufe für das BIBB eine neue Aufgabe dar. “Das Aufgabenspektrum erstreckt sich über die Bereiche Praxisunterstützung und Forschung”, erläutert Hackel. Einerseits geht es um die Unterstützung bei der Ordnungsarbeit der Pflegeberufe durch die Begleitung der eigens hierzu eingesetzten Fachkommission. Andererseits geht es darum, Hilfeleistung für die Praxis in Form von Informations- und Beratungsangeboten zu geben. Darüber hinaus wird im Bereich Forschung nicht nur das Ausbildungsgeschehen hinsichtlich der Ausbildungszahlen analysiert, sondern auch hinsichtlich der Anforderungen an den Beruf. Auch hier spielt die Digitalisierung eine zunehmende Rolle. Darüber hinaus ergibt sich für das BIBB die Möglichkeit, aktuelle Entwicklungen systemübergreifend zu betrachten.

Aus der Praxis für die Praxis Die Bereitstellung von Informationen, praktischen Anregungen und Tipps zur Unterstützung der Ausbilderinnen und Ausbilder in ihrer täglichen Ausbildungsarbeit ist ein wichtiges Anliegen des BIBB. Das BIBB kommt diesem Anspruch unter anderem nach • mit dem Portal für betriebliche Ausbilderinnen und Ausbilder unter www.foraus.de,

• mit der BIBB-Reihe “Ausbildung gestalten” (Print und Online) unter www.bibb.de/de/654.php, • mit dem Prüferportal www.prueferportal.org – der Informationsplattform für aktive und ­zukünftige Prüferinnen und Prüfer – sowie

• ganz neu mit Informationen, Tipps und Hinweisen rund um die neue, generalistische Pflege­ ausbildung unter www.bibb.de/pflegeberufe.

Medienkompetenz vermitteln

den, werden die MIKA-Seminare im Fundament für die Medienkompesogenannten “Blended-Learning- tenz gelegt wird, plant das BIBB, in Format”, also einer Kombination der Lernwelt eine Lernplattform zu aus Präsenzveranstaltung und Web- implementieren, die Basiswissen Seminaren, angeboten. Besonders und Grundkompetenz zur Medi(BS/Bennet Klawon) Ob nun die Handelskauffrau E-Commerce-Vertriebswege nutzt, der Mechatronikerazubi sich Schrauben wichtig ist in diesen Seminaren die enpädagogik vermittelt. Das im mit dem 3-D-Drucker erstellt oder eine Grafikerin ein Magazin ausdruckt. Die Entwicklung der Arbeitswelt ist geprägt von Di- Selbstlernphase, bei denen sich die Selbststudium Erlernte soll dann gitalisierung und vernetzten Arbeitsprozessen. Die sichere Mediennutzung ist dabei eine der neuen wichtigen Berufsanforde- Ausbildenden autonom über die in den Präsenzveranstaltungen an rungen. Doch auch diese will gelernt sein. Um dies zu vermitteln, braucht es medienkompetente Ausbilderinnen und Ausbilder. Lerninhalte informieren und Basis- konkreten Ausbildungssituationen Dafür sorgt das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). kompetenzen aneignen. Die vom und unter der Berücksichtigung der BIBB entwickelte “MIKA-Lernwelt” eigenen betrieblichen Möglichkeiurch die Verknüpfung von sen sowohl das Verstehen didak- die Sozialpartner geeinigt haben, dung. Das hat zur Folge, dass der soll dabei die Selbstlernphase unter- ten angewendet und geübt werden. analogen und digitalen Ar- tischer Konzepte in verschiedenen greift dies auf. Standardberufs- Einsatz von digitalen Medien häufig stützen und das bisherige Angebot Schlussendlich sollen die Seminarbeitsmitteln nimmt auch die Lehr-/Lernszenarien als auch die kri- bildpositionen legen fest, welche nur zufällig, personenabhängig und im Ausbilderportal des BIBB unter teilnehmenden nicht nur über Basiskompetenzen verfügen, sondern Nutzung von digitalen Medien zu. tische Reflexion des Medienwandels Inhalte und Lernziele in Zukunft in in der Fläche unsystematisch erfolgt. www.foraus.de ergänzen. Dies hat zur Folge, dass das Thema in der Gesellschaft. Insbesondere allen Ausbildungsberufen vermittelt Die Lernwelt befindet sich jedoch auch eine individuelle Toolbox mit Innovatives Seminarkonzept Medienkompetenz in der Ausbil- die Berücksichtigung der jeweiligen werden sollen. Diese gelten ab Aunoch in der konzeptionellen Phase digitalen Medien erstellt haben, die wird erprobt dung immer mehr an Bedeutung organisatorischen, rechtlichen und gust 2021. Ein Lernziel ist dabei das und wird voraussichtlich ab Mitte sie jederzeit anpassen und erweitern gewinnt. Dies gilt in besonderem sozialen Rahmenbedingungen in “sichere, effiziente und demokratiDas vom Bundesministerium für 2021 bereitgestellt. Damit ein gutes können. Maße für Unternehmen, die Mitar- den Betrieben ist eine notwendige sche” Agieren in einer “digitalisierten Bildung und Forschung (BMBF) gebeiterinnen und Mitarbeiter in me- Bedingung für eine erfolgreiche Arbeitswelt”. förderte Projekt “MIKA-Seminare” dienanwendenden und medienpro- Medienintegration. “Berufliche Jedoch liegt in jeder Herausforde- soll genau dort Abhilfe schaffen. duzierenden Berufen beschäftigen. Medienkompetenz ist eine Grund- rung zugleich auch eine Chance. Di- MIKA steht dabei für Medien- und voraussetzung für alle Beschäf- gitale Medien im Ausbildungsalltag IT-Kompetenz für AusbildungspersoMedien gewinnbringend tigten im digitalen Arbeitsalltag. sind zwar weit verbreitet, doch wird nal. Das Projekt wird im Rahmen der einsetzen Allerdings ist Medienkompetenz das didaktische Potenzial oftmals “Qualifizierungsinitiative Digitaler Die Herausforderung für Ausbilde- in unterschiedlichen Arbeitsfeldern nicht gänzlich ausgeschöpft. Dabei Wandel – Q 4.0” des BMBF gefördert. rinnen und Ausbilder besteht darin, unterschiedlich ausgeprägt und eng bieten sich neue Möglichkeiten des Innerhalb der Initiative sollen innovadie Ausbildungsinhalte entspre- an die Arbeitsaufgabe gebunden“, Lehrens und Lernens. Die Gründe, tive Weiterbildungsmodule zur Stärchend anzupassen. Doch nur wer betont Dr. Monika Hackel, Leiterin warum dieses Potenzial nicht abge- kung der Medien- und IT-Kenntnisse medienkompetent ist, kann auch der Abteilung “Struktur und Ord- rufen wird, können vielfältig sein: des Ausbildungspersonals entwickelt Medien konkret, sinnvoll und ge- nung der Berufsbildung“ im BIBB. Fehlendes Know-how, Unsicher- und getestet werden. Ein Branchen winnbringend im Ausbildungsalltag Auch die Modernisierung der so- heiten bei rechtlichen Vorgaben übergreifendes und bundesweit (BS/Kai Steinbrecher*) “Du bist in der Spitzengruppe und einsetzen. Die medienpädagogi- genannten Standardberufsbildpo- oder Unkenntnis der didaktischen einheitliches Seminarkonzept soll läufst mit den Großen!” Der Satz flößte Hajo Respekt ein. Er schen Herausforderungen umfas- sitionen, auf die sich das BIBB und Einsatzmöglichkeiten in der Ausbil- ab Sommer 2021 einsetzbar sein. sollte gegen die Jungs aus der Oberstufe laufen? Hajo hatte hart trainiert, aber das war eine Nummer zu groß: Zehn km geDie MIKA-Seminare werden momentan an fünf Standorten in gen die besten Läufer der Schule? “Training und Top-AusrüsKooperation mit mehreren Handtung – dann ist alles tipptopp vorbereitet”, sagte Hajos Vater werks- sowie Industrie- und Handelsund schenkte ihm die besten und bequemsten Laufschuhe, die er je getragen hatte. Hajo gewann den Lauf. Ein Riesenerfolg. kammern getestet. In den Seminaren sollen sechs ineinander inhaltlich verschränkte Lernfelder nähergeUnd was machen Ihre Projekte? Die ibo Akademie versorgt Sie bracht werden. Diese sind “Digitale Tipptopp vorbereitet wie bei Hajo? mit fachlicher Expertise und ibo Welt verstehen“, “Daten schützen Laufen Sie bestens trainiert mit Software stattet Sie mit passender einer Top-Ausrüstung los? Mit ibo und technisch exzellenter Softund sicher agieren”, “Kommunizieren können Sie Ihr Projektmanage- ware aus. Das BIBB ist losgelaufen und Kooperieren“, “Inhalte suchen – tipptopp vorbereitet: Projekte ment tipptopp vorbereiten: und verarbeiten”, “Inhalte erstellen werden dort seit einigen Jahren und teilen” und “Probleme lösen sehr erfolgreich mit ibo netPround Reflektieren”. Konkret heißt dies ject gemanagt. Glückwunsch zum zum Beispiel Datenschutz und IT50-jährigen Bestehen! Sicherheit berücksichtigen, Bewerten von ausbildungsrelevanten Inhal*Kai Steinbrecher ist Produktmaten oder den Arbeitsprozess digital Nur wer medienkompetent ist, kann auch Medien konkret, sinnvoll nager Projektmanagementsysteme organisieren. Da die Seminare für und gewinnbringend einsetzen. Foto: BS/BIBB bei ibo Software. die Ausbilderinnen und Ausbilder meistens berufsbegleitend stattfin-

Nur wer weiß, wovon er spricht, kann es lehren

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Auf die Plätze, ­fertig, los!

Fachliche und technische Expertise beim Projektmanagement


50 Jahre BIBB

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Mit Orientierung ins Berufsleben Mit den Programmen BOP und BOF Potenziale erkennen und richtig einsetzen (BS/Thomas Petersdorff) Für einen jeden startet der berufliche Werdegang in der Schule, wo die Voraussetzungen für den späteren Lebensweg geschaffen werden. Doch entwickeln sich Interessen und Potenziale in unterschiedliche Richtungen und so allgemein der Einstieg ins Bildungssystem, so individuell ist der Verlauf bis hin zur ersten Station im Arbeitsleben. Mit Berufsorientierungsprogrammen für Jugendliche und Zugewanderte unterstützt das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) Schülerinnen und Schüler sowie Migrantinnen und Migranten, eigene Stärken zu erkennen, um den Übergang in die berufliche Praxis zu ebnen.

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ange aufgeschoben, letztlich aber doch unausweichlich – die Frage: “Was will ich später eigent­ lich machen?”. Für viele Schülerin­ nen und Schüler gestaltet sich der Auftakt in die Phase der näheren Berufsqualifizierung bisweilen etwas holprig. Mangelnde Orientierung erschwert die Entscheidung, was nach der Schule kommen soll. Der Weg an die Hochschule oder doch eine Ausbildung? Manch einer er­ greift ein Studium, nur um später zu merken, dass sie bzw. er mehr praktisch veranlagt ist. Doch muss es dahin gar nicht erst kommen. Mit dem Programm zur “Förderung der Berufsorientierung in überbe­ trieblichen und vergleichbaren Be­ rufsbildungsstätten” (BOP) hat es sich das BIBB zur Aufgabe gemacht, den Übergang von der Schule ins Berufsleben zu erleichtern. 2008

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echnologien und Prozesse ent­ wickeln sich in der heutigen Ar­ beitswelt rasant weiter. Besonders KMU haben es schwer, stets mit dem aktuellen Entwicklungsstand mitzuhalten und diesen adäquat in der Ausbildung zu vermitteln. Überbetriebliche Berufsbildungs­ stätten greifen den Unternehmen hier mit entsprechenden Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebo­ ten unter die Arme. Als zuverlässige Partner der Betriebe unterstützen sie häufig im Handwerk, in der In­ dustrie und Landwirtschaft sowie weiteren Wirtschaftsbereichen. Über 1.000 solcher Bildungsstätten gibt es bundesweit – das sind doppelt so viele wie Hochschulen im Land. Seit Beginn der Förderung durch das BIBB im Jahr 1978 wurden die Berufsbildungsstätten mit über 2,3 Milliarden Euro aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt. 72 Millionen Euro flossen allein im vergangenen Jahr. Mit den Geldern wurde zunächst der Aufbau einer ÜBS-Infrastruktur in den westlichen und später in den östlichen Bundes­ ländern unterstützt und fortlaufend an aktuelle Anforderungen ange­

durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ins Leben gerufen, begleitet BOP junge Menschen bei der Gestaltung ihrer beruflichen Zukunft. Mehr als 3.000 Schulen und über 300 Bildungsstät­ ten sind als Kooperationspartner an BOP beteiligt. In den zwölf Jahren seines Bestehens hat das Programm so mehr als 1,5 Millionen Schüler im gesamten Bundesgebiet erreicht. Als Angebot für Mädchen und Jun­ gen zwischen 13 und 14 Jahren ist BOP in der Wahl seiner Förderin­ strumente praxisorientiert. Statt ei­ ner Belehrung über qualifikatorische Erfordernisse erfolgt der Einstieg über die Potenzialanalyse, ein Ver­ fahren zur Messung individueller Stärken, betreut durch Fachkräfte der regionalen Bildungsträger. Ziel ist es, eine Situation zu simulieren, in der die Schüler ihre methodischen,

personalen und sozialen Fähigkeiten eigenständig und auf spielerische Art erproben können. Dabei bleibt es nicht bei bloßer Beobachtung, denn wichtiger noch ist das Feed­ back, das den Teilnehmenden ihre Erfolge zurückspiegelt und passende Berufsfelder für die sich anschließen­ den Werkstatttage aufzeigt. Mit diesen gewinnen die Jugend­ lichen einen ersten Einblick in die berufliche Praxis. Geübt wird in Überbetrieblichen Berufsbildungs­ stätten (ÜBS) oder vergleichbaren Berufsbildungsstätten unter Anlei­ tung erfahrener Ausbildungskräfte. Welche Berufsfelder vertieft werden, hängt vom Standort sowie regio­ nalen Branchenschwerpunkten ab. Vorgegeben sind laut BOP-Richtlinie 18 Berufsfelder. Im Zentrum der Werkstatttage steht die individuelle Arbeit, zumeist ein Werkstück oder

Produkt: “Die Jugendlichen sollen möglichst etwas herstellen, was sie dann mit nach Hause nehmen und ihren Eltern und Freunden zeigen können”, sagt Prof. Dr. Michael Heister, Leiter der Abteilung “Initiativen für die Berufsbildung”. Flankiert wird der werkliche Part von Beratungsge­ sprächen. Deren Ziel: Die Jugendli­ chen dafür zu sensibilisieren, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen. Nicht zuletzt geht es darum, Stereotypen zu begegnen. Denn Berufe sind nicht geschlechtlich konnotiert, sondern stehen allen offen; anders gesagt, Berufe sind integrativ. Im Falle des Berufsorientierungsprogrammes ist das wörtlich zu nehmen. Ergänzend zu den Initiativen im Rahmen von BOP bietet das BIBB im Auftrag des BMBF auch eine “Berufliche Orien­ tierung für Zugewanderte” (BOF) an. Diese richtet sich an nicht mehr

Teilnehmer des BOF-Programms mit seinem Ausbilder im Malerbereich Foto: BS/BMBF, Fulvio Zanettini

schulpflichtige Zugewanderte mit Unterstützungsbedarf, die in Lehr­ werkstätten und Betrieben an eine Ausbildung herangeführt werden. Wie BOP setzt BOF auf praktische Selbsterprobung: Haben sich die Teilnehmenden für ein Berufsfeld entschieden, geht es neben der Vermittlung von Fachkenntnissen um den Aufbau sprachlicher Kompe­ tenzen. Die integrierte Vermittlung berufsbezogener Fach- und Sprach­ kenntnisse ist ein zentraler Baustein des Programms. Dafür werden den Teilnehmenden sozialpädagogische Fachkräfte zur Seite gestellt, die

Dritter Pfeiler im dualen System Überbetriebliche Berufsbildungsstätten ergänzen Ausbildung – auch um Digitales (BS/Kilian Recht) Nach einer erfolgreichen Phase der Berufsorientierung führt es praktisch orientierte Jugendliche in die Berufsausbildung, ins duale System. Deutschland ist weltweit bekannt für dieses Modell und gleichzeitig Vorbild für viele Länder. Es lehrt die Praxis im Betrieb, die Theorie in der Berufsschule. Doch es gibt noch eine dritte Komponente, die unterstützt, wenn der Betrieb an seine Grenzen stößt: die Überbetriebliche Berufsbildungsstätte (ÜBS). Mit praxisnahen Lehrgängen sind sie Partner für vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die nicht alle notwendigen Ausbildungsinhalte selbst vermitteln können. passt. Mit der Förderung zur Weiter­ entwicklung zu Kompetenzzentren wurde für die ÜBS eine Möglichkeit geschaffen, ihr fachspezifisches Pro­ fil auszubauen und sich als Leitzen­ tren zu etablieren.

Modernisierungsschub für Digitales angestoßen Das Lernen in den ÜBS verändert sich. Metallbauerinnen und Metall­ bauer lernen das Schweißen heute an Simulatoren, ehe sie ein Schweiß­ gerät nutzen. Malerinnen und Maler mischen Farben mit einem digitalen Farbmischgerät. Um solche Lernin­ halte vermitteln zu können, benöti­ gen die ÜBS entsprechende Technik und Lernkonzepte. Seit 2016 stellt das BIBB dafür einen zusätzlichen

Fördertopf des BMBF für digitale Projekte zur Verfügung. In der ersten Förderphase zur Digitalisierung in der Fachkräfteausbildung wurde 2016 ein erster Modernisierungs­ schub in der überbetrieblichen Aus­ bildung angestoßen. An über 200 ÜBS-Standorten wurden bis Mitte 2020 Werkstätten und Theorieräu­ me digital ausgestattet. Fast 40.000 digitale Ausstattungsgegenstände konnten so angeschafft werden: vom kleinen Gerät, wie Tablets und Virtual-Reality-Brillen, bis zu com­ putergesteuerten Holzzuschnitt­ anlagen und Fütterungsrobotern. Acht Projektteams waren in dem Zeitraum damit betraut, die Einflüsse der Digitalisierung auf verschiedene Berufe zu analysieren und daraus

Anpassungen für die überbetriebli­ che Ausbildung vorzunehmen. In der Folge wurden die Qualifizierungs­ bedarfe der jeweiligen Berufsbilder angepasst, Lehrgänge überarbeitet und Neuerungen bei den Ausbil­ dungsplänen angestoßen. Nach einer erfolgreichen ersten Phase wurde das Sonderprogramm mit neuen Fördermöglichkeiten aus­ geweitet und bis Mitte 2023 verlän­ gert. Bis dahin sollen 224 Millionen Euro in moderne Ausbildungsmittel geflossen sein. Ein weiteres Ziel ist es, die ÜBS und ihre Digitalisierungs­ projekte tiefer in der Fachszene zu vernetzen und ihre Ergebnisse als Good-Practice-Beispiele bereitzu­ stellen. Die ersten Projekte starteten im Herbst dieses Jahres.

“Als überbetriebliche Berufs­ bildungsstätte ist das Elektrobil­ dungs- und Technologiezentrum (EBZ) in Dresden seit vielen Jahren verlässlicher Partner der Betriebe für die berufliche Qualifizierung ihrer Fachkräfte”, erklärt Klaus Franke, ehemaliger Leiter des EBZ. “Nach der Wiedervereinigung haben wir uns in dieser Rolle, auch unterstützt durch die ÜBS-Förderung, fortent­ wickelt, sodass wir heute sowohl in der Region als auch in einem bundesweiten Netzwerk aktiv sind. Nun erfordert es die Digitalisierung, dass wir uns abermals weiterent­ wickeln. Unsere überbetrieblichen Ausbildungsangebote stets pass­ genau und zeitnah an solche Ent­ wicklungen anzupassen, gelang uns

Lernfortschritte dokumentieren, Feedback geben und dafür Sorge tragen, dass im Anschluss eine Aus­ bildungsstelle angetreten werden kann. Ist ein direkter Übergang nicht möglich, bietet BOF weiterführen­ de Qualifizierungsmaßnahmen an. Integration in die berufliche Praxis und Integration durch die berufliche Praxis – es sind zwei Seiten einer Strategie, mit der die BIBB-betreuten und vom BMBF finanzierten Pro­ gramme dem Fachkräftemangel entgegentreten und dazu beitragen, dass Zugewanderte in den Arbeits­ markt eingebunden werden.

nicht zuletzt durch die Förderung des Bundes. Nachdem wir in einem ersten Projekt – gefördert im Son­ derprogramm ÜBS-Digitalisierung – Ausbildungskurse modernisiert haben, können wir uns aktuell mit einem zweiten Projekt noch stärker für eine moderne Ausbildung im Elektrohandwerk engagieren.”

Jenseits der Ausbildung Abseits des Ausbildungsbetriebs werden in ÜBS junge Menschen auf die Arbeitswelt vorbereitet. So för­ dern sie die Berufsorientierung von Schülerinnen und Schülern sowie Geflüchteten mit Werkstatttagen, in denen sie praktische Erfahrun­ gen sammeln können, und bieten Schulabgängern berufs- und aus­ bildungsvorbereitende Maßnahmen an. Zudem verfügen sie über Fortund Weiterbildungsangebote für Fachkräfte. Die Überbetrieblichen Berufsbildungsstätten leisten somit bedeutende Beiträge. “Der dritte Pfeiler des Ausbildungssystems mag zwar weithin unbekannt sein, für die Statik des Systems ist er aber unverzichtbar”, betont Prof. Dr. Michael Heister, Leiter der Abteilung “Initiativen für die Berufsbildung” .

Am Ende profitieren alle Mit Nationaler Strategie gegen Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit (BS/Wim Orth) Der Fachkräftemangel ist schon lange kein reines Schreckgespenst der Zukunft mehr. Gerade im Bereich der digital geschulten Expertinnen und Experten, aber auch in traditionelleren Sparten hat der Öffentliche Dienst zunehmend Pro­ bleme, seine Stellen überhaupt noch besetzt zu bekommen. Und das ist nur der Blick auf die Gegenwart; für die Zukunft sieht das Szenario noch deutlich düsterer aus, wenn in den kommenden Jahren rund ein Drittel aller Beschäftigten in Rente und Ruhestand gehen wird. Um dennoch Nachwuchs zu generieren und gleichzeitig vielen Menschen eine neue Perspektive zu bieten, gibt es seit dem vergangenen Jahr eine Nationale Weiterbildungsstrategie (NWS), die alle Seiten besser für die Zukunft aufstellen soll.

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ie berufliche Weiterbildung gilt als Schlüssel zur Steige­ rung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und gleichzeitig als zentrales Element zur Entfaltung individueller be­ ruflicher Entwicklungspotenziale von Arbeitnehmerinnen und Ar­ beitnehmern. Um die schwindende Fachkräftebasis wieder zu stärken, breiten Bevölkerungsteilen einen beruflichen Aufstieg zu erleichtern und die Beschäftigungsfähigkeit in der sich wandelnden Arbeitswelt zu fördern, wurde im Juni 2019 die Nationale Weiterbildungsstrategie verabschiedet. Sie wird getragen in der Federführung vom Bundesmi­ nisterium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Bundesministeri­ um für Arbeit und Soziales (BMAS) gemeinsam mit dem Bundesminis­

terium für Wirtschaft und Energie (BMWi), der Bundesagentur für Arbeit (BA), den Ländern und den Sozialpartnern. Die Strategie setzt sich aus insgesamt zehn Handlungs­ zielen zusammen. Angestrebt wird darin unter anderem, berufliche Weiterbildungsangebote und För­ dermöglichkeiten transparenter und leichter zugänglich zu gestalten, Programme von Bund und Ländern besser zu verzahnen und eine neue Weiterbildungskultur zu etablieren. Doch da die Arbeitswelt sich in ei­ nem dynamischen Wandel befin­ det, bedarf es auch einer stetigen Weiterentwicklung der Strategie. Diese Aufgabe wurde vom BMBF an das Bundesinstitut für Berufs­ bildung (BIBB) übertragen. Bis En­ de 2023 unterstützt das BIBB die Fortschreibung der Strategie sowie

die Umsetzung und Koordinierung der sich daraus ergebenden Akti­ vitäten. Die Hauptaufgaben sind dabei die fachliche und organisa­ torische Begleitung der Aktivitäten der NWS, insbesondere der Sitzun­ gen der Partner der NWS, eines Bund-Länder-Ausschusses sowie der Themenlabore “Qualitätssicherung in der beruflichen Weiterbildung” und “Alphabetisierung und Grund­ kompetenzen”, die Betreuung von Initiativen, insbesondere des OECDBerichts mit dem Arbeitstitel “Adult Learning in Germany”, sowie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen der NWS.

mit dem Innovationswettbewerb INVITE (Digitale Plattformen Beruf­ liche Weiterbildung) einen zusätz­ lichen Beitrag zur Gestaltung eines innovativen digitalen und sicheren Bildungsraums der berufsbezoge­ nen Weiterbildung leisten. So soll der Wettbewerb zur Einrichtung neuer Formate wie der Vernetzung sowie der Weiterentwicklung von internetbasierten Plattformen, Applikationen und Diensten (z. B. Suchmaschinen) sowie der Ent­ wicklung von neuen Formen für Lehr- und Lernangebote führen. Der Innovationswettbewerb ist in die Nationale Weiterbildungsstra­ tegie eingebettet. Somit wurde das Für innovative Weiterbildung BIBB neben der Weiterentwicklung Um die allgemeine Weiterbildung der NWS auch mit der fachlichen dabei möglichst attraktiv für alle und administrativen Begleitung des Akteure zu gestalten, will das BMBF Wettbewerbs beauftragt und wird

In Zeiten einer sich stetig wandelnden Arbeitswelt mit regelmäßigen technischen Weiterentwicklungen ist auch nach Schule, Ausbildung und Studium ein lebensbegleitendes Lernen für alle Altersklassen notwendig. Foto: BS/ulrichw, pixabay.com

von einer externen Digitalbegleitung bei der Umsetzung unterstützt. Mit der Förderrichtlinie zum In­ novationswettbewerb INVITE sol­ len in erster Linie die folgenden Handlungsbedarfe der Nationalen Weiterbildungsstrategie aufgegrif­ fen werden: • Verbesserung der Kohärenz im digitalen Weiterbildungsraum durch die Vernetzung von Wei­ terbildungsplattformen, • qualitative Verbesserung beste­ hender Weiterbildungsplattfor­ men durch die Entwicklung und Erprobung plattformbezogener Innovationen,

• Erhöhung der Weiterbildungsbe­ teiligung und des individuellen Lernerfolgs durch die Entwicklung von Lehr- und Lernangeboten auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI). Mit einer digitalen Weiterbildungs­ infrastruktur soll die Nachfrage nach berufsbezogener Weiterbildung mit den Angeboten des Arbeitsmarkts zusammengebracht werden. Der Zugang zu Weiterbildungsange­ boten soll dabei möglichst niedrig­ schwellig gestaltet werden, um über alle Qualifikationsniveaus hinweg Personen bei ihren berufsbezogenen Entwicklungsmöglichkeiten durch Weiterbildung zu unterstützen.


50 Jahre BIBB

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Internationalisierung der beruflichen Bildung

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eutschland hat bei der Qualifizierung von Fachkräften einen guten Ruf. Viele Staaten kommen auf uns zu, um sich über das duale Ausbildungssystem als Referenzmodell für Reformprozesse zu informieren”, erklärt Birgit Thomann, Leiterin der Abteilung “Berufsbildung International” im BIBB. Ein Eins-zu-einsTransfer des deutschen Systems sei jedoch nicht Ziel der Beratung. “Wir unterstützen, beraten und begleiten die Länder bei der Entwicklung kontextbezogener Reformansätze, nehmen aber nicht den Fahrersitz ein. Die Verantwortung bzw. ‘Ownership‘ verbleibt beim Partner, denn jeder Staat muss letztlich selbst entscheiden, wie er die Berufsbildung gestaltet”, so Thomann weiter. Das BIBB ist vielfach in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit und Systemberatung tätig. Auf die wachsende internationale Nachfrage zum dualen System hat auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) die Bundesregierung unter anderem mit dem Aufbau der Zentralstelle für internationale Berufsbildungskooperation (German Office for International Cooperation in VET – GOVET) im BIBB reagiert. “Zukunftsfragen der beruflichen Bildung und der Arbeitswelt lassen sich angesichts globaler und komplexer Herausforderungen nicht mehr allein in nationalen Bezügen bearbeiten und gestalten. Wir haben ein elementares Interesse an der Stärkung qualitativ hochwertiger Ausbildung weltweit und unterstützen daher die internationale Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung”, betont Thomann.

Externer Anstoß für Entwicklungsprozesse Die Beratung des BIBB richtet sich an alle Akteure des Berufsbildungssystems. Sie orientiert sich dabei an den bildungspolitischen Zielen und Strategien des Partnerlandes. Soziale, kulturelle, wirtschaftliche und politische Strukturen des jeweiligen Landes werden ebenfalls berücksichtigt. Die Beratung erfolgt dabei auf allen Ebenen des Berufsbildungssystems. So berät das BIBB neben politischen Entscheidungsträgern auch berufsbildende Institutionen sowie Akteure der Berufsbildung und Multiplikatoren. Beratung ist dann am erfolgreichsten – das zeigt die jahrelange Erfahrung des BIBB –, wenn sie maßgeschneidert an den Bedarfen des Partnerlandes und gemeinsam mit und in den Ländern breit abgestimmt ist. Ein Beispiel für solch eine erfolgreiche Beratung ist ein Projekt des BIBB in Vietnam. Ziel war der Aufbau einer nationalen Berufsbildungsberichterstattung. Umgesetzt wurde dies in einer Kooperation mit dem vietnamesischen Partnerinstitut, dem National Institute for Vocational Education and Training (NIVT), dem vietnamesischen Arbeitsministerium (hier: General Department for Vocational Training (GDVT) und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)). “Über viele Jahre lagen den politischen Entscheidern hier keine Daten zur Bildung vor. Diese waren schlichtweg unbekannt. Entscheidungen zur Bildungspolitik konnten damit nicht evidenzbasiert getroffen werden”, erklärt Thomann die Notwendigkeit des Projekts. Aus dem Projekt sind mittlerweile sieben nationale Bildungsberichte hervorgegangen. Die Berichte bündeln Informationen über aktuelle Aktivitäten in der beruflichen Bildung Vietnams. Sie richten sich an Akteure aus Politik, Wirtschaft und Forschung, Unternehmerinnen

Weltweiter Know-how-Transfer Das BIBB berät Partnerländer bei der Gestaltung ihrer beruflichen Bildung (BS/Lora Köstler-Messaoudi) Hohe Jugendarbeitslosigkeit, Reformbedarfe, unzureichende Beschäftigungsrelevanz: Strukturoder krisenbedingt funktionieren die Arbeits- und Ausbildungsmärkte in vielen Ländern nur suboptimal. Die deutsche duale Berufsbildung hat international einen guten Ruf und gilt als Erfolgsmodell für die Qualifizierung von Fachkräften. Das BIBB berät und unterstützt daher Partnerländer bei der Gestaltung ihrer beruflichen Bildung.

In Vietnam unterstützte das BIBB die Regierung beim Aufbau einer nationalen Berufsbildungsberichterstattung. Foto: BS/GIZ, Programme Reform of TVET in Vietnam

und Unternehmer, Studierende und Beschäftigte sowie Mitarbeitende von Berufsbildungsinstitutionen und internationalen Organisationen. “Die Berichte werden von den zentralen Stakeholdern in Vietnam als nützlich wahrgenommen. Indikator dafür ist, dass zentrale Empfehlungen aus dem Berufsbildungsbericht in Umsetzungsempfehlungen zu gesetzlichen Erlassen aufgenommen wurden”, so Thomann. Neben den Berichten entstanden im Rahmen des Projekts auch Empfehlungen zur Gestaltung der dritten vietnamesischen Berufsbildungsstrategie 2021 – 2030, eine Fallstudie zu Kosten und Nutzen betrieblicher Praktikantenprogramme sowie wissenschaftliche Diskussionspapiere zur Berufsbildungsberichterstattung in Vietnam. Doch nicht nur diese Erfolge zählen für das BIBB. Wichtig und fruchtbar war und ist auch die weiterhin gute und lebendige Zusammenarbeit aller Beteiligten. Im vietnamesischen Team vor Ort war man derart von der Idee und den Zielen des Projekts begeistert, dass man sich sogar an die Umsetzung eines Songs zu den Kernbotschaften machte.

Im ständigen Dialog miteinander Auch in anderen Ländern zeigte sich nicht nur strategischer Erfolg in den Beratungsprojekten. Die Qualität des persönlichen Miteinanders ist ein wichtiger Beitrag zum Erfolg. So auch in Portugal, wo Schulungen und Besprechungen schnell auch kulinarisch von den Teilnehmern unterlegt wurden. Das portugiesische Bildungsministerium zeigte großes Interesse an der dualen Ausbildung in Deutschland. Die berufliche Bildung ist in Portugal überwiegend schulisch geprägt. Portugal vereinbarte daher 2012 eine Bildungszusammenarbeit. Vorrangiges Thema der Kooperation war die gemeinsame Entwicklung und Implementierung eines Lehrgangs für eine pädagogische Weiterbildung von betrieblichen Tutoren und Tutorinnen. Von 2013 bis 2017 wurde dann von einer deutsch-portugiesischen Expertengruppe eine berufspädagogische Weiterbildung für das betriebliche Ausbildungspersonal entwickelt und erprobt. An dem Projekt waren auf institutioneller Ebene das BIBB und GOVET, das BMBF, das Nationale Institut für Beschäftigung und Berufsbildung (IEFP), die Nationale Agentur für Qualifikation und berufliche Bildung (ANQEP) und das portugiesische Bildungsministerium beteiligt. Als Bindeglied zwischen den Partnern

spielte die Deutsch-Portugiesische Handelskammer in Lissabon über den gesamten Prozess eine wichtige Rolle. “Die Qualifizierungsmaßnahme wurde dialogisch gestaltet: Einerseits baute die Maßnahme auf dem Know-how deutscher Berufsbildungsexpertinnen und -experten und den Erfahrungen des Qualifizierungssystems für das betriebliche Ausbildungspersonal in Deutschland auf. Andererseits wurde sie so flexibel durchgeführt, dass sie in einem kontinuierlichen Austauschprozess an den Qualifizierungsbedarf der Tutorinnen und Tutoren und an

die Rahmenbedingungen der portugiesischen beruflichen Bildung angepasst werden konnte”, erklärt Thomann. Der daraus entstandene Pilotkurs sowie die im Jahr 2015 und 2016 durchgeführten Tutorenlehrgänge wurden vom BIBB und der Forschungsgruppe SALSS evaluiert. Die Evaluierung zeigte, dass sich die Schulung für einen Großteil der Teilnehmenden nach eigenem Urteil positiv ausgewirkt hat: Vor allem hätten sie nun mehr Klarheit hinsichtlich ihrer Rolle als Tutorin bzw. Tutor und mehr Sicherheit im

Umgang mit jungen Menschen. Viele Teilnehmende gaben darüber hinaus an, dass ihnen aufgrund der erlernten Methoden das Ausbilden jetzt leichter falle. Nach der Evaluierung wurde der Kurs von den portugiesischen Verantwortlichen nochmals leicht angepasst und anschließend in das portugiesische Berufsbildungssystem integriert. Im Herbst 2017 verabredeten IEFP, ANQEP, BIBB und GOVET ein Folgeprojekt zum Bildungspersonal. Zielgruppe dieses zweiten Projekts sind Lehrkräfte, die in den Schulen beziehungsweise Berufsbildungszentren für die Zusammenarbeit mit den Betrieben zuständig sind. “Durch den kontinuierlichen Dialog auf den verschiedenen Ebenen wurden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich eine “Ownership” bei den portugiesischen Beteiligten entwickeln konnte. Dies ist für den Transfer von dualen Strukturen von grundlegender Bedeutung”, erklärt Thomann.


50 Jahre BIBB

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Internationalisierung der beruflichen Bildung

Neustart in Deutschland

Judith Yawa Aggor-Edorh aus Ghana wollte wieder als Schneiderin arbeiten. Mit diesem Ziel vor Augen und der Unterstützung der lokalen Handwerkskammer erreichte sie die Anerkennung ihrer Berufsqualifikation. Die Bürokratie in Ghana sei die größte und einzige Herausforderung im Anerkennungsverfahren gewesen, so Aggor-Edorh.

Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen (BS/Lora Köstler-Messaoudi) Viele Menschen kommen aus den unterschiedlichsten Gründen aus ihrer Heimat nach Deutschland. Sie bringen die verschiedensten Qualifikationen, Abschlüsse und Berufserfahrungen mit. Doch ohne Anerkennung können sie oft ihren Beruf nicht ausüben. Sprachkenntnisse und die Anerkennung des Berufsabschlusses sind enorm wichtig für den beruflichen Neustart in Deutschland. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) unterstützt ausländische Fachkräfte bei der Anerkennung ihres Berufsabschlusses.

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eit 2012 gibt es das Anerkennungsgesetz. Mit ihm können Fachkräfte ihre ausländische Berufsqualifikation in Deutschland leichter anerkennen lassen. Das BIBB trägt mit wissenschaftlicher Begleitung und dem offiziellen Informationsportal “Anerkennung in Deutschland” zur Umsetzung des Gesetzes bei. Das Herzstück des Portals ist der Anerkennungs-Finder. Mit diesem Tool erhalten Fachkräfte wichtige Informationen zur Anerkennung ihrer Berufsqualifikation, Hinweise zu Beratungsmöglichkeiten und werden bis zur zuständigen Stelle für ihren Antrag geleitet. Die Datenbank verzeichnet derzeit rund 1.500

verschiedene Kontaktadressen und etwa 1.200 Berufe. “Für den Aufbau und die Pflege des AnerkennungsFinders braucht es ein hohes Maß an Fachwissen über Berufe – das haben wir im BIBB natürlich. Dank unserer langjährigen Expertise unterstützen wir mit unterschiedlichen Initiativen das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie die Fachszene bei der Umsetzung des Anerkennungsgesetzes. Damit leisten wir einen Beitrag zur Fachkräftesicherung in Deutschland”, betont Birgit Thomann, Leiterin der Abteilung “Berufsbildung International” im BIBB. Auf dem Portal “Anerkennung in Deutschland” finden die drei

Hauptzielgruppen – internationale Fachkräfte, Beraterinnen und Berater sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber – passgenaue Informationen. So auch Judith Yawa Aggor-Edorh aus Ghana. Sie kam 2004 der Liebe wegen nach Deutschland. Hier arbeitete die gelernte Maßschneiderin zunächst in einer Änderungsschneiderei. Dann wurde sie Mutter und widmete sich ihrer Familie. Ihr Ziel hat sie aber nie aus den Augen verloren: Sie wollte wieder als Maßschneiderin arbeiten. Als die Kinder alt genug waren, stellte sie deshalb einen Antrag auf Anerkennung ihres Berufsabschlusses. Im Anerkennungsverfahren können Fachkräfte

(BS) 2019 wurden 43.128 Anträge auf Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen an die Statistik gemeldet, rund 10.000 entfielen auf Berufe in Landeszuständigkeit, 33.120 auf Bundesberufe. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Anträge zu Bundesberufen (zum Beispiel Pflegekräfte, Ärzte, Elektroniker) im Jahr 2019 um 13,4 Prozent gestiegen. Seit dem Inkrafttreten des Anerkennungsgesetzes 2012 haben fast 175.000 Menschen einen Antrag auf Anerkennung allein in bundesrechtlich geregelten Berufen gestellt. Besonders deutlichen Zuwachs verzeichnete die Gesundheits- und Krankenpflege: Fast 30 Prozent mehr Anträge

I

n Deutschland sind vier Nationale Agenturen (NA) für die Umsetzung von Erasmus+ verantwortlich. Die NA beim BIBB ist dabei für den Bereich der Berufs,- und der Erwachsenenbildung verantwortlich. “Viele verbinden das Wort Erasmus nur mit Austauschprogrammen im Hochschulbereich. Aber Erasmus ist viel mehr. Auch Auszubildende und Berufsschüler gehen mit Erasmus+ ins Ausland und können dort ihren Horizont erweitern”, betont Klaus Fahle, Leiter der Nationalen Agentur “Bildung für Europa“ beim BIBB. So stehen 46.000 Studierenden, die im Jahr 2019 mit Erasmus+ ins Ausland gegangen sind, 26.000 Auszubildende gegenüber, die auch diese Chance genutzt haben. “Das ist ein immer größer werdender Teil, vielen ist das gar nicht bewusst”, so Fahle. Ein Beispiel für ein erfolgreiches Azubi-Austauschprogramm ist die DORNIER GmbH. Das international agierende Familienunternehmen produziert Webmaschinen und Folienreckanlagen. Um skandinavische Fachtechniken und Arbeitsmethoden in diesem Bereich kennenzulernen, dürfen die DORNIERAuszubildenden jedes Jahr nach Norwegen reisen. Zusätzlich werden norwegische Praktikantinnen und Praktikanten aufgenommen und so ein reger internationaler Austausch gefördert. “Viele Ausbilder berichten uns, dass die jungen Menschen beim Auslandsaufenthalt völlig neue Kompetenzen und Fähigkeiten entwickeln”, berichtet Fahle. “Die Zeit im Ausland gibt vielen neue Impulse, die sie für ihre weitere Perspektive mitnehmen können, aber auch die Unternehmen profitieren davon”, schwärmt der Leiter der Agentur weiter. Neben den Auszubildenden nutzt aber auch das Bildungspersonal

gingen im Jahr 2019 bei den zuständigen Stellen ein. Gesundheits- und Krankenpfleger/-in war damit der mit Abstand nachgefragteste Beruf. Auch die Berufe in Landeszuständigkeit, wie etwa Ingenieur oder Lehrer, verzeichnen eine verstärkte Nachfrage. Seit dem Start des Anerkennungsgesetzes 2012 wurden in bundesrechtlich und landesrechtlich geregelten Berufen sowie für Zeugnisbewertungen in akademischen Berufen zusammen mehr als 350.000 Anträge eingereicht.

Grafik: BS/TukTukDesign, pixabay.com

Zahlen – Daten – Fakten zur Anerkennung

Foto: BS/Portal “Anerkennung in Deutschland,” BIBB

mit ausländischen Berufsabschlüssen prüfen lassen, ob ihre Qualifikation mit dem jeweiligen deutschen Referenzberuf gleichwertig ist. Das Anerkennungsverfahren stellt somit sicher, dass die Qualifikationsanforderungen für eine Berufsausübung in Deutschland erfüllt sind. Die Handwerkskammer (HWK) Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald begleitete Aggor-Edorh bei der Anerkennung. Der erste Schritt dauerte am längsten: die Beschaffung der Zeugnisse und Bescheinigungen aus Ghana. “Ich brauchte eine Bestätigung meiner Schule in Ghana”, so Aggor-Edorh. “Obwohl ich zwei Mal vor Ort war, konnte man sie mir nicht geben.” Die Bürokratie in Ghana sei die größte und einzige Herausforderung im Anerkennungsverfahren gewesen. Schließlich lagen die Dokumente vor und wurden übersetzt. Jedoch fehlten der HWK

Informationen zu den Inhalten der Ausbildung. Deshalb machte Judith Yawa Aggor-Edorh eine Qualifikationsanalyse. Dabei konnte sie ihre beruflichen Fähigkeiten praktisch nachweisen: “Ich habe einen kompletten Anzug mit Hose und Oberteil geschneidert.” Im Anschluss erhielt Judith Yawa Aggor-Edorh den Anerkennungsbescheid. Dieser bestätigte die volle Gleichwertigkeit ihres Berufsabschlusses. Darauf hatte sie insgesamt drei Jahre gewartet. Für ihren beruflichen Neustart hat sie schon konkrete Pläne, sie würde gern ihren eigenen Laden eröffnen.

lich. Kibrom Gebreyesus kam ohne Zeugnisse und Dokumente nach seiner Flucht aus Eritrea 2014 nach Deutschland. Auch ihm verhalf die Qualifikationsanalyse zur Anerkennung seines Berufsabschlusses als Industriemechaniker. Bei der Qualifikationsanalyse wurden wesentliche Unterschiede zur deutschen Qualifikation festgestellt. Diese glich Gebreyesus mit einem Fachkurs und einer Anpassungsqualifizierung aus. Gebreyesus arbeitet mittlerweile als Industriemechaniker bei der Abfallverwertungs-Gesellschaft Hamburg. Er ist stolz, durchgehalten zu haben: “Ich habe es nicht für Unterschiedliche Wege möglich gehalten. Mein Leben hat zum Ziel sich so sehr verändert. Ich arbeite Doch auch wenn keine Dokumen- endlich in meinem Beruf und es te aus der Heimat mehr beschafft macht mir extrem viel Spaß. Die werden können, ist eine Anerken- Anerkennung ist einfach ein Teil nung der Berufsqualifikation mög- meines Lebens.”

Lernen in Oslo, Moskau und Quito Berufsausbildung mit Horizonterweiterung (BS/lkm) Die Globalisierung und grenzüberschreitender Erfahrungsaustausch sind allgegenwärtig. Austauschprogramme wie Erasmus florieren seit Jahren. Während es an den Hochschulen schon gang und gäbe ist, ein Auslandssemester zu machen, ist man in der Berufsausbildung noch nicht ganz so weit. Beim BIBB arbeitet die Nationale Agentur Bildung für Europa (NA) deshalb daran, dass mehr und mehr Auszubildende von den Erfahrungen im Ausland profitieren können. selbst – sowohl in der Berufs- wie auch in der Erwachsenenbildung – verstärkt die Möglichkeit von Auslandsaufenthalten. So beispielweise die Lehrer der berufsbildenden Schule Uelzen. Im Rahmen eines Projektes wurden 16 Lehrkräfte aus verschiedenen Fachrichtungen zu Hospitationen ins Ausland entsendet. Die Lehrerinnen und Lehrer hospitierten für fünf Tage im Unterricht von Partnerschulen in Österreich, Frankreich, Estland und auf Malta. Ziel dieser Aufenthalte war es, sich über betriebliche Ausbildungsinhalte und schulische Curricula in den jeweiligen Gastländern zu informieren und neues Wissen für die eigene Gestaltung und Durchführung des fachpraktischen Unterrichts zu bekommen. Der Aufenthalt in Estland wurde darüber hinaus auch dazu genutzt, neue Impulse für die Digitalisierung an Schulen zu gewinnen.

Internationalisierung in der DNA der Bildungseinrichtungen verankern

mindestens zehn Prozent ihrer Absolventinnen und Absolventen einen Auslandsaufenthalt absolvieren zu lassen. “Diese Dynamik soll sich künftig auch in den Förderstrukturen des Nachfolgeprogramms niederschlagen. Es geht darum, Internationalisierung in der DNA der Bildungseinrichtungen zu verankern”, so Fahle. Hier-

33

teilnehmende Länder

90

Fast Mio. Euro für Projekte in der Berufs- und Erwachsenenbildung in Deutschland

26.858 Förderzusagen für Lernende in der Berufsbildung

2019 konnte die NA mit Erasmus+ 35.000 Menschen ins Ausland entsenden. In der Berufsbildung erreichte die NA bei den Auszubildenden eine Mobilitätsquote von mehr als sieben Prozent, vor zehn Jahren wäre dies noch nicht vorstellbar gewesen. Viele Einrichtungen haben sich zudem dem Ziel verschrieben,

Insgesamt

129

bei seien nicht nur die Schulen, sondern auch Unternehmen, Kammern und Einrichtungen der Erwachsenenbildung gemeint, denn viele von ihnen operieren international und benötigen entsprechend qualifizierte Fachkräfte. Die aktuelle Pandemie verleiht dem Programm naturgemäß einen Dämpfer, doch man ist in der NA optimistisch, dass die Programme wieder Fahrt aufnehmen werden. Das Europäische Parlament und der Europäische Rat der Mitgliedsstaaten haben sich auf eine deutliche Erhöhung des Budgets von Erasmus von aktuell 14,7 Milliarden Euro auf 24,5 Milliarden Euro für die nächsten sieben Jahre geeinigt. Die derzeitige Blockade des EU-Budgets durch Polen und Ungarn betrifft nicht die Höhe des Budgets, sondern den Streit um die Rechtsstaatlichkeit. “Der politische Wille, dieses Programm noch größer zu machen, ist sehr ausgeprägt”, so Fahle. Man geht bei der NA daher von einer deutlichen Zunahme bei den Teilnehmern

Strategische Partnerschaften in der Berufs- und Erwachsenenbildung gefördert

am Erasmus+-Programm aus. Die NA fördert Auszubildende aber nicht nur mit Erasmus+ in den europäischen Programmländern. Mit dem Förderprogramm “AusbildungWeltweit” steht Auszubildenden die ganze Welt offen. “Viele Unternehmen haben uns schon vor Jahren gesagt, dass ihnen Europa zu klein sei. Für Fachkräfte der Zukunft sind auch Erfahrungen in Ländern wie Singapur oder China wichtig. Deshalb fördert das Bundesbildungsministerium in Ergänzung zu Erasmus+ das Programm AusbildungWeltweit”, erklärt Fahle. Mit dem Programm tauschte Miriam Schäfer für vier Wochen ihren Ausbildungsplatz im Karlsruher Zoo gegen ein Auslandspraktikum in Ecuador. Drei Wochen arbeitete sie im Zoo Quito mit, eine weitere Woche in einem Artenschutzprojekt im Nebelwald am Westhang der Anden. Interessierten Auszubildenden rät Miriam: “Geht allein ins Ausland.Herausgeber Ich empfand das als sehr gut, denn dadurch konnte ich mich ganz auf die Umgebung und Kultur einlassen und niemand lenkte mich ab. Auch wenn mich das am Anfang ängstigte – am Ende hat es Verantwortlich (i.S.d.P.) mir sehr geholfen, alleine nach Ecuador gefahren zu sein.“ Neben Miriam konnten mit Redaktion der Unterstützung von und Konzeption AusbildungWeltweit im letzten Jahr 450 Auszubildende zum Beispiel als Kauffrau in Kapstadt, als Elektroniker in Indien oderRedaktionsassistenz als Friseurin in Moskau wertvolle Erfahrungen sammeln – Tendenz steigend.

Impressum

Zertifizierung

Die Nationale Agentur beim BIBB blickt auf ein erfolgreiches Jahr 2019 zurück. Rund sieben Prozent der Auszubildenden absovierten während ihrer Ausbildung einen Auslandsaufenthalt.

Grafik: BS/NA beim BIBB

Mehr als

2.000 Personen seit 1969


Kommune Behörden Spiegel

Berlin und Bonn / Dezember 2020

Souveränität auf allen Ebenen Bessere Rahmenbedingungen für Kommunen gefordert

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Innovationssymposium

KĂźnstliche Intelligenz

SAVE THE DATE 29. Juni 2021

Hotel de Rome, BehrenstraĂ&#x;e 37 10117 Berlin

Grafik: zenzen, adobe.stock.com

www.innovationssymposium-ki.de

Eine Veranstaltung des


Kommune Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Dezember 2020

Souveränität auf allen Ebenen

KNAPP

Bessere Rahmenbedingungen für Kommunen gefordert (BS/Wim Orth) Nachdem sich in den letzten knapp drei Jahrzehnten die Welt mehr und mehr vernetzt hat, ist diese Entwicklung in Deutschland inzwischen auf allen föderalen Ebenen angekommen. Waren es in den vergangenen Jahren häufig die großen Städte der Republik, die mit digitalen und vernetzten Projekten Schlagzeilen gemacht haben, so wird die Smart City heute auch für kleine Kommunen zunehmend zu einem zentralen Faktor im Wettbewerb um Bevölkerung und Wirtschaft. Bei allen Vorteilen gibt es aber vor allem in den BackEnds von Verwaltung und sonstiger Behördenwelt viele Fallstricke – inkompatible Daten, fehlende Schnittstellen oder einfach unzureichende Kompetenz in der Belegschaft hemmen die Digitalisierung der Städte noch viel zu oft. Um dies zu ändern, hat der Deutsche Städtetag ein neues Positionspapier veröffentlicht, mit dem der offene politische Diskurs gestärkt werden soll und so die richtigen Weichen für eine digital souveräne Verwaltung an der Basis gestellt werden sollen. Seit der Begriff der “digitalen Souveränität” vor wenigen Jahren den Weg in den politischen Diskurs geschafft hat, wurde von einigen Seiten versucht, ihm eine möglichst allgemeingültige Definition zu verpassen. Während der IT-Planungsrat die digitale Souveränität in ihrem Eckpunktepapier zum Thema als “die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Individuen und Institutionen, ihre Rolle(n) in der digitalen Welt selbstständig, selbstbestimmt und sicher ausführen zu können” beschreibt, geht das im Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) angesiedelte Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) eher auf die Metaebene und sieht die digitale Souveränität so “nicht als absoluten Zustand, sondern als eine facettenreiche strategische Autonomie”. Beide Definitionen haben ihre Richtigkeit und auch die Schnittmengen sind nicht zu übersehen. Dennoch sieht der Deutsche Städtetag die Notwendigkeit, für den kommunalen Rahmen eine Konkretisierung der Ausformulierung voranzutreiben.

Die kommunale Selbstverwaltung ins Digitale übersetzen Dabei ist es den Verantwortlichen um Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy vor allem wichtig, eine Diskussion aufzubauen, die die Thematik “auch abseits der meist fachlich-technischen Diskurse zugänglich machen” kann. Zwar sei die technische Debatte wichtig, aber man dürfe es nicht als einzigen Aspekt sehen, denn: “Selbstbestimmung geht immer auf den Menschen zurück. Digital unabhängiger werden Städte auch durch entsprechende Kompetenzen in der Verwaltung. Hierbei spielt auch der Mut für Neues und eine offene Haltung eine Rolle. Und eine

nächsten Jahren erreichen bzw. umgesetzt sehen will. Um dies zu schaffen, braucht es aber nicht nur Offenheit gegenüber neuen Technologien, sondern vor allem die entsprechende Kompetenz in der Verwaltung. Nicht nur, damit die neuen Dienstleistungen reibungslos funktionieren, sondern auch, um die IT-Sicherheit zu gewährleisten, die Bürgerdaten nun mal verdienen. Daher brauche es nachhaltige Konzepte zur digitalen Fort- und Weiterbildung, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Rathäusern der Republik nicht nur in der Lage seien, digitale Anwendungen zu nutzen, sondern diese “in Funktionsweise und Wirkung verstehen” könnten. Bei der digitalen Souveränität kann es nicht nur um Technologien gehen. Gerade auf der untersten föderalen Ebene braucht es neben der Ausstattung auch die entsprechenden Kompetenzen und den Mindset für die digitale Transformation der Verwaltung. Foto: BS/Alex from the Rock, stock.adobe.com

Saubere Rechtsgrundlagen schaffen

souveräne Stadt braucht souveräne Bürgerinnen und Bürger”, fasst es Dedy zusammen.Der Mensch im Mittelpunkt, heißt also mal wieder die Devise. In dem gemeinsam mit der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) erarbeiteten politischen Leitbild zur digitalen Souveränität wird die digitale Transformation als Motor mit enormem Potenzial zum Wandel hin zu einer gemeinwohlorientierten, nachhaltigen und sozialen Stadt mit hoher Chancengerechtigkeit skizziert. Auf dieser Basis aufbauend, sei die digitale Souveränität nun als “Übersetzung des Prinzips der kommunalen Selbstverwaltung in das digitale Zeitalter” zu verstehen. Daher gelte es, sie unbedingt zu stärken und gleichzeitig die neuen technologischen Möglichkeiten dafür zu nutzen, sämtliche vorhandenen Prozesse auf ihren gesellschaftlichen Wert hin zu überprüfen und gegebenenfalls

All diese Punkte müssen laut Städtetag und KGSt möglichst bald und allumfassend angegangen werden, damit die Verwaltung an der Schnittstelle zum Bürger gut aufgestellt ist. Gleichzeitig mahnen die Partner aber auch an, dass die digitale Souveränität nicht nur in Maßnahmen gedacht werden dürfe; stattdessen müsse sie “vor allem auch in ihren Auswirkungen erkannt werden. Eine nicht arbeitsfähige Kommunalverwaltung, der Ausverkauf der öffentlichen Daseinsvorsorge oder die digitale Spaltung der Gesellschaft sind schwerwiegende Folgen fehlender digitaler Souveränität.” Darum brauche es die gemeinschaftliche Anstrengung aller Akteure, um digitale Abhängigkeiten auf ein Minimum zu reduzieren. Für die Kommunen und ihre Wirtschaftsakteure fordert man daher klare, standortorientierte Rechtsgrundlagen, um die digitale Souveränität auf allen föderalen Ebenen nachhaltig aufbauen und erhalten zu können.

zu überarbeiten. All dies müsse unter drei Schlagworten angegangen werden: “solidarisch”, “zusammen” und “mutig”. Der erste Punkt “solidarisch” fordert dabei vor allem, die interkommunale Zusammenarbeit im digitalen Raum weiterzuführen. Nach dem Motto “Unabhängiger werden wir nur gemeinsam” werden das “Einer-für-alle”-Prinzip bei sämtlichen Neuentwicklungen für die kommunale Verwaltung sowie offene Standards und Schnittstellen gefordert, um die Vernetzung von Regionen zu stärken. Um aber auch überregional besser zusammenarbeiten zu können, fordern die beiden Häuser diese offenen Lösungen für alle föderalen Ebenen. Spiegelt sich das zweite Schlagwort “zusammen” schon in vielen Inhalten des ersten Abschnittes wider, so müsse diese Zusammenarbeit auch nach innen gelebt werden. Damit die Stadt von morgen für alle das Beste

bringe, brauche es Räume für die Menschen, um sich an Neues heranzutasten, aber auch Möglichkeiten für Innovationstreiber, neue Konzepte auszuprobieren. All dies müsse viel stärker verankert werden als bisher, denn die “Unabhängigkeit im digitalen Raum darf nicht zu einer Spaltung zwischen Experten und Abgehängten werden”. Für eine solche Verankerung von Innovations- und auch Fehlerkultur müssen Entscheider sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung “mutig” sein. Sollen Prozesse und Konzepte auf den Prüfstand gestellt werden, müssen gleichzeitig auch Fehler erlaubt sein. “Die digitale Stadt verlangt ein anderes Arbeiten. Wir werden digital unabhängiger, wenn wir die neuen Möglichkeiten nutzen, um unsere Prozesse neu zu denken”, so die Autoren des Leitbildes. Hehre Ziele und ehrgeizige Forderungen also, die man in den

Neuer kommunaler Finanzausgleich im Norden Ausrichtung am tatsächlichen Bedarf der Kommunen (BS/lkm) Nach jahrelangen Debatten ist in Schleswig-Holstein die Reform des kommunalen Finanzausgleichs (FAG) unter Dach und Fach. Ein neuer Finanzausgleich war notwendig geworden, da das Landesverfassungsgericht das geltende System als nicht bedarfsgerecht verworfen hatte und bis Januar 2021 eine Neuregelung forderte. Kurz vor Jahresende beschloss die Jamaika-Koalition nun im Landtag den neuen FAG. Das Land musste seine Kommunen laut Urteil des Landesverfassungsgerichts finanziell besser ausstatten. Die Verfassungsrichter hatten der Politik aufgetragen, die Finanzströme an den tatsächlichen Bedarfen der Kommunen auszurichten. “Diese Vorgaben setzen wir nun um”, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU): “Die Größe des Kuchens wird an den tatsächlichen Bedarfen ausgerichtet.” Städte, Kreise und Gemeinden hätten nun finanzielle Planungssicherheit. So steigt die Ausgleichsmasse ab 2021 um 65 Millionen auf gut zwei Milliarden Euro. In den Jahren 2022 bis 2024 sollen jeweils weitere fünf Millionen Euro dazukommen. Neu ist ein “Kinderbonus” für jeden Unter-18-Jährigen, der in einer kreisfreien Stadt, einem Landkreis oder

einer Gemeinde lebt. Dazu gibt es mehr Geld für Straßenbau, Infrastruktur, Schwimmbäder, Theater, Orchester, Büchereien, Flüchtlinge, Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen. Grundlage ist der “Stabilitätspakt”, den Land und Kommunen Mitte September ausgehandelt haben.

Steuereinnahmen eingebrochen Die September-Steuerschätzung hat den Kommunen ein Gewerbesteuer-Minus von 184 Millionen Euro vorhergesagt. Diese Summe wollen Land und Kommunen jeweils zur Hälfte tragen, und zwar mit gut neun Millionen Euro pro Jahr bis 2031. Das Land gibt darüber hinaus zusätzliche 27,6 Millionen Euro dazu, die die Kommunen wiede­ rum in den Jahren 2029 bis 2031 zurückzahlen sollen.

Die Mindereinnahmen aus Lohn- und Einkommenssteuer will das Land ebenfalls übernehmen, bis zu einem Höchstbetrag von 110 Millionen Euro. Die “Teilschlüsselmasse” für die Gemeinden beträgt nun 30,73 Prozent (bislang 30,79 Prozent), bei den Kreisen und kreisfreien Städten sind es 53,96 Prozent (bislang 53,66 Prozent), und die “Zentralen Orte” bekommen 15,31 Prozent (bislang 15,55 Prozent). “Alle Kommunalgruppen gehören zu den Gewinnern”, betonte Ole Plambeck (CDU), finanzpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Aus der Opposition kamen hingegen kritische Stimmen zum neuen Finanzausgleich. Kai Dolgner, Abgeordneter des Schleswig-Holsteinischen Landtags für die SPD, nannte das Ergebnis “inhaltlich schwach”. Die Sozialdemokraten forderten,

dass das Land jenen Kommunen, die keine Straßenausbaubeiträge im Sinne des Kommunalabgabengesetzes erheben, zum Ausgleich 20 Millionen Euro zur Verfügung stellen soll. Die Kommunalverbände begrüßten indes das Ergebnis in weiten Teilen: “Der vom Landtag beschlossene neue Finanzausgleich bringt mit dem Flächenfaktor und dem Kinderbonus wichtige Innovationen”, sagte Jörg Bülow, Landesgeschäftsführer des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetages (SHGT). “Die Finanzausstattung der Kommunen durch das Land steigt bis 2024 schrittweise von 17,83 Prozent auf 18,33 Prozent der Steuereinnahmen des Landes an. Die Richtung stimmt. Damit ist der Weg zu einer fairen Mittelverteilung zwischen Land und Kommunen eingeschlagen”, lobte Bülow.

Das Ziel einer gerechten Finanzausstattung der Kommunen sei dann aber noch nicht erreicht. Wichtig werde die im Jahr 2024 vorgesehene Regelüberprüfung des Finanzausgleichs, erläuterte Bülow. Es sei außerdem richtig, dass der Landtag mit den beschlossenen Änderungen in den Bereichen Integration und Infrastruktur Ungerechtigkeiten beseitigt hat, die der Gesetzentwurf noch enthalten habe. “Der neue Finanzausgleich stärkt viele Gemeinden, gerade im ländlichen Raum. Er bringt sachgerechte Lösungen für die vom Landesverfassungsgericht erteilten Aufträge. Er lässt aber auch einige Fragen ungelöst und schafft an anderen Stellen neue Probleme, die in den kommenden Jahren angepackt werden müssen.” so Bülow abschließend.

Notlagentarifvertrag geschlossen (BS/jf) Aufgrund der massiven Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Flughäfen gelten für deutsche Flughafenunternehmen und deren Tochtergesellschaften bis 31. Dezember 2023 befristete Notlageregelungen. Darauf einigte sich die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) mit den Gewerkschaften Verdi und DBB Beamtenbund und Tarifunion nach acht Verhandlungsrunden. Bis Ende der Laufzeit sieht die Tarifvereinbarung vor, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Im Gegenzug werden die von der VKA mit den Gewerkschaften für den kommunalen Öffentlichen Dienst ausgehandelten Lohnerhöhungen erst ab dem 1. Oktober 2022 greifen. Dafür erhalten die Flughafenmitarbeiter für dieses Jahr eine “Corona-Sonderzahlung Flughäfen”, die, gestaffelt nach Entgeltgruppen, bis zu 800 Euro beträgt. “Es war an der Zeit, Maßnahmen zu vereinbaren, die einen angemessenen Beitrag leisten, um die Wirtschaftlichkeit der Flughäfen schnellstmöglich wiederherzustellen. Daher bin ich froh, dass wir mit den Gewerkschaften nach intensiven und teilweise zähen Verhandlungen endlich eine Einigung erzielen konnten, die uns die erforderliche Luft zum Atmen und gleichzeitig den Beschäftigten eine Arbeitsplatzgarantie gibt”, sagte VKA-Verhandlungsführer Michael Müller.

Digitalisierungsstrategie für Frankfurt/Main (BS/wim) Eine E-GovernmentStrategie, die sukzessive umgesetzt wird, hat sich die größte Stadt Hessens, Frankfurt am Main, bereits im Jahr 2013 verordnet. Um nicht nur die Verwaltung digital zu stärken, sondern die Stadt als Ganzes in die digitale Zukunft zu bringen, wurde durch Stadtrat Jan Schneider nun zusätzlich der Entwurf für eine gesamtstädtische Digitalisierungsstrategie vorgestellt. In deren inhaltlichem Fokus soll nun das weiter reichende Thema “Smart City” stehen. In der Smart City soll durch den Einsatz von intelligenten technischen Lösungen die Lebensqualität in Frankfurt nachhaltig verbessert werden. Zentrale Punkte sind die Vernetzung der Akteure aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch die Verbesserung vieler Bereiche des täglichen Lebens, von der Mobilität in der Stadt über Energie bis hin zur Wohnungswirtschaft der Stadt. Dem nun vorgestellten Strategieentwurf war ein umfangreicher Beteiligungsprozess vorausgegangen. Seit Juni 2019 hatten zunächst die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer Online-Beteiligung die Möglichkeit, der Stadt mitzuteilen, in welchen Themenbereichen sie sich besonders positive Auswirkungen der Digitalisierung erhoffen. Auch die verschiedenen Akteure aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft wurden in unterschiedlichsten Formaten von Experteninterviews über runde Tische zu verschiedenen Themenbereichen bis hin zu einer zentralen Veranstaltung mit rund 100 Teilnehmern intensiv eingebunden.


Zahlen & Daten

Seite 18

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Mehr Lichter und Gefunkel (BS) 12 Städte gelten in unterschiedlichen Reiseführern als diejenigen, die die schönsten Weihnachtsmärkte in Deutschland haben, darunter Berlin. Eines haben sie in diesem Jahr gemeinsam: Die Märkte fallen aus. Einige kompensieren den Wegfall durch zusätzliche Leuchtmittel. Manche Städte setzen dabei auf zusätzliche Weihnachtsbäume, andere auf zusätzliche einzelne Lichtelemente oder Lichterketten, um Straßenzüge zu beleuchten. Der am meisten strahlende Weihnachtsbaum steht übrigens in Stuttgart.

Alle Weihnachtsmärkte abgesagt

Es sind nicht nur die Großstädte 556.800

Dresden Düsseldorf

Kempen Moers

Berlin, Marzahn-Hellersdorf Berlin, Neukölln Berlin, Pankow Berlin, Steglitz-Zehlendorf Berlin, Tempelhof-Schöneberg Berlin, Treptow-Köpenick

x

Berlin, Neukölln

329.000

x

5

Berlin, Pankow

409.400

x

3

Berlin, Marzahn-Hellersdorf

270.000

x

1

351.000

Berlin, Tempelhof-Schöneberg

273.700

x

10

Berlin, Steglitz-Zehlendorf

308.600

x

9

Berlin, Lichtenberg

290.300

x

10

Berlin, Charlottenburg-Wilmersdorf

343.600

x

9

Trier

110.000

x

6

Stuttgart

614600

x

1

Nürnberg

536.000

Stuttgart

Berlin, Lichtenberg

x 26

München 1.560.000

Nürnberg

Berlin, Charlottenburg-Wilmersdorf

x

1

Moers

104.000

x 2

Kempen

35.000

x

1

Freiburg

231.000

München

Trier

41

Frankfurt am Main 759.000

Frankfurt am Main

x

7

Düsseldorf

591.000

Essen

x

11

Dresden

646.000

Freiburg

2020

2019

Größe der Städte nach Einwohnern im Jahr 2019

x

1

Berlin, Treptow-Köpenick

x

6

Kaum mehr Weihnachtsbäume 2019

k. A.

k. A.

217

120

2

2

3

3

3

3

Frankfurt am Main

Freiburg

Kempen

Moers

Stuttgart

Trier

Berlin, Lichtenberg

Berlin, Neukölln

Berlin, Pankow

Berlin, TempelhofSchöneberg

Nur wenige Kommunen stellen 2020 zusätzliche Bäume auf

61

120*

1

k. A.

4

62

0

0

0

0

Frankfurt am Main

Freiburg

Kempen

Moers

Stuttgart

Trier

Berlin, Lichtenberg

Berlin, Neukölln

Berlin, Pankow

Berlin, TempelhofSchöneberg

Die Weihnachtsbäume mit den meisten Lichtern stehen in...

40.000 16.200 Stuttgart

Dresden

Heller Glanz an Straßen und Laternen (zusätzliche Beleuchtungselemente 2020)

23.000 10.000 Freiburg

Düsseldorf

Leuchtketten

150 Kempen Quelle: BS/eigene Recherchen, Umfrage unter den zwölf Städten und Berliner Bezirken. Bis Redaktionsschluss lagen sehr unterschiedliche Informationen vor. Grafik: BS/Marvin Hoffmann unter Verwednung von stock.adobe.com – Leone_v; stock.adobe.com – MicroOne; stock.adobe.com – Vector Tradition; stock.adobe.com – Ruslan

51 Berlin, Lichtenberg

5.500 Frankfurt am Main


Behörden Spiegel / Dezember 2020

Kommunalpolitik

Seite 19

Vier Fragen – vier Antworten Interview mit Ludger Banken, Bürgermeister der Stadt Rheinbach

Foto: BS/privat

Mit allen auf Augenhöhe

B

ehörden Spiegel: Herr Banken, wie ist die Einarbeitungsphase im neuen Job bislang gelaufen und welche Herausforderungen sehen Sie für die kommenden Jahre?

Die Stadt Rheinbach gemeinsam voranbringen

(BS) Nachdem die Stadt Rheinbach zwischen Bonn und der Eifel jahrzehntelang eine absolute Bank für Christdemokraten war, wurde diese Dominanz bei der diesjährigen Kommunalwahl in NRW zumindest teilweise gebrochen. Mit Ludger Banken konnte sich erstmals ein Kandidat durchsetzen, der gar kein Parteibuch hat. Ein Kunststück, das dem 55-Jährigen bereits zum zweiten Mal geglückt ist, denn in seiner westfälischen Heimat konnte Ludger Banken: Die erste Zeit er im Jahr 1999 schon einmal einen CDU-Kandidaten auf den zweiten Platz verdrängen. Anschließend war er drei Wahlperioden Bürgermeister und als Rheinbacher Bürgermeister, trat freiwillig nicht mehr an. Im Interview mit Behörden Spiegel-Redakteur Wim Orth erklärt Banken seine Ziele für die nächsten fünf Jahre und wie inklusive der rund fünf Wochen er seine Erfahrung nutzen will, um mit allen kommunalen Akteuren an einem Strang zu ziehen.

Vorbereitungszeit zwischen der Wahl und meinem Amtsantritt, waren wirklich schön, aber gleichzeitig auch sehr intensiv. Eigentlich hatte ich geplant, nach der Wahl noch mal ein paar Tage Urlaub zu machen, weil das im Wahlkampf eben gar nicht möglich ist. Aber dann war die Vorbereitung der neuen Aufgabe doch deutlich arbeitsreicher als gedacht. Aber es hat sich gelohnt, denn ich bin herzlich von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgenommen worden und finde mich nun langsam, aber sicher, im Rathaus ein. Dabei hilft mir natürlich, dass ich die Inhalte aus meiner Zeit als Bürgermeister in der Gemeinde Everswinkel noch kenne, aber das Drumherum ist in einer rund dreimal so großen Stadt wie Rheinbach dann doch etwas anders. Allein schon, dass es insgesamt mehrere Häuser mit all den neuen Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen gibt, zeigt mir die Größenunterschiede. Es ist aber insgesamt eine schöne und spannende Zeit, und ich freue mich auf die kommenden fünf Jahre. Durch die Corona-Krise ist es aber eben auch eine schwierige Zeit, denn das Thema ist natürlich auch in Rheinbach die Herausforderung Nummer Eins. Da müssen wir jetzt erst mal sehen, dass wir möglichst ungeschoren durch die akute Phase kommen. Natürlich sind auch Themen wie Klimaschutz, die allgemeine Wohn- und Verkehrssituation oder das ewige Kommunalthema Finanzen auf unserer Agenda ganz oben angesiedelt. Behörden Spiegel: Sie haben schon erwähnt, dass Sie bereits einige Jahre in einer kleineren Kommune im Münsterland als Bürgermeister gearbeitet haben. Welche Unterschiede sehen Sie in Ihrer neuen Aufgabe und was kommt Ihnen bereits bekannt vor? Banken: Ich lebe mittlerweile seit rund vier Jahren in Rheinbach und habe die Stadt als Bürger absolut lieben gelernt. Das Freizeitangebot in der Stadt ist breit aufgestellt, die Menschen sind toll und auch die Natur ist klasse, sodass ich hier schnell heimisch geworden bin. Aber natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen Münsterland und Rheinland. Beispielsweise waren wir in Everswinkel trotz mäßiger Verschuldung nie im Nothaushalt oder in der Haushaltssicherung, sodass wir immer die volle Hoheit über unsere Finanzen und die Gestaltung der Stadtpolitik mit unserem Geld hatten. Das ist hier mit fast zwei Jahrzehnten Nothaushalt und Haushaltssicherung natürlich deutlich anders, wird sich aber zum neuen Jahr hoffentlich wieder ändern. Weitere Unterschiede liegen zu großen Teilen im Größenunterschied der Kommunen. Rheinbach hat beispielsweise ein eigenes Jugendamt, mit so etwas hatte ich bislang nichts zu tun. Und auch die politische Kultur im Rheinland ist doch etwas anders als im Münsterland. Bei den Sach­ themen hören die Unterschiede

dann aber schnell auf. Wenn es beispielsweise um die allgemeine Wohnsituation der Menschen, um die Schaffung ausreichender Kitaplätze oder die Ansiedlung von Gewerbe geht, das sind alles Herausforderungen, mit denen ich mich thematisch gut auskenne. Behörden Spiegel: Sie haben die finanzielle Schieflage in Rheinbach schon angesprochen. Wie wollen Sie die Stadtpolitik trotz größtenteils leerer Kassen aktiv gestalten? Banken: Bei den Finanzen versucht sich jeder Bürgermeister mit seiner Verwaltung natürlich auf gewisse Weise an der Qua­ dratur des Kreises. Eine schlechte Finanzsituation macht eine aktive Stadtpolitik extrem schwierig. Die Stadt Rheinbach ist jetzt seit rund 17 Jahren entweder im Nothaushalt oder in der Haushaltssicherung, aber wir schaffen es vo­raussichtlich zum neuen Jahr aus der Sicherung heraus. Und dann muss die Maxime natürlich sein, alles dafür zu tun, dass wir nicht wieder da reinrutschen. Denn außerhalb der Haushaltssicherung haben wir eben viel mehr Möglichkeiten zur aktiven Gestaltung unserer Baustellen. Um dabei aber nicht wieder neue Ausgaben zu generieren, müssen wir vor allem versuchen, die Budgets untereinander neu zu gewichten, Prioritäten zu schaffen und dann innerhalb des Haushaltes Gelder umzuschichten, anstatt neue Schulden anzuhäufen. Dadurch, dass wir in unseren Ausgaben zu großen Teilen durch Bund, Land und EU fremdbestimmt sind, ist und bleibt das eine Herkulesaufgabe, aber einfach kann ja jeder, deswegen gehe ich die Herausforderung positiv an. Ideen haben wir auf jeden Fall genug, nur diese Ideen müssen eben irgendwie mit den Finanzen zusammenpassen. Bei unserer Innenstadt kommt dazu noch das Problem des übermäßigen Autoverkehrs in der Ortsdurchfahrt. Ich war schon als Bürger immer wieder erstaunt, wie viel Verkehr eine Stadt mit rund 30.000 Einwohnern produzieren kann. Da müssen wir unbedingt eine Beruhigung angehen, was jedoch nicht ganz einfach ist, da unsere Hauptstraße nicht uns gehört, sondern dem Land. Deshalb müssen wir eng mit Straßen.NRW zusammenarbeiten und gemeinsam ein Konzept finden, wie die Verkehrsströme sinnvoll ab- und umgeleitet werden können. Es ist wichtig, dass wir dafür gemeinsam eine Lösung finden, denn unsere Innenstadt hat eine hohe Qualität mit spannenden Geschäften und toller Gastronomie. Diese Qualität gilt es unbedingt zu sichern. Ich sehe es als kommunalgesellschaftliche Aufgabe, dass wir unsere Bürgerinnen und Bürger mit ins Boot holen, um den stationären Handel zu unterstützen und dieses Angebot so gemeinsam langfristig zu sichern. Dafür müssen wir als Stadt dann die entsprechenden attraktiven Rahmenbedingungen schaffen, damit die Bürger gerne in die Stadt kommen.

Behörden Spiegel: Die Stadt Rheinbach ist traditionell eine Hochburg christlich-demokratischer Politik. Sie sind nun der erste unabhängige Bürgermeister und werden “trotz” erfolgreicher Wahl mit einem CDU-geprägten Stadtrat zusammenarbeiten. Wie wollen Sie diese Zusammenarbeit gestalten und wie wollen Sie dafür sorgen, dass alle Parteien zum Wohl der Stadt zusammenarbeiten?

Banken: Die grundsätzliche Situation ist nicht neu für mich. Ich habe noch nie ein Parteibuch besessen und mich auch bei meiner ersten Bürgermeisterwahl in Everswinkel gegen einen CDU-Mitbewerber durchgesetzt, obwohl die Christdemokraten im Gemeinderat ebenfalls die Mehrheit innehatten. Da wir damals nach einer ersten Findungsphase eine sehr gute Zusammenarbeit

hatten, gehe ich optimistisch an die Sache ran und denke, dass die Zusammenarbeit eines Bürgermeisters Ludger Banken auch mit der Rheinbacher CDU eine erfolgreiche werden kann. Zudem ist die Dominanz der CDU im Rheinbacher Rat auch nicht mehr ganz so groß wie vor einigen Jahren noch, sodass es immer fraktionsübergreifende Mehrheiten benötigen wird, die

dann aufgrund der Sachthemen gefunden werden müssen. Das ist ein Geschäft, das ich aus Everswinkel schon bestens kenne und ich hoffe, dass das in Rheinbach ähnlich gut funktionieren wird. Für mich gilt: Ich will und werde in meine Arbeit ausdrücklich alle Parteien mit einbeziehen. Der Wahlkampf war hart, aber das ist für mich vorbei und abgehakt und jetzt geht es darum, gemeinsam für die Stadt Rheinbach zu arbeiten. Ich gehe auf alle Fraktionen offen zu und ich denke, dass wir alle auf Augenhöhe zusammenarbeiten können. Ohne Parteibuch kann ich dabei gut als Moderator mithelfen, sodass wir auch die Arbeit zwischen den Parteien beleben können. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam gut klarkommen werden.


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Für Daniel Zimmermann, Jahrgang 1982 und seit September in seiner dritten Amtszeit als Bürgermeister von Monheim, kann Jugend nicht schaden: “Die Welt verändert sich heutzutage schneller denn je. Und jüngeren Menschen fällt es tendenziell leichter, diese Veränderung als Chance zu begreifen.” Zu viel Erfahrung sei dabei eher hinderlich.

“Erkennbar gut sein” Die üblichen Verdächtigen (weiße und graue Männer mit langjähriger Erfahrung in Verwaltung und/oder Politik) sind längst nicht mehr unter sich, wenn es um den Kampf um das Bürgermeisteramt geht. Die Bewerberstruktur wird

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Bürgermeister ist kein Ausbildungsberuf Worauf im neuen Amt zu achten ist (BS/Rolf Hartmann) Mit den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im September dieses Jahres wurden auch viele Chefsessel in den Rathäusern neu besetzt. Mancherorts obsiegten sehr junge Kandidaten. Die 28-jährige Sarah Süß triumphierte als jüngste Bürgermeisterin in Steinhagen, Felix Heinrichs siegte mit 31 Jahren als jüngster (Ober-)Bürgermeister in Mönchengladbach. In Bayern sind 14 Prozent aller Stadt- oder Gemeindeoberhäupter Jahrgang 1980 oder jünger. Man könnte annehmen, Jugend ist ein neues Qualitätsmerkmal geworden. zunehmend – jedoch noch mit viel Luft nach oben – auch weiblicher. Ich selbst wurde 2004 mit 39 Jahren Bürgermeister der Gemeinde Blankenheim (ca. 8.000 Einwohner). Trotz einer mehrjährigen Erfahrung als Führungskraft in der Kommunalverwaltung musste ich feststellen: Du befin-

Stellenausschreibung Die Stadt Nordhorn sucht zum 1. November 2021 eine*n hauptamtliche*n Stadtrat (m/w/d) für den Fachbereich Bildung, Ordnung und Soziales. Mit dem Übergang in den Ruhestand der aktuellen Stelleninhaberin ist die Stelle neu zu besetzen. Die neue Stadträtin bzw. der neue Stadtrat wird vom Rat der Stadt Nordhorn gewählt und in das Beamtenverhältnis auf Zeit berufen. Die Amtszeit beträgt 8 Jahre. Die Besoldung erfolgt gemäß der Niedersächsischen Kommunalbesoldungsverordnung nach Besoldungsgruppe B 3 zuzüglich der gesetzlichen Aufwandsentschädigung. Die Stelle ist nicht teilzeitgeeignet. Die Stadträtin oder der Stadtrat leitet den Fachbereich Bildung, Ordnung und Soziales. Zum Fachbereich gehören: • Ordnung und Bürgerdienste • Schulen und Sport • Soziales und Kindertagesbetreuung • Jugendarbeit Eine Änderung des Aufgabenbereichs bleibt ausdrücklich vorbehalten. Gesucht wird eine Persönlichkeit, die an der Schnittstelle zwischen Politik und Verwaltung die Entwicklung der Stadt Nordhorn unter Berücksichtigung gesetzlicher Vorgaben, finanzieller Anforderungen und Erwartungen aktiv durch eigene Ideen mitgestaltet und die bisherigen Maßnahmen fortführt. Die Stadträtin oder der Stadtrat nimmt als Vertretung der Verwaltung an den Sitzungen des Rates, des Verwaltungsausschusses sowie der entsprechenden Fachausschüsse teil. Sie oder er gehören dem Verwaltungsvorstand an, der von seinem Selbstverständnis her ergebnisund zielorientiert, kollegial zusammenarbeitet. Anforderungsprofil: • ein mit einem Master abgeschlossenes Hochschulstudium; mit einem Diplom oder zweiter Staatsprüfung abgeschlossener Universitätsabschluss oder einen anderen vergleichbaren Abschluss • Sachkunde auf dem Gebiet der kommunalen Selbstverwaltung • Erfahrungen bei der Einführung der Digitalisierung und der Weiterentwicklung digitaler Bürgerleistungen • Führungserfahrung in der öffentlichen Verwaltung • ein bürger- und leistungsorientierter Führungsstil • hohe soziale Kompetenz • ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein und Entscheidungsfreude • hohes Engagement, Eigeninitiative und eine überdurchschnittliche Belastbarkeit • Konfliktfähigkeit, Durchsetzungsvermögen und Verhandlungsgeschick • Kreativität, Teamfähigkeit, Einsatzbereitschaft und zeitliche Flexibilität • ausgeprägte Fähigkeit zur konfliktlösenden Kommunikation • Erfahrung im Umgang mit kommunalpolitischen Gremien • Wünschenswert ist eine Wohnsitznahme in Nordhorn. Die Stadt Nordhorn (ca. 54.000 Einwohner*innen) zeichnet sich aus durch: • eine hohe Lebensqualität mit zahlreichen Freizeit-, Vereins- und Kulturangeboten • gute Bildungs- und Kinderbetreuungsangebote • eine gut entwickelte Infrastruktur im Bereich des Sports • ein gutes Netz von Radwegen und Förderung des Radverkehrs • die Lage an der niederländischen Grenze • das Erscheinungsbild als „Wasserstadt“ (Vechte, Vechtesee, zahlreiche Kanäle) • attraktives Wohnen und ein nachbarschaftliches Miteinander • eine lebendige Innenstadt mit vielfältigem Einzelhandelssortiment Aussagekräftige Bewerbungen richten Sie bitte vorzugsweise online bis zum 01.02.2021 an die Stadt Nordhorn z.Hd. Herrn Bürgermeister Thomas Berling (thomas.berling@nordhorn.de). Für Fragen steht Ihnen Herr Berling unter 05921 878 145 zur Verfügung. Da die Gleichstellung von Frauen und Männern für die Stadt Nordhorn ein wichtiges Ziel ist, werden insbesondere Frauen aufgefordert, sich zu bewerben. Bewerbungen können auch postalisch an Bürgermeister Thomas Berling, Bahnhofstraße 24 in 48529 Nordhorn gesendet werden. Die Bewerbungen werden vertraulich behandelt.

dest dich in einer völlig neuen Liga. Plötzlich keine Kolleginnen und Kollegen mehr haben, unter ständiger öffentlicher Beobachtung sein. Es reicht eben nicht mehr, nur “gut zu sein”. Vielmehr muss man “erkennbar gut sein”. Das ist nicht einfach. Ein eifersüchtiger Kampf zwischen dem allentscheidenden Rat (zumindest in NRW) und dem vom Bürger mit Vertrauensvorschuss ausgestatteten urgewählten und um eine eigene radikale Marke ringenden Bürgermeister ist vielerorts vorprogrammiert.

Lernen, “neben dem Amt zu stehen” Bürgermeister zu sein, kann man nicht lernen. Es ist kein Ausbildungsberuf. Learning by Going ist hier angesagt. Den erforderlichen Respekt wird in der Anfangszeit das Amt verschaffen. Aber bald ist die Schonzeit vorbei und man muss “liefern”. Ein Bürgermeister muss in allen Handlungsfeldern stets kompetent, freundlich und verbindlich wirken. Dabei steht er auch stets im Mittelpunkt des Interesses, denn er ist aufgrund seines Amtes die zentrale Figur in der Kommune. 60 bis 70 Stunden Arbeitszeit in der Woche (teilweise sogar darüber hinaus) sind keine Seltenheit. Das Ausmaß der wöchentlichen Arbeitsbelastung ist erheblich. Wenn man nach dem Ende einer langjährigen Amtszeit nicht als körperliches und psychisches Wrack enden

Bürgermeister ein Vorbild sein, Führungsqualitäten und fachliche Rolf Hartmann ist seit 2004 Kompetenz haben Bürgermeister der Gemeinde und die richtigen Blankenheim. Foto: BS/privat Entscheidungen treffen, notfalls auch gegen Widerstand aus der Politik. Nur Fachkompetenz wird nicht will, muss man auch lernen, mal genügen. Ein Bürgermeister hat “neben dem Amt zu stehen”. Es den Geschmack seines Publikums gilt, eine Work-Life-Balance zu zu treffen. Dabei spielen Symfinden. Die Bürgerschaft begegnet pathiewerte eine entscheidende dem Bürgermeister im Alltag in Rolle: Das kompetente “Ekel” wird eben nicht wiedergewählt. unterschiedlichen Rollen: – als Kunde, der kommunale Andererseits kann er mit allen erlaubten Waffen des Rathauses Dienstleistungen anfragt, – als Auftraggeber/Souverän, einen Vertrauensvorsprung erarwenn es um die Urwahl geht, beiten, was im Volksjargon gerne – als Mitgestalter, der Bürger- Amtsinhaberbonus genannt wird. Dieser muss in Wirklichkeit hart beteiligung einfordert. erkämpft werden. Nach der Wahl Nach der Wahl ist vor der ist eben vor der Wahl.

Wahl

Je nachdem, in welcher Rol- Ein erfüllender Beruf

le ein Bürger sich gerade sieht, unterscheiden sich auch die Erwartungen. Dabei stellt sich die berechtigte Frage: Kann eine Person überhaupt alle Erwartungen erfüllen? Sind diese Erwartungen nicht außerdem widersprüchlich? Ein Bürgermeister soll bürgernah und nicht abgehoben sein, Leichte Zugangsmöglichkeiten sollten zum Markenkern gehören. Social Media sollte man mittlerweile beherrschen, hier kommt es auf das richtige Maß und den Inhalt an. Gleichzeitig muss ein

Die negativen Begleiterscheinungen des Bürgermeisteramtes betreffen vor allem das Privatleben, welches zunehmend öffentlich wird. Auch die öffentlichen verbalen Attacken häufen sich. Oftmals leiden Freizeit, Gesundheit sowie die Familie unter dem Amt. Keine Schwäche darf man zeigen. Ständige politische Kämpfe prägen das Amt. Aber nicht nur in der Politik, sondern auch in der Verwaltung lauern häufig die “Feinde”, die vielfach – und das ist das Gemeine daran – unentdeckt bleiben.

Es gibt auch viele positive Effekte: Das Selbstvertrauen wächst, die Persönlichkeitsentwicklung ist positiv. In kaum einem anderen Beruf kann man so viel Anerkennung und Dank ernten. In der Summe ist das Bürgermeisteramt ein erfüllender Beruf. Eine beachtliche Kompetenzausstattung des Amtes (Chef der Verwaltung und Vorsitzender des Rates) sowie die Wahrnehmung von seriöser Repräsentanz sind im Verbund mit einem bürgernahen Auftreten günstige Rahmenbedingungen für eine politische und gesellschaftliche Anerkennung. Die Bandbreite an Themen, Tätigkeiten und Personen aus ganz unterschiedlichen Bereichen ist enorm.

Ein spannendes Abenteuer, das sich lohnen wird Viele wünschen sich einen Mentor an ihrer Seite. Bürgermeister sein ist ein spannendes Abenteuer. Es wird sich lohnen, wenn man einige Grundprinzipien beachtet. Und bei allen Fähigkeiten und Leistungen, die abverlangt werden, gilt: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Auch hier wird nur mit Wasser gekocht.

Mehr zum Thema Worauf zu achten ist, wenn man neu im Amt ist, erläutert der Autor in einer sechsteiligen Webinar-Reihe des Behörden Spiegel vom 1. Februar bis 1. März 2021 jeweils von 10 – 13 Uhr. Darin wird das notwendige rechtliche, mentale und strategische Rüstzeug für den Berufsalltag thematisiert und vermittelt. Weitere Informationen unter: www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “Neu im Amt”

ZEHN GEBOTE FÜR KOMMUNEN Der öffentliche Sektor ist zu einem freien Markt geworden. Altes Denken ist da wenig hilfreich. Die Kommunen haben es inzwischen mit Kunden und nicht mehr mit Einwohnern zu tun. Es geht um Zielgruppen und Erlöse. Schrumpfen diese, hat das weitreichende Folgen, und das vor dem Hintergrund angespannter Haushalte, steigender Verwaltungsaufgaben und voranschreitender Digitalisierung. Zehn Gebote liefern Lösungsansätze für

Kommunen. Gebot 9: Wer denkt, man sei eine Verwaltung, will nicht gestalten

Gestaltung anstatt Verwaltung! Das sollte der neue Grundsatz für Kommunen sein. Es gibt viele Städte und Gemeinden, die das verstanden haben und sich an die neuen Spielregeln der Zeit anpassen. Sie haben begriffen, dass “Gestalten” das beste Mittel ist, um nicht zu schrumpfen. Dafür hat sich allerdings das Mindset innerhalb der Verwaltung und der kommunalen Politik zu verändern. In der Gemeinde Dötlingen (Oldb) ist zum 01. 11. 2021 die Stelle des Zwar wird offiziell an die EigenverantwortHauptamtlichen Bürgermeisters (w/m/d) lichkeit des Bürgers neu zu besetzen. appelliert, aber innerhalb des öffentlichen Beim Amt des Bürgermeisters (w/m/d) handelt es sich um eine WahlApparats scheint das beamtenstelle, d.h. die Anstellung erfolgt als Beamtin oder Beamter nicht überall angeauf Zeit für die Dauer von fünf Jahren. Die Besoldung richtet sich kommen zu sein. Der Bürger ist schon benach den landesrechtlichen Vorschriften. reit, wie BürgerbeGesucht wird eine qualifizierte, verantwortungs- und entscheidungsteiligungen zeigen. bewusste Persönlichkeit, die nicht nur in der Lage ist, die Verwaltung Er will mitdenken, eigenständig leistungsorientiert und wirtschaftlich zu leiten, sondern mitreden – eben geauch aktiv und kreativ Entwicklungsprozesse einleitet und Beschlüsstalten. Nun ist es se der Selbstverwaltung umsetzt. auch an der Zeit für Der Bürgermeister (w/m/d) repräsentiert die Gemeinde Dötlingen Verwaltungen, sich nach außen. dem zu öffnen und ihre Mitarbeiter ebenso Wünschenswert sind umfangreiche Fach- und Führungserfahrungen gestalterisch an Proin Verwaltungsabläufen. zessen mitwirken zu lassen. Die Dötlinger Parteien bitten interessierte Bewerber (m/w/d) sich Das Argument, man spätestens bis zum 28. Dezember 2020 online direkt bei den würde gern neue WeParteien zu bewerben: ge gehen, aber es fehlCDU: Beate Wilke – wilkebeate@web.de ten die Mittel, ist nur SPD: Thore Güldner – thoregueldner@web.de ein Vorwand. Denn FDP: Claus Plate – claus.plate@ewe.net wer wirklich will, finBündnis90/die Grünen: Gabriele Roggenthien – info@roggenthien.com det auch einen Weg. In etlichen Kommunen werden weder Bürger noch die Wirtschaft als Partner angesehen. Dabei entstehen durch die Einbindung der vielen Stakeholder unzählige neue Ideen, wie

Dominic Multerer ist Marketingexperte und Gründer des Instituts für Wachstumschancen und Innovation (IWCI). Foto: BS/privat

man etwas zukunftsorientiert realisieren kann. Beim Finden von Lösungen geht es um das Ausloten von Handlungsmöglichkeiten, Kompromissen und das Erzielen von Konsens. Das macht natürlich etwas Mühe, die sich aber am Ende zur Zufriedenheit aller lohnt. Ein Gemeinschaftsgefühl entsteht und nicht ein “wir und die anderen”. Das wirtschaftliche, öffentliche und private Leben wird sich stetig weiterentwickeln. Um das geordnet zu lenken, sind Rahmenbedingungen nötig. Hier können Kommunen kreativ werden und sich dabei praxis- und lebensnah an den Bedürfnissen der unterschiedlichsten Zielgruppen orientieren. Arbeitskreise, Bürgerbeteiligungen oder Hearings sind Tools, die dafür eingesetzt werden können. Kommunen, die das verstehen, bleiben lebendig. Alle anderen werden erleben, wie ihnen ihre Stakeholder nach und nach den Rücken kehren. Das kann weitreichende Folgen haben, wie das Beispiel “Detroit” aus dem ersten Kapitel zeigte. Zwar können Kommunen in Deutschland nicht wie in den USA pleitegehen, aber das Thema Abwanderung erzeugt auch hierzulande enormen Druck. Es muss also im Interesse von Städten und Gemeinden liegen, unternehmerisch zu denken und zu gestalten, statt zu verwalten! Mehr zu den zehn Geboten für Kommunen, mit denen Städte und Gemeinden die Zukunft als Chance nutzen können, unter www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “10 Gebote”


Kommunalpolitik / Kommunaler Haushalt

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Kommunen klagen gegen das Land

I

m Streit um die Zahlungen des Landes Rheinland-Pfalz an die Kommunen fand die erste mündliche Verhandlung am 11. November statt. Markus Zwick, Oberbürgermeister der Stadt Pirmasens, ging nach den rund vierstündigen Verhandlungen mit einer “guten Portion Hoffnung zurück nach Hause”. Denn das Gericht habe nicht nur “ein offenes Ohr für die Position der Kläger” gehabt, sondern auch eigene Zweifel am Vorgehen des Landes geäußert. “Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Herr Lars Brocker, deutete auch an, mit dem Urteil ggf. sogar ein ganz neues Kapitel bei der kommunalen Finanzausstattung aufschlagen zu wollen”, berichtete Zwick nach den Verhandlungen. Laut Zwick muss die Stadt 95 Prozent ihrer Ausgaben für staatlich übertragene “Auftragsangelegenheiten” ausgeben, z. B. für Sozialhilfeleistungen. “Nur mit fünf Prozent unserer Mittel können wir selbst gestalten, z. B. Kultur- und Freizeitangebote, Sport- und Vereinsförderung, Jugend- oder Seniorenarbeit!”, kritisiert Zwick. In Pirmasens hofft man auf ein Grundsatzurteil. “Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir mit unserer Klage tatsächlich den Schlussstrich unter eine Jahrzehnte währende Ungerechtigkeit in Rheinland-Pfalz setzen und Pirmasens damit in eine finanziell bessere Zukunft führen”, so Zwick. “Denn wir sind der Meinung: Wer bestellt, muss auch bezahlen! Alles andere wäre ungerecht.” Die Kommunalverbände des Landes wissen die klagenden Städte dabei in der Sache hinter sich. Die jüngsten Zahlen des Landesrechnungshofs sind für sie Beleg dafür, dass die klagenden Städte gar nicht anders konnten, als den Weg zum höchsten rheinland-pfälzischen Gericht zu suchen. Ende November stellte der Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz seinen Kommunalbericht 2020 der Öffentlichkeit vor. Dort weist er darauf hin, dass die strukturellen Probleme der Kommunen, trotz der guten jahrelangen Einnahmen, weiterhin bestünden. So w hätten 2019 rund 40 Prozent der Kommunen in Rheinland-Pfalz wieder den kassenmäßigen Haushaltsausgleich verfehlt. Dem Rechnungshof zufolge beträgt der Investitionsstau allein an kommunalen Straßen und

Strukturell ungesunde Kommunalfinanzen

Im Streit um Zahlungen des Landes an die Kommunen will der Verfassungsgerichtshof in Koblenz am 16. Dezember seine Entscheidung bekanntgeben. Foto: BS/Pixelio.de, Thorben Wengert

Brücken inzwischen über zwei Milliarden Euro. Preisbereinigt hätten die kommunalen Investitionsausgaben 2017 um ein Drittel unter den Ausgaben des Jahres 1991 gelegen. “Den Preis hierfür zahlt auch die mittelständische Wirtschaft in Form eines Auftragsrückgangs der kommunalen Seite”, so Landkreistag und Städtetag Rheinland-Pfalz. Dies spiegele sich auch in geringeren Steuereinnahmen wider, die wiederum die Kommunen zu noch mehr Zurückhaltung veranlassten. “Ein Teufelskreis, der durch eine verbesserte Finanzausstattung der Kommunen durchbrochen werden muss”, fordern die Kommunalverbände. Weiter müssen die rheinlandpfälzischen Kommunen laut Rechnungshof 128 Mio. Euro höhere Zinsen ausgeben als der Schnitt der anderen Flächenländer. Ursache hierfür seien die im Ländervergleich zweithöchsten Schulden nach dem Saarland. Auch dies belege die Finanznot der rheinland-pfälzischen Kommunen. “Ein kon-

kretes Entschuldungskonzept, obwohl oft von den kommunalen Spitzenverbänden angemahnt, fehlt unverändert”, so die Kritik aus den Kommunalverbänden. Es könne nicht angehen, dass das Land offenbar der Auffassung sei, die Kommunen mögen über den Rechtsweg eine Verbesserung ihrer Finanzsituation erreichen.

Kommunen haben Einnahmemöglichkeiten nicht genutzt Doch auch aufseiten des Landes ist man optimistisch, was die Verhandlungen am VGH betrifft. Innenstaatssekretär Randolf Stich (SPD) betonte, der kommunale Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz sei verfassungskonform. Bereits im Jahr 2014 hatte der VGH eine Reform des Finanzausgleiches erzwungen und das Land habe entsprechend nachgebessert. Durch die Reform sei die Finanzausgleichsmasse des Landes im Jahr 2014 von knapp 2,3 Milliarden Euro auf fast 3,3 Milliarden Euro angestiegen. “Leider hat sich die Situation der rheinlandpfälzischen Kommunen seither

Das Konsolidierungsbuch der Überörtlichen Prüfung (BS/Dr. Ulrich Keilmann*) Bund und Länder haben zur Bewältigung der Corona-Pandemie Hilfs- und Konjunkturprogramme aufgesetzt. Das ist gut und wichtig, wird aber im Gegenzug deren weitere finanzielle Handlungsspielräume jahre- bis jahrzehntelang einschränken. Die Situation in den Kommunen ist ähnlich. Zwangsläufig wird es in der Mehrzahl der Kommunen spätestens mit Abklingen der Pandemie zu Konsolidierungsanstrengungen kommen müssen. Sonst droht, dass Probleme in Form von Defiziten auf nachkommende Generationen verschoben werden.

Klar ist: Das Konsolidierungsbuch kann den Kommunen helfen, den Haushaltsausgleich zu erreichen und die Stabilität der

steuern als andere Flächenländer. Seine Entscheidung zum Rechtsstreit zwischen Land und Kommunen will der Verfassungsgerichtshof am 16. Dezember bekanntgeben.

(BS/lkm) Die rheinland-pfälzische Stadt Pirmasens und der Kreis Kaiserslautern wollen vor dem Verfassungsgerichtshof (VGH) Rheinland-Pfalz mehr Geld vom Land erstreiten. So habe das Land den Städten in den Jahren 2014 und 2015 zu wenig Geld für die ihr übertragenen Pflichtaufgaben Auch Altschuldenproblem ausgereicht. Doch auch anderen Kommunen in Rheinland-Pfalz lasse das Land zu wenig Geld zukommen. Man wolle daher stellvertretend für die muss gelöst werden kommunale Familie gegen das Land klagen. Für die Zukunft in den Städ-

Wegweiser nicht nur in der Krise

Einen wichtigen Beitrag zum Ziel der intergenerativen Gerechtigkeit kann das Konsolidierungsbuch der Überörtlichen Prüfung leisten. Es versteht sich als Handreichung für Fragen der Haushaltskonsolidierung und fasst die Prüfungserfahrungen aus den hessischen Kommunalberichten seit dem Jahr 2013 zusammen. Wesentlicher Inhalt des Buches sind Konsolidierungsempfehlungen zu fast allen Bereichen kommunalen Handelns. Best-Practice-Beispiele runden das Buch ab. Ebenso wird u. a. die Bedeutung wichtiger produktbereichsübergreifender Management-Ansätze hervorgehoben: • Bau- und Gebäude­management, • Energiemanagement, • Forderungsmanagement, • Personalmanagement.

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Foto: BS/Rechnungshof Hessen

erhöht werden sollen, müssen die politischen Entscheider vor Ort treffen. Dies ist der Kern der kommunalen Selbstverwaltung. Gerade in und nach Krisenzeiten kann es helfen, den ein oder anderen Standard zu überdenken, auch wenn dieser lieb gewonnen wurde. So können finanzielle Freiräume geschaffen werden, ohne an der Steuerschraube drehen zu müssen.Die kostenfreie, öffentlich zugängliche Handreichung wird permanent weiterentwickelt. Anregungen und Hinweise aus der kommunalen Familie sind willkommen. Zuletzt wurde das Konsolidierungsbuch im November 2020 um die Ergebnisse des Kommunalberichts 2020 aktualisiert.

Kommunalhaushalte zu erhöhen. Die Entscheidung, wo und wie konsolidiert wird, das heißt, welche konkreten Ausgaben reduziert oder welche Einnahmen

*Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt.

Das Konsolidierungsbuch ist unter ht tps://rechnungshof.hessen.de/infothek/ konsolidierungsbuch abrufbar.

nicht spürbar verbessert. Eigentlich sollte eine belastbare finanzielle Grundausstattung selbstverständlich sein. Dass diese nun abermals vor Gericht eingefordert werden muss, ist bezeichnend”, kommentierte Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages die Situation. Für ihn sind die Normenkontrollverfahren von grundsätzlicher und bundesweiter Bedeutung: “Die Länder sind und bleiben aufgefordert, für eine ordentliche finanzielle Mindestausstattung

der Landkreise und Gemeinden zu sorgen. Es ist bereits verfassungsrechtlich geboten, dass sie ihre Kommunen mit dem Nötigsten zur Bewältigung der eigenen Aufgaben ausstatten, sodass sie nicht dauerhaft Kredite aufnehmen müssen.” Wer jetzt erneut für Investitionen oder zur Abtragung von Altschulden nach dem Bund rufe, helfe nur den Ländern, die offensichtlich ihrer Verantwortung nicht gerecht werden wollten, so Henneke weiter. Stich kritisierte in diesem Zusammenhang die Kommunen, da die Gewerbe- und Grundsteuern der rheinland-pfälzischen Kommunen im bundesweiten Vergleich sehr niedrig seien. Die Kommunen hätten hier Potenzial für mehr Einnahmen nicht genutzt. Der Landesrechnungshof sieht das ähnlich. Zwar seien in den aktuellen Debatten um die finanziellen Auswirkungen der Pandemie gezielte Ausgaben und Investitionen zur Überwindung der Krise angezeigt. Gleichzeitig seien die Kommunen jedoch gehalten, Einsparmöglichkeiten konsequent zu nutzen und vorhandene Einnahmemöglichkeiten ausschöpfen. “Die Mehrzahl der Kommunen in Rheinland-Pfalz war auf die Krise unter anderem durch die seit Jahren zu geringen Realsteuerhebesätze schlechter vorbereitet als die Kommunen in anderen Ländern”, konstatieren die Prüfer im Kommunalbericht. Laut Rechnungshof verfügten die Rheinland-pfälzischen Kommunen 2019 über fast 15 Prozent weniger Einnahmen aus Real-

ten und Dörfern reiche es aber nicht aus, dass das Land seine Fehler für die Zukunft korrigiere, geht der Bürgermeister von Pirmasens noch weiter. Er fordert auch eine Lösung für die enormen Schulden, die wegen der Fehler in der Vergangenheit aufgelaufen seien. “Diese Schulden belasten uns alle. Und sie werden auch unsere Kinder und Enkelkinder in der Zukunft belasten, wenn jetzt keine Lösung dafür gefunden wird!”, so Zwick. Anfang November startete die Stadtverwaltung Pirmasens daher auf der Plattform change.org die digitale Unterschriftenaktion “Petition Heimat”. Die Petition ist an die rheinland-pfälzische Landesregierung und die Fraktionsvorsitzenden im Landtag adressiert. Im Mittelpunkt steht die Forderung nach einer auskömmlichen Finanzausstattung der Kommunen sowie eine Lösung des Altschuldenproblems. Mit ihrer Petition fordern die Städte unter anderem einen Zukunftspakt für das Land, wie es ihn beispielweise im Saarland bereits gebe. Impulsgeber der Petition sind die rheinland-pfälzischen Mitgliedsstädte des Aktionsbündnisses “Für die Würde unserer Städte”. Ziel sind 5.000 Unterschriften, knapp 4.000 haben bereits unterschrieben. Die Petition in Rheinland-Pfalz ist bereits die zweite dieser Art. Im August startete das Aktionsbündnis NRW “Für die Würde unserer Städte” eine ähnliche Initiative in Nordrhein-Westfalen. Auch hier fordern die Kommunen einen “Zukunftspakt NRW”.


Digitale Bildung

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Behörden Spiegel / Dezember 2020

Gut vorbereitet in den Lockdown

Die Schul-IT in die eigene Hand nehmen

Dank langjährigem Landesprogramm konnte RLP spontan reagieren

Bund fördert Ausbildung zum IT-Administrator

(BS/wim) Der durch die Corona-Pandemie hervorgerufene Lockdown war für die gesamte Bundesrepublik eine Zäsur. War es eine gesamtgesellschaftliche Krise, so war von Anfang an ein besonderer Fokus auf die Situation der Bildungseinrichtungen im Land gelegt. Das Recht auf Bildung und die Schulpflicht sollten durch die Krise möglichst wenig eingeschränkt werden, was selten gut, teilweise mäßig und an manchen Stellen auch gar nicht funktionierte. Gleichzeitig war und ist die Bildung eine Sache der Länder, sodass schnell verschiedene Wege gegangen wurden, bei denen der Erfolg ebenfalls unterschiedlich ausgeprägt war.

(BS/wim) Im Rahmen der Digitalisierungsbemühungen rund um den Bildungssektor hat der Bund ein neues Förderprogramm aufgelegt, um Maßnahmen im Bereich der IT-Administration an Schulen sowie der Weiterbildung von Personal zur IT-Administration der öffentlichen und privaten Schulträger zu fördern. In BadenWürttemberg, wo das Programm nun vom Kultusministerium in Kraft gesetzt wurde, stehen für die digitale Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer 65 Millionen Euro zur Verfügung.

Am 16. März versetzte die Bundesregierung die gesamte Republik in eine Notsituation, die es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gegeben hatte. Bis auf ganz wenige Ausnahmen erstarrten sämtliche Branchen aus Wirtschaft und allen weiteren gesellschaftlichen Gebieten ob der politischen Notbremse des umfassenden Lockdowns. Dies führte nicht nur in ebenjenen wirtschaftlichen Branchen, sondern auch bzw. vor allem in der Bildung zu einem plötzlichen Bewusstsein, wie zentral eine funktionierende Digitalisierung heutzutage für das Gelingen einer solchen Situation ist. In Rheinland-Pfalz hatte man bereits vorab seine Hausaufgaben gemacht, sodass man trotz aller Aufregung verhältnismäßig erfolgreich in den Lockdown starten konnte, berichtet Hans Beckmann, Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Ministerium für Bildung: “Die Situation hat natürlich alle überrascht und vor große Herausforderungen gestellt. Da wir in Rheinland-Pfalz aber bereits seit dem Jahr 2007 ein Landesprogramm mit dem Titel “Medienkompetenz macht Schule” haben und dessen Umsetzung auch intensiv verfolgen, war unsere Ausgangslage relativ gut und machte schnelle Reaktionen auf die dynamische Lage möglich.” So hatte man im Rahmen des Landesprogramms in den vergangenen 13 Jahren bereits fast alle weiterführenden Schulen sowie rund zwei Drittel der Grundschulen im Land mit digitalen Geräten für den Unterricht ausgestattet. Zusätzlich gab es auch Angebote zur Fort- und Weiterbildung – nicht nur für die Lehrerinnen und Lehrer, sondern explizit auch für die Eltern. Zudem hatte man vor zehn Jahren die sonst häufig an Universitäten anzutreffende Medienplattform Moodle zum online-gestützten Lernen und Zusammenarbeiten eingeführt. Außerdem gebe es eine Online-Mediathek und ein digitales Curriculum-Tool für digitale Bereitstellung der Lehrund Rahmenpläne letzteres als direkten Ausfluss aus dem DigitalPakt Schule, so Staatssekretär Beckmann.

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m die Ausstattung von Schulen mit digitaler Technik voranzutreiben, haben Bund und Länder 2019 den DigitalPakt Schule verabschiedet. Dem anfangs schleppenden Abfluss der Mittel hat die Corona-Pandemie nun einen neuen Schub verliehen: Spätestens mit dem neuerlichen Lockdown erfolgte ein “Run” seitens der Bildungsträger auf Laptops und Tablets, auch die Antragsfrist für das Sofortausstattungsprogramm läuft Ende Dezember in vielen Bundesländern aus. Nun stellen viele Schulträger fest: mobile Lerngeräte sind für eine erfolgreiche digitale Bildungsvermittlung unerlässlich, aber ohne ein solides WLAN-Netzwerk lassen sie sich nicht sinnvoll einsetzen. Die Tatsache, dass dies vielerorts übersehen wurde, bestätigt, dass Schulen umfassende Beratung und kompetente Partner für ihre Digitalisierungsstrategien benötigen, welche solche Projekte bereits erfolgreich umgesetzt haben. Was Schulen jetzt brauchen, sind leistungsfähige, zuverlässige und sichere Netzwerke für ihre Innen- und Außenbereiche, auf Basis derer die Lerninhalte über die verschiedenen Geräte abgeru-

Bildungsinhalte auf digitalen Endgeräten und die klassischen Formen des Präsenzunterrichtes werden in Rheinland-Pfalz bereits seit Einführung des Landesprogramms “Medienkompetenz macht Schule” im Jahr 2007 gleichermaßen vom Land gefördert. So konnte man verhältnismäßig gut vorbereitet auf die Notsituation im Frühjahr reagieren. Foto: BS/PhotoMIX-Company, pixabay.com

Schnelle Reaktionsfähigkeit als Schlüssel zum Erfolg Durch diese gute Vorbereitung hatte man in Rheinland-Pfalz so die Möglichkeit, direkt zu Beginn des Lockdowns bereits an konkrete Verbesserungen der vorhandenen Möglichkeiten zu gehen, statt erst mal in einem Notmodus schauen zu müssen, was überhaupt getan werden muss bzw. was möglich ist. So seien in der ersten Woche zunächst die Server-Kapazitäten für Moodle deutlich vergrößert sowie eine Handreichung zum online-gestützten Lehren und Lernen für alle Lehrerinnen und Lehrer erarbeitet und ausgegeben worden, die auch in anderen Bundesländern große Beachtung gefunden habe, erklärt Beckmann: “In der Folge konnten wir dann daran arbeiten, weitere Möglichkeiten aufzubauen wie beispielsweise eine Hotline und eine MailAdresse zur Beratung unserer Lehrkräfte und Schulträger. Außerdem haben wir ein Videokonferenztool angeschafft, das wir allen Schulen kostenlos zur Verfügung gestellt haben. Zum November sind wir an dieser Stelle aber bereits auf die

neue Lösung BigBlueButton umgestiegen, um datenschutzkonform unterwegs zu sein.” Nachdem das vorherige Tool eine Lösung darstellte, bei der die Inhalte auf amerikanischen Servern zwischengespeichert oder gar voll abgelegt wurden, kann BigBlueButton auf hauseigenen Servern laufen. Durch ein solches Hosting auf eigenen Servern gelangen keinerlei Inhalte auf fremde Rechenzentren und der Datenschutz kann vollständig vom Land bzw. den IT-Dienstleistern der Schulträger gesteuert und gewährleistet werden. Dank spricht Beckmann neben den Eltern und Lehrkräften auch dem Bund aus, der finanziell gut geholfen habe. Das Antragsverfahren des DigitalPaktes sei aber sehr kompliziert gewesen und hätte vereinfacht werden müssen: “Das Medienkonzept von Schulen und Schulträgern muss nun nicht mehr bei der Antragsstellung vorgelegt werden, sondern kann auch nachträglich bis spätestens zum Auslaufen des DigitalPaktes eingereicht werden, damit die Mittel direkt fließen können”, erklärt der Staatssekretär.

Wenn es funktioniert, kann es so schön sein: Digitale Bildung braucht vor allem digital geschulte Lehrer, aber auch die IT-Systeme müssen nachhaltig betreut werden. Um diese Symbiose auf ein gesundes Fundament zu stellen, fördert der Bund nun die Weiterbildung von Schulpersonal wie auch die Inanspruchnahme von externen Dienstleistern. Foto: BS/Tumisu, pixabay.com

Das Programm richtet sich an sämtliche Schulen des Landes, ob kommunal oder frei getragen, und wird – wie bereits bei den Förderungen aus dem DigitalPakt Schule – von der baden-württembergischen L-Bank organisiert. Zusätzlich zu dem Millionenpaket aus dem Bund verpflichtet sich auch das Land, Lehrkräfte verstärkt im digitalen Unterricht fortzubilden und hierfür weitere neun Millionen Euro zu investieren, die bereits im Nachtragshaushalt bereitgestellt worden sind. “Mit dem Zusatzprogramm Administration unterstützen wir zusammen mit dem Bund die Kommunen bei der Betreuung der IT-Infrastruktur an Schulen. Wir können damit die zusätzlichen Ausgaben, die aufgrund des DigitalPakts Schule bei der Verwaltung der IT-Infrastruktur auf die Schulträger zukommen, etwas abfedern”, erklärt hierzu die Kultusministerin des Landes, Dr. Susanne Eisenmann. Sie weist darauf hin, dass die Schulträger laut Bundesvorgabe einen Eigenanteil von zehn Prozent erbringen müssten. “Diesen übernimmt aber das Land”, stellt Eisenmann klar. In dem neuen Förderprogramm zur IT-Administration sind Wartung und Support der

Anschaffungen förderfähig, die in Zusammenhang mit dem DigitalPakt Schule oder mit einem der Zusatzprogramme getätigt werden beziehungsweise bereits getätigt worden sind. Sind zum Beispiel infolge des “Sofortausstattungsprogramms” zusätzliche Endgeräte für Schülerinnen und Schüler angeschafft worden und benötigt ein Schulträger dafür zusätzliches Personal, um die fachgemäße Wartung der Geräte zu gewährleisten, kann der Schulträger diese Kosten geltend machen und erhält hierfür eine Förderung. Primärer Zweck des Programms ist also die Abfederung zusätzlich bzw. neu entstehender Personalkosten durch die Aufrüstung der digitalen Möglichkeiten. Dabei soll es unerheblich sein, ob diese beim Schulträger dadurch entstehen, dass er IT-Fachkräfte anstellt, oder ob diese Ausgaben aus der Beauftragung eines Dienstleisters resultieren. Ebenfalls soll es möglich sein, bestimmte Fortbildungsangebote für die IT-Administratorinnen und -Administratoren der Schulen finanziell zu unterstützen, die direkt mit der Betreuung von Investitionen aus dem DigitalPakt zusammenhängen. In

Zukunftssicheres WLAN für Schulen Digitale Bildung mit kompetenten Partnern (BS/Katja Herzog) Die Fördergelder des DigitalPakts für Endgeräte laufen aus – und nun stellen Schulen vielerorts fest, dass das Fundament für deren Nutzung fehlt. Was jetzt zu tun ist, um eine langfristige und nachhaltige digitale Infrastruktur für Schulen aufzubauen – und worauf sie dabei achten müssen. fen werden können. Gerade jetzt, wo wieder vermehrt Klassen in Quarantäne geschickt werden, ist eine funktionierende Schulinfrastruktur essenziell, damit der Unterricht vom Klassen- in die Kinderzimmer gestreamt werden kann. Die Verantwortlichen sollten dabei auf InfrastrukturAnbieter und ImplementierungsPartner setzen, die die Anforderungen im öffentlichen Sektor und gerade an Schulen sehr gut kennen und Erfahrung bei der Einrichtung entsprechender Netzwerklösungen haben. So verfügt auch Aruba nicht nur über ein dediziertes Kompetenz-Team sowie Lösungsbaukästen und Materialien für Schulen, sondern auch über ein weitreichendes Netzwerk an ImplementierungsPartnern. Ein starker und erfahrener Partner an der Seite unterstützt Schulen und Betreiber bei der Beantragung von

– sind ohnehin schon genug ausKatja Herzog, Managerin gelastet und könÖffentlicher Sektor Deutschnen nur schwer land, HPE Aruba und Mutter auch noch das von zwei schulpflichtigen Monitoring Kindern, kennt beide Seiten von Netzwerk­ und weiß daher, wovon sie infrastrukturen spricht. übernehmen Foto: BS/HPE Aruba und technischen Support leisten. Schulen sind deshalb auf ITFördermitteln, bei der Simulation Infrastrukturen angewiesen, und Ausleuchtung der Gebäude die sich einfach und mit gerinsowie bei der Bewertung mög- gem Personalaufwand bedielicher Finanzierungsoptionen. nen lassen – ohne Abstriche Damit können sich Schulen auf bei Skalierbarkeit und Sicherihren eigentlichen Auftrag, die heit. Hilfreich ist es, wenn der Vermittlung von Bildungsinhal- entsprechende Netzwerkanbieten, konzentrieren. ter bereits über Lösungspakete für Schulen verfügt, die je Infrastrukturen müssen effizi- nach Größe und Bedarf schnell ent zu managen sein und einfach angepasst werden Die IT-Fachkräfte an den Schu- können. Da die Digitalisierung len – wenn überhaupt vorhanden von Bildungsinstitutionen ein

Langfrist-Vorhaben ist, sollten diese auf Schnellschüsse verzichten und auf eine sorgfältige Planung setzen. Unterstützt werden sie dabei von spezialisierten Beratern, Fachanbietern oder dem Fachhandel, die im Vorfeld eine ganze Reihe von Details zu klären haben: Ist der Netzwerkanbieter nach den neuesten WiFi-Standards zertifiziert? Ist eine Konformität der Komponenten gegeben, und gewähren Garantien und Software-Updates ihren langen Lebenszyklus (die Voraussetzung für eine wirklich nachhaltige Netzwerk-Infrastruktur)? Hat die Lösung offene Schnittstellen, die eine Integration mit anderen Lösungen ermöglicht? Werden aktuelle Sicherheitsstandards eingehalten? Um also langfristig ein gutes, stabiles Netz zu haben, müssen Schulen Lösungen instal-

einem nächsten Schritt sollen die Schulträger vom Kultusministerium informiert werden, welches Budget ihnen für die Förderung zur Verfügung steht und wie sie Anträge stellen können. Diese können gestellt werden, sobald die Formulare auf der Homepage der L-Bank veröffentlicht sind. Bewilligungen sind nach Angaben der L-Bank voraussichtlich ab dem 1. April 2021 möglich. “Durch die Bekanntmachung der Förderrichtlinien können sich die Schulträger bereits über die Fördermöglichkeiten informieren. Damit können sie ihre Anträge vorbereiten, um diese dann ab April stellen zu können”, so Eisenmann. Die Zusatzvereinbarung “Administration” ist die zweite Ergänzung des DigitalPakts Schule, der im Jahr 2018 vom Bundestag verabschiedet worden war. Wie das “Sofortausstattungsprogramm” für Schülerendgeräte und das Zusatzprogramm “Lehrerendgeräte”, das aktuell durch die Länder und den Bund unterzeichnet wird, hat es auf Bundesebene ein Volumen von 500 Millionen Euro. Gemäß Königsteiner Schlüssel erhält Baden-Württemberg davon 65 Millionen Euro.

lieren, die sich an ihrem zukünftigen Bedarf orientieren und – angesichts der Vielzahl an Nutzergruppen – skalierbar sind. Zielsetzung ist eine WLAN-Netzwerk-Abdeckung, die das gesamte Schulgebäude und den Außenbereich an das WLAN-Netz anbindet. Um Einstiegshürden zu mindern und einen sicheren Grundbetrieb zügig sicherzustellen, ist es auch möglich, Prioritäten zu setzen und Ausbaustufen zu definieren, die auf eine Endanforderung zugeschnitten sind. Damit wird deutlich: Hinsichtlich der Anforderungen an ein Netzwerk unterscheiden sich Schulen gar nicht so sehr von den Anforderungen eines Unternehmens, ihre Aufgaben sind durchaus als geschäftskritisch zu betrachten. Die Einrichtung einer digitalen Infrastruktur sollte daher mit gegebener Professionalität, Weitsicht und kompetenten Partnern erfolgen – denn die Kompetenz, Bildungsinhalte auch digital zu vermitteln, wird nach Corona weiterhin gefragt sein. Informationen zum Lösungsangebot von Aruba für Schulen: https://www.arubanetworks. com/de/solutions/grundschulen


Digitale Bildung

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Große Fortschritte

W

eitere zwölf Standorte, bei denen zuvor noch aufwendigere Arbeiten durchgeführt werden müssen, werden innerhalb der nächsten Wochen einen schnellen Anschluss bekommen. Wir haben seitens des Kreises die Sommerferien und die Zeit danach genutzt, um deutliche Verbesserungen im digitalen Lernumfeld der Schülerinnen und Schüler zu schaffen. Schnelles Internet heißt im konkreten Fall eine Downloadgeschwindigkeit von 400 MBit und eine Uploadgeschwindigkeit von 40 MBit. Dabei handelt es sich um Mindestleistungen, die teilweise deutlich überschritten werden. Bisher sind Anschlüsse mit einer Bandbreite von lediglich 16 MBit/s im Download und zwei MBit/s im Upload keine Seltenheit gewesen.

Landrat Kubat: zur Digitalisierung der Schulen in Waldeck-Frankenberg (BS/ Landrat Dr. Reinhard Kubat) Die Digitalisierung der Schulen in Waldeck-Frankenberg hat seit den Sommerferien enorme Fortschritte gemacht. Es konnte eine Vereinbarung mit dem Anbieter Vodafone getroffen werden, Schulstandorte kurzfristig, das heißt unmittelbar nach den Sommer­ ferien, mit schnellen Internetanschlüssen auszustatten.

Ziel: Glasfaser für jeden Standort Mit den Fortschritten, die die Digitalisierung an den Schulen Foto: BS/LK WA-FKB Waldeck-Frankenbergs damit innerhalb kürzester Zeit macht, schlagen wir ein neues Kapitel in werden können. Auch wird so die der Bildungsgeschichte auf. 39 Möglichkeit eröffnet, Wartungsar- der 68 Schulstandorte konnten beiten ggf. online auszuführen. das Angebot schon zum SchulIn einem nächsten Schritt wer- jahresbeginn nutzen, weitere den dann alle Unterrichtsräume sieben sind mittlerweile noch –sofern noch nicht geschehen – dazugekommen. Priorität geverkabelt. Dafür müssen noch nießt derzeit das Schulzentrum weitere Vorbereitungen getroffen in der Kreisstadt Korbach, wo mit werden, die zum Teil kurzfristig drei Schulen (Grundschule mit umgesetzt werden können und Förderstufe, Berufliche Schulen zum Teil mittelfristig über den Di- und Gymnasium) die höchste gitalPakt finanziert werden sollen. Konzentration von SchülerinDr. Reinhard Kubat ist seit 2010 Landrat des Landkreises Waldeck-Frankenberg.

Zwei Anschlüsse pro Schule Genau genommen switchen wir von Zeitlupe auf schnellen Vorlauf um. Zwar nutzen wir noch die bereits vorhandenen KupferKoaxialkabel, insofern muss man also von einer “Brückentechnologie” sprechen, aber Vodafone ist uns sehr weit entgegengekommen und wir haben ein Sonderkün-

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In Waldeck-Frankenberg wurden die Sommerferien und die Zeit danach genutzt, um deutliche Verbesserungen im digitalen Lernumfeld der Schülerinnen und Schüler zu schaffen. Foto: BS/Stefan Meller, Pixabay.com

digungsrecht vereinbart, sobald einer der angeschlossenen Schulstandorte auch ans Glasfasernetz angeschlossen wird.

KOMMENTAR

Warum nicht digital? (BS) In mittlerweile drei verschiedenen Paketen stehen Mittel für die Digitalisierung von Schulen bzw. der Lehre zur Verfügung. fünf Milliarden im DigitalPakt Schule, 500 Millionen von den Ländern und noch einmal eine Milliarde aus dem Corona-Konjunkturpaket. Und immer wieder wird bemängelt, diese Gelder würden nicht in ausreichendem Umfang abgerufen. Aber wenn eine Schule in der laufenden Corona-Pandemie ein Konzept entwickelt, wie mit einer Kombination aus Präsenzunterricht und digitaler Lehre sichere Bildung gewährleistet werden kann, wird sie vom zuständigen Landesschulamt gebremst. So geschehen an der Alexander-Coppel-Gesamtschule in Solingen. Dabei könnten so Klassen verkleinert und Schüler und Schülerinnen, die sich in Quarantäne befinden, weiter unterrichtet werden. Wenn digitale Lehre an deutschen Schulen konsequent umgesetzt werden soll, müssten sich Bund und Länder für Konzepte wie in Solingen einsetzen. Im neuesten Bund-Länder-Beschluss zum Teil-Lockdown vom 25. November wurde die Kombination aus Präsenz- und Digitalunterricht aber eher stiefmütterlich behandelt. Den Unterricht so lange wie irgend möglich weiterlaufen zu lassen, ist grundsätzlich ein löbliches Ideal. Aber müssen dafür alle Schülerinnen und Schüler weiterhin zwingend mit Jacken und Fleece-Decken bei offenem Fenster in den Klassenräumen sitzen? Ganz abgesehen davon, dass kalte Finger ganz bestimmt nicht konzentrationsfördernd sind, ist das Dauerlüften gerade keine adäquate Lösung für die Zeit nach den Weihnachtsferien. Lehrer wie Eltern fordern Lösungen für sichere Bildung. Zu Recht. Denn weder das mehr oder weniger unbetreute “Homeschooling” im Frühjahr noch der alternativlose Präsenzunterricht sind in der laufenden zweiten Infektionswelle besonders attraktiv. Kleinere Klassen werden unumgänglich sein, wenn wir vermeiden wollen, dass die Schüler und Schülerinnen das Virus aus der Schule mit in die Familien bringen – und so im schlimmsten Fall auch in Risikogruppen tragen. Und bei allem Verständnis für die Sorge, Schüler und Schülerinnen könnten durch digitale Lehre benachteiligt werden: Ob im Wechseloder Hybridunterricht, für die zu Hause Bleibenden werden immer Nachteile oder Probleme entstehen. Nur fallen die im Videochat eher auf und können im Idealfall sogar behoben werden. In Zukunft sollte nur noch ein Faktor darüber entscheiden, ob hybrider Unterricht durchgeführt werden kann: ein gut durchdachtes – und im Idealfall getestetes – Konzept. Eines, dass die technische Ausstattung und auch die digitale Kompetenz von Lehrenden und Lernenden an der jeweiligen Schule berücksichtigt. Alles andere behindert unnötigerweise die Wissensvermittlung in einer ohnehin schwierigen Zeit. Tanja Klement

MELDUNG

Innovationsschub für digitales Lernen (BS/jf) Lehrerinnen und Lehrer fordern mehr Fortbildungen zum Distanzlernen oder für digitales Lernen. Dies ist ein Ergebnis des Sonder-Präventionsradars der DAK Gesundheit “Lehrergesundheit in der Corona-Pandemie”. “Es reicht nicht, Lüftungskonzepte zu entwickeln”, betont der Vorstandschef der DAK-Gesundheit, Andreas Storm. Vielmehr müsse die Corona-Krise auch als ein Innovationsschub für die Digitalisierung der Schulen begriffen werden. Nicht zuletzt auch wegen der Gesundheit der Lehrkräfte. Diese wollen, dass ihnen ausreichend Schutzmittel und technische Geräte zur Verfügung gestellt werden und sich in den Schulen ein höherer Arbeitsschutz durchsetzt. Denn insgesamt gaben 90 Prozent der Lehrenden in der Befragung an, der Schulunterricht sei im Vergleich zum Vorjahr deutlich anstrengender geworden. Den Hauptgrund für die gestiegene Anstrengung sahen die meisten im Anhalten der Schülerschaft zur Umsetzung der Corona-Schutzmaßnahmen (22,5 Prozent), gefolgt vom Eigenschutz (16,4 Prozent) sowie durch die Ausfälle von Kollegen (14,6 Prozent). Ein weiterer Stressfaktor: Rund 46 Prozent der Befragten meinten, ihre Schule habe sich (eher) nicht auf wechselnde Lernsituationen vorbereitet.

Jede Schule erhält zwei Anschlüsse, was die Nutzung flexibler gestaltet, indem zwei eigenständige Projekte gleichzeitig durchgeführt

nen und Schülern im Landkreis gegeben ist. Neben den 46 Schulstandorten, die jetzt von Vodafone mit schneller Technologie ausgestattet werden, gibt es 19, die bis zum Jahresende an das Glasfasernetz angeschlossen werden, elf in diesem Jahr und weitere acht im Jahr 2021. Die Abdeckung aller Standorte mit Glasfaseranschlüssen bleibt weiterhin das Ziel. Gerade die Corona-Krise hat uns deutlich gemacht, dass die Digitalisierung einen wesentlichen Anteil an der Aufrechterhaltung unseres alltäglichen Lebens sowie in den Bereichen Arbeiten und Lernen hat. Während das Homeoffice schon in großen Teilen gut funktioniert, hat sich andererseits gezeigt, dass die digitale Infrastruktur im schulischen Bereich möglichst schnell vorangebracht werden muss. Daran arbeiten wir in Waldeck-Frankenberg mit Hochdruck und haben durch das aktuelle Schul-Digitalisierungsprojekt schon einiges erreichen können. Wir werden uns aber sicher nicht auf dem Erreichten ausruhen, sondern die Digitalisierung in Schule, Beruf und Gesellschaft weiterhin konsequent vorantreiben.


Digitale Bildung

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Behörden Spiegel / Dezember 2020

Andere Länder, andere Sitten – vieles gleich

Bewilligt und abgerufen

Deutsche Auslandsschulen zwischen Digitalisierung und Corona

Mittel aus dem DigitalPakt fließen in die Schulen

(BS/jf) Es klingt bizarr: In Südamerika sollen Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden, damit Eltern (BS/jf) “Das Antrags- und Bewilligungsverfahren für den DigitalPakt Schule läuft wie geplant”, sagt Branihren Kindern beim Lernen zuschauen können. Die Digitalisierung der Bildung bietet nicht nur zahllose Chan- denburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) zum Stand der Umsetzung des Förderprogramms. Wie in cen, sondern auch Risiken, wie das Beispiel einer Deutschen Auslandsschule (DAS) zeigt. Brandenburg sieht es auch in anderen Teilen der Republik aus. Ursprünglich wollten die Eltern in der südamerikanischen Schule Kameras installieren, um den eigenen Kindern beim Lernen zuzusehen. Nach intensiven Protesten stoppte die Schulleitung das Vorhaben, berichtete ein früherer DAS-Lehrer im Rahmen eines Treffens der Arbeitsgruppe Auslandslehrerinnen und -lehrer (AGAL) der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Jetzt sei die Kontrolle durch die Hintertür eingeführt worden: Seitdem das Videokonferenzsystem Teams zum Einsatz komme, werde der Unterricht aufgezeichnet und gespeichert. Eltern und Schulleitung hätten die Möglichkeit, diese Aufzeichnungen anzuschauen. Mehr noch: Die Lehrkräfte der Auslandsschule mussten zustimmen, dass die Mitschnitte auch für Marketingmaßnahmen in den Sozialen Medien genutzt werden. Die GEW-Vorsitzende Marlies Tepe forderte angesichts solcher Beispiele, auf den Datenschutz an Auslandsschulen zu achten. Für Lehrkräfte sei das Vertrauen wichtig, dass sie sich in digitalen Räumen gut austauschen könnten. Auch dürften Fortbildungsangebote nicht von Microsoft, Apple und den anderen großen digitalen Playern abhängig sein.

Besser ausgestattet Ganz anders in einer Auslandsschule im südlichen Afrika: Dort fehlten digitale Endgeräte für den Unterricht, sodass sich die Elternvertretung darum gekümmert habe, ausreichend Geräte und Datenvolumen zu bekommen. Es ist jedoch nicht alles schlecht an den rund 140 Deutschen Schulen im Ausland, die von der Bundesrepublik anerkannt sind. Oftmals ist die technische Ausstattung besser als hierzulande. Während sich hierzulande durchschnittlich 11,5 Schülerinnen und Schüler einen Computer teilen müssten,

An Deutschen Auslandsschulen ist der Grad der Digitalisierung mitunter deutlich besser als hierzulande. Foto: BS/ vectorfusionart, stock.adobe.com

seien in an den Auslandsschulen fünf Schulkinder im Durchschnitt, berichtet Thilo Klingebeil, Geschäftsführer des Weltverbandes Deutscher Auslandsschulen (WDA). Mit der technischen Ausstattung ist es jedoch nicht getan. “Unterrichten per Videokonferenz hat nichts mit neuem Lernen im digitalen Zeitalter zu tun”, unterstreicht Heike Toledo, Leiterin der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) im Bundesverwaltungsamt. Unterricht müsse personalisiert und Wissen geteilt werden. Außerdem müssten sich die Lehrkräfte untereinander vernetzen. Dafür stünde den DAS mit einer Schulcloud ein leistungsfähiges Lernmanagementsystem zur Verfügung. Dieses ermögliche virtuelle Treffen und den Dialog von Lehrkräften gleicher Fachrichtungen. Zugleich müsse die Frage gestellt und beantwortet werden, wie Lernen grundsätzlich gestaltet werde sagte Bildungsberater Richard Heinen. Dabei dürfe die Digitalisierung nicht im Vordergrund stehen. Stattdessen

seien kollaborative Konzepte zu entwickeln, mit einem Mix aus Lernbüros, Werkstattunterricht und Projektunterricht. Erst dann käme das Digitale und helfe dabei. Deshalb sei es ratsam, gelassen mit digitalen Technologien umzugehen und verschiedene Systeme auszuprobieren und damit Erfahrungen zu sammeln.

Umgang mit Corona Neben der Digitalisierung des Unterrichts stehen an den DAS auch die Arbeitsbedingungen und gesundheitlichen Risiken im Fokus. Die 140 Einrichtungen hätten eine Blaupause erhalten, welche Vorschriften an deutschen Schulen einzuhalten seien. Aber: In vielen Ländern gelten weit strengere Regeln als in Deutschland, berichtet Toledo. Beispielsweise in Peru. Dort dürften Schulkinder seit acht Monaten nicht mehr das Elternhaus verlassen. Darüber hinaus hätten die Schulleitungen das Recht, noch rigidere Maßnahmen einzuführen. Nur Vorschriften abzusenken sei ihnen nicht erlaubt.

Die Welt des digitalen Klassenzimmers Mit Google for Education und Cloudwürdig in die digitale Zukunft (BS/Linda Hildenbrand*) Google for Education bietet eine Auswahl von webbasierten Produkten und Werkzeugen, die speziell für Bildungseinrichtungen entworfen sind – und das komplett DSGVO-konform. Dazu zählen hardwareseitig Chromebooks als einfach zu verwaltende, schnelle, kostengünstige und sichere mobile Geräte. Im Bildungsbereich sind sie vielseitig einsetzbar und bieten großartige Vorteile – sowohl für Lehrkräfte, Schüler/-innen als auch für Administrator(inn)en. Die Geräte lassen sich innerhalb weniger Sekunden hochfahren und weisen eine lang anhaltende Akkuzeit für einen ganzen Schultag auf. Besonders bestechen Chromebooks durch ihre einfache, zentral gesteuerte, webbasierte Verwaltung. Darin können AdministratorInnen unter anderem Einstellungen wie SafeSearch, das Sperren von Webseiten und die Installation von Apps und Anwendungen auf allen Geräte vornehmen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, mit dem Kiosk-Modus unter anderem einzustellen, dass Schüler/-innen während eines Tests oder einer Klassenarbeiten nicht online recherchieren können. Ein weiterer Vorteil ist, dass Chromebook-Nutzer ungebunden sind und damit Schüler/-innen die Geräte jederzeit austauschen können. Außerdem bietet Google, mit seiner G Suite for Education, cloudbasierte Tools zum interaktiven Lernen. Hierzu zählen

unter anderem das Videokonferenz-Tool Google Meet, das Mail-Programm Gmail und das Schreibprogramm Google Docs. Die G Suite for Education Tools ermöglicht das Zusammenarbeiten und Lernen von Lehrkräften und SSchüler/-innen – In Echtzeit, von überall, auf jedem Gerät. Zusätzlich stellt Google mit Google Classroom Bildungseinrichtungen eine kostenfreie und multifunktionale Lernplattform zur Verfügung. Google Classroom besticht durch seine intuitive Oberfläche und bietet viele Möglichkeiten, den Unterricht effektiver und interaktiver zu gestalten, z. B. durch digitale Arbeitsmaterialien, einfachere Zusammenarbeit und Kommunikation. Außerdem können Lehrkräfte in Google Classroom Fächer/Kurse erstellen sowie Aufgaben verteilen, zu denen Schüler/-innen direkt Fragen stellen können. Gleichzeitig können Lehrkräfte schon während der Bearbeitung einer Aufgabe

Schüler/-innen Feedback geben – Und das alles an einem Ort. Google Classroom lässt sich zudem nahtlos in andere Google Tools wie beispielsweise Google Drive und Google Docs integrieren. Möchten sie weitere Informationen rund um die G Suite for Education und Chromebooks erhalten? Kontaktieren Sie uns gerne über 07159/49792-13 oder info@cloudwuerdig.com. Als einer der größten Google-forEducation-Partner in Deutschland sind wir von Cloudwürdig seit 2009 der Ansprechpartner für Bildungseinrichtungen rund um die Themen Cloud und Digitalisierung. Wir bieten kostenfreie Beratungsgespräche und unterstützen von der Planung über die Anschaffung bis hin zur technischen Umsetzung, Support und Trainings.

In zwölf Bundesländern sind nach Recherchen des Behörden Spiegel bislang über 3.000 Anträge auf Mittel aus dem DigitalPakt Schule eingegangen. Rund 76 Prozent wurden bewilligt. Insgesamt wurden 683,5 Millionen Euro beantragt, von denen über 72 Prozent bewilligt wurden. Spitzenreiter bei der Antragsbearbeitung ist Sachsen. 98 Prozent der eingereichten Anträge sind bewilligt sowie 96 Prozent der Gelder. Ähnlich ist die Lage in Thüringen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Es gibt jedoch auch Länder, bei denen der Bearbeitungsstand lediglich bei 30 Prozent liegt. Doch die Zahlen spiegeln nur begrenzt den tatsächlichen Fortschritt wider. Der Bewilligung der Anträge geht ein umfassender Planungsprozess aufseiten der Kommunen voraus. Zum einen wird von den Schulen und ihren Trägern ein Medienkonzept verlangt. Zwar kann dies inzwischen nachgereicht werden, trotzdem muss die Arbeit daran gemacht werden. Zum anderen setzen die Einrichtung einer W-LAN-Infrastruktur oder schuleigener Server bauliche Veränderungen an den Schulen voraus, wodurch weitere Planungs- und Verwaltungsarbeiten notwendig werden, die ebenfalls ausgeschrieben werden müssen. Hinzu kommt die demokratische Beschlussfassung im Stadt- oder

In MecklenburgVorpommern hat sich das Bildungsministerium deshalb mit den Schulträgern und ITDienstleistern auf einen Roll-out-Plan für die Förderung geeinigt. “Jede Schule weiß, wann sie dran ist und wie viel Geld Der Weg ist klar vorgegeben, die Finanzierung sie erhält”, sagt ein stimmt auch. Foto: BS/otohansel, stock.adobe.com Sprecher aus dem Ministerium. Doch auch Gemeinderat. Darüber hinaus hier gelte das Erstattungsprinzip. dauert das InfrastrukturproAnders in Bayern. Dort hat gramm noch bis zum Jahr 2024. die Landesregierung schon vor dem DigitalPakt Schule in die Das alles kostet Zeit. “Die Tendenz beim Mittelab- Digitalisierung der Schulen inruf aus dem DigitalPakt Schu- vestiert. Neben 212,5 Mio. Euro, le ist erkennbar positiv”, sagt die für den Ausbau der digitalen Nordrhein-Westfalens Bildungs- Bildungsstruktur bereitgestellt staatssekretär Mathias Richter. werden, kann der Freistaat insVielerorts würden kurzfristig gesamt auf eine weitere Milliarde die Bedingungen geschaffen, Euro an Bundesmitteln zurückdamit es mit der Digitalisie- greifen. Insgesamt stehen mit dem Dirung der Schulen vorangehe. Die Schulträger hätten verstärkt gitalPakt Schule 6,5 Mrd. Euro technisch-pädagogische Kon- zur Verfügung. Hinzu kommen zepte entwickelt, um die bereit- weitere 500 Mio. Euro für die gestellten Gelder sinnvoll und Beschaffung digitaler Endgeräte gezielt einzusetzen. Allerdings für Schülerinnen und Schüler, sei der Abruf der Mittel nicht weitere 500 Mio. Euro, um Lehrer überall gleich stark. “Die Mittel mit Endgeräten ausstatten zu können erst abgerufen werden, können, sowie 500 Mio. Euro wenn die Projekte beendet und für Administratoren. Die Zahlen beruhen auf Angaben endabgerechnet sind”, heißt es dazu aus dem Thüringer Bil- ohne die Länder Berlin, Hamburg, dungsministerium. Erst dann Hessen und Niedersachsen. Dewerde Thüringen die Mittel tat- ren Daten lagen bis Redaktionssächlich abrufen. schluss nicht vor.

Einfache Kommunikation für den Schulalltag SchoolUpdate bietet sicheren und schnellen Informationsaustausch (BS/Verena Gartler*) Moderne und digitale Kommunikation zwischen Schule, Lehrern, Eltern und Schülern – einfach und unkompliziert mit der SchoolUpdate-App der bit media e-solutions GmbH. Die Lösung garantiert die direkte und schnelle Kommunikation, mit Sicherstellung des Datenschutzes auf höchstem Niveau. Die von bit media e-solutions herausgegebene Software School­ Update wurde dafür geschaffen, die Kommunikation zwischen Schule/Lehrern, Eltern und Schülern einfach und sicher abzuwickeln. Die SchoolUpdate App liefert alle schulrelevanten Informationen, Termine, Abwesenheiten, Kalenderfunktion, Empfehlungen, digitale Angebote, Hilfen etc. in einer App mit automatischer Übersetzung und ermöglicht so eine schnelle und unkomplizierte Kommunikation auch mit fremdsprachigen Eltern. Alle Informationen werden durch verschlüsselte Kommunikation gesichert, auf einer Plattform gesammelt und durch Reduktion von Papierverbrauch wird auch noch eine Einsparung erzielt. Auch umgekehrt können Nachrichten (z. B. Krankmeldungen) von Eltern einfach an die Schule geschickt werden. Texte lassen sich mit integrierter Sprachübersetzung automatisch übersetzen und eine Lesebestätigung sorgt für Sicherheit, dass Mitteilungen nicht nur empfangen, sondern auch gelesen und verstanden wurden. Daneben beinhaltet

SchoolUpdate bietet eine datenschutzkonforme und sichere Austauschplattform für alle notwendigen Informationen von Hausaufgaben bis zum digitalen Elternsprechtag. Fotos: BS/SchoolUpdate

SchoolUpdate auch einen Terminkalender, eine Umfragefunktion sowie die Organisation von Elternsprechtagen. “SchoolUpdate hat vor allem in der gesamten Corona-Krise an vielen Schulen hervorragende Dienste geleistet. Sofort nach Bekanntwerden der ersten Schulschließungen im Frühjahr haben wir uns spontan bereit erklärt, viele Schulen auch kostenfrei mit SchoolUpdate in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen,” erklärt Walter Khom, Geschäftsführer von bit media e-solutions GmbH. Hinzu kommt, dass mit School­ Update die Kommunikation nicht nur technisch einfach und sicher abgewickelt werden kann, das System erfüllt auch zu 100 Prozent die Vorgaben der DSGVO. Personendaten werden nicht

in einer internationalen Cloud gespeichert oder gar an Dritte weitergegeben (Stichwort “Facebook”), sondern ausschließlich in einem zertifizierten inländischen Rechenzentrum verarbeitet. Bereits in Deutschland zeigen tausende aktive User, dass Schulen und Eltern SchoolUpdate intensiv nutzen. Wenn Sie die SchoolUpdate-App kostenlos testen möchten, dann nehmen Sie bitte direkt mit der bit media e-solutions GmbH Kontakt auf. Alle wichtigen Informationen finden sich unter http://www. schoolupdate.com Fragen beantwortet: info@school update.com *Verena Gartler arbeitet für SchoolUpdate.

SchoolUpdate auf einen Blick:

*Linda Hildenbrand ist Training Consultant bei der Cloudwürdig GmbH.

Die Messengerfunktion ermöglicht direkte Kommunikation zwischen Lehrern und Eltern sowie Schülern.

• Nachrichten: nachweisliche Übermittlung inklusive Übersetzung. • Abwesenheit: einfache Meldung bei Krankheit via App. • Termine: alle Veranstaltungen sowie schulfreie Tage auf einen Blick. • Hausaufgaben: alle Infos (Was? Bis wann?) • Empfehlungen: nützliche Links, Lesetipps und vieles mehr. • Listen & Umfragen: welche/r Schüler/-in nimmt woran teil? • Elternsprechtag: welche/r Lehrer/-in? Wann & wo? • Rechtskonform: verschlüsselte Kommunikation, DSGVO-konform • Umweltschonend: weniger Papier, einfachere Administration. • Notfall-SMS: Push-Nachrichten in dringenden Fällen.


Digitale Bildung

Behörden Spiegel / Dezember 2020

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Mit fachlichen und örtlichen Kompetenzen

Hilfe beim DigitalPakt

Schulen langfristig sicher und effektiv ins digitale Zeitalter bringen

DigitalAgentur bietet Unterstützung für die digitale Bildung in Brandenburg

(BS/Thomas Coenen) Eine wirklich passende und nachhaltige Digitalisierung ist für die meisten Schulen in der akuten Gemengelage nur mit Unterstützung umzusetzen. Hohe Nachfrage, Gerätevielfalt, tägliche Administration und langfristiges Management bestehender und neuer Strukturen stellen allesamt Hürden dar. Die kommunalen IT-Dienstleister stehen Schulen und Schulträgern als “natürliche Partner” zur Seite – sie besitzen die Erfahrung und Konzepte für das digitaltechnische Zusammenspiel vor Ort. Mit dem “DigitalPakt Schule” trat die Bundesregierung kurz vor der Corona-Pandemie auf den Plan, die digitale Ausstattung der Schulen mit fünf Milliarden Euro zu unterstützen. Im Laufe dieses Jahres kamen weitere Förderprogramme hinzu: Konkret sind Schülerinnen und Schülern aus sozial schwächeren Verhältnissen sowie die Lehrerschaft mit mobilen Endgeräten auszustatten. Im November wurden schließlich weitere Gelder zur Finanzierung von Administratoren zugesagt.

Mehrwert digitaler Lernformen nutzen Sämtliche dieser Mittel, genauso wie einzelne finanzielle “Zugaben” der Länder, sind zu begrüßen. Nun kommt es in den unterschiedlichen, teils seit Längerem laufenden Antrags-, Vergabe- und Verteilungsprozessen darauf an, die Weichen auf eine nachhaltige Nutzung und Bewirtschaftung zu stellen. Schulträger, Schulen, Lehrende und Lernende sind so zu unterstützen, dass der ursprünglich für das Klassenzimmer vorgesehene Präsenzunterricht zumindest teilweise in digitaler Form stattfinden kann. Die aktuelle Krise sollte darüber hinaus auch als Chance für mehr begriffen werden: Der Schulbetrieb könnte mittelfristig nicht nur in akuten Krisenphasen digital weitaus besser aufrechterhalten werden, sondern durch entsprechende digitale Mittel grundsätzlich angereichert und so weiterentwickelt werden.

Medienkonzept bestimmt Softund Hardware Für die Beschaffung von Hardund Software ist deshalb zu empfehlen, zunächst die pädagogisch-didaktische Gestaltung des Unterrichts in den Vordergrund zu stellen. Ein passendes Medienkonzept kann daraus abgeleitet

(BS/wim) Mit dem DigitalPakt Schule wollen Bund und Länder für eine bessere Ausstattung der Schulen mit digitaler Technik sorgen. Finanziert wird der DigitalPakt aus dem Digitalinfrastrukturfonds, einem sogenannten Sondervermögen, das Ende 2018 errichtet wurde. Doch auch zwei Jahre nach der Verabschiedung des Paktes bleiben für die Förderempfänger viele Fragen offen. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, veranstaltet die DigitalAgentur Brandenburg für die Schulträger in dem Bundesland eine Webinarreihe, die sich mit verschiedenen Aspekten des DigitalPaktes auseinandersetzt. In einer Ausschreibung hat das Führungskräfte ren, bedarf es einer forum von ProSeminaris den Zuschlag für die technische Umsetzung der Reihe erhalten und unterstützt die abgestimmten Ad- DigitalAgentur mit großem Erfolg.

ministration und eines passenden Supports. Dafür notwendig ist ein langfristiges Mobile Device Management (MDM), das es erlaubt, die vorhandenen und neuen Elemente unkompliziert zu administrieren und gegebenenfalls nachzujustieren. In vielen Fällen ist dafür eine Ansprechperson vor Ort angebracht oder zumindest in der näheren Umgebung. Schließlich geht es auch noch um die Bereitstellung und Nutzung von Bildungscontent. Dieser muss die curricularen Vorgaben erfüllen, qualitätsgesichert und urheber- und lizenzrechtlich geprüft sein. Eine gute Unterstützung stellen auch datenschutzkonforme Portale und Learning-Management-Systeme (LMS) dar. Damit wird gerade in Zeiten des Distanz- bzw. Hybridunterrichts eine gerechte und lernförderliche Umgebung geschaffen.

Thomas Coenen leitet die Projektgruppe Bildung der Bundes-Arbeitsgemeinschaft der kommunalen IT-Dienstleister e. V. (VITAKO) und ist Geschäftsführer der Südwestfalen IT (SIT) mit Standorten in Siegen und Hemer. Foto: BS/Vitako, Dirk Hasskarl

werden, woran sich wiederum die Auswahl und Anschaffung der Software orientiert. Wichtig ist dabei, dass die verschiedenen (Netzwerk-)technischen Elemente zur Vermittlung und Darstellung von Lerninhalten geschützt gemäß DSGVO funktionieren und gleichzeitig ausreichende IT-Sicherheit bieten. Sind die adäquaten Laptops, Tablets und Smart Devices ausgemacht, gilt es, diese möglichst wirtschaftlich einzukaufen. Zahlreiche kommunale IT-Dienstleister haben sich zusammengetan und bündeln ihre Beschaffungsaufträge über die Genossenschaft ProVitako eG. Gemeinsames Verhandeln stärkt die eigene Position, reduziert Bürokratiekosten und ermöglicht Skaleneffekte durch größere Rahmenverträge. Das ist umso wichtiger in Zeiten großer Nachfrage – derzeit geht es da­ rum, überhaupt große Stückzahlen mobiler Endgeräte beschaffen zu können. Die kommunalen ITDienstleister können das leisten.

Auspacken, konfigurieren, administrieren Ist eine Bestellung ausgeliefert, stehen die eigentlichen Schritte noch bevor: Dutzende, hunderte oder gar tausende Geräte sind auszupacken, einzurichten, müssen angeschlossen, richtig konfiguriert und in den Schulen verteilt werden. Weil Hard- und Software und Netzwerke gerade im Zusammenspiel nicht von alleine funktionie-

Erprobte, langjährige Zusammenarbeit Bundesweit verlassen sich mehr als 10.000 Städte, Gemeinden und Landkreise auf die Dienste ihres kommunalen IT-Dienstleisters. Die oft langjährige Zusammenarbeit und die ohnehin bestehende Zuständigkeit für zahlreiche Schulämter und Schulverwaltungen führen fachliche Kompetenzen und Ortskenntnisse bei den kommunalen ITDienstleistern zusammen. Mehr dazu finden Sie in einer “Handreichung zu den Anforderungen an die Schul-Digitalisierung” der VITAKO-Projektgruppe Bildung, die ab Mitte Dezember auf www. vitako.de zur Verfügung steht.

MELDUNG

Digitalisierungsstrategie für das Bildungssystem der Hauptstadt (BS/wim) Der Berliner Landesbeirat Digitalisierung hat sich Anfang Dezember auf Einladung von Bildungssenatorin Sandra Scheeres in einer Videokonferenz konstituiert. Damit ist das Gremium in seine Arbeit gestartet, deren Ziel es sein soll, eine umfängliche “Strategie der Schule in der digitalen Welt” für das Land Berlin auszuarbeiten und dabei das vielfältig vorhandene Know-how,

das die Mitglieder des Beirats mitbringen, einzubeziehen. Die Digitalstrategie soll einen Leitfaden dafür liefern, wie sämtliche Bereiche des Berliner Bildungssystems und der dazugehörigen Verwaltung konzeptionell so umgestaltet werden können, dass sie den Möglichkeiten und den Anforderungen des digitalen Zeitalters sehr gut gerecht werden können.

Der DigitalPakt ist gut gemeint, aber es lauern viele Fallstricke für interessierte Stellen. Zwar werden die Fördermittel beim jeweiligen Bundesland beantragt und nicht direkt beim Bund. Jedes Land ist aber wiederum verpflichtet, für diesen Zweck eine eigene, mit dem Bund abgestimmte Förderrichtlinie herauszugeben, die die Einzelheiten der Förderung festlegt. Um im Zuge dessen einerseits eine bedarfsorientierte und wirtschaftliche Beschaffung zu erreichen, andererseits aber auch die Rückforderung von Zuwendungen zu vermeiden, bedarf es der Durchführung eines gleichsam zielführenden wie rechtssicheren Vergabeverfahrens. Dazu sollen in einem Webinar die aus vergaberechtlicher Sicht wesentlichen Aspekte des DigitalPakts beleuchtet und auf die wesentlichen vergaberechtlichen “Knackpunkte” bei Beschaffungen von IKT-Leistungen eingegangen werden. Aber nicht nur in Sachen Vergabe ist Expertise

gefragt, um einen sinnvollen Mittelabfluss zu erreichen. Die Verwendung der Mittel aus dem DigitalPakt Schule erfordert aufgrund der Komplexität der Aufgabenstellung die Bildung von Fachteams aus den Mithilfe von ProSeminaris will die DigitalAgentur unterschiedlichsten Be- Brandenburg die Schulträger in dem Bundesreichen der Schulträger land bei allen Fragen rund um den DigitalPakt und der Bildungseinrich- Schule unterstützen. L ogografik: BS/Digitalagentur BB tungen. Die Koordination und Aufgabenverteilung (Projekt- träger im Land Brandenburg aus Management) stellen eine Viel- den Inhalten und Ergebnissen zahl von Einrichtungen vor schier der digitalen Workshops lernen unlösbare Herausforderungen. können. Die Teilnehmerinnen Was tun, wenn die personellen und Teilnehmer der VeranstalRessourcen nicht ausreichend tungen werden dabei datenvorhanden oder Erfahrungen mit schutzkonform unkenntlich gekomplexen Projekten gar nicht macht, sodass keine Zuordnung vorhanden sind? Auch auf diese zu einzelnen Personen möglich Fragen sollen in der Webinar- ist. Teilnahmeberechtigt an den Reihe der DigitalAgentur Ant- Webinaren sind ausschließlich worten gegeben werden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Die Webinare, die die Digita- der Brandenburgischen LandeslAgentur Brandenburg in Zu- und Schulverwaltung. Alle weisammenarbeit mit ProSeminaris teren Infos und die Möglichkeit durchführt, werden aufgezeich- zur Anmeldung finden sich unter net, damit auch weitere Schul­ www.fuehrungskraefte-forum.de.

Social & Green IT im Unterricht Nachhaltige Beschaffung von Hardware für die Schule (BS/Susanne Leib) Das gemeinnützige IT-Unternehmen AfB gGmbH bietet IT-Hardware für Schulen mit sozialem und ökologischem Mehrwert. Wir statten eine Generation mit Tablets und Notebooks aus, die unnachhaltiges Verhalten hinterfragt und sich für Umwelt- und Klimaschutz engagiert. Gute Hardware ist fundamental für digitalen Unterricht, Homeschooling und die Ausbildung von Medienkompetenz – und der Bedarf ist seit Beginn der CoronaPandemie enorm gestiegen. Doch neben technischen Features ist gerade für junge Menschen der soziale und ökologische Aspekt der IT-Beschaffung wichtig. Schulen, Eltern und Lehrkräfte können hier ein Zeichen setzen.

Wie nachhaltig kann ein Computer sein? Bereits die Rohstoffgewinnung der für IT-Geräte benötigten Metalle und Mineralien findet unter z. T. fragwürdigen menschenund umweltrechtlichen Bedingungen statt. Medien und Umweltund Sozialverbände berichten regelmäßig über Kinderarbeit, mangelhafte Schutzvorkehrungen und Missstände in Produktionsstätten. Zusätzlich verursacht die Nutzung aller digitalen Geräte laut The Shift Project global mehr CO2-Emissionen als die zivile Luftfahrtindustrie. Beim sogenannten End of Life eines IT-Geräts wartet die dritte Herausforderung: Eine Studie der Vereinten Nationen zeigt, dass nur 20 Prozent aller Elektrogeräte weltweit formal ordentlich gesammelt und recycelt werden. Ein Großteil des Elektroschrotts gelangt auf Müllhalden im Globalen Süden. Nicht fachgerechtes Recycling kontaminiert die Umwelt und ist gleichzeitig mit einem hohen Verlust an wertvollen Ressourcen verbunden. Hochwertige IT-Hardware für digitales Lernen und ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist der zunehmende Anstieg an Elektroschrott, der Abbau von Metallen, sogenannten seltenen Erden und Konfliktmineralien, die in IT-Geräten wie Notebooks, Tablets und Smartphones zum Einsatz kommen. Wie geht das zusammen? Wie können wir unsere Kinder mit guter Technik für Digital-Klassen und Homeschooling ausstatten und gleichzeitig Bewusstsein

tung für Schulen bietet AfB mit seiner Bildungsinitiative “Mobiles Susanne Leib ist Sales Manager Customer DevelopLernen”. Mobiles ment bei der AfB gGmbH. Lernen vermietet klassenweise LapFoto: BS/AfB gGmbH tops oder iPads. Die Schule stellt die Infrastruktur aus den Mitteln des DigitalPakts. schaffen für den nachhaltigen Die Eltern einer Klasse schlieUmgang mit IT-Hardware? ßen Mietverträge ab. Vorteil: Die ganze Klasse erhält einheitliche Social & Green IT von AfB für neue Geräte – Mobbing ist damit Schulen ausgeschlossen. Im Mietvertrag inbegriffen sind AfB bietet allen Schulen unter dem Claim “social & green IT”eine Versicherung und technischer IT-Partnerschaft mit Mehrwer- Support. Zum Vertragsende kann ten: AfB stattet Schulen, Lehr- das Gerät übernommen werden kräfte, Klassen im Verbund oder oder es geht zurück in den Refureinzelne Schüler mit Notebooks bishment-Prozess bei AfB. Plus und Tablets aus. Dabei gibt es für Bildungsgerechtigkeit: Eine Sonderkonditionen für geprüf- Schufa-Auskunft der Eltern ist te, generalüberholte Hardware, nicht nötig. Der von AfB eingerichaber auch Neuware. Ob Kauf zu tete Bildungsfonds unterstützt Sonderkonditionen oder Miete – einkommensschwache Familien. AfB bietet individuell passende Kauf oder Miete, refurbished Lösungen. oder neu – AfB ist Ihr sozialer Auf alle Geräte gewährt AfB min- und grüner IT-Partner destens zwöf Monate Garantie. Sie haben die Möglichkeit, refurVon Microsoft ist AfB seit 2012 als bished zu kaufen oder Sie kaufen anerkannter Refurbisher autori- oder mieten Neuware: Bei AfB siert. Das End-of-Life-Treatment unterstützen Sie ein Inklusionsder Hardware ist bei AfB sicher unternehmen und haben einen und nachhaltig gestaltet: Nicht zertifizierten Partner für die Zeit mehr vermarktbare Hardware nach der Nutzung: Entweder wird bei AfB unter hohen ökolo- durch Datenvernichtung und gischen und ethischen Standards Aufarbeitung oder fachgerechtes zerlegt und fachgerecht in Europa Recycling zur Rohstoffrückgewinrecycelt. nung. Eine Zusammenarbeit mit AfB ist ein Gewinn für digitale Arbeit für Menschen mit Bildung, für Chancengerechtigkeit Behinderung und für die Umwelt. Alle Prozesse bei AfB sind TÜVgeprüft und barrierefrei, denn AfB Mehr Informationen unter www. steht für “Arbeit für Menschen mit Behinderung”. Als anerkanntes afb-group.eu/verantwortung/ Inklusionsunternehmen beschäf- digitale-bildung tigt das IT-Unternehmen etwa hälftig Menschen mit und ohne Behinderung. Jede Zusammenarbeit mit AfB fördert Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt.

IT-Miete für Schulklassen Eine weitere Möglichkeit der nachhaltigen Digital-Ausstat-


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / Dezember 2020

S

o sollen bis 2025 erste Großanlagen in Betrieb gehen, die ersten gut 100 Kilometer eines Pipeline-Netzes installiert und 400 Brennstoffzellen-Lkws im Land unterwegs sein. Das Erreichen der ambitionierten Ziele wird von der Regierung proaktiv vorangetrieben und von der nordrhein-westfälischen Industrie unterstützt, wie Ministerpräsident Armin Laschet und unternehmernrw-Präsident Arndt Kirchhoff in einem Spitzengespräch zum Thema gemeinsam deutlich machten. Mit einem Dutzend Projekte und einem dahinterstehenden Projektvolumen von vier Milliarden Euro setzen die nordrheinwestfälischen Unternehmen laut Landesregierung ebenfalls ganz klar auf Wasserstoff als Rohstoff der Zukunft. Um die Ziele strategisch zu erreichen und dabei einen sinnvollen Markthochlauf zu schaffen, hat das Energieressort eine Wasserstoff-Roadmap NordrheinWestfalen erstellt, die Energie- und Klimaschutzminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart Mitte November vorgestellt hat. Diese Roadmap strukturiert sich in zwei Phasen: zum einen werden Ziele bis 2025 benannt und zum anderen Ziele bis 2030. So soll in den kommenden fünf Jahren u. a. eine erste große Anlage zur Erzeugung von Stahl auf Basis von Wasserstoff in Duisburg entstehen. Im Bereich der Mobilität sind zudem mehr als 400 Brennstoffzellen-Lkw, mindestens 20 Lkw-Wasserstoff-Tankstellen und 60 Wasserstoff-Tankstellen für Pkws geplant. Im ÖPNV sollen zudem rund 500 WasserstoffBusse sowie vereinzelt erste wasserstoffbetriebene Binnenschiffe unterwegs sein. Langfristig, also bis zum Ende der Dekade, sollen zudem u. a. wasserstoffbasierte Anlagen in weiteren Branchen wie bspw. Glas-, Fliesen- und Ziegelindustrie in Betrieb gehen und 11.000 Brennstoffzellen-Lkws über 20 Tonnen, 1.000 Brennstoffzellen-Abfallsammler und 3.800 Brennstoffzellen-Busse im ÖPNV durchs Land rollen, die an 200 Wasserstoff-Tankstellen für Lkw und Pkws aufgetankt werden können.

Der Bund muss den Rahmen schaffen Für Energieminister Pinkwart ehrgeizige, aber alternativlose Pläne: “Das Ziel, die industriellen Prozesse in Nordrhein-Westfalen

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NRW entdeckt den Wasserstoff Landes-Roadmap und Modellregion mit großen Plänen (BS/Wim Orth) Nachdem der Bund und einige andere Bundesländer schon seit einer Weile aktiv an Technologien rund um Wasserstoff forschen, zieht nun auch das bevölkerungsreichste Bundesland mit Elan nach. Das Land Nordrhein-Westfalen will den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft beschleunigen und damit gleichzeitig neue Jobs für bis zu 130.000 Menschen schaffen. Neben einer Modellregion im Düsseldorfer Umfeld aus Rhein und Wupper setzt man sich ehrgeizige Ziele für den Aufbau von Infrastrukturen im Land.

Nicht nur die NRW-Hauptstadtregion um Düsseldorf, sondern auch Gebiete im Ruhrgebiet sowie der Chemiepark Wesseling zwischen Köln und Bonn (im Bild) sollen zukünftig in die ehrgeizigen Wasserstoffprojekte eingebunden werden. Foto: BS/SatyaPrem, pixabay.com

bis 2050 annähernd klimaneutral zu gestalten, kann nur durch den Einsatz von Wasserstoff erreicht werden. Wasserstoff bietet uns riesige Chancen auf dem Weg zu einer grünen und modernen Industrie: Konsequent eingesetzt, können wir damit in Zukunft ein Viertel unserer heutigen CO2-Emissionen einsparen. Auch wirtschaftlich erwarten wir einen Schub: Bis zu 130.000 zusätzliche Arbeitsplätze können in Nordrhein-Westfalen entstehen. Dazu müssen wir jetzt die Voraussetzungen schaffen: Der Aufbau eines Wasserstofftransportnetzes muss zügig in den Regulierungsbereich des Energiewirtschaftsgesetzes aufgenommen werden. Dazu haben wir einen Bundesratsbeschluss herbeigeführt, der notwendige gesetzliche Änderungen enthält. Der Bund muss jetzt liefern.” Wichtige Weichen hat Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Monaten bereits gestellt und im Rahmen der Initiative IN4climate.NRW zahlreiche Projekte auf den Weg gebracht. Nun müsse die Bundesregierung die

regulatorischen Voraussetzungen schaffen und durch die zügige Abschaffung der EEG-Umlage stärkere Anreize bieten. Auch durch eine Reihe von Pilotprojekten hat das bevölkerungsstärkste Bundesland bereits den Grundstein für seine Wasserstoffwirtschaft gelegt. Jetzt will man die Voraussetzungen für einen breiten Roll-out schaffen. Laut Forschungszentrum Jülich wird der Wasserstoffbedarf in Nordrhein-Westfalen bis 2050 auf 104 Terawattstunden pro Jahr steigen. 18 Terawattstunden davon können laut Landesregierung lokal erzeugt werden. Zur Deckung des Gesamtbedarfs strebt man in Düsseldorf weitere internationale Partnerschaften an.

Modellregion mit erstem Wasserstoff-Lkws Wenige Wochen vor der Roadmap hatte bereits die siegreiche Modellregion “Düssel.Rhein. Wupper” aus einem Wettbewerb zur Wasserstoffmobilität in NRW (Mehr zur Modellregion und ihren Plänen auch in unserem Nachbe-

Kautschukböden für inklusive Lernwelten Autor: Doris Janik, Pressereferentin nora systems GmbH (BS) Eine puristisch-moderne Optik, Langlebigkeit und Gesundheitsverträglichkeit – die Schulbaubehörde, Architekten und Nutzer hatten gleich mehrere Gründe, beim Neubau der Hamburger Erich-KästnerSchule auf Kautschukböden von nora zu setzen. Die Gesamtschule im Stadtteil Farmsen ist eine Inklusions-Schwerpunktschule. Da die Kinder und Jugendlichen den ganzen Tag in der Schule verbringen, war das Schaffen eines positiven Lernumfelds von zentraler Bedeutung. Daraus ergaben sich auch an die Baumaterialien wie den Bodenbelag hohe Anforderungen: Er musste ins Designkonzept passen, robust sein und zu einer guten Raumakustik beitragen. Wichtig waren den Verantwortlichen auch die Gesundheitsverträglichkeit und Nachhaltigkeit. Die in der Schule auf insgesamt rund 4.800 Quadratmetern in allen Bereichen verlegten nora KautschukBeläge bringen die vielfältigen Anforderungen unter einen Hut. Auf Verkehrsflächen und Design, Akustik und Gesundheitsverträglichkeit für positives Umfeld Treppen liegt noraplan unita in Foto: BS/Andreas Fromm Dunkelgrau, die Klassenzimmer und Fachräume erhielten einen mindert – beim Gehen ebenso PVC sowie weichmachenden hellgrauen Belag. Mit seiner wie beim Rücken von Tischen Substanzen und unterstützen einzigartigen Kombination aus und Stühlen – trägt er zu einer ein gesundes Lernklima. Zudem Kautschuk und Granit verleiht guten Akustik im Gebäude bei. überzeugen die Kautschukbönoraplan unita Räumen eine Auch in puncto Innenraumluft den durch günstige Lebenszyharmonische und besondere bieten die emissionsarmen und kluskosten: Sie sind äußerst Atmosphäre. Weil der dauere- mit dem “Blauen Engel” aus- widerstandsfähig, langlebig lastische Kautschuk die Geräu- gezeichneten Beläge entschei- und müssen nicht beschichschentstehung am Boden ver- dende Vorteile: Sie sind frei von tet werden.

richt zum Fachkongress e-nrw auf Seite 34) die Arbeit aufgenommen und kann nun schon das erste wegweisende Testprojekt vorweisen. Denn im Rahmen des grenzüberschreitenden Projektes “H2-Share” wird in der Düsseldorfer Region ein wasserstoffbetriebener Brennstoffzellen-Lkw unterwegs sein, um Daten für die spätere Marktrealisierung zu sammeln. Düsseldorf ist die einzige Testregion in Deutschland; insgesamt wird der emissionsfreie Wasserstoff-BrennstoffzellenLkw im schweren Güterverkehr in sechs nordwesteuropäischen

Regionen erprobt. Die Siegerregion des Wettbewerbs Modellregion Wasserstoffmobilität NRW wird das Fahrzeug im innerstädtischen Lieferverkehr einsetzen. Minister Pinkwart sieht das Projekt als zentralen Baustein für einen emissionsfreien Verkehr der Zukunft, denn “Wasserstoff ist für das Gelingen der Energiewende und zur Erreichung der Klimaschutzziele essenziell. Durch die konsequente Nutzung im Verkehrsbereich und in der Industrie ließen sich ein Viertel der heute anfallenden Emissionen vermeiden. Nordrhein-Westfalen hat sich mit seiner Wasserstoff-Roadmap ehrgeizige Ziele gesetzt und wird den Aufbau einer zukunftsweisenden Wasserstoffwirtschaft in den nächsten Jahren deutlich beschleunigen. Wir freuen uns, dass es mithilfe der EnergieAgentur. NRW gelungen ist, den einzigen deutschen Praxistest eines wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen-Lkw in die Modellregion Wasserstoffmobilität NRW zu holen. Wir unterstützen die Region nach Kräften und werden alle Fördermöglichkeiten nutzen, die ambitionierten Ziele unserer WasserstoffRoadmap Nordrhein-Westfalen zu erreichen: Im Jahr 2025 möchten wir 400 Brennstoffzellen-Lkws in Nordrhein-Westfalen auf der Straße sehen.”

Langfristige Ziele in der ­Modellregion Im Rahmen des Testbetriebs sollen die Projektteilnehmer Erfahrungen für einen späteren

Markthochlauf der Brennstoffzellentechnologie im Bereich des schweren Güterverkehrs sammeln. Der Einsatz des 27-Tonnen Lkws der niederländischen Firma VDL wird an europaweit insgesamt sechs Standorten getestet. Während des Praxistests, der bis Weihnachten 2020 läuft, wird der Lkws an einer im vergangenen Jahr eröffneten Wasserstofftankstelle in Düsseldorf-Holthausen betankt. Teil des Projekts ist aber auch die Entwicklung einer mobilen Wasserstofftankstelle durch die Firma Wystrach GmbH aus Weeze am Niederrhein. Das Projekt H2-Share wird durch das Interreg-Programm Nordwesteuropa mit 1,7 Millionen Euro an EU-Mitteln gefördert. Nachdem die Region DüsselRheinWupper den Landeswettbewerb “Modellregion Wasserstoffmobilität NRW” gewinnen konnte, will Dr. Stephan Keller, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf, nun eine Vorreiterrolle einnehmen und diese mit ehrgeizigen Zielen ausbauen: “In den nächsten zehn Jahren sollen in der Region Düssel.Rhein.Wupper 200 Brennstoffzellen-Lkws 140 Brennstoffzellen-Busse sowie mehrere Sonderfahrzeuge mit grünem Wasserstoff unterwegs sein.” Im Landeswettbewerb hatte sich die Region mit ihren Planungen, Wasserstoff zunächst durch den biogenen Anteil von Müllheizkraftwerken, später auch durch Erneuerbare Energien vor Ort zu erzeugen, durchgesetzt. Genutzt werden soll dieser grüne Wasserstoff dann vor allem von Nutzfahrzeugen sowie von kommunalen Fahrzeugen und Unternehmensflotten. Darüber hinaus will die Gewinnerregion den Wasserstoff als Speicher für regenerativ erzeugten Strom nutzen, wenn die Stromnachfrage vor Ort gering ist.


Kommunale Infrasruktur

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­ schaf­ten beim Hes­ sischen Rechnungs­ hof in Darmstadt. Foto: BS/privat

Kommunalportale

Zukunftssicherheit unserer Bäder gemeinsam stemmen von Dr. Ulrich Keilmann

Im Flächenländervergleich ist die Spannbreite der Bäder sowohl bezogen auf die Fläche als auch auf die Einwohner beträchtlich. Nordrhein-Westfalen und das Saarland haben in Bezug auf die Fläche die höchsten Werte. Thüringen und Baden-Württemberg in Bezug auf 100.000 Einwohner.

Dagegen haben MecklenburgVorpommern und Brandenburg in beiden Bezugsgrößen die geringsten Werte. Hier können u. a. geografische Besonderheiten (Seenplatte, Meerzugang etc.) ursächlich sein. Hessen hat sowohl in Bezug auf die Einwohner als auch auf die Fläche eine im Länder-

durchschnitt erhöhte Bäderquote. Gleichwohl sagen die überdurchschnittlichen Werte nichts über einzelne Kommunen und Regionen innerhalb des Landes aus. Zwar ermöglicht das überdurchschnittliche Angebot an Schwimmbädern und Badeseen großzügige Freizeitmöglichkeiten. Allerdings

Li-Ionen Batterien sicher lagern und laden BATTERY line bietet automatisierte Sicherheit (BS/Christian Völk*) Lithium-Ionen-Batterien sind fester Bestandteil im Alltag, stellen jedoch auch ein schwierig abzuschätzendes Risiko dar. Denn obwohl Lithium-Ionen-Batterien im regulären Betrieb relativ sicher sind, reagieren sie bei steigender Temperatur mit Druckaufbau in der Zelle, intensivem Austritt brennbarer Gase, Zellenbrand bis hin zum explosionsartigen Abbrennen der Batterie (Thermal Runaway). Entsprechend wichtig sind präventive Maßnahmen zum Brandschutz und zur Brandfrüherkennung.

BATTERY station XL

Die Düperthal Sicherheitsschränke BATTERY line Typ 90 nach DIN EN 14470-1 (bzw. DIN EN 1363-1) sind speziell für die hohen Anforderungen zum sicheren Lagern und Laden von Li-Ionen-Batterien konstruiert. Entzünden sich Li-Ionen Batterien durch Fehlfunktion selbst, entsteht im Schrank ein Brand. Bei diesem Szenario schließen die Schranktüren automatisch, ein spezieller Mechanismus verriegelt und verschließt die Türen. Ein Öffnen durch Personen und eine dadurch mögliche Rauchgasexplosion (Backdraft) wird verhindert. Nur autorisierte Experten, z. B. Feuerwehr, können in diesem Fall die Türen entriegeln. Mit Klassifizierung Typ 90 und dem vom Fraunhofer Institut geprüften explosionsartigen Abbrennen der Batterien im Schrankinnenraum bietet die BATTERY line zu dem zweifach geprüften Brandschutz genügend Zeit zur Evakuierung und Puffer für die

Foto: Düperthal Sicherheitstechnik GmbH & Co. KG

Brandbekämpfung. Die Modelle BATTERY station sind zusätzlich mit SchukoSteckdosen und einer abgesicherten Spannungsversorgung für Ladegeräte steckerfertig vorbereitet. Über das vorbereitete Lüftungssystem der BATTERY line kann die durch das Laden entstehende Wärmeenergie zudem sicher abgeführt werden. Der Einsatz der BATTERY line unterstützt zusätzlich dabei, rechtliche Vorgaben, insbesondere die VdS-Richtlinien 3103 sowie von FM Global, zu erfüllen.

Smart Control – Brandfrüh­ erkennung durch intelligente Technologie Der Erfolg eines Löschangriffs ist im Wesentlichen davon abhängig, dass in einer möglichst frühen Brandphase die Feuerwehr vor Ort ist. Für die Lagerung und Nutzung von LithiumIonen-Batterien ist daher eine flächendeckende Früherkennung

und automatische Weiterleitung von thermischen Ereignissen, z. B. Bränden, nahezu unverzichtbar. Mit dem intelligenten Assistenzsystem Smart Control mit Touchdisplay können Temperatursensoren als Frühwarnsystem zur Erkennung thermischer Ereignisse im Schrankinneren der BATTERY line von DÜPERTHAL eingesetzt werden, z. B. Schwellwerteinstellungen, um Abweichungen vom Regelfall festzustellen. Für präventives Risikomanagement ist, zusätzlich zur Überwachung der Temperaturen mittels Sensoren des Türstatus und der Lüftung, die Störungsmeldung per SMS, z. B. an Feuerwehr sowie Verantwortliche, möglich. Auch ein individueller Anschluss an Brandmeldeeinrichtungen ist möglich.

Brandschutz auf dem Stand der Technik Betreiber sind verpflichtet, im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung die Gefahren, die von technischen Einrichtungen und Geräten ausgehen können, zu beurteilen und daraus abzuleitende Schutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik umzusetzen. Die BATTERY line, in Kombination mit Smart Control, zur Brandfrüherkennung mit automatischer Alarmweiterleitung, gewährleistet nachhaltig Sicherheit. Die dadurch entstandene Gefahreneindämmung bei Selbstentzündung der Batterien kann als Stand der Technik in der Gefährdungsanalyse berücksichtigt werden. *Christian Völk ist Leiter Marketing bei Düperthal Sicherheitstechnik GmbH & Co. KG

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Euro; im Durchschnitt mit 25 Euro und in der Spitze sogar mit bis zu 80 Euro je Einwohner. Die untersuchten Bäder waren also im zurückliegenden Betrachtungszeitraum für die Kommunen schon nicht rentabel. Umso mehr stellt sich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit einzelner Bäder und nach Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Wirtschaftlichkeit. Dabei hilft keine Schwarzweiß-Sicht, sondern nur eine differenzierte Betrachtung. Insgesamt sehen wir durchaus die Notwendigkeit, Schwimmen lernen zu können, sei es im Schulunterricht oder im Verein. Dabei verkennen wir nicht den Bedarf bis in den ländlichen Raum hi­nein. Gleichwohl bedeutet das nicht, dass jede Kommune ihr eigenes Bad baut. Gerade angesichts des hohen Finanzbedarfs sowie der laufenden Fixkosten sollten Kommunen die Sanierung von Bädern oder gar den Bau neuer Bäder nur

ist neben dem reinen Vorhandensein von Bädern auch deren wirtschaftlicher Betrieb für die Frage der kommunalen finanziellen Leistungsfähigkeit von essenzieller Bedeutung. Zudem hat sich angesichts der Corona-Pandemie der Existenzkampf einiger Bäder noch verstärkt. Badegäste sind für einen Großteil der Freibad-Saison 2020 ausgeblieben. Auch die Hallenbad-Saison startete vorübergehend mit behördlich angeordneten Schließungen im November. Fixkosten fallen in solchen Fällen weiterhin an. Und die Besucherentwicklung in den kommenden Jahren ist weiterhin ungewiss. Einerseits wird mit Bädern eine wichtige Infrastruktur für Bürger, Vereine und Schulen bereitgestellt. Andererseits binden die Bäder kommunale Haushaltsmittel in Millionenhöhe: Allein die von uns geprüften 14 Körperschaften bezuschussten ihre Bäder mit jährlich rund acht Millionen

auf Grundlage von Sportstättenentwicklungsplänen und auf Kreisebene abstimmen, planen und gemeinsam einschließlich der Folgekosten finanzieren. Parallel appellieren wir an die Länderebene, Förderungen nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern nur in den Regionen vorzunehmen, in denen tatsächlich ein räumlicher Bedarf an Bädern besteht. Dabei sollten die Förderprogramme Schulschwimmen als Zuwendungsvoraussetzung sowie ehrenamtliches Engagement und interkommunale Zusammenarbeit als Förderkriterien vorsehen. Lesen Sie mehr zum Thema “Schwimmbäder” im Kommunalbericht 2020, Hessischer Landtag, Drucksache 20/3456 vom 25. September 2020, S. 44 ff. und 272 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.

Kindgerechtes Design mit Tageslicht Raumdesign als Teil der Erziehung (BS/Sabrina Fröhlich*) Die Gestaltung eines Raumes unterstützt das Lernen und die Kreativität der Kinder. Darum ist es gerade bei der Planung von Bildungsbauten wichtig, das Design an den Nachwuchs anzupassen. Unsere Umgebung beeinflusst, wie wir uns fühlen. So fällt Studenten das Lernen an einem hellen Ort leichter, Künstler suchen nach einer inspirierenden Atmosphäre und unsere Laune steigt durch die richtige Farbgebung. Ein probates Mittel: individuelle Tageslichtsysteme für Kindergärten, Kitas und Schulen. Platzmangel in Großstädten und die hohe Nachfrage nach Kitaplätzen stellen Architekten bei der Planung von Kindergärten vor Herausforderungen. Gruppenräume, Spielzimmer, Flure und Eingangsbereiche werden aufgrund der begrenzten Fläche kurzerhand zu Mehrzweckräumen vereint. Doch nicht nur die Raumaufteilung will durchdacht sein. Damit sich die verschiedenen Funktionsecken voneinander abgrenzen, spielt die Gestaltung eine wichtige Rolle. Um das Raumdesign als Teil der Erziehung zu nutzen, wie es zahlreiche pädagogische Konzepte seit Maria Montessori empfehlen, sollten Planer auf ein paar Faktoren achten. Da Wände, Fenster und Türen für Farbe, Akustik und Licht im Zimmer sorgen, beeinflussen diese die Atmosphäre enorm. Mit einer durchdachten Wahl der Bauelemente lässt sich also ein Konzept schaffen, das den Kindern Freiheit und Sicherheit schenkt. Diese beiden Faktoren schließen sich keinesfalls aus: Tageslichtsysteme durchfluten die Räume beispielsweise mit Licht, sodass diese größer und freundlicher erscheinen. Mit ausreichend Platz können die Kinder auf Entdeckungstour gehen und ihr Umfeld kennenlernen. Gleichzeitig signalisiert Helligkeit den Kindern ein Gefühl von Sicherheit. Wenn sie ihre Umgebung, Spielpartner und Bezugspersonen klar und deutlich sehen, fühlen sie sich beim Erkunden und Spielen geborgener. Mit einer passenden Farbgebung und weiteren Details wird der Raum zu einem kindgerechten Ort zum Lernen. Wie das konkret aussehen kann, zeigen wir Ihnen anhand der folgenden Wohlfühlorte für Groß und Klein.

Kindertagesstätte “Wolke 10”, Nürnberg Die Kita “Wolke 10” befindet sich an keinem üblichen Ort. In 16 Metern Höhe thront die Kindertagesstätte auf einem Nürnberger Parkhaus über den Häusern der Stadt. Für die einzigartige Architektur und das kreative Design erhielt das Gebäude bereits mehrere Auszeichnungen. Dabei bietet die Kita einen idealen Spiel- und Lernort für die Kleinen. Im Au-

Eindruck aus der Kindertagesstätte “Wolke 10” in Nürnberg Foto: BS/Querwärts Fotodesign

Eindruck aus dem Kindergarten “St. Severin” in Garching

ßenbereich haben die Kinder die Möglichkeit, sich unter freiem Himmel gemeinsam auszutoben. Auch drinnen geht es mit Freude und Neugierde weiter. Die hellen Räume schaffen eine angenehme Atmosphäre für Kinder und Mitarbeitende. Selbst im Ankleideraum, in dem keine seitlichen Fenster verbaut sind, sorgt das LAMILUX FlachdachFenster FE für genügend Tageslicht. Die bunte Verkleidung des Aufsatzkranzes hüllt den Raum in ein warmes, oranges Licht und versprüht somit Lebensfreude und gute Stimmung.

Kindergarten “St. Severin”, Garching Der Kindergarten “St. Severin” in Garching wählte ein schlichtes und natürliches Design. Die Holzverkleidung im Inneren schenkt dem Raum eine helle und gemütliche Raumat-

Foto: BS/Lamilux

mosphäre. Das geschwungene Dach und die insgesamt 22 runden LAMILUX FlachdachFenster F100 setzen architektonische Highlights. Allein durch diese Besonderheiten wird der kindliche Sinn für Harmonie und Ästhetik gestärkt. Das von oben einfallende Licht zaubert außerdem interessante Lichtund Schattenspiele, die sich im Laufe des Tages verändern. So gelangt ein kleines Stück Natur ins Gebäude und die Kinder beobachten jegliche Wetterereignisse. Da die Tageslichtsysteme teilweise mit Lüftungsklappen versehen sind, werden die Kinder nicht nur mit Tageslicht, sondern auch mit Frischluft versorgt. *Sabrina Fröhlich ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit LAMILUX Heinrich Strunz Holding GmbH & Co. KG.


Kommunale Sicherheit

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as hat vor allem drei Gründe. Erstens, weil die neue Regulierung Rechtssicherheit schafft. Zweitens, weil sie sich an der Realität der Menschen und ihrer Bedürfnisse orientiert. Und drittens – und das hat für die Deutsche Automatenwirtschaft und ihre Unternehmen höchste Priorität –, weil der GlüStV, ganz im Sinne des dritten seiner fünf gleichrangigen Ziele, einen überall gleichermaßen geltenden Jugend- und Spielerschutz anstrebt. Das tut er, indem er strenge Regeln – nicht nur, aber vor allem – für den Jugend- und Spielerschutz vorschreibt und hohe Maßstäbe an die Anbieter anlegt. Dabei wird es im Bereich der Online-Sportwette, beim OnlinePoker und im Bereich der virtuellen Automatenspiele unbegrenzte Konzessionen geben. Es gilt: Wer sich an die strengen Regeln hält, die der Staatsvertrag vorgibt, darf am Markt anbieten. Der neue Staatsvertrag setzt also einen qualitativen Rahmen, bei dem Jugend- und Spielerschutz von zentraler Bedeutung sind. Wie geeignet die vorgesehenen Maßnahmen sind, den Jugendund Spielerschutz zu gewährleisten und darüber hinaus den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung illegaler Angebote entgegenzuwirken (Kanalisierungsziel des GlüStV), wird sich letztlich in der Praxis zeigen. Hier ist auch ein wirksamer Vollzug dringend notwendig. Hinsichtlich des gewerblichen Automatenspiels gibt es bereits Erfahrungen mit den Auswirkungen einzelner Regulierungsmaßnahmen, die die Stärkung des Jugend- und Spielerschutzes zum Ziel haben. Die wohl bekannteste: die Abstandsregel zwischen Spielhallen untereinander sowie zu Kinder- und Jugendeinrichtungen, die mit dem Verbot von Mehrfachkonzessionen einher-

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Qualität als Regulierungsmaßstab Worauf es bei der Spielhallenregulierung nun ankommt (BS/Georg Stecker) Es war ein langes, zähes Ringen zwischen den Ländern. Am Ende steht jetzt ein Kompromiss: der Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) 2021. Als Deutsche Automatenwirtschaft haben wir die Einigung der Länder zu Beginn dieses Jahres begrüßt und unterstützen den Glücksspielstaatsvertrag 2021 selbstverständlich auch jetzt, wenn die Länder seine Vorgaben in ihren Landesgesetzen konkret umsetzen. herstellen sollen, wirksam sind. Fakt ist: Dem Georg Stecker ist RechtsanKanalisierungsziel walt und seit 2014 Vorstandssprecher des Dachverbandes des GlüStV läuft Die Deutsche Automatenwirtdie Verknappung schaft e. V. (DAW) mit Sitz in und Verdrängung Berlin. Foto: BS/DAW/AWI, Urban des legalen Spielangebots sogar zuwider. So stellt der Endbericht des Landes Hessen zur Evaluierung des letzten ging. Rein quantitative Regulie- GlüStV fest: “(…) dass der Ansatz von einer Begrenzung des Spierungskriterien also. Gleichzeitig gibt es, wie die ak- langebots, entgegen den Zielen tuelle Diskussion in der Suchtfor- des GlüStV, sehr wohl zu einer schung zeigt, an der empirischen Ausbreitung von unerlaubten Grundlage sowie an der Wirk- Glücksspielen in Schwarzmärksamkeit der Abstandsregel für ten geführt hat”. den Jugend- und Spielerschutz In Berlin, der Hauptstadt illegamehrstimmigen, deutlichen Zwei- ler Glücksspielangebote, in der fel. Es mehren sich jene in Wis- Leipziger Eisenbahnstraße und senschaft und Politik, die den an vielen anderen Orten lässt Ansatz der Angebotsreduktion sich erleben, was das konkret für rückwärtsgewandt und ange- bedeutet: Hier ist die verfehlte sichts der Digitalisierung und der Regulierung in Form der massiven hohen Verfügbarkeit von Online- Verdrängung legaler Spielhallen Glücksspielangeboten für über- zum Brandbeschleuniger eines holt halten und die differenziertere Schwarzmarktes geworden, der Präventionsmaßnahmen und vor den Jugend- und Spielerschutz allem qualitativen Spielerschutz mit Füßen tritt. fordern. Eine vollständige Abkehr von der Regulierung nach quantiDie Menschen schützen tativen Kriterien hat der jetzige Glücksspiel ist ohne Zweifel Kompromiss der Länder nicht ein sensibles Produkt, aus dem gebracht – und doch haben die eine besondere Verantwortung Länder für einen Paradigmenerwächst. Die Menschen sollen wechsel gesorgt, den wir als mit Freude spielen. Und das ist legale Anbieter sehr begrüßen nur möglich, wenn sie geschützt und unterstützen: Beim GlüStV spielen. Zu diesem Schutz sind 2021 spielen erstmals qualitative wir ihnen als Gesellschaft ins- Regulierungs-Maßstäbe in Bezug gesamt, und selbstverständlich auf Spieler- und Jugendschutz auch als Anbieter, verpflichtet. eine Rolle bei der SpielhallenUmso wichtiger ist es, dass die Regulierung. Ein Novum. Insbesondere mit der ÖffnungsMaßnahmen, die diesen Schutz

klausel des Paragrafen 29 Absatz 4 GlüStV 2021 haben sich die Länder die Möglichkeit geschaffen, erstmals qualitative Regulierungs-Maßstäbe in ihren Ausführungsbestimmungen zur Anwendung zu bringen. So bleibt zwar die generelle Regelung, dass Verbund- und Mehrfachspielhallen verboten sind (Paragraf 25 Absatz 2 GlüStV 2021), erhalten, jedoch ist den Ländern eine befristete Konzessionserteilung für Spielhallen mit einem besonders hohen Maß an Spieler- und Jugendschutz ermöglicht: Paragraf 29 Absatz 4 GlüStV 2021 sieht vor, dass für am 1. Januar 2020 bestehende Spielhallen, die in einem baulichen Verbund mit weiteren Spielhallen stehen, für bis zu drei Spielhallen je Gebäude oder Gebäudekomplex auf gemeinsamen Antrag der Betreiber abweichend von Paragraf 25 Absatz 2 eine befristete Erlaubnis erteilt werden kann. Voraussetzung dafür ist die Erfüllung besonderer, hoher Kriterien für den Spieler- und Jugendschutz: alle Spielhallen müssen von einer akkreditierten Prüforganisation zertifiziert und diese Zertifizierung mindestens alle zwei Jahre wiederholt werden; die Betreiber müssen über einen aufgrund einer Unterrichtung mit Prüfung erworbenen Sachkundenachweis verfügen und das Personal in den Spielhallen muss besonders geschult werden.

lerschutz eine außerordentlich erfreuliche Entwicklung! Denn: Quantitative Regulierungskriterien schützen die Spielgäste nicht und beugen auch problematischem und pathologischem Spielverhalten nicht vor. Kein Spielgast ist dadurch geschützt, dass in einer Konzession neben dem Automaten, an dem er spielt, nur elf – in Berlin und Hamburg gar nur sieben – weitere stehen dürfen. Und es ist auch niemand dadurch geschützt, dass er zur nächsten Spielhalle zu Fuß künftig vielleicht statt elf Minuten zwölf Minuten benötigt. Es sind ausschließlich qualitative Regulierungsmaßstäbe, also Maßstäbe, die den Schutz der Spielgäste in der Spielhalle selbst betreffen, geeignet, diese Schutzfunktion zu leisten. Das beginnende Umdenken bei der Regulierung des gewerblichen Automatenspiels ist im Übrigen auch aus Sicht aller legalen und ordentlich arbeitenden Betriebe begrüßenswert. Sie leisten oftmals bereits heute ein Maß an Jugend- und Spielerschutz, das über die gesetzlichen Regelungen hinausgeht. Freiwillig und aus Überzeugung. Sie wünschen sich eine Regulierung, die ihnen die Chance gibt, mit der hohen Qualität ihres Angebots zu überzeugen, statt Abstände mit dem Maßband zu messen.

Qualität setzt sich durch

Gute Betriebe erhalten – Kanalisierung ermöglichen

Das zeigt: Qualitative Kriterien beginnen, sich auch beim gewerblichen Automatenspiel als Regulierungskriterium zu eta­ blieren – mit Blick auf den Spie-

Mit der Öffnungsklausel des Paragrafen 29 Absatz 4 GlüStV 2021 haben die Länder die Möglichkeit geschaffen, Verbundspielhallen mit maximal

drei Konzessionen befristet zu erhalten. Auch bei den Mindestabständen von Spielhallen untereinander und zu Kinder- und Jugendeinrichtungen liegt die Kompetenz der Ausgestaltung bei den einzelnen Ländern. Sie können bezüglich der Mindestabstände in ihren Ausführungsgesetzen analog den Bestimmungen des Paragrafen 29 Absatz 4 GlüStV 2021 verfahren. Auch hier gilt dann: Die Mindestabstands-Regelungen bleiben im Grundsatz erhalten. Weisen Spielhallen aber ein besonders hohes Maß an Spieler- und Jugendschutz auf, der durch regelmäßige Überprüfung im Rahmen der Zertifizierung nachweisbar kontrolliert wird (analog Paragraf 29 Absatz 4 GlüStV 2021), kann diesen Spielhallen eine Unterschreitung der Mindestabstände im Rahmen der Konzessionierung erlaubt werden. Diese Verfahrensweise ist den Ländern dringend zu empfehlen, um auch in Zukunft einen qualitativ guten Bestand an Spielhallen zu gewährleisten. Mit den Öffnungsklauseln bezüglich Mehrfach- und Verbundspielhallen gemäß Paragraf 29 Absatz 4 GlüStV und analog bezüglich der Mindestabstands-Regelungen haben die Länder wirksame Instrumente, um Betriebe mit einem besonderen Jugend- und Spielerschutz zu erhalten – unabhängig von Abstand und Größe. Diese Instrumente zu nutzen, würde bedeuten, einen immensen Beitrag zur Erfüllung des Kanalisierungsziels zu leisten. Denn ein ausreichender Bestand qualitativ hochwertiger Betriebe ist unverzichtbar, wenn man den natürlichen Spieltrieb in geordnete Bahnen lenken und dem Schwarzmarkt entgegenwirken will. Die Länder können also jetzt den Markt des gewerblichen Automatenspiels nachhaltig und im Sinne des Spieler- und Jugendschutzes verändern. Sie sollten das Momentum nutzen – und die Spreu vom Weizen trennen.

Bürgerbefragung gestartet

Kriminalitätsfurcht in S-H nimmt ab

Einwohner Saarbrückens um Einschätzung gebeten

Dritte Dunkelfeldstudie veröffentlicht

(BS/mfe) Das saarländische Innenministerium unter Ressortchef Klaus Bouillon (CDU) hat eine Bürgerbefragung in Saarbrücken begonnen. Sie ist Teil der vom Ministerium in Auftrag gegebenen Kriminalitätsanalyse für die Landeshauptstadt, die als Kriminalitätsschwerpunkt identifiziert wurde. Es werden 4.000 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger um Auskunft gebeten.

(BS) Die Bürgerinnen und Bürger Schleswig-Holsteins fühlen sich sicherer als vor zwei Jahren. Dies geht aus der dritten Dunkelfeldstudie des nördlichsten Bundeslandes hervor. Laut der Erhebung sind ebenso die Schleswig-Holsteiner auch weniger häufig Opfer einer Straftat geworden. Nur das Vertrauen in das Handeln von Polizistinnen und Polizisten nahm geringfügig ab.

In Saarbrücken hat eine Bürgerbefragung zu Sicherheitsthematiken begonnen.

Gefragt werden sie unter anderem nach ihren Erfahrungen und Einschätzungen zu verschiedenen Kriminalitätsbereichen, ihrem subjektiven Sicherheitsgefühl und möglichen Problemfeldern in Saarbrücken. Zusätzlich zu den ausgewählten Personen können alle Saarbrücker sowie Menschen, die sich privat oder beruflich regelmäßig in der Stadt aufhalten, online an der Umfrage teilnehmen. Der Fragebogen ist in verschiedenen Sprachen verfügbar, darunter Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch und Türkisch. Die Teilnahme an der Befragung erfolgt freiwillig und ist bis Ende des Jahres möglich. Alle Antworten werden datenschutzkonform

anonymisiert verarbeitet, sodass im Nachgang kein Rückschluss auf Personen möglich ist. Die Gesamtresultate der kriminologischen Regionalanalyse zu Saarbrücken werden dann zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht. Sie sollen die Basis für weitere Maßnahmen aus dem Instrumentenkasten der Sicherheits- und Ordnungspolitik bilden.

Detailanalysen werden vorgenommen Bei der Erstellung der Analyse kooperiert das saarländische Innenministerium mit dem Landespolizeipräsidium, der Saarbrücker Stadtverwaltung, dem Landesinstitut für Präventives Handeln sowie mit

Foto: BS/Pete Linfort, pixabay.com

der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Dabei erfolgt eine detaillierte Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Außerdem werden Experteninterviews durchgeführt und sozio-ökonomische Faktoren betrachtet. Innenminister Bouillon appellierte an die Bürger, an der Befragung teilzunehmen. Er sagte: “Es ist wichtig, die Ursachen für die laut Polizeilicher Kriminalstatistik hohe Straftatenbelastung in Saarbrücken herauszufinden, damit wir entsprechende zielgerichtete und wirksame Maßnahmen ergreifen können.” Je mehr Daten gesammelt werden könnten, desto aussagekräftiger werde das Resultat.

Fast ein Drittel der Antwortenden gab an, im Jahr 2018 mindestens einmal Opfer einer Straftat geworden zu sein. Dies ist ein Rückgang um 0,6 Prozentpunkten im Vergleich zur vorangegangenen Studie. Männer wurden dabei häufiger Opfer von Straftaten als Frauen. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden, nehme mit zunehmendem Alter ab. Bezogen auf die einzelnen Deliktbereiche ließ sich feststellen, dass sich die meisten Straftaten dem Bereich der Diebstahlsdelikte zuordnen ließen. Es folgten Straftaten der computerbezogenen Kriminalität sowie der Sachbeschädigung. Gestiegen ist außerdem der Prozentsatz der Sexualdelikte um 0,8 Prozent. Im Gegensatz dazu ist die Anzeigenquote zu den berichteten Straftaten um 1,2 Prozent auf 31 Prozent gestiegen. Besonders im Bereich der Cyber-Kriminalität ist ein signifikanter Anstieg zu verzeichnen. Gleichzeitig lasse sich ein Rückgang der Anzeigen bei Sexualdelikten feststellen, so die Studienautoren. “Nichts rechtfertigt Gewalt gegen Frauen. Hier müssen wir sehr genau hinschauen”, forderte Dr. Sabine Sütterlin-Waack, Innenministerin Schleswig-Holsteins, in diesem Zusammenhang. Ebenso ließ sich ein Rückgang bei der Kriminalitätsfurcht bei den Bürgern feststellen.

Die Bürgerinnen und Bürger Schleswig-Holsteins haben ein positives Bild von der Polizei. Foto: BS/athree23, pixabay.com

Polizei positiv bewertet Im Zuge der Studie wurde auch nach der Bewertung der Polizei gefragt. Dabei konnte das positive Bild der letzten Jahre bestätigt werden. Rund 95 Prozent der Befragten nehmen die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten positiv wahr. Dabei verwendeten die Bürger bei der Bewertung Attribute wie vertrauenswürdig, bürgerfreundlich oder professionell. Ein überwiegender Anteil in der Bevölkerung vertraut weitgehend auf das rechtsstaatliche Handeln der Polizei. Hier gab es jedoch einen Rückgang um 1,2 Prozentpunkte. Außerdem fühlten sich weniger als die Hälfte der Befragten ausreichend von der Polizei informiert. Nichtdestotrotz

zeigte sich Landespolizeidirektor Michael Wilksen bei Vorstellung der Zahlen erfreut: “Wir sind und bleiben eine Bürgerpolizei und setzen auf den Dialog mit allen Teilen der Bevölkerung. Mich freut es ganz besonders, dass die Dunkelfeldstudie das hohe Vertrauen in unsere professionelle Arbeit und den respektvollen Umgang mit den Menschen zum Ausdruck bringt.” Rund 25.000 zufällig ausgewählte Bürger über 16 Jahre wurden für diese Studie durch das Landeskriminalamt angeschrieben und nach ihren persönlichen Erfahrungen und Meinungen zu den Themen Sicherheit und Kriminalität befragt. Von diesen antworteten über 10.000 Schleswig-Holsteiner.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Dezember 2020

Vielfältiger Schatz

KNAPP Nächster Fachkongress des IT-Planungsrates

Immer mehr Kommunen wollen die Potenziale ihrer Daten heben (BS/Guido Gehrt) “Daten sind das neue Öl”, heißt es mit Blick auf die beachtlichen Wertschöpfungspotenziale, die in der Nutzung und noch mehr in der Verknüpfung vorhandener Datenressourcen liegen. So schief dieses Bild auch sein mag, denn anders als der Rohstoff Erdöl sind die weltweiten Datenvorkommen weder abnehmend noch endlich, steigt auch in den Kommunen das Bewusstsein für den Wert der eigenen Daten. So entstehen in Städten, Gemeinden und Landkreisen vielerorts in Form von Dateninfrastrukturen kleine, aber auch größere digitale Ökosysteme, die vor Ort Mehrwerte schaffen und Effizienzpotenziale heben sollen. Navigation sowie zusätzliche topografische Geodaten helfen der Zielgruppe, sicher über Gehwege und sonstige begehbare Wege zu gelangen. Durch permanente satellitengestützte Ortung erhalten die Nutzer entsprechende Anweisungen, um ein zuvor eingegebenes Ziel zu erreichen.

Bei der Stadt Leipzig hat man ein Konzept für den Aufbau einer urbanen Datenplattform erarbeitet, wie Dr. Beate Ginzel, Leiterin Digitale Stadt, Stadt Leipzig, im Rahmen einer Online-Diskussionsrunde zum Thema “Daten als Ressource” auf Digitaler Staat Online erörterte. Bevor man sich in ein derartiges Projekt begibt, ist es wichtig, unter den beteiligten Akteuren ein gemeinsames Verständnis davon herzustellen, was diese Plattform ist, was sie leisten soll und wo Herausforderungen liegen. In Leipzig wurde daher zwischen der Stadt und den ebenfalls in das Projekt involvierten städtischen Beteiligungen – der sogenannten “Leipziger Familie” – eine Art “Memorandum of Understanding” niedergeschrieben und beschlossen. Man sei sich bewusst, so Ginzel, dass man als Stadt auf einem großen Datenschatz sitze, den man nutzen könne, um auch lokal Wertschöpfungsketten, Innovation und Wissenschaft in der Stadt zu stärken. Eine gute Datenvisualisierung könne mit Blick auf die öffentliche Verwaltung die Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen verbessern – von der Arbeitsebene bis hoch zum Oberbürgermeister Zudem ist man in Leipzig derzeit dabei, eine gesamtstädtische Digitalstrategie zu erarbeiten, deren Ziele auch über ein besseres Datenmanagement erreicht werden sollen. Noch eine Besonderheit in Leipzig: Die urbane Datenplattform wird ab 2021 gemeinsam mit den Städten München und Hamburg entwickelt, wobei in diesem übergreifenden Modell jede Stadt vom eigenen Entwicklungsstand aus an dem Projekt mitarbeiten wird. Kernziel dieses im Rahmen der vom Bundesinnenministerium

IoT-Netzwerke für Landkreise

Bunte Vielfalt: Bei den Kommunen liegen in großem Umfang und unterschiedlichsten Formaten Daten von Bürgern und Unternehmen vor. Durch eine intelligente Verknüpfung lassen sich hier über die Schaffung kommunaler Datenplattformen enorme Mehrwerte generieren. Foto: BS/Coco Zinva, pixbay.com

geförderten Initiative “Modellprojekte Smart City” durchgeführten Projekts ist die Vernetzung urbaner Datenplattformen.

hinaus denken und aufbauen, da durch die Vernetzung im regionalen Kontext zusätzliche Mehrwerte entstehen.

Über Stadtgrenzen hinweg

Vorarbeit bei Datenqualität und -management Doch auch aktuell gibt es bereits

Angebote, die sich schon großer Nachfrage erfreuen, wie etwa das Corona-Dashboard, welches u. a. aktuelle Daten zur Zahl der Infektionen und der Auslastung der Krankenhäuser liefert. Auch werden die Kontrollbesuche in Quarantänehaushalten über eine entsprechende Datenbasis optimiert. Zudem läuft derzeit ein Projekt mit einem Start-up zu Radverkehrsflüssen in der Stadt. Dies dient auch als Test, um zu erproben, wie man Sensordaten in das System integriert. In Leipzig will man die urbane Datenplattform aber auch über die Stadtgrenze

Vielen Kommunen, die Interesse an der Schaffung entsprechender Dateninfrastrukturen haben, fehlt zu Beginn der Überblick, was an Daten tatsächlich vorhanden ist und was in welcher Form gebraucht wird. Mit Blick auf Datenqualität und Datenmanagement ist somit einige Vorarbeit zu leisten. Diese Erfahrung hat Dr. Katrin Schleife gemacht, die als Smart-City-Expertin bei Fujitsu bereits zahlreiche Kommunen insbesondere bei derartigen Projekten im Verkehr- und Mobilitätsbereich beraten hat. Mit dem Sammeln von Daten allein sei es nicht getan.

Vernetzte kommunale Datenräume könnten auch einen wesentlichen Beitrag zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse leisten, wie Christian Stuffrein, Referent für Digitalisierung beim Deutschen Landkreistag, im Rahmen der DSO-Diskussion aufzeigte. Einfach mal klein anfangen und dann “in die Skalierung” gehen, lautet dabei die Devise. Dies zeigen auch verschiedene Projekte aus dem Bereich der Landkreise:

NAV4BLIND NAV4BLIND ist eine digitale Navigationshilfe für blinde und sehbehinderte Menschen, die im Kreis Soest zum Einsatz kommt. Mithilfe einer besonderen App wird eine hochgenaue Fußgängernavigation für blinde Menschen ermöglicht. Satellitengestützte und zentimetergenaue

7. Zukunftskongress Bayern

Den Gipfel im Blick Der Aufstieg der digitalen Verwaltung im Freistaat

25. Februar 2021, Online-Event

Künstliche Intelligenz IT-Sicherheit Digitales Rathaus

Bayern-Portal

Smart City

Kulturwandel

Save the date

Kooperation

Onlinezugangsgesetz Gigabit www.zukunftskongress.bayern

Automatisierung #zkonbayern21

Eine Veranstaltung des

Verschiedene Landkreise planen die Errichtung eines landkreisweiten, flächendeckenden IoTNetzwerks (Internet of Things) auf Basis von LoRa-WAN (Long Range Wide Area Network). Hierdurch soll für die Landkreise, interessierte Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und die öffentliche Verwaltung eine Infrastruktur geschaffen werden, mit der das Internet der Dinge greifbar wird und aus der sich durch die Nutzung sensorgestützter Anwendungen ein direkter Mehrwert ableitet.

Metropolatlas Rhein-Neckar In der Metropolregion RheinNeckar hat man in den vergangenen Jahren in Eigenregie auf Open-Source-Basis den Metropolatlas Rhein-Neckar aufgebaut. Der Source-Code wurde mittlerweile veröffentlicht und steht somit auch anderen Kommunen frei zur Verfügung. Denn solche Portale müsse man nicht selbst aufbauen und könne dies oftmals auch nicht, da entsprechende Ressourcen und Kompetenzen fehlten, so MRN-Experte Heinrich Lorei. Der Schlüssel zum Erfolg kommunaler Datenplattformen liegt also, wie häufig bei der Digitalisierung, in der intensiven Kooperation der Stakeholder. Ein Video der Diskussion ist unter www.digitaler-staat.online/ mediathek verfügbar.

(BS/gg) Der 9. Fachkongress des IT-Planungsrates findet am 17. und 18. März 2021 unter dem Motto “So geht Zukunft. Digital.” statt. Organisiert vom Gastgeberland Sachsen und der FITKO (Föderale IT-Kooperation), soll die Veranstaltung sowohl in der Messehalle Dresden als auch virtuell stattfinden. Geplant ist, unter Einhaltung der Sicherheitsabstände und mit einem umfassenden Hygienekonzept, bis zu 400 Personen die Teilnahme vor Ort zu ermöglichen. Die virtuelle Teilnahme soll auf maximal 1.000 Personen begrenzt werden. Der Fachkongress richtet sich auch in dieser hybriden Form exklusiv an Beschäftigte der öffentlichen Verwaltungen. Vorschläge für die Programmgestaltung können im Rahmen des Call for Papers unter www.it-pla nungsrat.de eingereicht werden.

Breitband: RLP macht deutliche Fortschritte (BS/wim) In Rheinland-Pfalz ist der mittlerweile fünfte Statusbericht zum Ausbau digitaler Infrastrukturen im Lande vor­gestellt worden. Ministerpräsidentin Malu Dreyer zeigte sich sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Das Land habe “bei der Breitbandversorgung einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht”, befand Dreyer. “In der Abdeckung von 50 Megabit pro Sekunde haben wir die Versorgungsquote von 27 Prozent im Jahr 2011 auf über 90 Prozent der Haushalte gesteigert”, erklärte die Ministerpräsidentin beim Treffen des Netzbündnisses Rheinland-Pfalz. Zudem könne derzeit fast jeder zweite Haushalt auf GigabitBandbreiten von 1.000 Megabit pro Sekunde zugreifen. Damit habe sich die digitale Teilhabe für alle Bürgerinnen und Bürger in Rheinland-Pfalz deutlich verbessert, so Dreyer weiter. Download des Berichts unter: https://breitband.rlp.de


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Behörden Spiegel / Dezember 2020

e-nrw 2020 A

uch für das Bundesland Nordrhein-Westfalen gilt, was inzwischen mehrfach konstatiert wurde: Aufgrund der Corona-Pandemie mitsamt ihren Kontaktbeschränkungen und Restriktionen hat die Digitalisierung des öffentlichen Sektors immense Sprünge getan. Doch wären die Impulse des digitalen Treibers Krise verpufft, hätte man beizeiten nicht entsprechende Vorarbeit geleistet, erklärt Pinkwart. Mit den gesetzlichen und konzeptionellen Weichenstellungen, die im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) und der E-Government-Novelle NRWs getätigt worden seien, habe man die Voraussetzungen dafür geschaffen, die während der Krise freigesetzten Energien in praktisches Handeln umzumünzen. Gezeigt habe sich dies zumal in den Anfängen der Pandemie, als man binnen kurzer Zeit ein Soforthilfeprogramm aufgelegt habe, mit dem mehr als 400.000 Unternehmen auf elektronischem Wege hätten finanziell unterstützt werden können. Ein immenser Kraftakt, der andererseits aber auch verdeutlicht habe, welche Fähigkeiten man sich erarbeitet hätte, so Pinkwart.

“Weiter Tempo aufnehmen” Doch sei das Soforthilfeprogramm nur ein Beleg dafür, welche Chancen die Digitalisierung bereithalte. Für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Verwaltung selbst, wo eine leistungsfähige Infrastruktur ihren Beitrag dazu geleistet habe, dass Modelle mobilen Arbeitens während des Lockdowns hätten verwirklicht werden könne. Jetzt heiße es, weiter Tempo aufzunehmen, um die Potenziale einer modernen Verwaltung für alle greifbar zu machen, appelliert Pinkwart. Obwohl zuweilen als “sehr ambitioniert” wahrgenommen, sei er zuversichtlich, dass das im E-Government-Gesetz verankerte Ziel einer digitalen Landesverwaltung bis 2025 gewahrt werden

Digitalisierung greifbar machen Um zu begeistern, müssen digitale Potenziale mit konkretem Nutzen hinterlegt werden (BS/Thomas Petersdorff) Im Corona-Jahr 2020 hat die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung bedeutende Fortschritte gemacht. Die Erfolge, die man im Zuge der Krise verzeichnen konnte, hätten einen großen Beitrag geleistet, für Bürgerinnen und Bürger greifbar zu machen, was Digitalisierung in praktischer Konsequenz bedeuten könne, erklärt Nordrhein-Westfalens Wirtschafts- und Digitalminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart auf dem Behörden Spiegel-Kongress “e-nrw”, der in diesem Jahr als Webkonferenz ausgerichtet wurde. könne. Für eine Einhaltung der Frist spreche nicht zuletzt der erhebliche Mittelzuwachs auch für die Folgejahre: Laut Pinkwart sollen rund eine Milliarde Euro für Zwecke der Digitalisierung investiert werden, 600 Millionen Euro mehr als ursprünglich vorgesehen. Bis heute konnten so bereits zahlreiche Leistungen ins Netz verlagert werden, darunter die Ausbildungsförderung, die Meldebescheinigung, das Wohnund Arbeitslosengeld, die Schülerförderung und viele mehr. Zusätzliche Synergieeffekte verspricht sich der Digitalminister von der Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Im Sinne des Once-Only-Prinzips sei das Zusammenwirken der “öffentlichen Hände” ein Garant dafür, dass Verwaltungsleistungen nicht jedes Mal neu erfunden werden müssten, sondern schnell in die Fläche getragen werden könnten. Anspruch müsse es sein, voneinander zu lernen und Entwicklungen – auch im Bereich der Fachverfahren – nach dem Prinzip “Einer für alle” zu teilen. In NRW verfolge man mit den Modellkommunen ganz ähnliche Ziele. Entscheidend sei es, nicht nur analoge Verfahren ins Digitale zu heben, sondern die Prozesse selbst anzupassen. Trotz aller gebotenen Eile empfiehlt Pinkwart, sich nicht hetzen zu lassen, sondern mit Umsicht und Weitblick zu agieren. Dabei klammert er den Mut zum Experiment explizit mit ein – vorausgesetzt, dass man stets kritisch reflektiere, ob der beschrittene Weg letzten Endes auch zum Ziel führe. Positiv sieht Pinkwart den

s tut sich was bei NRWs digitalen Vorreitern. OnlineBürgerdienste, ChatBots und digitale Aktenpläne sind nur einige Lösungen, die sich immer mehr Kommunen spendieren. Besonders rund um die Mobilität entwickeln Städte Lust an der Innovation. Iserlohn, Partner der Modellkommune Soest, testet einen völlig autonom fahrenden Kleinbus. Die Idee: den problematischen “letzten Kilometer” mit kleinen, sparsamen und fahrerlosen Fahrzeugen erschließen, dort wo eine Abdeckung durch normale ÖPNV-Strukturen ein Zuschussgeschäft wäre. Zuerst könnten Studierende vom Bahnhof über das Campusgelände hinweg zu Vorlesungen und Seminaren kutschiert werden. Die Stadt Wuppertal versucht sich auch an Bussen. Innovativ ist hier der Antrieb. Seit Sommer sind zehn Wasserstoffbusse unterwegs. Dieser wird vor Ort gewonnen, bei der Verbrennung des Mülls der Wuppertalerinnen und Wuppertaler. Auch den Schwerlast- und den Individualverkehr hat die Modellkommune im Blick. Eine intelligente, adaptive Ampelsteuerung, eine App, die hilft, auf der grünen Welle zu fahren, sowie eine optimierte Routenführung für Lkws entlasten den Innenstadtverkehr

Mehr Wille zum Kompromiss

Im vorigen Jahr noch analog bei e-nrw: Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, und Hartmut Beuß, ehemaliger Landesbeauftragter für Informationstechnik. Foto:BS/Giessen

seit Corona spürbaren Mentalitätswechsel: Den neuen Partizipations- und Lernwillen sowie die neue Offenheit gegenüber digitalen Lösungen wertet er als ein starkes Zeichen dafür, dass man gegenwärtig auf einem guten Weg sei.

Ein interoperables Ensemble Ebenfalls auf gutem Weg befindet sich das landesweite Portal der Kommunen NordrheinWestfalens. Ein Ergebnis, das in seinem Ausgang so keineswegs selbstverständlich war, wie Prof. Dr. Andreas Engel, Geschäftsführer des Dachverbandes kommunaler Dienstleister (KDN), hervorhebt. Da auf kommunaler Ebene zahlreiche Akteure mit ebenso vielen Interessen unterwegs seien, habe lange Zeit auf der Kippe gestanden, ob das Projekt überhaupt verwirklicht werden könne. Inzwischen habe der IT-

Lenkungsausschuss der kommunalen Spitzenverbände jedoch grünes Licht gegeben und schon im ersten Quartal 2021 werde das Kommunalportal live gehen, bestätigt Engel. Durch Zuwendungen aus den OZG-Mitteln des Landes sei die Finanzierung bis Ende des Jahres 2022 gesichert. Entwickelt durch die KDN-Mitglieder regio IT und Südwestfalen IT, sollte das Portal zunächst eine Lösung für kleinere Kommunen werden, die über keine eigene Digitalplattform verfügen. Im Laufe der Diskussion habe sich allerdings abgezeichnet, dass der “Anspruch ein höherer” sein und das Kommunalportal eine Leitfunktion einnehmen müsse, indem alle durch das Land entwickelten OZG-Leistungen angeboten und für die Nachnutzung in den Bestandsportalen freigestellt würden. Engel: “Vorteil und Anreiz zur Nutzung des Kommunalpor-

tals muss ein, dass es entlastet und die Basis für eine arbeitsteilige Entwicklung schafft.” Dabei gehe es nicht allein um den Online-Zugang. Für eine medienbruchfreie Verwaltung sei es entscheidend, dass die Seite der Fachverfahren berücksichtigt werde. Aus dem Grund sei das Kommunalportal als offene und herstellerneutrale Plattform konzipiert, die eine Integration etwa von Backoffice-Lösungen über freigelegte Schnittstellen erlaube. Auch auf Ebene des Landes nimmt die Umsetzung des OZG in Form des Landesportals inzwischen Gestalt an. Wie sein kommunaler Ableger soll das Serviceportal.NRW schon Anfang nächsten Jahres – genauer im Februar – online gehen, erklärt Dr. Thomas List vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitales und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen

Vorbilder voran

E

Von Modellkommunen lernen (BS/stb) Man lernt von Vorbildern. Das gilt auch für die Digitalisierung in Kommunen, dachte sich das Land Nordrhein-Westfalen und beschloss vor gut zwei Jahren, eine Reihe digitaler Modellkommunen, die sich bereits auf den Weg gemacht hatten, finanziell zu unterstützen. Die Auserwählten nehmen den zusätzlichen Antrieb gerne mit und zeigen inzwischen anhand zahlreicher digitaler Angebote für Bürger und Unternehmen, was möglich ist. Das ist an sich schon Anregung für andere Kommunen. Vor allem aber kommt ein Austausch über konkrete Erfahrungen aus den vielen Initiativen und Projekten zustande.

Paderborn gestaltet sich als digitale Heimat. Neben den weiteren NRW-Modellkommunen Aachen, Gelsenkirchen, Soest und Wuppertal wird die Stadt dabei vom Land unterstützt. Foto: BS/Gustav Sommer, pixabay.com

und tragen damit zu Sicherheit, Klimafreundlichkeit und Zufriedenheit bei. Ähnliche Ansätze verfolgt Paderborn. Die Stadt will ihr Parkraummanagement digitalisieren. Sensoren erken-

(MWIDE). Eingebettet sind das Kommunal- und Landesportal ihrerseits in den Portalverbund Nordrhein-Westfalens, der als digitales Scharnier den Zugriff auf das Portfolio des Bundes, der Landesbehörden sowie einschlägiger Themenportale ermöglichen soll. Für das notwendige Maß an Orientierung sorge die Verwaltungssuchmaschine (VSM), die, um funktionsfähig zu sein, nicht zuletzt vom Beteiligungswillen aller Stakeholder abhänge. Der Portalverbund stehe und falle mit der Bereitschaft, Dienstleistungen via RDFa-Tags zu kennzeichnen, sodass diese am Ende auch durch VSM erkannt würden, mahnt List.

nen und melden freie öffentliche Parkplätze, die dann gezielt angesteuert werden können. Die Projektbeteiligten versprechen sich davon eine deutliche Entspannung, schließlich stellt die

Parkplatzsuche in Städten einen Löwenanteil des Verkehrsaufkommens. Doch es geht um mehr als Mobilität. Etwa in Paderborn. Die Stadt schafft mit der “Di-

gitalen Gesundheitsplattform OWL” (Ostwestfalen-Lippe) eine Art Schaufenster, das für die ganze Republik von Interesse sein dürfte. Alle möglichen Gesundheitsinformationen, vom digitalen Arztbrief und Überweisungen über Bilddaten bis hin zu Medikationsplänen, sollen über die Plattform standardisiert und automatisiert ausgetauscht werden können. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist erfüllt: Alle Krankenhäuser und die mehr als 100 niedergelassenen Hausärzte im Kreis Paderborn machen mit. Mitnehmen müssen Kommunen mit digitalen Ambitionen auch die eigenen Mitarbeiter – darüber sind sich die meisten digitalen Vorreiter einig. “Ganz früh standen bei uns intensive Gespräche mit den Dezernatsleitern und den Fachleuten für die einzelnen Themengebiete an”, berichtet Paderborns Bürgermeister Michael Dreier. Statt munter drauflos zu digitalisie-

“Es geht nicht alleine”, bekräftigt der ehemalige CIO Nordrhein-Westfalens, Hartmut Beuß, kritisiert jedoch zugleich mit Blick auf seine aktive Zeit die teils beschwerlichen Abstimmungsprozesse zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Ohne Frage sei die Digitalisierung ein Prozess, der viele Perspektiven und Akteure zusammenführe. Umso dringlicher sei aber der Wille zum Kompromiss, den er oft – nicht zuletzt auch bei den Abstimmungen zum Portalverbund – schmerzlich vermisst habe. In Anbetracht des Umstands, dass das Tempo der Veränderung künftig noch weiter zunehmen werde, müsse man in der angebrochenen Dekade deutlich schneller werden, als man es bislang war. Grund zum Optimismus ist für den ehemaligen Landes-CIO das kooperative Zusammenspiel während der Corona-Pandemie, das es nun in die Zeit nach der Krise hinüberzuretten gelte: Gepaart mit dem Engagement und der Kompetenz, die man schon jetzt auf allen Ebenen der Verwaltung vorfinde, das passende Rezept, um das Megaprojekt Digitalisierung zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

ren, hat die Stadt zunächst eine Leitlinie entwickelt, um Ziele greifbar zu machen. Mit der Marke “Digitale Heimat PB” soll der Zukunft nach innen und außen ein Gesicht gegeben werden. All das muss auch mit Leben gefüllt werden. Das gelingt am besten mit der Spitze voran: Bürgermeister Dreier: “Das Führungsverhalten muss sich ändern. Sie müssen Dinge anstoßen und Mitarbeiter motivieren, aber sie auch machen lassen und Fehler erlauben. Dann kommt auch etwas richtig Gutes dabei heraus.” Austausch auf Augenhöhe braucht es aber nicht nur im eigenen Kreis, sondern auch mit anderen Kommunen. Iserlohn will in einem “I-Lab” Erfahrungen auswerten und Handlungsempfehlungen für eigene zukünftige Projekte, aber auch für Projekte anderer Kommunen bereitstellen. “Intensiver Austausch ist uns besonders wichtig”, betont der Digitalisierungskoordinator der Stadt Iserlohn, Manuel Weniger. “So stehen wir beispielsweise zu Mobilitätsprojekten in Kontakt mit anderen Kommunen.” Dabei profitiere man voneinander, zum Beispiel wenn man vor Fallstricken bei der Formulierung von Anforderungen an Fahrzeuge gewarnt werde.


e-nrw

Behörden Spiegel / Dezember 2020

E

in ganzheitlicher Ansatz: Die Ziele der Prozessmanagement-Bestrebungen der Stadt Willich sind, gemäß den entwickelten Treiberthemen “Wissensmanagement” und “Informationsmanagement”, die digitale Transformation in der Stadtverwaltung voranzutreiben und synergetisch das Organisationsmanagement zu unterstützten: viele Schnittstellen zu allen zentralen Organisationsbereichen. Die Prozesse sollen mit Blick auf das Wissensmanagement zur Einarbeitung genutzt werden – und das im Einklang mit dem strategischen Zielkonzept, dem organisationalen Rollenkonzept und dem Stellenplan. Die PictureProzessplattform ist durch den vergleichsweise simplen Aufbau sowohl für Anwender/-innen als auch Administratoren schnell verständlich – ohne auf Funktionalitäten verzichten zu müssen. Weiterer Vorteil: Das Prozessmanagement begleitet und unterstützt mit der Prozessplattform den ganzheitlichen strategischen Ansatz der Stadt, der mit Blick auf das Datenbankmanagement und die Organisation auf einer einheitlichen Basis fußen soll. Die Arbeitsbereiche Organisations-, Wissens-, Dokumenten-, Prozess-, Informations- und Personalmanagement sollen inein­

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Prozessmanagement als Motor Praxisorientierter Erfahrungsbericht der Stadtverwaltung Willich (BS/Maximilian Korzen) Ursprünglich war die Stadtverwaltung Willich Ende 2018 in einer anderen Richtung unterwegs: Man suchte eine Knowledge-Management-Software. Ziel war der Aufbau eines Wissensmanagements innerhalb der Verwaltung. Alles kam anders: Bei der Fachtagung e-nrw 2018 kam die Stadt mit dem Unternehmen Picture in Kontakt. Und schnell wurde klar, dass Wissen und Prozesse Hand in Hand greifen. Das Management-Team “Digitale Transformation” warb daher konsequent dafür, die Treiberthemen Wissensmanagement, Digitalisierung, Prozesserfassung/-identifikation sowie -optimierung ganzheitlich zu betrachten und anzugehen. andergreifen – und dazu mit den gleichen Informationen und Grundlagen arbeiten können. Dabei sehen die Verantwortlichen das Prozessmanagement nicht als Mittel zum Selbstzweck, sondern als Potenzial, interne Arbeitsabläufe so zu optimieren, dass letztlich auch Bürgerinnen und Bürger einen spürbaren Nutzen hieraus ziehen können. Vor dem internen Launch des Wissens- und Informationsmanagements mithilfe der Prozessplattform gab es Hürden: fehlende Vorkenntnisse im Bereich Prozessmanagement, eine generelle (und nicht unübliche) fehlende Akzeptanz bei den Mitarbeitenden und Beteiligten sowie faktisch nicht vorhandene organisatorische Grundlagen. Die ersten beiden Probleme wurden durch ein dezentrales Key-UserKonzept gelöst: in einem ersten Schritt richtete die Verwaltungs-

zugesichert – in jedem Bereich fanden sich Key User, die am Projekt Maximilian Korzen, ProjektProzess- und Wisleiter Wissens- und Prozesssensmanagement management bei der Stadt mitwirken wollen. Willich, teilte seine ErfahDank der Unterrungen auf der e-nrw 2020. stützung von Politik, Vorstand, der Foto: BS/privat Führungskräfte und der Key User spitze eine Projektleitung “Wis- gelang ein schneller Projektstart; sens- und Prozessmanagement” die Stadt Willich befindet sich in ein, die nun erkennbar für das der Einführungsphase von Prokomplette Thema Prozessma- zess- und Wissensmanagement, nagement in der Stadtverwal- in der neben dem Screening aller tung Willich verantwortlich ist. Prozesse auch die ProzessplattInsgesamt wurden 0,5 AK Pro- form sukzessive eingeführt wird. jektleitung und zusätzlich 0,5 AK Sachbearbeitung Prozessma- Wissens-, Informations- und Organisationsmanagement nagement neu geschaffen und installiert. Zusätzlich wurden Die Prozessplattform wird dabei jedem der 15 Geschäftsbereiche im Sinne des Wissens-, Infor(ausgenommen Zentralbereiche) mations- und Organisationsma0,3 AK für jeweilige Key User nagements verwendet; als erster

Akzeptanzfaktor wird ein interaktives Mitarbeiterverzeichnis im System abgebildet. Durch die Abbildung multipler Kennwerte und Ordnungskriterien können umfassende Auswertungen über interne Prozesse erstellt werden. Vorteil: Mit geringerem personellem Aufwand kann eine Priorisierung vorgenommen werden, nach der Prozesse als erstes en détail erfasst oder optimiert werden sollen: Zusammenhänge, Zuständigkeiten, Abläufe und Strukturen werden für alle Mitarbeitenden deutlich und transparent.

Teil der Verwaltungskultur Um dem strategischen Ansatz gerecht zu werden, ist von zentra­ ler Bedeutung, Prozessmanagement als Teil der Verwaltungskultur zu etablieren – und die Kompetenzen dezentral über die gesamte Verwaltungsstruktur zu

entwickeln: klare Verantwortlichkeiten und personelle Ressourcen für die Aufgabe in den Querschnittsbereichen. Dabei muss eine offene Veränderungskultur etabliert werden, die mit alten Verwaltungsstrukturen bricht und neue Arbeitsweisen zulässt. Hier spielt Willich in die Karten, dass die Entscheidungsträger bereits vor Jahren eine dezentrale Organisationsstruktur etabliert haben: eine ideale Voraussetzung für das Prozessmanagement. Zudem strebt die Stadtverwaltung ein interkommunales Kooperationsprojekt mit anderen Kommunen aus dem Verbandsgebiet des Rechenzentrums an, um so weitere synergetische Mehrwerte zu realisieren. Nach den ersten Erfahrungen empfiehlt das Team der Stadt: andere, regional nahe Kommunen kontaktieren, um potenzielle Einsatz- und Nutzungsmöglichkeiten von Prozessmanagement zu besprechen und Möglichkeiten eines softwaregestützten Prozessmanagements auszuloten. Die Vorteile für alle liegen auf der Hand: Praxisnahe Umsetzungsbeispiele zeigen schnell konkrete Möglichkeiten auf, die der Arbeitsbereich Prozessmanagement bietet – und es finden sich regional potenzielle Einstiegsszenarien jenseits des eigenen Tellerrands.

Mehrwert für Kommunen und Bürger

Ohne Mindset geht nichts

Sparkassen und GiroSolution unterstützen bei OZG-Umsetzung

Vor der Technik muss immer die Motivation der Menschen stehen

(BS/Andreas Zurbel*) Auch in diesem Jahr war GiroSolution, das E-Government-Kompetenzcenter der (BS/Wim Orth) Laptops, Tablets, Diensthandys – bei der Digitalisierung geht es oft um Technik. All diese Sparkassen-Finanzgruppe, gemeinsam mit den Sparkassen des Landes wieder vertreten und präsentierte Geräte müssen allerdings von Menschen bedient werden, die dem Wandel möglichst offen gegenüberstehen verschiedene Lösungen, die Kommunen bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) unterstützen. müssen. Der Mensch muss weiter im Mittelpunkt stehen, erklärt der Bonner Chief Digital Officer Friedrich Fuß.

D

er Öffentliche Dienst ist gleichermaßen von der Corona-Lage betroffen wie private Unternehmen. In der aktuellen Situation zahlt es sich aus, wenn Kommunen bei der Digitalisierung ihrer Angebote mit Unterstützung der Sparkassen Fortschritte erzielt haben und ihren Bürgerinnen und Bürgern auf Bürger-Service-Portalen die Möglichkeit anbieten, Anliegen bequem online von zu Hause aus erledigen zu können. Die Vision vom “digitalen Rathaus”, bei dem vielfältige Verwaltungsleistungen elektronisch angeboten werden, hat hier bereits konkret Gestalt angenommen. Und so können viele Bürgeranliegen, von der Urkundenbeantragung, dem Parkausweis bis zur KfzAnmeldung, heute bereits digital über zahlreiche Bürgerportale im Internet abgewickelt werden. Bezahlt wird direkt online, sodass die Kommune keinerlei manuelle Nacharbeiten in Bezug auf die Bezahlung hat. Diese Entwicklung ist sehr zu begrüßen, da Kommunen dadurch auch bei geschlossenen Bürgerbüros weiterhin verlässlicher Ansprechpartner sein können, die Ämter entlastet und Verwaltungs- und Zahlungsprozesse vereinfacht werden. Gleichzeitig wird Bürgerinnen und Bürgern ein komfortabler Zugang zu Dienstleistungen der Kommune ermöglicht, der sich nicht nur in Corona-Zeiten bezahlt macht. Der Wandel der öffentlichen Verwaltung in Richtung Digitalisierung ist angestoßen und fordert Kommunen im Hier und Jetzt. Die Digitalisierung in der Kommune selbst ist ein wesentlicher Faktor, damit die bereichsübergreifende Zusammenarbeit erleichtert und knappe Ressourcen gezielt genutzt werden können. Neben dem eigenen Wunsch der Kommunen und dem ihrer Bürger nach “digitalen Behördengängen” sind Kommunen auch durch die Vorgaben von Gesetzen aufgefordert, ihre Prozesse digitaler und nutzerfreundlicher zu gestalten. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) sieht vor, dass Bund, Länder und Kommunen bis zum Jahr 2022 einen elektronischen Zugang zur

Verwaltung gewährleisten. Das bedeutet, dass alle Kommunen bis zu 575 Verwaltungsleistungen für ihre Bürger digital anbieten sollen. Für die damit einhergehenden Herausforderungen stellen die Sparkassen Ihnen als Kommune digitale Lösungen bereit und stehen Ihnen jederzeit gerne als Unterstützung zur Verfügung. Mit Lösungen für digitale Formulare, die Authentifizierung im Antrag oder aber auch die Begleichung von Gebühren gibt es ein breites Angebot, um Sie bei der Umsetzung des OZG zu unterstützen. Auch eine FullService-Lösung ist möglich, die alle drei Komponenten abdeckt. Vereinfacht dargestellt, kann die Full-Service-Lösung so aussehen: Nach der Anmeldung im digitalen Fachverfahren (mit Identifizierung) wird die gewünschte Leistung ausgewählt, direkt online bezahlt und im Nachgang ausgedruckt bzw. per Post zugestellt. Die Lösungen der Sparkassen unterstützen Sie als Kommune dabei von der Bereitstellung des Online-Formulars über die Identifizierung des Bürgers in den jeweiligen Portalen bzw. Fachverfahren als auch beim Bezahlvorgang bzw. beim Zahlungseingang auf Ihrem Sparkassenkonto.

Mit yes identifizieren und mit GiroCheckout bezahlen Mit dem elektronischen Formularmanager, einer Lösung aus der Sparkassen-Finanzgruppe, steht Verwaltungen eine intelligente Lösung für die Umsetzung des OZG zur Verfügung. Anträge können über den Formularmanager einfach online gestellt und direkt an den jeweiligen Bearbeiter weitergeleitet werden. Die Lösung begleitet den Antragssteller durch den Prozess, sodass fehlerhaft ausgefüllte Formulare/ Anträge der Vergangenheit angehören. Dadurch werden innerhalb der Kommune Verwaltungsprozesse vereinfacht und Bürgern ein großer Komfort geboten – im Sinne eines digitalen Bürgerservices. Für die Authentifizierung der Bürger im E-Government – sei es bei der Anmeldung am Bürgerportal oder im Rahmen der Nutzung von Fachverfahren –

bieten Sparkassen die Lösung yes an. Mit yes können sich Bürger einfach über das Online-Banking ihrer Sparkasse oder Hausbank identifizieren und ihre persönlichen Daten – ohne Medienbruch – sehr einfach in den jeweiligen elektronischen Workflow des EGovernments übertragen lassen. Damit entfällt das lästige Eintragen von Daten in elektronische Formulare. Ob Führungszeugnis oder Sperrmüll: Viele Verwaltungsdienstleistungen können bereits bequem online im “virtuellen Rathaus” beantragt werden und ersparen Ihren Bürgern so den Gang zum Bürgerbüro. Damit diese im Internet genauso einfach und sicher bezahlt werden können, bietet GiroSolution Ihnen die Multi-Bezahllösung “GiroCheckout” zur Integration in Ihre Bürgerportale an. Damit lassen sich alle gängigen OnlineBezahlverfahren, wie z. B. paydirekt, giropay, Lastschrift- oder Kreditkartenzahlungen einbinden. Sowohl paydirekt als auch giropay haben sich als sichere Behörden-Bezahlverfahren bewährt.

GiroSolution: Kompetenzcenter für E-Government Durch ihre örtliche Verankerung, ihre Nähe zu den Menschen und ihre öffentliche Trägerschaft sind Sparkassen besonders mit den Kommunen verbunden. Sie sind der Partner der Kommunen, kennen aufgrund der regionalen Nähe der Institute die Gegebenheiten vor Ort und können Sie als Kommune mit bedarfsgerechten Lösungen unterstützen. GiroSolution unterstützt – als eigenes Kompetenzcenter für E-Government der SparkassenFinanzgruppe – die Sparkasse dabei, für alle Fragen rund ums E-Government digitale Lösungen bereitzustellen. Durch die gute Zusammenarbeit mit kommunalen Rechenzentren bundesweit sind einige Lösungen bereits in die Standardprozesse der KRZ integriert, was ein flächendeckendes Angebot ermöglicht. *Andreas Zurbel, Key-AccountManager E-Government bei GiroSolution, war Referent auf e-nrw.

Die wichtigste Erkenntnis des Bonner CDOs vorab: Das wichtigste Puzzlestück bei der Digitalisierung einer Verwaltung und der Transformation hin zu einer nach innen und außen smart aufgestellten Stadtverwaltung ist die Einstellung zu technologischem Fortschritt. “Der interne Mindset ist der entscheidende Erfolgsfaktor für die Digitalisierung”, so Fuß. Noch bevor es darum gehe, technische Probleme anzugehen, müsse man innerhalb der Organisation erst mal die Frage klären, wie man zu Themen wie Digitalisierung und im Bereich der Kommunen eben auch zu Smart City in der Verwaltung stehe. “Ich muss mich fragen: Ist das mein Thema, kann ich mich dafür begeistern? Gerade in einer Stadtverwaltung ist das ein ganz wichtiger Aspekt, da sich in der digital geprägten Stadt viele Abläufe ändern und nicht mehr alles so funktioniert, wie man das aus der althergebrachten Verwaltungsarbeit gewöhnt ist”, erklärt dazu Friedrich Fuß, der seit rund zweieinhalb Jahren als CDO in der Verwaltung der Bundesstadt aktiv ist. Neue Dinge auszuprobieren, mit dem Bewusstsein, dass etwas auch mal schiefgehen könne oder zumindest anders ablaufen könne als geplant: So eine Experimentierkultur sei in Verwaltungen bislang schlicht noch nicht vorhanden und müsse mit Fingerspitzengefühl eingebracht werden. “Man kann viel von Vertrauenskultur, Fehlerkultur und Transparenz reden, aber in der Praxis merkt man immer wieder, dass es gar nicht so einfach ist, diese Werte dann auch aktiv zu leben”, so Fuß.

Die Zukunft ist digital Um nicht nur über Einstellung und Mindset zu predigen, sondern einen ganz konkreten Überblick über die Gedanken bezüglich digitalen Verwaltungshandelns in seiner Verwaltung zu erhalten, hat Fuß mit seinem Team eine Umfrage unter den Führungskräften im Bonner Stadthaus gemacht – mit positivem Ausgang, denn die Führungskräfte in Bonn stehen der digitalen Transformation größ-

Im Zuge der Digitalisierung der Arbeit müssen Führungskräfte mit Fingerspitzengefühl unterwegs sein, damit Mitarbeiter nicht abgehängt oder überfordert werden. Foto: BS/Microbiz Mag, cc by 2.0, flickr.com

tenteils aufgeschlossen gegenüber. Während Fragestellungen wie Umsetzbarkeit (78 Prozent), Vertrauen in die Digitalisierung (90 Prozent) oder ob eine digitale Ausrichtung überhaupt einen Schritt in die richtige Richtung darstelle (100 Prozent) überwiegend positiv und damit als notwendig und realistisch bewertet wurden, waren Bedenken bezüglich Veränderungen im Alltag (zehn Prozent) sowie bzgl. des möglichen Arbeitsplatzverlustes (zwei Prozent) deutlich geringer ausgeprägt. So gut die Zahlen in der Befragung aussehen, umso schwierig sei es dennoch häufig immer noch in der Praxis, den Wandel voranzubringen. Es sei daher weiterhin Geduld mit Innovationen in der Verwaltung gefragt, so Fuß.

Die Mitarbeiter im Dialog mitnehmen Grundsätzlich sei neben einer vernünftigen Technikausstattung und der Installation der notwendigen internen und externen Infrastrukturen vor allem Kommunikation gefragt, um eben diesen Mindset gezielt in die richtige Richtung lenken zu können. So gaben alle befragten Führungskräfte der Umfrage an, dass ein aktives Change Manage-

ment mit hoher Transparenz für die Entscheidungen sowie der Möglichkeit zur Mitgestaltung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter absolut zwingend erforderlich sei, um eine positive und unterstützende Einstellung der Belegschaft bezüglich der Digitalisierung von Arbeitsabläufen zu erreichen. An zweiter Stelle wurde hier zudem die mit Change Management einhergehende Kommunikation nochmal individuell herausgestellt. Für die Wichtigkeit einer vernünftigen Technikausstattung plädierten dagegen “nur” zwei Drittel, was wohl auch zeigt, dass die Technik inzwischen als Selbstverständlich angesehen wird, der Mindset aber weiterhin einen ausbaufähigen Faktor darstellt. Besonders wichtig bei all der Kommunikation: “Man muss sich damit auseinandersetzen, wie man mit den Ängsten der Mitarbeiter umgeht”, erklärt Fuß. Diese Ängste reichen von zunehmender Kontrolle, aber auch Überforderung durch die Technik und der grundsätzlichen Angst vor Veränderung und davor, abgehängt zu werden. Hier müsse man von oben mit Fingerspitzengefühl dafür sorgen, dass die Mitarbeiter sich mitgenommen und nicht im Stich gelassen fühlen.


Informationstechnologie

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Bit für Bit für Bayern

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ie Möglichkeiten in diesem Bereich sind vielfältig: Angehende Chirurgen üben in Echtzeit mit sensorgestützten Werkzeugen das operative Schneiden und Nähen. Der Anlagentechniker blendet sich die Wartungsanweisung über Augmented Reality ins Sichtfeld ein und holt sich bei Bedarf Live-Unterstützung aus der Ferne. Unsere drei bayerischen XR Hubs in Würzburg, Nürnberg und München helfen dabei, das Potenzial der erweiterten Realitäten in konkrete Anwendungen in die Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und darüber hinaus zu tragen.

BayernApp für eine moderne Verwaltung Wir wollen auch in der Verwaltung neue Wege gehen: “Mobile First” ist seit Jahren die dominierende Strategie der führenden Internetunternehmen wie Google, Facebook und Co. Entsprechend steigt die Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger, auch digitale Verwaltungsleistungen bequem und von überall per Smartphone zu nutzen. Diese Erwartung wollen wir erfüllen: Unsere BayernApp steht in den Startlöchern! Die App wird Anfang 2021 für Android und iOS an den Start gehen und Informationen und Zugang zu über 2.500 staatlichen sowie kommunalen Verwaltungsleistungen ermöglichen. Wir sind mit dieser E-Government-App ein Vorreiter in Deutschland. Konkret wird es dann möglich sein, sich beispielsweise über eine Wohnsitz­ ummeldung zu informieren und den zugehörigen Online-Antrag auch gleich zu starten. Weiterhin

Behörden Spiegel / Dezember 2020

pfiffige Ideen für mehr digitale Barrierefreiheit zu entwickeln.

#FutureTech4Climate

Das Digitalministerium startet ins dritte Jahr (BS/Judith Gerlach) Neue Wege gehen – dieses Motto begleitet mich seit dem Start des bayerischen Digitalministeriums im November 2018. Daher ist es nur konsequent, dass wir unseren zweiten Geburtstag standesgemäß in Virtual Reality begangen haben. Denn wir sollten über neue Technologien nicht nur reden, sondern sie selbst ausprobieren. Und deshalb galt bei unserer Jubiläums-Pressekonferenz: VR-Brillen auf und eintauchen in den virtuellen Raum. bietet die App News-Feeds zu vielen verschiedenen Themen und eine interaktive Karte mit frei zugänglichen BayernWLANHotspots.

wir den Markt für möglichst viele Anbieter und bringen neue Ideen in die Behörden.

Digitale Teilhabe ist das Gebot der Stunde

Innovationslabore: der Mensch im Mittelpunkt Bei der BayernApp sind wir übrigens einem absolut nutzerzentrierten Entwicklungsansatz gefolgt: Die späteren Nutzer sitzen gleichberechtigt mit am Tisch. So entstehen Lösungen, die für Bürger und Verwaltung gleichsam einen Mehrwert bringen. Das sind unsere Innovationslabore. Auch zum Landespflegegeld, zur Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Neugestaltung des BayernPortals starteten wir Innovationslabore. Die bisherigen Ergebnisse machen uns sehr zuversichtlich. Zusammen mit den jeweils fachlich zuständigen Ressorts suchen wir deshalb weitere Leistungen, die wir in Innovationslaboren entwickeln wollen. Unser Ziel ist es, durch dieses strukturierte Verfahren die Nutzerorientierung in der Verwaltung zu verstetigen. Am Ende hätten wir gerne einen Bayern-Standard für alle Leistungen – mit Wiedererkennungseffekt. So, wie man sich in unterschiedlichen Web­ shops zurechtfindet, so wollen wir

Judith Gerlach, MdL, ist seit rund zwei Jahren Bayerische Staatsministerin für Digitales. Die Jubiläumspressekonferenz stand ganz im Zeichen der Virtual Reality (VR). Foto: BS/Bayerisches Staatsministerium für Digitales

auch die Online-Services der Behörden mit einem wiedererkennbaren “Look & Feel” versehen. Dafür vergeben wir dann auch ein Gütesiegel. Das ist auch ein

Anreiz für Start-ups, sich bei der Entwicklung von E-GovernmentAnwendungen zu engagieren und dabei unseren Bayern-Standard im Blick zu behalten. So öffnen

Unser Gütesiegel erfüllt aber noch einen anderen Zweck: Damit bekennen wir uns klar zu barrierefreien Angeboten. Digitalisierung ist – und dies haben die vergangenen Corona-Monate nur umso deutlicher gemacht – fester Bestandteil unseres Lebens. Menschen mit Handicaps sollen sich deshalb genauso frei wie der Rest in der digitalen Welt bewegen können. Die bestehenden Barrieren in der digitalen Welt will ich weiter abbauen und verhindern, dass neue überhaupt erst entstehen. Unsere Behördenangebote haben hier Vorbildfunktion. Digitale Teilhabe ist für mich aber noch mehr als nur Nachteile ausgleichen. Das wird dem enormen Potenzial der digitalen Transformation nicht gerecht. Wir müssen die Möglichkeiten der Digitalisierung dazu nutzen, den Menschen mit Handicap neue Wege der Teilhabe am Alltag zu bieten. Deshalb starten wir im Sommer 2021 den Hackathon #codebarrierefrei. Wir bringen Entwickler, Betroffene und Experten zusammen, um

Auch in anderen Bereichen finde ich es wichtig, dass wir neue Wege beschreiten, um gestärkt und zukunftsorientiert aus der Krise hervorzugehen. Corona ist zwar derzeit allgegenwärtig, aber auch vor der Pandemie stand unsere Gesellschaft vor großen Herausforderungen – der Klimawandel ist für mich an ganz vorderer Stelle zu nennen. Es ist meine feste Überzeugung, dass digitale Innovationen wegweisend für den Klima- und Umweltschutz sein können. Um möglichst viele kreative Ideen zu entwickeln, haben wir eine Innovation Challenge ins Leben gerufen: #FutureTech4Climate. Ein ganzes Wochenende im November trommelten wir engagierte Menschen unterschiedlichster Profession online zusammen, um digitale Lösungen für den Klimaschutz zu finden. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Von einer App, die beim Artenschutz vor der eigenen Haustür hilft, bis zu einer smarten Steuerung von Höchstleistungsrechenzentren, um möglichst viel Erneuerbare Energien nutzen zu können. Die besten Ideen wurden dann im Rahmen des Bayerischen Digital­ gipfels CODE BAVARIA ausgezeichnet (www.code-bavaria.de). Für mich ist wichtig, dass wir immer die Augen offen halten für vielversprechende Ansätze – in allen Bereichen. Digitale Innovationen machen unser Leben besser – wenn wir den Menschen in den Mittelpunkt der Digitalisierung stellen.

Digitale Evolution

Gesamtstädtische Strategie

Können lenkend in den Ausleseprozess eingreifen

Frankfurt am Main wird digitale Stadt

(BS/Prof. Dr. Maximilian Wanderwitz) Im Jahr 1859 veröffentlichte Charles Darwin sein berühmtes Hauptwerk “On the Origin of Species”. Entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung begründete er damit zwar nicht die Evolutionstheorie, ja einige seiner Aussagen mussten in den darauffolgenden Jahrzenten revidiert werden, doch prägte er nachhaltig diese damals noch junge Wissenschaft und unser grundlegendes Verständnis der Evolution. Umso erstaunlicher ist es, dass heutzutage, über 150 Jahre später, nach wie vor Irrtümer herumgeistern, die das Wesen der Evolution maßgeblich verkennen – Irrtümer, die auf ähnliche Art und Weise zuweilen gegenüber der Digitalisierung anzutreffen sind.

(BS/Florian Apel-Soetebeer*) Gemeinsam haben City & Bits und die KGSt eine gesamtstädtische Digitalstrategie für die Stadt Frankfurt am Main entwickelt. Auf 160 Seiten werden neben einem strategischen Zielrahmen auch organisatorische Empfehlungen ausgesprochen. Abgerundet wird sie mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket, welches in einem intensiven Beteiligungsprozess entwickelt wurde.

Das fängt schon mit der Frage nach dem Ziel der Evolution an. Jahrhundertelang war die Menschheit davon überzeugt, die Krone der Schöpfung zu sein; und wurde hierbei von diversen Religionen tatkräftig moralisch unterstützt. Die Evolutionstheorie lehrt uns hingegen, dass es keine Schöpfung gab, ja nicht einmal einen Schöpfer gibt – wie also sollte der Mensch sein solcherart verletztes Ego retten, wenn nicht durch die Annahme, wenigstens das Ziel der Evolution zu sein? Und wo die Menschheit Endpunkt einer Entwicklung ist, da müsse es doch einen Plan geben, der zu ihr geführt hat; ein Plan, nach dem sich all die vergangenen Millennien entfaltet haben. So verwundert es nicht, dass viele Darwins Bonmot vom “Survival of the Fittest” gründlich missverstanden haben, vielleicht sogar missverstehen wollten als ein “Überleben des Besseren”, als ein “Überleben des Stärkeren” – einschließlich des daraus folgenden Sozialdarwinismus, dessen Verheerungen uns allen nur allzu bekannt sind.

Evolution kennt weder Plan noch Ziel Nichts davon stimmt. Die Evolution kennt weder Ziel noch Plan, ja sie kennt überhaupt nichts – sie ist ein blind ablaufender Prozess voll chaotischer Irrungen und Wirrungen. Organismen treffen auf eine Umwelt, in der sie entweder zugrunde gehen oder sich behaupten. Zufällige Mutationen im Erbmaterial führen zu neuen Eigenschaften und Fähigkeiten, mit denen sich die Organismen besser an die Umwelt anpassen können, was wiederum ihre Überlebenschance erhöht – und damit die Chance,

Prof. Dr. Maximilian Wanderwitz ist Professor für Wirtschaftsrecht, insbesondere das Recht der Informationstechnologie, an der Hochschule Trier, Umweltcampus Birkenfeld. Foto: BS/privat

dass genau dieses mutierte Erbmaterial weitergegeben wird; so entsteht Survival of the Fittest. Nicht “das Bessere” überlebt, nicht “das Stärkere”, sondern schlicht dasjenige, was sich den Gegebenheiten bestmöglich angepasst hat – mag man es auch abschätzig als den Sieg des Opportunismus bezeichnen. In der Rückschau erscheint dies alles wie eine planvolle Entwicklung, doch diese Perspektive ist trügerisch und nur Zeichen dessen, was man gemeinhin als einen Bias bezeichnet. Wenden wir uns nun der Digitalisierung zu. Dass sie nahezu alle Lebensbereiche der Menschen durchdringt, ist inzwischen mehr Plattitüde als Erkenntnis. Und so meinen manche, sie sei eine notwendige Entwicklung mit einem klaren Ziel, nämlich der umfassenden digitalen Transformation der Gesellschaft. Und für diesen digitalen Endpunkt müsse es natürlich einen Plan geben, zumindest eine grobe Linie, die von den Spitzen in Saat, Verwaltung und Wirtschaft behutsam und mit Bedacht zugrunde gelegt werde; bei der Verwirklichung des größten globalen Kulturprojekts aller Zeiten. Und selbstverständlich würden hierbei nur diejenigen IT-Produkte, Prozesse und Konzepte ausgewählt, die am effizientesten, am innova-

tivsten, am leistungsfähigsten, kurz: am besten sind – mithin ein Survival of the Fittest (IT-Solution).

Mehr Hoffnung als Realität

Doch ein Blick hinter die Kulissen digitaler Welten offenbart, dass dies mehr Hoffnung als Realität ist. Das fängt schon damit an, dass die unterschiedlichen Akteure völlig unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was eine gute digitale Lösung ausmacht. Unternehmen und Konzerne sind hauptsächlich auf Profit bedacht, auf den wirtschaftlichen Nutzen – davon hängt es ab, ob sich ein IT-Produkt behaupten kann oder nicht. Ganz anders bei staatlichen Stellen und der öffentlichen Verwaltung: Dort gilt es zunächst den gesetzgeberischen Auftrag zu erfüllen – und E-Government-Anwendungen werden in den Behörden nur insoweit eingeführt, als dies hierfür erforderlich ist. Allerdings darf die politische Dimension nicht verkannt werden. Werfen digitale Lösungen für die politische Spitze ausreichend politisches Prestige ab, so lässt die digitale Transformation des jeweiligen Behördenapparats nicht lange auf sich warten. Hinzu kommen Faktoren, die sowohl in Unternehmen als auch in der öffentlichen Verwaltung wirken. So wächst mit der Digitalisierung der Gesellschaft gleichfalls ihre Regulierung – der Datenschutz bindet Staat und Wirtschaft gleichermaßen. Innovative Lösungen werden selten aus dem Mittelbau der

Organisationen heraus initiiert und vorangetrieben, weil die erforderlichen Querschnittsprojekte nur auf den ersten Blick den erhofften Karrieresprung versprechen. Und schließlich menschelt es überall, man streitet um Kompetenzen, ums Ego, ja um beides – und am Ende steht der gute alte “Kompromiss”, der in Wahrheit nur eine Verlegenheitslösung ist.

Opportunismus setzt sich durch Kurz gesagt: Digitale Lösungen finden sich in Staat und Wirtschaft einer ganz besonderen Art von Umwelt ausgesetzt, in der sie entweder zugrunde gehen oder sich behaupten. Welche digitale Lösung sich im Einzelfall durchsetzt, hängt von den individuellen Gegebenheiten ab, von ihrer Anpassungsfähigkeit, von ihrem, wenn man so will, Opportunismus. Es handelt sich um einen Survival of the Fittest (IT-Solution) im besten Sinne Darwins – und damit um eine echte Digitale Evolution. Doch im Gegensatz zur biologischen Evolution müssen wir diesen digitalen Ausleseprozess nicht klaglos hinnehmen. Vielmehr können wir lenkend eingreifen, ihm Richtung und Form geben, ja “das Bessere” hervorbringen, indem wir klug und mit Weitsicht das gestalten, was bisher die Digitale Evolution bestimmt hat: Ihr Umfeld; mithin Regulierungen, politische Präferenzen, Unternehmens- sowie Behördenkulturen und schlussendlich unser aller Geisteshaltung. Erst dann können wir mit Fug und Recht behaupten, dass die umfassende digitale Transformation der Gesellschaft einem höheren Endpunkt zusteuert.

Das Ziel der Frankfurter Digitalstrategie sei es, “smarte Technologien zu nutzen, um bessere Lebensbedingungen in der Stadt zu schaffen”, so Stadtrat Jan Schneider (CDU). Um das Vorhaben in der Stadtgesellschaft zu verankern, fanden unterschiedliche Beteiligungsvorhaben Anwendung. Bürger, städtische Dezernate und Ämter, stadteigene Gesellschaften, die Frankfurter Hochschulen und Unternehmen trugen in Onlineund Vor-Ort-Veranstaltungen Ideen und Projekte zusammen, um die Vorteile neuer digitaler Anwendungen klug in Frankfurt a. M. einzusetzen.

ßend in sechs Round Tables in den Themengebieten Bildung und Freizeit, Energie und Umwelt, Gesundheit und Soziales, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnen sowie Wirtschaft näher beleuchtet und weiter ausgearbeitet. Die Teilnehmenden konnten ihr Expertenwissen einbringen, Ideen debattieren und neu denken und schließlich bewerten. Mit diesem Vorgehen konnte eine Übersicht an konkreten Projektideen erarbeitet werden. Gleichzeitig gelang es, ein erstes Netzwerk an Unterstützern und möglichen Beteiligten aufzubauen.

Offener Strategie- und Agenda-Prozess

Umfassende Strategie mit drei Ebenen

Das “FORUM Smart City Frankfurt” startete im September 2019 den offenen Strategie- und Agenda-Prozess. Die Veranstaltung trug dazu bei, dass die Digitalisierung als gemeinsamer Auftrag aller Akteure im “Ökosystem der Digitalisierung” der Stadt Frankfurt am Main verstanden wird. Unter den rund 120 Teilnehmenden befanden sich Bürger, Mitarbeiter der Stadt Frankfurt a. M., Fraktionsvertreter sowie Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und verschiedenen Vereinen und Verbänden. Eingeleitet wurde die Veranstaltung durch fachliche Impulse, u. a. von Robin Heilig, dem Leiter des Innovationsteams PACE der Stadt Wien. Anschließend konnten die Teilnehmenden ihre Ideen und Anregungen auf dem “Marktplatz der Ideen” einbringen, vorstellen und diskutieren. Die im Forum entstandenen Ideen wurden in Projektsteckbriefen aufbereitet und anschlie-

Am Ende des Strategie- und Agenda-Prozesses entstand eine umfassende Digitalstrategie, die drei Ebenen umfasst: (1) Einen strategischen Teil , der den Orientierungsrahmen beschreibt und sie im Gefüge der Stadt verortet, (2) einen dynamischen Teil, der die SmartCity-Agenda konstituiert und konkrete Projekte und Maßnahmen beschreibt sowie (3) einen organisatorischen Teil, der sich notwendigen Strukturelementen und Verantwortlichkeiten widmet. Zusammen verschmelzen diese drei Teile zu einer gesamtstädtischen Digitalstrategie, die den Menschen in den Fokus stellt. Eine ausführliche Beschreibung des Vorgehens findet sich unter https://t1p.de/3eli . *Florian Apel-Soetebeer ist Geschäftsführer des Unternehmens City & Bits.


Digitale Verwaltung Rheinland-Pfalz

Behörden Spiegel / Dezember 2020

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Digitale Verwaltung RLP B

ürger- und wirtschaftsorientiert soll sie sein, offen und transparent, vertrauenswürdig und sicher, effizient und leistungsfähig sowie innovativ und nachhaltig: die digitale Verwaltung von morgen. Für Randolf Stich, Staatssekretär im Ministerium des Innern und für Sport (MdI) und Beauftragter für Informationstechnik (CIO), sind die fünf Serviceversprechen, wie sie in der IT-Strategie des Landes formuliert sind, DNA und Ziel jeglicher Digitalisierung in Rheinland-Pfalz. Mit dem Landesgesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung in Rheinland-Pfalz, kurz E-Government-Gesetz, wurden noch im Oktober des Jahres die entsprechenden Weichen gestellt, um die gemachten Versprechen rechtlich zu flankieren. Fundament ist eine belastbare Infrastruktur. Nach Auffassung des CIOs einer der Gründe, weshalb Rheinland-Pfalz bisher gut durch die Corona-Krise gekommen sei. “Wir profitieren heute davon, dass der Breitbandausbau in Rheinland-Pfalz in den letzten Jahren einen ganz gewaltigen Sprung gemacht hat”, konstatiert Stich. Als man 2011 den Ausbau der digitalen Infrastrukturen durch Förderung angegangen sei, habe die Versorgungsquote von 50 Mbit pro Sekunde bei 27 Prozent gelegen. Heute sei man so weit, dass 90 Prozent der Haushalte ans Netz angeschlossen seien, darunter die Hälfte mit einer Downloadgeschwindigkeit im Gigabit-Bereich. Stand Oktober 2020 konnten so bereits rund 12.500 Kilometer Glasfaser verlegt werden. Tendenz steigend:

M

an hört es immer wieder, der Staat sitzt auf einem wahren Datenschatz, der gehoben werden muss. Aber was für ein Schatz ist das genau und was hieße es, ihn zu heben? Eine Antwort lautet: Der Schatz sind Geodaten und ihn zu heben heißt, die an unzähligen Stellen erstellten Informationen einheitlich und nutzerfreundlich bereitstellen. Geodaten zeichnen ein detailliertes und zuverlässiges Bild raumbezogener Gegebenheiten – Topografie, Infrastruktur, Gebäude, Eigentumsverhältnisse, Wetter – und sie sind Grundlage für Bewertungen, Prognosen und Entscheidungen von Verwaltung, Unternehmen, Landwirtschaft und Forschung. Oder wie der Staatssekretär und Amtschef im rheinland-pfälzischen Ministerium des Innern und für Sport, Randolf Stich, es ausdrückt: “Geodaten sind der Rohstoff für die smarte Zukunft.” Doch was nützt der beste Rohstoff, wenn es an der Verfügbarkeit hapert. Die Idee: Die vielen von verschiedenen Stellen in der Landesverwaltung gesammelten Daten einheitlich mittels eines Basisdienstes nutzerfreundlich an die Frau und den Mann bringen. Die zum großen Teil guten Dienste der verschiedenen Anbieter sollen damit nicht obsolet werden. Vielmehr geht es um Interoperabilität und Harmonisierung durch die Setzung von Standards, wie Dr. Jörg Kurpjuhn, Referatsleiter Geoinformation im Innenministerium, erklärt. Im Rahmen einer Voruntersuchung sind konkrete Anforderungen festgestellt worden. Ein erstes grobes Konzept schlägt

Nutzerzentrierung hat viele Facetten Die DNA der digitalen Verwaltung liegt in ihren Serviceversprechen (BS/Thomas Petersdorff) Ob Breitband, elektronische Akte oder Online-Zugang: Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung hat derart viele Gesichter, dass man gelegentlich aus den Augen verlieren kann, an welchem Ende alle Bestrebungen schließlich rauskommen sollen. Ein Selbstzweck ist sie darum längst nicht. In Rheinland-Pfalz erinnern fünf Serviceversprechen daran, in wessen Dienst die digitale Verwaltung von morgen steht: dem der Nutzerinnen und Nutzer. Doch hat User-Zentrierung viele Facetten. Welche das sind und wo man in Sachen Anwenderfreundlichkeit heute steht – das waren die Kernthemen des Online-Kongresses “Digitale Verwaltung Rheinland-Pfalz”. Aktuell liefen 44 weitere Ausbauprojekte mit einem Finanzvolumen in Höhe von 212 Millionen Euro. Schon im nächsten Jahr werde man sich im Rahmen der Gigabit-Strategie an die Förderung “grauer Flecken” begeben, um jene Haushalte, die derzeit noch mit 30 Mbit/s surfen, bis 2025 auf Gigabitniveau zu heben.

Kern der Digitalisierung Zugutekommen sollen die Maßnahmen im Infrastrukturbereich schließlich der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG): dem Kernbereich einer bürgernahen Digitalisierung, wie Stich betont. Auch hier seien die Fortschritte, die man im Corona-Jahr 2020 gemacht habe, beträchtlich gewesen. Die notwendigen Weichen habe man schon 2019 gestellt, als man sich mit den kommunalen Spitzenverbänden auf ein gemeinsames Vorgehen unter Führung eines Lenkungskreises geeinigt habe, dem auch die beiden ITDienstleister in Rheinland-Pfalz, LDI und KommWIS, angehören. Gemeinsam habe man viel zuwege gebracht, angefangen mit den Basisdiensten, die bereits im Dezember über die Antrags-

Nah am Nutzer: Für Landes-CIO Randolf Stich hat eine anwenderzentrierte Verwaltung viele Gesichter und muss neben den Bürgern auch die Beschäftigten des öffentlichen Sektors mitnehmen. Hier eine Aufnahme aus dem Vorjahr. Foto: BS/Dombrowsky

und Prozessplattform “civento” kostenfrei für alle Landes- und Kommunalbehörden zentral angeboten werden sollen. Um den Kommunen bei der Umsetzung unter die Arme zu greifen, stelle man ferner zusätzliche Stellen aus dem Landeshaushalt zur Verfügung. Für den einheitlichen Zugang sorge künftig das bereits in vielen Kommunen erprobte

Servicekonto des IT-Dienstleisters KommWIS, das nun auch für das Land adaptiert worden sei. Die aktuelle Entwicklung bestätige, dass man eine Struktur mit klaren Zuständigkeiten gefunden habe, die einen in den Stand setze, das OZG nun zusehends für Bürger erlebbar zu machen. Stellt sich die Frage, ob das auch bei den Bürgern ankommt. An-

ders als bei der Einführung des elektronischen Personalausweises mitsamt eID-Funktion vor gut zehn Jahren müsse man bei den Leistungen im Rahmen des OZG eine andere Strategie fahren, gibt Wolfram Leibe, seines Zeichens Oberbürgermeister der Stadt Trier, zu bedenken. Für ihn laboriert die Verwaltung nach wie vor an einem Vermittlungsproblem, was sich mitunter darin zeige, dass der Begriff des Marketings bis heute verpönt sei. “Wir müssen lernen, die Produkte, die wir haben, besser zu vermarkten”, appelliert er. In Trier habe man daher auch den Presse- und Öffentlichkeitsbereich um eine Marketingabteilung erweitert. Für Leibe steht fest: Um mit bestehenden Vorurteilen und Bedenken aufzuräumen, müsse der konkrete Nutzen deutlich gemacht werden, der hinter einer digitalen Dienstleistung stehe. Der beste Service bringe nichts, wenn er im Nachgang nicht genutzt werde. Doch reicht Marketing allein nicht aus, wie Leibe betont. Noch wichtiger: der Faktor Vertrauen. Mit Blick auf die Verwaltung von morgen müsse es darum gehen, Ängste und Unsicherheiten zu nehmen,

Vernetzt und mutig ist das neue Credo Die nächsten Schritte für den digitalen Staat (BS/stb) Wenn die Krise die öffentliche Verwaltung eines gelehrt hat, dann dass die Zögerlichen die Hunde beißen. Nun gilt es, sich ein bisschen gesunde Risikobereitschaft für die Zeit nach der Pandemie zu bewahren. Das und der echte Willen, Dienste, Daten und Infrastrukturen zu vernetzen, wo immer es sinnvoll ist: So lautet das neue Credo für einen modernen und attraktiven digitalen Staat. den Wechsel zu einer Cloudinfrastruktur und den Betrieb durch einen zentralen Geodatenverbund vor. Nun braucht es grünes Licht für die Umsetzung. Vernetzung und Standardisierung wünschen sich viele auch im Rahmen der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Es sollen nicht nur gesetzliche Pflichten buchstäblich erfüllt werden. Vielmehr soll digitalere Verwaltung auch effizientere und zeitgemäßere Verwaltung heißen. Im Bereich Breitbandausbau versucht man, hier zwei Fliegen mit einem digitalen Dienst zu schlagen. Die Antragstellung für die Verlegung neuer Leitungen auf öffentlichen Wegen soll deutlich erleichtert und beschleunigt werden. Zudem stehen alle Zeichen auf Nachnutzung. Pilotkommunen für die erste Praxiserprobung liegen in drei Ländern. Weitere haben Interesse an der Übernahme des Dienstes angemeldet. Es geht um den Antrag auf Zustimmung des Wegebaulastträgers nach § 68, Absatz 3 Telekommunikationsgesetz. “Hier erwarten wir in den nächsten Jahren ein hohes Aufkommen”, erklärt Patricia Müllner, Projektleiterin OZG-Umsetzung bei der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH. Gerade dort klagten Kommunen zudem über viele Schleifen, weil die Anträge besonders häufig

Digitale Verwaltung

Rheinland-Pfalz 2020

unvollständig eingingen. Die Federführung für das Digitalisierungslabor Breitbandausbau liegt bei Hessen und RheinlandPfalz. An der Umsetzung ist neben der Metropolregion auch die ekom21, IT-Dienstleister Hessens, beteiligt. Die Beteiligten wollen deutlich mehr als ein bloßes Online-Formular. Vielmehr wird der gesamte Prozess von der Antragstellung bis zur Bescheiderstellung digital durchgestaltet. Das System soll nur die relevanten Informationen abfragen, der Bearbeitungsstatus soll jederzeit transparent abgerufen werden können, die Weiterverarbeitung in der Kommune erfolgt ebenfalls digital bis hin zur automatisierten Erstellung des Bescheides. Die Pilotphase mit neun Kommunen aus

Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg ist bis Ende Januar angesetzt, dann sollen weitere Kommunen folgen.

Digital gleich attraktiv? Die Beispiele zeigen: Es bewegt sich was in Sachen Verwaltungsdigitalisierung. Nicht nur bei der Technik, sondern auch bei der Organisation und der Herangehensweise an konkrete Herausforderungen. Das ist auch dringend notwendig, will der Öffentliche Dienst in den nächsten Jahren attraktiv für fähige Köpfe bleiben. Schon heute steht der Staat bei gut ausgebildeten MINT-Fachkräften hinter der Wirtschaft zurück. Um den Anschluss nicht zu verlieren, wird immer wieder mehr Flexibilität bei den Gehältern

Diskutierten, wie die digitale Zukunft des Öffentliche Dienstes aussehen sollte: (im UZS) Randolf Stich, Philipp Fernis, Prof. Dr. Margrit Seckelmann, Michael Mätzig. Screenshot: BS

gefordert. Gleichzeitig sollen die Beschäftigten durch mehr Fortund Weiterbildung qualifiziert auf dem Weg der Digitalisierung mitgenommen werden. “Dabei helfen ggf. Rechtsanpassungen im Beamten- und Tarifrecht”, so Prof. Dr. Margrit Seckelmann. Die Geschäftsführerin des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung in Speyer ist im Rahmen des Projekts Qualifica Digitalis an einem entsprechenden Normenscreening beteiligt. “Gebraucht wird neben der Technik-Kompetenz aber vor allem mehr Kompetenz in Management, Führung und Organisation”, sagt Michael Mätzig, Geschäftsführer des Städtetages Rheinland-Pfalz. “Diese lassen sich von den langjährig Beschäf-

indem man gezielt aufkläre und heute schon die technischen Voraussetzungen für gute und verlässliche Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung schaffe. Als Teil der Nutzerzentrierung müsse die tatsächliche Nutzung schon jetzt mitbedacht werden, bestätigt Tatiana Herda Muñoz, Senior Consultant bei Partnerschaft Deutschland (PD). Um gezielt jene Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, die als Multiplikatoren oder Influencer in die Gesellschaft hineinwirkten, brauche es einen Strategiewechsel in der Außenkommunikation, speziell der Adressierung. Den Umstand berücksichtigend, dass Worte Realität formten, brauche es eine neue Sprache für den Öffentlichen Dienst, mit der auch digitalaffine Bürger auf Social Media erreicht werden könnten. Bislang sehe es jedoch noch so aus, dass der Faktor Kommunikation als Teil der sogenannten Soft Skills unterschätzt werde. Das gelte nicht zuletzt für den Austausch nach innen. Zwar seien digitalpolitische Maßnahmen wie das OZG primär Front-Endbzw. bürgerorientiert, doch auch Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter seien Nutzer des Serviceportfolios. Umso wichtiger sei es, auch das Backoffice mitzunehmen, selbst wenn der Prozess bis hin zum digitalen Mindset Zeit und Methodendisziplin verlange. Wichtiger Teil dieser Strategie: Vertrauen und Zuspruch seitens der Führungskräfte, um auch jener Nutzerschaft Rechnung zu tragen, die maßgeblich für den Erfolg der digitalen Verwaltung von morgen verantwortlich ist.

tigten nicht so einfach durch ein, zwei Weiterbildungsseminare nachliefern.” Auch hier wird es in Zukunft also auf frisches Blut ankommen – junge Absolventinnen und Absolventen sowie Quereinsteigerinnen und -einsteiger aus der Wirtschaft. Innenstaatsekretär Stich sieht den Schlüssel vor allem in der Attraktivität des Staates als Dienstleister: “Das Image der Verwaltung ändert sich im Moment. Wenn wir gute Services entwickeln, die die Menschen auch gern nutzen, und wenn wir ein bisschen Werbung für uns machen, dann kommen wir auch als attraktiver Arbeitgeber bei den Bewerbern an.” Auch im Rahmen der Corona-Krise habe die Verwaltung mit schnell umgesetzten Lösungen eine gute Figur gemacht. Gemeint sind die vielerorts eingeführten InfoPortale oder Chatbots zum Pandemiegeschehen, aber auch die teils in Rekordzeit umgesetzten Antrags- und Fachverfahren für die Corona-Hilfszahlungen. Möglich machte das der Mut, schnell zu entscheiden und zu handeln, auch wenn nicht immer alle Anforderungen und Folgen vorab bis ins Detail geprüft werden konnten. “Ein bisschen von dieser Denke sollten wir aus der Corona-Zeit mitnehmen”, fordert Philipp Fernis, Staatssekretär im Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz. Er plädiert für ein gesundes Risikomanagement, das auch mit einer gewissen Fehlertoleranz einhergehen gehen müsse. Soll heißen: Wenn ein Vorhaben offenbar Vorteile, aber keine großen Risiken birgt, “einfach mal ausprobieren”.


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Behörden Spiegel / Dezember 2020

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govcamp vienna 2020

Finanzbetrug mit Kryptowährungen entgegenwirken

Der Mensch hinter dem Computer

(BS/Volker Halsch) Geldwäscheaktivitäten und deren Kontrolle geraten aktuell zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. Das ruft zunehmend auch den Gesetzgeber auf den Plan, der mit der Umsetzung diverser EURichtlinien und aktuell mit der Neufassung des Geldwäsche-Tatbestands im Strafgesetzbuch versucht, die Bekämpfung der Geldwäsche anzugehen.

(BS/gg) Unter dem Motto “Der Mensch hinter dem Computer” veranstalteten die Stadt Wien, das Bundesrechenzentrum, die Donau-Universität Krems und der Chaos Computer Club Ende November gemeinsam das elfte govcamp vienna. Interessierte aus der Zivilgesellschaft sowie Vertreter/-innen aus Verwaltung, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft nahmen an dem Barcamp teil.

reichend überwacht werden. Fehlende Überwachungsstrukturen und eine niedrige Liquidität von Kryptowährungen begünstigen Insiderhandel und Kursmanipulationen. Daneben wird weitläufig angenommen, dass Gewinne aus dem Verkauf von Tokens (ICOs/ STOs) weder tatsächlich noch in korrekter Höhe deklariert und versteuert werden. In Deutschland wurden mehr als 20 Kryptoverwahrlizenzen beantragt und jeder Kryptoverwahrer hat seinen eigenen Anti-Money-Laundering(AML)“Standard”. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass diese diverse Landschaft an individuellen Standards Geldwäsche verhindern kann und dass der Begriff des Standards in Volker Halsch ist Partner in der IBM und ehemaliger diesem Kontext Staatsekretär im Bundesminisnoch zutreffend terium der Finanzen. Kontakt: ist. volker.halsch@ibm.com Finanz- und StrafverfolgungsFoto: BS/IBM behörden müssen gerade mit Hinblick auf die genannten He­ Bezug zu Kryptowährungen im rausforderungen im ZusammenVergleich zum Vorjahr von 570 hang mit einer immer häufigeren auf 770 gestiegen ist. Mehr als Nutzung von Kryptowährungen die Hälfte dieser Meldungen wei- und der damit einhergehenden sen auf Geldwäscheaktivitäten größeren Datenmenge künftig in hin. Die Anzahl tatsächlicher die Lage versetzt werden, InforBetrugsfälle kann nicht zuver- mationen zu Betrugsfällen gezielt lässig genau beschrieben wer- zu erheben und auszuwerten. den. Bei der Aufklärung dieser Dabei ist es nicht ausreichend, geht es in erster Linie um eine lediglich die Personalausstathohe Geschwindigkeit und das tung der Aufsichtsbehörden zu konsequente Überwachen ver- verbessern. Das wissen auch schiedener Akteure und deren die beteiligten Institutionen. Um Handlungen. – Im Idealfall ge- fragwürdige Transaktionen von schieht dies in Echtzeit. Kryptowährungen mit hoher Geschwindigkeit adressieren Hinreichende Überwachung? zu können, bedarf es entspreEs ist deshalb zu hinterfragen, chender technischer Lösungen. ob Kryptowährungen aktuell hin- Wir benötigen dafür dringend

Viele Sessions drehten sich um aktuelle Fragestellungen in Zusammenhang mit Corona. Die Pandemie ist – wie selten zuvor eine Krisensituation – von hoher Aufmerksamkeit gegenüber ständig aktualisierten Zahlen, Daten und Rechtsvorschriften geprägt. Die digitalen Angebote öffentlicher Einrichtungen ziehen mit: Open-Data-Angebote wurden weiterentwickelt, Chatbots versuchen, Antworten auf aktuelle Fragestellungen zu geben. Welche Angebote braucht es in Zukunft? Wie können Homeoffice und hybride Zusammenarbeit in der Verwaltung besser umgesetzt werden? Wie kann digitales Lernen hinter verschlossenen Türen besser funktionieren? Können Bürgerbeteiligungsprozesse und Wahlen in Krisenzeiten vermehrt digital abgewickelt werden? Wie wirkt sich verstärkte Digitalisierung auf den CO2-Fußabdruck aus? Auch den Themen Wissensmanagement im Öffentlichen Sektor, Krisenkommunikation und Digital Literacy wurden Sessions gewidmet, die jeweils von den Einbringenden in vier parallel geführten virtuellen Diskussionsräumen moderiert wurden. “Die Corona-Krise hat die Entwicklung digitaler Tools beschleunigt. Nun müssen wir wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert aus Digitalisierungsfortschritten schaffen, Forschung unterstützen und dabei Persönlichkeitsrechte wie Datenschutz für die Menschen hinter dem Computer der Zukunft sicherstellen. Ich freue mich, dass das govcamp vienna aktuelle Themen unserer Zeit aufgreift und partizipativ behandelt”, so Klemens Himpele,

In der politischen Debatte wird häufig das angebliche Versagen der Geldwäscheprävention von Großbanken aufgegriffen und diskutiert. Eine vergleichsweise neue Spielart ist in diesem Zusammenhang der Finanzbetrug mit Kryptowährungen. Diese bieten Potenzial für Kriminalität in vielfältigen Bereichen. Darunter fallen neben Geldwäsche auch Terrorismusfinanzierung und Steuerhinterziehung. Die deutsche Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) gibt in ihrem Jahresbericht 2019 an, dass das Meldeaufkommen von Verdachtsfällen mit

W

as macht die Digitalisierung mit uns Menschen? Dieser Frage widmete sich Marina Weis­ band, Diplom-Psychologin und Expertin für digitale Partizipation und Bildung. Sie betrachtet den digitalen Umbau auch aus der Perspektive, wie er Macht, Kultur und Gesellschaft verändert. Durch digitale Medien seien wir besser informiert und vernetzt; die Kehrseite der Medaille sei allerdings: Auch Extremisten nutzten die digitalen Möglichkeiten, um ihre Botschaften zu verbreiten und neue Anhänger zu gewinnen. “Die Digitalisierung macht uns nicht besser oder schlechter, sie ist aber ein großer Verstärker”, betonte die Expertin. Die Menschen sollen von Konsumenten digitaler Angebote zu Gestaltern werden – das ist ihr Ziel. Weisband forderte außerdem: “Wir müssen Digitalisierung als Werkzeug nutzen, das uns mächtig macht, weil wir Dinge entwickeln können.”

Digitales Krisenmanagement Hinter die Kulissen von Krisen blickte Krisenforscher Frank Roselieb, geschäftsführender Direktor und Sprecher beim Krisennavigator – Institut für Krisenforschung. Für den Umgang mit der Pandemie – gerade im Digitalen – fand Roselieb kritische Worte: “Deutschland hat in der Vergangenheit seine Hausaufgaben beim digitalen Krisenmanagement nicht gemacht.” So hätten beispielsweise Dänemark und Schweden bereits 2004 während der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean ihre Bürger vor Ort per SMS kontaktiert. In diesem Jahr habe Irland gezeigt, dass eine Corona-App auch für

einheitliche Übermittlungsstandards für alle Verwahrer, um die Grundlagen für AnalysePlattformen zu legen und ein automatisierteres Vorgehen bei den Aufsichtsbehörden zu ermöglichen. Da Geldwäschevorfälle oft grenzüberschreitend stattfinden, ist ein solcher Standard mindestens auf europäischer Ebene wünschenswert.

Einsatz von Analytics Analytics-Lösungen und -Plattformen sind schon heute in der Lage, bei der Identifikation und Aufklärung von dahin gehenden Betrugsfällen zu unterstützen. Diese ermöglichen die Analyse und Überwachung von inhaltlichen Zusammenhängen im Umfeld von Transaktionen über Kryptowährungen. So können übergreifend Krypto-Wallets und Transaktionen zwischen diesen – auf Geldwäsche-Regeln basiert – überwacht und ausgewertet werden. Auch Transaktionen von Kryptowährungen, welche mit “Fiatgeld” in Verbindung gebracht werden, lassen sich identifizieren. Preismanipulation und Insiderhandel auf Kryptobörsen können mit Analytics-Lösungen identifiziert und überwacht werden. Steuerdeklarationen können überprüft werden, indem TokenEmissionen und Kryptotransaktionen analysiert werden. Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Steuerhinterziehung lassen sich mit den genannten Lösungsansätzen sicher nicht gänzlich verhindern, allerdings werden diese zukünftig die Arbeit der Finanz- und Strafverfolgungsbehörden erleichtern und sind ein wichtiger Schritt in Richtung der Gleichheit der Waffen.

Bei der mittlerweile elften Austragung des Wiener Barcamps diskutierten zahlreiche Experten aus Verwaltung, Wissenschaft und NGOs sowie Bürger virtuell in verschiedenen Sessions intensiv über die Zukunft der digitalen Gesellschaft. Foto: BS/BRZ

CIO der Stadt Wien. In seiner Rolle als Kompetenzzentrum für die Digitalisierung des Public Sectors unterstützte das Bundesrechenzentrum BRZ die Veranstaltung auch in diesem Jahr.

Anregungen mitnehmen und weiterentwickeln “Als Kompetenzzentrum für die Digitalisierung in der Bundesverwaltung beteiligen wir uns nicht nur aktiv an offenen Formaten wie dem govcamp vienna, sondern nehmen auch gerne Ideen, Anregungen und Diskussionspunkte, die die Teilnehmer des diesjährigen govcamps entwickelt haben, auf, um auch in Zukunft gemeinsam mit unseren Kunden verlässliche und sichere Anwendungen für ganz Österreich auf Schiene zu bringen”, so Daniela Feuersinger, Leiterin Strategy & Communications im BRZ. “Das Format des govcamps vienna schafft es, Themen zur Diskussion zu bringen, die es bei anderen Veranstaltungen

“Nichts ist mehr so, wie es war” IMA im Zeichen von Corona und Digitalisierung (BS/gg) Die Corona-Pandemie hat unser Leben grundlegend verändert: “Nichts ist mehr so, wie es war”, sagte Rolf Sahre, Vorstandsvorsitzender der MACH AG, zum Auftakt des Kongresses “Innovatives Management” unter dem Motto “Wendepunkt 2020 – neues Denken, Arbeiten und Wirken in der öffentlichen Verwaltung”, der bei seiner 20. Auflage erstmals per Livestream übertragen wurde. 800.000 Euro erstellt werden könne, während in Deutschland 60 Millionen Euro ausgegeben wurden.

Die konstruktive Seite der Krise Die konstruktive Seite der Krise stand im Zentrum einer Diskussion von Holger Lehmann, Leiter des Leitungsstabs beim Informationstechnikzentrum des Bundes (ITZBund), mit Andreas Brohm, Bürgermeister von Tangerhütte, Rosa Thoneick, Stadtforscherin und Journalistin, sowie Con­ stantin Alexander, Dozent und Forscher für nachhaltige Stadtentwicklung. In Tangerhütte hat es die Verwaltung um Andreas Brohm im Zuge der Krise geschafft, kurz nach Beginn des Lockdowns ein digitales Bürgerkonto anzubieten, über das die Einwohner Dienstleistungen der Stadt online nutzen können. Das ITZBund stand vor der Herausforderung, die Website des Robert Koch-Instituts (RKI) für den millionenfachen Ansturm auf die Informationsangebote des RKI technisch zu meistern. Ro­ sa Thoneick stellt fest: “Die Digitalisierung hat durch Corona einen großen Push bekommen. Das ist da und geht auch nicht wieder weg.” Welche Potenziale die Digitalisierung auch jenseits der aktuellen Krise hat, betonte

nicht auf die Bühne schaffen. Unser Team am Zentrum für E-Governance in Wirtschaft und Verwaltung an der DonauUniversität Krems bringt sich dabei gerne auch mit Fachbeiträgen ein, um sich in direkter Diskussion mit der Meinungsvielfalt von Verwaltung, Gesellschaft und Wissenschaft auseinanderzusetzen”, so Gregor Eibl, wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Chaos Computer Club stellt technische Infrastruktur Herbert Waloschek (C3W – Chaos Computer Club Wien): “Die technische Infrastruktur dieses govcamps wurde von einem Team des Chaos Computer Clubs Wien ausschließlich mit freier, offener Software (FOSS) auf dezentraler Hardware bereitgestellt. Ganz im Sinne der Veranstaltung konnte gezeigt werden, dass auch ohne Abhängigkeit von Softwarekonzernen und Datenfluss ins Ausland die nötige Technik dezentral zur Verfügung steht.”

Universität Tallin, und Prof. Dr. Peter Parycek, Donau-Universität Krems, aus den jeweiligen Regierungslaboratorien. Krimmer will dabei die Verwaltung “amazonisieren”. Wer beim Online-Händler ein Buch kauft, bekommt automatisch weitere Angebote, die Käufer interessieren könnten. Solche weiterführenden Hinweise müssten auch Verwaltungen ihren Kunden machen, wenn sie eine Dienstleistung genutzt haben, fordert der Forscher. Pa­ rycek betonte einen wesentlichen Vorteil von Digitallaboren: “Dort kommen die unterschiedlichen Perspektiven aller Stakeholder zusammen.” Prof. Dr. Gerhard Hammerschmid, Hertie School Berlin, präsentierte Ergebnisse zweier Umfragen unter jeweils rund 5.000 Verwaltungsmitarbeitern und Bürgern. Ein Ergebnis: Knapp 40 Prozent der Verwaltungsmitarbeiter konnten während des ersten Lockdowns im Homeoffice arbeiten, bei den Bürgern waren es zwei Drittel.

Optimismus ist Vorfreude

Das “Innovative Management” war in diesem Jahr eine Mischung aus Präsenz- und Online-Veranstaltung. Foto: BS/MACH, Jakob Börner

Constantin Alexander. Ohne die digitale Technik sei beispielsweise die Klimakrise nicht in den Griff zu bekommen.

Versöhnung der Disziplinen Auf welche Weise Verwaltungen mittels Digitallaboren an Projekten zur Digitalisierung arbeiten, machten Christian Rupp, CIO des Joint Innovation Labs sowie der MACH AG, und Ernst Bürger, Ministerialdirigent im

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, deutlich. Für Ernst Bürger ist einer der Vorteile eines Digitallabors: “Die Hierarchie wird an der Tür abgeben, es zählt nur die gute Idee.” Denn die Digitalisierung bedeute die Versöhnung von unterschiedlichen Disziplinen. Bürger: “Mit diesen neuen Formaten können wir außerdem viel schneller zu Ergebnissen kommen.” Chris­ tian Rupp hob die Vielzahl der

unterschiedlichen Digitallabore in Deutschland hervor. Zudem verwies er auf eine Erkenntnis aus der Zusammenkunft der Europäischen Digitallabore am Tag zuvor: “An Digital first kommt keiner mehr vorbei.”

“Amazonisierung” der ­Verwaltung Unter dem Motto “Neues aus der Zukunft” berichteten Prof. Dr. Dr. Robert Krimmer, Technische

Nach den unterschiedlichen Vorträgen und Diskussionen über die Auswirkungen der Corona-Krise sorgte der Sozialwissenschaftler und Optimismusforscher Prof. Dr. Jens Weidner für einen aufmunternden Schlusspunkt. Mit einer Prise Humor erklärte er, dass die sogenannten “Best-of-Optimisten” am besten durch die Krise kämen. “Sie sind Meister der Risikoeinschätzung und setzen auf den Triumph der Hoffnung über die Erfahrung”, sagte Weidner. Denn: “Optimismus bedeutet nicht, jetzt gut gelaunt zu sein, Optimismus ist Vorfreude.”


Informationstechnologie

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Heute anfangen

und eine fragmentierte Anwendungslandschaft schaden nicht nur der Barrierefreiheit, sondern auch der Effizienz im Arbeitsalltag. Oft lassen sich gravierende Störungen der Ar(BS/Sebastian Bartsch und Judith Faltl) Barrieren entstehen, wenn Inhalte einer Website oder einer Anwendung nicht gelesen oder bedient werden beitsabläufe mit wenig Aufwand können. Barrierefreiheit umfasst aber noch weitere Aspekte, die die gesamte Anwendung benutzerfreundlicher und leichter zu warten machen – verbessern. Ein erster Schritt und damit auch laufende Kosten senken können. Daher lohnt es sich, Barrierefreiheit ganzheitlich zu betrachten und nicht nur die gesetzlichen auf dem Weg zu digitalen barRahmenbedingungen einzuhalten. rierefreien Angeboten sind in jedem Falle allgemein gültige rierefreiheit. Sie ist in gewisser Standards, wie z. B. die TasWeise der Fahrplan, der bis zur taturkombination Strg+S zum Speichern. Das fördert die Barrinächsten jährlichen Aktualisierung der Mustererklärung erefreiheit durch die Möglichkeit vorgesehen ist. Zudem müssen der Tastaturbedienbarkeit und ab dem 23. Juni 2021 alle eleksteigert gleichzeitig die Effizienz tronisch unterstützten Verwalim Arbeitsalltag, wenn dadurch tungsabläufe, einschließlich der mehrere Mausklicks gespart Verfahren zur elektronischen werden können. Kleiner Ansatz, große Wirkung – und nicht nur Vorgangsbearbeitung und der für die Barrierefreiheit. Und alle elektronischen Aktenführung, Bilder mit einem Alternativtext öffentlicher Stellen des Bundes zu versehen, folgt nicht nur den barrierefrei gestaltet sein. Die Anforderungen zur BarriereAnforderungen sind dieselben wie für Auftritte nach außen. freiheit, sondern steigert auch Von der Umsetzung profitiedie Auffindbarkeit der Website ren in erster Linie interne Arin Suchmaschinen. Diese und beitsabläufe und die Mitarbeiweitere Richtlinien gilt es von terinnen und Mitarbeiter der nun an stetig zu beachten und Behörde. umzusetzen. Denn ab dem 30. Juni 2021 müssen die Grafik: BS/msg Und genau an diesem Punkt Anforderungen der aktuellen Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) des Bundes. obersten Bundesbehörden alle lohnt es sich mehr als je zuvor, das Thema ganzheitlich zu be- ben und Barrierefreiheit ist von liegt der Mehraufwand im ein- ter. Schulungen sorgen für den drei Jahre, erstmals an diesem stelligen Prozentbereich. Wenn nötigen Wissenstransfer. Hier Tag, der Überwachungsstelle trachten. Bestehende Anwendun- heute an umzusetzen. die Barrierefreiheit nachträglich wird nicht nur sensibilisiert, son- des Bundes für Barrierefreiheit gen, ob extern zugänglich oder für interne Verwaltungsabläufe, Rückstau vermeiden umgesetzt wird, ist der Aufwand dern ganzheitlich geschult, vom von Informationstechnik Bericht sind zu testen, Mängel zu beheLaufende Projekte sollten wesentlich höher und kann bis zu Fachbereich über die IT bis hin über den Stand der Barrierefreiheit erstatten. schnellstmöglich Barrierefreiheit 100 Prozent des gesamten Pro- zu Führungskräften. vollumfänglich berücksichtigen, jektaufwands kosten. Denn dann Mit dem neuen Verständnis Daher sollten die Behörden jetzt um einen Rückstau an nicht er- wird ein vollständiges Redesign sollte es Behörden leichter starten und die Verpflichtung füllten Anforderungen zum Ende notwendig und der gesamte Im- fallen, auch ihre bisherigen zur Barrierefreiheit als Chanhin zu vermeiden. Auch bei lau- plementierungsprozess muss Prozesse ganzheitlich, digital, ce wahrnehmen. Als Chance, Sebastian Bartsch ist als Business Consultant, Judith barrierefrei zu betrachten. Me- die Digitalisierung konstruktiv fenden Projekten ist der Ist-Stand erneut durchlaufen werden. Faltl, selbst blind, als Senior Viele Anwendungen profitieren dienbrüche in den Prozessen strukturiert neu anzugehen. zu ermitteln, sind mögliche MänIT Consultant bei der msg gel zu identifizieren und ist ein bereits im frühen Stadium von für den Public Sector tätig. Plan zur Beseitigung der Mängel einer verbesserten Benutzerfreundlichkeit und Verständzu erarbeiten. Foto: BS/msg Bei neuen Projekten sollte lichkeit der gesamten AnwenBarrierefreiheit von Beginn an dung. Auch in der Umsetzung Die Autoren des Beitrags sind Referenten der Webinar-Reihe: “Barrierefreie Webanwendungen im Rahmen der BITV und des OZG – Synergiberücksichtigt werden. Dann und anschließenden Wartung en im Projekt nutzen”, die der Behörden Spiegel im kommenden Jahr wird durch das Einhalten von anbietet. Weitere Informationen und eine Anmeldemöglichkeit unter geforderten und empfohlenen www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchwort: “Barrierefrei” Standards der Aufwand gesenkt und das gesamt Projekt effizien-

eit dem 23. September 2020 sind alle öffentlichen Stellen des Bundes dazu verpflichtet, eine Erklärung zur Barrierefreiheit ihrer Angebote zu veröffentlichen. Hier gilt es zu ermitteln, wie barrierefrei das Angebot ist. Zu betrachten sind unter anderem Wahrnehmungs-, Interaktions- und Verständnisbarrieren. Hinsichtlich der Wahrnehmung können fehlende Farbkontraste einer Website genauso zum Problem werden wie mangelnde Optionen zur Textvergrößerung oder schwer erkennbare Schriftarten. Lassen sich interaktive Elemente einer Website nur mit einer Maus steuern, die körperlich beeinträchtigte Menschen nicht bedienen können, sind sie handlungsunfähig. Ein weiteres Spannungsfeld sind Online-Formulare, die meist innerhalb einer bestimmten Zeit ausgefüllt werden müssen. Die vorgesehene Zeitspanne orientiert sich jedoch in der Regel am gesunden Menschen. Für Menschen mit Einschränkung ist diese Zeitspanne oft zu kurz. Aber auch für jemanden, der mit dem Formular nicht vertraut ist, ist die Zeit oft knapp. Die veröffentlichte Erklärung markiert den Start für die Bar-

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Verpflichtung zu barrierefreien Angeboten

Veranstaltungshinweis

Barrierefreiheitstest

Angebot für Webseiten und Fachapplikationen (BS/Johannes Rosenboom*) Materna unterstützt Bundes- und Landesbehörden bei der barrierefreien Umsetzung und Überprüfung von Web- und Non-Web-Anwendungen, Fachverfahren, Webseiten und Dokumenten. Jetzt setzt auch der Bund auf die Barrierefreiheits-Expertise von Materna. Barrierefreiheit ermöglicht allen Menschen die Nutzung von IT-Anwendungen – unabhängig davon, ob es sich um Menschen mit oder ohne Einschränkung handelt. Sie stellt sicher, dass beispielsweise auch Menschen mit einer Seh- oder Hörbehinderung oder einer kognitiven oder motorischen Einschränkung Webseiten und SoftwareLösungen nutzen können.

EU-Richtlinie verpflichtet alle Behörden Die EU-Richtlinie 2016/2102 verpflichtet alle Behörden, die Benutzung von mobilen Applikationen sowie Webseiten, also Internet und Extranet, für alle Bürger zu ermöglichen. Das gilt auch für webbasierte und nicht webbasierte Anwendungen, die Angestellte im öffentlichen Bereich nutzen. Die strengen Kontrollen der EU-Kommission verschaffen dem Thema Barrierefreiheit in der IT neue Brisanz. Bereits seit 2002 gibt es die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV), die sehr viele Webangebote bereits berücksichtigen. Mit der EU-Richtlinie 2016/2102 und weiteren EU-Richtlinien ist unter anderem neu, dass Bund und Länder Bericht erstatten müssen über den Stand der Barrierefreiheit ihrer Anwendungen. Außerdem gibt es das alte Punktesystem der BITV nicht mehr, da die EU-Richtlinien nur die zwei Ergebnisse “erfüllt” oder “nicht erfüllt” kennen. Die BITV hat die barrierefreie Gestaltung von Internet-Angeboten des Bundes und der Länder maßgeblich vorangetrieben. Darüber hinaus sind nun

auch Träger öffentlicher Gewalt verpflichtet, ihren Beschäftigten Informationsangebote im Intranet sowie ihre elektronisch unterstützten Verwaltungsabläufe schrittweise barrierefrei zur Verfügung zu stellen. Dies gilt auch für Verfahren zur elektronischen Aktenführung und zur elektronischen Vorgangsbearbeitung, die für Menschen mit Behinderungen zugänglich und nutzbar gestaltet werden müssen.

Zuschlag nach Ausschreibung des Bundes Der Bund hat in diesem Jahr nun eine umfangreiche Ausschreibung zum Thema “Testen auf Barrierefreiheit” initiiert. Materna erhielt dabei den Zuschlag in zwei Losen für die Beratung und das Testing der Barrierefreiheit von Software sowie von Websites. Bedarfsträger können die BITV-Leistungen von Materna über das Kaufhaus des Bundes beziehen. Hierfür stehen die neuen Rahmenverträge 21121 und 21126 bereit. Behörden können schnell und einfach testen, ob ihre Angebote bereits gut nutzbar und zugänglich sind oder ob nachgebessert werden muss.

Eigenes Kompetenzzentrum Materna verfügt über ein eigenes Kompetenzzentrum Barrierefreiheit. Hier wird unter anderem geprüft, ob Webseiten konform zur Richtlinie EU 301 549 sowie zu zusätzlichen nationalen Anforderungen sind. Bei der Überprüfung von Webseiten werden die 60 Prüfschritte des aktuellen BITV/WCAG-Tests angewendet. Auch zusätzliche nationale und internationale

Anforderungen gehören zum Prüfumfang, wie beispielsweise bzgl. Gebärdensprache und Leichter Sprache. Materna liefert einen umfassenden Prüfbericht inklusive Screenshots der Pro­ blembereiche, Beschreibung der Probleme mit Auswirkungen auf die jeweilige Behindertengruppe, Aufzeigen von Lösungsansätzen sowie einer prozentualen Auswertung des Erfüllungsgrades der gesetzlichen Vorgaben bzw. internationalen Richtlinien. Da­ rüber hinaus unterstützt Materna dabei, die gesetzlich geforderte Erklärung zur Barrierefreiheit zu erstellen und unterstützt beim Coaching der Redakteure.

Umsetzung der Barrierefreiheit ist facettenreich Die Umsetzung des Themas Barrierefreiheit ist facettenreich. Deshalb sollten Behörden bei Web- und Softwareprojekten frühzeitig Experten für Barrierefreiheit und Usability mit ins Boot holen, damit das Thema bereits in der Konzeptionsphase und bei der Erstellung eines Lasten- bzw. Pflichtenheftes berücksichtigt wird. Entsprechende Workshops können dazu beitragen, alle Projektbeteiligten zu sensibilisieren. Später sollten während der Entwicklungszeit fortlaufende Tests zur Barrierefreiheit und zur Usability durchgeführt werden, deren Ergebnisse dann mit den Projektverantwortlichen besprochen werden, um laufende Verbesserungen zu erarbeiten. *Johannes Rosenboom ist Leiter für die Bereiche Sales, Marketing und Business Development im Geschäftsbereich Public Sector bei Materna.


Informationstechnologie

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Neuer Vorstand

Digitalisierung heißt Kommunikation

Kranstedt wird Stellvertreter

Drei Thesen zu fast vergessenen Fragen des OZG

(BS/Vincent Patermann*) Die Mitglieder des NExT e. V., des Netzwerks: von Experten für die digitale Transformation der Verwaltung, wählten Anfang November ihre neue Vorstandschaft. Der Vorsitzende Dr. Sven Egyedy und Vorstandsmitglied Dr. Hans-Günter Gaul wurden dabei im Amt bestätigt. Neuer stellvertretender Vorsitzender ist Dr. Alfred Kranstedt.

(BS/Heiko Kretschmer) Das Onlinezugangsgesetz (OZG) hat ein ambitioniertes Ziel benannt: Bis Ende 2022 sollen die wichtigsten öffentlichen Leistungen online verfügbar sein. Die Corona-Pandemie unterstreicht die Bedeutung dieses Ziels. So weit, so klar. Schwierig ist jedoch die Umsetzung.

In der turnusmäßigen Mitgliederversammlung bestätigten die Mitglieder des NExT e. V. den bisherigen Vorstandsvorsitzenden Dr. Sven Egyedy, Chief Technology Officer im Auswärtigen Amt, sowie das bisherige Vorstandsmitglied Dr. Hans-Günter Gaul, IT-Direktor der Bundesnotarkammer, in ihren Ämtern. Neu in den Vorstand wurde Dr. Alfred Kranstedt als stellvertretender Vorsitzender gewählt. “Ich freue mich, die weitere Entwicklung des Vereins aktiv mitgestalten zu dürfen”, teilte Dr. Kranstedt, Direktor des Informationstechnikzentrums Bund (ITZBund), mit. Der Vorstandsvorsitzende Dr. Sven Egyedy dazu: “Die Verwaltungsdigitalisierung ist die Organisationsaufgabe der nächsten Jahre. Sie hat das Potenzial, die Verwaltung und deren Arbeitsweise grundsätzlich zu verändern und endlich bürgernäher zu gestalten. Mit NExT wollen wir in den nächsten Jahren die Expert(inn)en zur Digitalisierung in Bund, Ländern und Kommunen zusammenbringen, um hier einen substanziellen Beitrag zu leisten.” Vorstandsmitglied Dr. HansGünter Gaul ergänzte: “So fern und doch so nah – NExT bringt bundesweit Vordenker, Praktiker und Suchende in Sachen Digitalisierung auf den Ebenen des Bundes, der Länder und der Kommunen zusammen, um das Naheliegende zu erreichen: ein Netzwerk von Experten zu formen und wachsen zu lassen, das im Austausch untereinander und mit Dritten die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung zu einem Erfolg werden lässt. Da bin ich mit dabei!” “NExT hat sich in meinen Augen in den vergangenen zwei Jahren als wertvolle Plattform etablieren können, auf der wir als Praktiker in der Digitalisierung der Verwaltung voneinander lernen, Synergien heben, uns vernetzen und unsere Positionen schärfen. Als Teil des Netzwerkes konnten wir in einem geschützten Raum Neues ausprobieren und diskutieren und so die Entstehung eines Klimas der Innovation praktisch erleben.” so der stellvertretende Vorsitzende Dr. Kranstedt weiter. “Die Herausforderungen, vor denen wir in unseren jeweiligen Häusern stehen, sind gewaltig, in den öffentlichen Diskussionen um die Digitalisierung der Verwaltung ist die Stimme derjenigen, die sie praktisch in den Behörden umsetzen, dabei aber oft noch viel zu wenig präsent. Eine solche Stimme zu entwi-

ITZBund-Direktor Dr. Alfred Kranstedt komplettiert als Stellvertreter den neuen NExT-Vorstand. Foto: BS/ITZBund

ckeln, braucht Plattformen wie NExT. Dafür den Rahmen zu schaffen, darin sehe ich einen Schwerpunkt meiner Arbeit im Vereinsvorstand.” Nach der Ernennung von Dr. Markus Richter zum beamteten Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat zum Mai 2020 übernahm Dr. Egyedy den Vorsitz im Vereinsvorstand und führte die Vorstandsarbeit mit Dr. Gaul fort. Nach der turnusmäßigen Wahl sind nun wieder alle drei Positionen des Vorstands des NExT e. V. besetzt. Der NExT e. V. wurde im Jahr 2018 gegründet und ist eine gemeinnützige Plattform aus der Verwaltung für die Verwaltung. Er steht für einen aktiven Austausch und gemeinsames voneinander und miteinander Lernen rund um Themen des digitalen Wandels. Als parteipolitisch unabhängiges Netzwerk im Öffentlichen Dienst bringt er Beschäftigte aus Bund, Ländern und Kommunen sowie deren nachgeordneten Behörden, Anstalten und Körperschaften über Hierarchien, Ressorts und föderale Grenzen hinweg zusammen, um gemeinsam die digitale Transformation der Verwaltung zu gestalten. Dafür bietet er geschützte Räume für den Austausch zwischen Beschäftigten der öffentlichen Hand. Interessenten, die sich dem Netzwerk anschließen und in den Austausch mit anderen Praktiker(inne)n aus der Verwaltung treten wollen, erhalten unter www.next-netz.de weitere Informationen. *Vincent Patermann ist Geschäftsführer des NExT Netzwerks.

Der Behörden Spiegel ist Medienpartner des Netzwerks.

IT als Treiber der Verwaltungsmodernisierung: Der Newsletter E-Government, Informationstechnologie und Politik des Behörden Spiegel

Anmeldung: www.behoerdenspiegel.de newsletter@behoerdenspiegel.de

Nicht zuletzt die schleppende Akzeptanz und die, gemessen an der Gesamtbevölkerung, geringe Verbreitung der Corona-WarnApp zeigen eines deutlich: Immer noch wird die Bedeutung von Kommunikation für die Erreichung dieser Ziele unterschätzt. Hier zeigt sich, wie wichtig nicht nur frühzeitige Akzeptanz, sondern auch eine durchdachte User Journey, also ein persönliches Nutzenerlebnis für den Projekterfolg sind.

These 1: Schon die Entwick­ lungsphase erfordert ­Projektkommunikation Das Beispiel der Corona-WarnApp zeigt, wie erfolgsrelevant der Umgang mit den pluralen Interessenlagen einer mitunter sehr hohen Zahl an Akteuren ist. Alle treten dem Projekt mit eigenen Erwartungen gegenüber, die vom Datenschutz über die Entbürokratisierung und Beschleunigung bis hin zur Einfachheit und Bürgernähe reichen können. Hinzu kommen Nutzer, die gerade im Bereich der App-Solutions mit spielerischen, sehr vom Nutzer her entwickelten Angeboten leben und dieses als Erwartungshaltung auch an öffentliche Angebote übertragen. Widerstreitende Erwartungen müssen zwischen den Akteuren aufgelöst bzw. ausgehandelt werden.

Das erfordert Sprints, Fokusgruppen, aber auch mögliche User Journeys in der entsprechenden Anwendung. Es setzt zudem eine sensible Risikoeinschätzung voraus, denn viele Nutzer und NGOs gehen mit staatlichen Anwendungen kritischer um als mit kommerziellen Anwendungen.

These 2: Die Implemen­ tierungsphase ist ein ­(kommunikativer) ­Veränderungsprozess Was häufig unterschätzt wird: Digitalisierung ist bei optimaler Umsetzung erst in dritter Linie eine Frage der Technik. Zunächst braucht es ein gemeinsames Verständnis gerade auch der Akteure in der Verwaltung: Warum machen wir das? Was ist der Mehrwert? Was treibt uns an? Denn am Ende geht es in fast allen Projekten nicht darum, dass ein Antrag künftig nicht mehr handschriftlich, sondern online ausgefüllt wird, sondern um einen Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung im Verhältnis zwischen Amt und Bürger, in den Prozessen und deren Zusammenspiel. So was bietet Chancen, führt aber immer auch zu Ängsten. Offener Dialog und eine transparente “Mitnahme” können da spielent-

scheidend sein. Je mehr Ebenen der öffentlichen Hand betroffen sind, umso wichtiger ist diese Vorgehensweise. Dabei gilt: Prozessuale Lösungen, die schnell und simpel implementiert und umgesetzt werden, finden selten die gewünschte Unterstützung – das gilt insbesondere in hierarchischen Strukturen wie der öffentlichen Verwaltung. Wirklich neue Effizienzen entstehen erst durch die Mitwirkung der internen Experten. Ansonsten werden nur bestehende (schlechte) Prozesse digitalisiert.

These 3: Digitale Anwendun­ gen erfordern mehr als ­Marketing Auch in der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern geht es um mehr als reine Information und Werbung für neue digitale Anwendungen. Während Anwender bei Start-ups sich längst da­ ran gewöhnt haben, dass sie in Beta-Versionen von Apps als Produkttester zur Verbesserung der genutzten App beitragen, wird von staatlichen Lösungen dage-

gen weitgehende Fehlerfreiheit verlangt. Hinzu kommen weit höhere Anforderungen an Datensicherheit und Privacy. Wer dem gerecht werden will, muss künftig ganz anders über den Innovator und nicht als digitaler Bürokrat reden. Denn: Der ALG-II-Online-Antrag aus Hessen oder “ELFE – einfach Leistungen für Eltern” aus Bremen zeigen es. Der Staat kann gute digitale Produkte entwickeln. Ziel dieser Kommunikation muss eine möglichst hohe Nutzungsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger für öffentliche Online-Dienste sein. Bislang aber erfahren Bürgerinnen und Bürger kaum, was sie in Kürze erwartet – obwohl bereits heute konkrete Angebote vorhanden oder in der Fertigstellung sind. Das EfA-Prinzip wird diese ­Herausforderung noch steigern, denn die Nutzung entscheidet sich jeweils lokal und nicht im Bereich der zuständigen Behörde.

Heiko Kretschmer ist Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsberatung Johanssen + Kretschmer (J+K). Foto: BS/J+K


Informationstechnologie

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Neuer Online-Antrag

ELFE bekommt Flügel

Beschleunigte Genehmigungsprozesse beim Breitbandausbau

Bundesrat beschließt “Einfach Leistungen für Eltern”

(BS/gg) Ab sofort können Telekommunikationsunternehmen das System zur Antragstellung der Genehmigung (BS/gg) Einen Tag vor seinem 50. Geburtstag bekam Bremens Finanzstaatsrat und CIO Dr. Martin Hagen Ende der Leitungsverlegung digital nutzen. Sieben Pilotkommunen in Hessen und Rheinland-Pfalz – zukünftig November vom Bundesrat ein besonderes Geschenk. Nach vorheriger Zustimmung des Bundestags folgte die auch eine in Baden-Württemberg – steht die Leistung zur Verfügung, die Genehmigungsprozesse für den Zustimmung die Länderkammer zum ELFE-Projekt (Einfach Leistungen für Eltern). Breitbandausbau vereinfacht. Damit wird der Ausbau von flächendeckenden Gigabitnetzen zunächst in der Metropolregion Rhein-Neckar, später in ganz Deutschland beschleunigt. Das Antragsverfahren im Zuge der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) wurde unter gemeinsamer Federführung von Rheinland-Pfalz und Hessen erarbeitet. Die Vorteile des neuen Online-Antrags bieten für Telekommunikationsunternehmen dank visueller Kartenansicht die Möglichkeit, schnell und unkompliziert ihre Anträge zu stellen. Zudem besteht für die Telekommunikationsunternehmen die Möglichkeit, Importschnittstellen einzurichten, um eigene Geodaten einzubinden. Darüber hinaus erleichtern standardisierte Datenfelder die Beschreibung des Vorhabens und reduzieren fehlerhafte Angaben bei der Antragsstellung. Damit wird den Behörden auch eine schnellere Prüfung der Anträge auf Vollständigkeit ermöglicht. Über das Portal können Behörden und Antragstellende außerdem direkt kommunizieren und bei Bedarf Anpassungen innerhalb des Antrags vornehmen, wodurch der Genehmigungsprozess weiter beschleunigt wird. Längere Bearbeitungszeiten der Anträge aufgrund von Rückfragen oder unvollständigen oder fehlerhaften Angaben gehören damit der Vergangenheit an. “Der Auf- und Ausbau digitaler Infrastrukturen auf Glasfaserbasis steht im Zentrum der gemeinsamen Anstrengungen. Bei der Umsetzung kommt den

Digitalstaatssekretär Patrick Burghardt, CIO des Landes Hessen, zeigte sich optimistisch, dass der gemeinsam mit Rheinland-Pfalz entwickelte Online-Antrag auf Leitungsverlegung bald auch von anderen Ländern nachgenutzt wird. Foto: BS/HMinD

kommunalen Genehmigungsprozessen eine wichtige Rolle zu. Die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz haben daher die Initiative ergriffen, um gezielt Synergien bei der Optimierung von Verwaltungsprozessen mit dem Breitbandausbau zu nutzen. Die ersten Pilotkommunen starten nun in die nutzerfreundliche Online-Umsetzung”, betonte Innenstaatssekretär Randolf Stich, CIO der Landesregierung Rheinland-Pfalz. “Die Digitalisierung funktioniert am besten, wenn sie einheitlich erfolgt. Daher haben RheinlandPfalz und Hessen den digitalen Breitbandantrag nach dem Modell “Einer für alle” entwickelt und stellen ihn nun weiteren Bundesländern zu Verfügung, die den Antrag nahezu reibungslos übernehmen und weiterentwickeln können. Erste Länder haben bereits Interesse an der Nachnutzung des Antrags auf

Leitungsverlegung bekundet”, so der CIO von Hessen, Digitalstaatssekretär Patrick Burghardt.

Teil der OZG-Umsetzung Der digitale Antrag auf Genehmigung zur Leitungsverlegung ist Teil des gemeinsamen Vorhabens “Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes” (OZG). Rheinland-Pfalz und Hessen hatten die Federführung des ambitionierten Vorhabens, im Rahmen des Breitbandausbaus die Beschleunigung kommunaler Genehmigungsprozesse voranzutreiben, und die Metropolregion Rhein-Neckar GmbH mit der operativen Projektleitung beauftragt. Unterstützt wird das OZG-Projektteam “Breitbandausbau” dabei durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie zahlreiche Akteure auf kommunaler Ebene und aus der Privatwirtschaft.

Finanzsenator Dietmar Strehl spendierte daraufhin dem “Vater” der ELFE und seinem Team zur Feier des Tages eine Torte. “Martin Hagen hatte eine super Idee. Einfach, schnell und digital sollen Eltern Geburtsurkunde, Kinder- und Elterngeld bekommen – mit wenigen Klicks im Netz und ohne Behördengänge. Die Akten sollen laufen, nicht die Eltern. Fast alle notwendigen Informationen haben die verschiedenen Behörden, nach der Zustimmung der Eltern können sie die Daten austauschen und sparen so den Müttern und Vätern viel Zeit – Zeit, die sie sicher lieber mit dem Kind verbringen”, erklärte Finanzsenator Strehl. Aber von der Idee bis zur Umsetzung ist es ein langer Weg. “Mit viel Überzeugungskraft und Engagement hat Martin Hagen die Zuständigen im Bund und bei den Ländern überzeugt. Er weiß als fünffacher Vater, worum

es geht und warum ein bürgerfreundlicher Service überfällig ist”, so Senator Strehl weiter.

Teamarbeit An dem ELFE-Gesetz hat das Bremer Finanzressort gemeinsam mit zahlreichen Bundesministerien und Bundesbehörden zusammengearbeitet. Staatsrat Hagen dankte allen Beteiligten für ihren Einsatz: “Dieses Gesetz war Teamarbeit. Fünf Ministerien und die Länder mussten zusammenarbeiten. Die Digitalisierung der Verwaltung ist kein Selbstzweck. Wir wollen damit den Bürgerservice verbessern und die Arbeit der Beschäftigten in den Behörden erleichtern.” Das Bundesland Bremen hat die Federführung für das Themengebiet Familie und Kind im Zuge des bundesweiten Onlinezugangsgesetzes (OZG) übernommen. Die Online-Services für zen­trale Familienleistungen

Bremens Finanzsenator Dietmar Strehl (re.) und CIO Dr. Martin Hagen feierten die Entscheidung des Bundesrates mit einer ELFE-Torte Foto: BS/Senator für Finanzen Bremen

rund um die Geburt eines Kindes werden in Bremen entwickelt und dann allen Bundesländern zur Verfügung gestellt. Im Rahmen eines Pilotprojektes wurde bereits im Oktober in Bremen das Verfahren zur Online-Bestellung von Geburtsurkunden erfolgreich gestartet. Martin Hagen: “Eigentlich wollten wir mit der Verabschiedung des Gesetzes Elterngeld und Kindergeld ebenfalls über die App zur Verfügung zu stellen. Aber auch uns hat Corona aufgehalten. Jetzt wollen wir damit im Januar 2021 starten. Das ist immer noch früh, das Gesetz erteilt uns dafür eine Sondergenehmigung. Deutschlandweit sieht das Gesetz die Umsetzung erst zum 1. Januar 2022 vor.”

Große Entlastung für junge Eltern Mit ELFE können Eltern in Zukunft gebündelt, einfach und online eine Geburtsurkunde sowie Kinder- und Elterngeld beantragen. Dazu werden die Formulare für Elterngeld, Kindergeld und die Geburtsanzeige zu einem digitalen Kombi-Antrag zusammengefasst. Die Eltern müssen nur einmal ihre Daten eingeben und keine weiteren Unterlagen bei verschiedenen behördlichen Stellen vorlegen. Mit dem Einverständnis der Eltern tauschen das Standesamt und die Elterngeldstelle Daten zur Geburt elektronisch untereinander aus. Mithilfe der Deutschen Rentenversicherungen können, ebenfalls mit Einverständnis der Eltern, die notwendigen Einkommensdaten für das Elterngeld bei den zuständigen Arbeitgebern abgerufen werden.


Informationstechnologie

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ie Corona-Krise kam überraschend. Die öffentliche Verwaltung war im Frühjahr gezwungen, kurzerhand Arbeitsplätze im Homeoffice einzurichten. Viele Behörden waren darauf nicht gut vorbereitet. Das Beispiel einer Landeshauptstadt, die kurzfristig 5.000 Verwaltungsarbeitsplätze auf Heimarbeit umgestellt hat, inklusive der Ausstattung mit Notebooks und Konferenzsoftware, dürfte eher eine erfreuliche Ausnahme gewesen sein. An anderer Stelle sind Verwaltungen den veränderten Bedingungen bis heute nicht gewachsen. Viele können nach wie vor nicht auf eine elektronische Aktenführung zurückgreifen. Diese ist jedoch zwingende Voraussetzung für den mobilen Zugriff auf Dokumente und somit für eine erfolgreiche Vorgangsbearbeitung. Zugleich stehen leistungsfähige Werkzeuge seit vielen Jahren bereit: So können auf Grundlage einer zentralen digitalen Informationsplattform problemlos webbasierte Lösungen freigeschaltet werden, die es ermöglichen, wichtige Verwaltungsdienste gegenüber Bürgerinnen und Bürgern jederzeit bereitzustellen. Noch ist unklar, wann die Corona-Krise überwunden sein wird. Um die Pandemiezeit bestmöglich zu gestalten und in Zukunft besser reagieren zu können, müssen die öffentlichen Verwaltungen jetzt handeln und wichtige Entscheidungen nicht länger vor sich herschieben. Eine E-Akte-Lösung wie nscale eGov von der Ceyoniq Technology ist hierbei ein wichtiger technologischer Baustein.

Behörden Spiegel / Dezember 2020

E-Akte unterstützt mobiles Arbeiten Öffentliche Verwaltung muss handeln (BS/Michael Genth*) Seit fast einem Jahr macht die Corona-Krise Unternehmen und Organisationen zu schaffen und zwingt Mitarbeiter ins Homeoffice. In der öffentlichen Verwaltung konnte durch das Fehlen einer elektronischen Aktenführung oftmals keine wirksame mobile Arbeit ermöglicht werden. Die Folge: Die Bearbeitung von Anträgen verzögerte sich, Leistungen für Bürger wurden reduziert. Nscale eGov von der Ceyoniq Technology bietet eine Lösung. Klar ist: Die Einführung eines digitalen Dokumentenmanagements mit integrierter Vorgangsbearbeitung ist an eine gute Vorbereitung, Beschlüsse, Ausschreibungen, Auswahlverfahren, externe Unterstützung und Finanzierungen gekoppelt, die Schritt für Schritt umgesetzt werden müssen. Diesen Prozess anzustoßen, muss nun höchste Priorität haben.

Fazit

Auf die öffentliche Verwaltung ausgerichtet Nscale eGov von der Ceyoniq Technology bietet hier beste Vo­ raussetzungen. Denn das System basiert auf dem Organisationskonzept “Baustein E-Akte” sowie der Referenzarchitektur “Elektronische Verwaltungsarbeit”. So ist die Lösung richtlinienkonform vorkonfiguriert. Das sorgt für einen revisionssicheren Umgang mit Informationen und kurze Einführungszeiten. Darüber hinaus entsprechen die Aktenstruktur sowie Workflows den gewohnten Geschäftsgängen oder Umlaufmappen. Fachanwendungen sind schnell und einfach integrierbar. Die gegenwärtige Situation macht deutlich, wie wichtig bei der Umsetzung von E-Akte-Konzepten eine Multi-Client-Strategie ist.

dann auf der zentralen Plattform verfügbar. Damit ist der Weg frei für modernes Arbeiten: wo, mit wem und wann man will. Fest steht: Die Vorteile der EAkte reichen weit über die aktuelle Pandemiesituation hinaus. Ein moderner digitaler Arbeitsplatz unterstützt nicht zuletzt die Gewinnung junger Menschen für Jobs in der öffentlichen Verwaltung. Mit einem DMS werden die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie ein selbstbestimmteres Arbeiten gefördert und somit die Attraktivität des Arbeitsplatzes deutlich gesteigert.

Mit einer Multi-Client-Strategie bei der Umsetzung von E-Akte-Konzepten können die Beschäftigten praktisch von überall auf das DMS zugreifen. Foto: BS/Ceyoniq Technology

Erst diese macht effektives mobiles Arbeiten realisierbar. Nscale eGov stellt dafür unterschiedliche Clients zur Verfügung: den

Desktop-Client oder die ExplorerIntegration als verwaltungsinterne Anwendung, die App und den Web-Client. Mit ihm kann von

überall auf das DMS zugegriffen werden, also auch vom Homeoffice aus, einfach über das Internet. Alle Daten und Informationen sind

Die Corona-Krise führte in der öffentlichen Verwaltung vielerorts zu reduzierten Leistungen und langen Wartezeiten. Grund dafür war das Fehlen eines digitalen Informationsmanagements, das mobiles Arbeiten aus dem Homeoffice ermöglicht hätte. Die Krise zeigte, wie schnell sich sicher geglaubte Bedingungen ändern können. Mit nscale eGov ist eine flexible Lösung gegeben, wie sie zu Beginn der Pandemie wünschenswert gewesen wäre. Zugleich ist das System auf die Verwaltung abgestimmt und schafft, beispielsweise durch vorkonfigurierte Workflows, Potenziale, um Abläufe zu beschleunigen sowie effizienter zu gestalten. Weitere Informationen unter: www.arbeitneuentdecken.com *Michael Genth ist Business Sales Manager der Ceyoniq Technology GmbH.

Meilensteine der digitalen Behörde

Rechtssichere Kommunikation

IT-Sicherheit, Hybrid Cloud und bürgernahe Anwendungen

Viele Wege führen zum Bescheid

(BS/Horst Robertz/Dr. André Schulz) Die Pandemie schränkt unseren physischen Aktionsraum massiv ein. Gleichzeitigt treibt sie – wie ein Beschleuniger – die Digitalisierung voran und führt der öffentlichen Verwaltung drängende Probleme vor Augen: Viele bürgernahe Online-Anwendungen und digitale Lern- und Arbeitsplätze fehlen noch, Cyber Crime ist auf dem Vormarsch und IT-Infrastrukturen sind teilweise veraltet. Um dem Spannungsfeld unterschiedlicher Anforderungen gerecht werden zu können, wird ein ganzheitlicher IT-Ansatz benötigt.

(BS/Stephan Göttlicher/Tassilo Schröder Mera) In der aktuellen Förderperiode wurden in Deutschland europäische Finanzmittel in Milliardenhöhe an Dritte ausgegeben – hinzu kommen etliche nationale und föderale Programme. Im Zuge der Digitalisierung müssen für die Antragsverfahren intelligente und wirtschaftliche Wege gefunden werden, um zum einen Verwaltungsakte rechtssicher und ohne Medienbruch zu erlassen und zum anderen eine rechtssichere Kommunikation zwischen den Prozessbeteiligten zu garantieren.

Eines der dringlichsten Handlungsfelder ist die Cyber Security. Noch immer kursieren Bürger- und Patienten-Daten ungeschützt im Internet. Die Gefahr, dass Behör­den zu Opfern von Cyber-Angriffen werden, ist größer denn je und Homeoffice-Arbeitsplätze fehlen oder entpuppen sich als Sicherheitsschwachstellen. Mit regelmäßigen Updates von Virenscannern und Firewalls ist es längst nicht mehr getan. Deshalb ist ein gezieltes Crisis Management als übergeordnete Aufgabe zu sehen und überall dort ein Must-have, wo sowohl Kritische Infrastrukturen (KRITIS) wie in der Wasser-, Energie- oder Gesundheitsversorgung als auch staatliche Kernfunktionen abzusichern sind. Dies gelingt mit einer End-to-End-Sicherheitslösung. Sie ersetzt die bisherige Vielzahl von Einzelprodukten, die in der Gänze heute kaum noch zu handhaben sind, durch einen vollintegrierten, konsistenten Ansatz. Dieser schützt alle Kompo-

nenten, vom Rechenzentrum bis zum Endgerät, vom Netzwerk bis zum externen Cloud-Provider, und unterstützt so die Einhaltung der KRITIS-Regularien.

Sichere Daten und schnelle Cloud-Apps

Datensicherheit ist eng verknüpft mit der IT-Infrastruktur. Während viele Behörden aufgrund von rechtlichen oder ComplianceVorgaben sensible Kunden- und Bürgerdaten nur innerhalb des eigenen Netzwerkes vorhalten dürfen, bieten Cloud-Infrastrukturen die Voraussetzungen für die schnelle Umsetzung bürgernaher Apps. Es empfiehlt sich also, eine IT-Infrastruktur aufzubauen, die Datenhaltung und Anwendung strikt voneinander trennt. VMware Cloud Foundation ermöglicht diese Trennung. VMware stellt zertifizierten Hosting-Partnern und Cloud-Anbietern seinen gesamten Softwarestack für den Aufbau hybrider Cloud-Infrastrukturen sowie die Entwicklung von Applikationen zur Verfügung. Dem PartnerÖkosystem gehören internationale Horst Robertz ist Director ­Public Sector & Healthcare Cloud-Anbieter bei VMware. wie AWS, Google, IBM oder Microsoft sowie über 400 lokale Hosting-Partner mit eigenen Rechenzentren in Deutschland an. Somit können öffentliche Einrichtungen Dr. André Schulz ist als Strategic Account Executive bei auf IT-Strukturen VM­ware tätig. innerhalb nati onaler Grenzen Fotos: BS/VMware zurückgreifen, die der Datenschutzgrundverordnung unterliegen. Der

Vorteil der hybriden Cloud-Lösung: Sensible Daten werden im eigenen Rechenzentrum sicher vorgehalten, während in der Public Cloud Anwendungen über dezentral verwaltete Services entwickelt, ausgerollt und betrieben werden.

Cloud-basierte Anwendungen und digitale Arbeitsplätze Vorteil der Entwicklung Cloudbasierter Apps ist die rasche Bereitstellung bürgernaher Online-Dienste. Denn es dauert nur wenige Wochen, um veraltete Anwendungen zu erneuern oder neue zu entwickeln und auszurollen. VMware Pivotal Labs stellt die dafür nötige, agile Softwareentwicklungsmethode zur Verfügung. Das VMware Tanzu Portfolio ermöglicht als quelloffene Kubernetes-Plattform die Arbeit mit containerisierten Workloads und Services und erlaubt die App-Entwicklung für Cloud- und On-Premises-Infrastrukturen. Durch die Verwendung der Open-Source-Software macht sie die öffentliche Hand unabhängig von einem einzigen Hersteller. Die Bereitstellung digitaler Lernund Arbeitsplätze ist eine weitere Herausforderung. Wesentlich ist, dass mit Lösungen, die VMware bereitstellt, Mitarbeiter im Homeoffice exakt dieselbe digitale Arbeitsumgebung vorfinden wie in ihrem Büro. So bleibt die Verwaltung ohne Einschränkungen leistungsfähig für ihre Bürger – und die Integration in die Endto-End-Sicherheitslösung schließt noch offene Tore. Der Weg zur digitalen Behörde gelingt nur mit einer ganzheitlichen Strategie, die alle Anforderungen berücksichtigt und sich innovativer Technologien bedient. VMware begleitet diesen Digitalisierungsweg mit umfassender Projekterfahrung und leistungsfähigen Lösungen.

Die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder sehen für viele Schritte die Schriftform vor, also eine eigenhändige Unterschrift auf Papier – ein Medienbruch. Die eIDASVerordnung wiederum stellt die qualifizierte elektronische Signatur (QES) einer handschriftlichen Unterschrift gleich. Eine QES setzt die Identifizierung des Signierenden voraus, normalerweise durch ein Ausweisdokument. Um eine QES anzufertigen, benötigt der Unterzeichnende eine von einem Vertrauensdienstanbieter ausgestellte Signaturkarte. Mit dieser Karte kann er – Kartenleser nebst Software vorausgesetzt – Dokumente elektronisch signieren. Für gelegentliche Unterschriften sind Aufwand und Investition aber zu hoch.

Fernsignatur per Video-Ident mit hohen Kosten verbunden Als Alternative bietet sich die sog. Fernsignatur an. Bei dieser bleiben das Zertifikat und das Schlüsselmaterial beim Vertrauensdienstanbieter. Der Anwender erstellt einen Account, wird anhand seines Ausweises identifiziert und kann so Dokumente online signieren. Doch faktisch existieren nur wenige zertifizierte Vertrauensdienstanbieter und die Identifizierung ist aufwendig: Häufig wird auf der Basis von Video-Ident agiert – die Betriebskosten sind durchaus signifikant –, vor allem, weil im Fördermittelantragsverfahren oft viele Unterschriften für teilweise moderate Förderbeträge notwendig sind. Für Behörden bieten sich für dieses Nutzungsszenario elek­ tronische Siegel an. Qualifizierte elektronische Siegel dienen als Herkunftsnachweis und können

kryptografisch sicherstellen, dass ein Dokument von einer Behörde stammt und nicht verändert wurde (Authentizität und Integrität). Sie benötigen keine individuelle Identifikation eines Sachbearbeiters, sondern können den Dokumenten in einem automatischen Prozess angebracht werden. Stand heute sind sie aber kein Ersatz zu der im Gesetz geforderten Unterschrift. In seiner Sitzung am 23. Oktober 2020 hat der IT-Planungsrat den Bund gebeten, “eine Siegelfunktion für die Digitalisierung von Verwaltungsakten, die der Schriftform bedürfen, technisch und rechtlich zu prüfen”. Die konkrete Umsetzung ist aber noch ungeklärt.

Schriftformersatz könnte die Lösung sein Auch wenn das Verwaltungsverfahrensgesetz von 1977 vergleichsweise jung ist, so ist es doch so alt, dass die rasante Entwicklung hin zu komplett digitalen Verwaltungsprozessen nicht antizipiert werden konnte. Insofern wurden in der Vergangenheit Ergänzungen vorgenommen, um diesen neuen Anforderungen Rechnung zu tragen – zum Beispiel Alternativen zur Schriftform. So können Dokumente auch per De-Mail übertragen werden oder durch “unmittelbare Abgabe der

Stephan Göttlicher ist Business Development Manager Public Sector bei der PASS Consulting Group.

Tassilo Schröder Mera ist Head of KCA Architecture bei der PASS Consulting Group. Fotos: BS/PASS Consulting Group

Erklärung in einem elektronischen Formular”, also durch Verwendung einer Webanwendung. Allerdings: Die Benutzer müssen anhand eines amtlichen Ausweises identifizierbar sein. Dazu kann die eID-Funktion des elektronischen Personalausweises verwendet werden. Das Fachverfahren muss sämtliche Aktionen fälschungssicher loggen, damit im Zweifelsfall gerichtsfeste Belege ausgeben werden können, indem z. B. Log-Files kryptografisch si­ gniert werden. Die Zustellung des Bescheides ist ein weiterer Knackpunkt: Wenn der Zuwendungsempfänger sich nicht in das Verfahren einloggt, gilt der Bescheid als nicht zugestellt. Insofern ist zu überlegen, die Zustellung via De-Mail zu vollziehen. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann die qualifizierte Signatur eingespart werden, ohne auf einen komplett digitalen Prozess zu verzichten.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Lernreise DigiTalent

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it zahlreichen Digitalisierungsinitiativen arbeiten Ämter und Behörden in Bund, Ländern und Kommunen daran, sich diesen Herausforderungen zu stellen und zugleich die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die dafür erforderlichen Kompetenzen in den Behörden vorhanden sind. Bestehende Wissenslücken gilt es über die Rekrutierung talentierter Nachwuchskräfte sowie über Fortbildungsmaßnahmen zum Auf- und Ausbau der nötigen Kompetenzen bei den Beschäftigten zu schließen. Vor diesem Hintergrund haben das Statistische Bundesamt und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2020 die Lernreise DigiTalent entwickelt, um die Kompetenzen auszubauen, die für die erfolgreiche Durchführung von Digitalisierungsinitiativen in der öffentlichen Verwaltung dringend notwendig sind. DigiTalent ist ein anspruchsvolles Fortbildungsprogramm, das innerhalb von zehn Monaten 10+10 digitale Zukunftskompetenzen entlang den Dimensionen “Wissen” und “Können” vermittelt. Das Programm wendet sich primär an Leistungsträgerinnen und Leistungsträger, die sich für digitale Themen und Innovation begeistern. Nach Abschluss der Lernreise werden Absolventinnen und Absolventen in der Lage sein, angestoßene Digitalisierungsinitiativen in ihren Behörden besser, schneller und motivierter umzusetzen sowie ihr Wissen und Können als Multiplikatoren zu verbreiten. DigiTalent dient somit als Katalysator, durch den Leistungsträgerinnen und Leistungsträger lernen, den digitalen Wandel in der öffentlichen

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Teilnahme an der Lernreise sind keine detaillierten Vorkenntnisse (z. B. aus dem IT-Bereich) erforderlich.

Ausbau digitaler Kompetenzen bei Destatis gestartet

Auftakt im Bootcamp

(BS/Jürgen Chlumsky/Sabine Köhler/Michelle Herte*) Mit der Lernreise DigiTalent begegnet das Statistische Bundesamt (Destatis) den Herausfor- Auftakt der Lernreise war ein derungen der Digitalisierung mit dem gezielten Auf- und Ausbau digitaler Zukunftskompetenzen bei ausgewählten Beschäftigten. Während einer Bootcamp Anfang August in zehnmonatigen Lernreise werden den Teilnehmenden 10+10 digitale Zukunftskompetenzen vermittelt. Wiesbaden, eröffnet von PräsiVerwaltung weiterzudenken und entschieden voranzutreiben. Mit DigiTalent übernimmt das Statistische Bundesamt eine Vorreiterrolle im Bereich des digitalen Kompetenzaufbaus bei Bundesbehörden. Das vom Referat “Aus- und Fortbildung” koordinierte Programm ergänzt die bestehenden Fortbildungsmaßnahmen des Amtes um ein innovatives Format, das in dieser Form in der deutschen Behördenlandschaft einzigartig ist.

10+10 Kompetenzen in zehn Monaten Die 10+10 Kompetenzen, die DigiTalent vermittelt, wurden aus einem Pool von rund 50 digitalen Zukunftskompetenzen ausgewählt, die für Behörden relevant sein können. Diese 50 Kompetenzen waren das Ergebnis einer umfangreichen Recherche, bei der unter anderem Interviews mit Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft durchgeführt und Führungskräfte im öffentlichen Sektor befragt wurden. Ergebnis sind zehn digitale Zukunftskompetenzen aus der Kategorie “Wissen” und zehn aus der Kategorie “Können”. Der Kompetenzbereich “Wissen” dient dazu, ein Grundverständnis digitaler Technologien und Fachbegriffe (wie UX Design oder Blockchain) auszubauen. Er befähigt Teilnehmende, die wichtigsten technologischen Sachverhalte zu verstehen und

Bei DigiTalent, der Lernreise des Statistischen Bundesamtes, stehen 10+10 digitale Zukunftskompetenzen im Fokus. Grafik: BS/Destatis

deren Einsatzpotenziale einzuschätzen. Im Kompetenzbereich “Können” lernen Teilnehmende, den zielgerichteten und effektiven Einsatz von Arbeitsweisen und Fähigkeiten in einer zunehmend digitalen Arbeitswelt zu beherrschen. Hierzu zählen beispielsweise “Agil und kundenorientiert arbeiten” sowie “Komplexität/ Informationsflut managen”. In jedem der zehn Monate der Lernreise wird jeweils eine Kompetenz aus den beiden Kategorien erworben. Die Auswahl der Kompetenzen pro Monat berücksichtigt inhaltliche Überschneidungen, um Synergien zwischen der Aneignung theoretischen Wissens und der Anwendung praktischen Könnens zu nutzen. Außerdem stehen diejenigen Zukunftskompetenzen, die als Grundlage für andere Zukunftskompetenzen dienen, weiter vorne im Curriculum. Um diese 20 Kompetenzen effektiv an die Teilnehmenden zu vermitteln, kommen bei DigiTalent

insgesamt sieben unterschiedliche Lernformate zum Einsatz: • Über kurze Wissens-Nuggets und Online-Module werden Lerninhalte flexibel in den Arbeitsalltag integriert; • Bootcamps und Peer-GroupSessions geben Raum für praktische Übungen und den persönlichen Austausch zwischen den Lernenden; • Briefe aus der Zukunft und Inspirationen mit Zu­ kunftsgestalter(innen) wecken Neugierde und zeigen, was mittels Digitalisierung möglich ist; • Feedback-Tandems mit einer Führungskraft verankern das Programm im Arbeitsalltag und sichern den Erfolg der Lernreise. Während einige Formate per Definition digital stattfinden (wie Online-Module), können andere sowohl online als auch offline durchgeführt werden (z. B. die Bootcamps). Der Einsatz digitaler Technologien ermöglicht eine effektive und effiziente Fortbildung

und stellt sicher, dass Teilnehmende auch in Zeiten wie der Corona-Krise auf das gesamte Lernangebot Zugriff haben. Der Erfolg von DigiTalent wird über Online-Fragebögen bei Teilnehmenden und deren Vorgesetzten regelmäßig evaluiert. Basierend auf den Ergebnissen wird das Programm kontinuierlich weiterentwickelt.

Start der Lernreise Für die erste Kohorte von DigiTalent mit 20 Teilnehmenden aus dem Statistischen Bundesamt konnten interessierte und motivierte Beschäftigte aus dem höheren Dienst Mitte des Jahres ihr Interesse bekunden. Aus ca. 70 Bewerbungen wurde eine Mischung von Beschäftigten aus allen Abteilungen des Amtes, für deren Projekte oder tägliche Arbeit digitale Zukunftskompetenzen besonders relevant sind, ausgewählt. Dabei sind weibliche und männliche Teilnehmende gleich stark vertreten. Für die

dent Dr. Georg Thiel. Im Fokus der Veranstaltung standen Teambuilding, agile Arbeitsweisen und die Potenziale des digitalen Wandels für die öffentliche Verwaltung. Letztere wurden von Gastredner Hannes Astok veranschaulicht. Astok ist Leiter der estnischen e-Governance Academy und mitverantwortlich für die umfassende Digitalisierung von Verwaltungsprozessen in Estland, das als Vorreiter in diesem Bereich gilt. Insgesamt wurde das Bootcamp von Teilnehmenden als “kurzweilig und inspirierend” empfunden. Im weiteren Verlauf des ersten Lernreisemonats vertieften die Teilnehmenden die Können-Kompetenz “Agil und kundenorientiert arbeiten” und erwarben Kenntnisse zur Wissens-Kompetenz “UX Design”, zum Beispiel im Austausch mit Zukunftsgestalter Martin Jordan, Head of Service Design, Großbritannien. Im September 2020 standen die Themen “Automatisierung” sowie “Prozesse automatisieren und standardisieren” auf der Tagesordnung. Im Oktober 2020 erwerben die Lernenden u. a. Kompetenzen im Bereich “Tech-Translation”. Nach der ersten Durchführung der Lernreise DigiTalent, die Ende Mai 2021 beendet und dann evaluiert wird, soll das Programm nach Möglichkeit auf weitere Behörden und eine breitere Zielgruppe von Beschäftigten hinweg ausgeweitet werden. *Jürgen Chlumsky, Sabine Köhler und Michelle Herte sind für das Statistische Bundesamt tätig.


Informationssicherheit / PITS 2020 online

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Kann Verwaltung Krise?

“C

orona hat uns gezeigt, dass die IT das unverzichtbare Backbone von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat ist”, sagt Ammar Alkassar, Bevollmächtigter des Saarlandes für Innovation und Strategie und gleichzeitig Landes-CIO. Was die IT-Community schon lange gewusst und teils gepredigt habe, sei jenseits davon bisher eher als Binsenweisheit ausgetauscht worden. Das habe sich geändert, als Organisationen massive Probleme bekommen hätten, überall dort, wo sie technisch nicht gut aufgestellt gewesen seien, so Alkassar auf der PITS 2020 des Behörden Spiegel.

Ungleiche Erfahrungen mit Ad-hoc-Homeoffice Das kurzfristige Umschalten auf Homeoffice und Videokonferenzen für große Teile des Öffentlichen Dienstes hat im Frühjahr oft gut funktioniert. Doch etliche Behörden von Bundesministerien bis zu Gemeindeverwaltungen hatten auch ihre Schwierigkeiten – und haben sie teils immer noch. Schnell mussten viele Beschäftigte technisch ausgestattet werden. Eine weitere Herausforderung: Der Datenverkehr über bisher weniger strapazierte Kanäle nahm deutlich zu. Kopfzerbrechen löste das Adhoc-Homeoffice besonders in puncto Informationssicherheit aus. Nicht selten waren Schnellschusslösungen, bei denen Mitarbeiter, die sonst innerhalb der sicheren IT-Umgebung ih-

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Lektionen für das Notfallmanagement (BS/Benjamin Stiebel) Bisher allzu oft stiefmütterlich behandelt, ist Krisenresilienz 2020 zum zentralen Thema geworden. IT-Verantwortliche können auf langfristig bessere Ausstattung hoffen. Doch mit viel Technik und viel Personal allein ist es nicht getan. Krisenresilienz heißt, für das Unvorhersehbare zu planen und entschieden damit umzugehen – eine Fähigkeit, die in der öffentlichen Verwaltung bislang nicht unbedingt gefragt war. rer Institution agiert hatten, ohne zusätzliche Maßnahmen ins eigene Heimnetz umzogen. Andere wurden in Rekordzeit mit sicherer Hardware, Mobile Device Management und selbst betriebenem VPN ausgestattet.

infolge einer Gesundheitskrise. Vom Cyber-Angriff über einen Stromausfall bis hin zu Störungen bei Dienstleistern oder Engpässen bei Hardwarezulieferern gebe es etliche Krisenszenarien für den IT-Betrieb. Nach wie vor nähmen aber viele die Technik als gegeben hin, solange alles funktioniert.

Krise erfordert andere Kompetenzen Die Krise ist die Stunde des operativen Betriebs. Das strategische Vorgehen muss zurückstehen. Gefragt sind die Entscheider, ob die nun CIO, CISO, IT-Beauftragter oder Bürgermeister heißen. Sie müssen Verantwortung übernehmen, ohne formelle Abwägungsprozesse klare Entscheidungen treffen und vor allem: Risiken eingehen. Doch es hängt nicht nur an der Führungsebene allein. In der Krise müssen überall und immer wieder auch kleine Entscheidungen von Mitarbeitern getroffen werden. Zaudern und Scheu vor Verantwortung wären fehl am Platz. Alkassar: “Die Art, wie wir bisher gearbeitet haben, passt nicht in die Krise. Wir verlassen uns zu sehr auf die Kraft der Organisation und geregelter Prozesse – bei kurzfristig zu bewältigenden Herausforderungen

PITS 2020 online Eine Aufzeichnung der Web-Konferenz steht unter www.digitaler-staat.online/mediathek, Suchwort “PITS” zur Verfügung.

Pragmatischer einsteigen

Krisenbewältigung erfordere mutiges Risikomanagement und Fehlertoleranz, meint Saarlands CIO Ammar Alkassar. Screenshot: BS

funktioniert das nicht mehr.” Krisenresilienz bestehe darin, agil und ein Stück weit mutiger zu handeln. “Wir müssen lernen, Risiken schnell abzuschätzen und dann auch bewusst einzugehen”, fordert der Landes-CIO. Mutige Entscheidungen müssten honoriert und Fehler toleriert werden. “Mit der bisherigen Kultur der Vorsicht können wir keine großen Sprünge machen.” Ihm pflichtet Ralf Stettner bei: “Das Verwaltungsdenken steht dem Krisendenken diametral gegenüber. Nicht jeder kann beides gut”, so der Abteilungsleiter Cyber- und IT-Sicherheit, Verwaltungsdigitalisierung im Hessischen Innenministerium. Vor allem bei Führungskräften müsse Krisenkompetenz stärker

bei der Auswahl berücksichtigt werden. An den Schnittstellen, auf die es in Ausnahmesituationen ankomme, seien entsprechende Schulungen sinnvoll.

Für das Ungewisse planen All das heißt nicht, dass es bloß eine Handvoll entscheidungswilliger Leute braucht, um für Notfälle gewappnet zu sein. Auch wenn Krisen sich durch Unwägbarkeit auszeichnen, kann man sich doch in strukturierter Weise auf sie vorbereiten. “Das Notfallmanagement wird oft sehr stiefmütterlich behandelt”, klagt Paul Große-Venhaus, IT-Notfallbeauftragter beim Landesbetrieb Information und Technik NRW (IT.NRW). Dabei gehe es nicht nur um vermehrtes Homeoffice

Ein systematisches Notfallmanagement – oder Business Continuity Management, wie es immer häufiger bezeichnet wird – einzuführen ist jedoch ein aufwendiges Unterfangen, das Jahre in Anspruch nehmen kann. Schon die detaillierte Risikoanalyse braucht ihre Zeit. Hier kommt es auf Sorgfalt an, denn aus der Analyse werden Prioritäten einzelner Dienste, Prozesse und Ressourcen im Notfallbetrieb abgeleitet. Wer noch gar keinen Notfallplan hat, sollte sich aber nicht entmutigen lassen. “Verstei-

Jetzt vormerken!

gen Sie sich nicht darauf, alles gleich vollständig und richtig machen zu wollen, suchen Sie einen pragmatischen Einstieg”, rät Große-Venhaus. Beginnen kann man damit, einen Krisenstab auszuwählen und zu schulen und ihm einen Raum für den Ernstfall zur Verfügung zu stellen. Bei kleineren Vorfällen können praktische Erfahrungen mit der Struktur gesammelt werden. Am Anfang kann auch eine “Risikoanalyse light” genügen, bei der man die drei oder vier wichtigsten Prozesse und Anwendungen feststellt, deren Betrieb bei Krisen Priorität haben muss. Wenn im Notfall die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern notwendig ist, sollte auch die geplant werden. Der vielleicht wichtigste Tipp von Große-Venhaus: “Ziehen Sie mal den Stecker.” Denn: Das Notfallmanagement einmal kontrolliert zu üben, könne Kommunikationslücken und betriebliche Fallstricke sichtbar machen, auf die kein noch so durchdachter Notfallplan vorbereiten könnte. Am Ende braucht es dreierlei: Genügende Ausstattung, um kurzfristige Anforderungen abfedern zu können, Pläne, um Krisen strukturiert angehen zu können, und das Selbstbewusstsein, im Nebel des Ungewissen souverän zu handeln.

Der Fachkongress Deutschlands für IT- und Cyber-Sicherheit bei Staat und Verwaltung bringt am 31. August und 1. September 2021 wieder Führungskräfte und Fachleute aus dem öffentlichen Sektor, Sicherheitsbehörden, Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Informationen zum Programm folgen unter: www.public-it-security.de .



Innere Sicherheit

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Behörden Spiegel: Herr Schönbohm, wie definiert das BSI den Begriff “Datensouveränität” ? Schönbohm: Beim Thema Datensouveränität müssen wir uns mehrere Fragen stellen. Wer kann was mit erhobenen Daten machen? Kann ich das selbst bewerten und beurteilen? Bin ich darüber der Souverän, der eigenverantwortlich entscheiden kann? Oder gibt es nur eine Opt-in/Opt-out-Lösung mit der Konsequenz, dass ich bestimmte Datenverarbeitungen akzeptieren muss, wenn ich eine Leistung nutzen will? Wichtig in dem Zusammenhang ist, dass das, was versprochen wird, auch überprüfbar, also technisch auditierbar ist. Das ist eine der wesentlichen Vo­ raussetzungen für Datensouveränität. Im BSI sagen wir: Wir sind nicht im Glaubensbusiness, sondern im Wissensbusiness. Wir vertrauen nicht nur darauf, dass Anforderungen erfüllt und Versprechen eingehalten werden. Nein, wir wollen das nachvollziehbar überprüfen. Darum setzen wir auf Auditierung und stärken weiter unsere Prüffähigkeiten auf Basis der entsprechenden Kriterienkataloge. Was mit den Daten geschieht, muss nachvollziehbar und transparent sein. Auch deswegen sind die Zertifizierungsangebote des BSI ein wesentlicher Baustein einer sicheren Digitalisierung in Deutschland. Behörden Spiegel: Datensouveränität wird besonders intensiv im Zusammenhang mit 5G diskutiert: Wie lautet Ihr Fazit zu der Debatte? Schönbohm: Gemeinsam mit der Bundesnetzagentur und dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit haben wir den Sicherheitskatalog für Telekommunikationsnetze erarbeitet. Darin haben wir über 350 Maßnahmen für Datensicherheit, Informationssicherheit und

“Nicht im Glaubensbusiness” Sicherheit durch technische Kompetenz (BS) Beurteilungsfähigkeit, Handlungsfähigkeit und begründetes Vertrauen: Das sind die Eckpfeiler für die Datensouveränität, so Arne Schönbohm. Einen zentralen Baustein sieht der Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in der Zertifizierung und Auditierung von IT-Komponenten und -Netzen. Mit Behörden Spiegel-Chefredakteur Uwe Proll sprach er außerdem über den 5G-Ausbau, Sicherheitsstandards und Kooperation im Bereich der Cyber-Sicherheit. ren untrennbar zusammen. Das heißt, der Vorgesetzte, der Abteilungsleiter, der Amtsleiter muss festlegen, was er dort erwartet und er muss für die Umsetzung Sorge tragen. Behörden Spiegel: Bei Erpressung mit Ransomware zahlen einige Unternehmen das Lösegeld. Auch Kommunen haben das schon getan. Ist das aus Ihrer Sicht verwerflich? Wünscht sich eine weltweit federführende Stellung Deutschlands bei der Setzung von Standards für die Informationssicherheit: Arne Schönbohm (hier auf der PITS 2020 online). Screenshot: BS

Cyber-Sicherheit festgelegt. Wir verfolgen damit mehrere Ziele. Einerseits wollen wir eine Vielfalt der Lieferanten, damit man am Ende nicht von einem Hersteller abhängig ist. Andererseits geht es auch darum, durch technische Maßnahmen wie Verschlüsselung die Integrität und Sicherheit der Daten zu gewährleisten. Aus den Anforderungen ergeben sich Fragen bezüglich Standardisierung und Zertifizierung, die gerade gelöst werden. Der Ansatz kann hier aber nicht rein national sein. Darum erfolgen auch Abstimmungen auf europäischer Ebene. Behörden Spiegel: Was empfehlen Sie Entscheidern aus Behörden und Unternehmen, um das Sicherheitsrisiko Mensch so gering wie möglich zu halten? Schönbohm: Behörden und Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter schulen und sie kontinuierlich für die Gefahren sensibilisieren. Vor der CoronaPandemie gab es gut besuchte

Veranstaltungen, wie “Die Hacker kommen”. Das geht derzeit nicht, aber solche Veranstaltungen lassen sich auch gut als Webinare durchführen. Dort lernen die Menschen die grundsätzlichen Dinge, um sich in der CyberWelt zu schützen. Noch effektiver ist es, vorzuführen, wie einfach Hacker in Systeme eindringen können und was sie dort tun können. Wenn man das einmal gesehen hat, setzt automatisch eine Bewusstseinsveränderung ein. Einmal vor Augen geführt bekommen, was fahrlässiges Verhalten für Folgen haben kann, ist ganz wesentlich. Wenn Sie einmal bei Rot über die Ampel gegangen sind und angefahren wurden, werden Sie das nicht noch einmal tun. Neben diesem Bewusstsein ist ein Mindestniveau an technischen Sicherheitsmaßnahmen notwendig. Das zu gewährleisten, ist Chefsache, genau wie die Digitalisierung in den meisten Unternehmen und Behörden Chefsache ist. Digitalisierung und Informationssicherheit gehö-

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser Die IT-Security der nächsten Generation braucht eine ganzheitliche Vision (BS/pet) Auch im neuen Jahrzehnt ist die digitale Bedrohungslage nicht kleiner geworden. Im Gegenteil, durch die fortschreitende Technifizierung, jüngst noch befeuert durch die Corona-Krise, hat sich das Risiko sogar noch ausgeweitet. Um gegenzusteuern, braucht es mehr denn je eine IT-Sicherheit der nächsten Generation. Doch ist diese an einen Strauß an Voraussetzungen gekoppelt. Angefangen bei technologischer Souveränität: In einer Welt, die zunehmend digitaler wird, sind Sicherheit und Verlässlichkeit informationstechnologischer Systeme von höchster Relevanz für das Funktionieren von Staat und Verwaltung. Cyber-Kriminalität zieht nicht nur Wirtschaftsschäden mit sich, sie löst erhebliche Verunsicherung aus, zumal dann, wenn Kritische Infrastrukturen (KRITIS) wie etwa Krankenhäuser betroffen sind. Zum Schutz dieser sensibelsten Gelenkstellen des sozialen Betriebs sei es heute unverzichtbar, Konzepte, Prozesse und Akteure in Stellung zu bringen, um sich auf dem Markt für IT-Sicherheitsprodukte gegen die mehrheitlich nicht europäische Konkurrenz durchzusetzen, meint Dr. Herbert Zeisel, Unterabteilungsleiter Technologieorientierte Forschung für Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Doch dürfe man nicht den Fehler begehen, Souveränität mit Autarkie zu verwechseln. Souveränität bedeute nicht, alles in Eigenregie vorzunehmen, sondern eine strategische Auswahl zu treffen, um jene Komponenten zu kontrollieren, die wirklich kritisch seien. Für Zeisel ein aussichtsvolles Projekt: datenschutzkonforme Cloud-Infrastrukturen, wie sie gegenwärtig mit GAIA-X vorangetrieben wer-

Behörden Spiegel / Dezember 2020

den. Um sich gegen die außereuropäische Marktmacht zu behaupten, müsse Europa lernen, seine Kräfte zu bündeln und die eigenen Werte als Standortvorteil gegenüber Dritten auszuspielen. Unabdingbare Voraussetzung dafür sei allerdings ein mentaler Wandel, der dazu führe, dass Datenschutz und Privatsphäre nicht länger als Hemmschuh der technologischen Entwicklung begriffen würden, sondern als Treiber von Innovation. Ziel müsse es sein, den Bedrohungen des Cyber-Raums stets einen Schritt voraus zu sein. Eine machbare, letztlich aber doch immense Herausforderung in Anbetracht des Umstands, dass zum Beispiel mit Quantencomputing bereits neue Technologien ins Haus stünden, die heute noch gängige Methoden der Kryptografie leicht umgehen könnten.

IT-Sicherheit der nächsten Generation Doch wie könnte der IT-Schutz der kommenden Jahre aussehen? Für Andreas Reisen, Referatsleiter Cyber-Sicherheit für Wirtschaft und Gesellschaft beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), besteht der Königsweg in einem ganzheitlichen Konzept, das auf drei Säulen ruht. Eine von ihnen ist die Entwicklung vertrauenswürdiger IT, beginnend

mit kleinen Komponenten, Enklaven bzw. Mikrokernels, über die Firmware bis hin zur Anwendungsumgebung. Die zweite Säule setzt auf assoziationsfähige Mechanismen, besser bekannt als Künstliche Intelligenz, zur Früherkennung von Angriffen auf automatisierte Systeme älteren Datums. Die dritte Säule schließlich setzt auf Kooperation, konkret ein Informationsportal (Information Sharing Portal), bei dem die sogenannten “Indicators of Compromise” (IoC), also Merkmale und Daten, die auf die Kompromittierung eines Systems oder Netzwerks hinweisen, so eingestellt sind, dass jeder von den angebotenen Lösungen partizipieren könne. Technologisch seien die Voraussetzungen gegeben, jetzt komme es da­rauf an, die bereits vorhandenen Möglichkeiten auf die Ebene von Infrastrukturen zu heben, sodass auch Wirtschaft und KRITIS schnell von den Ergebnissen profitieren könnten. Der Faktor Kooperation – das zeige nicht zuletzt der neue Lagebericht des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) – sei umso wichtiger, als die Bedrohung kontinuierlich zunehme. Reisen: “Zusammenarbeit ist ganz essentiell, um gemeinsam Handlungsoptionen zu generieren und uns schützen zu können.”

Schönbohm: Ein erfolgreicher Cyber-Angriff ist leider oft ein Indikator dafür, dass man sich im Vorfeld nicht ausreichend mit der Informationssicherheit befasst hat. Durch Prävention hätten die Betroffenen das Dilemma vermeiden können, etwa wenn sie Back-Up-Systeme zur Wiederherstellung eingerichtet und erprobt hätten. Wir raten grundsätzlich davon ab, Lösegeld zu zahlen, denn zum einen ist dies keine Garantie dafür, dass die Systeme und Daten wiederhergestellt werden. Zum anderen befeuert jede Lösegeldzahlung das Geschäftsmodell der Cyber-Kriminellen. Wenn Sie einmal gezahlt haben, ist das ein Signal an die Täter, dass Sie vielleicht auch ein zweites oder drittes Mal zahlen würden. Es ist also durchaus mit Wiederholungstaten zu rechnen. Besser, als Lösegeld zu zahlen, ist es, sich kontinuierlich und präventiv mit der Informationssicherheit zu befassen und, sollte der Fall doch eintreten, Anzeige zu erstatten. Behörden Spiegel: Über das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 wird nun schon länger diskutiert. Wie ist der aktuelle Stand und welche Neuerungen wird es vor allem für Kritische Infrastrukturen (KRITIS) geben? Schönbohm: Derzeit läuft die Ressortabstimmung. Ich hoffe, dass wir da schnell zu einem Ergebnis kommen, sodass zeitnah die Kabinettsbefassung stattfinden kann. Für uns von Bedeutung ist einerseits die vorgesehene Erweiterung des KRITIS-Bereiches. Neben den klassischen Sektoren wie Energieversorgung werden auch sogenannte Institutionen im nationalen und strategischen Interesse in den Blick genommen. Besonders wichtig ist uns aber

auch, dass wir Möglichkeiten bekommen, die KRITIS-Betreiber direkt bei IT-Sicherheitsthemen vor Ort unterstützen zu können. Nicht alle Unternehmer schätzen Cyber-Sicherheits-Risiken besonders hoch ein, da sie für Folgewirkungen über ihren eigenen Betrieb hinaus nicht unmittelbar haften. Gleichzeitig können diese Kollateralschäden aber sehr groß sein. Das BSI würde durch direkte Hilfestellungen beitragen, Folgewirkungen möglichst zu reduzieren. Besondere Abstrahlwirkung wird haben, dass der Verbraucherschutz in Fragen der Informationssicherheit beim BSI angesiedelt wird. In diesem Kontext geplant ist die Einführung des IT-Sicherheitskennzeichens. Es soll Verbrauchern helfen, bewusst zu entscheiden, welche Produkte mit welchem Sicherheitsniveau sie einsetzen wollen. Das hat auch besondere Bedeutung für die Wirtschaft, weil das Kennzeichen ein neues Qualitätsmerkmal ist. Daraus ergeben sich auch Chancen für die deutsche Wirtschaft. Behörden Spiegel: Gilt das ITSicherheitskennzeichen für den ganzen Lebenszyklus eines Produkts oder muss es regelmäßig erneuert werden? Schönbohm: Es sollte für den ganzen Lebenszyklus eines Produkts gelten. Es ist angedacht, dass das Sicherheitskennzeichen einen elektronischen Beipackzettel bekommt. Wenn der Hersteller sich zum Beispiel festlegt, ein Betriebssystem zwei Jahre lang zu unterstützen, dann sieht der Verbraucher zum Zeitpunkt des Kaufes, ob dieser Zeitraum bereits abgelaufen ist und damit ein anderes Sicherheitsniveau erreicht ist. Inwieweit hierzu ein Aktualisierungsprozess zum ITSicherheitskennzeichen vorzusehen ist, befindet sich noch in der Diskussion. Behörden Spiegel: Mit dem ersten IT-Sicherheitsgesetz wurden Meldepflichten für KRITIS-Betreiber eingeführt. Damals gab es eine Diskussion, ob die Betreiber überhaupt bereitwillig Auskunft geben wollen bis hin zu detaillierten, produktionskritischen Informationen. Wie ist der Stand beim Informationsaustausch?

Schönbohm: Sehr positiv. Das Ganze ist ein gemeinsamer Lernprozess. Was ist ein kritischer IT-Sicherheitsvorfall, der gemeldet werden muss? Wenn der Angreifer ins Netzwerk eindringt und es stört oder schon dann, wenn er die Infrastruktur eines potenziellen Opfers scannt und versucht, Schwachstellen zu finden? Wir haben eine Vielzahl von Meldungen bekommen und stehen weiter im Austausch mit den Betreibern. Vorfälle wie vor Kurzem beim Universitätsklinikum in Düsseldorf oder letztes Jahr beim Klinikverbund im Saarland und Rheinland-Pfalz haben gezeigt, dass diese Zusammenarbeit funktioniert. Behörden Spiegel: Wie arbeitet das BSI als nachgeordnete Behörde des Bundesinnenministeriums (BMI) mit anderen staatlichen Stellen auf Bundesebene zusammen? Wäre nicht eine engere Verzahnung mit anderen Fachressorts notwendig, in denen auch Digitalsierung stattfindet? Schönbohm: Der zunehmenden Digitalisierung kommen wir mit einer Vielzahl von Verwaltungsvereinbarungen und Verwaltungsabkommen nach. Beispielsweise hat die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) Unterstützung des BSI in Fragen der Cyber-Sicherheit eingeholt. Das gleiche gilt auf nationaler Ebene zum Beispiel für das Kraftfahrtbundesamt und andere Stellen. Als CyberSicherheitsbehörde des Bundes ist das BSI für den Bund insgesamt zuständig, wir arbeiten ressortübergreifend und ressortneutral mit allen zusammen. B e h ö r d e n S p i e g e l : Herr Schönbohm, das BSI steht jetzt vor seinem 30-jährigen Jubiläum. Was wünschen Sie sich in Zukunft für das Bundesamt und welche Aufgaben könnte es noch übernehmen? Schönbohm: Das BSI ist die Cyber-Sicherheitsbehörde des Bundes, die die Informationssicherheit in der Digitalisierung gestaltet. Wir wollen dabei unsere Stellung ausbauen, was die Setzung von Standards angeht – zum Beispiel wenn es um Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz in der Cloud geht. Ich würde mir wünschen, da eine weltweite Führungsposition zu erreichen, sodass “BSI inside” bei allen Produkten und Leistungen in der Digitalisierung als Qualitätsmerkmal geschätzt wird – also eine Art “made in Germany” in der digitalen Welt.

Teilen und herrschen Perspektive für die Datensouveränität (BS/stb) Datensouveränität bleibt ein frommer Wunsch, solange Unternehmen und Staaten außerhalb Europas die Hand auf dem Löwenanteil der Daten und der datengetriebenen Wertschöpfung haben. Das Erfolgsrezept für eine konkurrenzfähige Digitalwirtschaft könnte im Teilen liegen. Ein viel diskutierter Knackpunkt für die Souveränität im Digitalen ist das Fehlen von Optionen. In vielen Bereichen haben Technologie-Anbieter Quasi-Monopole. Wer die Dienste und Produkte nutzen will oder muss, muss auch die damit verbundene Form der Verarbeitung seiner Daten hinnehmen, so die typische Argumentation. Wenig Zweifel besteht vor allem an der Marktmacht großer Plattformanbieter. Das Dilemma: Durch ihre Größe haben sie Zugriff auf große Datenmengen und können durch zielgerichtete Auswertung weitere Wettbewerbsvorteile sichern oder neue digitale Geschäftsmodelle schnell umsetzen. Neue Marktteilnehmer haben so kaum die Chance,

überhaupt die kritische Größe zu erreichen, um konkurrenzfähig zu werden. Rufe nach mehr Regulierung sind entsprechend immer wieder zu hören. Aussichtsreicher wäre eine Beförderung von Datenaustausch zwischen Unternehmen, findet dagegen Manuel Höferlin (FDP), Vorsitzender des Bundestagsausschusses Digitale Agenda. Seine Idee: Datentreuhänder bzw. Datendrehscheiben könnten als Marktplätze für Informationen eingerichtet werden. Unternehmen könnten ihre Algorithmen dann bei solchen vertrauenswürdigen Dienstleistern über große Datenpools laufen lassen und wertvolle Informationen abschöpfen, ohne selbst Daten vorhalten zu müssen.

Explizit lobte Höferlin auf der PITS Gaia-X als einen Ansatz, um ein europäisches Ökosystem für Daten aufzubauen: “Der Ansatz müsste aber noch weit umfangreicher gedacht werden und über das Bundeswirtschaftsministerium hinaus mehr Unterstützung bekommen.” Auch für viele Bereiche der digitalen Daseinsvorsorge könne Gaia-X eine Basisinfrastruktur bieten: Identitätsmanagement, digitale Zahlungssysteme, Gesundheitsdaten und digitale Verwaltungsdienstleistungen. “Wir haben die Chance, damit ein europäisches Ökosystem mit hohem Vertrauensniveau und echtem Nutzen für eine Wertschöpfung vor Ort zu schaffen”, betonte Höferlin.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / Dezember 2020

B

ehörden Spiegel: Frau Schauer, der Trend geht dahin, dass viele IT-Dienste und -Produkte nur noch über die Cloud angeboten werden. Der öffentliche Sektor hat sich mit dieser Entwicklung bisher schwergetan. Holen Behörden im Zuge des aktuellen Digitalisierungsbooms auf, was die Cloud-Nutzung angeht? Schauer: Wir stellen hier zunehmend ein Umdenken fest. Denn die Pandemie hat sozusagen über Nacht die Defizite offengelegt, die es den Handelnden schwer gemacht haben, das Funktionieren staatlicher Dienstleistungen aufrechtzuerhalten. Dazu zählen unter anderem eine unzureichende Zahl von Home Office-Arbeitsplätzen, mangelnde digitale Ausstattung im Schulbetrieb, zeitraubende Papierprozesse, Personalmangel und zu lange Reaktionszeiten in den öffentlichen Rechenzentren auf staatlicher oder kommunaler Ebene. Bund und Länder haben als Antwort darauf viel Geld bereitgestellt, um die Digitalisierung voranzutreiben. Jetzt kommt es jedoch darauf an, das viele Geld klug zu investieren. Denn es kann ja keinen Sinn haben, noch mehr Geld in eine Ausrüstung zu stecken, die sich in der gegenwärtigen Situation als unzureichend erwiesen hat. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass sich die IT-Entscheider im öffentlichen Sektor zurzeit mit der Cloud auseinandersetzen. Behörden Spiegel: Für Behörden kommen oftmals nur selbst bzw. durch öffentliche ITDienstleister betriebene Private Cloud-Modelle infrage. Kommen damit die großen Vorteile der Cloud überhaupt richtig zum Tragen – also z. B. Skalierbarkeit, Reduzierung von Administrationsaufwand und Flexibilität? Schauer: Wer sich mit der Cloud sowohl auf technischer als auch betriebswirtschaftlicher Ebene intensiver beschäftigt, stellt schon bald fest, dass bei diesem Thema oftmals ein Missverständnis vorherrscht: Die Cloud ist kein Ort, sondern ein Betriebsmodell, dem eine rein softwaregesteuerte Infrastruktur zugrunde liegt. Softwaresteuerung ist in der Tat der Schlüssel, der die Schatztruhe zu den Vorteilen des Cloud Computings aufschließt: Eine softwaregesteuerte Infrastruktur ist von der Hardware unabhängig, teure Spezialausrüstung wird damit überflüssig. Die Daten sind immer in unmittelbarer Nähe der Applikation oder des Services, die sie verarbeiten, was den Netzwerkverkehr drastisch reduziert und höchste Leistung ermöglicht. Fällt eine Hardwarekomponente aus, sorgt die Software dafür, dass die Applikation einfach an einer anderen Stelle in der Infrastruktur weiterläuft. Unterbrechungen oder Stillstände lassen sich dadurch effektiv vermeiden. Ferner sorgt Softwaresteuerung für eine lineare Skalierung, die Infrastruktur wächst sozusagen mit dem Bedarf einfach mit. Darüber hinaus senkt eine solche Infrastruktur den Platzund Strombedarf massiv, was den ökologischen Fußabdruck deutlich verbessert. Die Administrationsaufgaben, die in traditionellen Rechenzentren einen Großteil der personellen Ressourcen binden und gleichzeitig viele Spezialkenntnisse erfordern, werden zudem durch die Softwaresteuerung automatisiert. All das führt zu Kosteneinsparungen und einer höheren Servicequalität und setzt personelle Ressourcen frei, die für die

Der Schlüssel zu den Vorteilen der Cloud Mit Softwaresteuerung IT effizient und souverän betreiben (BS) Beim IT-Betrieb und bei der Inanspruchnahme digitaler Dienste liegt die Zukunft im Cloud Computing – für die öffentliche Verwaltung bisher keine so leicht zu verdauende Prognose. Bei näherer Betrachtung lösen sich Vorbehalte jedoch schnell in Luft auf. Im Interview mit dem Behörden Spiegel erklärt Nutanix-Expertin Gaby Schauer, wie Behörden mit Softwaresteuerung einen leistungsfähigen und effizienten IT-Betrieb gestalten können und dabei die Kontrolle über Daten und Verfahren behalten. massiv gestiegenen Aufgaben so dringend benötigt werden. In Zeiten des Fachkräftemangels ist das ein wesentlicher Vorteil. Daraus ergibt sich: Softwaresteuerung – in der IT spricht man von hyperkonvergenter Infrastruktursoftware – ist die Basis für eine Private Cloud, ohne irgendwelche Abstriche gegenüber der Public Cloud. Im Gegenteil: In einer solchen privaten Cloud steckt die ganze Cloud, ob sie nun im eigenen Rechenzentrum oder bei einem öffentlichen ITDienstleister betrieben wird. Behörden Spiegel: Wie weit lässt sich die Auslagerung denn sinnvollerweise treiben? Verschiebt man am besten alle Standard- und Querschnittsdienste in die Cloud und belässt Fachverfahren und spezielle Anwendungen weiter im eigenen Haus? Schauer: Wenn die Rechenzentren im öffentlichen Sektor in der beschriebenen Weise in Richtung Private Cloud modernisiert werden, schaffen die Verantwortlichen die technische Voraussetzung für eine nahtlose Verbindung zur Public Cloud oder generell externen Ressourcen. Der Lohn für diese Modernisierung besteht darin, dass sie aus rein betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Gründen entscheiden können, in welcher Umgebung welcher Dienst am besten betrieben wird. Fachverfahren und Daten, die einem besonderen Schutz unterliegen, lassen sich weiterhin, aber viel effizienter im öffentlichen Rechenzentrum betreiben. Standard- und Querschnittsdienste hingegen können je nach Fall ausgelagert werden, ob in der Public Cloud oder bei einem öffentlichen ITDienstleister. Genau für solche hybriden Szenarien haben wir unsere hyperkonvergente Infrastruktursoftware entwickelt und erweitert – bis zu dem Punkt, an dem sie eins zu eins sowohl in einem Rechenzentrum vor Ort als auch in der Public Cloud bereitgestellt und betrieben werden kann. In jedem Fall aber behalten die Verantwortlichen die volle Kontrolle über ihre Umgebungen und können für die notwendige Datensouveränität, den gebotenen Datenschutz und die Einhaltung sonstiger Regularien sorgen. Behörden Spiegel: Gegen die Nutzung von Public-Cloud-Diensten werden gerne Datenschutzund IT-Sicherheitsbedenken vorgebracht. Aber ist der Betrieb in der eigenen Cloud wirklich technisch sicherer, als wenn ich auf große erfahrene Dienstleister zurückgreife? Schauer: Datenschutz und IT-Sicherheit sind niemals nur eine Frage der Technologie. Es geht dabei auch um Standorte, Regularien, Rechtsräume und insbesondere um die Expertise der Rechenzentrumsbetreiber. Wir sind immer wieder von den Kenntnissen im öffentlichen Sektor in diesen Bereichen beeindruckt. In technischer Hinsicht passen unsere Lösungen für Private Clouds und, falls gewünscht, ihre Anbindung an die Public Cloud perfekt zu dieser Expertise. Aber der vielleicht noch größere Vorteil unseres Angebots besteht in einer höheren Wirtschaftlichkeit, mit der sich das erforderliche

Sicherheits- und Datenschutzniveau erreichen und die dafür notwendigen Richtlinien zuverlässig einhalten lassen. Behörden Spiegel: Das Projekt Gaia-X nimmt allmählich Gestalt an. Glauben Sie an den damit erhofften Gewinn für die Datensouveränität in Europa? Schauer: Das Ziel der Datensouveränität ist gut und richtig, sowohl für die Wirtschaft in Europa als auch ganz konkret für uns als Bürgerinnen und Bürger. Doch wie bei allen Großprojekten gilt: Je höher das Ziel, desto mehr steckt der Teufel im Detail. In der weiteren Ausgestaltung von Gaia-X kommt es auf Richtlinien und Standards an, die vereinbart werden, sowie auf die zu verwendenden Technologien.

“Softwaresteuerung ist die Basis für eine Private Cloud ohne Abstriche.”

Gaby Schauer ist Sales Director Commercial, Corporate & Public bei der Nutanix Germany GmbH. Foto: BS/ Nutanix Germany GmbH

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Wenn alles zueinanderpasst und perfekt aufeinander abgestimmt ist, dann wird der Initiative Erfolg beschieden sein. Behörden Spiegel: Glauben Sie, Behörden werden mittelfristig ruhigen Gewissens auf Cloud-Angebote von Anbietern aus Drittländern zugreifen können, wenn diese ihre Dienste innerhalb der Gaia-X-Strukturen anbieten und sich zu den Zielen und Richtlinien bekennen? Schauer: Das glauben wir in der Tat. Doch auch hier kommt es auf das konkrete Angebot des jeweiligen Herstellers an. Mit unserer Software sehen wir uns als USAnbieter in einer ausgezeichneten Ausgangslage, im Rahmen von Gaia-X als Ausrüster punkten zu können. Denn unsere Software läuft im Prinzip an jedem Ort, der im Rahmen von Gaia-X als geeignet zertifiziert werden wird. Wir können damit die Basis nicht nur für Fachverfahren, sondern auch für Dienste bilden, die der öffentliche Sektor gerne aus der Public Cloud beziehen würde und in Zukunft im Rahmen von Gaia-X vielleicht schon bald über externe Rechenzentren nutzen kann.


Informationssicherheit

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Behörden Spiegel / Dezember 2020

Handlungsschwerpunkt Datenschutz

Sind Sie sicher?

Digitalisierung und IT-Schutz auf ein gemeinsames Tempo bringen

Informationssicherheit in einem sich verändernden Umfeld

(BS/pet) Wie nie zuvor hat das Corona-Jahr 2020 der Verwaltungsdigitalisierung entscheidende Impulse gegeben. Doch hat der technische Fortschritt – etwa in Gestalt zunehmender Telearbeit – seine Schattenseiten. Qualität und Quantität von Cyber-Attacken nehmen kontinuierlich zu, warnt Randolf Stich, Staatssekretär im Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz sowie Beauftragter des Landes für Informationstechnik (CIO), auf dem Online-Kongress “Digitale Sicherheit Rheinland-Pfalz” des Behörden Spiegel.. Eine der größten Gefahren: der Trojaner Emotet.

(BS/Peter Szabo) Sicherheit ist seit Urzeiten ein menschliches Bedürfnis. Erfüllt Ihre Organisation die heutigen Anforderungen an die Informationssicherheit?

In Anbetracht der aktuellen Gefahrenlage bilde der Schutz von Bürgerdaten einen zentralen Handlungsschwerpunkt der digitalen Agenda in Rheinland-Pfalz. Bereits in der Strategie für das digitale Leben habe man festgehalten, dass die Landesverwaltung sicherstellen müsse, dass Datenschutz und Informationssicherheit mit der zunehmenden Digitalisierung Schritt halten. Für den CIO habe man die eigenen Ziele dabei noch übertroffen: Wenn man betrachte, was man in den letzten Jahren an IT-Sicherheitsinfrastrukturen errichtet habe, sei der Passus im Strategiepapier noch zurückhaltend formuliert. Heute verfüge man über ein geschlossenes IT-Sicherheitssystem, das von der Datenspeicherung bis hin zum Nutzer höchsten Anforderungen an Datensicherheit genüge. Doch reicht eine sichere Infrastruktur allein nicht aus, wie Stich konzediert. Um den Datenschatz der Verwaltung zu schützen, habe man ein Informationssicherheitsmanagement installiert, das, an den Standards des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ausgerichtet, Sicherheit ressortübergreifend umsetze. Entscheidend: der Faktor Vernetzung. Die implementierten Lösungen umfassten neben einer verbindlichen Leitlinie Informationssicherheit für die Landesverwaltung ein regionales CERT und schließlich die Funktion eines Informationssicherheitsbeauftragten (CISO).

In Rheinland-Pfalz mit dieser Aufgabe betraut ist Dr. Oliver Gabel. Er warnt vor den Bedrohungen insbesondere durch den Trojaner Emotet, der seit Beginn der Corona-Pandemie zunehmend auch Kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser ins Visier nehme. Vorfälle wie jüngst noch an der Uniklinik in Düsseldorf oder der schon Monate zurückliegende, in seinen Folgen aber keineswegs bereinigte Angriff auf das Berliner Kammergericht seien eindeutige Warnzeichen dafür, dass der Trojaner auch in 2020 noch zu den größten Bedrohungen des Cyber-Raums zähle. Die besondere Gefahr Emotets bestehe darin, dass er zugleich als “Loader” fungiere. Bedeutet: Hat sich der Trojaner einmal eingeschlichen, kann er beliebig weitere Programme nachladen. Seinen Anfang nimmt die Infektion dabei meist mit einer E-Mail, deren Anhang Schadcode enthält. Umso wichtiger sei die richtige Vorbereitung, mahnt Gabel. Für den CISO bestehen die drei Säulen der Prävention aus regelmäßigen Updates, der Einschränkung privilegierter Rechte sowie einem Offline-Back-up. Ferner rät er zu einer Netzwerk-Segmentierung, die durch Abstufung der Vertrauensbereiche verhindert, dass ein Virus oder Schadprogramm à la Emotet die gesamte Infrastruktur lahmlegt. Doch was tun, wenn die Malware das System bereits infiltriert hat? Um der Ausbreitung von Emotet vorzugreifen, müsse das infizierte Gerät sofort vom Netzwerk ge-

Priorität Bürgerdaten: Für Landes-CIO Randolf Stich müssen Verwaltungsdigitalisierung und Datenschutz auf ein gemeinsames Tempo gebracht werden. Foto: BS/MdI RLP

trennt werden. Obligatorisch: die vollständige Bereinigung des betroffenen Systems, die Änderung des bisherigen Kennwortbestands – auch der im Browser gespeicherten Passwörter – eingeschlossen. Gerade mit Blick auf die zusehends professioneller werdenden Angriffe brauche es heute mehr denn je zusätzlich zu technischen Abwehrmechanismen auch Strategien der Mitarbeitersensibilisierung, sodass Kenntnisse der IT und Awareness in Fragen der Sicherheit als gesellschaftlicher Standard etabliert werden könnten. Denn kleiner werde die Gefährdungslage auch in den kommenden Jahren nicht, ist Gabel sich sicher.

Mit der Digitalisierung gehen viele Möglichkeiten und Chancen für große gesellschaftliche Veränderungen einher, zusammen mit dem wachsenden Bedürfnis nach Sicherheit, das weit über das digitale Feld hinaus reicht. Daher ist es nur natürlich, dass Informationssicherheit schon heute einen sehr hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft einnimmt. Beim komplexen Thema der Informationssicherheit ist die Ohnmacht weit verbreitet, das Thema in Angriff zu nehmen. Dazu führen sicherlich auch Umstände wie benötigte Ressourcen, deren Einsatz sich nicht zwingend in einem gesteigerten Umsatz widerspiegelt. Informationssicherheit ist eine langfristige Maßnahme, deren kaufmännische Wirksamkeit sich nur schwer messen lässt. Sie ist ein Werkzeug zum Zweck der Risikoeinschätzung und der daraus resultierenden Umgangsweise mit sensiblen Informationen und Werten in Unternehmen und Behörden. Mit dem im Jahr 2015 eingeführten Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme – besser bekannt als IT-Sicherheitsgesetz – wurde auch der gesetzliche Rahmen für den Anspruch an die Informationssicherheit abgesteckt. Unternehmen wird die Möglichkeit gegeben, mittels einer Zertifizierung einen Standard einzuführen, der nicht nur international anerkannt ist, sondern auch immer öfter im Wirtschaftsleben als notwendig erachtet wird. Anfangs waren zunächst nur die Betreiber Kritischer Infrastrukturen von dieser Bewegung betroffen, inzwischen finden sich zahlreiche Unternehmen, die auf-

Peter Szabo ist Geschäftsführer der SWI Smart-Web GmbH und Dozent der Cyber Akademie. Foto: BS/privat

grund der erworbenen Zertifizierung ein verlässliches Signal an Geschäftspartner und Kunden übermitteln. Da das Einführen einer zertifizierten Informationssicherheitspolitik im Unternehmen nahezu jeden Bereich betrifft, handelt es sich hierbei nicht, wie oft im Allgemeinen verstanden, um ein Sicherheitskonzept für die IT-Infrastruktur, sondern um ein ganzheitliches System, das im Unternehmen umgesetzt wird. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei der strategische Ansatz, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit an Bord zu nehmen, um hier ein erfolgreiches Umsetzen der Maßnahmen zu gewährleisten. Da sich das Thema Informationssicherheit noch in den Anfängen befindet und sich die Anforderungen ständig verändern, braucht es einen ständig sich selbst überprüfenden und verbessernden Zyklus, um größtmöglichen Schutz zu gewährleisen. Entsprechend wird die Informationssicherheit in Zukunft einen sehr hohen Stellenwert in allen Bereichen einnehmen. Eine zentrale Rolle bei dieser Transformation nimmt der oder die Informationssicherheitsbeauftragte wahr. Sie ist für viele Organisationen nicht nur Notwendigkeit, sondern gleichermaßen Entlastung, denn über diese Posi-

tion werden einerseits alle relevanten Informationen zur Sicherheitslage gebündelt, andererseits strategische Entscheidungen umgesetzt.

Einen OnlineZertifizierungskurs zum beziehungsweise zur IT-Security-Beauftragten können Sie unter www.cyber-akademie.de, Stichwort Zertifikat, buchen. Kursbeginn ist der 21. Januar 2021.

MELDUNG

BMI schärft nach

(BS/stb) Das Bundesinnenministerium (BMI) hat das Zulassungsverfahren für kritische IT-Komponenten im dritten Referentenentwurf des IT-Sicherheitsgesetzes 2.0 konkretisiert. Demnach kann das BMI Betreibern Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) den Einsatz einer kritischen IT-Komponente untersagen, wenn sicherheitspolitische Belange das nötig machen. Die Entscheidung muss einvernehmlich mit den zuständigen Ressorts gefällt werden. Das Auswärtige Amt ist mit von der Partie, wenn eine Entscheidung außenpolitische Dimensionen hat. Anders als andere EU-Staaten will die Bundesregierung den umstrittenen chinesischen Mobilfunkzulieferer Huawei nicht per se aus den Netzen verbannen. Mit der Gesetzesnovelle wäre aber der Weg für ein anlassbezogenes Verbot frei.

NEUES AUS DER CYBER AKADEMIE

Neue Impulse 2021: Klassiker, Deep Fakes, Threat Intelligence (CAk) Der digitale Raum selbst und die damit erwachsenden Anforderungen unterliegen einem ständigen Wandel. Entsprechend wurden für das Aus- und Fortbildungsprogramm der Cyber Akademie 2021 neue inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. Neben den Klassikern der ITSicherheit und des Datenschutzes, etwa der Einrichtung eines Information Security Management Systems (ISMS) oder Best Practices für die Umsetzung der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), finden zum ersten Mal Themen wie Deep Fakes oder Threat Intelligence Eingang in das zielgruppen- und sektorenübergreifende Portfolio. Die Verwendung sogenannter auf Angriffsmuster von morgen Deep Fakes erfolgt beispiels- vorzubereiten. weise immer professioneller, häufiger und hemmungsloser. Lernpfade: vertiefte Wissensvermittlung Vermeintliche Aussagen oder Informationen von als vertrauensZusätzlich zu inhaltlichen würdig eingestuften Personen Neuerungen werden 2021 auch oder Organisationen können konzeptionelle Anpassungen dabei verheerende Folgen für vorgenommen und erstmalig die Entscheidungen und Sicher- Lernpfade angeboten. Um das heit von Unternehmen und Ziel einer längerfristiBehörden haben. In geren und tieferen den Workshops der WissensverCyber Akademie mittlung zu werden techerreichen, nische sowie b e s t e organisatorihen diese Cyber Akademie sche MaßnahLernpfade men erarbeitet, aus einem mit denen die Präsenzbestehenden Workshop Sicherheitskonsowie ein bis zepte angepasst zwei vor- und werden können. nachgeschobeMit Threat-Intelligencenen Webinaren, Know-how werden Verantwortliwelche den zu behandelnche befähigt, nicht nur reaktiv, den Wissenskomplex einführen sondern präventiv Cyber-Be- beziehungsweise vertiefen. Den drohungen abzuwehren. Durch Teilnehmenden steht es dabei die Auswertung von relevan- offen, das gesamte Paket oder ten Informationen, die auf die nur einzelne Bausteine in AnEntstehung neuer Malware, spruch zu nehmen. Angewandt Schwachstellen und Vorge- wird das Konzept auf die Kurhensweisen hinweisen, gelingt se Darknet, Kryptowährungen es, “vor die Lage” zu kommen und Kompaktwissen für Datenund somit die eigenen Systeme schutzbeauftragte.

2021

Der Kompetenzbereich Datenschutz wird im kommenden Jahr insgesamt praxisorientierter und themenaktueller gestaltet. Deutlich wird das unter anderem durch Bezugnahme auf die Anwendungsfelder KI und Robotik sowie Seminare zu den jeweils aktuellen und maßgeblichen Rechtsprechungen. Außerdem sollen, abgesehen von Datenschutzbeauftragten und -Verantwortlichen, auch die Angestellten selbst für das Thema sensibilisiert werden. Denn ähnlich wie im Gefahrenfeld der IT-Sicherheit entstehen Datenschutzverstöße regelmäßig durch fahrlässiges, auf NichtWissen beruhendes Verhalten.

Aufnahme von Re-Zertifizierungskursen Darüber hinaus hält die Cyber Akademie am Portfoliobestandteil Business Continuity Management (BCM) fest. Die angehenden sowie bereits zertifizierten Business Continuity Manager können sich zusätzlich zum einwöchigen Zertifizierungskurse auf den Start von Re-Zertifizierungsmöglichkeiten und einen BCM-Lernpfad freuen, der vor allem den Aspekt der IT-basierten Notfallplanung

fokussiert. Die weiteren Zertifizierungsangebote, darunter die Abschlüsse Datenschutzbeauftragte und Informationssicherheitsbeauftragter in der öffentlichen Verwaltung, bleiben erhalten.

Terminsicherheit trotz Pandemie-Lage Natürlich wurde für 2021 die bis in die ungewisse Zukunft hineinwirkende Pandemie-Lage berücksichtigt. Seminare, die ursprünglich als Präsenzveranstaltung geplant wurden, aufgrund bestehender Auflagen jedoch nicht als solche durchgeführt werden können, werden in erster Linie nicht mehr verschoben, sondern in Absprache mit den Dozierenden und Teilnehmenden als tagesfüllender Online-Workshop konzeptioniert. In den letzten Wochen wurde dieses Format erfolgreich getestet, sodass bis auf wenige Ausnahmen Terminund Planungssicherheit für die Agenda 2021 in Aussicht gestellt werden kann. Die aktuelle Programmübersicht 2021 steht auf www.cyber-aka demie.de für den Download zur Verfügung.

Highlights zum Jahresbeginn: Seminarprogramm 2021 ■ Datenschutz beim Einsatz von KI und Robotik 13.01.2021, online ■ Zertifizierungskurs: IT-Security-Beauftragte/r 21.01.-26.02.2021, online ■ Datenschutz für Datenschutzkoordinator*innen und -Manager*innen 27.01.2021, online ■ ISO/IEC 27001 – Spezifikationen und Mindestanforderungen 29.01.2021, online ■ Rechtliche Anforderungen bei der Weiterverwendung von Daten und Informationen 02.02.2021, online ■ Open Source Intelligence Grundkurs: 09.-10.02.2021, Frankfurt am Main Fortgeschrittene: 13.-14.02.2021, Frankfurt am Main ■ Datenschutz – Aktuelle Entscheidungen und Entwicklungen 11.02.2021, online ■ Threat Intelligence Basics Webinar: 25.02.2021 Workshop: 04.03.2021

Anmeldungen und Programm 2021: www.cyber-akademie.de Grafik: BS/Dach unter Verwendung von ribkhan, stock.adobe.com


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Dezember 2020

NATO 2030: United for a New Era Der Bericht der “Reflection Group” (BS/Generalmajor a. D. Reinhard Wolski) Die Handschrift des Co-Vorsitzenden der sogenannten “Reflection Group”, die durch den Generalsekretär der NATO vor einem Jahr eingesetzt wurde, um Vorschläge für die Weiterentwicklung der NATO im politischen und militärischen Bereich zu machen, ist unschwer erkennbar: Dr. Thomas de Maizière leitete die Gruppe von zehn Vertretern aus Diplomatie, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft und der Bericht zeichnet sich durch eine klare, systematische Struktur und umfassende Betrachtung aus.

D

abei gibt es nicht unbedingt sehr viele ganz neue Erkenntnisse, aber die fast wissenschaftliche, stringente Gesamtdarstellung ist ein Wert an sich und die über 130 Empfehlungen an den Generalsekretär und den NATO-Rat könnten und sollten als “Checkliste” für die Zukunftsentwicklung der NATO dienen. Ziel des NATO-Generalsekretärs war es, mit dem Bericht, der zum Außenministertreffen am 01./02. Dezember veröffentlicht wurde, Empfehlungen zur Intensivierung der Kohäsion und der Solidarität der Allianz herauszuarbeiten, die Konsultationen und die Koordination zwischen ihren Mitgliedern zu verstärken und die politische Rolle der NATO sowie ihre Instrumente angesichts neuer Bedrohungen und Herausforderungen aus allen strategischen Richtungen aufzuwerten.

Vor- und Nachteile der Allianz Der erste Teil des Berichtes ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse, auf ihn wird in diesem Artikel näher eingegangen. Er stellt die NATO (deren Bevölkerung fast eine Milliarde Menschen umfasst) als die erfolgreichste Allianz in der Geschichte dar, die über große militärische Stärke verfügt, trotzdem aber politisch nicht unangreifbar ist. Deshalb sollen die Mitgliedsstaaten die politische Dimension der Allianz entschiedener stützen. Die NATO vereinigte stets eine gemeinsame, nicht nur militärische Vision, sondern auch gemeinsame Werte und Interessen, und ihren Erfolg und ihre Langlebigkeit verdankt sie vor allem ihrer Fähigkeit, sich anzupassen und zu verändern. Der Bericht liefert einen kurzen Überblick über die einzelnen historischen Entwicklungsphasen der NATO bis hin zum Strategischen Konzept von 2010 und die tiefgreifenden Änderungen der Lage danach.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei der Präsentation des Berichtes durch das Expertengremium.

Die politische Rolle der NATO wird – so der Bericht – durch neue Bedrohungen wie Terrorismus, Instabilitäten, nichtstaatliche Bedrohungen, Technologiesprünge (diese können auch Chancen sein) sowie Klima- und Energieentwicklungen herausgefordert. Dies erschwere oftmals das Einstimmigkeitsprinzip, an dem aber in jedem Fall festgehalten werden solle. Uneinigkeit in der NATO sei ein strategisches, kein taktisches oder optisches Pro­blem. Die Zusammenführung der strategischen Prioritäten und die Kohäsion der NATO seien aber Tradition und auch heute erreichbar.

Blueprint der Ausrichtung der Streitkräfte Als Vision für die NATO im Jahr 2030 werden unter anderem folgende Empfehlungen gemacht, die Anstrengungen der Alliierten sollen dabei “verdoppelt” werden: • Die Mitglieder müssen zu den im Washington-Vertrag herausgestellten demokratischen Prinzipien stehen, sie können innerhalb dieser Grenzen ihre

nationalen Ziele verfolgen. •D ie Lasten für die gemeinsame Sicherheit und Verteidigung müssen gleichmäßig verteilt werden. • Die Verfolgung nationaler Ziele darf nicht zulasten der Kohäsion und der Wirksamkeit der Allianz gehen. • Die kollektive Verteidigung, von konventioneller über die nukleare bis zur hybriden, sollte stets im Vordergrund bei Konsultation und Entscheidungsfindung der Mitglieder stehen. Das Tempo der Entscheidungsfindung und die Implementierung der jeweiligen Policy müssen beschleunigt werden. • Das Einstimmigkeitsprinzip bleibt bestehen, aber die Allianz muss befähigt sein, einem sich verändernden strategischen Umfeld schnell und wirkungsvoll zu begegnen.

Konkrete Handlungsfelder Aus den 138 Empfehlungen werden in dem Bericht der Reflection Group die folgenden

Foto: BS/NATO

besonders herausgestellt: Die (über-) fällige Überarbeitung des Strategischen Konzepts von 2010 bietet auch die Gelegenheit, die zahlreichen neuen strategischen Anforderungen und Veränderungen und die Anpassung an diese in ein geschlossenes, kohärentes strategisches Bild zu bringen. Die NATO sollte den “DualTrack”- Ansatz von Abschreckung und Dialogbereitschaft gegenüber Russland fortführen. Es müssen mehr Zeit, mehr Ressourcen und mehr Aktion darauf verwendet werden, den technologischen, militärischen, politischen und ökonomischen Herausforderungen der chinesischen Globalstrategie zu begegnen – innerhalb der bestehenden Strukturen, aber auch möglicherweise durch ein neues Gremium. Die Tendenzen und Chancen neuer und disruptiver Technologien sollten innerhalb der NATO für ihre Mitglieder beurteilt und Antworten entwickelt werden. Der Kampf gegen den Terro-

rismus sollte zu einem weiteren Kernauftrag der NATO werden, einschließlich der Verbesserung der gemeinsamen strategischen Aufklärung. Ein konsistenter, klarer und gemeinsamer politisch-militärischer Ansatz, um den Herausforderungen an der Südflanke und im Mittelmeer zu begegnen, muss entwickelt werden, die regelmäßige Befassung durch den Nordatlantikrat ist zu intensivieren, und das Joint Force Command in Neapel ist zu stärken. Es wird vorgeschlagen, ein “Centre of Excellence” für Klima(-wandel) und Sicherheit aufzubauen. Das Engagement in der Rüstungskontrolle unter Beibehaltung der nuklearen Abschreckung sollte wieder mehr in den Vordergrund treten. Die Rolle der NATO als primäre Organisation für die euro-atlantische Region muss durch Kohäsion und Einheit ihrer Mitglieder aktiv gestärkt werden und NATO und EU sollten zukünftig auf der Ebene der Regierungschefs und der Ministerien gemeinsam eine stärkere und möglicherweise institutionalisierte Kooperation vereinbaren. Ein globaler Ansatz für die zahlreichen Partnerschaften der NATO ist zu entwickeln, um eine stärkere Ausrichtung an den strategischen Interessen zu erreichen. Der Bericht schlägt zudem vor, dem Generalsekretär der NATO mehr Entscheidungsvollmacht in einigen Bereichen, z. B. bei Personal und bestimmten Budgetfragen, zu erteilen. Die Lektüre des 67-Seiten-Berichtes der “Reflection Group” wird empfohlen: https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/ pdf/2020/12/pdf/201201Reflection-Group-Final-ReportUni.pdf

Bekenntnis zu den USA Grundsatzrede zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik (BS/df) In ihrer als Grundsatzrede angekündigten (virtuellen) Beteiligung am Seminar der Universität der Bundeswehr Hamburg betonte Verteidigungsministerin Annegret KrampKarrenbauer die Bedeutung der USA für Deutschland und Europa. “Der wichtigste Partner in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik für Deutschland waren und sind die Vereinigten Staaten von Amerika”, sagte die Ministerin. So stellten die USA rund 70 Prozent der sogenannten Strategic Enabler-Fähigkeiten der NATO, hierzu zählen beispielsweise Aufklärung und Kommunikationsmittel wie Satelliten. “Nahezu 100 Prozent der Abwehrfähigkeiten gegen ballistische Raketen werden von den USA in die NATO eingebracht”, beschrieb Kramp-Karrenbauer. Zudem seien die USA die einzige wirkliche nukleare Abschreckungsmacht gegenüber anderen Großmächten. “Wir haben ein Interesse daran, dass Europa im Fokus der USA bleibt”, betonte die Ministerin. “Aber nur wenn wir unsere eigene Verteidigung ernst nehmen, wird Amerika das auch tun.” Zwar sei kaum denkbar, dass die EU in absehbarer Zukunft über ähnliche

Verteidigungskapazitäten verfüge wie die USA, ein verlässlicher und angemessener Verteidigungshaushalt sei allerdings von den europäischen Staaten inklusive Deutschland leistbar. “Wir wollen, dass Europa für die USA ein Partner ist und kein Schützling”, sagte die Ministerin und fügte hinzu: “Nur ein Europa, das sich selbst schützen kann, wird die USA im Bündnis halten.”

Eckpfeiler der Verteidigung Für Kramp-Karrenbauer baut dieses partnerschaftliche transatlantische Verhältnis auf drei Eckpunkten auf: 1) Den Ausbau der Fähigkeiten in der Verteidigung, hierzu zählen auch stabile und wachsende Verteidigungshaushalte trotz Corona.

2) Das Bekenntnis Deutschlands zu seiner Rolle in der nuklearen Teilhabe. 3) Eine gemeinsame europäisch-amerikanische Agenda bezüglich China.

Vergabe und vernetzte Sicherheit Die Umsetzung dieser Eckpfeiler erfordere verschiedene Maßnahmen. So strebe sie die Verabschiedung eines Verteidigungsplanungsgesetzes an, durch das der Verteidigungshaushalt langfristiger als bisher festgelegt werden könne. Mit den Beschaffungsprozessen sei man im Ministerium ebenfalls “nicht bis zum Schluss zufrieden. Deshalb haben wir die Initiative Einsatzbereitschaft gestartet.” Sie habe einen Prozess in Zu-

sammenarbeit mit dem BAAINBw festgelegt, um das Beschaffungswesen Schritt für Schritt zu verbessern. Die schnelle und perfekte Lösung werde es allerdings nicht sofort geben. “Das Brett ist sehr dick und das wird niemand auf einen Schlag zerschlagen können.” Zudem gebe es eine Neugewichtung verschiedener Beschaffungsvorhaben. “Ich werde einer Finanzierung von Großprojekten zulasten der Grundausstattung und der Mittel des täglichen Gebrauches nicht zustimmen”, betonte die Ministerin. “Diesen Fehler hat die Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten gemacht und er hat die Streitkräfte bis ins Mark getroffen. Das darf sich nicht wiederholen.” Daraus schloss Kramp-Karrenbauer: “Neue

Großprojekte können nur dann realisiert werden, wenn dafür in der Finanzplanung zusätzliches Geld bereitgestellt wird.” Beschaffungen seien zudem immer auch im Bündnis zu betrachten. “Früher haben wir vor allem aus der Not knapper Kassen priorisiert, heute müssen wir dies anhand einer sich ständig ändernden Welt tun”, beschrieb die Ministerin. Hier greift wieder die NATO und die Notwendigkeit der transatlantischen Partnerschaft, sodass auch deutsche Beschaffungen nicht im luftleeren Raum stattfinden. “Mir kommt es darauf an, dass wir uns hier gut im Bündnis abstimmen”, betonte Kramp-Karrenbauer. “In einer vernetzten Welt brauchen wir ein vernetztes Sicherheitsverständnis.”

KNAPP Neuer B-Sprecher (BS/mfe) Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist neuer Sprecher der unionsgeführten Länder in der Innenministerkonferenz (IMK). Dieses Amt wird er mindestens bis Januar innehaben. Erst dann soll es eine Präsenzsitzung der Ressortchefs mit einer Neuwahl geben. Der Posten des Sprechers der sogenannten B-Länder in der IMK war vakant geworden, nachdem der bisherige Amtsinhaber, Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU), zurückgetreten war. Herrmann war allerdings bereits seit mehreren Jahren stellvertretender Sprecher der B-Länder. Unterdessen hat Herrmann in Nürnberg zwei neue Sonderfahrzeuge für die Spezialkräfte der Landespolizei vorgestellt. Diese Fahrzeuge verfügen über eine Panzerung und sollen vor allem bei Terror- oder Amoklagen zum Einsatz kommen. Eines der beiden Fahrzeuge verfügt über einen Waffenturm, das andere über eine von innen bedienbare Waffenstation. Stationiert sind die Fahrzeuge, in die rund 2,4 Millionen Euro investiert wurden, in München und Nürnberg.

Feuerwehr Hannover testet eRTW (BS/bk) Die Feuerwehr Hannover testet einen voll elektrisch angetriebenen Rettungswagen (eRTW). Das Fahrzeug solle einem intensiven Praxistest im großstädtischen Einsatzalltag unterzogen werden. Für die Entwicklung des eRTW zeigt sich die Firma Wietmarscher Ambulanz- und Sonderfahrzeug GmbH verantwortlich. Sie wird die Testphase begleiten. Das elektrobetriebene Fahrzeug hat unter Einsatzbedingung eine Reichweite von bis zu 200 Kilometern und kann eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 120 Kilometern pro Stunde erreichen. Als Ladeinfrastruktur stehen die Feuer- und Rettungswachen sowie die Notfallkrankenhäusern zur Verfügung. Neben der Firma Wietmarscher Ambulanz- und Sonderfahrzeug GmbH ist als weiterer Projektpartner das In­ stitut für Konstruktionselemente, Mechatronik und Elektromobilität der Hochschule Hannover beteiligt. Das Institut wird die durch den Praxistest gewonnenen Daten auswerten und für weitere wissenschaftliche Projekte nutzen.

Europol als Dienstleister (BS/stb) Die europäische Polizeibehörde Europol soll technisch besser ausgestattet werden, um etwa große Datenmengen mit Künstlicher Intelligenz (KI) verarbeiten zu können. Diese Fähigkeiten soll Europol als Dienstleister allen europäischen Polizeien zur Verfügung stellen. Auf ein entsprechendes Eckpunktepapier haben sich die EU-Innenminister verständigt. Der EU-Rat dürfte zeitnah einen offiziellen Entwurf verabschieden. Die Initiative sieht vor, Europol deutlicher als Zentralstelle und Informationsplattform für die Kriminalitätsbekämpfung in der EU aufzustellen. Ein Schwerpunkt soll dabei auf technische Innovationen gelegt werden. So soll die Behörde KI-Systeme für die Analyse und operative Unterstützung entwickeln.


Innere Sicherheit

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Behörden Spiegel / Dezember 2020

Finnland plant Virve 2.0

Auch eine Frage der Kosten

Weltweit bestes Funknetz für Einsatzkräfte

Finnland besitzt staatliches TETRA-Netz für BOS

(BS/Dr. Barbara Held) Finnland will ab 2023 ein hochmodernes nationales Breitbandnetz für die mobile Kom- (BS) Jarmo Vinkvist ist der Leiter des finnischen Virve-Networks. Er arbeitet bereits seit 2005 für das staatseimunikation von Sicherheits- und Rettungskräften sowie von Betreibern Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) in gene Unternehmen Erillisverkot. Zeitweise war er dort COO und Vizepräsident. Das Interview führte Behörden Betrieb nehmen. Die Erwartungen an das künftige Breitbandnetz Virve 2.0 seien enorm, erklärt Timo Lehti- Spiegel-Mitarbeiterin Dr. Barbara Held. mäki. Allein die Grenzen der Vorstellungskraft seien das Limit, wenn es um die noch futuristisch anmutenden Anwendungen geht, die Virve 2.0 künftig seinen Nutzerinnen und Nutzern bieten will (siehe auch rechts). für die Nutzung im einsatzkritiehörden Spiegel: Das TETRADabei besitzt Finnland mit Virve 1.0 schon seit 2002 ein nationales TETRA-basiertes, schmalbandiges BOS-Netz. Nachdem das Netz im Laufe der Jahre für Kunden aus dem KRITISBereich geöffnet und vergrößert worden sei, verfüge es heute über 1.400 Basis-Stationen und rund 50.000 Abonnenten, so VirveCEO Jarmo Vinkvist. Nicht viel im Vergleich zu den fast 5.000 Antennen und über 850.000 Abonnenten, die der deutsche Digitalfunk verzeichnet. Andererseits verfügt Finnland über ein Territorium, das mit 338.455 Quadratkilometern nicht sehr viel kleiner ist als Deutschland, obwohl hier nur rund 5,5 Millionen Menschen leben. Von der Lage her eines der nördlichsten Länder der Welt, hat Finnland ein teilweise extremes Klima mit sehr kalten Wintern und in südlichen Landesteilen auch recht heißen Sommertagen. Geopolitisch ist die 1.340 Kilometer lange Grenze zu Russland selbst nach Jahrhunderten wechselvoller Geschichte immer noch eine Herausforderung. State-of-the-Art-Kommunikationstechnologie gehört daher zu den Anforderungen wie auch zu den Erfolgsfaktoren der finnischen Gesellschaft. Seit seinem EU-Beitritt 1995 hat sich Finnland zu einem der wohlhabendsten Mitgliedsländer entwickelt. Weltweit gilt es als eine führende Hightech-Nation. Die Marken Ericsson und Nokia sind nicht nur in Deutschland weithin bekannt.

Breitbandprojekt bereits 2018 gestartet Europaweit vergleichsweise früh hat Finnland 2018 sein Breitbandprojekt Virve 2.0 gestartet. War ursprünglich durchaus noch das Szenario einer dedizierten Lösung angedacht, so hatte sich das mit Übergang von Erillisverkot und Virve in den Geschäftsbereich des Finanzministeriums erledigt. Virve 2.0 setzt nunmehr vollstän-

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n der Produktion von Polizei- und Justizfahrzeugen verfügt es über eine umfassende Expertise, was es seit vielen Jahren zu einem kompetenten und verlässlichen Partner deutscher Behörden macht. 1840 von Heinrich Ludwig Friederichs in Frankfurt gegründet, baute der Fahrzeughersteller in den Anfangsjahren prunkvolle Kutschen. 1876 übergab der Firmengründer die Geschäfte an Sohn Carl, der zum Namensgeber wurde. Mit der Erfindung des Automobils entwickelte sich das Unternehmen vom Kutschenbauer zu einem Karosseriebetrieb für Automobile und fertigte Sonderkarosserien für exklusive Limousinen von Maybach, Benz, Packard oder Horch. Ein Zeugnis dieser Zeit ist der älteste fahrbereite Maybach W5 SG aus dem Jahr 1926, der heute im Auto & Technik Museum in Sinsheim steht. Mit Beginn der Massenfabrikation des Autos in den 1920erJahren endete dann die Ära des individuellen Karosseriebaus. Statt hochherrschaftliche Limousinen zu entwerfen, konzentrierte sich das Unternehmen fortan auf die Reparatur und den Bau von Nutz- und Sonderfahrzeugen. Eine kluge Entscheidung: Heute ist Friederichs einer der führenden Fahrzeug- und Karosseriebauer für Spezialfahrzeuge “made in Germany” und verfügt unter

dig auf die Dienste und Frequenzen kommerzieller Betreiber. Nach einigen Vorstudien leitete Erillisverkot mit einer europaweiten Ausschreibung den Vergabeprozess für Kern- und Zugangsnetz von Virve 2.0 ein. Gefordert war dieselbe geogra­ fische Abdeckung von 96 bis 97 Prozent, die das traditionelle TETRA-Netz bietet. Damit verbunden sind erhebliche Investitionen des künftigen RAN-NetzProviders in die Infrastruktur. Aus Sicht von Virve-CEO Jarmo Vinkvist verliefen die Verhandlungen mit den Bietern harmonisch. Die Preisvorstellungen waren moderat. So konnte Erillisverkot Anfang Mai 2020 verkünden, dass der finnische Betreiber ELISA das Zugangsnetz (RAN) aufbauen wird, während das Kernnetz von Ericsson übernommen wird. Das Volumen der Zehn-Jahres-Verträge liegt bei 49 Millionen Euro für das Zugangsnetz und weiteren 17,9 Millionen Euro für den künftigen 5G-Core.

Betrieb durch staatseigene Firma Vinkvist weist nachdrücklich darauf hin, dass das neue finnische Modell erst durch zwei Gesetzesänderungen möglich wurde. Diese erlauben eine weitreichende Bevorrechtigung und Priorisierung der Virve-2.0-Kunden im künftigen Netz. Gleichzeitig wurde für die drei nationalen Mobilfunknetzbertreiber Finnlands die Verpflichtung zu landesweitem Roaming eingeführt, um für Virve 2.0-Nutzer eine optimale Abdeckung zu erreichen. Durchgesetzt hat sich Erillisverkot auch gegenüber den Begehrlichkeiten der Bieter, die Virve 2.0 gern in Eigenregie betrieben hätten. Gesetzlich festgeschriebener Betreiber von Virve 2.0 ist die staatseigene Firma Erillisverkot. Die weitere Roadmap ist rasant und sieht einen nahtlosen und nutzerfreundlichen Übergang von TETRA auf zunächst 4G und dann 5G vor, der die Funktiona-

litäten des Virve-TETRA-Netzes erhält und zunehmend durch Breitband-Apps erweitert wird. Netzausbau und -härtung haben begonnen und sollen bis 2024 vollendet sein. In der Anfangsphase bis Ende kommenden Jahres ist die Ausgabe der SIM-Karten für Virve 2.0 geplant, die die neuen Bevorrechtigungen für die Nutzerinnen und Nutzer einführen. Bis 2022 sollen MCPTT, Gruppenruf, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für Sprache, Daten/Video und in Abstimmung mit den Usern neue Apps entwickelt und eingeführt werden. Nach Plan wird Virve 2.0 2023 mit allen Grundfunktionen stehen und die allgemeine Migration wird beginnen. Der Übergang der Nutzer in die Breitbandwelt soll bis 2025 geschafft und die TETRA-Welt zurückgelassen werden.

Nicht nur ein Endgerätemodell vorgesehen Die Themen einsatzkritische Dienste und Endgeräte hat Erillisverkot mit einem innovativen Ansatz in Angriff genommen. Nach Nutzerbefragungen und Use-CaseAnalysen haben die Finnen Anfang September ein Interessenbekundungsverfahren (RFI) mit den Herstellern gestartet, dessen Ergebnisse zurzeit ausgewertet werden. Eines sei danach klar, erklärt der Projektverantwortliche Ari Toivonen. Ein einziges Endgerätemodell werde es nicht geben, sondern viele, den unterschiedlichen Nutzungsszenarien von Sicherheits- und Rettungskräften sowie KRITIS immer neu anzupassende. Bei den Nutzern sei zum Beispiel das Interesse an Smart Watches für Virve 2.0 sehr hoch, so Toivonen. Darüber hinaus seien Nutzer wie Hersteller besonders an Diensten interessiert, die die Lageerkennung unterstützten und Entscheidungen erleichterten. Die formale Ausschreibung der Virve2.0-Dienste und -Geräte soll in Kürze erfolgen.

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Netz Virve befindet sich als dediziertes Netz für Innere Sicherheit in staatlichem Besitz. Warum hat Erillisverkot beschlossen, das breitbandige Virve 2.0 auf Basis kommerzieller Netze zu betreiben?

Jarmo Vinkvist: Das ist zum einen eine Kostenfrage: In einem dünnbesiedelten Flächenland wie Finnland würde ein Breitbandnetz im 700-MHz-Bereich die Anzahl der 4/5G-Antennen gegenüber den 1.400 TETRA-Antennen vervier- bis verfünffachen. Die infrage kommenden 700-MHz-Bänder wurden daher bereits 2016 an die drei nationalen MobilfunkBetreiber versteigert.

schen Bereich unbrauchbar.

Behörden Spiegel: Nach Ihren bisherigen Erfahrungen im Virve-2.0-Projekt: Was würden Sie anderen nationalen BOS-Netzbetreibern empfehlen, die erst am Anfang der Breitbandplanung stehen?

Jarmo Vinkvist ist der Leiter des finnischen Virve-Netzwerks. Foto: BS/Erillisverkot, Olavi Airaksine

Behörden Spiegel: Worum geht es noch? Vinkvist: Hinzu kommt, dass das benachbarte Russland im

700-MHz-Bereich TV-Broadcasting betreibt. Die damit verbundenen Interferenzen machen diesen Frequenzbereich bis auf Weiteres

Vinkvist: In der BOS-TETRAWelt haben die meisten Staaten wie Finnland, Deutschland oder das Vereinigte Königreich automatisch ähnliche Netze, weil sie auf einem gemeinsamen Standard beruhen. In der Breitband-Welt müssen wir eng zusammenarbeiten, damit wir globale Standards durchsetzen können, die die Bedürfnisse der BOS widerspiegeln. Außerdem braucht es bezahlbare Produkte, die darauf aufbauen. Nur gemeinsam können wir ein ECO-System für kritische Kommunikation schaffen.

Gemeinsame Terrorübung in Bayern Einsatzhandbuch geplant (BS/bk) Es ist ein ungewohnter Anblick, dass Kräfte von Polizei und Bundeswehr zusammen den Ernstfall üben. Bei der “Niederbayerischen Terrorismusabwehr Exercise” (NTEX 2020), einer Einsatzübung des ­Polizeipräsidiums Niederbayern, trainierten Spezialkräfte der Bayerischen Polizei zusammen mit Kräften des Sanitätslehrregiments aus Feldkirchen die Reaktion auf einen fiktiven terroristischen Anschlag auf zivile Personen. Insgesamt waren über 100 Einsatzkräfte beteiligt. Das Szenario gestaltete sich so, dass Schüsse und Explosionen in der Umgebung eines Hotels gemeldet wurden. Ein Täter hatte zunächst um sich geschossen und sich anschließend verschanzt. Aufgrund der hohen Gefährdungslage konnten die anrückenden Polizistinnen und Polizisten die Verletzten nicht bergen. So musste die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe, um Unterstützung gebeten werden. Mit einem Transportpanzer und einem geschützten Krankenfahrzeug konnten die verletzten Personen schließlich geborgen werden. Die Bundeswehr kann im Rahmen von Amtshilfeanträgen auch technisch-logistisch im

Inland tätig werden. Grundlage dafür bildet der Artikel 35 des Grundgesetzes (GG). Die Führung über den Einsatz behält jedoch die Polizei. Die Bergung von Verletzten aus Gefahrenzonen hatten die beteiligten Stellen bisher noch nicht gemeinsam geübt.

Anfängliche ­Kommunikationsprobleme Gerade die Kommunikation untereinander war dabei wichtig. “Anfängliche Kommunikationsprobleme untereinander konnten schnell beseitigt werden. Hin und wieder benutzen Polizei und Bundeswehr unterschiedliche Begriffe. Über die Notfallmedizin kommen sie jedoch wieder

zusammen”, erklärte Oberstarzt der Reserve Dr. Florian Vorderwülbecke. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zog ein positive Bilanz. Für die weitere Zusammenarbeit ist zudem ein gemeinsames Einsatzhandbuch der Bayerischen Polizei und des Landeskommandos Bayern geplant. In diesem Handbuch sollen insbesondere Einsatzstandards festgelegt werden. Jedoch betonte Hermann: “Für die Innere Sicherheit in Bayern ist und bleibt zuallererst die Bayerische Polizei zuständig.” Es sei aber unverantwortlich, auf den Einsatz der Bundeswehr im Innern zu verzichten, obwohl sie bereitstehe.

Von der Kutsche zum Polizeifahrzeug

plette Werkstattausstattung, um die verschiedenen Arbeiten wie Karosserie, Lack und Elektrik auszuführen. Die Basis der Sonderfahrzeuge liefern Original Equipment Ma(BS/Wiebke Deggau*) Bundeskanzlerin Merkel saß schon in ihnen, ebenso wie Kreml-Chef Putin oder Mitglieder der OSZE. Die Rede ist von den nufacturer (OEM) wie Mercedesmaßangefertigten Limousinen, Bussen und Spezialfahrzeugen der Carl Friederichs GmbH, die dieses Jahr ihr 180-jähriges Jubiläum feiert. Das Benz, Iveco oder VW, mit denen Frankfurter Traditionsunternehmen, dessen Anfang als herrschaftlicher Kutschenbauer bis in die Biedermeierzeit zurückreicht, zählt heute zu den der Fahrzeugbauer bereits seit führenden Fahrzeug- und Karosseriebau-Betrieben in Deutschland und gilt auch auf internationaler Ebene als renommierter Spezialist. Jahrzehnten erfolgreich und gut zusammenarbeitet. Gleiches gilt anderem über eines der größten für die Kooperation mit unabund modernsten Lackierzentren hängigen Prüfinstituten wie dem des Rhein-Main-Gebietes. TÜV.

Seit 180 Jahren maßgeschneiderte Karosserien und Spezialfahrzeuge

ISO-Zertifizierung und hohe Qualitätsstandards

Hessisches ­Traditionsunternehmen

Das DIN-ISO-zertifizierte Unternehmen mit 140 Mitarbeitern und zwei Standorten in Frankfurt setzt Maßstäbe sowohl bei der individuellen Gestaltung der Karosserie und des Innenraums der Sonderfahrzeuge als auch bei der Reparatur und Lackierung der Fahrzeuge. Denn die gleichen Qualitätsmaßstäbe, die Friederichs Anfang des 20. Jahrhunderts zum Hofwagenbauer und Hoflieferanten Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs von Luxemburg gemacht haben, gelten auch heute noch. Entsprechend den hohen Qualitätsstandards wird das Thema Aus- und Fortbildung im Unternehmen großgeschrieben. Auszubildende sowie Mitarbeiter profitieren von der langjährigen Erfahrung und sind auf dem

Die Carl Friederichs GmbH ist ein hessisches Traditionsunternehmen, das über vier Generationen von der Familie Friederichs geführt wurde. Heute leiten es die Geschäftsführer Stephan Berger und Henrik Schepler. Gesellschafter der Carl Friederichs GmbH ist die Heinz und Gisela Friederichs Stiftung, die 1991 von Heinz und Gisela Friederichs gegründet wurde. Die gemeinnützige Stiftung engagiert sich für soziale Projekte, die berufliche Aus- und Fortbildung junger Menschen im Karosserie- und Fahrzeugbau sowie die Förderung zeitgenössischer Kunst.

Die Carl Friederichs GmbH ist einer der führenden Hersteller bei der Anfertigung von Sonderfahrzeugen. Foto: BS/Carl Friederichs GmbH

neuesten Wissenstand, was den Umgang mit modernster Automobiltechnik sowie die Verarbeitung neuer Verbundmaterialen oder Aluminium beim Karosseriebau anbelangt.

Behörden aus ganz Deutschland arbeiten seit vielen Jahren mit Friederichs zusammen, lassen Kontrollstellenfahrzeuge, Gefangenentransporter und viele andere Blaulichtfahrzeuge fertigen.

Entwickelt werden die Fahrzeuge von den hauseigenen Technikern in enger Abstimmung mit den Kunden. Die Produktion erfolgt dann ebenfalls aus einer Hand: Friederichs verfügt über die kom-

www.friederichs-frankfurt.de *Wiebke Deggau unterstützt die Carl Friederichs GmbH im Bereich Kommunikation.


Innere Sicherheit

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ereits mitten in der Einführungsphase des derzeitigen BOS-Digitalfunks wurde klar, dass mit dem vorwiegend der Sprachkommunikation gewidmeten TETRA-System die für eine effektive Arbeit der Sicherheitsorgane erforderlichen Daten-, Bild- und Videoübertragungen nicht realisierbar sind. In der Folgezeit wurden in international viel beachteten und anerkannten Studien die funktionellen und technologischen Erfordernisse sowie der Frequenzbedarf für die Breitbandkommunikation untersucht, Expertenanhörungen abgehalten, Strategiekonzepte entwickelt, Handlungsempfehlungen unterbreitet und um knappe Frequenzressourcen gerungen.

Ein Blick zurück, ein Blick nach vorn Mobile Breitbandkommunikation der BOS (BS/Gerd Lehmann) Die jüngst ergangene Entscheidung, die Nutzung der seit Jahren umkämpften, Anfang 2021 frei werdenden Frequenzen im 450-Megahertz-Bereich (MHz) vorrangig der Energiewirtschaft und nicht den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) zu ermöglichen, ist Anlass für einen Blick zurück und einen Blick nach vorn. Das Thema mobile Breitbandkommunikation der BOS steht seit einem Jahrzehnt auf der Agenda. Videos, für Identitätsfeststellungen und zur Prüfung elektronischer Ausweisdokumente. Verschiedene Workflow-Lösungen unterstützen die mobilen Einsatzkräfte bei Tatbestandsaufnahmen und vielen anderen Fachapplikationen. Entgegen der Handlungsempfehlung in den Strategiepapieren wurde keine zentrale Koordinierungsplattform zur Entwicklung einheitlicher Verfahren und Standards eingerichtet.

Werterhalt und Funktionalität des Digitalfunks Bund und Länder beschlossen auf Empfehlung der Arbeitsgruppe “Digitalfunk 2020+” schließlich aber zunächst nur die Modernisierung des TETRADigitalfunknetzes mit dem Ziel, die Funktionalität, die Verfügbarkeit und den Werterhalt dieses Netzes bis mindestens 2030 sicherzustellen. Die Erwartung, dass auch konkrete Entscheidungen zur mobilen Breitbandkommunikation getroffen werden, erfüllte sich nicht. Trotz der für den breitbandigen Datenfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) vorgesehenen Zuteilung von 2 x 8 MHz im 700-MHzBereich, auf den sich in Europa 48 Länder als Kernfrequenz für Breitband-PPDR-Anwendungen verständigt hatten. Ein schwieriges und nicht zusammenhängendes Frequenzband. Die Verantwortlichen beließen es bei Eignungstests und der Maßgabe, bei der Modernisierung des Digitalfunknetzes die offenen Bedarfe der Nutzer an mobiler Breitbandkommunikation zu berücksichtigen.

Fokussierung auf das 450 MHz-Spektrum

Der Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) steht in der Zukunft vor großen Herausforderungen. Foto: BS/benjaminnolte, Fotolia.com

Während sich Politik, die Bundesanstalt für den Digitalfunk der BOS (BDBOS) und Gremien weiterhin mit Studien und Frequenzforderungen für ein dezidiertes BOSBreitbandfunknetz und/oder eine Hybridlösung befassten, ergriff die Polizei im Bund und in fast allen Ländern mit Einzelinitiativen das Heft des Handelns und deckt seither ihren Bedarf an Breitbandfunkversorgung durch Mitnutzung des kommerziellen Mobilfunks auf unterschiedliche Weise. Im Einsatz sind verschiedene Polizei-Messenger zum Austausch von Kurznachrichten, Notizen, Checklisten, Dienstanweisungen und Einsatzplänen sowie Apps zur Übermittlung von digitalen Bildern und

Weiterentwicklung bis 2030 Ziel seiner Bundesanstalt sei es, bis 2030 von den Netzen des Bundes hin zu einem Informationsverbund der öffentlichen Verwaltung (IVÖV) zu kommen. Dabei gehe es vor allem um die strategische Gestaltung der Weitverkehrsnetze und eine übergreifende Kooperation unterschiedlicher Akteure. Geschaffen werden solle ein Netzverbund zwischen Nutzern in verschiedenen Einrichtungen einerseits und Anbietern beziehungsweise Betreibern von IT-Diensten andererseits. Dabei sei die Schaffung von Netzübergängen von besonderer Bedeutung. Als strategische Ziele des IVÖV identifizierte Ge­ genfurtner die Verbesserung der digitalen Zusammenarbeit von Bund und Ländern sowie die

Ursächlich für die Fokussierung der BDBOS auf das Spektrum im 450-MHZ-Bereich und den jahrelangen Kampf war primär die Enttäuschung über die unzureichende Berücksichtigung des Frequenzbedarfs der BOS im Rahmen der digitalen Agenda II. Während 2 x 30 MHz des 700-MHz-Bandes im Wege der Versteigerung an die kommerziellen Mobilfunkbetreiber gingen und die 15 MHz umfassende Duplexlücke (738-753 MHz) des Bandes für den drahtlosen Netzzugang als Supplementary Downlink (SDL) bereitgestellt wurde, verblieben für die BOS lediglich 2 x 8 MHz. Dass die Hälfte der den BOS zugestandenen Frequenzen zudem noch in problematischen Bandlagen (Guardbands) liegt, verstärkte die Unzufriedenheit und zugleich die Suche nach Wegen, die Frustration wieder loszuwerden. Dabei waren allen politisch Beteiligten die Kompatibilitätsprobleme des zur Disposition stehenden “MiniSpektrums” im 450-MHz-Bereich mit den im 700-MHz-Bereich zuge-

teilten Frequenzen, die mangelnde Interoperabilität der deutschen Lösung mit anderen europäischen Ländern und insbesondere deren geringe Eignung für Anwendungen mit hohen Datenraten wie etwa Videoübertragung hinreichend bekannt. Nachdem sich jedoch der Bundesinnenminister persönlich die Forderungen nach den Frequenzen im 450-MHz-Bereich für die BOS zu eigen gemacht hatte, waren Bedenken und Kritik aus Reihen der BOS nur noch hinter vorgehaltener Hand zu vernehmen. Insoweit überrascht es nicht, dass nun weite Kreise der BOS die Entscheidung der künftigen Frequenznutzung im 450-MHzBereich mit Erleichterung zur Kenntnis genommen haben.

Weichenstellungen für die Zukunft Enttäuschung und Erleichterung sind Emotionen, die es schnellstmöglich zu überwinden gilt. Gefragt sind Weichenstellungen für die Zukunft. Zukunftsfähig werden aber nur Lösungen sein, die das sich abzeichnende Ende des heutigen BOS-Digitalfunks im nächsten Jahrzehnt berücksichtigen. Lösungsansätze finden sich in den vorliegenden Studien und Handlungsempfehlungen. Dessen ungeachtet sollte aber auch die rasant fortschreitende technologische Entwicklung zum Beispiel im Bereich der Satellitenkommunikation nicht außer Acht bleiben. Sie verspricht neue Aspekte und Möglichkeiten. Die derzeitige föderale Vielfalt der Mitnutzung des kommerziellen Mobilfunks bedarf im Interes-

se des notwendigen gemeinsamen Handelns zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit einer Justierung. Aufbauend auf den bei den verschiedenen BOS-Organisationen bislang gewonnenen Erfahrungen ist eine operative und technologische Harmonisierung und Standardisierung der Mitnutzung des kommerziellen Mobilfunks geboten. Bei der BDBOS sollte eine entsprechende Koordinierungsplattform eingerichtet werden. Zudem ist es geboten, dass Bund und Länder nunmehr zeitnah eine Entscheidung über die Planung und den Aufbau eines BOS-Breitbandnetzes auf der Basis der zugeteilten Frequenzen im 700-MHz-Bereich und die Umsetzung der von der BDBOS entwickelten Hybridstrategie der Mitnutzung kommerzieller LTENetze treffen. Allerdings ist ein Beschluss ohne Absicherung der Finanzierung Makulatur. Für den Fall, dass Bund und Länder aus finanziellen oder anderen Gründen keine Entscheidung über die Planung und den Aufbau eines dezidierten BOSBreitbandnetzes treffen, ist die Beauftragung eines kommerziellen Mobilfunkbetreibers mit dem Betrieb der den BOS im 700-MHz-Bereich zugeteilten Frequenzen unter Berücksichtigung der Netzabdeckung und Verfügung auszuloten. Von den zugeteilten 2 x 8 MHz sind 2 x 3 MHz Teil des standardisierten Bands 20 und könnten kurzfristig in Kooperation mit kommerziellen Netzbetreibern zum Einsatz gebracht werden. Gleiches gilt für

Herausforderung Corona

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o habe die BDBOS etwa die Lastverteilung verbessern müssen, so ihr Präsident An­ dreas Gegenfurtner. Zudem sei es darum gegangen, die neuen Formen der Kommunikation abzusichern. Außerdem habe es höhere Bandbreiten der Datenleitungen sowie größere Kapazitäten für Telefonie gebraucht. Des Weiteren seien nahezu aus dem Stand heraus mehr Einwahl- und Verbindungsknoten in den Netzen des Bundes notwendig geworden, die Conferencing-Kapazitäten hätten sich vervielfacht und der BDBOS sei es gelungen, eine neue Videokonferenzplattform (“BDBOS Meeting Plattform”) zu platzieren. Bei alledem hätten sich die Netze des Bundes, für die die BDBOS seit vergangenem Jahr die Betriebsverantwortung trägt, als sehr sicher und leistungsstark erwiesen. Dies gelte insbesondere für das Kerntransportnetz, unterstrich Gegenfurtner.

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BDBOS musste in Pandemielage vieles ändern (BS/Marco Feldmann/Gerd Lehmann) Die Corona-Pandemie wirkte sich auch auf die Arbeit in der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) aus. Denn durch sie waren deutlich mehr Verwaltungsmitarbeiter in Bund und Ländern im Homeoffice tätig. Dadurch veränderten sich Kommunikationsgewohnheiten teils massiv. Darauf galt es zu reagieren. Stärkung der Netzinfrastruktur. Außerdem solle den Bundesländern im Sinne einer Opt-inLösung das Angebot unterbreitet werden, ihre Netze dann an das Basisnetz des IVÖV anzuschließen. Betreiber des Basisnetzes wäre dann die BDBOS. Erste Bundesländer sollen bereits informell Interesse an diesem Ansatz bekundet haben, so Ge­ genfurtner auf der diesjährigen PMRExpo, die Corona-bedingt ausschließlich digital und mit deutlich weniger Ausstellern als in der Vergangenheit stattfand. Neben den Projekten Netze des Bundes und Weiterentwicklung zum IVÖV begleitet die BDBOS mit einer eigenen Fachgruppe die Deutsche Bahn bei der Objektfunkertüchtigung bestimmter Bahnhöfe und Tunnel. Hier bestehe Handlungsbedarf, da dort die Versorgung mit Digitalfunk aufgrund der baulichen Voraussetzungen nicht immer der des Freifeldes entspräche. Und das, obwohl es sich um Einsatzorte der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) handele, so der Leiter der entsprechenden BDBOS-Fachgruppe, Dirk Kleinbauer. Die meisten als unterversorgt identifizierten Bahnhöfe und Tunnel, es handele sich um mehrere hundert, sollen 2021 und 2022 ertüchtigt werden. Eine gewisse Eile ist auch geboten. Denn die finanziellen Mittel stehen nur bis 2024 zur Verfügung. Die gute Nachricht ist dabei laut Klein­ bauer aber: Rund ein Sechstel

Der Präsident der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS), Andreas Gegenfurtner, lobte die Netze des Bundes in Zeiten der Corona-Pandemie und ging auf das Ziel eines Informationsverbundes der öffentlichen Verwaltung (IVÖV) ein. Foto: BS/BDBOS, Wilke

der als defizitär ausgemachten Einrichtungen seien bereits ertüchtigt.

Künftig noch mehr ­Verknüpfung Für den erfolgreichen Einsatz und Betrieb von einsatzkritischer Kommunikation seien Interoperabilität und einsatzkritischer Service jedenfalls von entscheidender Bedeutung, unterstrich der Geschäftsführer der Arico Technologies, Harald Ludwig. Wünschenswert ist laut Tobias Ehret, Key Account Manager der Motorola Solutions GmbH für die BOS in Deutschland und Luxemburg, zudem eine entsprechende intelligente Kooperation zwischen einem Smartphone und dem einsatzkritischen Funkgerät

in mehreren Phasen der technologischen Entwicklung. Dabei handele es sich allerdings noch um eine Vision. André Berninger von der Schweizer Huber+Suhner AG geht es um einen ganzheitlichen Ansatz für die Konnektivität in kritischen Kommunikationsanwendungen. Das Unternehmen ist ein international führender Hersteller und Anbieter von Komponenten und Systemen für elektrische und optische Konnektivität. Um entsprechende Lösungen für eine sichere Kommunikation zu schaffen, konzentriert sich die Firma auf die Kombination von Produkten aus den drei Technologien Hochfrequenz, Glasfaser und Niederfrequenz. Die nahtlose Interoperabilität zwischen Benutzern von PMR-

Systemen (Professional Mobile Radio) sowie von 5G-, 4G- und 3G-Mobilfunknetzen sichert der Motorola Solutions BreitbandPTT-Dienst. Laut Alexander Ja­ kobi von der pei tel Communications GmbH ist die cloudbasierte WAVE PTX Breitband-Push-toTalk (PTT)-Gruppenkommunikation eine standardkonforme und zukunftssichere 3GPP-Lösung. Die Lösung verbinde Teams in Echtzeit und biete neue Multimediakommunikation einschließlich Live-Video-Streaming. Derweil ist das integrierte Kompaktsystem ACCESSNET®-T IP SMART von Hytera auf die Bedürfnisse von Anwendern zugeschnitten, deren Einsatzszenarien außerhalb der Anwendungsfelder der öffentlichen Sicherheit liegen. Es sei eine optimale Grundlage für Distributions- und Systempartner, um eine maßgeschneiderte Kommunikationslösung zu ermöglichen, meinte Thomas Conrath von der Hytera Mobilfunk GmbH. Die CONET Unified Communications Radio Suite (UCRS) zeichne sich durch ein hohes Maß an Integrationsfähigkeit, Verfügbarkeit und Resilienz aus, erläuterte der Geschäftsführer der CONET Communications GmbH, Michael Exner. Mit ihr werde die Leitstelle zum prozessgesteuerten Kommunikationszentrum mit übersichtlicher Benutzeroberfläche für alle Einsatzbereiche in Sicherheit, Koordination, Katastrophenschutz und Schadenslagen. Andreas Biehler von CommScope wiederum machte den

die 2 x 5 MHz, die als Band 68 ebenfalls für LTE/5G standardisiert sind. Um Kommunikation auch in Gegenden außerhalb der Reichweite von terrestrischen Netzen zu ermöglichen, ist die Nutzung von Satellitenplattformen (festnetzgestützt und mobil) vorzusehen und soweit als möglich vorzubereiten. Der über die bereits zugeteilten Frequenzen hinausgehende Bedarf der BOS muss im Rahmen der in den kommenden Jahren anstehenden Frequenzzuteilungen gesichert werden. Dabei ist stets das sich abzeichnende Ende der Koexistenz von Schmalbandsystemen und Breitbandnetzen im nächsten Jahrzehnt zu berücksichtigen. Im Fokus der Frequenzsicherung sollte der technisch und wirtschaftlich besonders geeignete 600-MHzBereich stehen. Dieser Bereich wird weltweit für Mobilfunk und mobile Breitbanddienste mit LTE/5G standardisiert und in Deutschland im Rahmen der Dividende III vergeben.

Network Slicing ist Option für BOS Die BOS haben einen sehr individuellen Kommunikationsbedarf. Dies umfasst insbesondere die Faktoren Datenraten, Geschwindigkeiten, Kapazitäten und Verfügbarkeit. Der Kommunikationsstandard 5G bildet mit Network Slicing eine Grundlage für die Befriedigung individueller Anforderungen. Network Slicing erlaubt es Mobilfunkbetreibern, ihre Infrastruktur oder Teile davon anwendungsbezogen und auf Abruf bereitzustellen – als eigenes Netz mit besonderen Eigenschaften, beispielsweise einer zugesicherten Datenkapazität oder Reaktionszeit (Latenz). Network Slicing wäre allein schon aus Kostengründen eine Option für die BOS. Insoweit erscheint eine neutrale und ergebnisoffene Prüfung der Vor- und Nachteile einer solchen Lösung empfehlenswert.

Unterschied eines Metropolenkonzeptes zu einem normalen optischen Verteilsystem deutlich und stellte die besonderen Herausforderungen für eine reibungslose Realisierung dar.

Bislang noch in eigenen ­Netzen unterwegs Bernhard Klinger, Vice President Geschäftsentwicklung der Hytera Mobilfunk GmbH, zeigte Wege auf, wie das Potenzial von Breitbanddiensten für Anwender im professionellen Mobilfunk zukünftig verfügbar gemacht werden könnte. Die hybriden Kommunikationslösungen von Hytera ermöglichten eine benutzerfreundliche Migration zu Breitband, welche sich an den jeweiligen Anforderungen und Bedürfnissen der Kunden orientiere. Bislang finde einsatzkritische Kommunikation noch in eigenen Netzen und auf eigenen Frequenzen und nicht in kommerziellen Netzen statt. Es sei zwar noch einiges zu tun, bis kommerzielle Netze durch die BOS genutzt werden könnten. So bräuchte es noch Verträge über Vorränge für die BOS, die flächendeckende Funkversorgung, die geografische Funkreichweite oder Nutzungsgebühren. Zudem müssten kommerzielle Mobilfunknetzbetreiber rechtlich verpflichtet werden, einsatzkritische Nutzer stärker zu unterstützen, findet Klinger. Über kurz oder lang werde es aber dazu kommen, dass die BOS kommerzielle Netze mitbenutzen. Denn mobile einsatzkritische Breitbanddienste würden für sie immer wichtiger. Und auch die 5G-Technologie gewinne zunehmend an Bedeutung, ergänzte Axel ­Kukuk, Vorstandsmitglied im Bundesverband Professioneller Mobilfunk e. V. (PMeV) und Vertriebsleiter für Deutschland, Österreich, Schweiz und Luxemburg bei Motorola Solutions.


Innere Sicherheit

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Berlin reformiert Polizeirecht

G

esetzeskraft erlangen soll die neue Vorschrift spätestens Anfang kommenden Jahres. Ihr zufolge soll der Einsatz der Körperkameras bei Gefahr für Leib und Leben, allerdings beschränkt auf den öffentlichen Raum, erfolgen. Andere Bundesländer, wie etwa Hessen, erlauben die Verwendung der Geräte hingegen auch in Wohnungen, zum Beispiel bei Einsätzen wegen häuslicher Gewalt. In der Bundeshauptstadt sollen die Bodycams auch dann genutzt werden, wenn ein Polizeibeamter unmittelbaren Zwang anwendet oder der von einer polizeilichen Maßnahme betroffene Bürger die Aufzeichnung ausdrücklich verlangt. Bei Feuerwehr und Rettungsdienst könne die Nutzung von Kameras auf zwei Wegen erfolgen, heißt es aus der Senatsinnenverwaltung. Entweder könnten die Geräte von den Einsatzkräften zur Eigensicherung unmittelbar am Körper getragen werden. Alternativ sei – wie bisher – auch eine Aufnahme aus dem Einsatzfahrzeug heraus möglich. Wie viele Geräte Polizei und Feuerwehr, wo die Bodycams aller Wahrscheinlichkeit nach eher im Rettungsdienst als bei der Brandbekämpfung Verwendung finden werden, exakt erhalten, steht noch nicht fest.

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Beamte sollen Körperkameras erproben (BS/Marco Feldmann) Nach langen politischen Diskussionen novelliert nun auch Berlin sein Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG). Damit gehen nicht nur Veränderungen für Polizeibeamte einher, sondern auch für die Beschäftigten der Feuerwehr in der Bundeshauptstadt. So sollen auch sie – neben den Polizisten – mit Bodycams ausgestattet werden und diese drei Jahre lang testen.

Bitte keine Allzuständigkeit

Mehr gesetzliche Klarheit Des Weiteren ist in dem Gesetzesvorhaben, das die erste Lesung sowie eine Expertenanhörung im Abgeordnetenhaus bereits durchlaufen hat, eine Legitimationsund Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte enthalten. Eine solche Verpflichtung existiert in der Bundeshauptstadt zwar bereits, allerdings bislang nur als Dienstanweisung und nicht in expliziter Gesetzesform. Generell enthalte der Entwurf des neuen ASOG zudem mehrere bereichsspezifische Standardmaßnahmen. Sie seien derzeit im noch geltenden Gesetz noch nicht explizit enthalten. Vielmehr werde sich diesbezüglich auf die polizeiliche Generalklausel gestützt, ist aus der Innenverwaltung zu vernehmen. Dies gelte etwa für Gefährderansprachen und -anschreiben sowie die Verhängung von Meldeauflagen.

Berlins Polizisten müssen sich in ihrem Einsatz- und Arbeitsalltag auf neue Regelungen einstellen. Dabei werden nicht nur Befugnisse erweitert, sondern teilweise auch wieder beschnitten. Foto: BS/Thomas Quine

Kritiker hierin ein Problem für die polizeiliche Handlungsfähigkeit. Denn in erster Linie an diesen kriminalitätsbelasteten Orten sind verdachtsunabhängige Identitätsfeststellungen zulässig. Gesetzlich weiterhin ungeregelt bleibt in Berlin darüber hinaus der finale Rettungsschuss, obwohl sich Innensenator Andreas Geisel (SPD) in den parlamentarischen Beratungen sehr für eine Aufnahme in das neue ASOG einsetzte. Er konnte sich jedoch nicht gegen die Koalitionspartner von Grünen und Linkspartei durchsetzen.

schimpft: “Das Vorhaben der rot-rot-grünen Koalition ist eine Einladung an Verbrecher, nach Berlin zu kommen. Damit wird der Rechtsstaat nicht gestärkt, sondern weiter beschnitten. Es ist eine Verschlechterung des Polizeirechts geplant.” Dregger bemängelt unter anderem, dass keine Befugnisnorm für eine Quellen-TKÜ, sondern nur für eine analoge TKÜ vorgesehen ist. “Das ist lebensfremd, unsinnig im Sinne der Gefahrenabwehr und hat mit einer Modernisierung des Polizeirechts überhaupt nichts zu tun”, wird

tel zur Verhinderung terroristischer Anschläge”. Schränke man sie ein, gehe damit ein “Minus an Sicherheit” einher. Kritisch sieht er außerdem die künftig vorgesehene Pflicht der Berliner Polizei, die Zahl sowie die ungefähre räumliche Ausdehnung kriminalitätsbelasteter Orte zu benennen. Der Christdemokrat fordert die Aufnahme der Möglichkeit zur Schleierfahndung sowie zur Videoaufklärung in das neue Gesetz. Zudem verlangt er, den finalen Rettungsschuss rechtssicher zu regeln und das DEIG nicht mehr als Schusswaf-

Keine Quellen-TKÜ möglich Gänzlich neu geschaffen wird die gesetzliche Grundlage für eine präventive Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) durch die Polizei Berlin. Sie sei künftig, sofern das Gesetzesvorhaben in dieser Fassung verabschiedet wird, auch zur Abwehr terroristischer Straftaten zulässig. Bezogen auf solche Taten finde außerdem eine Gefahrenvorfeldverlagerung statt, heißt es aus der Verwaltung. Allerdings ist die Befugnisnorm zunächst auf vier Jahre befristet und soll dann evaluiert werden. Begründet wird dies mit dem erheblichen Grundrechtseingriff, der vorgenommen werde. Eine Quellen-TKÜ ist jedoch nicht vorgesehen. Außerdem muss jede TKÜ-Anordnung vor Gericht durch die Polizeipräsidentin oder ihre Vertretung im Amt beantragt werden. Damit ist die Beantragungsbefugnis für dieses Instrument in der Behördenhierarchie recht weit oben angesiedelt.

Nicht nur Erweiterungen Neben diesen Neuerungen sind aber auch Beschränkungen für die Polizei zu konstatieren. So soll etwa die zulässige Höchstdauer des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams von vier Tagen auf 48 Stunden verkürzt werden. Zudem wird die Landespolizei verpflichtet, die Zahl sowie die ungefähre örtliche Ausdehnung sogenannter kriminalitätsbelasteter Orte zu nennen. Auch wenn keine adressgenaue Bezeichnung notwendig ist, sehen

rere Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Deren Ausgang hätte abgewartet werden sollen, meint Mihalic. Dabei war sie sich mit Stephan Thomae (FDP), Mitglied im Innenausschuss des Deutschen Bundestages, einig. Denn sowohl bei der Online-Durchsuchung als auch bei der QuellenTKÜ handele es sich um massive Grundrechtseingriffe, kritisierte der Freidemokrat.

Diskutierten bei “Digitaler Staat Online” des Behörden Spiegel über eine Reform des Bundespolizeigesetzes (im Uhrzeigersinn): Dr. Irene Mihalic, R. Uwe Proll (Moderator), Michael Brand, Ute Vogt, Jörg Radek und Stephan Thomae.

Ebenfalls unverändert bleiben soll die Einstufung des Distanzelektroimpulsgerätes (DEIG). Dieses ist in der Bundeshauptstadt als Schusswaffe nach den Ausführungsvorschriften des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang eingestuft. Es darf gegenüber Personen weiterhin nur dann eingesetzt werden, wenn auch die Nutzung der Schusswaffe statthaft wäre. Für den Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern ist schließlich ein weitgehender vorheriger Richtervorbehalt geplant.

“Verschlechterung des Polizeirechts” Aus der Opposition kommt massive Kritik am Gesetzentwurf. Der Innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger,

Screenshot: BS/Feldmann

er sehr deutlich. Aus seiner Sicht sollte zudem die analoge TKÜ in Zukunft auch gegen Angehörige der Organisierten Kriminalität (OK) anwendbar sein und nicht nur – wie bislang vorgesehen – gegen terroristische Gefährder. Dregger kritisiert darüber hinaus, dass der Einsatz von Körperkameras auch in Zukunft nicht in Wohnungen erlaubt sein soll. Das sei angesichts des Gefährdungspotenzials für die eingesetzten Beamten bei Alarmierungen wegen häuslicher Gewalt, die im Zuge der Corona-Pandemie deutlich zugenommen hätten, ein Fehler. Gleiches gelte für die Verkürzung der Höchstdauer des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams. Denn bei diesem In­strument handele es sich – ebenso wie bei der elektronischen Fußfessel – um ein “probates Mit-

fe, sondern als Hilfsmittel körperlicher Gewalt zu klassifizieren.

Bundespolizeigesetz soll reformiert werden Noch nicht ganz so weit wie Berlin ist der Bund. Hier wurde und wird zwar schon seit Jahren über eine Novellierung des Bundespolizeigesetzes diskutiert. Denn nach über 25 Jahren, die letzte Reform der Norm erfolgte 1994, sind einige Bestimmungen schlicht nicht mehr zeitgemäß. Wegen Vorbehalten und Beharrungskräften wurde eine Reform allerdings immer wieder auf die lange Bank geschoben. Nun haben sich die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD auf einen Kompromissvorschlag geeinigt. So soll die Zuständigkeit der Bundespolizei im Bereich der Verfolgung unerlaubten Auf-

enthalts auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet werden. Bislang ist die Bundespolizei hier nur in einem Umkreis von 30 Kilometern zur Bundesgrenze zuständig. Zudem soll sie künftig auch für die Verfolgung von Verbrechenstatbeständen bei Eigentumsdelikten, also etwa bandenmäßig begangenen Diebstählen oder Raubtaten, zuständig sein. Und ihr soll das Instrument der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) zugestanden werden. Letzteres soll allerdings nur zur Bekämpfung von Menschenhandel und Schleuserkriminalität erlaubt werden. Zugleich wird der Radius der Schleierfahndung durch die Bundespolizei nicht erweitert und sie erhält auch keine Befugnisnorm für OnlineDurchsuchungen oder elektronische Gesichts-, Verhaltens- und Kennzeichenerfassung. Hier sei die Technik noch nicht genügend ausgereift. Zudem wollten die Sozialdemokraten keine flächendeckende Gesichtserkennung in Deutschland, so Ute Vogt, Innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. CDU und CSU hätte sich hingegen bei den Themen QuellenTKÜ und Online-Durchsuchung noch mehr vorstellen können, unterstrich der Berichterstatter für die Bundespolizei der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Michael Brand, im Rahmen einer Online-Diskussionsrunde bei “Digitaler Staat Online” des Behörden Spiegel. Nun gelte, so Brand: “Es gibt bei diesem Kompromiss mehr Licht als Schatten.”

Vorschnell gehandelt? Die Innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Dr. Irene Mihalic, zeigte sich skeptisch gegenüber dem nun vorliegenden Eckpunktepapier. Denn die Bundespolizei sei bereits seit Jahren personell massiv unterbesetzt, weshalb unklar bleibe, wer die neu vorgesehenen Bundespolizeiaufgaben wahrnehmen sollt. Außerdem sei die Befugnis zur Quellen-TKÜ zur Gefahrenabwehr vorschnell aufgenommen worden. Denn gegen dieses Instrument seien bereits für den Bereich der Strafverfolgung meh-

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, hält das Eckpunktepapier für einen Schritt in die richtige Richtung, auch wenn er einzelne Probleme sieht. So sei die Bundespolizei eine Sonderpolizei des Bundes. Dies müsse sich auch in Zukunft in ihren Zuständigkeiten widerspiegeln. Das Eckpunktepapier reize diesbezüglich das aus, was aus seiner Sicht gerade noch zulässig ist. Als problematisch betrachtet Radek die geplante neue Allzuständigkeit der Bundespolizei für die Außerlandesbringung von Ausländern. Hier könnte es zu Konflikten mit den Ländern, spätestens im Bundesrat, kommen. Brand widersprach. Es werde in diesem Bereich keine Allzuständigkeit der Bundespolizei geben. Und auch Vogt prognostizierte: “Die Bundespolizei wird nicht zur Abschiebepolizei werden.” Als positive Inhalte des Eckpunktepapiers stellte der Gewerkschafter Radek die Möglichkeit zur Anordnung von Meldeauflagen durch die Bundespolizei, etwa zur Sicherstellung von Ausreiseuntersagungen gegen gewaltbereite Fußballhooligans, sowie die Verpflichtung von Deutscher Bahn und Flughafenbetreibern zur unentgeltlichen Bereitstellung von Diensträumen heraus. Das seien “deutliche Entlastungen für die Kolleginnen und Kollegen”. Auch die Sozialdemokratin Vogt unterstrich: “Es geht mit dem Eckpunktepapier darum, die praktische Polizeiarbeit zu erleichtern.” Die Inhalte des Dokuments seien auch bereits mit ersten Ländervertretern abgestimmt. Der entsprechende Gesetzentwurf werde wohl Anfang kommenden Jahres vorliegen und solle noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden, sagte sie voraus.

MELDUNG

Gefährliche Gruppe (BS/mfe) In Hamburg präsentiert sich in den Sozialen Netzwerken eine zuvor unbekannte, gefährliche Gruppe namens “Muslim Interaktiv”. Sie weist nach Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) eine Nähe zur islamistischen Bewegung Hizb ut-Tahrir auf. Diese ist in Deutschland seit 2003 mit einem Betätigungsverbot belegt. “Muslim Interaktiv” ist auf Facebook, Instagram und YouTube aktiv. Auf Instagram hat sie derzeit rund 4.000 Abonnenten. Bei Aktionen in der Realwelt, etwa Protesten vor Botschaften, sind meist rund 100 Personen aktiv. Zielgruppe der Gruppierung sind vor allem junge Muslime, die in der Bundesrepublik leben. Die Organisatoren und Unterstützer kommen nach LfVErkenntnissen aus Hamburg. Die Videos von “Muslim Interaktiv” werden zumeist vor Kulissen in der Hansestadt aufgenommen. Aktiv ist die Gruppe aber unter anderem auch in Berlin. Ziel ist es, Muslime öffentlich als vermeintliche Opfer staatlicher Repression darzustellen und die angeblich vorherrschende, generelle Islamfeindlichkeit des Westens zu unterstreichen.


SONDERBEILAGE des Behörden Spiegel zum 70-jährigen Bestehen des Technischen Hilfswerks Berlin und Bonn / Dezember 2020

70 Jahre Bundesanstalt Technisches Hilfswerk Ein Blick nach vorn (BS/Gerd Friedsam) Das Technische Hilfswerk (THW) ist eine außergewöhnliche Organisation, weil seit sieben Jahrzehnten die “Faszination Helfen” im Mittelpunkt steht. Gemeinsam engagieren sich unsere Ehren- und Hauptamtlichen seit 1950 mit Leidenschaft im THW, um Menschen in Not zu helfen. Die jährlich mehr als 10.000 Einsätze und Hilfeleistungen nach Hochwasser, Unwetter, Explosionen oder bei Großbränden sprechen für sich. Als vertrauensvoller Partner im Bevölkerungsschutz unterstützt das THW als Einsatzorganisation des Bundes außerdem seit dem 2. Februar täglich Bund, Länder und Kommunen während der Corona-Pandemie. Eine Krise, die bis heute immer noch nicht überwunden ist. Gerade hierbei wird deutlich, wie wichtig die Hilfe des THW ist. Dies bestärkt uns, auch weiterhin der Logistik besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

A

us meiner persönlichen Erfahrung zeichnet sich das THW durch seine Vielfalt und das besondere Engagement unserer Ehren- und Hauptamt­ lichen aus. Seit 70 Jahren leisten die Frauen und Männer großartige und vorbildliche Arbeit. Meist stehen technisch-logistische und humanitäre Hilfe bei Katastrophen oder großen Unglücksfällen im Vordergrund, sowohl in Deutschland als auch im Ausland. Seit seiner Gründung war das THW in mehr als 140 Ländern weltweit im Einsatz oder nahm an Übungen teil. Wenn Schicksalsschläge die Schlagzeilen der Medien bestimmen, ist die Anfrage an das THW meistens schon erfolgt und die Einsatzkräfte sind startbereit. Rund 80.000 freiwillige Helferinnen und Helfer in 668 Ortsverbänden sind für das THW aktiv. Hinzu kommen rund 1.800 hauptamtlich Beschäftigte, die sich täglich in der Ausbildung, bei Beschaffungen und in der Verwaltung für die Ehrenamtlichen einsetzen. Nach der Gründung 1950 war das Rhein-Hochwasser 1952 der erste große Einsatz des noch jungen THW. Bereits ein Jahr später eilten THW-Helfer nach der großen Springflut in den Niederlanden zu Hilfe. Bis zu diesem Zeitpunkt war es unvorstellbar, dass nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Einsatzkräfte im Ausland tätig werden. Es folgten unter anderem Einsät-

ze an der Nordseeküste bei der Sturmflut 1962 in Hamburg. Dies war ein Unglück von unvorstellbarem Ausmaß mit 300 Todesopfern. Hierbei sind weite Landstriche von Hamburg und Schleswig-Holstein praktisch von den Fluten überrollt worden. Auch beim Grubenunglück 1963 in Lengede leisteten THWHelfer technische Hilfe. Einer von vielen wichtigen Einsätzen im Ausland führte das Technische Hilfswerk in den Jahren 1974 bis 1976 nach Äthiopien. Bei der dortigen Dürrekatastrophe lieferte das THW technische Ausrüstung, errichtete Gesundheitsstationen und baute Straßen sowie Wasserstellen. Eindrücklich habe ich noch das Erdbeben im Jahr 1988 in Armenien in Erinnerung. Damals gehörte ich selbst dem THW-Team an, das mit anderen internationalen Einsatzkräften in Spitak und Leninakan, dem heutigen Gjumri, dringend benötigte Hilfe leistete.

Herausforderungen während der Pandemie Aber wo geht die Reise hin? Dieses Jahr hat uns mit dem Einsatz in der Corona-Pandemie vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Das THW hat in den vergangenen Monaten bei der zentralen Verteilung von Schutzausstattung eine tragende Rolle gespielt. Die Verzahnung aller Ebenen der Gefahrenabwehr hat sehr gut funk-

Gerd Friedsam gehört der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk seit dem Jahr 1986 an und ist seit 2020 ihr Präsident. Foto: BS/Bildkraftwerk/Kurc

tioniert. Seit März übernimmt das THW zum Beispiel die Logistik für die Bundesverwaltung sowie für Bayern und Schleswig-Holstein. Außerdem unterstützen wir bundesweit Krisenstäbe, versorgen Menschen mit lebensnotwendigen Dingen und leisten technische Unterstützung wie unter anderem beim Aufbau von Behelfskrankenhäusern und Teststellen. Besonders in der aktuellen Lage ist für das Ehrenamt ein intaktes

Miteinander in den Ortsverbänden wichtig. Verstärkt bieten wir daher nun Möglichkeiten an, interne Ausbildungsdienste, Lehrgänge und Treffen virtuell durchzuführen. Durch unsere flächendeckende Präsenz sind wir bestens in den Zivil- und Katastrophenschutz sowie in die tägliche Gefahrenabwehr von Bund, Ländern und Kommunen integriert. Aus diesem Grund bieten wir den Ländern und Kommunen unsere Expertise beim Aufbau und

Betrieb der Impfzentren an. Hier können wir mit unseren Fachkompetenzen unterstützen, um einerseits Zentren aufzubauen und zu betreiben, aber auch andererseits bei der Verteilung der Impfdosen zu helfen.

Vorbereitet auf neue Szenarien Das THW muss immer wieder überprüfen, ob das Leistungsspektrum den aktuellen Anforderungen entspricht. Mit seinen ehren- und hauptamtlichen Einsatzkräften ist das THW sehr gut aufgestellt und deckt mit deren technisch-logistischer Expertise ein vielfältiges Spektrum ab. Denn neben Pandemien bedrohen Naturgefahren sowie Störungen und Schäden an der Infrastruktur das Leben von uns allen. Auch der Klimawandel führt dazu, dass das THW sich auf immer neue Aufgaben einstellen muss. Die Gesellschaft wird zunehmend vernetzt und ist entsprechend anfällig für Angriffe auf ihre Infrastruktur. Deshalb wird es immer wichtiger, sich auf mögliche Schäden an ihr vorzubereiten. Auch auf einen möglichen deutschlandweiten “Blackout” bereitet sich das THW vor. Mit Blick auf solche Szenarien bauen wir die Kompetenzen des THW kontinuierlich aus. Ebenso gehören die technische Hilfe sowie die Unterstützung in den Bereichen Führung/

Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk im Überblick

GRÜNDUNGSDATUM

Gegründet am 22. August 1950 durch Otto Lummitzsch im Auftrag des Bundesinnen­ministeriums.

EHRENAMTLICHE HELFERINNEN UND HELFER

Knapp 80.000 ehrenamtliche THW-Angehörige, davon etwa 16.000 Jugendliche. Mehr als 12.000 THW-Angehörige sind Mädchen und Frauen.

HAUPTAMTLICHES ­P ERSONAL

Rund 1.800 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zusätzlich gibt es bis zu 2.000 Bundesfreiwilligendienst-Plätze pro Jahr. Das entspräche rund fünf Prozent des THW-Personals.

STRUKTUR

Das THW untergliedert sich in: 668 Ortsverbände, 66 Regionalstellen, 8 Landesverbände: ٠ Baden-Württemberg (BW), ٠ Bayern (BY), ٠ Berlin, Brandenburg, ­Sachsen-Anhalt (BE/BB/ST), ٠ Bremen, Niedersachsen (HB/NI), ٠ Hamburg, Mecklenburg-­ Vorpommern, SchleswigHolstein (HH/MV/SH),

٠ Hessen, Rheinland-Pfalz, ­Saarland (HE/RP/SL), ٠ Nordrhein-Westfalen (NW), ٠ Sachsen, Thüringen (SN/TH). THW-Leitung in Bonn, ٠ Logistikzentrum in Heiligenhaus und Zentrum für Auslandslogistik in Mainz, ٠ Ausbildungszentren in Hoya, Neuhausen und Brandenburg a. d. H.

AUFGABEN NACH DEM THW-­G ESETZ

Technische ­Unterstützung: im Zivil- und Katastrophenschutz, im Ausland im Auftrag der Bundesregierung, bei der Bekämpfung von Katas­ trophen, öffentlichen Notständen und Unglücksfällen größeren Ausmaßes auf Anforderung der Gefahrenabwehrstellen, Beteiligung an (inter)nationalen Forschungsprojekten in den Bereichen Rettungswesen, Katas­ trophenschutz und Zivilschutz, Unterstützungsleistungen, die das THW durch Vereinbarung übernommen hat.

EINSATZOPTIONEN IM INLAND (AUSWAHL):

Technische Hilfe: Orten, Retten, Bergen,

Räumen und Sprengen, Bekämpfen von ­Überschwemmungen, Ölschadenbekämpfung.

Führungsunterstützung: Einrichten und Betreiben von Führungsstellen, Führungsunterstützung (materiell/personell) für Bedarfsträger, Einrichten temporärer Telekommunikationssysteme. Notversorgung der Bevölkerung und Notinstandsetzung ­Kritischer Infrastrukturen: temporäre Elektro-, Treibstoffund Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung, Errichtung und technischer Betrieb von Notunterkünften. Logistik: Verpflegen von Einsatzkräften, Materialerhaltung, ­Reparaturarbeiten, Einrichten und Betreiben von Logistikstützpunkten, Material- und ­Treibstofftransport, Einrichten von großen Bereitstellungsräumen. Infrastrukturmaßnahmen: Elektroversorgung, Trinkwasserversorgung,

Treibstoffversorgung, Brückenbau, Abwasserentsorgung, Wasseranalyse.

EINSATZOPTIONEN IM AUSLAND (AUSWAHL)

Orten, Retten, Bergen, Trinkwasserversorgung, Pumpen, Wasserförderung, Humanitäre Soforthilfe, Aufbau von Flüchtlingscamps, Unterstützung bei Aufbau und Stärkung von Katastrophenschutzkapazitäten.

EINSATZEINHEITEN

Aktuell verfügt das THW über 729 Bergungsgruppen sowie 1.706 Fachgruppen, von denen 646 den Fachgruppen “Notinstandsetzung und Notversorgung” (FGr N) zuzuordnen sind. Insgesamt 713 Technische Züge sind in 668 Ortsverbänden stationiert. Bundesweit gehören rund 10.000 Fahrzeuge und Anhänger zur Ausstattung des THW. Aufgrund der einheitlichen Ausbildung und Ausstattung kann das THW seine Einheiten je nach Bedarf bundesweit zusammenführen und einsetzen. Für Auslandseinsätze, z. B. zur Unterstützung von EU- und UN-Missionen, hält das THW zudem spezielle Schnell-Einsatz-Einheiten und Module bereit.

EINSATZSCHWERPUNKTE IM AUSLAND

Auf- und Ausbau von Katastrophenschutzstrukturen in verschiedenen Ländern im Rahmen von AA oder EU geförderten Projekten, bspw. in Tunesien. Im Auftrag der EU waren 50 Kräfte der Schnell-Einsatz-Einheit Bergung Ausland (SEEBA) des THW nach der Explosion im August in Beirut im Libanon im Einsatz, ein vierköpfiges Team unterstützte die Deutsche Botschaft vor Ort. Das THW hilft verschiedenen Länder (z.B. Irak) bei der Eindämmung der CoronaPandemie und liefert dringend benötigte Schutzausstattung. Das THW unterstützt das Global Service Centre der VN (UNGSC) bei der Umsetzung von Friedensmissionen. Für die Geflüchteten in Griechenland transportierte das THW Hilfsgüter (u.a. Zelte und Feldbetten).

Die Einsatzkräfte des THW waren 2019 rund 660.000 Stunden im Einsatz.

Kommunikation und Logistik zu den Fähigkeiten des THW. Dabei werden die Einsatzoptionen des THW immer wieder an die aktuelle Gefährdungslage angepasst. Sowohl die großen als auch die kleinen Herausforderungen lassen sich im Einsatz nur mit einer großen Anzahl von Freiwilligen bewältigen. Um neue Helferinnen und Helfer zu gewinnen, hat das THW in diesem Jahr eine große Marketingkampa­ gne ins Leben gerufen. Eines unserer Ziele ist ein höherer Frauenanteil. Mit rund 12.000 ehrenamtlichen Helferinnen liegt er bislang bei etwa 15 Prozent. Neue Wege gehen wir momentan auch beim Thema Bundesfreiwilligendienst. Für diese Zielgruppe bietet das THW seit 2018 jährlich bis zu 2.000 Plätze an. Um die Bundesfreiwilligendienstleistenden (Bufdis) gezielt zu schulen, startete im Jahr 2019 das neue THW-Ausbildungszentrum in Brandenburg an der Havel seinen Betrieb. Ich bin stolz darauf, dass wir in sieben Jahrzehnten so viel Beachtliches geleistet haben. Und ich freue mich auf alles, was noch folgt. Großen Dank an alle Ehren- und Hauptamtlichen sowie die Bufdis, die das THW zu dem gemacht haben, was es heute ist.

Ich bin jetzt seit ungefähr 13 Jahren ehrenamtlich beim THW, habe erst in der Jugendgruppe mitgemacht und dann die Grundausbildung absolviert und bin jetzt als Helferin tätig. Ich bin in der Fachgruppe Infrastruktur und habe während der Corona-Pandemie den Ortsverband Köln NordWest unterstützt. Im März gab es einen richtigen Peak zu Beginn der Epidemie. Unsere Aufgabe bestand unter anderem darin, Schutzausrüstung, die wir geliefert bekommen haben, auf die verschiedenen Bereiche der Bezirksregierung Köln aufzuteilen.

Katharina Wilke, THW-Ortsverband Köln Nord-West Foto: BS/THW



70 Jahre THW

Behörden Spiegel / Dezember 2020

ehörden Spiegel: Was macht das Ehrenamt im THW Ihrer Meinung nach aus?

B

Wolfgang Lindmüller: Für mich ist die Arbeit im Team entscheidend! Beim THW hat die Zusammenarbeit einen sehr hohen Stellenwert. Ich bin jetzt seit 50 Jahren als Ehrenamtlicher Teil dieser THW-Familie und kann es mir gar nicht anders vorstellen. Ich habe durch mein Ehrenamt tolle Kameradschaft kennengelernt und viele enge Freundschaften geschlossen. Nicht zu vergessen ist aber auch die Technik: Das THW bietet die einmalige Möglichkeit, mit moderner Technik Menschen in Notsituationen zu helfen. Ein Hobby mit Mehrwert!

Die Arbeit im Team ist entscheidend! Der THW-Bundessprecher über die Arbeit der Ehrenamtlichen (BS) Mehr digitale Lernformen würden durch die Möglichkeit des selbstständigen Lernens für viele Ehrenamtliche die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt verbessern. Davon ist Wolfgang Lindmüller, ehrenamtlicher Bundessprecher des Technischen Hilfswerks (THW), überzeugt. Er setzt sich für die Belange der rund 80.000 ehrenamtlichen Kräfte ein und wurde in sein Amt für fünf Jahre gewählt. Die Fragen stellte Behörden Spiegel-Volontär Bennet Klawon.

Menschen in vergleichbarem Umfang wie vor der Pandemie für ein Ehrenamt im Katastrophenschutz interessieren. Die Zahlen beim THW haben sich wenig verändert. Unter den gegebenen Bedingungen ist es aber schwieriger, Mädchen und Jungen für die Jugendarbeit zu gewinnen. Einsatz- und pandemiebedingt müssen wir in diesem Bereich Präsens-Treffen stark einschränken. Behörden Spiegel: Es gibt eine Viel- Neue Kinder und Jugendliche lassen zahl an ehrenamtlichen Angeboten. sich aber nur schwer durch virtuelle Die Zahl der ehrenamtlichen Kräfte Aktivitäten überzeugen, der THWbeim THW ist zuletzt gestiegen. Wie Jugend beizutreten. konnten Sie Menschen für das THW motivieren? Behörden Spiegel: Bei der Stärkung des Ehrenamtes ist meistens von Lindmüller: Die “Faszination Helfen” finanziellen Anreizen die Rede. Wie steckt die Leute an, denn wir sind kann das Ehrenamt aus Ihrer Sicht attraktiv für Menschen, die offen und weiter gestärkt werden? hilfsbereit sind und sich für Technik interessieren. Dank der Unterstützung Lindmüller: Vielen Ehrenamtlides Deutschen Bundestages haben chen würde es helfen, wenn sie wir in den vergangenen Jahren zusätz- Familie, Beruf und Ehrenamt besser liche finanzielle Mittel bekommen, um miteinander vereinbaren und sich unsere Fahrzeuge und Ausstattung zu selbstständig fortbilden könnten. modernisieren sowie Unterkünfte neu Dabei würde ein umfassender Auszu bauen oder zu sanieren. Die guten bau des digitalen Lernens sehr helRahmenbedingungen motivieren die fen. Außerdem könnte die Politik Ehrenamtlichen, sich für das THW zu weitere Anreize schaffen, wenn die engagieren. THW-Dienstzeit auf die Wartezeit für einen Studienplatz angerechnet Behörden Spiegel: Konnten Sie oder den Ehrenamtlichen kostenlodurch die Corona-Pandemie einen se Fahrten im Nahverkehr ermögZuwachs an Helferinnen und Hel- licht würden. fern verzeichnen oder gestaltete sich die Werbung neuer Kräfte als Behörden Spiegel: Nachdem schwieriger? die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt wurde, wurde der Lindmüller: In den vergangenen Bundesfreiwilligendienst eingeMonaten hat sich gezeigt, dass sich führt. Haben Sie den Wegfall des

Unsere Helferinnen und Helfer sollen die Bufdis mit ihrer ­Begeisterung für das THW ­anstecken.

Wolfgang Lindmüller wurde im Jahr 2017 zum THW-Bundessprecher ­gewählt. In dieser Funktion vertritt er die Interessen und Bedürfnisse der rund 80.000 ehrenamt­lichen THWMitglieder. Foto: BS/THW, Daniel Schriek

Wehrdienstes in Ihrer Organisation desweit 80.000 Frauen und Männer beim THW. bemerkt? Lindmüller: Wir mussten uns im Jahr 2011 nach der Aussetzung der Wehrpflicht von einer Organisation mit vielen freigestellten Helfern in eine Freiwilligen-Organisation wandeln. Das haben wir inzwischen sehr gut geschafft. Es sind natürlich auch einige Helfer, die beim THW ihren Wehrersatzdienst geleistet hatten, aus dem THW ausgetreten. In den vergangenen Jahren verzeichnen wir aber einen stetigen Zuwachs bei den Ehrenamtlichen. Wir sind wieder auf einem aufsteigenden Ast. Aktuell engagieren sich bun-

Behörden Spiegel: Welche Erfahrungen konnten Sie mit den Bufdis machen? Lindmüller: Wir haben überwiegend gute Erfahrungen gemacht. Die Menschen, die für ein Freiwilliges Jahr zu uns kommen, sind meist wissbegierig und aufgeschlossen. Die wollen neue Sachen ausprobieren und eigene Projekte vorantreiben, das kommt gut an und hilft vor allem den Ehrenamtlichen in unseren Ortsverbänden. Einige der Bufdis brauchen wiederum etwas mehr Anleitung und Unterstützung,

Blaue Engel leisten seit 70 Jahren ­technisch-humanitäre Hilfe Weltweit treibende Kraft im Bevölkerungsschutz (BS/har) Die mehr als 80.000 ehrenamtlichen und hauptberuflichen Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerkes sind notwendiger denn je. Bei der Corona-Krise zum Beispiel unterstützt die Bevölkerungsschutzorganisation des Bundes Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Als am 22. August 1950 Otto Lummitzsch das THW als eine der ersten Zivilschutzeinrichtungen der jungen Bundesrepublik Deutschland gründete, geschah dies aus dem Beweggrund, eine Institution aufzubauen, die sich bis zum heutigen Tag der “Faszination Helfen” widmen sollte. 2020 feiert das THW ein rundes Jubiläum. Grund genug, um in die bewegte siebzigjährige Vergangenheit, aber auch in die mehr als herausfordernde Zukunft zu blicken. In der Zeit des Kalten Krieges und der Teilung Deutschlands auch zur Aufrechterhaltung der “Öffentlichen Sicherheit” gegründet, hat sich das THW seitdem in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt. Von Anfang an gleich geblieben ist jedoch der eigentliche Leitgedanke der Bundesanstalt: Die humanitäre Idee, die hinter den Einsätzen der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer steht. Für diesen Leitgedanken und das ehrenamtliche Engagement tritt das THW erfolgreich seit 70 Jahren ein. Im Laufe der Jahrzehnte hat es das THW dabei geschafft, sich immer wieder an die sich ändernden Herausforderungen anzupassen.

alt, was beweist, dass das THW in puncto demographischer Wandel beruhigt in die Zukunft schaut. Aber auch bei der Aufstellung ihrer Einheiten modernisieren sich die "Blauen Engel", um auf veränderte Gefahrenlagen besser reagieren zu können. Hieraus resultiert unter anderem die Schaffung der neuen Fachgruppe “Notversorgung und Notinstandsetzung” (mehr zur Fachgruppe auf Seite 60). Die Zahl von über 660.000 Einsatzstunden im Jahr 2019 – das entspricht der Dauer von mehr als 74 Jahren – unterstreicht, wie oft Ehrenamtliche und Hauptberufliche des THW zum Wohle der

Allgemeinheit ihre Frau und ihren Mann stehen. Hinzu kommen fast 400.000 Übungsstunden, die nur in der Freizeit geleistet werden. THW-Präsident Gerd Friedsam betont: “Das freiwillige Engagement sowie die enorme Leidenschaft für technisch-humanitäre Hilfe und die hohe Professionalität machen das THW heute zu einer in jeder Beziehung einzigartigen Organisation.” Bei den Einsätzen des THW steht die technisch–logistische Hilfe im Vordergrund. Kernbereiche umfassen Arbeiten auf dem Wasser, Notstrom- und Beleuchtung, Hochwasserbekämpfung, Trinkwasserversorgung, Verschütteten-

Menschen helfen Menschen Die Zahlen im Jahresbericht 2019 zeigen, dass das THW seit einigen Jahren von einem positiven Aufwärtstrend profitiert. Bundesweit gab es bei den Ehrenamtlichen 6.000 Neueintritte und es wurden weniger Austritte als im Vorjahr verbucht. Dabei ist das THW eine Gemeinschaft aller Generationen und Geschlechter, die sich in 668 THW-Ortsverbänden organisiert. 12.000 Frauen und über 16.000 ­Kinder und Jugendliche bringen sich in die vielfältigen Aufgabenbereiche ein. 80 Prozent der neu Engagierten sind unter 35 Jahre

Seit 70 Jahren steht das ehrenamtliche Engagement im Mittelpunkt. Foto: BS/THW

Suche und Personenrettung. Die Ehrenamtlichen müssen mit dem unterschiedlichsten Equipment umgehen können. Schlauchboote und Pontonbrücken, Scheinwerfer und Leuchtballone, Sandsäcke und Pumpen – leistungsfähige Technik und eine Vielzahl von Fähigkeiten sind die Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit des THW.

Nationale und internationale Verantwortung So kommen die THW-Einsatzkräfte mit komplexen und anspruchsvollen Lagen in Berührung, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Brände, Explosionen, Verkehrsunfälle, Gebäudeeinstürze, Zugunglücke, Sturm, Gewitter und Starkregen – die Palette der Einsatzszenarien ist groß. Aus diesem Grund müssen viele Kompetenzen eingebracht werden. Jahrhundertereignisse wie die Sturmflut 1962 in Hamburg, das Elbe-Hochwasser Anfang der 2000er, das Schneechaos im Münsterland 2005 und nun die alles überschattende Corona-Krise sind enorme Prüfsteine, denen sich das THW seit 70 Jahren stellt. Ob im Inland oder Ausland, die Bevölkerungsschutzorganisation übernimmt national wie international Verantwortung (mehr zu den Auslandseinsätzen auf Seite 60).

vor allem manche junge Menschen sind ganz klar in einer Findungsphase. Aber den gesellschaftlichen Auftrag an das THW, diesen Freiwilligen eine Orientierung zu geben, nehmen wir gerne an. Behörden Spiegel: Wie können Bufdis auch nach ihrer Dienstzeit gebunden werden? Lindmüller: Ganz einfach: Unsere Helferinnen und Helfer sollen die Bufdis mit ihrer Begeisterung für das THW anstecken. Deswegen binden wir die Bufdis in den Alltag des THW ein und bieten allen die THWGrundausbildung an. Wir geben den Menschen wertvolle Erfahrungen und Kompetenzen mit auf ihren Lebensweg – und ich bin überzeugt, dass das THW ihnen dadurch in bester Erinnerung bleibt. Das THW gibt es in ganz Deutschland. So können diejenigen, die nach ihrem BFD zum Beispiel für ein Studium oder eine Ausbildung umziehen, einfach den Ortsverband wechseln.

Lindmüller: Auf diesem Wert wollen wir uns nicht ausruhen. Wir haben uns im THW das Ziel gesetzt, den Anteil der Mädchen und Frauen weiter zu erhöhen. Dazu machen wir verschiedene Angebote wie zum Beispiel den bundesweiten Helferinnentag am THW-Ausbildungszentrum Hoya oder die Mädchen-Wochenenden der THW-Jugend. Wir fördern Frauen gezielt, um mehr weibliche Führungskräfte zu bekommen, das gilt sowohl für den ehrenamtlichen wie auch den hauptamtlichen Bereich. Nachholbedarf haben wir teilweise noch bei Unterkünften der THW-Ortsverbände, wo hin und wieder keine angemessenen Umkleideräume und sanitären Anlagen für Helferinnen zur Verfügung stehen. Behörden Spiegel: Wie wollen Sie den Anteil noch erhöhen? Lindmüller: Mit unserer aktuellen bundesweiten Kampagne “Deine Zeit ist jetzt.“ sprechen wir gezielt Frauen an, sich ehrenamtlich im THW zu engagieren. Dazu stellen wir den Ortsverbänden Maßnahmenpakete zur Verfügung, die sich an diese Zielgruppe richten. Bei der Erhöhung der Anzahl von weiblichen Einsatzkräften und Führungskräften ist auch die Arbeit der THW-Jugend sehr wichtig, die viele Mädchen für den Bevölkerungsschutz begeistert und sie an die Aufgaben des THW heranführt. Behörden Spiegel: Welchen Stellenwert nimmt bei Ihnen die Jugendarbeit insgesamt ein?

Lindmüller: Die Arbeit der THWJugend e. V. ist nicht mehr wegzudenken. Inzwischen engagieren sich dort 16.000 Kinder und Jugend­ liche im Alter ab sechs Jahren. Sie lernen hier das kleine Einmaleins der Rettungsmethoden und soziale Verantwortung zu übernehmen. Aber sie bekommen mit Ausflügen und Zeltlagern auch eine große Palette an Möglichkeiten zur FreiBehörden Spiegel: Rund 15 Pro- zeitgestaltung geboten. Für die zent der ehrenamtlichen Kräfte sind Nachwuchsgewinnung für unsere weiblich. Unter den ehrenamtlichen Einsatzeinheiten sind wir auf eine Bevölkerungsschutzorganisationen ein erfolgreiche Jugendarbeit angeHöchstwert. Was machen Sie anders? wiesen!

Technische Hilfe grenzüberschreitend Erster THW-Auslandseinsatz (BS/bk) Verwüstete Landschaften, zerstörte Häuser und viele Opfer hinterließ eine der schwersten Flutkatastrophen in den Niederlanden Anfang Februar 1953. Einsatzkräfte des Nachbarn im Osten eilten zur Unterstützung. Über sechs Wochen dauerte der erste Auslandseinsatz des Technischen Hilfswerks. Mit einfachen technischen Mitteln und viel Erfindergeist unterstützten Kräfte des THW bei der Bewältigung der Springflut. Nur sechs Tage nach der Flut trafen die ersten ehrenamtlichen Helfer in einer der am schwersten betroffenen Regionen, der Insel Schouwen-­D uiveland in Zeeland, ein. Mit motorisierten Schlauchbooten retteten Kräfte des THW Personen aus dem eiskalten Wasser, transportierten Verpflegung und Sandsäcke sowie

weitere Geräte. Aus Furcht vor einer weiteren Springflut mussten Deiche wie der Nord-Süd-Deich bei Noordgouwen zusammen mit vielen Helfern aus verschiedenen Nationen ausgebessert und erhöht werden. Was schließlich auch gelang. Andernfalls wäre die Insel Schouwen komplett überspült worden.

Der erste Auslandseinsatz führte in die Niederlande.

Foto: BS/THW


70 Jahre THW

Zusammen stark Die THW-Familie im Portrait (BS/pet) Alle kennen das Technische Hilfswerk als Bevölkerungsschutzorganisation, die zum Einsatz kommt, wenn technische Hilfe gefragt ist. Um optimal aufgestellt zu sein, ist die Bundesbehörde auf starke Mitstreiter angewiesen: Dies sind die THW-Jugend e. V., die THWBundesvereinigung e. V. und die Stiftung THW. Gemeinsam bilden sie die THW-Familie.

O

rganisatorisch sucht das Technische Hilfswerk weltweit seinesgleichen: Zwar ist das THW eine staatliche Institution, doch sind gerade einmal fünf Prozent aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hauptamtlich für die Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) tätig. Der überwiegende Teil – das sind nicht weniger als 80.000 Helferinnen und Helfer, verteilt über insgesamt 668 Ortsverbände – engagiert sich ehrenamtlich. Wie passt das zusam-

men? Das Leitbild des THW betont, dass die Sicherung der höchsten aller denkbaren Lebensgüter, der Schutz menschlichen Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, eine Aufgabe ist, die alle betrifft. Mit dem Ehrenamt bindet das THW die Bevölkerung aktiv in staatliches Handeln ein und bietet ihr zugleich die Möglichkeit, die Erwartung nach Grundsicherung in Gefahrensituationen erfüllen zu können. Unter dem Dach des THW finden Staat und bürgerschaftliches Engagement auf einer Ebene zusammen. Das

Die Nachwuchsarbeit wird von der THW-Familie besonders gefördert.

Foto: BS/THW, Kai Viebranz

braucht entsprechende Akteure und Strukturen.

Kommunikationszentrale THW-Bundesvereinigung

sen des THW und seiner Mitglieder gegenüber den Entscheiderinnen und Entscheidern der Bundespolitik vertreten werden. In dieser Funktion wirkt sie an der Gestaltung gesetzlicher Grundlagen für das THW mit und bezieht Stellung zu entsprechenden Vorhaben des Deutschen Bundestages. Darüber hinaus kümmert sich die THW-BV um die Förderung des Ehrenamtes und sorgt für Zuspruch und Bekanntheit des THW in der Bevölkerung. Bei ihrer Arbeit ist die Bundesvereinigung nicht nur nach außen hin tätig, sondern trägt auch frische Impulse in das THW hinein, um auf diese Weise die Weiterentwicklung zu einer modernen und weltweit tätigen Hilfsorganisation voranzutreiben. Dabei stets im Blick: die künftigen Generationen des THW.

Ein Mitglied der THW-Familie ist die THW-Bundesvereinigung e. V. (THW-BV), die kommunikative Schaltzentrale der Helferinnen und Helfer in Blau. An der Schnittstelle zwischen Politik, Gesellschaft und Bundesanstalt fördert die THW-BV seit nunmehr 40 Jahren den intensi“Spielend helfen lernen” ven Austausch in alle Richtungen und Doch ist die Bundesvereinigung trägt dafür Sorge, dass die Interesbei der Nachwuchsförderung nicht allein. Hauptakteur in diesem Bereich ist die THW-Jugend e. V., als eigenständiger Jugendverband und Nachwuchsorganisation des Technischen Hilfswerks. Im Jahr 1984 im rheinland-pfälzischen Ahrweiler gegründet, zählt die Vereinigung heute rund 16.000 Mitglieder, die sich in den Jugendgruppen der jeweiligen Ortsverbände organisieren. Gemäß der Devise “spielend helfen lernen” vermittelt die THW-Jugend das erforderliche Know-how, um in Notsituationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Die gesammelten Erfahrungen, die vom Auspumpen eines vollgelaufenen Kellers bis hin zum korrekten Funken reichen, können in Wettkämpfen und realitätsnahen Einsatzübungen erprobt werden. Unangefochtener Höhepunkt ist dabei das Bundesjugendlager, das im

Behörden Spiegel / Dezember 2020

vergangenen Jahr unter dem Motto “Abenteuer im Thüringer Wald” rund 5.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ab sechs Jahren für eine Woche im Freistaat zusammenbrachte. Im Rahmen des Programms wurden Ausflüge veranstaltet, Workshops abgehalten und der Bundeswettkampf der THW-Jugend – ein Messen der besten Teams in Deutschland – ausgerichtet. Die Vermittlung von Toleranz, Hilfsbereitschaft und demokratischen Werten nehmen bei der THW-Jugend einen zentralen Stellenwert ein. Als weltoffener Verband sucht die THW-Jugend darum bereits seit vielen Jahren schon den intensiven Austausch mit internationalen Partnerorganisationen unter anderem in Russland, Island, Polen und Italien, neuerdings auch in China, Usbekistan, Tunesien und Marokko.

Finanzielle Förderung Dritter im Bunde ist das jüngste Mitglied der THW-Familie: die Stiftung THW. Seit ihrer Gründung im Jahr 2004 unterstützt die Stiftung THW wegweisende Projekte im THW und Katastrophenschutz sowie Hilfsmaßnahmen weltweit. Entsprechend breit aufgestellt ist das Förderportfolio der Stiftung THW. Es reicht von der Jugendarbeit über spezielle Ausbildungsformate im Bevölkerungsschutz bis hin zu präventiven Forschungsvorhaben zum Beispiel zur Bekämpfung von Flutkatastrophen. Außerdem unterstützt die Stiftung die Freiwilligen, indem sie besondere Ausstattung beschafft. Noch Anfang dieses Jahres konnte dabei ein großer Erfolg verzeichnet werden, als das THW im Ortsverband Berlin Steglitz-Zehlendorf 30 unbemannte Luftfahrtsysteme, besser bekannt als Drohnen, entgegennehmen

konnte. Als neues Einsatzmittel bei der Erkundung aus der Luft markieren die Drohnen nicht nur einen bedeutenden Schritt in Richtung digitaler Zukunft, sondern sie stehen beispielhaft auch für den Erfolg eines kooperativen Modells, welches das THW in Deutschland und international auszeichnet.

Als Jugendlicher wollte ich zu einer Zivilschutzorganisation in Syrien gehen und Menschen in Not helfen. Nach der Flucht nach Deutschland habe ich im THW eine zweite Familie gefunden und meine Grundausbildung im Ortsverband Magdeburg gemacht. Bei einer Übung für jordanische und tunesische Zivilschutzkräfte in Bayern übersetzte ich für die THW-Kräfte aus dem Arabischen. Ich wünsche mir, THW-Ausbilder zu werden und mich in weiteren THWAuslandsprojekten zu engagieren.

Hassan Haji Esmael, THW-Ortsverband Magdeburg Foto: BS/THW

Logistiker der Pandemie

THW-Gesetz als Fundament

Lehren aus der Corona-Krise

Änderung eröffnet neue Möglichkeiten

(BS/Bennet Klawon) Ein Blick auf die Zahlen macht das Ausmaß der logistischen Leistung des Technischen Hilfswerks in der Corona-Krise nochmal bewusst. Fast 47 Millionen OP-Masken, fast 56 Millionen Einmal-Handschuhe, 20 Millionen FFP2-Masken und rund 1,3 Millionen Liter Desinfektionsmittel lieferte die Hilfsorganisation seit Beginn der Krise an über 130 Stellen des Bundes. Derzeit steht die Einrichtung der Impfzentren im Bundesgebiet als tech­nischlogistische Herausforderung auf der Agenda. Doch wie kommt das Material dorthin, wo es gebraucht wird?

(BS/ Dr. Raimund Wattler*) In zahlreichen Notlagen und Krisensituationen – auch während der Corona-Pandemie – unterstützt die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk die Gefahrenab­ wehrbehörden in Deutschland auf vielfältige Weise. Als technisch-logistische Einsatzorganisation des Bundes ist das THW seit sieben Jahrzehnten ein zuverlässiger Partner an der Seite von Ländern, Landkreisen und Kommunen. Mit dem seit dem 1. Mai 2020 angepassten THW-Gesetz verzichtet das THW in der Regel auf eine Auslagenerhebung im Rahmen der Amtshilfe für die Gefahrenabwehrbehörden.

THW-Leitung in der Bundesstadt Bonn die Erstellung von Einsatzaufträgen für THW-Kräfte, die Kommissionierung der Schutz­ausstattung und die Auslieferung zusammen mit Speditionen sowie durch eigene Einsatzfahrzeuge an die Dienststellen der Bundesverwaltung. Das THW ist dabei für die Verteilung des Teils zuständig, der für den Bund zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Staates vorgesehen ist. Als großes Zwischenlager sowie Umschlagsplatz diente bis Oktober das eigene Logistikzentrum in Heiligenhaus nahe Ratingen. Seit Logistik für das gesamte Anfang Oktober erfolgt die Vertei­Bundesgebiet lung durch THW-Einsatzkräfte im Mit der Aufgabe der Organisation Logistikstützpunkt im bayerischen und Verteilung der zentral beschaff- Penzing. ten Infektionsschutzartikel an die Keine triviale verschiedenen Organisationseinheilogistische Aufgabe ten der Bundesverwaltung betraute das Bundesministerium des Innern, Aber nicht nur im Rahmen von für Bau und Heimat (BMI) gemäß zKiL wurde das THW logistisch einem Beschluss des Krisenstabes tätig. Auch in Bundesländern wie der Bundesregierung das THW. Schleswig-Holstein, Berlin oder Dazu richtete das THW die Stelle Bayern betrieben die Helferinnen “Zentrale Koordinierungsinstanz und Helfer in Blau LogistikstützLogistik” (zKiL) ein. punkte zur schnellen WeiterverteiDie Instanz ist in der THW-Leitung lung von Infektionsschutzmateriadem Abteilungsleiter “Einsatz” zu- lien. Außerdem wurden im ganzen geordnet und ist mit Personal aus Bundesgebiet zum Beispiel Proben dem Referat “Logistik” und ehren- von Corona-Verdachtsfällen für die amtlichen Einsatzkräften besetzt. Gesundheitsämter und mediziniDie Stelle zKiL wird noch bis vor- sche Ausstattungen, wie Betten zur aussichtlich Ende des Jahres 2020 Erweiterung der Kapazitäten von in Betrieb bleiben. Krankenhäusern, transportiert. In Bayern verfügte Markus Söder Koordination aus Bonn (CSU), Ministerpräsident des FreiIn der Stelle zKiL koordinieren staates, dass von März bis Juni alle ehren- und hauptamtliche Kräfte für sein Bundesland vorgesehenen des THW aus den Stabsräumen der Lieferungen über das vom THW beAktuell ist die Organisation der Transporte mit Hygiene- und Schutz­ausstattung eine der Aufgaben des THW während der Pandemie. Mit ihren Logistikfähigkeiten und Transportkapazitäten leisten Helferinnen und Helfer des THW sowohl auf Bundesebene, aber auch in Bundesländern wie Bayern oder Schleswig-Holstein einen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie. Dieser Einsatzschwerpunkt ist für das Hilfswerk in einem der längsten Einsätze seiner Geschichte von besonderer Bedeutung.

triebene Zentrallager abgewickelt werden sollten. Dies galt nicht nur für die Lieferungen des Bundes, sondern auch für die Beschaffungen des Freistaates und der Kassenärztlichen Vereinigung. Nur so könne eine bedarfsgerechte Verteilung sichergestellt werden. Diese keinesfalls triviale logistische Aufgabe wurde zur vollen Zufriedenheit erledigt, hieß es aus der bayerischen Staatskanzlei.

Mehr als 1.200 THW-Kräfte im Einsatz “Das THW in Bayern führt bis heute wichtige Transporte der dringend benötigten Schutzausstattung sowie Schnelltests durch. Zu diesem Zweck wurden nacheinander zwei Logistikstützpunkte eingerichtet und durch das THW betrieben. Mit dieser zentralen Logistikaufgabe für den Freistaat Bayern sowie für Bundesbehörden leisten die THW-Einsatzkräfte einen ganz wesentlichen strategischen Beitrag im Kampf gegen dieses Virus”, betont Dr. Fritz-Helge Voß, THW-Landesbeauftragter für Bayern. Zu Spitzenzeiten der PandemieBekämpfung waren mehr als 1.200 ehren- und hauptamtliche Kräfte des THW täglich im Einsatz. Viele von diesen halfen bei der Bewältigung von logistischen Aufgaben. Einer von ihnen war Marc Dawo vom THW-Ortsverband SpiesenElversberg im Saarland. “Besonders bei großen Einsätzen begeistert es mich immer wieder, wie die THWKräfte aus ganz Deutschland zusammenarbeiten – und wie herzlich Betroffene sich bedanken, obwohl man sich fremd ist”, resümierte Dawo.

Die Corona-Pandemie liefert eine ganze Reihe an Beispielen, wie das THW andere Behörden im Rahmen der Amtshilfe unterstützen kann. So errichten THW-Einsatzkräfte provisorische Teststellen, stellen die Versorgung mit Schutzausstattung sicher und beraten Krisenstäbe von Landkreisen und Kommunen. Aber auch nach Stürmen, Überflutungen oder bei Hochwasser sind die Expertinnen und Experten des THW mit ihrer umfangreichen technischen Ausstattung häufig gefragt. Die Hilfe des THW ist ebenfalls höchst willkommen, wenn die Stromversorgung unterbrochen oder die Versorgung mit sauberem Trinkwasser nicht mehr gewährleistet ist. Zum Einsatz kommen die ehrenamtlichen THW-Helferinnen und -Helfer in der sogenannten Amtshilfe auch in weniger spektakulären Situationen, in denen zum Beispiel Fluchtwege ausgeleuchtet, verstopfte Abwasserrohre freigelegt oder Brandruinen gesichert werden müssen. Seit dem Jahr 1990 bildet dabei

THW-Kräfte verpacken Schutzmasken. Foto: BS/THW

das THW-Gesetz das Fundament für das Handeln der mehr als 80.000 ehren- und hauptamtlichen THWAngehörigen. Kernstück der aktuellen Novellierung sind die erweiterten Möglichkeiten für das THW, bei Amtshilfe auf die Erstattung von Auslagen zu verzichten. Soweit Gefahrenabwehrbehörden Auslagen selbst tragen müssen, wird das THW künftig auf eine Erstattung verzichten. Das erforderliche öffentliche Interesse liegt durch die Einbindung des THW in die Gefahrenabwehr regelmäßig vor. Bundesländer, Städte und Gemeinden können also künftig das THW im Rahmen der Amtshilfe zur Gefahrenabwehr anfordern, ohne dass sie anschließend eine Rechnung des THW erwartet.

Viele Bedenken durch neue Regelung entkräftet

nun die Freistellung von Ehrenamtlichen, die bisher nur für Einsätze und Ausbildung galt, in moderater Weise und mit Rücksicht auf die Arbeitgeber auf unaufschiebbare THW-Dienste ausgeweitet. Dazu zählt beispielsweise die Nachbereitung von Einsätzen, bei der die unmittelbare Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft sichergestellt wird. Die erweiterte Freistellung von Einsatzkräften und mehr Einsatzmöglichkeiten machen ein Ehrenamt beim THW noch attraktiver und sichern auch zukünftig den Schutz der Bevölkerung bei Katastrophen und anderen Unglücksfällen.

Das THW anfordern – immer bereit, zu helfen Mit seinen Einsatzmöglichkeiten bildet das THW eine zeitgemäße und leistungsstarke Ergänzung zu den Einheiten der Gefahrenabwehr wie zum Beispiel der Feuerwehr. Mit 668 Ortsverbänden ist das THW in jeder Region Deutschlands vertreten und durch das jahrzehntelange ehrenamtliche Engagement der Helferinnen und Helfer fest verwurzelt. Das THW anzufordern, ist denkbar einfach: Der ortsansässige Ortsverband sowie die nächstgelegene THW-Regionalstelle informieren gerne über den umfangreichen Katalog der Einsatzoptionen. Verankert ist die Alarmierung des THW im Rahmen der Amtshilfe im THW-Gesetz.

“Durch die neuen gesetzlichen Regelungen werden viele Bedenken potenzieller Anforderer entkräftet. Aufgrund der möglichen Kosten für THW-Einsätze gab es durchaus Vorbehalte, uns zu alarmieren. Wenn unsere Einsatzkräfte und ihr Knowhow häufiger angefordert werden, motiviert das die Ehrenamtlichen ungemein”, freut sich Udo Petersen, ehrenamtlicher THW-Ortsbeauftragter in Niebüll, über die Änderung des Gesetzes. Details dazu, in welchen Situationen das THW in der Regel auf die Erstattung von Auslagen verzichten kann, werden in einer bundesweit gültigen Abrechnungsverordnung *Dr. Raimund Wattler leitet seit geregelt, die derzeit erarbeitet wird. dem Jahr 2006 die Abteilung “EinDarüber hinaus wird im THW-Gesetz satzunterstützung” der THW-Leitung.


70 Jahre THW

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Deine Zeit ist jetzt. So begeistert das THW neue Einsatzkräfte (BS/ Stephan Bröckmann*) Der Auftakt der neuen, bundesweiten Werbekampagne des Technischen Hilfswerks “Deine Zeit ist jetzt.” im September war nicht zu übersehen: Neben Fernseh- und Printwerbung umfasst die Kampagne auch Anzeigen in den Sozialen Medien und Außenwerbung, etwa an Bushaltestellen oder auf Straßenbahnen und Bussen. Die Motive sollen in ganz Deutschland möglichst viele Menschen erreichen. Sichtbarkeit schaffen, auf das THW aufmerksam machen – darum geht es.

D

ie Werbemaßnahmen und Kanäle wurden so gewählt, dass sie eine für das THW relevante Zielgruppe ansprechen. Denn es sind besonders junge Menschen mit einer Affinität für Technik und dem Willen zur aktiven Mitgestaltung, die sich für ein Ehrenamt im THW interessieren. Sie sind offen und hilfsbereit, mit ganzem Herzen bei der Sache.

Ehrenamtliches Engagement – keine Selbstverständlichkeit Diese Haltung spiegelt sich auch in den Motiven der Kampagne wider. Gemeinschaftsgefühl, gegenseitiger Respekt und die Bereitschaft, bis an die Grenzen zu gehen. Darauf kommt es im THW an. Die Botschaft der Kampagne ist einfach: Wer sich für ein ehrenamtliches Engagement im THW interessiert, soll nicht länger zögern. Nicht später, sondern sofort – Deine Zeit ist jetzt. Das Motto ist ein Aufruf an alle, die anderen helfen möchten. Denn das THW steht vor einer großen Herausforderung: Es wird zunehmend schwieriger, Menschen für eine ehrenamtliche Tätigkeit zu gewinnen. Die Gründe dafür sind verschieden – seien es die vielfältigen Freizeitmöglichkeiten oder die zeitlichen Anforderungen der Arbeitswelt. Sich ehrenamtlich zu engagieren, ist keine Selbstverständlichkeit. Um die Menschen muss aktiv geworben werden. Aus diesem Grund haben, zentral gesteuert, Ehren- und Hauptamtliche aller Organisationseinheiten des THW gemeinsam die “Marke-

Das THW setzt auf eine emotionale ­Ansprache. Foto: BS/THW

tingstrategie 2020+” entwickelt. Ziel ist es, neue Helferinnen und Helfer für ein ehrenamtliches Engagement im THW zu begeistern und so die Einsatzfähigkeit der Organisation zu sichern. Auch in Zukunft soll das THW bei Naturkatastrophen und zivilen Notständen unterstützen können, etwa bei Aufräumarbeiten nach schweren Unwettern, bei der Eindämmung von Sturmfluten oder – wie in Zeiten der aktuellen Corona-Pandemie – beim Aufbau von mobilen Teststationen und dem Transport von Hilfsgütern. Egal ob schleppen, halten oder heben – im THW können alle mit anpacken. Wer sich für ein ehrenamtliches Engagement im THW interessiert, findet alle nötigen ­Informationen auf jetzt.thw.de *Stephan Bröckmann leitet seit dem Jahr 2018 die Abteilung “Ehrenamt und Ausbildung” der THWLeitung.

Die Oderflut Bewährungsprobe für das THW im ­Osten Deutschlands (BS/bk) Starke und lang andauernde Niederschläge waren der Grund für den bedrohlichen Anstieg der Oder. Schließlich traten die Wassermassen im Juli 1997 über die Ufer und überfluteten zuerst Teile Tschechiens und Polens, später dann auch Teile Brandenburgs. Die Oderflut bescherte dem Technischen Hilfswerk den ersten großen Einsatz im Osten Deutschlands nach der Wiedervereinigung. Nach den Hilfeersuchen der polnischen und tschechischen Regierungen sandte die Bundesregierung THW-Kräfte in die östlichen Nachbarstaaten. Doch auch in Deutschland spitzte sich die Lage zu. Das Hochwasser stieg und Deichbrüche bedrohten die Arbeit

der Einsatzkräfte. Mit vereinten Kräften von THW, Feuerwehr und Bundeswehr konnte zwischen dem brandenburgischen Hohenwutzen und Neuranft ein Bruch verhindert werden. An anderen Stellen wie in Brieskow-Finkenheerd war der Kraftaufwand vergeblich. Der Deich brach. Bis Anfang August waren insgesamt 7.200 THW-Kräfte aus 392 Ortsverbänden im Einsatz.

Die Oderflut 1997 war der erste große Einsatz des Technischen Hilfswerks (THW) im Osten Deutschlands nach der Wiedervereinigung.

Foto: BS/THW


70 Jahre THW

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Technik im Wandel der Zeit

Sicherheitsforschung im THW

Von der Spitzhacke zum Plasmaschneider

Heute für übermorgen stärken

(BS/kr) Alles begann mit Schaufeln und Schubkarren. Die ersten Ortsverbände des Technischen Hilfswerks waren bei der Aufnahme ihrer Arbeit vor 70 Jahren eher rudimentär ausgestattet. Teilweise mussten sich die Ortsverbände für die Ausbildung und für Übungen Material und Fahrzeuge von lokalen Unternehmen leihen. Heute verfügen die Ortsverbände selbst über schweres Gerät und komplexe Technologie. Ohne sie wäre mancher Einsatz gar nicht möglich.

(BS/Klaus-Dieter Büttgen*) Die zivile Sicherheitsforschung ist ein wichtiger Baustein, um Anpassungen des Bevölkerungsschutzes auf sich verändernde Umstände wie geänderte Bedrohungslagen, demografischen Wandel, Digitalisierung und Klimawandel voranzutreiben. In aller Regel sind die Ergebnisse dieser Forschungen langfristiger Natur und werden häufig erst mit einem zeitlichen Versatz in das operative Einsatzgeschehen eingeführt.

Die Ausrüstung des THW in seinen Anfangsjahren könnte man als einfach, aber pragmatisch beschreiben. Die Fahrzeug- und Geräteausstattung war geprägt durch die Ausrichtung des Bevölkerungsschutzes auf den Verteidigungsfall. Typisch für die Ausstattung der Einsatzkräfte dieser Zeit waren Bergungsrucksäcke, die mit verschiedenen Werkzeugen, Handstrahlern, Decken und Sanitätsausstattung bestückt waren. Auf komplexes technisches Gerät wollte

tungsfähigen Fuhrpark. Heute besitzt das THW rund 10.000 Fahrzeuge und Anhänger. Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als 320 Neuanschaffungen ausgeliefert. Und bei 148 Ortsverbänden steht seit 2019 ein neuer Gerätekraftwagen (GKW) auf den Hof. Der 280 PS starke “mobile Werkzeugkoffer” nimmt neben dem technischen Equipment auch bis zu neun Helferinnen und Helfer mit an Bord. Der Gerätekraftwagen ist das Herzstück fast jedes THW-

Einsatzes. Beinahe jede Hilfeleistung startet mit dem Einsatz eines GKW, da er mit allen relevanten Werkzeugen und Geräten ausgestattet ist. Im laufenden Jahr wurde zudem ein neuer Fahrzeugtyp eingeführt: der Mehrzweckgerätewagen (MzGW). Langfristig sollen alle Fachgruppen “Notversorgung und Notinstandsetzung” des THW mit solch einem Fahrzeug ausgestattet werden. Die Fachgruppen sorgen dafür, dass THW-Einheiten bei ihren Einsätzen autark arbeiten können. Sie stellen die Stromversorgung sicher, leuchten die Umgebung aus und sorgen für die behelfsmäßige Unterbringung von Einsatzkräften. Im Oktober und November dieses Jahres wurden die ersten 20 Fahrzeuge dieser Art in Betrieb genommen. “Mit dem neuen MzGW hat unsere Fachgruppe ein optimales Transportfahrzeug für die umfangreiche Ausstattung bekommen. Als Zugfahrzeug für Schweres Gerät für die Anhänger und Notstromaggregate ­Gegenwart unterstützen wir mit dem MzGW Die Nacht zum Tag zu machen oder außerdem flexibel andere THW-EinEinsatzstellen von schweren Trüm- heiten”, freut sich Sandra Dornfeld, merteilen befreien: Das verlangt nach ehrenamtliche Gruppenführerin der spezieller Technik und einem leis- Fachgruppe “Notversorgung und man verzichten, da die Einheiten unter allen Bedingungen autark agieren können sollten. Netzunabhängig und auch über lange Strecken leicht zu transportieren sollte die Ausrüstung hingegen sein. Bis in die Neunzigerjahre gehörte die Petroleumleuchte “Petromax” noch zur Standardausstattung der THW-Einsatzeinheiten. Auch der damalige Fuhrpark des THW war technisch nicht mit dem heutigen vergleichbar. In den Fünfzigerjahren stellte das THW die ersten drei motorisierten Bereitschaftszüge auf. In den folgenden Jahren wurde der Fuhrpark immer weiter ausgebaut. Anfang der Siebzigerjahre folgte die Beschaffung der Gerätekraftwagen “GKW 72”. Erstmals standen somit Fahrzeuge mit Doppelkabine und Fahrzeugaufbau mit Gerätefächern im Dienst des THW. Zum Ende des Jahres 1974 besaß das THW rund 4.000 Fahrzeuge.

Notinstandsetzung” im Ortsverband Jülich. Zudem wurden bundesweit die Kapazitäten beim Schutz Kritischer Infrastrukturen ausgebaut, indem das THW weitere Notstromaggregate erwarb. Die Idee, auf komplexe technische Gerätschaften zu verzichten, ist inzwischen überholt: Das THW hat heute viel moderne Technologie im Einsatz. So zum Beispiel Betonkettensägen mit Zähnen aus Diamantgemisch, die durch Stahlbeton

Erste Beteiligungen des Technischen Hilfswerks (THW) an Forschungsvorhaben liegen schon lange zurück. Eine gezielte und strukturierte Beteiligung an Forschungsvorhaben erfolgte aber seit 2014. Im Jahr 2020 wurde die Beteiligung des THW an der Sicherheitsforschung, die langfristig die Arbeit der ehrenamtlichen Einsatzkräfte im Bevölkerungsschutz einfacher machen soll, auch in das THW-Gesetz aufgenommen. In den vergangenen sieben Jahren brachte das THW seine umfassenden Erfahrungen aus dem operativen Bereich auf vielfältige Weise in die zivile Sicherheitsforschung ein. Das THW beteiligte sich in diesem Zeitraum insgesamt an 20 nationalen und neun multinationalen Forschungsprojekten. Diese Beteiligungen werden derzeit ausschließlich über Drittmittel zum Beispiel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) Die neuste Erweiterung im Fuhrund von der Europäischen Kompark des Technischen Hilfswerks: der mission finanziert. Die Projekte Mehrzweckgerätewagen (MzGW) sind grundsätzlich interdiszipliFoto: BS/THW, Jessica Sybertz när und umfassen verschiedenste wie Messer durch Butter schneiden. Fachbereiche sowie technische Wahlweise wird auch mit einem Reifegrade. Plasmaschneidgerät berührungslos Fortschritte bei der durch Metall geschnitten. Durch ­Wasseranalyse die geringe Hitzeentwicklung ist es somit möglich, besonders nah Das Vorhaben NANObeST (Naan Personen zu arbeiten. nosonden-basierte Schnellanalytik Auch Drohnen und Videoen- von Trinkwasser in Krisensituatidoskope gehören zur modernen onen) ist exemplarisch eines von Ausstattung. Letztere ermöglichen mehreren laufenden Projekten, es, Verschüttete, beispielsweise in deren angestrebte Lösungen die einem nach einer Explosion zu- Aufgaben des THW nachhaltig stärsammengestürzten Gebäude, in- ken sollen. NANObeST zielt darauf nerhalb kurzer Zeit zu orten und ab, die erforderliche Analyse von anschließend zu retten. Zu den zahl- (Trink-)Wasser zu beschleunigen. reichen Gerätschaften moderner Ziel der Forschung ist hier die EntTHW-Einsatzkräfte zählt darüber wicklung eines mobil einsetzbaren hinaus noch das lasergestützte Ein- Schnell­analysesystems für Trinksatzstellensicherungssystem sowie wasser. Mittels beschichteter NaPumpen mit einer Leistung von bis nosonden sollen nachzuweisende zu 25.000 Litern pro Minute. Nicht Botenstoffe, Pathogene oder Toxine zu vergessen: der Multifunktionale gebunden und somit direkt detekEinsatzanzug (MEA), der die Einsatz- tierbar gemacht werden. Die bisher kräfte vor Verletzungen bewahren angewandte Analytik dauerte viele soll. Die Kombination aus speziellen Stunden bis Tage. Die Machbarkeit Materialien schützt vor Verletzungen dieses Ansatzes wurde im Vorgänund ist zudem schwer entflammbar. gerprojekt AquaNano bewiesen. Insgesamt also eine hochdiversifi- Gefördert wird das Vorhaben zierte Ausstattung, die auf jede He- durch das BMBF im Rahmen des rausforderung eine Antwort findet. Förderprogramms “Forschung für

Darstellung des Pontonboot Systems als mobile Transportplattform. Foto: BS/THW

die zivile Sicherheit II: Anwender – Innovativ”.

Entwicklung eines neuen Pontonbootes Einen Schritt weiter geht das vom BMWi geförderte PoBo-Projekt. Hier wird der Prototyp eines neuen, ­multifunktionalen PontonbootSystems entwickelt. Da kein den Anforderungen entsprechendes System auf dem Markt verfügbar ist, richtet sich die Entwicklung des Pontonboots nach den spezifischen Anforderungen des THW. Entsprechend intensiv ist das THW in den Entwicklungs- und Erprobungsprozess eingebunden. Aufbauend auf den Erfahrungen der vergangenen 70 Jahre wird auf diese Weise eine moderne, umfassend einsatzgerechte und konkret umsetzbare Lösung geschaffen, die bisher genutzte, jahrzehntealte Pontontechnik des THW zu ersetzen. Ergänzend zu einem robusten und leistungsstarken System wird auch die Möglichkeit einer digitalen Ausbildung geschaffen. So sollen zukünftige Bootsbesatzungen mittels VirtualReality-Simulationen (VR) auf die praktischen Ausbildungsteile vorbereitet werden.

Virtuelle Deichverteidigung

den BOS-Bereich zu erschließen und einen geschützten Experimentalraum zu schaffen. Neben der Nutzbarmachung von KI-Anwendungen sollen insbesondere auch Mensch-Maschine-Schnittstellen und neue Darstellungsformen erprobt werden. Als ein erstes Experiment wurde eine VR-Simulation zur Deichverteidigung entwickelt. In diesem Rahmen soll die Eignung von VR-Technologien für Ausbildung und Simulation schwieriger Umgebungen untersucht werden. Nach einer ersten Praxisphase soll die Integration von KI-Elementen vorangetrieben werden, um einen gleichbleibenden Lernerfolg zu erzielen. Schon in der ersten Stufe des experimentellen Systems kann ein Deichläuferteam ausgebildet werden, das lernt, Schäden am Deich zu erkennen. Zukünftig ist es die Hauptaufgabe der THW-Forschung, die Bedarfe ehren- und hauptamtlicher Einsatzkräfte noch gezielter in der Sicherheitsforschung zu platzieren. Zudem gilt es derzeit, Strategien zu entwickeln, wie das gefürchtete “Valley of Death” überwunden werden kann. Hierbei handelt es sich um die Phase zwischen Projektabschluss und Markteinführung der Ergebnisse. Leider fielen in der Vergangenheit viele Ergebnisse dem Phänomen zum Opfer, dass vielversprechende Lösungen aufgrund hoher finaler Entwicklungskosten nicht realisiert werden konnten. Hierzu engagiert sich die THW-Forschung in verschiedenen Gremien und thematisiert die Problematik.

Genau in diese Richtung geht auch­ das dritte Vorhaben, die VR-Simulation Deichverteidigung. Hierbei handelt es sich um ein erstes Projekt im “Reallabor für Künstliche Intelligenz im Bevölkerungsschutz” des THW. Seit dem Jahr 2019 baut der Forschungsbereich der THW-Leitung dieses Reallabor *Klaus-Dieter Büttgen leitet seit in Bonn auf. Ziel des Labors ist es, Technologien auf dem Gebiet dem Jahr 2014 die Sicherheitsforder Künstlichen Intelligenz (KI) für schung der THW-Leitung.

Sicher vor Hochwasser Mobile Hochwasserschutzpumpen von Heide-Pumpen (BS/Helena Zagray*) Flüsse und Seen bieten ein attraktives Lebensumfeld mit hoher Lebensqualität. Leider bringt das Leben in unmittelbarer Nähe auch immer Gefahren wie Hochwasser mit sich. Um hier eine größtmögliche Sicherheit zu bieten, vertreibt die Heide-Pumpen GmbH aus Gelsenkirchen als offizieller Deutschland-Importeur der Marke BBA Pumps mobile Hochwasserschutzpumpen. 2018 kam in Wetering (NL) an einer Polderpumpenstation die BA600G D635-Notpumpe zum Einsatz, die 5.000 Kubikmeter Wasser pro Stunde pumpen kann. Aufgrund der

Technische Daten Pumpentyp: BA600G D635 Max. Fördermenge: 5.000 m3/h Max. Förderhöhe: 12 mWS Antrieb: Vier-Zylinder Volvo Penta TAD572VE EU-Abgasnorm: Stufe IV, auch Stage V Schallschutz: 75 dB (A) bei zehn Metern

Foto: BS/Heide-Pumpen GmbH

hohen Pumpeneffizienz und der brauch und den leisen Betrieb wird niedrigen Förderhöhe eignet sich die Umwelt weniger belastet. für den Antrieb ein kompakter VierZylinder-Dieselmotor der Stufe IV. *Helena Zagray ist MarketingleiDurch den geringen Kraftstoffver- terin bei der Heide-Pumpen GmbH.


Behörden Spiegel / Dezember 2020

70 Jahre THW

Jetzt und in Zukunft Bundesfreiwilligendienst für ein starkes THW (BS/Martin Zeidler*) Es heißt: Wer rastet, der rostet. Deswegen ist das Technische Hilfswerk auch nach 70 Jahren noch stetig in Bewegung. Ein gutes Beispiel sind die jährlich bis zu 2.000 neuen Stellen im Bundesfreiwilligendienst und ein weiteres Ausbildungszentrum, mit denen das THW seit 2019 in großen Schritten in Richtung Zukunft sprintet.

I

m Frühjahr 2020 startete die erste große Kampagne zur Gewinnung von Bufdis für das THW. Ein Blick auf die Motive zeigt schnell: Die Möglichkeiten und Aufgabenbereiche beim THW sind groß. Wer “irgendwas“ mit Technik, Menschen, Medien, Verwaltung oder IT sucht und sich dabei noch gesellschaftlich in den Bevölkerungsschutz einbringen möchte, ist beim THW genau richtig. Den Bundesfreiwilligendienst (BFD) können alle machen, die die Schulpflicht erfüllt und Lust auf neue Erfahrungen haben. Ob man gerade einen Bildungsabschluss gemeistert hat oder sich beruflich neu orientieren möchte: Das THW bietet spannende Aufgaben und interessante Einblicke. Obwohl Technik im THW eine wichtige Rolle spielt, sind keine fachlichen Vorkenntnisse für ein freiwilliges Jahr nötig. Bufdis können bundesweit in ehrenamtlich Ehrenamtliche Einsatzkräfte unterstützen und öffentliche Verwaltung kennenlernen – die Spanne der geführten THW-Ortsverbänden Perspektiven für Bufdis im THW ist groß. Foto: BS/THW, Maximilian Christ oder den hauptamtlichen Verwaltungsstellen auf Regional-, Landes-, oder Bundesebene unterstützen. und die organisatorischen Rah- rufsleben. “Ich kann meine eige- und über die Kommunikation mit menbedingungen für den BFD nen Interessen einbringen, lerne dem Vorgesetzten; einfach, wie Neue Erfahrungen für ehrenschafft. Bufdis und Ehrenamtliche viel über die Struktur einer Arbeit sozusagen ein “Berufsverhältnis“ und hauptamtliche Kräfte profitieren dabei von den neuen funktioniert. Ich nehme gerade viel mit, was mir in Zukunft weiDer Start an einer der vielen Möglichkeiten und Erfahrungen. terhelfen wird“, beschreibt der BFD-Einsatzstellen ist ein span- “Für unseren Ortsverband sind 20-jährige Carl Köpf seine bisnender Schritt für viele Bufdis, die Bufdis ein klarer Gewinn und aber auch eine neue Erfahrung stellen einen deutlichen Mehrwert herigen Erfahrungen als Bufdi in für die ehren- und hauptamtli- dar. Viele Dinge, die vorher vieldem Ortsverband. chen Menschen im THW. In den leicht wichtig, aber nicht dringend Ausbildungszentrum vergangenen zwei Jahren wur- waren, werden jetzt abgearbeitet”, ­erfolgreich angelaufen den auf allen Verwaltungsebe- sagt Andreas Baumann, ehrennen Strukturen geschaffen und amtlicher Ortsbeauftragter des Nicht nur in ihren BFD-EinsatzPersonal eingearbeitet, das sich THW-Ortsverbandes Kirchheim stellen erwerben die Bufdis neue um die Betreuung sowie Aus- und unter Teck. Viele Bufdis finden Kenntnisse und Fähigkeiten. Zum Fortbildung der Bufdis kümmert beim THW einen Einblick ins Befreiwilligen Jahr beim THW gehören

auch spannende Aus- und Fortbildungen. Der Bereich Ausbildung im THW ist dafür seit dem vergangenen Jahr erheblich gewachsen: Im September 2019 nahm das neue Ausbildungszentrum Brandenburg/ Havel seinen Betrieb auf. Inzwischen erfährt der zweite Bufdi-Jahrgang dort im Lehrgang “Willkommen bei uns: THW für Bufdis” viel über Strukturen und Abläufe des Bevölkerungsschutzes. Außerdem haben alle Bufdis die Möglichkeit, die THW-Grundausbildung für ehrenamtliche Einsatzkräfte in einem insgesamt zweiwöchigen Lehrgang in Brandenburg zu absolvieren. Dabei werden die zentralen Aufgaben im THW erlernt, unter anderem, wie man schwere Trümmer bewegt oder sich sicher mit einem Funkgerät verständigt. Aktuell findet der Betrieb des Ausbildungszentrums Brandenburg/ Havel noch in einer Übergangsliegenschaft statt. Parallel zu den aktuellen Ausbildungen laufen bereits die Planungen für die Ertüchtigung des zukünftigen Ausbildungsstandorts, des Geländes der ehemaligen Roland-Kaserne in Brandenburg an der Havel. Dort werden langfristig auch ehrenamtliche und hauptamtliche THW-Angehörige von neuen Ausbildungskapazitäten profitieren.

Ich bin zum THW gegangen, weil ich schon immer gerne mit Technik, vor allem auch mit schwerer Technik, umgehe und diese besondere Gemeinschaft mich fasziniert. Ich war beim Hochwassereinsatz 2013 in Sachsen beteiligt, also bei der zweiten Jahrhundertflut in Deutschland, dem größten bundesweiten Einsatz für das THW mit über 16.000 Einsatzkräften, 1,5 Millionen Einsatzstunden, mehr als 650 Ortsverbänden. Es war eine enorme Leistung, die da insgesamt von der THW-­Gemeinschaft gestemmt wurde. Nach 2002, der ersten richtig großen Flut in Deutschland, wurde das THW wahrgenommen und dementsprechend mit ­Aufgaben betraut.

700 Bufdis im zweiten Jahr Der zweite Jahrgang im Technischen Hilfswerk besteht bereits aus rund 700 Bufdis und der BFD wird immer mehr zum festen Bestandteil innerhalb des THW. Jedes Jahr 2.000 Bufdis aufzunehmen, ist eine AufOlav Praetsch, THW-Ortsverband Grimma Foto: BS/THW gabe, an der das THW gemeinsam wachsen kann. Denn der BFD ist eine Stütze für Ortsverbände und die Verwaltungsebenen und hilft dabei, mehr Menschen für ein Ehrenamt oder Hauptamt zu begeistern. Weitere Informationen zum Bun*Martin Zeidler leitet seit dem Jahr desfreiwilligendienst im THW unter 2018 den “Aufbaustab Bundesfreiwww.thw-bufdi.de. willigendienst” der THW-Leitung.


70 Jahre THW

Auf dem Weg in die Zukunft

Behörden Spiegel / Dezember 2020

THW-Helferinnen und -Helfer der Fachgruppe “Notversorgung und Notinstandsetzung” übten einen Einsatz bei Stromausfall. Foto: BS/THW, Nicole Endres

Neue Anforderungen an den Bevölkerungsschutz (BS/Volker Strotmann*) Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich die Welt verändert und damit auch die Anforderungen an den Bevölkerungsschutz. Wohin geht die Reise für das THW? Welche Herausforderungen stellen sich in Zukunft für die ehrenamtliche Bevölkerungsschutzorganisation? Wie will das THW diese angehen? Um diese Fragen beantworten zu können, muss zunächst klar werden, worauf sich THW-Kräfte einstellen müssen. Es gibt in der Zukunftsforschung das Modell der “Megatrends”. Megatrends sind langfristige, weltweite und übergreifende Entwicklungen. Sie beeinflussen unser aller Leben und damit auch das THW als Organisation. Es sind Entwicklungen, die zum großen Teil schon begonnen haben, aber in die Zukunft weisen und Richtungen vorgeben.

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in sehr bekannter Mega­trend ist der Klimawandel. Dieser Trend wird Bevölkerungsschutzorganisationen wie das THW sicherlich noch eine ganze Weile beschäftigen. Klima-Expertinnen und -Experten vermuten, dass die Anzahl großer, katastrophaler Naturereignisse in den nächsten Jahrzehnten ansteigt. Der aktuell stattfindende Klimawandel birgt

ein erhöhtes Katastrophenrisiko. Es wird wahrscheinlich tendenziell weniger Regenfälle geben; wenn es regnet, dann wird es zu vermehrtem Starkregen kommen. Daher wird es einen ausgeprägten Wechsel von Trockenzeiten und Überflutungen geben. Deshalb überprüft das THW bereits seit 2018 mit einer Neuausrichtung seine Kapazitäten für solche Schadenslagen und passt

33 Millionen Sandsäcke Das Elbe-Hochwasser 2002 (BS/bk) 662 der 668 Ortsverbände waren in dem bis dahin größten Einsatz des Technischen Hilfswerks aktiv: dem Elbe-Hochwasser von 2002. In sieben Bundesländern arbeiteten 24.000 Einsatzkräfte des THW Hand in Hand mit anderen Kräften des Bevölkerungsschutzes bei der Bewältigung des Hochwassers. Mit 33 Millionen Sandsäcken schützten die Helferinnen und Helfer Städte und Ortschaften vor den Wassermassen der Elbe und ihrer Nebenflüsse. Mehr als 100.000 Menschen wurden evakuiert und versorgt. Über 2,5 Millionen Liter Wasser pro Minute mussten während des sechswöchigen Einsatzes abgepumpt werden. Dazu standen alleine dem THW mehr als 600 Lkws, 150 Tieflader,

250 Pontons und 300 Boote zur Verfügung. Als Konsequenz aus dem Hochwasser entwickelte das THW ein spezielles Hochwasserbekämpfungsprogramm, das auch international Anwendung fand, sowie Hochleistungspumpen mit einer Förderleistung von 5.000 bzw. 15.000 Litern pro Minute. Diese Pumpen kamen auch bei der THWHilfeleistung nach dem Hurrikan Katrina in den USA zum Einsatz.

diese an, um sie ausfallsicher zu machen.

Bevölkerungsschutz neu ­ausgerichtet Um den neuen Anforderungen gewachsen zu sein, hat sich das THW neu aufgestellt. Dies ist im Rahmenkonzept (RaKo) beschrieben. Ergänzend zur Neuauflage der “Konzeption Zivile Verteidigung” des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat aus dem Jahr 2016 setzte sich das THW neue Ziele: Das ehrenamtliche Engagement der Einsatzkräfte soll gestärkt und der Schutz Kritischer Infrastrukturen fokussiert werden. Außerdem sollen bei Einsätzen personelle Kapazitäten zur Führungsunterstützung ausgebaut sowie die Logistik optimiert werden. Weiterhin sollen die Kapazitäten bei der Notinstandsetzung und Notversorgung bei größeren Einsätzen erweitert werden. Im neuen RaKo werden Gefahren beschrieben, mit denen das THW in Zukunft stärker konfrontiert sein könnte. Dazu zählen Naturkatastrophen und Extremwetterereignisse. Auch auf Störungen Kritischer In­frastrukturen wie zum Beispiel der Strom- und Wasserversorgung oder der Kommunikationsnetze stellt sich das THW ein. Damit bildet das RaKo die Basis der strategischen und einsatztaktischen Ausrichtung

des THW für die Zukunft. Die neuen Herausforderungen machen einen umfassenden Umbau der Einheiten notwendig und bedeuten einen jahrelangen Transformationsprozess, der stufenweise umgesetzt wird. Dieser Prozess ist tiefgreifend und in einigen Bereichen hat sich das THW bereits verändert. Auch in der Ausund Fortbildung der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer werden Lehrpläne überarbeitet, ältere Lehrgänge angepasst und neue geschaffen. Bereits seit dem Jahr 2019 ist die Umsetzung des RaKo in vollem Gange. Das THW hat beispielsweise schon damit begonnen, neue Fahrzeuge für die ehrenamtlichen Einsatzkräfte in den Ortsverbänden zu beschaffen. Um für die Zukunft gerüstet zu sein, müssen die Fähigkeiten des Bevölkerungsschutzes regelmäßig überprüft werden. Aus diesem Grund wurde auf Basis des THW-Rahmenkonzeptes ein neues “taktisches Einheitenmodell” entwickelt. Damit die neuen Einsatzschwerpunkte erfüllt werden können, wurden die

taktischen Einheiten überarbeitet, und zwar aufgabenbezogen und nicht einheitenbezogen. Dazu wurden neue Teileinheiten wie zum Beispiel der Trupp “Unbemannte Luftfahrtsysteme”, der mit Drohnen ausgestattet ist, geschaffen. Das THW hat im Rahmenkonzept und im neuen taktischen Einheitenmodell außerdem die Resilienz seiner eigenen Strukturen in den Blick genommen. Dazu gehört zum Beispiel die Erhöhung der Anzahl der Stromerzeuger, um im Einsatz unabhängig zu sein und auch in Extremsituationen die Einsatzfähigkeit des THW sicherstellen zu können.

Notversorgung und ­Notinstandsetzung

Ein weiterer auszumachender Trend ist die Urbanisierung. Alles deutet darauf hin, dass die große Mehrzahl der Menschen weltweit in Städten leben wird. Das heißt, die Abhängigkeit von Kritischen Infrastrukturen wird eher zunehmen. Hinzu kommt, dass auch die Bedeutung der Mobilität und *Volker Strotmann leitet seit dem der Kommunikation weiter steigen Jahr 2004 die Abteilung “Einsatz” wird und damit auch die Verletz- der THW-Leitung.

Trainingsmethoden und konzipiert Kommunikationscontainer. Da das THW die ehrenamtlich getragene Einsatzorganisation des Bundes ist, wird es im Ausland grundsätzlich nur auf Anforderung und im Auftrag der Bundesregierung (BS/bk) 15.000 Schlafsäcke, 530 Zelte, rund 1.400 Feldbetten, 2.500 Isomatten und 2.000 Decken sowie zwei Sanitärcontainer: Dies tätig. Alle Staaten, die von einer Kaist nur ein Teil der Hilfsgüter, die das Technische Hilfswerk nach dem verheerenden Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria auf tastrophe getroffen werden, können Lesbos im September den obdachlosen Geflüchteten zur Unterstützung gesendet hat. Einen Monat zuvor, etliche Kilometer weiter ein internationales Hilfeersuchen östlich, trafen in der libanesischen Hauptstadt Beirut nach der gewaltigen Explosion im Hafen THW-Kräfte ein und begannen mit stellen, woraufhin Deutschland und der Suche nach Verschütteten. Dies sind nur zwei Beispiele des weltweiten Engagements des Hilfswerks. Der Auftrag, Menschen zu andere Länder ihre eigenen Hilfshelfen, gilt für die Bevölkerungsschutzorganisation Grenzen übergreifend. Seit dem Jahr 1953 war das THW in 144 Ländern aktiv. kapazitäten, wie zum Beispiel die as THW ist für diese welt- Katastrophenschutzverfahren noch Das THW ist jedoch nicht nur im der VN in diesem Herbst verlän- Module des THW, anbieten können. weiten Hilfsmaßnahmen in Island, Montenegro, Nordmazedoni- Rahmen der EU aktiv, sondern auch gerte Deutschland den Vertrag Aktiv werden vor der verschiedene Organisatio- en, Norwegen, Serbien und die Türkei für die Vereinten Nationen (VN). zur Zusammenarbeit um weitere ­Katastrophe nen und Katastrophenschutzme- beteiligt. Innerhalb Deutschlands Das THW ist weltweit die einzige zehn Jahre. Unter anderem unterchanismen eingebunden, wie zum geht das Gesuch an das Bundesin- zivile Regierungsorganisation, die stützt das THW im Rahmen von Vorsicht ist besser als Nachsicht, Beispiel das Katastrophenschutzver- nenministerium und zeitgleich an das dauerhaft personelle und technische Friedensmissionen seit 2001 beim heißt ein Sprichwort. Im Falle des fahren der Europäischen Union. Im THW. Dort wird dann eine mögliche Kapazitäten für VN-Friedensmissio- Aufbau der technischen Infrastruktur Katastrophenschutzes würde man Rahmen dieses Verfahrens wurde Unterstützung geprüft. nen bereitstellt. Zum 75. Geburtstag von VN-Camps, entwickelt Online- wahrscheinlich eher von Vorsorge 2014 auch die European Emergen­cy sprechen. Damit sich deutsche InResponse Capacity (EERC) von der stitutionen im Ausland in der Krise EU eingerichtet. In dieser melden die schnell selbst helfen können, beMitgliedsstaaten ihre Kapazitäten raten THW-Einsatzkräfte weltweit Auch nach der verheerenden zur Bewältigung von Katastrophen deutsche Botschaften, ForschungsExplosion am Hafen von an. Die Zusagen sind für jeden Staat einrichtungen und Kulturinstitute. Beirut wurde das Technische verbindlich. Das THW ist im EERC Unter der Federführung des AusHilfswerk aktiv. mit mehreren Modulen eingetragen. wärtigen Amtes ist das THW an Foto: BS/THW, Christian Wenzel Unter anderem ist das THW mit den Missionen der sogenannten High-Capacity-Pumping-Modulen KrisenVorsorgeTeams (KVT) betei(HCP), die mit Hochleistungspumligt. Seit dem Jahr 2014 war das THW pen Überflutungen bekämpfen, und in 27 Ländern in solche Missionen der Schnell-Einsatz-Einheit Wasser involviert. Ausland (SEEWA), die in KrisengeDas THW unterstützt außerdem bieten für eine saubere TrinkwasserLänder wie Jordanien, Irak und Tuversorgung sorgt, vertreten. nesien dabei, eine ehrenamtliche Struktur in ihrem KatastrophenInternationale Hilfsgesuche schutz aufzubauen. Dazu bildet das THW beispielsweise Freiwillige in Benötigt ein Staat bei einer Katas­ angepassten Grund-, Spezial- und trophe Unterstützung, kann er ein Schirrmeisterausbildungen zu KaHilfeersuchen an das “Emergency tastrophenschutz-Helferinnen und Response Coordination Centre” -Helfern aus. So sollen nachhaltige (ERCC) der Europäischen Union stelStrukturen in den Ländern geschaflen. Das ERCC leitet daraufhin eine fen und die Zivilgesellschaft in staatAnforderung an die am Verfahren liche Strukturen integriert werden. teilnehmenden Staaten weiter, die Diese Zusammenarbeit bietet aber dann mit den genannten Modulen auch für die beteiligten THW-Kräfte oder Hilfslieferungen den betroffeeine unvergessliche Erfahrung. “Am nen Staat unterstützen. Neben den spannendsten empfand ich wähMitgliedsstaaten der EU sind an dem

Das THW weltweit im Einsatz

Technische Hilfe bei Katastrophen im Ausland - Bereits in 144 Ländern aktiv

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lichkeit der Gesellschaft. Besonders gefährdet sind dabei die klassischen Versorgungsstrukturen wie Energie, Wasser und Transport – zunehmend aber auch Kommunikation und Information. Das THW geht daher davon aus, dass die Notversorgung und Notinstandsetzung bei Einsätzen noch wichtiger werden wird. Die Neukonzeption des THW bedeutete gleichzeitig den Startschuss für eine neue Fachgruppe mit dem Schwerpunkt Notversorgung und Not­instandsetzung. Diese stärkt das Einsatzspektrum des THW unter anderem im Bereich des Schutzes von Kritischen Infrastrukturen. Sie ist für technisch-logistische Aufgaben zuständig. Die Einsatzkräfte dieser Fachgruppe werden zum Beispiel bei Stromausfällen mit Aggregaten eine Notstromversorgung bereitstellen, Einsatzstellen ausleuchten und bei größeren Schadensereignissen andere THW-Einheiten nach dem Baukastenprinzip unterstützen und ergänzen.

Warum ich zum THW gekommen bin und warum ich im THW bleibe? Ich würde immer drei Antworten geben: Spaß an der Technik, das gute Gefühl, wenn man in der Lage ist, anderen zu helfen und, wahrscheinlich am Wichtigsten: die Kameradschaft. In der Gemeinschaft etwas Sinnvolles zu machen, anderen helfen zu können, das macht, glaube ich, das Besondere im THW aus. Deshalb bleiben auch viele, die einmal blau infiziert sind, beim THW.

Frank Schulze, THW-Ortsverband Sinzig Foto: BS/THW

rend meiner Ausbildungseinsätze im Irak den Wissensaustausch mit den irakischen Zivilschützerinnen und -schützern. Wir sprachen ganz ungezwungen und auf Augenhöhe mit den Ehrenamtlichen vor Ort. Dabei lernten wir von ihnen, wie sie mit ihren Erfahrungen auftretende Pro­bleme lösten”, erinnert sich Ingo Weyrauch aus dem THW-Ortsverband Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf an seinen Einsatz zurück.


Behörden Spiegel / Dezember 2020

70 Jahre THW

räten. Dies hätte zur Folge, dass eine Nachrüstung durch Hersteller erforderlich sei. So heißt es beispielsweise vom Mobilfunkanbieter Vodafone: “Hierzulande wird der Dienst jedoch nicht angeboten, da der technische (BS/Bennet Klawon) Die Gründe für das Fehlgeschlagenen des Warntages werden immer noch analysiert. Klar ist aber jetzt, Aufwand zur Implementierung hoch dass das Modulare Warn-System (MoWas) von einer Vielzahl von Meldungen, die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und und teuer ist (es müsste eine eigene Katastrophenhilfe (BBK) und zahlreichen Leitstellen verschickt wurden, überlastet war. Die Folge: Die Warn-App NINA blieb still Infrastruktur aufgebaut werden) oder alarmierte mit einer Verzögerung. Nun kann sich das BBK nach diesem Fehlschlag vor Vorschlägen, wie man es hätte besser und vor allem Cell Broadcast nicht machen sollen, kaum retten. Doch wird nun immer häufiger eine Alternative genannt. mit jedem Handy funktioniert.” Das Datennetz von Vodafone sei aber m Nachgang des Warntages technisch dafür ausgestattet, “Inscheint für CDU-Generalsekreformationen über Push-Meldungen tär Paul Ziemiak die Sache klar: von Warn-Apps nahezu in Echtzeit “Doch war der Warntag deshalb ein an alle aktivierten Endgeräte zu totaler Flop? Nein, denn aus den übermitteln.” Erfahrungen können neue ErkenntAußerdem sieht das Bundesamt nisse erlangt und andere Lösungen im Gegensatz zur AG KRITIS die gefunden werden.” Als alternatives Abhängigkeit von funktionierenWarnmittel biete sich neben den den terrestrischen Mobilfunkverklassischen Mitteln, wie Sirene oder bindungen als großen Nachteil. Die Lautsprecherdurchsagen, und dem App-Lösung könne bei beschränkter neueren Warnkanal einer AppliVerfügbarkeit auch auf vorhandene kation, also einer Warn-App, das WLAN-Netze zurückgreifen. sogenannte Cell Broadcast an. Doch was ist das und warum wird der Neben den technischen VoraussetWarnkanal nicht genutzt? zungen bei der Einführung von Cell Broadcat sieht das Bundesinnen“Cell Broadcast ist im Prinzip techministerium (BMI) Schwierigkeiten nisch ähnlich wie eine SMS, allerin Bezug auf die Inhalte und die dings wird diese SMS nur einmal, dafür aber gleichzeitig an alle Geräte Akzeptanz der Warnung. Weil die Welcher Warnkanal für Mobiltelefone ist am effektivsNachrichten über diesen Kanal auf in einer Zelle geschickt und hat Priten? Die Diskussion darüber hat mit dem bundesweiten eine bestimmte Zeichenzahl beorität vor dem restlichen Geschehen Warntag wieder an Fahrt aufgenommen. schränkt seien, sei die Übermittlung im Mobilfunknetz”, erklärt Johannes Foto: BS/Germany auf Pixabay von Handlungsempfehlungen für Rundfeldt, Gründer und Sprecher der Arbeitsgruppe KRITIS (AG KRITIS). Betroffene sehr beschränkt. AußerDie unabhängige Gruppe besteht “NINA” des BBK oder der KATWARN- dung die bereitgestellte Nachricht – sofern eine Internetverbindung vor- dem sei eine Authentifizierung des aus Experten, die sich mit Kritischen App darin, dass für den Dienst keine über den Server herunterzuladen handen ist.” Der Experte sieht deshalb Absenders für Empfänger einer durch Infrastrukturen (KRITIS) beschäftigt. Internetverbindung gebraucht wird. und die Informationen dem Mobil- auch klare Vorteile bei diesem Dienst. Cell Broadcast verschickten Warnung Cell Broadcast ist ein Push-Dienst, Auch wenn die Mobilfunkzelle über- funknutzer anzuzeigen. Wenn der “Das Potenzial ist in jedem Fall höher, nicht leicht nachvollziehbar. Dies der Textnachrichten an alle Empfän- lastet ist, kann die Nachricht via Server also überlastet ist oder die denn Cell Broadcast überträgt eine könne die Akzeptanz der Mittelung ger innerhalb einer Funkzelle versen- Cell Broadcast zugestellt werden. Internetverbindung zu langsam ist, Warnung direkt an alle Handys in mindern, so das Bundesamt. Bei der det. Anders als bei der SMS, die nur Deshalb wird auch keine zentrale könnten die Warnungen nicht bzw. den relevanten Zellen”, so Rundfeldt. Warn-App NINA sind Informationen zum Absender enthalten. an einen Empfänger gerichtet ist, Serverinfrastruktur wie bei Apps nicht rechtzeitig angezeigt werden, Technisch hoher Aufwand wird eine Cell Broadcast-Nachricht benötigt, da der Dienst komplett erläutert Rundfeldt. Kosten überschaubar von der Basisstation an alle Mobil- über die Basismobilfunkstationen Dadurch, dass über Cell Broadcast Was spricht also gegen den Einsatz telefone in der Zelle geschickt. Das funktioniert. jedoch nur Textnachrichten versandt von Cell Broadcast? In Deutschland Dem widerspricht Rundfeldt: System benötigt keine Mobiltele- Gerade der Server war anscheinend werden können, können natürlich komme die Cel-Broadcast-Techno- “Cell Broadcast ist auch bei alten fonnummern. Zum Empfangen einer der Knackpunkt beim bundeswei- keine Bilder, Grafiken oder visuel- logie zur Bevölkerungswarnung aus Handys funktionsfähig, sodass Nachricht muss jedoch der Dienst ten Warntag. Durch die Vielzahl le Hinweise bereitgestellt werden. technischen sowie operativen Grün- die End­n utzer-Reichweite deutauf dem Mobiltelefon aktiviert sein. an Meldungen und Zugriffen war Rundfeldt sieht darin allerdings kein den nicht in Betracht, lässt das BBK lich höher als bei einer Warn-App dieser überlastet. Bei einer Warn- Problem: “Allerdings ist es denkbar, verlauten. Der Dienst würde nicht ist.” Ebenso müsse in der Fläche Keine Probleme mit App bekomme der Nutzer ledig- dass die Warnmeldungen auch Links von den Mobilfunkbetreibern ange- keine technische Umrüstung des ­überlasteten Servern lich einen Hinweis, dass eine neue zu Webangeboten enthalten könn- boten. Ebenso sei das Empfangen Mobilfunknetzes vorgenommen Der Vorteil von Cell Broadcast Warnung vorliege. Das Mobilgerät ten, wo wiederum Karten, Bilder und von Cell-Broadcast-Nachrichten kei- werden. Die Funktion sei bereits in besteht gegenüber der Warn-App versuche dann, per Internetverbin- Medien verwendet werden können ne Standarteinstellung bei Mobilge- den Basisstationen überall schon

Neue Wege bei der Warnung bestreiten? Warn-App versus Cell Broadcast

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vorgesehen. Es müssten nur die Funkzellen neu konfiguriert und eventuell ein Software-Update vorgenommen werden. Rundfeldt hält auch die Kosten für die Einführung eines Cell-Broadcast-ManagementSystems für überschaubar. So könnten die Kosten pro Mobilfunknetz zwischen 500.000 bis 1,5 Millionen Euro liegen. Er sieht die größeren Probleme bei der Integration von IT-Systemen bei den zuständigen Behörden. Dadurch, dass mehrere Bundesbehörden, Behörden aus den Ländern und aus den Kommunen Warnungen wie bei der Warn-App würden aussenden wollen, könnten erst Systeme angeschafft werden, wenn die Zuständigkeiten festgelegt seien. “Je nachdem, wie geschickt sich die Politik anstellt, können die komplexen föderalen Berechtigungen und Zuständigkeiten auch zu deutlichen Kostensteigerungen führen”, so Rundfeldt. Rundfelt ist sich jedoch sicher: “In der Betrachtung Cell Broadcast versus NINA (oder anderen KatWarn-Apps) sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass die EU bereits eine Regelung verabschiedet hat, die dazu führen wird, dass Cell Broadcast oder vergleichbare SMSWarnsysteme auch in Deutschland eingeführt werden müssen.” Diese Regelung ist der Europäische Kodex für die elektronische Kommunikation (EECC-Kodex), der vom Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission formuliert wurde. Dieser Kodex fordert, dass öffentliche Warnsysteme, wie Cell Broadcast und Warn-App, in ihrer Effektivität in Bezug auf Abdeckung und Kapazität zur Erreichbarkeit der Endnutzer gleichwertig sein müssen. Die erarbeiteten Leitlinien wurden Ende Juni 2020 vorgelegt. “Die Prüfung der Erfüllung der Anforderungen der Leitlinien seitens BMWi und BMI dauert an”, heißt es aus dem BMI. Ebenso teilt das BBK mit, dass “Änderungen für Voraussetzungen zur Nutzung von Cell Broadcast” zusammen mit anderen Stellen regelmäßig geprüft würden.

Rechte Vorfälle bei ­Feuerwehren

Innovative Steigtechnik für den Einsatz im Ernstfall

Konsequenzen gezogen

Günzburger Steigtechnik ist Partner von Blaulichtorganisationen

(BS/bk) Immer wieder tauchen auch Chats mit rechtsradikalen oder rassistischen Inhalten bei Berufsfeuerwehren und Freiwilligen Feuerwehren im ganzen Bundesgebiet auf. Nach einem Vorfall bei einer Freiwilligen Feuerwehr in Bad Lobenstein in Thüringen wurden nun auch Fälle bei der Bremer Berufsfeuerwehr und bei der Berliner Feuerwehr bekannt. Welche Konsequenzen werden gezogen?

(BS/Laura Jocham*) Innovative Steigtechnik und Transportlogistik für den Einsatz im Ernstfall: Die Günzburger Steigtechnik ist starker Partner von Blaulichtorganisationen und stattet diese seit über 120 Jahren aus. Auch das Technische Hilfswerk (THW) vertraut auf die Lösungen des Unternehmens, die Einsatzkräften höchste Arbeitssicherheit bei optimalem Handling bieten. Einen Überblick über das umfangreiche Sortiment gibt der neue Rettungstechnik-Ratgeber Nr. 8 der Günzburger Steigtechnik. Dieser ist jetzt noch klarer strukturiert, punktet mit einem neuen Erscheinungsbild und ist umfangreicher denn je. Auf 196 Seiten informiert er z. B. über das neue Rollcontainer-Sortiment für Hygiene am Einsatzort sowie die beliebte Multifunktionsleiter des Qualitätsherstellers, die sich auf die Einsatzbedürfnisse abstimmen lässt.

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ie geteilten Inhalte der Chatgruppe bei der Bremer Berufsfeuerwehr erfüllen nach einer ersten strafrechtlichen Prüfung die Tatbestände der Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Staatsschutzabteilung der Kriminalpolizei Bremen hat die Ermittlungen aufgenommen und Zeugen vernommen. Ebenso wurden Räumlichkeiten des Hauptbeschuldigten durchsucht und Handys sowie Computer beschlagnahmt. Der Hauptbeschuldigte wurde vom Dienst suspendiert. Drei Personen aus der Feuerwehr hatten auf die Vorgänge aufmerksam gemacht.

LfV untersucht mögliches Netzwerk Neben den Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden wurde auch das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Bremen bei der Aufklärung aktiv. Es soll mögliche “darüber hinausreichende Netzwerke” aufklären. “Dies ist wichtig, gerade auch vor dem Hintergrund von Hass und Hetze in Sozialen Netzwerken, die gezielt eingesetzt werden, um rechtsextremistische Ideologien bis in die Mitte der Gesellschaft zu tragen”, erläuterte Bremens Innensenator, Ulrich Mäurer (SPD).

Über allem steht die Frage, warum die Vorgänge erst jetzt ans Licht kommen. Die beschriebenen Vorfälle ereigneten sich offenbar über mehrere Jahre. Ebenso wird untersucht, ob Vorgesetzte ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Dazu wird für das disziplinarrechtliche Verfahren eine Sonderermittlerin eingesetzt. Sonderermittlerin wird Karen Buse. Buse war zuvor Präsidentin des Hanseatischen Oberlandesgerichtes (OLG) in Bremen und mehrere Jahre als Staatsrätin im Innenressort tätig.

Vorfall auch bei der Berliner Feuerwehr Aber nicht nur in der Hansestadt wurde Extremismusvorwürfe gegen einenn Feuerwehrangehörigen erhoben. Die Berliner Feuerwehr führte nach Bekanntwerden der Vorwürfe eine interne Prüfung durch. So seien unter anderem Ermittlungen aufgrund des Vorwurfs einer rassistischen Beleidigung aus dem Jahr 2018 gegen den Feuerwehrangehörigen von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Die Feuerwehr Berlin prüft jedoch den Vorwurf der extremistischen Gesinnung durch Vorermittlungen weiter. Von diesen hängt ab, ob im Anschluss ein Disziplinarverfahren wegen Verstoßes gegen die Wohlverhaltens- und Neutralitätspflicht einzuleiten ist. Sieg-

fried Maier, Bundesvorsitzender der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft (DFeuG), ist überzeugt, dass das jedoch Einzelfälle sind. Zudem gebe es große Unterschiede zwischen den Feuerwehren und den Polizeibehörden im Land. “Ein Großteil der 1,3 Millionen Menschen, die in der Feuerwehr engagiert sind, sind Freiwillige. Ebenso unterscheidet sich der Auftrag. Wir kommen immer dann, wenn Menschen Hilfe brauchen. Egal, wer die hilfsbedürftige Person ist. Menschen, die mit diesem Einsatzauftrag ein Problem haben, werden nicht in einer Feuerwehr tätig”, so Maier. Man könne sich zwar nicht von Schuld freisprechen, aber bei den 1,3 Millionen seien Menschen mit diesem Gedankengut nicht die Mehrheit. Dies habe sich auch in der Vergangenheit gezeigt. Wichtig seien immer wieder stattfindende Aus- und Fortbildungsseminare zu interkultureller Kompetenz. “Diese müssen in Zukunft auch intensiviert werden”, empfiehlt Maier. Der Bundesvorsitzende hält wenig von Einstellungsbefragungen von angehenden Kameradinnen und Kameraden zum Thema Extremismus. Prävention müsse während des Betriebes stattfinden und bei Vorfällen konsequent gehandelt werden.

“W

ir sind starker Partner von Einsatzkräften und statten diese seit über 120 Jahren mit innovativer Rettungstechnik aus. Denn wenn es um Menschenleben geht, können Sekunden entscheidend sein. Unser Produktsortiment in diesem Bereich wächst stetig und bietet immer wieder neue Lösungen. Diese präsentieren wir jetzt gebündelt im neuen Rettungstechnik-Ratgeber Nr. 8, der informativer und umfangreicher denn je ist”, sagt Ferdinand Munk, Geschäftsführer der Günzburger Steigtechnik GmbH. Auf 196 Seiten zeigt der Qualitätshersteller aus Bayern u. a. sein brandneues Rollcontainer-Sortiment für die optimale Hygiene am Einsatzort. Dazu gehören mobile Waschund Desinfektionsstationen, die gerade in Zeiten der CoronavirusPandemie für schnelle Sauberkeit und höchsten Infektionsschutz im Einsatz oder bei Veranstaltungen sorgen, sowie ein neuer Rollcontainer für effiziente Schwarz-WeißTrennung. Weiteres Highlight im

Rettungstechnik-Ratgeber Nr. 8 ist der erste elektrisch angetriebene Rollcontainer eRC. Damit können Einsatzkräfte bis zu einer Tonne Schaummittel, Geräte und sonstiges Material im Einmannbetrieb transportieren. Im Seriensortiment bietet die Günzburger Steigtechnik eine Vielzahl an weiteren Rollcontainer-Modellen an, die sich auch individuell und genau nach den Wünschen der Rettungskräfte planen und bestücken lassen. Das Unternehmen steht Feuerwehren und Hilfsorganisationen dabei mit seinem langjährigen Know-how und seinem Top-Service von der Planung bis zur Auslieferung zur Seite. Neben dem Rollcontainer-Sortiment bildet der RettungstechnikRatgeber Nr. 8 auch die bewährten Rettungsplattformen und vielfältigen Feuerwehrleitern aus Günzburg ab, die in den Ausführungen nach DIN EN 1147 und ÖNORM F4047 erhältlich sind. Dazu zählt neben Seilzug-, Steck- und Hakenleitern auch die beliebte Multifunktionsleiter des Unternehmens. Diese eignet sich

speziell für die technische Hilfe und als Rettungs- oder Zugangsleiter in Bereichen, in denen andere Leitern gar nicht oder bedingt eingesetzt werden können. Den entscheidenden Vorteil bietet die Vielseitigkeit der dreiteiligen Multifunktionsleiter, die variabel an den jeweiligen Ernstfall angepasst und sogar zur Rettungs- und Arbeitsplattform erweitert werden kann. Zudem widmet sich der Qualitätshersteller in dem neuen Nachschlagewerk in einem eigenen Kapitel der Gerätehausausstattung samt Leiterprüfstand und weist auf sein umfassendes Service- und Seminarangebot hin. Der Rettungstechnik-Ratgeber Nr. 8 kann ab sofort unter Telefon 08221/3616-01 oder per E-Mail unter vertrieb@steigtechnik.de angefordert sowie auf der Homepage des Unternehmens unter www.steigtechnik.de/downloads heruntergeladen werden. *Laura Jocham ist PR-Managerin bei Jensen media GmbH.


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ede Beschaffung neuer Einsatztechnik bedarf natürlich einer umfangreichen Analyse. Durch das LPBK MV werden Einsätze der Feuerwehren und der Katastrophenschutzeinheiten kontinuierlich ausgewertet beziehungsweise technische Neuerungen oder Entwicklungen dahingehend beobachtet, welche Möglichkeiten sich zur Optimierung der Ausstattung der Einsatzkräfte ergeben. In den vergangenen Jahren wurden daher auch die Entwicklung und die Einsatzmöglichkeiten der ULS durch das LPBK MV beobachtet und bewertet. Letztendlich konnte festgestellt werden, dass diese Systeme sehr vorteilhaft in der Einsatzunterstützung verwendet werden können. In den Jahren 2018 und 2019 waren zwei Großbrände im wahrsten Sinne des Wortes das Zünglein an der Waage. Diese Ereignisse bestätigten in der Praxis eindringlich, was die theoretischen Beobachtungen der Thematik ULS zuvor aufzeigten.

Konzeption entwickelt Durch die Beschäftigten des Dezernates Katastrophenschutz des LPBK MV wurde in Zusammenarbeit mit den fachlich zuständigen Beschäftigten der Landkreise und kreisfreien Städ-

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Eine Investition in die Zukunft Unbemannte Luftfahrtsysteme im Katastrophenschutz

ULS eingesetzt werden? Welche Möglichkeiten bietet die eingesetzte Technik insbesondere die Wärmebildkamera? Und jeder Einsatz wird neue Fragen im Detail aufwerfen. Erfahrungen werden gesammelt.

(BS/Torsten Renz) Noch vor einigen Jahren galten unbemannte Luftfahrtsysteme (ULS), umgangssprachlich auch als Drohnen bezeichnet, als Spielerei. Die verwendeten technischen Komponenten waren schlicht noch nicht für den Einsatz im Katastrophenschutz geeignet. Dies hat sich jedoch positiv gewandelt, sodass das Landesamt für zentrale Aufgaben und Technik der Polizei, Brand- und Katastrophenschutz Mecklenburg- Erfahrungen sammeln Vorpommern (LPBK MV) acht Drohnen für den Katastrophenschutz beschaffen konnte. Weiterhin müssen kommende te sowie Vertretungen der im Katastrophenschutz mitwirkenden Organisationen eine Konzeption zur Einführung von unbemannten Luftfahrtsystemen in den Katastrophenschutzeinheiten entwickelt. Tenor des Konzeptes: Die Landkreise und kreisfreien Städte richten je einen Erkundungstrupp Luft ein und durch das LPBK MV werden die Drohnen als Hauptausstattungselement der Trupps beschafft. Was sollte mit der Einführung der ULS erreicht werden? Der Aufgabenbereich der ULS ist als sehr vielfältig zu beschreiben. Er reicht von der Aufklärung unübersichtlicher/unbegehbarer, mitweilen größerer Einsatzgebiete bis hin zur Personen- und Tiersuche in unübersichtlichem Gelände oder auf Wasserflächen mittels Videound Wärmebildtechnik. Darüber hinaus kann die ULS auch unterstützend in der Einsatzkoordinierung, der Einsatzdokumentation

•m indestens sechs Rotoren (Gewährleistung der Betriebssicherheit auch bei Ausfall eines Rotors), einsetzbar auch bei hohen Windgeschwindigkeiten, • lange Akkulaufzeit, Vorhaltung mehrerer Akkumulatoren für eine nahezu unbegrenzte Einsatzdauer, • kombinierte Kamera mit Restlichtverstärkung und Wärmebildkamera.

Torsten Renz ist Minister für Inneres und Europa, Mecklenburg-Vorpommern. Foto: BS/Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern

sowie der Einsatznachbereitung eingesetzt werden. Durch den definierten Aufgabenbereich ergaben sich auch die technischen Anforderungen, welche detailliert beraten wurden. Folgende wesentliche technische Anforderungen wurden bestimmt:

Im Ergebnis des Vergabeverfahrens wurde durch das LPBK MV die Yuneec H520 mit der Kamera YUNE10TEU beschafft.

Ausdruck der Fürsorgepflicht Neben der Beschaffung der technischen Komponenten ist der sichere Umgang mit dem neuen Einsatzmittel sehr wichtig. Die neu geschaffenen Erkundungstrupps Luft, bestehend aus je drei Einsatzkräften (Truppführer oder -führerin, Drohnensteuerer oder

-steuerin und Luftraumbeobachter oder -beobachterin), wurden in zwei mehrtägigen Lehrgängen befähigt, die ULS zu führen. Diese Lehrgänge wurden durch die Landesschule für Brand- und Katastrophenschutz Mecklenburg-Vorpommern (LSBK MV) organisiert, obwohl weder die technischen Parameter der ULS noch die rechtlichen Regelungen für BOS zwingend den “Kenntnis- und Befähigungsnachweis” vorschreiben. Gleichwohl gebietet die Fürsorgepflicht, ein möglichst hohes Maß an Sicherheit beim Einsatz der ULS sicherzustellen. Die beschafften Drohnen und die eingeführten Erkundungstrupps Luft leisten im Katastrophenschutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern Pionierarbeit: Pionierarbeit im Sinne der Erprobung des neuen Einsatzmittels. Grenzen von Mensch und Technik gilt es auszuloten: Unter welchen Bedingung kann das

Einsätze auch aufzeigen, wie das Zusammenspiel mit schon bestehender Einsatztechnik aussehen kann beziehungsweise muss. Beispiele sind das Zusammenwirken von Drohnen und Hubschraubern an einer Einsatzstelle und die Einsatzgrenzen der jeweiligen Kameratechnik für den spezifischen Einsatzzweck. Die Hubschrauber der Landespolizei können zum Beispiel ein viel größeres Einsatzgebiet bei längerer Einsatzzeit abdecken und die verwendete Kameratechnik bietet eine höhere Qualität als die der Drohnen. Bezüglich der Abwägung, welche Einsatzmittel im jeweiligen Szenario zeitgerecht verfügbar und geeignet sind, gilt es, in der näheren Zukunft Erfahrungen zu sammeln. Bereits heute ist absehbar, dass die aktuelle und zukünftige Entwicklung der Drohnentechnik die Arbeit im Katastrophenschutz der kommenden Jahre positiv beeinflussen und ergänzen wird.

Wichtige Helfer

Geräte mit zahlreichen Vorteilen

Drohnen unterstützen Sicherheits- und Rettungskräfte

Wie Feuerwehren künftig von Drohnen profitieren

(BS/Sebastian Alt*) Unbemannte Fluggeräte (Unmanned Aerial Vehicles, UAV) sind dank der raschen technologischen Entwicklung der Systeme und des sich stetig vergrößernden Einsatzspektrums in vielen Bereichen zu leistungsfähigen und zuverlässigen Helfern geworden. Dass sich aktuelle Drohnensysteme trotz HightechInnenleben und komplexer Nutzlasten wie Wärmebildkameras zunehmend intuitiver handhaben lassen, macht sie zusätzlich attraktiv.

(BS/Phil Stephan*) Ob Personensuche, Erkundung von Brandherden oder Rauchinspektionen: Immer häufiger setzen Feuerwehren bei ihren Missionen Drohnen ein. Mit Blick auf Größe und Wendigkeit leisten diese vor allem bei Erkundungen einen Mehrwert. Nach wie vor sind Drohnen für andere bemannte und unbemannte Fluggeräte aber nicht sichtbar, was deren Einsatz erschwert.

Auch Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) zählen zum wachsenden Nutzerkreis, weil die Steuerung von UAV nach Bedarf kurzfristig erlernbar ist, sie schnell bereitgestellt sind und Einsatzkräfte aus sicherem Abstand ein Lagebild erhalten. Zu den breitgefächerten Anwendungsbereichen von Drohnen zählen die Aufklärung von Einsatzlagen und Koordination von entsprechenden Rettungsmaßnahmen, die Unterstützung bei der Brandbekämpfung durch die Suche nach Glutnestern sowie das Auffinden vermisster oder verunfallter Personen. Im Nachgang zu Einsätzen lassen sich mittels Luftaufnahmen taktische Analysen durchführen und bei Übungen zu MANV-Situationen kann das konzertierte Vorgehen verschiedener BOS-Kräfte in Echtzeit beobachtet und gesteuert werden. Nicht zuletzt können Aufnahmen, die im Rahmen von Rettungsübungen oder Feuerwehrschauen erstellt werden, zu PR-Zwecken verwendet werden.

Zahlreiche Nutzlasten ­integrierbar Dass moderne Drohnen so vielfältig eingesetzt werden können, liegt an der Möglichkeit, eine Fülle von Nutzlasten zu integrieren: Zoom- und Thermalkameras, Lautsprecher und Scheinwerfer stehen zur Verfügung, ebenso Laserentfernungsmesser und Gasdetektoren. Neuste Modelle können bis zu drei Nutzlasten gleichzeitig mitführen, sind wasser- und staubgeschützt und

Drohnen werden bereits bei zahlreichen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) genutzt. Und ihre Verwendung wird dort in Zukunft weiter zunehmen. Foto: BS/DLRG Pöcking-Starnberg e. V.

erlauben bis zu 55 Minuten Flugzeit. Für BOS-Anwendungen hat sich beispielsweise die DJI M300 RTK des Herstellers DJI als zuverlässiges Hightech-Arbeitspferd erwiesen. Im Rahmen der Beschaffung ist es wichtig, die aktuellen Einsatzanforderungen abzudecken sowie zukünftige Szenarien zu antizipieren, um eine optimal nutzbare Drohnenplattform auszuwählen. Müssen situationsbedingt Spezialinstrumente angebunden werden, kann dies in vielen Fällen durch Software Development Kits realisiert werden.

Verwendung immer attraktiver Mittelfristig werden UAV immer weiter gegen Umwelteinflüsse wie Wind, Wasser und Fremdkörpereinwirkung geschützt sein. In der kabellosen Nutzung machen stetige Verbesserungen in der

Batterietechnologie die Drohnennutzung für BOS zunehmend attraktiver. Schon jetzt lassen sich im Einsatz spürbar längere Flugzeiten realisieren. Ebenso werden laufend Nutzlasten weiterentwickelt, beispielsweise verbesserte Lasertechnik zur Geschwindigkeitsmessung sowie Wärmebildkameras mit höherer Auflösung, Zoomfunktionalität und größerer Messgenauigkeit. Die Globe Flight GmbH unterstützt bundesweit zahlreiche Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) bei der Auswahl und Konfiguration von Drohnensystemen. So können Menschenleben gerettet, Sachwerte geschützt und Risiken für Einsatzkräfte minimiert werden.

Ein Frankfurter Unternehmen bietet dafür jetzt die Lösung. Wie diese aussieht, zeigt die Freiwillige Feuerwehr Kleve, die diese bereits bei ihren Einsätzen nutzt. Seit 2017 nutzt die Feuerwehr – mit über 300 Mitarbeitern eine der größten Freiwilligen Feuerwehren in ihrem Umkreis – Drohnen. Gründer der heute neunköpfigen Drohnenstaffel, auch Erkundergruppe genannt, ist Achim Rademacher. Er ist seit 32 Jahren bei der Feuerwehr im Dienst. Die Erkundergruppe leitet er mit Florian Pose, dem Pressesprecher. “Durch die Nutzung von Drohnen ergeben sich für uns einsatztaktisch neue Möglichkeiten”, erklärt Rademacher.

Vielfältige ­Nutzungsmöglichkeiten Über 20 Missionen hat die Erkundergruppe in den letzten vier Jahren durchgeführt. Der fliegende Helfer unterstützt die Feuerwehr bei zeitkritischen Geländeerkundungen, beispielsweise bei der Vermisstensuche. Auch bei der Untersuchung von Brandherden oder mutmaßlichen Rauchentwicklungen kommt die Drohne zum Einsatz. Eine Anfang 2020 angeschaffte zweite Drohne mit einer Wärmebildkamera hilft bei Nachtflügen sowie bei der rechtzeitigen Identifizierung

von Glutnestern. “Gerade bei der Erkundung unübersichtlicher Stellen leistet die Drohne für uns einen Mehrwert”, verdeutlicht Pose. Trotz der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten stellt der Drohneneinsatz die Feuerwehr aber auch vor Herausforderungen. Diese betreffen die Sichtbarkeit der Drohne. Um Kollisionen mit Flugteilnehmern zu vermeiden – in der Nachbarschaft der Feuerwehr befindet sich ein Sportflughafen –, müssen die Fernpiloten die Drohne bei dem Einsatz in Sichtweite haben. Gerade bei der Erkundung von Brandherden, die weiter weg liegen, kann dies zu Problemen führen.

Technologie made in Frankfurt Um diese Herausforderungen zu meistern, nutzt die Freiwillige Feuerwehr Kleve aktuell die Technik eines Frankfurter Unternehmens. Die Droniq GmbH, ein Joint Venture der Deutschen Flugsicherung (DFS) und der Deutschen Telekom, hat sich die sichere und effiziente Integration von Drohnen als neue Luftraumteilnehmer auf die Fahne geschrieben. Das Unternehmen hat eine Technologie entwickelt, die Drohnen erstmals digital sichtbar macht: Das Droniq UTM be-

*Sebastian Alt ist Sales Manager bei der Globe Flight GmbH.

MELDUNG

Transportzeit verkürzen (BS/mfe) Durch den Einsatz von Drohnen soll die Transportzeit für besonders zeitkritische Proben zwischen einzelnen Klinik­ standorten und dem Zentrallabor von Labor Berlin, dem ersten Gemeinschaftsunternehmen von Charité und Vivantes, deutlich verkürzt werden. Die autonomen Geräte sind seit

Kurzem in der Bundeshauptstadt unterwegs. Es geht unter anderem um die Lieferung medizinischer Materialien und Proben, die sehr zeitnah analysiert oder ausgeliefert werden müssen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn eine Blutprobe, die erst während einer Operation entnommen wurde, rasch aus-

gewertet werden muss. Bislang mussten derartige Proben noch per Kraftfahrzeug zwischen den einzelnen Standorten hin- und hertransportiert werden. Damit einher ging oftmals ein nicht unerheblicher Zeitverlust. Vom Einsatz der Drohnen erhoffen sich die Verantwortlichen massive Zeitgewinne.

Alles im Blick: Insbesondere bei zeitkritischen Einsätzen leisten Drohnen für die Freiwillige Feuerwehr Kleve einen Mehrwert. Foto: BS/Markus van Offern

steht aus dem HOD4track, einem streichholzschachtelgroßen LTEModul, sowie einem Webdisplay für die Darstellung der Luftlage. Das Zusammenspiel beider Komponenten ermöglicht die Ortung des eigenen Fluggeräts sowie der anderen Flugverkehrsteilnehmer. Der anvisierte Luftraum wird direkt auf Flugverbotszonen oder Beschränkungen überprüft – ein Vorgang, der für ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren essenziell ist. Zudem erhält der Pilot dadurch, dass er seine genauen Flugrouten schon im Vorfeld festlegt, eine Warnung, sofern er den für sein Projekt geblockten Luftraum verlässt. Gleichzeitig sendet das System seine Position ebenfalls über FLARM aus – um das Fluggerät auch für andere Verkehrsteilnehmer im Nahbereich sichtbar zu machen. “Unsere Arbeit wird dadurch einfacher, insbesondere mit Blick auf die künftige Umsetzung von BVLOS-Flügen, sprich Flügen außerhalb der Sichtweite des Drohnenpiloten”, so Rademacher.

Nächster Schritt: Implementierung von BVLOS-Flügen BVLOS-Flüge (BVLOS: beyond visual line of sight) können insbesondere mit Blick auf weiter entfernte Einsatzorte Feuerwehren helfen. Im Falle der Feuerwehr Kleve gibt es bereits Überlegungen für die Umsetzung regelmäßiger BVLOS-Flüge. Erstes Einsatzziel: der nahe gelegene Reichswald. Mit Blick auf mögliche Brände muss dieser in der heißen Jahreszeit im Auge behalten werden. Keine leichte Aufgabe bei 52 Quadratkilometern Fläche. “Ziel ist es, mit der Drohne regelmäßige Aufklärungsflüge durchzuführen”, verrät Pose, der sich perspektivisch auch weitere BVLOS-Operationen vorstellen kann. “Hier wird noch vieles möglich sein”, sagt der Pressesprecher mit Blick in die Zukunft. *Phil Stephan ist Senior Public Relations Manager bei der Droniq GmbH.


Drohnen

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Drohnen im Bevölkerungsschutz

Herzstück ist das “Living Lab”

“Auf dem Plateau der Produktivität”?

Deutsches Rettungsrobotik-Zentrum mit erfolgreicher Zwischenbilanz

(BS/Katrin Uhl) Die Nutzung von unbemannten Fluggeräten, umgangssprachlich Drohnen, nimmt bei Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) stetig zu. Nicht nur die Polizei setzt Drohnen für ihre Zwecke ein. Auch im Bevölkerungsschutz nutzen Feuerwehren und Rettungsdienste Drohnen zur Unterstützung für eine effizientere und schnellere Einsatzkoordinierung. Die Einsatzkräfte sehen sich dabei aber oft noch vor vielfältigen Herausforderungen.

(BS/Hartmut Surmann/Dirk Aschenbrenner*) Zwei Jahre nach seinem Start zieht das Deutsche Rettungsrobotik Zentrum in Dortmund eine erste erfolgreiche Zwischenbilanz: Entwicklung und Test boden- und luftgebundener Robotersysteme zur Unterstützung der Behörden und Organisatoren mit Sicherheitsaufgaben (BOS) kommen planmäßig voran.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat daher als koordinierende Stelle in einem intensiven Abstimmungsprozess mit mandatierten Vertreterinnen und Vertretern aus dem Bevölkerungsschutz und der Luftfahrt “Empfehlungen für Gemeinsame Regelungen zum Einsatz von Drohnen im Bevölkerungsschutz” erarbeitet. Damit wurden den Einsatzkräften erstmalig einheitliche Mindeststandards für einen flächendeckenden, organisationsübergreifenden und sicheren Betrieb an die Hand gegeben. Die Hilfsorganisationen und die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) haben die Inhalte in eigene Dienstvorschriften übernommen. Der Ausschuss für Feuerwehrangelegenheiten, Katastrophenschutz und Zivile Verteidigung (AFKzV) hat den Feuerwehren die Anwendung für den Katas­ trophenschutz empfohlen. Seit September 2020 liegen die Empfehlungen nun auch als Druckversion vor und die Nachfrage ist groß. Dies zeigt den enormen Bedarf nach einheitlichen Anwendungs- beziehungsweise Betriebsstandards. Insgesamt erhält die Handreichung des BBK viel Zustimmung, da sie den Einstieg in dieses neue Einsatzmittel “in der Luft” erleichtert und nicht zuletzt zur Erhöhung der Luftsicherheit beiträgt. Sogar in Österreich, der Schweiz und in Italien werden die Empfehlungen positiv wahrgenommen.

Noch nicht flächendeckend vorhanden Trotz ihrer vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten (unter anderem Luftbilderstellung, Transportieren, Gefahrstoffmessung oder Ausleuchten) sind Drohnen noch nicht flächendeckend als Einsatzmittel im Bevölkerungsschutz etabliert. Passen die Erwartungen an die Fähigkeiten von Drohnen nicht zu den Einsatzbedingungen? Befinden wir uns, wenn wir uns an einem Punkt im HypeZyklus verorten, gar in einem “Tal der Enttäuschungen”? An das BBK wird von vielen Einsatzkräften der Wunsch einer verbindlichen länderübergreifenden Lösung für die Ausbildung

Drohnen stellen die Einsatzkräfte im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz oftmals noch vor Herausforderungen. Foto: BS/BBK

herangetragen. Weiter werden komplexe Fragen zu Datensicherheit, Safety Management, Funkfrequenzen, Beschaffung oder Koordinierung am Einsatzort gestellt. Auch das neue EU-Recht, das ab dem 31. Dezember dieses Jahres gilt, führt bei den BOS zu Rechtsunsicherheiten. Zudem zeigen Forschungsprojekte schon jetzt den Weg in halb- und vollautomatisierte Systeme. Die geltende Rechtslage lässt dies jedoch derzeit noch nicht zu.

BBK wie bereits bei der Änderung der Luftverkehrsordnung 2017 wieder für die Interessen des Bevölkerungsschutzes ein. Die Inhalte werden dann zu gegebener Zeit bei der Überarbeitung der Empfehlungen einfließen. Zudem verfolgt das BBK einen kooperativen Ansatz mit seinen Partnern aus dem Bevölkerungsschutz, einschließlich der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e. V. (vfdb) und der Luftfahrt. Besonders hervorzuheben ist der enge Austausch des BBK mit der Katrin Uhl ist Referentin im Referat “Grundlagen und ITKoordinierungsVerfahren im Krisenmanastelle Drohnen gement” des Bundesamtes der Polizei, um für Bevölkerungsschutz und die verschiedenen Katastrophenhilfe (BBK) und Sichtweisen und dort verantwortlich für den Anforderungen Aufgabenbereich “Drohnen der polizeilichen im Bevölkerungsschutz”. und nicht-polizeilichen Gefahren Foto: BS/privat abwehr im Sinne eines gemeinsamen, sicheren Vorgehens am Evaluierung vorgesehen Einsatzort zusammenzubringen. Mit dem bisherigen Engagement In den Empfehlungen ist eine zweijährige Evaluierungsphase aller Akteure wurden die grundseit ihrer Veröffentlichung im Ju- legenden Rahmenbedingungen ni 2019 festgeschrieben. Das BBK für einen sicheren Betrieb von wird den Abstimmungsprozess Drohnen im Bevölkerungsschutz mit seinen Partnern für die Über- geschaffen. Gleichwohl bedarf es arbeitung und Fortschreibung noch einiger weiterer Anstrender Empfehlungen koordinieren. gungen, um in dem genannten Die von den Einsatzkräften geäu- Hype-Zyklus das “Plateau der ßerten Fragen, insbesondere das Produktivität” zu erreichen. Dies Thema Ausbildung, werden hier wird gelingen, wenn die vielfäleine wichtige Rolle spielen. Im tigen Einsatzerfahrungen der Rahmen des derzeitigen Gesetzge- verschiedenen Drohnen-Einheibungsverfahrens zur Anpassung ten gebündelt und gemeinsam des nationalen Luftrechts an das die richtigen Schlüsse gezogen neue EU-Recht setzt sich das werden.

Noch für 2020 vorgesehen Bundesregierung will Mittelfreigabe für Heron TP bis Ende Dezember (BS/mfe) Die Bundesregierung will noch bis Jahresende beim Deutschen Bundestag die Freigabe von Finanzmitteln für die Beschaffung einer Bewaffnung der von Israel geleasten Drohne Heron TP sowie für die bewaffnungsspezifische Ausbildung beantragen. Dabei handelt es sich um eine 25-Millionen-Euro-Vorlage. Die entsprechenden Vorbereitungen im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) seien abgeschlossen. Das Ressort von Ministerin Annegret KrampKarrenbauer (CDU) habe mit Israel eine Vereinbarung ausgehandelt, die Unterstützungsleistungen für die bewaffnungsspezifische Ausbildung deutscher Soldaten sowie die Beschaffung von Munition und der entsprechenden technischen Zusatzausstattung vorsehe. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 19/24734) auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag hervor (mehr dazu siehe auch Behörden Spiegel November 2020, Seite 54).

Einsatzgrundsätze erst später Zudem heißt es dort, dass “die speziellen Einsatzgrundsätze zum Waffeneinsatz der Heron TP erst nach der grundsätzlichen parla-

mentarischen Billigung und der darauffolgenden Erstellung des Einsatzkonzeptes auf der Basis der allgemeinen “Grundsätze für den Einsatz von deutschen bewaffneten Unmanned Aircraft Systems (UAS)” erarbeitet” würden.

Kommando Luftwaffe verantwortlich Für die Konzeption der Ausbildung und damit auch für die waffenspezifische Grundlagenausbildung sei das Kommando Luftwaffe zuständig. Dieses würde auch eine für die mandatierte Mission gegebenenfalls erforderlich werdende Zusatzausbildung konzipieren. Umgesetzt würde sie dann durch das Luftwaffentruppenkommando. “Dort werden die taktischen Verfahren einschließlich eines möglichen Waffeneinsatzes – wie für alle Waffensysteme der Luftwaffe – entwickelt und weiterentwickelt

sowie in Flugbetriebsbestimmungen festgeschrieben”, ist in der Antwort zu lesen. Im Rahmen der bislang für den Grund- und Einsatzbetrieb bereits beauftragten und geplanten Ausbildung sei es vorgesehen, 60 Luftfahrzeugbesatzungen für den Einsatz an der Heron TP zu schulen. Die bewaffungsspezifische Ausbildung würde erst nach parlamentarischer Billigung stattfinden. Die ersten drei deutschen Heron TP sollen, nach den bisherigen Planungen und laut Antwort auf die parlamentarische Anfrage, im März kommenden Jahres auf dem Hauptflugplatz der israelischen Luftwaffe in Tel Nof zur Verfügung stehen. Ein weiteres Luftfahrzeug wird voraussichtlich ab Mitte Mai 2021 für die Bundeswehr verfügbar sein. Der Grundbetrieb werde den aktuellen Planungen zufolge ab Mitte März 2021 mit zwei Heron TP in Tel Nof aufgenommen, heißt es.

Ende 2018 hatte das vom Institut für Feuerwehr- und Rettungstechnologie (IFR) der Feuerwehr Dortmund koordinierte Forschungsprojekt “Aufbau des Deutschen Rettungsrobotik Zentrums (A-DRZ)” seine Arbeit aufgenommen. Als Zusammenschluss von 13 namhaften Projektpartnern aus dem Bereich der Anwender, Forschung und Industrie soll es dazu beitragen, die zivile Gefahrenabwehr zu optimieren. Gefördert wird das zunächst auf vier Jahre angelegte Forschungsprojekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). In einem “Living Lab” – dem Herzstück des Projekts – werden die entwickelten Systeme unter realen Bedingungen erprobt. Schon jetzt bewährt sich das intensive Zusammenspiel von Einsatzkräften, Forschung und Industrie. Wichtigstes Ziel aller Beteiligten ist es, Robotersysteme zu schaffen, die künftige Einsätze noch sicherer machen und Menschen bei gefährlichen und belastenden Arbeiten unterstützen.

Noch viel Potenzial Alle bisherigen Anwendungen zeigen immer wieder, dass mit unbemannten Systemen weit mehr möglich ist, als es bisher praktiziert wird. Das gilt für Drohnen, die sogenannten Unmanned Aerial Vehicles (UAV), ebenso wie für die Unmanned Ground Vehicles (UGV), die bodengebundenen robotischen Systeme. Zu einem wegweisenden Hilfsmittel wurde ein im vergangenen Sommer entwickelter Robotik-

Leitwagen (RobLW). Das bislang einzigartige Fahrzeug dient nicht nur als Transportmittel für Einsatzkräfte, Drohnen und Roboter, sondern zugleich als Steuerungszentrale bei Einsätzen vor Ort. Seine Einsatzmöglichkeiten konnten unter anderem bereits bei einer Übung im nordrheinwestfälischen Kreis Viersen demonstriert werden. Dort konnten einige Partner des Projekts A-DRZ im Rahmen einer Fortbildung zu Vegetationsbränden wichtige Forschungsergebnisse für den zukünftigen Einsatz von Robotik in einem Feuerwehreinsatz sammeln. Während für die dortige Feuerwehr vor allem Technik und Taktik zur Bekämpfung von Vegetationsbränden im Vordergrund standen, beschäftigten sich die Projektpartner mit der Beschaffung von Erkundungsergebnissen aus der Luft und probten die maximale Reichweite der Steuerung der Roboter. Über eine kabellose Übertragung per WLAN und LTE-Basisstation konnte der Robotik-Leitwagen des DRZ für die Einsatzleitung der Feuerwehr Viersen Live-Bilder der Drohnen aus ca. 70 Meter Höhe zur Verfügung stellen. So wurden der Brandverlauf und die Brandausbreitung über die gesamte Fläche dargestellt. Parallel dazu wurde ein Bodenroboter auf dem Feld getestet, der über eine 360°-Kamera verfügte, die mithilfe einer VR-Brille angesteuert wurde. Auf diese Weise konnte der Roboter aus sicherer Entfernung und mit einem guten Rundumblick in der Einsatzstelle bewegt werden.

Zunehmend autonomer Die Vernetzung der Systeme und Fahrzeuge einer möglichen Robotik-Taskforce mit den bestehenden Systemen einer örtlichen Feuerwehr ist nur eines von vielen Beispielen für das Potenzial der Rettungsrobotik. Vor allem die Drohnen werden nach Einschätzung der DRZ-Wissenschaftler in Zukunft selbstständiger und autonom agieren. Auch wenn heute kommerzielle UAVs bereits einige autonome Funktionen besitzen, so werden sie aktuell in Einsätzen noch nicht genutzt. Die Wissenschaft geht noch deutlich weiter. Längst wird über Drohnenschwärme nachgedacht, die selbstständig Einsatzgebiete überwachen und vor Gefahren warnen könnten. Dabei könnten Sie auch ein Funknetz zur Datenübertragung aufbauen und analog zu den Paketdrohnen Wasser, Defibrillatoren oder Medikamente transportieren oder gleich selbständig kleinere Brände bekämpfen. Doch bevor Drohnen bei einem Alarm selbstständig ausrücken, als erste am Einsatzort eintreffen und Übersichtsdaten bereitstellen, müssen auch noch etliche wichtige rechtliche Fragen geklärt werden. *Hartmut Surmann ist Informatiker, promovierter Elektroingenieur und Professor für Autonome Systeme an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Im DRZ-Verbund ist er Drohnenexperte. Dirk Aschenbrenner ist Vorstandsvorsitzender des DRZ e.V. und Direktor der Feuerwehr Dortmund sowie Präsident der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb).

Spektakuläre Premiere Rohde & Schwarz stattet ersten Robotikleitwagen aus (BS/Stefan Woitaschik*) Premiere für ein ungewöhnliches Einsatzfahrzeug: Wissenschaftler des Deutschen Rettungsrobotik Zentrums (DRZ) haben zusammen mit Experten der Feuerwehr Dortmund einen völlig neuartigen Leitwagen entwickelt. Er soll künftig zu Forschungszwecken und Übungen für die Erprobung von Robotern und Drohnen sowie bei besonderen Großeinsätzen zur Verfügung stehen. Die Kommunikationstechnik hierfür entwickelten und verbauten Spezialisten aus dem Teisnacher Werk des Technologiekonzerns Rohde & Schwarz (R&S). Wie DRZ-Geschäftsführer Robert Grafe erläuterte, gilt der RobLW als Prototyp. “Solche Spezialfahrzeuge für Robotereinsätze sind bislang weder in der Forschung noch bei den Feuerwehren üblich. Unser Leitwagen bietet Transportkapazitäten für die Einsatzkräfte und zusätzlich Platz für jede Menge Technik. Darüber hinaus können die Roboter vom Innenraum des RobLW bedient werden – ganz gleich ob am Boden oder in der Luft. Die gewonnenen Daten werden überwacht, ausgewertet und bei Bedarf verteilt.”

Viel Technik im Inneren Zum “Innenleben” gehören unter anderem leistungsfähige Server zum Erstellen von 3D-Modellen, zwei PCs mit 42,5-Zoll-Bildschirmen, VierKW-Stromerzeuger, WLAN und umfangreiche funktechnische Ausrüstung für die besonderen Einsatzbedingungen. Genau hier kommt Rohde & Schwarz ins Spiel. Am Standort Teisnach wurde das erste Fahrzeug dieser Art in Deutschland realisiert. Die Spezialisten am R&S-Standort in Teisnach übernahmen den kompletten Ausbau des Heckraums, dazu gehören das Ausstatten mit Systemregalen zur Verlastung des Equipments und der Akkus sowie die In­stallation einer Werkbank und einer Verladerampe für fahrbare Roboter. Die Montage eines Dachträgers,

Forscher des Deutschen Rettungsrobotik Zentrums (DRZ) haben einen völlig neuen Robotikleitwagen entwickelt und vorgestellt. Die Kommunikationstechnik hierfür stammt vom Technologiekonzern Rohde & Schwarz (R&S).

die Bestückung mit Antennen und die Montage einer Sondersignalanlage, bestehend aus einem Blaulichtbalken und Frontblitzern, runden die Konzeptionierung der gesamten Technik für das Fahrzeug ab.

Roboter unterstützt Einsatzkräfte “Ich freue mich sehr, dass die Fahrzeugeinrüstung von Rohde & Schwarz in Teisnach das erste Fahrzeug dieser Art realisieren durfte”, erklärt Thorsten Frieb-Preis, Vertriebsleiter im Werk Teisnach. “Rettungsroboter arbeiten immer präziser und kommen immer häufiger zum Einsatz, um Menschenleben zu retten. Zukünftig benötigen die

Foto: BS/Deutsches Rettungsrobotik Zentrum

Einsatzkräfte immer mehr dieser Fahrzeuge. Wir sind bereit, die Technik dafür beizusteuern.” Ursprünglich sollte der RobLW 2020 seine Premiere auf der Weltleitmesse INTERSCHUTZ in Hannover feiern. Wegen der Corona-Pandemie musste die Messe jedoch auf das Jahr 2022 (20. bis 25. Juni 2022) verschoben werden. Das Interesse aus dem In- und Ausland sei sehr groß, deshalb werde man das Fahrzeug dann dort auf jeden Fall vorstellen, versichert Robert Grafe. *Stefan Woitaschik ist im Bereich Kommunikation und PR der Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG tätig.


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ie sächsische Polizei verfügt über einen SensoCopter vom modifizierten Typ md 4-1000 der Firma Microdrones. Betrieben wird er durch den Servicebereich Bildübertragung beim Polizeiverwaltungsamt. Der SensoCopter ist ein VTOL-Quadrokopter (vertical take-off and landing). Die vier bürstenlosen Motoren arbeiten ohne Getriebe. Dadurch wird eine geringe Geräuschemission gewährleistet. Der SensoCopter verfügt über ein automatisches Flugstabilisierungssystem. Dieses orientiert sich selbständig dreidimensional im Raum und erleichtert dem Piloten das Fliegen des SensoCopters in erheblichem Maße. Das ULS der sächsischen Polizei wird wahlweise mit einer marktüblichen Fotooder Videokamera bestückt. Auch Wärmebild-Kameras mit Bildübertragung oder Speziallasten sind in Abstimmung mit dem Hersteller variabel zu nutzen. Die Übertragung erfolgt auf verschlüsselten BOS-Funkfrequenzen zum Steuerer des Fluggerätes und kann bei Bedarf ins polizeiliche Netzwerk weitergeleitet sowie vor Ort auf SD-Speicherkarten gespeichert werden.

Behörden Spiegel / Dezember 2020

SensoCopter im Freistaat unterwegs Drohnen als Führungs- und Einsatzmittel der sächsischen Polizei (BS/Reiner Paul) Unbemannte Luftfahrzeugsysteme (ULS) haben inzwischen eine weite Verbreitung gefunden. Ständig wird über neue Anwendungsfelder im kommerziellen oder privaten Bereich in den Medien berichtet. Im vielfältigen Aufgabenspektrum des Servicebereiches Bildübertragung ist der SensoCopter nur eine kleine Facette.

Kein vollständiger Ersatz für Hubschrauber

Erweiterte Möglichkeiten Der SensoCopter ermöglicht dem Polizeiführer erweiterte Möglichkeiten der Einsatzführung durch authentisches Bildmaterial und Zusatzinformationen. Seit dem Abschluss einer zweijährigen Testphase im September 2010 gehört der SensoCopter zu den Führungs- und Einsatzmitteln der sächsischen Polizei u. a. in folgenden Einsatzfeldern: Gerade bei größeren Brandereignissen ist für die Ursachenermittlung Überblick gefragt. Die Alternative wäre der Einsatz eines Polizeihubschraubers. Hier ist die Dokumentation mittels SensoCopter erheblich kostengünstiger. Gemeinsam mit den Brandursachenermittlern vor Ort wird nicht nur die Schadensstelle, sondern, sofern erforderlich, auch das nähere Umfeld dokumentiert. So werden wertvolle Informationen zu Brandentstehung und -verlauf festgehalten. Sofern große Menschenmengen zusammen sind, ist dies eine besondere Herausforderung für den verantwortlichen Polizeiführer. Ob Fußballspiel,

mit vielen Beteiligten, zum Beispiel auf Bundesautobahnen, hat sich eine Dokumentation und Vermessung des Unfalls mittels des SensoCopter bewährt. Hierzu wird die Unfallstelle mittels SensoCopter dreidimensional eingemessen. Die Potenziale des SensoCopters zeigen hier besondere Ausbaufähigkeit.

Der SensoCopter bietet der sächsischen Polizei zahlreiche Möglichkeiten und birgt Potenziale.

bieten. Erster Polizeihauptkommissar Reiner Paul ist Leiter des Servicebereiches Bildübertragung beim Polizeiverwaltungsamt der Polizei Sachsen. Foto: BS/Polizei Sachsen

Open-Air-Konzert oder Demonstrationsgeschehen, immer gilt es den Überblick zu behalten. Hier kann der SensoCopter mittels Live-Bildern ins Lagezentrum der Polizei dem Polizeiführer wichtige Informationen zur aktuellen Situation liefern und so beim Einsatz der Kräfte eine wichtige Führungsunterstützung

Lagedokumentation bei Groß­schadensereignissen

Bei Hochwasserlagen in Sachsen kam der SensoCopter zur Dokumentation von Hochwasserschäden an der Infrastruktur, wie Uferbefestigungen, Straßen und Gebäuden, zum Einsatz. Es konnten Bilder aus Bereichen übertragen werden, die nur unter Lebensgefahr hätten erreicht werden können. So lieferte das ULS wertvolle Informationen für den örtlichen Katastrophenstab zur Lage- und Schadensbeurteilung. Die Dokumentation von Tatorten und damit die Unterstützung bei der Tatrekonstruktion ist ein weiteres Einsatzfeld. Aus der Vogelperspektive gibt

Foto: BS/Polizei Sachsen

es buchstäblich eine andere Sicht auf den Tatort. Begibt man sich selbst an diesen Ort, ist damit immer auch das Risiko verbunden, noch nicht entdeckte Spuren ungewollt zu zerstören. Richtfunkstrecken dienen der Übertragung von Funksignalen ohne Kabel über weite Entfernungen. Dennoch muss eine direkte Sichtverbindung zwischen den Punkten gewährleistet sein. Hierzu wird eine spezielle Blitzlampe am SensoCopter angebaut, deren Lichtstrahl am Zielmast vermessen werden kann. Gegenüber dem Aufbau von Hebebühnen oder Gerüsten hat sich der SensoCopter als eine zuverlässige und kostengünstige Alternative erwiesen. Mit ihm lassen sich schnell und kostengünstig verschiedene Richtfunkstandorte auf ihre technische Realisierbarkeit testen. Bei Verkehrsunfällen

Ständig werden neue Erfahrungen gesammelt und so das Spektrum der Einsatzmöglichkeiten des SensoCopters erweitert. Am besten kann der SensoCopter dort seine Stärken zeigen, wo er die Lücke zwischen den Videoaufnahmen aus einem Polizeihubschrauber und den mobilen/stationären Kameras am Boden schließt. Hier ist er eine innovative und kostengünstige Ergänzung zu den anderen Möglichkeiten der Foto-/Videoübertragung beziehungsweise -dokumentation. Der SensoCopter kann jedoch weder die Aufnahmen aus dem Hubschrauber noch vom Boden aus vollständig ersetzen. Als Führungs- und Einsatzmittel der Polizei des Freistaates Sachsen unterstützt er in bestimmten polizeilichen Lagen schnell und flexibel polizeiliche Maßnahmen. Seit 2019 existiert eine durch das Sächsische Staatsministerium des Innern initiierte Landes-Arbeitsgruppe. Diese betrachtet neben der zentralen Nutzung von Spezial-ULS auch das Potenzial der dezentralen Nutzung von standardisierten ULS in ausgewählten Arbeitsbereichen für die Polizei Sachsen und untersucht die Koordination des Einsatzes polizeilicher ULS unterschiedlicher Bereiche. Ein Einsatz polizeilicher ULS unterliegt je nach Art verschiedenen rechtlichen Rahmenbedingungen. Beispielhaft ist neben dem Polizeivollzugsdienstgesetz (SächsPVG) und dem Versammlungsgesetz (SächsVersG) zu berücksichtigen, dass auch aktuelle luftfahrtrechtliche Rahmenbedingungen zwingend zu beachten sind. Diese Besonderheiten erfordern eine spezielle und stetige Fortbildung der Luftfahrzeugfernführer.

Die Zukunft findet bereits statt

Viel Know-how vorhanden

Beispiele der militärischen Nutzung von Landrobotern

CONDOR-Solutions mit zahlreichen Drohnen-Lösungen

(BS/df) Obwohl die fliegenden Drohnen sicherlich zu den bekanntesten ferngesteuerten Systemen zählen, (BS/Martin Menge*) Die CONDOR-Gruppe aus Essen ist ein Sicherheitsunternehmen mit diversen Leistungsleisten Roboter bereits seit Jahrzehnten in vielen militärischen Bereichen wertvolle Hilfe. Das gilt unter ande- bereichen, unter anderem dem Betrieb von 24/7-Notruf- und Serviceleitstellen. Hinzu kommen klassische rem für die Kampfmittelräumung, den Lastentransport oder die Feuerunterstützung. Bewachungsdienstleistungen, Luftsicherheit und Sicherheitslösungen im Bereich der Eisenbahninfrastruktur sowie im Arbeitsschutz. Seit weit über zehn Jahren ist etwa der Roboter tEODor vom deutschen Unternehmen Telerob im Einsatz bei der Bundeswehr. Dieser besitzt als sogenanntes Manipulationsfahrzeug einen Greifarm, an dem verschiedene Werkzeuge angebracht werden können. Mit ihm lassen sich Kampfmittel und behelfsmäßige Sprengvorrichtungen (IED) entdecken, untersuchen und entschärfen beziehungsweise beseitigen. Der Mensch sitzt in sicherer Entfernung – und falls doch etwas schiefgeht, trifft es nur den Roboter. TEODor konnte neben der Entschärfung von Weltkriegsbomben in Deutschland auch bereits in vielen verschiedenen Auslandseinsätzen, unter anderem in Afghanistan, seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Bedient wird der Roboter durch zwei Kampfmittelräumer und einen Kraftfahrer. Telerob produziert mittlerweile Manipulationsroboter in unterschiedlichen Größen für verschiedene Streitkräfte, unter anderem auch Großbritannien. Ebenfalls länger im Einsatz ist THeMIS vom estnischen Unternehmen Milrem Robotics. Hierbei handelt es sich um einen ursprünglich als Lastenträger entwickelten Roboter, der zwischen zwei Antriebsketten eine Plattform besitzt, die alle möglichen Module mit insgesamt bis zu 1.200 Kilogramm aufnehmen kann. Mit die erste Version von THeMIS war für den Verwundetentransport konzipiert, wo der Verletzte auf der Plattform liegend – sogar ferngesteuert – aus der Gefahrenzone gebracht werden kann. Mittler-

weile gibt es die verschiedensten Versionen von THeMIS, da sich die Plattform zur Aufnahme aller möglichen Systeme eignet, von einem Maschinengewehr bis hin zu Aufklärungssensorik. Auch die Bundeswehr testet aktuell die Lastenträgerversion des THeMIS. Eine Besonderheit ist die aktuell in der Entwicklung befindliche Follow-me-Funktion, mit welcher der Roboter selbstständig dem Soldaten folgen könnte. Aktuell sind noch die menschliche Steuerung oder Wegpunktenavigation notwendig.

Wolf Pack mit Amphibien­ fahrzeugen Ein ähnliches Konzept wie Milrem verfolgt Rheinmetall mit seinem Mission Master, dessen CargoVersion aktuell in den niederländischen Streitkräften im Rahmen eines Evaluierungsprogramms zu den Möglichkeiten von Robotern für das Heer getestet wird. Während der THeMIS auf Ketten läuft, setzt der Mission Master auf Räder. Zudem handelt es sich beim Mission Master um ein Amphibienfahrzeug, sodass der Roboter durch Seen und Flüsse fahren kann, ohne dass irgendwelche Umbauten oder Erweiterungen notwendig sind. 2021 soll auch das Fahren in küstennahen Gewässern – Litoral Water – realisiert werden. Erst kürzlich stellte Rheinmetall Canada die neueste Version vor: Den Mission Master – Armed Reconnaissance zur Spähaufklärung. Diese Version besitzt neben der an einem Mast ausfahrbaren Aufklärungssensorik auch eine

fernbedienbare Waffenstation zur Feuerunterstützung. Wie bei THeMIS ist im Grunde eine unbegrenzte Anzahl an Modulen und Funktionen für diesen Roboter denkbar. Eine Besonderheit ist allerdings das “Wolf Pack-Konzept”, das im dritten Quartal 2021 präsentiert werden soll. Dieses Wolf Pack ist ein Verband aus mehreren Mission Mastern, die im Grunde die Fähigkeiten einer menschlichen Patrouille abdecken sollen, nur leistungsfähiger und ohne das Leben von Soldaten unnötig zu gefährden. Ziel ist es, dieses Wolf Pack durch einen einzigen, oder zumindest nur wenige, Operateure zu kontrollieren. Dies wäre ein weiterer Durchbruch in der Robotertechnik, weil ab dann ein Operateur die Fähigkeiten einer gesamten Patrouille abdecken könnte. Die Kampfkraft des einzelnen Menschen steigt damit auf ein bisher nicht gekanntes Niveau, ganz ohne Gefährdung des Menschen. Ebenso ließe sich hierdurch der Problematik der Obergrenzen bei Auslandseinsätzen begegnen, die oftmals nicht militärisch abgeleitet wurden. Landroboter führen also mitnichten ein Schattendasein neben ihren fliegenden Brüdern. Sie können für Landstreitkräfte oder auch den Sanitätsdienst enorme Vorteile bieten und die Kriege der Zukunft verändern. Ebenso dienen sie dem Schutz der Soldaten, der zwar weiterhin die Entscheidung trifft, sein Leben und seine Gesundheit allerdings nicht mehr unnötig gefährden muss.

Ergänzend zu den “klassischen” Security- und Safetylösungen hat das Management den Bereich CONDOR-Solutions entwickelt, in dem für bestehende und zukünftige Kunden, unter anderem aus dem Energie- und dem Bereich der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), innovative Produkte und Dienstleistungen aus der unbemannten Luftfahrt (UAV) angeboten werden. Mehrere spezialisierte Unternehmen mit eigenen Entwicklungsschwerpunkten, Technologien und Kundenanwendungen bündeln in der CONDOR-Solutions Know-how und Erfahrung. So nutzt die CONDOR International & Maritime Security GmbH (CONDOR IMS) beispielsweise voll- und teilautomatisierte UAVLösungen (mit KI-Unterstützung) von Nightingale-Security und Lorenz-Technology für die Unterstützung beziehungsweise als Alternative zu personellen Sicherheitsdienstleistungen (Safety & Security). Beide Produkte werden sowohl der unternehmenseigenen Sicherheitsabteilung wie auch externen Sicherheitsunternehmen, Werkschutz etc. angeboten und haben sich etwa im Bereich von Hafen- und Industrieanlagen bewährt.

Herstellung und Entwicklung nur in Deutschland Die CONDOR Multicopter & Drones GmbH (CMD) bietet innerhalb ihrer Marke “BOS-Drones” verschiedenste speziell entwickelte

CONDOR-Solutions bietet zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für Drohnen an. Foto: BS/CONDOR IMS

Drohnen für den BOS-Bereich, Industrie und Vermessung inklusive der erforderlichen Software, Schulungen und Flugtrainings an. Entwicklung und Herstellung findet ausschließlich in Deutschland statt. Die Drohnenserien bieten verschiedene Payload-Varianten und sind daher für unterschiedlichste Einsatzszenarien geeignet. Moderne Software- und Kameralösungen spielen hier eine genauso große Rolle wie ein intelligentes Batteriemanagement, um eine optimale Flugleistung (Flugdauer und Reichweite) zu erlangen. Germandrones (GD) hat sich zum Ziel gesetzt, die innovativste und zuverlässigste UAV-Technologie “Made in Germany” für Inspektions- und SurveillanceAufgaben anzubieten. Die eigenentwickelte Steuerungs- und Missionsplanungs-Software in Verbindung mit dem Songbird ist für die Befliegungen von Kri-

tischen Infrastrukturen (KRITIS), wie etwa Strom- und Bahntrassen ebenso konzipiert wie für den sicheren Transport von Proben, Impfstoffen etc. Das in Berlin entwickelte VTOL-UAV kombiniert die vertikalen Start- und Landeigenschaften eines Multikopters mit den Flugeigenschaften eines Starrflüglers. Binnen weniger Minuten kann der Songbird von einem einzigen Operator unabhängig von Landebahn, Katapult oder Netz aktiviert werden. Hochauflösende Kameras mit 30-fachem Zoom, Thermalkamera und MeshIntegration eigenen sich speziell für BOS- und Sicherheitsorgane. Payload-abhängige Flugzeiten von mehr als zwei Stunden und hohe Windstabilität ermöglichen einen weitreichenden Aktionsraum. *Martin Menge ist Assistent der Geschäftsleitung der CONDOR Schutz- und Sicherheitsdienst GmbH.


Wehrtechnik

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ach Jahren der Fokussie­ rung auf Kontingenteinsätze im Rahmen des Internationa­ len Krisenmanagements (IKM) reicht die Rekonstitution allein auf Basis der Erfahrungen des Kalten Krieges nicht aus, neuen Herausforderungen zu begegnen. Diese ergeben sich zum einen aus technologischen Entwicklungen sowie neuen gegnerischen Poten­ zialen. Zum anderen gehen sie einher mit neuen Formen der Konfliktaustragung und einer veränderten Bündnisgeografie. Welche Fähigkeiten die Bun­ deswehr benötigt, um diesen He­ rausforderungen zu begegnen, beschreibt das Fähigkeitspro­ fil der Bundeswehr (FPBw) in konsequenter Umsetzung der Konzeption der Bundeswehr und des Weißbuchs der Bundesregie­ rung. Alle Fähigkeiten, die für Landoperationen im Rahmen von LV/BV benötigt werden, sind im Systemverbund Land des FPBw abgebildet. Zentraler Gestalter dieses Systemverbundes ist der Inspekteur des Heeres.

Dreistufige Herstellung der Einsatzbereitschaft Im Amt für Heeresentwicklung (AHEntwg) in Köln erfolgt, auf Grundlage der Vorgaben des Kommandos Heer, die Auspla­ nung der strukturellen, mate­ riellen und personellen Bedarfe des Heeres ganzheitlich über alle Truppengattungen und Domä­ nen der Fähigkeitsentwicklung. Entlang der NATO-Planungsziele und der ministeriellen Vorgaben stellt das Heer dreistufig die Ein­ satzbereitschaft für LV/BV von einer Brigade in 2023 über eine Division in 2027 hin zu drei Di­ visionen in 2031 her. Dieser Aufwuchs ist Richt­ schnur für strukturelle Anpas­ sungen, für Bedarfe an Dienst­ posten und für die Ergänzung und Modernisierung des Materi­ als. Die dafür notwendigen Daten

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Die aktuelle Ausrichtung des Heeres Konsequenzen aus dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr (BS/Major i.G. Florian Loges*) Die eingeleitete Refokussierung auf Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) stellt derzeit die anspruchsvollste Aufgabe für die Streitkräfteplanung dar. Die Kernforderung, gegen einen gleichwertigen und in Teilbereichen qualitativ und quantitativ überlegenen Gegner bestehen zu können, hat einen unabdingbaren Nachholbedarf generiert. Dieser geht einher mit der Wiedererlangung einer vollumfänglichen Befähigung des Heeres zu Operationen verbundener Kräfte in allen Intensitäten. sind in großer Detailtiefe bis auf die unterste taktische Ebene er­ fasst und digital hinterlegt. Die Abstützung auf ein datenbankbasiertes System ermöglicht die zielgerichtete Bearbeitung und Auswertung der verfügbaren In­ formationen. Aufgrund der über­ zeugenden Methodik und Hand­ habbarkeit der vom AHEntwg verwendeten IT-Unterstützung wurde die Anwendung für die weiteren Iterationsschritte des FPBw in der gesamten Bundes­ wehr angewiesen.

Zwischenschritt 1 (2023) Der erste Zwischenschritt, die Rüstung eines planerischen Bri­ gadeäquivalents, aus dem he­ raus 2023 die VJTF (Very High Readiness Joint Task Force) (L) gestellt wird, wurde planerisch abgeschlossen. Im Rahmen der Planungsumsetzung begleitet das AHEntwg die nun auf die VJTF (L) fokussierte Realisierung. Dabei kommt es darauf an, dass die ein­ gesetzten Kräfte ihren Auftrag mit modernem und einsatzfähigem Material wahrnehmen können. Hierzu verantwortet das AHEnt­ wg die erforderlichen Einsatz­ prüfungen der unterschiedlichen Führungs- und Waffensysteme. In enger Zusammenarbeit mit der Truppe, den technischen Ein­ richtungen und der Industrie müssen beispielsweise das Batt­ le Management System (BMS), der Schützenpanzer Puma und der Leopard 2 A7V in taktischen Lagen beweisen, dass sie den Einsatzanforderungen gerecht

Kampfpanzer Leopard 2 A7/A6 und Kampfhubschrauber Tiger im Rahmen einer Informationslehrübung Landoperationen Foto: BS/Bundeswehr, Marco Dorow

werden. Eine zentrale Aufgabe hat das AHEntwg zudem bei der Modernisierung des Gefechts­ übungszentrums Heer (GefÜbZH) in der Altmark sowie dessen Er­ weiterung “Schnöggersburg” zum Üben von Operationen im urba­ nen Ballungsraum. Durch die kontinuierliche Weiterentwick­ lung verfügt das Heer mit dem GefÜbZH über eine hochmoderne Ausbildungseinrichtung, welche durch realitätsnahe Übungen die Einsatzbereitschaft der VJTF (L) maßgeblich unterstützt.

Zwischenschritt (2) 2027 Bedingt durch die bis 2027 zu betrachtenden Planungszyklen ist der Schwerpunkt der Hee­ resentwicklung bereits auf die Division 2027 gerichtet. Diese im Kern mechanisierten Kräfte bilden das Rückgrat der LV/BV. Sie sind zur Erfüllung der NATOVerpflichtungen im Jahr 2027

zwingend erforderlich und daher prioritär zu realisieren. Da die Divisionen der Struktur HEER 2011 konsequent auf die Gestellung von Kontingenten für Internationales Krisenmanage­ ment (IKM) ausgelegt sind, nicht aber auf den Einsatz als Groß­ verband, ist der Anpassungsbe­ darf in den Domänen Führung, Aufklärung, Wirkung und Unter­ stützung enorm. So fehlt der Di­ visionsebene heute in Gänze die Fähigkeit zur Aufklärung, eine wirkungsvolle Kampfunterstüt­ zung durch Artillerie und Pioniere sowie schließlich die notwendige Einsatzunterstützung durch Ver­ sorgungs- und Fernmeldekräfte. Eine Balance zwischen Manöver­ elementen der Brigadeebene so­ wie weitreichenden, vorbereiten­ den und schwerpunktbildenden Aufklärungs- und Wirkmitteln der Korps- und Divisionsebene ist für eine erfolgreiche LV/BV

jedoch erforderlich und daher im FPBw berücksichtigt. Dabei ist die größte Herausfor­ derung der Domäne Führung, die Division und die drei mechani­ sierten Brigaden mit geschützten, schlanken, flexiblen und schnell verlegefähigen Gefechtsständen mit dem Reifegrad einer Basis­ digitalisierung auszustatten und in einen funktionierenden Infor­ mations- und Kommunikations­ verbund einzubetten. In der Domäne Aufklärung erfährt die Division einen Fä­ higkeitszugewinn durch Aufklä­ rungselemente auf allen takti­ schen Führungsebenen und einen leistungsfähigeren Sen­ sorenmix. Für die Domäne Wirkung gilt es, die notwendige Wirkungsüberle­ genheit mit Kampfpanzer Leopard 2A7V und Schützenpanzer Puma sowie weitreichendem präzisem Feuer der Artillerie wiederzuer­ langen. Eine leistungsfähige Lo­ gistik auf allen Ebenen ist Kern­ element einer hoch beweglichen Gefechtsführung. Insbesondere der Transport­ raum zur Zuführung von Men­ genverbrauchsgütern ist mit geschützten und ungeschütz­ ten Fahrzeugen umfangreich in der Domäne Unterstützung zu erhöhen. Grundsätzlich gilt: Die Fähigkei­ ten der Division 2027 müssen in ministeriellen Vorhabenplänen und im Forderungskatalog des Planungsamtes berücksichtigt werden, um für die Truppe und den Auftrag zur Verfügung zu

stehen. Die Basis für ein einheit­ liches Lagebild aller Stakeholder des Planungs- und Rüstungspro­ zesses (IPD/Integrierte Planung durchführen und CPM/Custo­ mer Product Management) über diese Bedarfe legt der Workshop Dialog Fähigkeitsentwicklung, der von BMVg Plg II 4 jährlich ausgerichtet wird und zuletzt im September 2020 im AHEntwg durchgeführt wurde.

Zwischenschritt (3) 2031 Die Erstellung des FPBw er­ folgt in einem iterativen Prozess. In den Jahren 2018 und 2020 wurden die Zwischenschritte 2023 und 2027 detailliert aus­ geplant. In den kommenden Ite­ rationsschritten wird dies für den Zwischenschritt 2031 erfolgen müssen. Jeder Iterationsschritt geht einher mit der Überprüfung gegebener Rahmenbedingungen und Annahmen. Technische In­ novationen, operationelle Trends und gegnerische Potenziale sind ebenso wie antizipierbare Perso­ nal- und Ressourcenentwicklun­ gen kontinuierliche Treiber der Weiterentwicklung des FPBw.

Ausblick Das Heer verfolgt in der Um­ setzung ministerieller Vorgaben und von NATO-Planungszielen einen ganzheitlichen und auf Realisierbarkeit ausgerichteten Ansatz der Fähigkeitsentwick­ lung. Der dafür erforderliche Material- und Personalbedarf wird im FPBw detailliert erfasst und begründet. Die tatsächliche Bereitstellung der Fähigkeiten für Einsätze zur Landes- und Bünd­ nisverteidigung wird maßgeblich davon abhängig sein, inwieweit es gelingt, den erforderlichen Nachholbedarf zu realisieren. *Major i.G. Florian Loges ist Referent im Sachgebiet I 1 (1) “Grundlagen Weiterentwicklung” im Amt für Heeresentwicklung.


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aserwaffen bieten dabei vor allem drei Vorteile: Skalierbarkeit, nahezu unbegrenzter Munitionsvorrat, keine Bevorratung und somit Stauraum für Munition notwendig, kostengünstige Bekämpfung des Gegners. Die meisten Vorteile ergeben sich aus der Tatsache, dass der Laser keine Munition benötigt. Munition muss schließlich erst beschafft, sicher gelagert und dann in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden. Hinzu kommt, dass die Munition im schlechtesten Fall auch einmal ausgehen kann. All dies trifft nicht auf eine Laserwaffe zu, so lange sie weiter Energie – also Strom – hat, kann sie auch “schießen”.

Bundeswehr führt Laserwaffen ein Erprobung auf der Fregatte Sachsen (BS/Dorothee Frank) Die Bundeswehr erhält Laserwaffen. Das BAAINBw hat vergangenen Monat einen entsprechenden Vertrag zur Herstellung eines Laserquellen-Demonstrators mit Rheinmetall geschlossen. Hierbei handelt es sich erst einmal nur um den Laser. Das Gesamtsystem besteht allerdings aus mehr als nur dem Laserstrahl, im Grunde ist das Erkennen und Verfolgen die entscheidende Leistung. Das BAAINBw startete bereits vor mehreren Jahren ein Pilotprojekt zur Ermittlung des Nutzens von Laserwaffen. lich eine durchaus knappe Ressource. Bei den U.S.-Tests von Laserwaffen auf Landfahrzeugen wurde immer ein kleiner Anhänger mit einem Stromgenerator an das Fahrzeug gehängt, um die benötigte Energie für die Testkampagne zu liefern. Bei Schiffen ist hingegen die Ressource Energie eher vorhanden als die Ressource La-

Deutschland mit an die Spitze der Entwicklung von Laserwaffen brachte. MBDA konzentrierte sich bei seinem Demonstrator auf die militärisch wichtigen Fähigkeiten und nutzte zur Erzeugung des Strahls einen Industrielaser. In der Industrie sind Laser etwa zum Schneiden von Metall bereits seit Jahrzehnten in Gebrauch, die Leistung erwies sich auch

Komplexität, hohe Modularität, ein Aufwuchspotenzial in die Laserleistungsklasse von 100 kW und die Fähigkeit, als passives System mit äußerst geringem Regelungsaufwand zu arbeiten. Sie ist auch bei bereits vorhandenen Industrielasern in der Anwendung. Zur Einsetzbarkeit schrieb das Unternehmen: “Erstmalig in Europa hatte Rheinmetall 2015 während einer Erprobungskampagne in der Ostsee erfolgreich ein Funktionsmuster eines Laserwaffensystems von Bord eines Schiffes gegen Ziele an Land eingesetzt. Im Jahr 2018 haben BAAINBw und Rheinmetall ein Labormuster einer 20-kWLaserquelle erfolgreich getestet. Die geplanten Versuche in einer militärischen Umgebung und unter einsatznahen Umweltbedingungen sind folglich die nächste Stufe auf dem Weg vom Labor in die Praxis – und dies innerhalb von nur drei Jahren. Dies ist ein großer, notwendiger und herausfordernder Schritt hin zur Einführung zukünftiger Laserwaffensysteme.”

Kooperation mit MBDA Deutschland

Die Deutsche Marine wird zuerst die Möglichkeiten von Laserwaffen für die Bundeswehr erproben.

Der zweite wichtige Vorteil ist die Skalierbarkeit. Wenn beispielsweise ein Schiff der Deutschen Marine ein Piratenschiff stellt, gibt es im Grunde zwei Eskalationsstufen: Knapp vorbeischießen und draufhalten. Da draufhalten politisch nicht immer erwünscht ist – was die Gegner schnell herausfinden – verliert der berühmte “Schuss vor den Bug” auch seine Wirksamkeit. Mit einer Laserwaffe könnte hingegen beispielsweise die Brücke zerschnitten werden, ohne dass eine Explosion gleich das gesamte Oberdeck betrifft. Es sind wirkliche chirurgische Angriffe möglich, die es mit Lenkflugkörpern und normaler Munition nicht geben kann.

Vorteile für Schiffe Diese Vorteile wirken sich besonders bei Schiffen aus. Bei Fahrzeugen ist Strom schließ-

gerraum. Hinzu kommen die Vorteile Skalierbarkeit und günstiges Kosten-pro-SchussVerhältnis. Auch die USA haben bereits Laserwaffen erfolgreich zur Selbstverteidigung auf ihren Schiffen eingesetzt. Die unbegrenzte Munition bedeutet allerdings nicht, dass ein Sättigungsangriff unmöglich würde. Schließlich können auch Laser nur eine begrenzte Anzahl an Zielen – egal wie leicht sie zerstörbar sind – in einem bestimmten Zeitraum erfassen und bekämpfen. Beispielsweise gegen Drohnenschwärme wären dann eher Wasserglocken geeignet. Seinerzeit beauftragte das BAAINBw zwei Unternehmen mit der Entwicklung von Demonstratoren: MBDA Deutschland und Rheinmetall. Beide konnten zum Ende der Laufzeit mit funktionsfähigen Lasern aufwarten, was

Bild: BS/MBDA Deutschland

für militärische Zwecke als ausreichend.

Spektrale Kopplung Rheinmetall ging hingegen in die Entwicklung. Der Laserquellen-Demonstrator basiert auf der Technologie der spektralen Kopplung. Im Kern besteht der Demonstrator aus zwölf nahezu identischen Zwei-kW-Faserlasermodulen mit annähernd beugungsbegrenzter Strahlqualität. Die zwölf Faserlasermodule werden über einen Strahlkombiner, einer Baugruppe zur Zusammenführung der Strahlen mehrerer Laserquellen auf Basis der elektrischen Gittertechnologie, zu einem Laserstrahl mit guter Strahlqualität gekoppelt. Die Technologie der spektralen Kopplung hat gegenüber anderen Kopplungstechnologien wie z. B. der geometrischen eine Vielzahl von Vorteilen: Geringe

Bei dem Gesamtsystem wäre allerdings auch MBDA Deutschland wieder mit im Boot, da die beiden Unternehmen im vergangenen Jahr ihre Kompetenzen im Bereich der Hochenergie-Lasereffektoren in einer Arbeitsgemeinschaft bündelten. Der Systemdemonstrator eines Hochenergie-Lasereffektors von MBDA Deutschland wurde im Oktober 2016 an der deutschen Ostseeküste getestet. Gegenstand der Testreihe war die Erprobung des Strahlführungsund Trackingsystems bis hin zur simulierten Bekämpfung von Luftzielen. Unter realen Umweltbedingungen, also auch bei Sturm und schlechten Sichtbedingungen, konnten dabei alle Ziele erfolgreich getrackt werden. Die einzelnen Komponenten der Laserwaffen sind also bereits erfolgreich getestet, das gemeinsame Gesamtsystem muss nun in reale Testszenare gehen. Es ist dementsprechend davon auszugehen, dass bald ein weiterer Vertrag folgt, um den Laserwaffeneffektor zu beschaffen. Schließlich

31 Sea Tiger für die Bundeswehr Gelder zur Beschaffung bewilligt (BS/df) Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat die 25 Mio.-Vorlage zum neuen Marinehubschrauber für die Fregatten gebilligt. Damit werden rund 2,7 Milliarden Euro frei zur Beschaffung von 31 Sea Tiger. Die Sea Tiger basieren auf der Marinevariante des NH-90. Bereits seit 2018 war die Auswahlentscheidung durch das BAAINBw vorbereitet worden. Ende Juli 2019 entschied sich der damalige Stv. Generalinspekteur, Vizeadmiral Joachim Rühle, für den Sea Tiger als Nachfolger der seit fast 40 Jahren für die Bundeswehr fliegenden Sea Lynx. Im Vergleich zu den alten Hubschraubern soll der Sea Tiger eine fast doppelt so große Reichweite sowie höhere Zuladungskapazitäten haben. Hinzu kommen moderne Fähigkeiten zur U-Jagd. Die ersten Maschinen werden voraussichtlich Ende 2025 an die Bundeswehr übergeben. Erst im Juni dieses Jahres übernahm die Marine den ebenfalls auf dem NH-90 basierenden Transporthubschrauber

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Sea Lion. Hiervon beschafft die Bundeswehr voraussichtlich 18 Stück. “Die konstruktive Basis für die neuen multirollenfähigen Bordhubschrauber bildet, wie auch beim Marinetransporthubschrauber Sea Lion, der NH-90 Naval Frigate Helicopter (NFH)”, beschreibt das BMVg. “Davon erwartet die Bundeswehr Vorteile bei Ausbildung und Wartung sowie bei der Bevorratung von Betriebsstoffen und Ersatzteilen. Der multirollenfähige Sea Tiger wird dabei vorrangig für Kampfaufgaben konzipiert und ausgestattet, während der Sea Lion primär für hoheitliche Such- und Rettungsaufgaben (SAR, Search and Rescue) sowie Transportaufgaben optimiert ist.” Der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause,

kommentierte den Entschluss: “Gestern hat der Bundestag die Beschaffung von 31 mehrrollenfähigen U-Jagd Bordhubschraubern Sea Tiger für die Fregatten

als Ersatz für den fast 40 Jahre alten Sea Lynx gebilligt. Eine wichtige Entscheidung für die Fähigkeiten im Unterwasserseekrieg. Die Marine freut sich!”

Die 40 Jahre alten Sea Lynx sollen ab 2025 durch die neuen Sea Tiger ersetzt werden. Foto: BS/Bundeswehr, Torsten Kraatz

ist das reine Herstellen eines genügenden Laserstrahls – das bisher unter Vertrag ging – zwar technisch durchaus anspruchsvoll, allerdings in der zivilen Industrie bereits seit Jahrzehnten vorhanden.

Fregatte Sachsen als erste Plattform Der Laserquellen-Demonstrator kann querschnittlich in verschiedenen Projekten eingesetzt werden, um diese Technologie für militärische Anwendungen zu untersuchen. Als erstes Projekt ist eine einjährige Erprobungsphase in der Deutschen Marine auf der Fregatte Sachsen vorgesehen.

Die Zielverfolgung auch von unvorhersehbaren Angriffen unter schlechten Bedingungen ist allerdings das kritische Element. Gerade Wasser, sei es nun Nebel, Gischt oder Regen, reduziert die Wirksamkeit der Laserstrahlen, da sie durch das Auftreffen auf jedes einzelne Tröpfchen ein wenig an Kraft verlieren. Hier gilt es zu erproben, ab welchen Umweltbedingungen – oder eventuell sogar in welchen Klimazonen – der Laser nicht mehr zum Einsatz kommen sollte. Innerhalb eines Materialmixes wären solche Einschränkungen allerdings nicht kritisch. Schließlich ließen sich etwa jene Schiffe, die mit Lasern ausgestattet sind, für Einsätze in trockenen und warmen Zonen wie den Gewässern um Nordafrika “reservieren”, während die Nicht-Lasereinheiten dann die Sicherung der Ostsee übernehmen. Antworten auf viele diese Fragen soll nun die Erprobung der Laserwaffe auf der “Sachsen” ­liefern.

MELDUNGEN

Oliver Dörre designierter CEO von Thales Deutschland (BS/df) Zu Beginn des neuen Jahres übergibt der aktuelle Geschäftsführer von Thales Deutschland, Dr. Christoph Hoppe, das Zepter an Oliver Dörre. Dr. Hoppe wird das Unternehmen nach mehr als fünf Jahren als CEO & Vorsitzender der Geschäftsführung der Thales Deutschland auf eigenen Wunsch zum Ende Februar 2021 verlassen. Die Position als neuer CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung der Thales Deutschland übernimmt mit Wirkung zum 1. Januar 2021 Oliver Dörre. Dörre, der im April 2015 aus leitender Funktion bei Frequentis zu Thales gekommen war, verantwortete zunächst den Geschäftsbereich der Secure Communications and

Information Systems (SIX) in Deutschland. Seit 2016 war er als Vice President Sales & Marketing und Mitglied der Geschäftsleitung verantwortlich für den Vertrieb des Verteidigungssektors und des vor allem in Deutschland besonders starken Geschäfts mit der Bahntechnik. Zudem wird die Geschäftsführung der Thales Deutschland mit Jahresbeginn 2021 strategisch um den Bereich Raumfahrt erweitert werden. Mit Wirkung zum 1. Januar 2021 wird Dr. Henning Biebinger, Vice President Business Segment Space der Business Line Microwave and Imaging Subsystems (MIS), somit neues Mitglied der Thales Deutschland-Geschäftsführung.

Stefan Stockfisch neuer Geschäftsführer von RAMSYS (BS/df) Stefan Stockfisch hat zum 1. November 2020 die Geschäftsführung der RAM-System GmbH (RAMSYS) übernommen. Gemeinsam mit Werner Kraus leitet Herr Stockfisch nun die Geschäfte der Beteiligungsfirma von MBDA Deutschland und Diehl Defence. Die RAMSYS ist langjähriger industrieller Partner der Deutschen Marine für den Schutz ihrer Flotte durch Lenkflugkörpersysteme. Sie führt als Generalunternehmer die nationalen industriellen Anteile im bilateralen (deutsch/amerikanischen) Programm Rolling Airframe Missile (RAM), im multinationalen Evolved SeaSparrow Missile (ESSM) Programm und ist Partner von Raytheon Missiles & Defen-

se im Projekt SeaRAM. In dem transatlantischen Projekt werden deutsche und US-amerikanische Hightech-Komponenten gemeinsam genutzt. Stockfisch folgt auf Michael Wehner, der diese Funktion seit 2014 innehatte und in dieser Zeit die Marktposition der RAMSYS mit seinem Team weiter ausgebaut hat. In seiner letzten Verwendung war Stockfisch bei Airbus Defence and Space GmbH in Friedrichshafen für den Geschäftsbereich Target Systems and Services tätig. In dieser Rolle verantwortete er die Entwicklung, Produktion und Bereitstellung von Drohnen für Schießkampagnen nationaler und internationaler Kunden.

Verschiebung TLVS (BS/df) In der sogenannten Bereinigungssitzung des Deutschen Bundestages am 26. November war das Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) – die auf MEADS basierende modernisierte Lösung zur deutschen Raketenabwehr – nur mit einem geringen Sockelbetrag vertreten. Ein Vertragsschluss zur Realisierung des TLVS ist 2021 demnach nicht mehr geplant. MBDA Deutschland kündigte daraufhin Umstrukturierungen an. “Wir nehmen die Vertagung der Entscheidung zur Kenntnis”, sagte Thomas Gottschild, Geschäftsführer MBDA Deutschland. “Trotz eines entscheidungsreifen Angebots sind die für TLVS notwendigen Haushaltsmittel weder für 2021 noch im mittelfristigen

Finanzplan ausgewiesen. Aufgrund dieser Entwicklung sind wir gezwungen, eine Restrukturierung des Unternehmens durchzuführen. Die notwendigen Maßnahmen werden derzeit erarbeitet und in den nächsten Wochen mit den zuständigen Gremien, dem Betriebsrat, den Führungskräften und Vertretern der Kundenseite diskutiert. Dies schließt die Diskussion über die Möglichkeiten der Fortführung des Vergabeverfahrens TLVS und den Erhalt der Schlüsselqualifikationen im Bereich Luftverteidigung für Deutschland mit ein.” Der Schwebezustand, in dem sich TLVS seit Jahren befindet, ist mittlerweile aus Sicht der Landes- und Bündnisverteidigung kaum mehr hinnehmbar.


Wehrtechnik

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ie sicherlich teuerste Beschaffung ist das Projekt Quadriga. Hinter diesem Titel verbirgt sich der Austausch der ersten Generation Eurofighter durch Eurofighter Tranche 4. Anfang November gab der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages grünes Licht für die Beschaffung von 38 neuen Eurofightern für rund 5,5 Milliarden Euro, der Vertrag wurde mittlerweile bereits geschlossen. Die Tranche 1 war noch das Überbleibsel des ursprünglich Jäger 90 genannten Flugzeugs, dessen Name daher stammte, dass er 1990 eingeführt werden oder zumindest den Jungfernflug absolvieren sollte. Die Planungen für den Jäger 90 begannen mehrere Jahrzehnte vorher, also im tiefsten Kalten Krieg. Dementsprechend war der Jäger 90 für den Luftkampf gegen russische MiG ausgelegt. Zur Einführung des Eurofighters war dieses Luftkampfszenario bereits obsolet, sodass im Grunde mit der Tranche 1 Systeme beschafft wurden, die nicht mehr den Anforderungen entsprachen. Diese ersten Eurofighter waren zwischen 2003 und 2008 der Bundeswehr zugelaufen, besonders die fehlende Luft-BodenFähigkeit machte die Flugzeuge jedoch wenig einsatzrelevant, sodass auch andere Nationen – wie Großbritannien – in Auslands­ einsätzen ihre alten Flugzeugtypen statt des ersten Eurofighters Typhoon einsetzten. Die Bundeswehr beschreibt die Fähigkeiten der vierten Tranche: “Die neuen Eurofighter sind mit einem modernen E-ScanRadar ausgestattet. Damit können die Pilotinnen und Piloten Luft-Luft- und Luft-Boden-Ziele besser entdecken und verfolgen. Dies ist auch für mehrere Ziele gleichzeitig und unabhängig voneinander möglich. Darüber hinaus besitzt das Radar eine höhere Störfestigkeit. Für die Eurofighter der Tranchen 2 und 3 hatte der Haushaltsausschuss im Juni 2020 die Beschaffung und System-Integration desselben Radarsystems genehmigt.” Die Flugzeuge sollen zwischen 2025 und 2030 ausgeliefert werden.

Weitere 25-Mio-Vorlagen Anfang November bewilligte der Haushaltsausschuss ebenfalls die Mittel für die Beschaffung von Übungsmunition im Kaliber 127 Millimeter für die neuen Fregatten. Für etwa 33 Millionen Euro sollen rund 7.000 Übungsgeschosse, Treibladungen und Referenzmunition beauftragt werden. Am 19. November bewilligte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zudem – neben den 2,7 Milliarden Euro für die 31 Sea Tiger (siehe vorhergehende Seite) – auch noch 117 Millionen Euro für die Verbesserung des Weitverkehrsnetzes der Bundeswehr, 31 Millionen Euro für die Erneuerung der Schwergewichtstorpedos DM2A4, die Hauptbewaffnung der deutschen U-Boote der Klasse 212A, sowie 26 Millionen Euro für Munition für den Kampfpanzer Leopard 2 A7V.

Neue Fahrzeuge für die Spezialkräfte der Bundeswehr Ende November schloss das BAAINBw einen Vertrag mit dem Hersteller Polaris Defense zur Lieferung von sogenannten Leichten Luftlandefähigen Utility Terrain Vehicles (LL UTV) für die Spezialkräfte. “Im ersten Schritt haben wir den Bau von 65 Fahrzeugen beauftragt. Insgesamt können 148 über den Vertrag abgerufen werden”, sagte der Projektleiter, Oberstleutnant Michael Bischof. “Die Auslieferung an die Truppe ist im nächsten Jahr vorgesehen.” Neben dem Bau der Fahrzeuge wurden auch

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Neue Ausrüstung für die Bundeswehr Der November brachte viele Bewilligungen (BS/df) Die Ausrüstung der Bundeswehr folgt mittlerweile dem positiven Trend in der Personalpolitik, der sogenannten Personalwende. So passierten auch im vergangenen Monat zahlreiche Beschaffungsvorhaben den Haushaltsausschuss oder gingen sogar schon unter Vertrag. das Zubehör und die Schulung des Personals mit beauftragt. Bei den Polaris MRZR handelt es sich um speziell für militärische Spezialkräfte entwickelte leichte Fahrzeuge, deren mangelnder Schutz durch hohe Beweglichkeit und Einsatzfähigkeit ausgeglichen wird. So verfügen die militärischen RZR über einen Turbodiesel-Motor mit einer Leistung von 88 PS. Durch den Dieselantrieb sollen die Fahrzeuge eine um 80 Prozent höhere Reichweite gegenüber den zivilen RZR haben. Die Fahrzeuge sind luftverlastbar, luftlandefähig und können mit dem Allradantrieb nachweislich in unwegsamstem Gelände zuverlässig fahren. Bis zu vier Personen inklusive Ausrüstung oder Material – bis zu 460 kg insgesamt – finden in dem Polaris MRZR Platz. Bischof betonte: “Wir schließen damit eine Fähigkeitslücke innerhalb der Bundeswehr.”

nen können Nutzlasten von bis zu 70 Tonnen transportieren. Schweres Gerät wie der Kampfpanzer Leopard 2 in seinen Varianten A6M und A7 stellt für diese Maschinen keine Schwierigkeit dar”, so das BMVg. “Die rund 41 Millionen Euro für die Beschaffung umfassen nicht nur die Sattelzugmaschinen, sondern auch die Vorrüstung für die militärische Kommunikations- und Führungsausstattung im Fahrzeug. Die Zugmaschinen sollen bereits im deutschen Beitrag zur VJTF 2023 genutzt werden.”

Steigender Verteidigungsetat

Die neuen Eurofighter der Tranche 4 werden mit modernster zukunftssicherer Ausrüstung ausgestattet. Dafür kosten 38 Stück dann auch rund 5,5 Milliarden Euro. Foto: BS/Bundeswehr, Toni Dahmen

Vertragsschluss bestellt werden. Insgesamt fünf Varianten sind vorgesehen. Designierter Indus­­ triepartner des Vertrages ist Iveco, es gilt allerdings noch die Einspruchsfrist der Mittbewerber

abzuwarten, bevor der Vertrag Anfang Dezember unterzeichnet werden kann. Aus den Mitteln des Konjunkturpaketes der Bundesregierung will die Bundeswehr zudem die Beschaffung

von 48 Sattelzugmaschinen vorziehen. “Die Systeme sollen aus einem bereits bestehenden Rahmenvertrag beschafft werden. Die ungeschützten, militärisch vorgerüsteten Sattelzugmaschi-

Auch 2021 soll mehr Geld für die Ausrüstung zur Verfügung stehen. Trotz Corona-bedingtem Einnahmerückgang wächst der Bundeswehretat im kommenden Jahr an, so das Ergebnis der sogenannten Bereinigungssitzung am 26. November, in der der Haushaltsausschuss den Einzelplan 14 zum Bundeshaushalt 2021 beriet. Demnach wächst der Verteidigungsetat um 1,3 Milliarden Euro. Dies entspricht 46,93 Milliarden Euro im Jahr 2021 und somit 1,36 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2019.

Antennen für Störsender Die Schließung einer weiteren Fähigkeitslücke konnte das BAAINBw im November unter Vertrag nehmen, indem ein Rahmenvertrag zur Lieferung von entsprechenden Breitbandantennen mit Geltungsdauer für die nächsten vier Jahre geschlossen wurde. Störsender gehören schließlich in der heutigen Zeit zum Selbstschutz wie die Panzerung. “Die Beschaffung dieser Spezialantennen wird dadurch erheblich vereinfacht und gewährleistet eine Bereitstellung von Ersatzmaterial innerhalb weniger Tage”, lautete die Mitteilung aus dem BAAINBw. “Als lebensrettenden Bestandteil der militärischen Ausstattung hat das BAAINBw in der Vergangenheit bereits eine Vielzahl an Stör- und Schutzausstattungen, sogenannte Störsender, beschafft. Diese Störsender blockieren die Auslösebefehle für ferngesteuerte Sprengfallenzünder und verhindern so eine Explosion”, erläuterte das BAAINBw. “Improvisierte Sprengfallen, sogenannte Improvised Explosive Devices (IED), sind eine allgegenwärtige Bedrohung für Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Insbesondere Radio Controlled IEDs, die durch verschiedenste Auslösemechanismen drahtlos im elektromagnetischem Spektrum zur Detonation gebracht werden können, stellen eine Gefahr für Leib und Leben unserer Soldaten dar.” Diese Störsender stellen somit den ersten und wichtigsten Schutz für die Fahrzeuge dar, da sie Aufklärung verhindern und Bedrohungen durch IEDs abwehren. Mit dem Rahmenvertrag sichert das BAAINBw die lageangepasste und vor allem bedarfsgerecht schnelle Lieferung entsprechender Breitband­ antennen an die Bundeswehr.

Weitere Logistikfahrzeuge Einen großen Block bildeten auch im November wieder die Logistikfahrzeuge. So gab der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages grünes Licht für die Beschaffung von geschützten und ungeschützten Transportfahrzeugen sowie Sattelzugmaschinen für mehr als 780 Millionen Euro. Durch Abrufe aus einem zu schließenden Rahmenvertrag mit einer Laufzeit von sieben Jahren sollen bis zu 1.048 entsprechend geschützte Lastkraftwagen der Zuladungsklasse 15 Tonnen beschafft werden. Davon sollen 224 Fahrzeuge bereits verbindlich mit

BSC

Berlin Security Conference

1 9 th C o n g r e s s o n E u r o p e a n S e c u r i t y a n d D e f e n c e

PR ÄS EN ZV ER

AN STALTU N G VE R SC H O BE N Melden Sie sich zum neuen Term in an unter www.euro-defe nce.eu

18.-19. Mai 2021

Vienna House Andel’s Berlin

Europe – a cohesive bond for strong power Partnerland BSC 2020: Tschechien Highlights im Hauptprogramm, u. a.: > > > >

HIGH-LEVEL-DEBATTE: Europäische Sicherheit und Verteidigung – Mittel- und Osteuropäische (Erwartungen) und Beiträge HIGH-LEVEL-INTERVIEW: Umsetzung der Gender-Politik in der Verteidigungsplanung von NATO und EU MILITÄRISCHES HIGH-LEVEL-FORUM: Stärkung der europäischen Sicherheit durch regionale militärische Zusammenarbeit FORUM ZUKÜNFTIGE STREITKRÄFTE: EU-Verteidigungsinitiativen für technologische Innovation und relevante Fähigkeiten

Fachforen, u. a. > > > > > > > >

Bewertung von CDP / CARD / EDF / PESCO Landstreitkräfte in einem gemeinsamen und verbundenen Umfeld – Verfügbarkeit und Einsatzfähigkeit Chinas militärischer Aufstieg und seine Auswirkungen auf den Westen Wie kann eine glaubwürdige nukleare Abschreckung in und für Europa aufrechterhalten werden? Abwehr von Cyber-Bedrohungen – der Fortschritt digitaler Kriegsführung bei Multidomain-Operationen Framework Nations Concept – wirksamer Katalysator für regionale Mil-Mil-Zusammenarbeit? Personalwesen – Rekrutierung und Bindung Covid-19: Lessons Learned – Aufrechterhaltung der Europäischen militärischen Fähigkeiten (und der Widerstandsfähigkeit) in Zeiten einer globalen Pandemie

140 Top-Referenten, u. a. Tomáš Petříček Minister für Äußere Angelegenheiten der Tschechischen Republik

Helga Maria Schmid Generalsekretärin Europäischer Auswärtiger Dienst (EEAS)

General Claudio Graziano Vorsitzender des Militärausschusses der Europäischen Union

Thomas Silberhorn MdB Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung

Lubomír Metnar Verteidigungsminister der Tschechischen Republik

Niels Annen MdB Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen

Péter Szijjártó Minister für Auswärtige Angelegenheiten von Ungarn

General Eberhard Zorn Generalinspekteur der Bundeswehr

www.euro-defence.eu Veranstalter

Photo oben: Klaus Dombrowsky


Verteidigung

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Alles unter einem Himmel

I

mmer weniger geht es China allein um den Einsatz von “hard power”, also Investitionen in In­ frastruktur oder militärische Auf­ rüstung, als Instrumente globa­ len Einflusses. Vielmehr gehören zunehmend “weiche” Formen der Einflussnahme, wie die Vergabe von Stipendien an Studierende, die Bereitstellung von Medien­ inhalten oder eine gezielte Per­ sonalpolitik in internationalen Organisationen, zum “Werkzeug­ kasten”, mit denen die VR China ihre Vorstellungen und Interessen in einer neuen globalen Ordnung durchsetzen möchte. Außenpolitik wird hier also umfassend als die Gesamtheit und Gestaltung der Beziehungen mit anderen Staaten und Gesellschaften verstanden. Welche Motive treiben dieses Land und seine Elite? Wie kön­ nen wir uns eine solche chinesi­ sche Weltordnung vorstellen und wie realistisch ist diese? Und was bedeutet dies für uns Europäer und Deutsche?

Wie China an einer eigenen Weltordnung arbeitet (BS/Dr. Peter Hefele*) Der Aufstieg der Volksrepublik China zur Weltmacht ist das geopolitische Schlüsselereignis des frühen 21. Jahrhunderts. Mit einer bespiellosen Mobilisierung aller Ressourcen ist das Land innerhalb des letzten Jahrzehnts zu einem maßgeblichen globalen Machtfaktor geworden. Dabei sind die sichtbaren Zeichen, wie etwa die Hafenprojekte im Mittelmeer und am Horn von Afrika, die Pipeline-Projekte in Pakistan und Myanmar oder die künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer, nur die berühmte Spitze des Eisberges. weiten Ambitionen des Landes. Bei den internationalen Waf­ fenexporten ist China laut dem Stockholmer Institut für interna­ tionale Friedensforschung (SIPRI) im Jahr 2020 hinter den USA auf Platz zwei angekommen. Doch beschränkt sich die militärische Zusammenarbeit nicht allein auf den bloßen Verkauf und die War­ tung von Rüstungsgütern. Hinzu kommen zunehmende Kooperationen bei der Ausbildung von Offizieren aus Entwicklungs­ ländern und gemeinsame Militär­ übungen, etwa in Zentralasien, um die Einsatzfähigkeit auf der operativen Ebene zu verbessern. Daneben ist das Land seit Län­ gerem größter Truppensteller im Rahmen von UN-Missionen.

Motive und Narrative Arroganz, Ignoranz und falsche Annahmen haben dazu geführt, dass in der europäischen Politik erst in den letzten fünf Jahren die globalen Ambitionen der VR China in ihrer Bedeutung, Wir­ kungsmacht und strategischen Orientierung wirklich ernst ge­ nommen wurden. In den USA hatte die Diskussion um eine “re­ alistische Wahrnehmung” Chinas, schon deutlich früher begonnen, was maßgeblich mit einem völlig anderen strategischen Selbstver­ ständnis der amerikanischen Po­ litik und deren Eliten zu tun hat. Hierzulande rächt sich nun, dass über viele Jahre Außenpolitik im Kern eine Außenwirtschaftspo­ litik gegenüber China war. Die deutsche Politik hat es dabei ver­ säumt, schon früher mit einem umfassenden, integrierten Politik­ ansatz auf die von chinesischer Seite eingesetzten Instrumente und Handlungsebenen zu ant­ worten, die Teil eines systemati­ schen, von klaren ideologischen und machtpolitischen Interessen getriebenen Politikkonzeptes sind. Denn trotz einer uns manchmal etwas fremden Begrifflichkeit sind die Motive und Ziele der aktuellen chinesischen Außenpolitik sehr klar formuliert und werden offen geäußert. Weniger transparent sind hingegen die eingesetzten Instrumente, aber dazu später. Die Antriebskräfte chinesischer Außenpolitik lassen sich ver­ einfacht auf folgende Punkte reduzieren: • Das Überleben des leninis­ tischen Einparteien-Staates auch in Zeiten hoher sozialer Dynamiken, technologischer Umbrüche und weltweiter Kri­ sen sicherzustellen, ist Kern al­ ler strategischen Überlegungen der chinesischen Partei- und Staatselite. Hierzu müssen die entsprechenden materiellen und immateriellen Ressourcen im Land wie auch weltweit gesichert werden. Deshalb kann letztlich auch keine klare Grenze zwischen Innen- und Außenpolitik, zwischen Partei und Staat, zwischen Staatsund Privatwirtschaft gezogen werden. Ein Blick auf die ver­ wendeten Instrumente wird dies nochmals verdeutlichen. • Außenpolitik soll den Rahmen für den “Wiederaufstieg der chi­ nesischen Nation” nach “Jahr­ hunderten der Demütigung” schaffen und seinen zentralen, wenn nicht hegemonialen Platz als führende Zivilisation in ei­ ner neuen Weltordnung sicher­ stellen – so das fundamentale Narrativ. Dieses Ziel soll bis 2049, also 100 Jahre nach der kommunistischen Machtergrei­ fung 1949, erreicht sein. • Diese neue Weltordnung bricht mit wesentlichen Prinzipien der westlichen Ordnung, wie sie sich seit dem Ende des Zwei­ ten Weltkrieges etabliert hat­ te. Sie beschränkt sich auch

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Die Megastädte Chinas – wie Shanghai – ähneln eher europäischen Metropolen statt dem Klischeebild Asiens. Nur sind sie oftmals moderner. Foto: BS/Ricky Qi, Wikipedia

nicht mehr auf eine Koexistenz verschiedener gesellschaftli­ cher und politischer Systeme; sondern markiert einen klaren alternativen und umfassenden Gestaltungsentwurf zum libe­ ralen Modell des Westens.

Instrumente Die chinesische Außenpolitik hat in den letzten drei Jahrzehnten ei­ nen beeindruckenden Lernprozess vollzogen. Die Chancen der Globa­ lisierung seit den 1980er-Jahren hat wohl kein anderes Land so klug und konsequent für den eigenen Aufstieg genutzt wie die Volksre­ publik China. Dabei ist es gelun­ gen, trotz der Vielzahl an Akteuren und Instrumenten eine Kohärenz im Handeln zu erzeugen, auf de­ ren Basis und mit zunehmender Professionalität des Personals ein beeindruckender Quantensprung vollzogen wurde. An ausgewählten Beispielen soll im Folgenden ge­ zeigt werden, wie die Volksrepublik ihre Interessen global durchsetzt und bestehende Institutionen und Prozesse nutzt oder, falls erfor­ derlich, neue schafft. Beginnen wir, anders als üblich, bei Chinas globaler ­Medienpolitik: Medien Die VR China beschränkt sich nicht mehr auf eine totale Kon­ trolle der öffentlichen Meinung im eigenen Land, wo die Zensur alter­ native gesellschaftliche Diskurse beinahe vollständig unterbindet. Zunehmend – und in gewisser Weise seiner eigenen Logik folgend – strebt das Land danach, auch die globale Meinungsbildung in sei­ nem Sinne und durch eigene Nar­ rative eines positiven Chinabildes zu beeinflussen. Viele Instrumente in diesem Aktivitätsfeld sind ver­ gleichsweise neu, doch langfristig von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Dabei sind die He­ rausforderungen an eine solche Strategie hoch, da eine Anpas­ sung an höchst unterschiedliche kulturelle und kommunikative Situationen erfolgen muss. Der Aufbau globaler Korres­ pondentennetzwerke und fremd­ sprachiger Radio- und TV-Kanäle des staatlichen Fernsehens sind dabei noch die sichtbarsten Ele­ mente dieser Strategie. Daneben erfolgt die Einflussnahme auf den globalen Diskurs in wesentlich subtilerer Form. Die aktuellen Umbrüche und wirtschaftlichen Schwierigkeiten im globalen Medienwesen haben es chinesischen Unternehmen ermöglicht, sich in ausländische Medienunternehmen einzukau­ fen oder alternative Nachrichten­ quellen zur Verfügung zu stellen.

In vielen Gesellschaften spielen Soziale Medien mittlerweile ei­ ne entscheidende Rolle für die politische Meinungsbildung. Es überrascht deshalb nicht, dass diese Plattformen aktiv durch die chinesische Diplomatie genutzt werden; dahinter agiert aber auch eine digitale “Schattenarmee” von menschlichen und maschinellen “Bots”, wie wir dies auch von ande­ ren Staaten wie Russland kennen. Dabei werden mehr und mehr auch Auslandschinesen, gerade in Asi­ en, adressiert. Diese besitzen als häufig wirtschaftlich dominierende Kräfte auch erheblichen politischen Einfluss in der Innenpolitik ihrer Heimat- und Gastländer. Wirtschaft Der atemberaubende Aufstieg Chinas hat mit der Entfesselung der gigantischen Produktivkräfte seit den 1980er-Jahren begonnen und damit die materiellen Grundla­ gen für das globale Ausgreifen der Volksrepublik gelegt. Es hat aber auch im Westen das Bild und den Umgang mit dieser neuen Welt­ macht geprägt – zu lange, denn mit einem beinahe ausschließlichen Blick auf wirtschaftlichen Aus­ tausch ging eine reichlich naive Vorstellung von der zukünftigen Entwicklung des Landes und sei­ nes Verhaltens im Inneren und nach außen einher. Erst im letz­ ten Jahrzehnt wurde klar, dass wir uns mit einem eigenständigen Entwicklungsmodell einer Nation auseinandersetzen müssen, des­ sen Elite und ein Großteil der Be­ völkerung keineswegs unserem Modell einer freiheitlichen und marktwirtschaftlichen Ordnung folgen möchte. Auch die außenwirt­ schaftlichen Beziehungen stehen klar unter dem Primat der inneren Entwicklung, Stabilität und Herr­ schaftssicherung. Eine Trennung von Staat, Partei und Unternehmen (staatliche und privat) verkennt die Motive, Steuerungsmechanismen und Abstimmungsmechanismen zwischen diesen Akteuren und die Eigenart des chinesischen Modells. Der Verweis auf die bemerkens­ werten Leistungen des chinesi­ schen Unternehmergeistes (und die Leidensfähigkeit und den Ehrgeiz seiner Beschäftigten) am Erfolg ist vollkommen rich­ tig, geht aber am politischen Kern der Herausforderung vorbei. Am Jahrhundertprojekt der Belt-andRoad-Initiative (BRI) zeigt sich mo­ dellhaft, wie staatliche und private Interessen zu einer höchst effekti­ ven übergeordneten Strategie mit globalem Anspruch gebündelt wer­ den können. Hier greifen Elemente wie gezielte diplomatische Beglei­ tung, individueller Gewinnanreiz,

strategische Ressourcensicherung und machtpolitische Instrumenta­ lisierung unmittelbar ineinander. Ein derart integrierter Ansatz ist zwar auch westlichen Ländern, allen voran den USA, nie fremd gewesen. Aber so, wie er heute durch die VR China realisiert wird, widerspricht er in vieler Hinsicht einem liberalen Handelsmodell, wie es insbesondere der WTO zu­ grunde liegt. Allzu oft bleibt das Prinzip der Wechselseitigkeit (Re­ ziprozität) auf der Strecke, da die chinesischen Inlandsmärkte nach wie vor massiv vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden. Der zunehmende Zugriff der Partei über eigene Zellen auch in aus­ ländischen Unternehmen unter­ gräbt die Vorstellung autonomer unternehmerischer Entscheidun­ gen – was seit je her schon für chinesische Unternehmen gilt. Militär Dass der wirtschaftliche Aufstieg Chinas sich zeitverzögert auch in den Strategien und Fähigkeiten der Volksbefreiungsarmee nieder­ schlagen würde, war zu erwarten. Doch verläuft diese Entwicklung wesentlich rasanter und “disrup­ tiver” – im Inneren wie nach au­ ßen. Die Teilstreitkräfte sind dabei unterschiedlich stark betroffen. Am sichtbarsten zeigen sich die­ se Umbrüche und globalen An­ sprüche bei den See-, Raketen-, Cyber- und, in jüngster Zeit, auch bei den Weltraumstreitkräften. Der Wandel der chinesischen Marine von einer Green zu einer Blue Water Navy und der Aus­ bau von Marinestützpunkten im Indischen Ozean zeigen die welt­

Bildung/Forschung Mit seiner Industriestrategie “Ma­ de in China 2025” will China bis Mitte des nächsten Jahrzehnts in führenden Technologiesektoren wie KI, Biotechnologie und Erneu­ erbare Energien im Rahmen der neuen Wissensökonomie zur Welt­ spitze aufsteigen. Neben umfang­ reichen Investitionen in die eigene Forschungs- und Entwicklungs­ landschaft bleibt aber der inter­ nationale Austausch unerlässlich. Neben offiziellen Austauschpro­ grammen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen gehört auch der Diebstahl von intellek­ tuellem Eigentum in dieses Feld. Entsprechend konfliktträchtig ist dieser Bereich mit Blick auf die Außenbeziehungen des Landes, da sich die globale Machtverteilung in einer neuen Weltordnung ganz wesentlich auf diese Fähigkeiten stützen wird. Diesem Feld sind aber auch die umfangreichen Akti­ vitäten im Bereich von Kultur und Bildung zuzurechnen. Neben den zahlreichen Konfuziusinstituten und chinesischen Kulturzentren spielt die Ausbildung der zukünf­ tigen Eliten, etwa über Stipendi­ en, gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern eine Schlüs­ selrolle, wenn es um die Prägung eines positiven China-Bildes und langfristige Netzwerke geht.

Was heißt das für Europa und Deutschland? Die Beispiele zeigen, wie ambi­ tioniert und systematisch die VR China in den letzten Jahren ihren Einfluss weltweit ausgebaut hat, um die eigenen strategischen Ziele zu erreichen. Klassische Instrumente von Politik und Di­plomatie wurden durch sehr innovative Formen der Beeinflus­ sung von Eliten und Öffentlich­ keit ergänzt. Damit stehen liberale

Der Umbau der chinesischen Streitkräfte von einem “Volkssturm” zu einer hochmodernen Armee – mit entsprechenden Stückzahlen der Systeme – ist in großen Teilen bereits abgeschlossen. Foto: BS/Bundeswehr, Sebastian Wilke

Demokratien vor einer historisch beispiellosen Herausforderung, deren Ausgang noch ungewiss ist. Was kann und muss Europa also tun, um auch in Zukunft einen gestaltenden Einfluss auf die globale Ordnung zu behalten? Hierzu sollen abschließend einige Empfehlungen gegeben werden: • Der Aufstieg Chinas macht ei­ nen grundsätzlichen Wandel im außenpolitischen Selbst­ verständnis Deutschlands notwendig. Gerade gegenüber der Asien-Pazifik-Region war deutsche Außenpolitik bislang überwiegend wirtschaftspoli­ tisch motiviert. Das chinesische Vorgehen zeigt uns klar die Dominanz politischer Ziele. Wir müssen dieses Verhalten so nicht übernehmen, und schon gar nicht die eingesetzten Mit­ tel. Aber eine klare Definition eigener strategischer Ziele und die Abstimmung und Bünde­ lung unserer außenpolitischen Ressourcen hierauf ist die vor­ dringlichste Aufgabe deutscher Außenpolitik in den kommen­ den Jahren. Das kommt, rich­ tig verstanden, einer kleinen Revolution bisheriger bundes­ deutscher Traditionen gleich. • Ein vertrauensvolles Verhält­ nis zu den Vereinigten Staaten bleibt der Schlüssel für die stra­ tegische Handlungsfähigkeit, nicht “Autonomie” Europas und Deutschlands. Auch unter dem neuen Präsidenten Joe Biden bleiben die amerikanischen Forderungen nach einem deut­ lich gesteigerten Engagement und der Übernahme größerer Verantwortung durch die Euro­ päer unverändert bestehen. Die beherrschenden geopolitischen Konflikte des frühen 21. Jahr­ hunderts spielen sich schon jetzt in der Asien-Pazifik-Region – insbesondere aufgrund des Aufstieges der Volksrepublik China – ab. Die USA werden deshalb noch stärker ihren Fokus und ihre Ressourcen dorthin verlagern. Aber auch Europa wird neue Formen des Engagements in dieser Region entwickeln müssen, zumal das schon jetzt von befreundeten Nationen, etwa Japan und Aus­ tralien, eingefordert wird. Die neuen Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung können ein guter Ausgangspunkt für eine solche Neuausrichtung sein; sie müssen aber materiell “unterlegt” werden. • Der Einfluss auf junge Eliten in Politik, Diplomatie, Wirtschaft und Medien in Entwicklungsund Schwellenländern ist ein entscheidendes Feld der syste­ mischen Auseinandersetzung mit China. Deutschland muss diese Zielgruppen durch attrak­ tive Angebote langfristig an sich binden. Dazu stehen bereits heute vielfältige Instrumente und ausreichend Ressourcen zur Verfügung. Es fehlt jedoch häufig eine bessere Abstimmung und strategische Ausrichtung zwischen den verschiedenen Politikfeldern und Institutionen, gerade auch im Ausland. • Gleichwohl bleibt eine Ent­ kopplung (Decoupling) zwi­ schen Europa und China weder sinnvoll noch wünschenswert. Das Dreieck von “Partner, Wett­ bewerber und systemischem Rivalen” (EU-Kommission) um­ schreibt auch in den nächsten Jahren die “Geometrie” unseres Verhältnisses mit der Volks­ republik, sei es in den bilate­ ralen Beziehungen, sei es im Aufeinandertreffen beider in Drittstaaten. Eine Bewertung und Handlungsorientierung muss sich auch auf unserer Seite dabei an den Maximen “regeltreu, robust, kohärent und reziprok” orientieren. *Dr. Peter Hefele ist Leiter Asien und Pazifik in der Abteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit (EIZ) der KonradAdenauer-Stiftung e.V.


Verteidigung

Behörden Spiegel / Dezember 2020

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ie Hemmung einer Gesellschaft durch das Ausbringen von gesundheitsschädlichen Stoffen kann ein mögliches Mittel h ­ ybrider Kriegsführung zur Schwächung des Gegners in Szenaren der Zukunft sein. Dabei spielt die Bewertung, ob ein natürliches Geschehen oder ein mit militärischem/terroristischem Hintergrund intendiertes Handeln vorliegt, die entscheidende Rolle für die Reaktion. Deutschlands Rolle in zukünftigen Szenaren ist nicht mehr die der möglichen Frontlinie im Kalten Krieg, sondern die als Drehscheibe von Truppen sowie für Unterstützungs- und Versorgungsleistungen. Die Nachführung von Personal und Material ist ein besonders vulnerabler Punkt für das Gelingen von militärischen Aktionen. Die Minderung der Einsatzbereitschaft durch Fremdeinwirkung in Deutschland kann daher als wahrscheinlich angenommen werden.

Notwendigkeit neuer ­Fähigkeiten Sollten diese hybriden Aktivitäten eine Gesundheitslage ähnlich den aktuellen Bedingungen auslösen, so sind militärische Fähigkeiten allein nicht ausreichend für die Bewältigung des

R

eservisten haben in der Regel während ihrer aktiven Dienstzeit, eine militärische Ausbildung absolviert, entscheiden sich dann aber, nach Ablauf ihrer Dienstzeit parallel zum Zivilberuf, regelmäßig in der Truppe zu üben, um so ihre militärischen Fertigkeiten auf Stand zu halten. In Zeiten des Kalten Kriegs stützte sich das Territorialheer der Bundeswehr im Wesentlichen auf einen Kader an ausgebildetem Führungspersonal ab, das sich aus Reservisten zusammensetzte und somit im Ernstfall als Personalreserve zur Aufstellung neuer Truppen aus Wehrpflichtigen zur Verfügung stand. Einer dieser Reservisten ist Frank Wieland. Im normalen Leben ist er Geologe und kommt aus der Nähe von Mannheim. Zieht er seine Uniform an, ist er Oberstleutnant und gehört zum Jägerbataillon 291, dem einzigen deutschen Kampftruppenbataillon, das nicht auf deutschem Boden stationiert ist, sondern im elsässischen IllkirchGrafenstaden bei Straßburg. Das Bataillon verfügt über mehrere solcher Soldaten, die regelmäßig ihr Zivilleben unterbrechen, um die aktive Truppe zu unterstützen. Heute stehen sie nicht mehr nur für eine mögliche Landesverteidigung bereit, sondern nehmen gemeinsam mit den aktiven Jägern an Auslandseinsätzen teil, natürlich freiwillig, denn Reservisten können nicht ins Ausland befohlen werden. Derzeit sind 164 Reservedienstleistende in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr eingesetzt (Stand 28. Juli 2020, Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam). In Illkirch-Grafenstaden arbeitet OTL Wieland im Lagezentrum des Bataillons oder als S3-Stabsoffizier. Das bedeutet, er plant Übung und Ausbildung der Infanteristen, ihre Einsätze und den Transport von Soldaten und Material ins Einsatzland. Oberstleutnant Wieland hat bereits mehrfach Aufgaben für die Bundeswehr im Ausland übernommen. Unter anderem hat er 2017 an der multinationalen Übung “Noble Partner” in Georgien teilgenommen und war mit dem Jägerbataillon 291 im 9. Deutschen Einsatzkontingent MINUSMA 2018/2019 für die Vereinten Nationen in Gao im westafrikanischen Mali.

Als Reservist in den Einsatz – warum? Wieland nennt mehrere Gründe dafür, warum er sich als Reservist für einen Auslandseinsatz

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Handeln in der Pandemie Blaupause für hybride Kriegführung (BS/Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner) Das SARS-CoV-2 hat unseren Alltag in den letzten Monaten stark geprägt. Im Vordergrund standen dabei die Versorgung von Patientinnen und Patienten sowie die Eindämmung des Infektionsgeschehens. Deutlich hat sich gezeigt, dass das Handeln von Staaten durch eine Pandemie über längere Zeit dominiert werden kann. Alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, der staatlichen Handlungsfähigkeit und der militärischen Einsatzbereitschaft können durch einen Erkrankungsausbruch verlangsamt oder geschwächt werden. Geschehens. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr als Spezialist und Träger für medizinische Versorgung und Gesundheitsschutz in den Streitkräften besitzt für derartige Szenare besondere Fähigkeiten. Die Erfahrung im Führen von komplexen Lagen bringt der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr ebenso mit ein wie fachliche Expertise im Gesundheitsschutz, klinische und ambulante Behandlungskapazitäten wie auch Forschungs-Know-how und die Fähigkeiten zur Herstellung und Lagerung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Seine Ressortforschungseinrichtungen im Bereich des ABC-Schutzes, der Toxikologie und Mikrobiologie sind weltweit anerkannt und wertvolle Instrumente zur Verifikation eines Ausbruchsgeschehens. Doch dies alleine ist nicht hinreichend. Die durch SARS-CoV-2

verursachten Patientenzahlen zeigten schnell die Grenzen auch eines so hervorragenden Gesundheitssystems wie des unsrigen auf. Die nicht zu unterschätzende Bedeutung von medizinischem Fachpersonal, von ausreichend Infrastruktur, Material und Vorratshaltung wurde sichtbar. Eine gesamtstaatliche, ressortgemeinsame Antwort ist daher die einzig gangbare Lösung.

Blaupause Corona Hier muss die Erfahrung aus der SARS-CoV-2-Lage eine Blaupause sein. Spezialistinnen und Spezialisten aus allen Ressorts haben sich eng abgestimmt. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat ein Verbindungselement im Bundesministerium für Gesundheit und im Robert Koch-Institut implementiert und war ebenfalls ansprechbar für die Bundesländer, hier im Besonderen für

komplementärer Fähigkeiten nachGeneraloberstabsarzt Dr. Ulhaltig wirksam. rich Baumgärtner ist InspekNur konzertierte teur des Sanitätsdienstes der gesamtstaatliche Bundeswehr. Leistungen können am Ende eine Foto: BS/obs, Presse- und Inforderartige Gesundmationszentrum Sanitätsdienst, heitslage eindämFOTO-KIND,Weissenfels men. Deutlich wurde, dass unser Gesundheitssystem die Gesundheitsbehörden. Vor und die Gesellschaft stark beeinallem mit seinen fünf Bundes- flussbar sind durch Gesundheitswehrkrankenhäusern hat der lagen dieses Ausmaßes. GleichSanitätsdienst der Bundeswehr, zeitige Cyber-Attacken auf das als integraler Bestandteil des Gesundheitswesen würden die zivilen Gesundheitssystems, Reaktionsfähigkeit zusätzlich an der Bewältigung des Pati- gefährlich beeinträchtigen. entenaufkommens mitgewirkt. Wir haben an Hotspots des Voraussetzung Vertrauen Ausbruchsgeschehens wesent“Nebenwirkungen” einer solchen lich unterstützt. Diese Einzel- Lage zeigen sich schnell in alleistungen, deren Wert nicht len gesellschaftlichen Bereichen: geschmälert werden soll, sind Bürgerämter, die nicht arbeiten, jedoch nur im Zusammenwirken Kindergärten und Schulen, die

Vom Schreibtisch in den Auslandseinsatz Einsatzreservisten – eine wichtige Stütze für die Bundeswehr (BS/Hauptmann Marco Zielony*) Ob beim Dienst in der Kaserne oder im Auslandseinsatz: Die Reservisten der Bundeswehr sind eine wichtige Personalreserve für die Truppe. Sie unterstützen nicht nur im alltäglichen Dienst in ihrer Heimatkaserne, sondern nehmen auch wichtige Aufgaben in den unterschiedlichen Einsatzgebieten im Ausland wahr. Ein solches Beispiel ist Oberstleutnant Frank Wieland, der Geologe aus Mannheim.

Frank Wieland – seinerzeit noch Major – wird zum Ende seines Einsatzes in Mali die Einsatzmedaille der Bundeswehr verliehen. Von den Vereinten Nationen gibt es eine zweite dazu. Foto: Bundeswehr/Marcus Schaller

meldete. Zum einen war da die Erfahrung, die er bereits in Georgien gesammelt hat. Durch eine unvorhergesehene Lageänderung war er unversehens höchster Dienstgrad vor Ort und als solcher fünf Wochen lang verantwortlich für die Planung und Durchführung einer multinationalen Übung mit seinem 65 Mann zählenden deutschen Kontingent. “Es ist eine schöne Herausforderung, für so viele Soldaten verantwortlich zu sein. Die Zusammenarbeit hat mir sehr viel Freude gemacht. Das sind Erfahrungen, die man im Zivilberuf selten machen kann.”

Als Reservist ins Ausland Grundsätzlich kann sich jeder Reservist der Bundeswehr für eine sogenannte besondere Auslandsverwendung bewerben, solange keine gesundheitlichen Hindernisse bestehen und das 65. Lebensjahr nicht spätestens im Einsatz vollendet wird. Eine Bewerbung für bis zu sieben Monate im Kalenderjahr nehmen die zuständigen Karrierecenter der Bundeswehr entgegen. Innerhalb der sieben Monate muss allerdings auch die Vorausbildung und die Nachbereitung des Einsatzes absolviert werden. Bei der Einsatzvorbereitung gibt es für Reservisten keine Unterschiede zu aktiven Soldatinnen und Soldaten. Es sind mehrere Ausbildungsabschnitte zu bewältigen. Dazu zählen

unter anderem die soldatische Ausbildung, bei der allgemeine militärische Fertigkeiten wie beispielsweise Verhalten auf einer Patrouille oder das routinierte Durchsuchen von Personen und Fahrzeugen trainiert wird. Ein weiterer Ausbildungsabschnitt ist die spezifisch auf das jeweilige Einsatzland zugeschnittene interkulturelle Ausbildung. Hier lernen die Einsatzsoldaten die Gepflogenheiten und Gebräuche der Menschen im Einsatzland kennen. Als letzten Abschnitt sind eine Sanitätsausbildung und ein Schießtraining zu absolvieren, bevor Reservedienstleistende in den Einsatz verlegen können. “Die Vorausbildung wird größtenteils durch den Truppenteil, mit dem man in den Einsatz verlegt, vorgenommen”, erklärt Oberstleutnant Wieland. Während der aktive Soldat von seiner Stammeinheit zur Ausbildung abkommandiert wird, muss der Reservist seine Vorausbildung oft schon absolvieren, während er noch im Zivilberuf gefordert ist. Familie, Beruf und Reservedienstleistung unter einen Hut zu bringen, ist eine Herausforderung: “Es gehört immer auch ein großer Anteil an Eigeninitiative dazu, um alle Abschnitte der Ausbildung zeitgerecht absolvieren zu können und dies auch mit den Planungen des Arbeitgebers und der Familie in Übereinstimmung zu bringen”, weiß Wieland aus eigener Erfahrung.

In den Auslandseinsätzen sind zwischen fünf und sieben Prozent der Soldaten – je nach Einsatz und Auftrag – Reservisten. Hauptsächlich sind diese in der Verwaltung der Einsatzliegenschaft und der Zusammenarbeit mit zivilen Akteuren vor Ort eingesetzt, oftmals, weil sie Erfahrungen und Qualifikationen aus ihrem Zivilberuf mitbringen, die für ihre Aufgaben im Einsatz von Vorteil sind. Wieland war in Gao in Mali als “Camp Commander”, also als Feldlagerkommandant eingesetzt. Zu seinen Aufgaben gehörten unter anderem die Planung und Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen, aber auch Betrieb und Instandhaltung der Wasserversorgung, der Sicherheit und die Verbindung zu den Kontingenten anderer Staaten, die ebenfalls die Infrastruktur des Feldlagers nutzten. So musste Wieland zuweilen neue Wasserentnahmestellen für die Frischwasseraufbereitung erkunden oder mit dem örtlichen Elektrizitätswerk zusammenarbeiten, damit das Camp Castor auch weiterhin zuverlässig mit Strom versorgt wird. “Mit dieser Aufgabe war ich schon etwas

privilegiert”, berichtet Wieland, “denn so kommt man auch etwas in der Stadt herum, sieht etwas von Land und Leuten und knüpft interessante Kontakte zu anderen Organisationen und mit den Einheimischen.” Sehr hilfreich für die Einplanung von Einsatzreservisten sind Fremdsprachenkenntnisse so wie bei Oberstleutnant Wieland. Er hat Französisch bereits in der Schule gelernt und später seine Kenntnisse genutzt, um als Dolmetscher für die Bundeswehr auf Deutsch und Englisch arbeiten zu können. Er konnte dienstlich bereits mehrfach von seinen Französischkenntnissen Gebrauch machen. Sei es auf binationalen Übungen der Deutsch-Französischen Brigade oder auch im Einsatz. Beispielsweise bei der Erarbeitung eines Absicherungskonzepts des Camps Castor und des französischen Camps Barkhane im malischen Gao sowie bei Absprachen mit lokalen Behörden aufgrund von Einschränkungen des Lagerschutzes durch eine störende Stromleitung. Überraschend war für Wieland, wieviel Dankbarkeit die Menschen in Mali den UN-Soldaten

geschlossen bleiben – und Gesundheitseinrichtungen am Rande der Belastungsgrenze. Durch eingeschränkte Produktion und Handel leidet die Wirtschaft; zur Vermeidung von Virusübertragungen wird das soziale Leben extrem eingeschränkt, geringere Familieneinkommen erschweren die Finanzierung zum Teil auch von Grundbedürfnissen in der Bevölkerung. Hieraus kann dann schnell eine politische Krise erwachsen. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik ist wichtige Vo­ raussetzung für die Akzeptanz der politischen Vorgaben und daraus resultierender Maßnahmen. Vor allem bei hybriden Bedrohungen ist dies die Basis für eine handlungsfähige, wehrhafte und damit resiliente Gesellschaft. Der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Innerer wie Äußerer Sicherheit muss zukünftig deutlich stärker beachtet werden. Gerade bei kritischen Gesundheitslagen verschwimmen die Grenzen der beiden Sicherheitsbegriffe. Wichtige Lektion aus der aktuellen Lage ist schon heute: Jeglicher Lösungsansatz kann nur ressortgemeinsam, gesamtgesellschaftlich und häufig auch nur international gefunden werden. entgegenbringen: “Man merkt den Menschen an, dass sie dankbar für unsere Arbeit sind und sich über die verbesserte Sicherheitslage freuen, die wir nach Gao gebracht haben. Sie sagten, dass sie nun auch wieder nachts auf die Straße gehen könnten.” Auch hat er viele weitere positive Erfahrung gemacht und Menschen gesehen und kennengelernt, die in einem ganz besonderen Umfeld leben. “Es ist faszinierend, wie Menschen in dieser kargen, trockenen Landschaft überleben und wie freundlich und glücklich sie dennoch sind. Das hat mich schwer beeindruckt!” Auch wenn der Einsatz aufgrund des hohen Aufgabenspektrums körperlich und mental fordernd gewesen sei, so sagt er dennoch, dass er die Erfahrung nicht missen möchte. “Ich würde auch wieder mit in den Einsatz gehen. Allerdings in Abstimmung mit meiner Familie und dann auch nur drei bis vier Monate. Nach vier Monaten merkt man schon, dass man langsam ausgelaugt ist.” Doch Reservisten sind nicht nur im Einsatz wichtig, sondern vor allem auch im Heimatstandort. Wenn ein Großteil eines Bataillons sich über Monate hinweg im Einsatzland befindet, sind es oft die Reservisten, die den Grundbetrieb in der Heimat weiter aufrechterhalten. *Hauptmann Marco Zielony ist S2-Offizier im Jägerbataillon 291.


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“I

ch liebe es, hier zu arbeiten”, sagt die 1980 geborene Koblenzerin, die in der Altstadt aufwuchs und seit ihrer Kindheit zur Festung hinaufblickte. Nun haben sich die Dimensionen verschoben, denn seit Februar 2006 arbeitet sie dort und schaut auf Koblenz' Straßen und Gassen sowie den Rhein herab. Das Deutsche Eck und das Denkmal Kaiser Wilhelms I. liegen ihr quasi zu Füßen. “Es ist so schön, in der Mittagspause im Sommer einen solch grandiosen Blick auf das Deutsche Eck zu genießen und zu sehen, wie die Besucher und Besucherinnen sich ebenfalls vom Panorama beeindrucken lassen.” Die Pandemie macht die Festung zu einem stillen, menschenleeren Ort. Der geschichtsträchtige Bau, den sonst viele Gäste besuchen, ist verwaist. Das Landesmuseum ist geschlossen und auch die moderne Seilbahn, welche sonst Touristen in Scharen auf das Festungsplateau befördert, hat ihren Dienst im Teil-Lockdown eingestellt. Covid-19 hat große Auswirkungen auf den Regelbetrieb der Controllerin und das gesamte Team. Auch im Bürotrakt ist es spürbar ruhiger geworden: “Wir haben auf Schichtbetrieb umgestellt und die Präsenz deutlich heruntergefahren.” An ihrem Arbeitsplatz, in der Contregarde Links – die unterschiedlichen Trakte und Areale tragen französische Namen (wie im Festungswesen üblich) – laufen alle Fäden der Finanzen der GDKE zusammen. Neben Noelia Wostry sind weitere fünf Mitarbeitende in der Finanzabteilung beschäftigt.

Kulturbetrieb im LockdownModus Laut Haushaltsplan liegt der Ansatz der GDKE bei rund 32 Millionen Euro, die von Noelia Wostry verwaltet werden. Sie trägt die Budgetverantwortung und ist Beauftragte für den Haushalt gemäß Landeshaushaltsordnung. Die Angestellte, die nach dem Tarifvertrag der Länder bezahlt wird, ist für ziemlich alles verantwortlich, was mit dem Rechnungs- und Kassenwesen der GDKE in Verbindung gebracht wird. Das kann ein Kostenplan zu einer Ausstellung, die beratende Unterstützung zu einer archäologischen Grabung und deren Finanzen oder die Mitwirkung in Zuwendungsfällen von Denkmälern sein. Genauso ist die finanzplanerische Begleitung von Veranstaltungen, wie zum Beispiel das über die Grenzen von Rheinland-Pfalz bekannte Festungsleuchten, Teil ihres Jobs: “Leider müssen dieses Jahr geliebte Programmpunkte ausfallen. Das tut in der Seele weh, aber die derzeitige Lage ist eben nicht zu ändern.” Trotz der unwirklichen Ruhe ringsum steht Wostry noch sehr viel Arbeit bevor. Denn “bald geht es in die heiße Phase”, wie sie sagt. Der Haushalt der GDKE wird Mitte Dezember für das Geschäftsjahr 2020 abgeschlossen. Seit dem Spätsommer bereitet sie alles auf den Tag X vor. In Absprache mit Generaldirektor Thomas Metz, dem sie direkt unterstellt ist, und den Budgetverantwortlichen der sechs Direktionen (siehe Infokasten) wird der Haushalts-

Behörden Spiegel / Dezember 2020

Panoramablick auf Koblenz Noelia Wostry leitet die Finanzabteilung der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) (BS/Michael Harbeke) Mächtige Mauern weisen den Weg zu Noelia Wostrys Arbeitsplatz. Die Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz ist einer der Sitze der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE). Die studierte Diplomkauffrau für Betriebswirtschaftslehre ist Leiterin der Stabsstelle Finanzen und verantwortlich für alle Vorgänge, die das Finanzwesen der GDKE betreffen – ein spannendes Berufsfeld, wenn man bedenkt, dass sie für alle Burgen, Schlösser und Altertümer, die die GDKE betreut, die Budgets verantwortet. Doch das ist nur ein Part ihrer vielfältigen Tätigkeit.

nen zur Untersuchung notwendig sind: “Wenn das der Fall ist, sieht es das Denkmalschutzgesetz vor, dass der Investor einen Teil der Ausgrabung mitfinanziert. Die Finanzabteilung muss nun die daraus entstehenden Zahlungen durch den Investor sowie den Nachweis der anfallenden Sach- und Personalausgaben gegenüber dem Investor steuern und prüfen.”

Etwas Nachhaltiges bewirken…

Ein fantastischer Blick auf das Deutsche Eck, um den man Noelia Wostry beneidet: Sie arbeitet dort, wo Touristen Schlange stehen.

plan für die GDKE aufgestellt. “Jede Rechnung wandert über meinen Tisch. Ich prüfe, welche Ausgaben und Verpflichtungen anstehen, welche Wünsche erfüllt werden können und welche Haushaltsmittel im Folgejahr zur Verfügung stehen müssen. Diese Arbeit ist sehr komplex.” Das Rechnungswesen ist durch die Pandemie noch digitaler geworden. Homeoffice ist ein Arbeiten aus der Distanz, was Absprachen schwieriger macht: “Wir nutzen digitale Datenbanken und IRM@, um unsere Controlling-Aufgaben, das Prüfwesen, wahrzunehmen. Der Austausch mit dem Team ist jedoch auch im Lockdown unerlässlich. Telefonkonferenzen sind ein fester Teil unseres Arbeitslebens geworden.”

Lange Festungskarriere – Traumjob gefunden Wostry gehört seit 15 Jahren zum “Inventar” der “Ehrenbreitstein”. Nachdem die Koblenzerin 1999 ihr Abitur am Koblenzer (Joseph) Görres-Gymnasium absolviert und bis 2005 an der Universität des Saarlandes studiert hatte, begab sie sich sozusagen in freiwillige “Festungshaft”, die bis heute andauert. Die Schwerpunkte ihres Studiums waren Controlling und Marketing. Im Februar 2006 fing sie dann bei der Direktion “Burgen, Schlösser, Altertümer” im Veranstaltungswesen an, die heute in der Dachorganisation GDKE aufgegangen ist: “In meinen Anfangsjahren durfte ich unsere Burgen, Museen und Denkmäler hautnah kennenlernen, Veranstaltungen mitgestalten und mich mit unserem rheinland-pfälzischen kulturellen Erbe intensiv ausein­ andersetzen.” 2011 folgte dann

Die Festung Ehrenbreitstein ist Noelia Wostrys Arbeitsplatz. Denn hier sitzt die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, wo sie die Finanzabteilung leitet. Foto: BS/GDKE Rheinland-Pfalz, Pfeuffer

der Wechsel zur Finanzabteilung, deren Leitung sie im Herbst 2018 übernahm: “Rückblickend muss ich sagen, dass es nur ein Vorteil sein kann, so lange bei einem Arbeitgeber beschäftigt zu sein. Es hilft mir ungemein, denn ich kenne viele Abteilungen sehr gut. Dieses Wissen hilft mir beim Controlling sehr, da jede Direktion und Stabsstelle ihre Spezifikationen besitzen.” Wostry geht im Kulturbetrieb der GDKE auf. Aber auch privat ist sie mit den schönen Künsten eng verbunden. Sie spielt Klavier, besucht Museen. Die Controllerin ist verheiratet, hat eine Tochter und einen Hund. Außerdem liebt sie Zahlen, eine Affinität, die Grundvoraussetzung für ihren Beruf ist: “Ohne gute Auffassungsgabe und strategisches Denken wäre man hier fehl am Platz. Außerdem sind fundierte Excel-Kenntnisse enorm wichtig.”

Vielfalt ist das Zauberwort Was die Stabsstellenleiterin täglich anspornt, sind die ständig wechselnden Herausforderungen: “Ich bin ein Mensch, der nicht nur nach Schema F arbeiten möchte. In der Finanzabteilung sind jeden Tag neue Prüfsteine zu bewältigen. Das fordert mich und macht mich glücklich.” Der größte Teil der Haushaltsführung ist die Umsetzung von Maßnahmen in der Personalwirtschaft nach Vorgabe der Dienststellenleitung. Hier beeindrucken sie besonders die Tätigkeitsfelder der rund 260 und saisonbedingt bis zu 400 Beschäftigten, die bei der GDKE arbeiten: “Mein Job bringt mich mit vielen Berufszweigen zusammen. Durch meine Tätigkeit erfahre ich, wie Museologen,

Museumspädagogen, Archäologen, Kunsthistoriker und Ausstellungsarchitekten arbeiten.” Wostry erstellt Kostenpläne und blickt tief in die Materie der GDKE und ihrer faszinierenden Liegenschaften sowie Museen: “Ob Burg Sooneck, Schloss Stolzenfels oder die Festung Ehrenbreitstein – jeder dieser Erinnerungsorte besitzt seinen eigenen Charme, eine bewegende Geschichte. Unsere einmalige Kulturlandschaft darf ich bei meiner Arbeit immer wieder neu kennenlernen.”

Kostenpläne für die Archäologie Eine der Direktionen der GDKE ist die Landesarchäologie, mit der Wostry in vielen Projekten eng zusammenarbeitet: Wie zum Beispiel dem Projekt Wachtenburg in Wachenheim, einer Höhenburg aus dem 12. Jahrhundert, wo eine Mauer einzustürzen drohte. Vor der Bau- oder Sanierungsmaßnahme fanden dort Untersuchungen durch die Wissenschaftler statt. Die kostspieligen Arbeiten werden durch unterschiedliche “Töpfe” finanziert. Die gesamten Finanzmittel zu koordinieren ist Wostrys Aufgabe. Sie unterstützt die Kollegen der Direktion Landesarchäologie beim Kooperationsvertrag, überprüft die Zahlungsströme auf Korrektheit und gewährleistet die korrekte Abrechnung und Verwendung der Mittel: “Nicht nur bei der Wachtenburg komme ich mit den unterschiedlichsten Playern zusammen, die das kulturelle Erbe durch Spenden und Zuwendungen bewahren.” Im konkreten Fall ging die GDKE RLP eine gemeinsame Kooperation mit

Für alle Burgen, Schlösser und Altertümer, die die GDKE betreut, verantwortet Noelia Wostry die Budgets – so auch für die Burg Pfalzgrafenstein in Kaub. Foto: BS/GDKE Rheinland-Pfalz, Pfeuffer

Foto: BS/har

der Direktion Landesarchäologie, dem Wachtenburgverein, einem Förderkreis, der sich um den Erhalt der Burg bemüht, sowie der Universität Freiburg ein. Gemeinsam wurde an einem realistischen Kostenplan zum Wohl des denkmalgeschützten Bauwerkes gearbeitet. “Es macht mich unglaublich stolz, wenn man etwas bewirken kann und die historische Substanz eines Gebäudes erhalten bleibt, welches es schon 800 Jahre gibt.”

Schätze aus dem Erdreich Ein weiteres Tätigkeitsfeld, mit dem Wostry immer wieder in Berührung kommt, ist die sogenannte Investorengrabung: “Wenn in einem Baugebiet archäologische Funde im Erdreich vermutet werden, kommt die Landesarchäologie ins Spiel,” wie die Controllerin erklärt. Die Wissenschaftler analysieren den Boden und schätzen ein, ob sich die Vermutungen erhärten. Bestätigt sich der Verdacht eines historischen Fundes, bewertet die Landesarchäologie, ob die archäologischen Überreste und Baudenkmäler erhalten bleiben, oder noch weitere Ausgrabungen und gründliche Dokumentatio-

Aber auch Ausstellungen wie die Landesausstellung “Die Kaiser und die Säulen der Macht”, die derzeit im Landesmuseum Mainz laufen sollte – wäre da nicht Corona – hat Wostry und ihr Team finanztechnisch begleitet: “Vom Ausstellungskatalog bis zur Ausstellungsarchitektur habe ich fundierte Einblicke erhalten. Jeder noch so kleine Posten wurde von uns geprüft. So bekommt man hautnah mit, wie eine so große Ausstellung konzipiert wird und wie viele Rädchen ineinanderlaufen müssen. Traurig ist nur, dass sie momentan niemand besuchen darf. Wir hoffen auf bessere Zeiten!” Weitere Tätigkeitsfelder, die Wostry verantwortet, sind die Steuerung und das Finanzcon­ trolling sowie die Verwaltung der Drittmittel: “Großprojekte, die Unterstützung der vielen Veranstaltungen und Ausstellungen, sind nicht immer ohne Drittmittel denkbar. Bund, EU, Stiftungen und Fördervereine helfen, die Projekte der GDKE mitzufinanzieren. Bei den komplizierten Verfahren übernimmt die Finanzabteilung das Prüfwesen und kontrolliert die Transaktionen.”

“Rheinromantik pur” Nach einem anstrengenden Tag verlässt Wostry das Festungsareal mit einem guten Gefühl: “An meinem Beruf gefällt mir, dass ich etwas Nachhaltiges bewirken kann. Viele denken ja, der Umgang mit Zahlen sei abstrakt. Doch wenn man überlegt, wie unsere Kulturdenkmäler durch die Gelder der Nachwelt erhalten bleiben, sieht man, was man bewegen kann.“Wostry, die viele Ausstellungen der GDKE privat besucht, ist stolz, mit ihrer Arbeit zur Außendarstellung der rheinland-pfälzischen Kultur beizutragen. Die Koblenzerin ist eng verwurzelt mit ihrer Heimat. In ihrem familiären Umfeld genießt sie den Blick auf den Rhein und dessen Burgen: “Bei schönem Wetter kann ich von uns zu Hause in Vallendar, quasi vor der Haustür, die Festung Ehrenbreitstein und Schloss Stolzenfels sehen, die auch von der GDKE verwaltet werden. Es ist ein traumhafter Blick ins Rheintal. Rheinromantik pur!”

Hüterin des materiellen kulturellen Erbes (BS/har) Die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE) übernimmt in der Landesverwaltung Verantwortung für das materielle kulturelle Erbe des Landes. Neben dem Hauptsitz der GDKE in Mainz und weiteren Außenstellen ist ihr Verwaltungssitz auf der Festung Ehrenbreitstein, einem preußischen Bau, der seinen Ursprung im Jahr 1817 hat. Nach dem Ende der napoleonischen Ära dehnten die Preußen ihre Macht im Rheingebiet aus. Hiervon zeugt die imposante Festung, die eine in Stein verewigte Machtdemonstration an alle Gegner war. Die GDKE besteht aus sechs Direktionen und fungiert als deren Dachorganisation (Landesarchäologie; Landesdenkmalpflege; Burgen, Schlösser, Altertümer; Kulturzentrum Festung Ehrenbreitstein mit dem Landesmuseum Koblenz; Landesmuseum Mainz; Rheinisches Landesmuseum Trier/Zentrum der Antike). Die GDKE organisiert und begleitet wissenschaftliche Projekte und Ausstellungen. Gerade läuft im Landesmuseum Mainz die Ausstellung “Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht” und im Rheinischen Landesmuseum Trier “Echo – Die Aura der Antike.” Im Landesmuseum Mainz kann man das Mittelalter digital erleben. Die virtuelle Ausstellung “Ritter, Bauer, Edeldame” ist die konsequente Antwort auf die Corona-Pandemie. Berühmte Liegenschaften, die die GDKE verwaltet, sind die Burg Trifels, wo der legendäre Richard Löwenherz im 12. Jahrhundert gefangen gehalten wurde, oder aber das Amphitheater in Trier, wo anno dazumal Gladiatoren gegen wildes Getier zur Unterhaltung des Populus Romanums kämpften. Außerdem bewirbt die GDKE die UNESCO-Welterbestätten in Rheinland-Pfalz wie den Dom zu Speyer oder die Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal.


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