Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst
ISSN 1437-8337
Nr. VI / 35. Jg / 23. Woche
G 1805
Berlin und Bonn / Juni 2019
www.behoerdenspiegel.de
Mobilitätsketten im Blick haben
Mit der Zeit gehen
Der etwas andere Sherlock Holmes
Kathrin Schneider zum nachhaltigen ÖPNV............................................................Seite 21
Hans-Joachim Grote über die “Polizei 2020”.............................................. Seite 38
Karl-Heinz Rusch arbeitet beim Prüf- und Messdienst der Bundesnetzagentur ............ Seite 48
Nicht unabhängig genug (BS/mfe) Deutsche Staatsanwaltschaften weisen keine ausreichende Unabhängigkeit von der Exekutive auf. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden. Die Richter folgten den Schluss anträgen des Generalanwalts, die dieser im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichtshofs und des Hohen Gerichtshofs Irlands veröffentlicht hatte. Somit dürfen Staatsanwaltschaften hierzulande vorerst keinen Europäischen Haftbefehl mehr ausstellen, da aus Sicht der EuGH-Juristen die Gefahr einer Einflussnahme, etwa durch ein Justizministerium, besteht. Außerdem gelten die deutschen Staatsanwaltschaften damit nicht als Justizbehörde im Sinne des einschlägigen EU-Rahmenbeschlusses 2002/584/JI.
Cyber-Attacken auf Flugbereitschaft? (BS/stb) Im Zusammenhang mit der Pannenserie bei der Flugbereitschaft des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) zieht die Bundesregierung auch Sabotage oder Cyber-Angriffe als Ursache in Betracht. Nach der Notlandung der “Konrad Adenauer” auf dem Flughafen Köln/Bonn mit der Bundeskanzlerin an Bord, hatten nach Informationen des Behörden Spiegel Verfassungsschutz und Polizeibehörden sofort an die Möglichkeit eines gezielten Angriffs gedacht. Im Bundeskriminalamt wurde über eine Radarwaffe oder einen elektromagnetischen Impuls als Ursache nachgedacht. Auch das zuständige Kommando Luftwaffe schließt im Rahmen seiner Untersuchung der Pannenserie einen Sabotage-Akt oder Cyber-Angriffe nicht mehr aus.
Behörden in den Osten (BS/rup) Bis zum Jahr 2022 will die Bundesregierung rund 5.000 Stellen in die neuen Bundesländer verlegen. 1.500 dieser Stellen stellt Bundesinnenminister Horst Seehofer aus seinem Ressort “zur Verfügung”, die sich mithilfe der zahlreichen Neueinstellungen bei der Bundespolizei gut abdecken lassen. Statt an vier Standorten Dependancen zu etablieren, soll das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mit 200 Stellen eine “Zweigstelle” in Dresden errichten. Das Verkehrsministerium hat bereits geliefert, 250 Beschäftigte sollen zum Fernstraßen-Bundesamt nach Leipzig kommen. (siehe Seite 5). Alles wird jetzt zumindest vor dem Wahltermin im September in Sachsen verkündet. Auch die neu eingerichtete Agentur für Innovation in der Cyber-Sicherheit (AIC), die am Flughafen Leipzig / Halle angesiedelt werden soll (BMVg / BMI).
Auf die Umsetzung kommt es an Ziele und Wirkungen zwischen Leitung und Linie (BS/Jörn Fieseler) Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Blockchain oder Cyber-Security, Industrie, Tourismus, Rohstoffe, nationale Vielfalt, Wasserstoff oder Jugend – nicht nur für diese Themenfelder gibt es Strategien. Bei der Entwicklung von langfristigen Verhaltensweisen, mit denen Ziele systematisch verfolgt und erreicht werden sollen, besteht kein Mangel. Ob es dazu ganzer Strategiestäbe oder eigener Abteilungen in Ministerien bedarf, ist fraglich. Zumal die Mängel an anderer Stelle bestehen. Die Leitungsabteilung im Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist aktuell auf 144 Dienstposten angewachsen. In der letzten Legislatur bestand der Stab “Strategie und Kommunikation” aus 95 Beschäftigten, wie das Ministerium mitteilte. Die Aufgaben der Abteilung lassen sich unter drei Überschriften subsummieren: erstens das klassische Ministeriumsgeschäft, wie Reden schreiben oder die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Zweitens die Bündelung von Themen, die in der Linienorganisation der Abteilungen und Referate verteilt sind. Und drittens die Koordination zwischen den Ressorts sowie der SPD. Durch diesen Schritt wird die Strategieentwicklung politisiert. Doch ist das BMF längst kein Einzelfall. Insgesamt acht von 14 Bundesministerien haben inzwischen die Strategieentwicklung auf der Leitungsebene verortet, wie Prof. Dr. Thurid Hustedt, Professorin für Public Administration und Management an der Hertie School of Governance untersucht hat. Für die Wissenschaftlerin ein deutliches Zeichen. Sie vertritt die These, die klassische Linienorganisation werde nicht als strategierelevant betrachtet, obwohl sie Strategien produziere. Die Entwicklung lässt sich sogar in dem Bereich verfolgen,
Wer strategische Ziele vorgibt, muss auch überprüfen, ob diese erreicht wurden und ihre Wirkung entfalten. Fundierte Daten sind dafür notwendig. Foto: BS/ipopba, stock.adobe.com
der letztlich über jede Strategie entscheidet: die Politik. Auch dort existieren Organisationseinheiten, die nur für Strategie und Planung zuständig sind. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt es beispielsweise eine zehnköpfige Planungsgruppe, die nach außen kaum in Erscheinung tritt, nach innen ebenfalls koordinierende Aufgaben erfüllt. Bei Bündnis 90/Die Grünen sind
ebenfalls sechs Stellen in der Bundesgeschäftsstelle für Strategie und Planung eingerichtet worden, indem die Geschäftsstelle umorganisiert wurde. Aber: Manche der eingangs genannten Strategien beziehen sich auf einzelne Politikfelder, für die in der Ministerialverwaltung eine ganze Abteilung steht. Dies zeigt: Die klassische Ministerialbürokratie ist durchaus strategie-
fähig. Mehr noch: Die Qualität der Verwaltung kann durch eine Strategie sogar noch gesteigert werden. Doch dazu darf es nicht nur bei der Definition von Zielen und Maßnahmen bleiben. Vielmehr muss auch dafür Sorge getragen werden, die Vorhaben zu realisieren und deren Wirkung zu messen. Dies scheitert bislang aus unterschiedlichen Gründen. Zum ei-
Kommentar
Auf was konzentrieren? (BS) Frauenförderung sollte Chefsache sein, ebenso Compliance, Cyber- und Terror-Resilienz, Integration und Migration, jetzt wieder Umwelt. Alles Mega-Themen. Mancher Bürgermeister und Behördenleiter sieht sich getrieben durch einen rasanten Agenda-Wechsel, weil Atemlosigkeit Kennzeichen dieser Zeit geworden ist. Kein Thema kann nachhaltig abgearbeitet werden. Folge: Für alles werden kurzfristig Beauftragte ernannt, neue Abteilungen, gar neue Behörden geschaffen. Die Organisations- und Personalstrukturen der öffentlichen Verwaltung sind aber per se auf Kontinuität programmiert, für raschen Agenda-Wechsel ungeeignet. 2015 war das Mega-Thema Migration. Die Einwanderungswelle sollte Behörden und Gesellschaft tiefgreifend verändern und dauerhaft herausfordern. Ein spürbares Maß an Normalität ist mittlerweile hier eingetreten. Diesem Mega-Thema folgt das nächste: die Umweltzerstörung. Stand schon mal auf der Agenda ganz oben, ist nun mit voller Wucht zurück. Es lässt sich nicht infrage stellen, doch es ist erlaubt, zu vermuten, dass es in seiner Dominanz auch wieder nur eine Zeitblüte bleibt. Vor all diesen wichtigen Themen sollte eigentlich in der heutigen modernen, demokratischen Gesellschaft ein Giga-Thema stehen: die Digitalisierung. Es ist in der
Gegenwart, noch mehr in der Zukunft das Kernthema. Nicht nur, dass sich die Themen Migration wie Umwelt durch digitale Verfahren besser bearbeiten lassen, Digitalisierung geht weiter. Sie ist nicht ein Hilfsmittel zu anderen Zwecken, sondern mittlerweile ein eigener. Simples Beispiel: Die persönliche Kommunikation der Menschen untereinander hat sich verändert. Kommuniziert wird online und Fremde werden zu Freunden, bisher persönlich Bekannte zu fernen Online-Beziehungen. Solch grundsätzliche Veränderungen werden auch auf den Staat zukommen. Schon jetzt ist ja erkennbar, dass politische Parteien in ihrer erstarrten Organisationsstruktur nicht mehr
in der Lage sind, agilen OnlineBewegungen auf Augenhöhe entgegenzutreten. Daher stellt sich die Frage, ob spontan zustande kommende digitale Mehrheiten politische Willensbildung der Parteien ersetzen. Der Staat und die Kommunen sind also gut beraten, im Digitalen mit genuinen Kommunikationsformen zu agieren. Der Gang zum Amt, das Ausfüllen von Formularen sind bald Geschichte. Wer das nicht versteht, riskiert, dass der digitale Staat basierend auf auch kommerziellen Plattformen im Internet entsteht, im Analogen zwar existiert, aber ohne Inanspruchnahme durch die Online-Bürger. R. Uwe Proll
Hindernislauf
nen ist die initiierende Ebene nur selten die ausführende. Letztere hat mitunter nicht die Mittel, um die Vorhaben umzusetzen, wie die Diskussionen um das Konnexi tätsprinzip, die Einrichtung der Autobahn GmbH und die stetigen Rufe der Länder und Kommunen nach zusätzlichen Geldern vom Bund zeigen. Zum anderen fehlt es an einer kontinuierlichen Exante-Wirkungsanalyse und Expost-Evaluierung von Gesetzen über die Zielerreichung. Die Erfolgsorientierung ist jedoch fester Bestandteil einer Strategie. Daher sollten alle handelnden Akteure auf Augenhöhe einbezogen werden, damit die Umsetzung gelingt. Des Weiteren müssen Wirkungsanalysen und Gesetzesevaluierungen zum Standardprozedere von Verwaltung und Politik gehören. Der Bürokratieabbau vor zwölf Jahren war deshalb erfolgreich, weil der Nutzen einer Regelung nicht diskutiert wurde, sondern nur die Informationspflichten, die sich für die Wirtschaft, den Bürger und die Verwaltung ergeben. Das ist heute überholt. Der Nutzen muss nachgewiesen werden. Nicht zuletzt, weil sich damit auch das eigene Image verbessern lässt. Es ist längst nicht mehr ausreichend, den Bürgern nur zu kommunizieren, wie viel Gelder für etwas bereitgestellt wurden.