Behörden Spiegel August 2019

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ehörden Spiegel: Was sind Ihrer Ansicht nach die drängendsten Herausforderungen für die öffentliche Wasserwirtschaft in den kommenden Jahren?

Scheuer: Da haben wir verschiedene. Zum Ersten müssen wir uns sowohl im Trink- und Abwasserbereich als auch im Gewässerbereich dem Klimawandel anpassen. Dazu müssen wir insbesondere überlegen, wie wir mit Hochwassern im Sommer umgehen, die seit 15 Jahren verstärkt auftreten. Hierfür müssen Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden. Zum Zweiten haben wir die Demografie nach innen und nach außen. Nach innen meint den Fachkräftemangel. Wir brauchen weiterhin qualifiziertes Fachpersonal, denn in den meisten Unternehmen ist das Durchschnittalter relativ hoch. Die öffentlichen Unternehmen machen auch im Tarifbereich Angebote, um den Beruf attraktiv zu gestalten. Die Unternehmen, die nach TVöD zahlen, haben jedoch wachsende Probleme, überhaupt qualifiziertes Personal zu rekrutieren. Die Demografie nach außen meint die Bevölkerungsentwicklungen und -bewegungen. Wir haben lange Zeit mit einer schrumpfenden Bevölkerung geplant. Jetzt haben sich, auch mit den vielen neuen ausländischen Mitbürgern, die Prognosen teilweise geändert. Hinzu kommen Verschiebungen zwischen Stadt und Land. Wir müssen die Geschehnisse genauer beobachten und können nicht mehr langfristiger planen. Drittens haben wir regelmäßig Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der Umsetzung von Maßnahmen. Behörden Spiegel: Was bedeutet das für die Wasserwirtschaft? Scheuer: Vor allem Konsequenzen für die praktische Umsetzung, etwa bei der Wasserrah-

Kommunalwirtschaft / Stadtwerke

Behörden Spiegel / August 2019

Die gesamte Kette sehen

Wasserversorgern bekommen. In anderen Regionen Deutschlands sind allerdings bekanntermaßen die Belastungen mit Nitrat durch zu hohe Tierzahlen pro Fläche so hoch, dass freiwillige Maß(BS) Ohne Kooperationen wird es nicht gehen, meint Prof. Dr.-Ing. Lothar Scheuer, Präsident der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e. V. nahmen allein längst nicht mehr (AöW). Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel erläutert der gleichzeitige Vorstand des Aggerverbands, einem Wasserwirtschaftsverband östlich ausreichen. von Köln und Leverkusen, warum alle Beteiligten beim Thema Wasserqualität und Gewässerschutz ins Boot geholt und die bestehenden Strukturen nicht angetastet werden sollten. Die Fragen stellte Katarina Heidrich. Behörden Spiegel: Zum Schluss: Ihre wichtigste Forderung an die vorbereitet wird. In dem Fall ist es Politik? menrichtlinie. Für den “guten Wen genau sehen Sie da in der eine Membrananlage mit abschlieGewässerzustand” müssen wir Verantwortung und wie? die Gewässer durchgängig maßender Ozonung. Im Anschluss Scheuer: Auf EU-Ebene stelgeht das vorgereinigte Abwasser len wir fest, dass immer wiechen. Sie brauchen mehr Platz, Scheuer: Wir beobachten moin die kommunale Kläranlage. der der Versuch unternommen wir mehr Fläche und Akzeptanz mentan, dass immer versucht Dafür bekommt die Klinik einen wird, den Wasserbereich in die für die Maßnahmen. Hier gibt es wird, alles auf End-of-Pipe-LöRabatt bei den Kanalgebühren, Binnenmarkt-Diskussion hi­ häufig Probleme. Beispielsweise sungen abzustellen, weil das sodass sie praktisch die Vorrei- neinzubringen, also in eine rein beim Flächenerwerb, um etwa ei- am einfachsten ist. Das heißt nigung teilweise gutgeschrieben wirtschaftliche Diskussion der ne Renaturierung durchzuführen. konkret, im Abwasserbereich kriegt. Das ist ein Weg, wie man Marktliberalisierung. Hier ist Oder Widerstände, wenn für den etwa die Forderung nach dem Hochwasserschutz ein Rückhalte- flächendeckenden Einsatz der dahin kommen kann, nicht die mein Appell, den Gedanken des gesamte kommunale Kläranlage Subsidiaritätsprinzips zu bebecken gebaut werden soll. Und vierten Reinigungsstufe (siehe ausbauen zu müssen, sondern herzigen. Dieses gewährt ja den dann ist da natürlich noch die Hinweiskasten). Es gibt aber eine Vorbehandlung an solchen Mitgliedsstaaten, und damit hier Frage der Akzeptanz der jeweiligen nicht das eine Konzept, da es Hotspots vorzunehmen. Auch den Kommunen, die Möglichkeit, Kosten. Es gibt die Maßnahmen unterschiedliche Stoffe gibt, für deren Entfernung unterschiedlimit der Landwirtschaft haben diese Bereiche der Versorgung nicht zum Nulltarif. wir gute Kooperationserfahrungen so zu organisieren, wie sie es che Prozesse benötigt werden. Es gemacht. Wir fördern Talsperren- für sich am besten halten. Bei Behörden Spiegel: Vor dem Hin- kann sogar sein, dass mehrere wasser und konnten seit Beginn uns hat sich das System mit den tergrund der Planungsunsicher- “vierte Stufen” gebaut werden heit: Wie flexibel und anpassungs- müssten, um alle Probleme zu AöW-Präsident Prof. Dr.-Ing. Lothar der Kooperationen 1990 die Ni­ öffentlichen Unternehmen eta­ fähig kann die nötige Infrastruktur lösen. Aus unserer Sicht muss Scheuer spricht sich für das Vorsorge- tratwerte von zwischen zwölf und bliert und bewährt. Ich bin der man aber anders denken und und Verursacherprinzip aus. 14 Milligramm auf heute sieben Meinung, dass eine nachhaltige überhaupt sein? an die Quelle gehen. Nehmen Foto: BS/ Aggerverband bis acht Milligramm senken. Die und kostengünstige Versorgung Landwirte zäunen beispielsweise der Bürgerinnen und Bürger Scheuer: Es gibt bestimmte Be- wir beispielsweise Arzneimittel. reiche, etwa bei der Wasserge- Kann man nicht bei der Zulas- nicht ins Klo, sondern in den die Gewässerläufe ab und bauen am besten durch Einrichtungen winnung oder -aufbereitung, wo sung schon überlegen, ob das Restmüll oder in einer Apotheke Viehtränken, damit die Tiere nicht passiert, die eine demokratische mehr in die Bäche kommen. Dafür Legitimierung haben. Egal, ob das man Anpassungsmaßnahmen Arzneimittel in dieser oder jener abgeben! werden sie unterstützt durch eine jetzt ein Betrieb ist, der direkt bei vornehmen kann. Wir haben im Form hergestellt und angewenAggerverband beispielsweise ein det werden muss? Hier ist auch Behörden Spiegel: Also nur Düngeberatung oder dadurch, der Kommune angesiedelt ist, oder Wasserversorgungssystem, bei die Industrie gefragt, die sich durch Druck “von oben” – oder dass sie für besonders wasser- eine AöR, wie sie viele größere dem man einen Teil der Zwischen- entsprechend an den Kosten gibt es freiwillige Kooperationen schonende Bewirtschaftungsfor- Städte gebildet haben, oder ein behälter außer Betrieb nehmen beteiligen müsste, wenn denn zwischen Wasserwirtschaft und men Ausgleichszahlungen von den Wasserverband. kann. An anderer Stelle, wo wir eine vierte Reinigungsstufe erfor- Verbraucher? Mehrverbrauch haben, bauen wir derlich ist. Jetzt lässt man alles zusätzliche Leitungen. Das Pro- pauschal beim Abwasserentsor- Scheuer: In unserem Aggerverblem ist aber, jede Leitung hat ger und der legt die Kosten dann band gab es ein Forschungseinen bestimmten Durchmesser auf die Bürgerinnen und Bürger projekt mit einer Herzklinik, wo und braucht einen bestimmten im Einzugsgebiet um. Die Politik Vor- und Nachsorgeuntersu(BS) Kläranlagen sind in der Regel dreistufig mit mechanischen bioloMindestdurchfluss, damit die muss den Rahmen dafür fest- chungen stattfinden, bei denen gischen und chemischer Verfahren aufgebaut. Die vierte ReinigungsstuQualität des Wassers gesichert legen, wie eine Beteiligung der viel mit Röntgenkontrastmitteln fe beschreibt einen zusätzlichen Verfahrensschritt, der beispielsweise wird. der Elimination von Mikroschadstoffen dient. Für die Umsetzung gibt es Arzneimittelindustrie aussehen gearbeitet wird. Wir haben eine könnte. Und die Verbraucher sind Vorreinigungsanlage entwickelt, verschiedene verfahrenstechnische Ansätze wie zum Beispiel die OzoBehörden Spiegel: Stichwort Vor- gefragt, was die Entsorgung von in der das mit Kontrastmitteln nierung, das Membrantrennverfahren oder den Einsatz von Aktivkohle. sorge- und Verursacherprinzip. Restmedikamenten angeht. Bitte verunreinigte Abwasser speziell

Aktuelle und künftige Herausforderungen für die öffentliche Wasserwirtschaft

Die vierte Reinigungsstufe


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