„‚Zeig mir deine Wunde‘ – dieses Arbeitsprinzip klingt sehr danach, als würde ich das auf der Probe so formulieren. Es ist mir aber nie eingefallen, diesen brutalen Satz auszusprechen.“ Christof Loy
Bild Francois-Henri Galland, Numériser 420, 2016
MJ Extremsituation stellvertretend für uns zu durchlaufen – bezieht sich das auf die Rollen oder auf die Künstler? In der Barockoper etwa lassen sich Künstler und Rolle klar unterscheiden, weil es vor allem auf die virtuose Gesangsdarstellung ankommt. CL Ich glaube, dass man beides nicht voneinander trennen kann. In den Belcanto-Opern überlagert es sich am deutlichsten. Also die handwerkliche Kunstfertigkeit, die man da als Sänger beweisen muss, gepaart mit der emotionalen Bereitschaft, sich in die Rolle hineinzubegeben. Ich meine damit eine persönliche Erlebnisdimension, die nicht einmal biographisch verbürgt sein muss. Wenn wir uns zum Beispiel an Edita Gruberova erinnern, wie sie hier an der Bayerischen Staatsoper die Königin Elisabeth in Donizettis Roberto Devereux verkörpert hat, da hat man gespürt: Je mehr sie emotional in die Rolle einsteigt, desto riskanter wurde es für die technische Beherrschung der Stimme.
Richard Lorber
Daraus entsteht eine Faszination, die den Zuschauer und Zuhörer wach hält. Nicht im Sinne von Zirkusartistik, sondern weil in einer solchen Darstellung Dinge anklingen, die nicht zu 100 Prozent unter Kontrolle zu bringen sind. MJ Neben dem Theatererlebnis, wie Sie es beschrieben haben, gibt es aber auch noch den Opernbetrieb. Die Sänger sind auch außerhalb des Theaterraums einer Öffentlichkeit ausgesetzt. In der ZEIT war vor ein paar Jahren eine Polemik zu lesen, in der beklagt wurde, dass speziell Wagner-Sängerinnen, die von einem Termin zum anderen hetzen, sich stimmlich überforderten und ihre Stimme ruinieren. Dazu hatten Sie eine denkwürdige Entgegnung geschrieben, in der Sie Grundlegendes zum Wagner-Gesang sagten und die stimmliche Verfassung einiger der in dem Artikel Angesprochenen anders bewerteten. Was mich daran gewundert hat: Sie sprachen fast wie ein Gesangslehrer oder ein Sängeragent, aber nicht wie ein Regisseur.
21