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Die Grenzen Der Kunst

DIE TOCCATA – EINE SPEZIALITÄT JOHANN SEBASTIAN BACHS?

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ANDREAS BOMBA

Sie ist eines der berühmtesten Stücke der Musikgeschichte. Sie steht emblematisch für Orgelmusik. Schon der erste Ton, der eigenwillige Praller auf dem hohen a, löst Beifall aus. Ah! Bach! Die Töne fallen herab und fangen sich wieder, stufenweise. Ein spannungsreicher Akkord aus kleinen Terzen türmt sich auf, klärt sich in mächtiges d-Moll. Virtuoses Geläuf folgt, erst mit der rechten, dann mit beiden Händen abwechselnd. Es geht auf und ab, hin und her. Die Rede ist von der Toccata, von DER Toccata schlechthin, d-Moll, Werkeverzeichnis 565, von Johann Sebastian Bach.

Das heißt: so genau weiß man das nicht, die Musikwissenschaft gießt gerne, wenn die Autorschaft eines Stückes sich nicht handschriftlich bestätigen lässt, Wasser in den Wein. Wer aber, empören sich die Orgelfreunde, hätte dieses geniale Werk sonst komponieren können, wenn nicht Johann Sebastian Bach? Und: müssten nicht hinter vielen anderen Werken Bachs, vor allem denen für Orgel, Fragezeichen gesetzt werden?

Von Bach gibt es nicht nur diese eine, sondern eine ganze Toccata benannte Werkgruppe. Für Orgel und fürs Cembalo. Was genau aber verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung?

TOCCARE HEISST „BERÜHREN“

Das Wort stammt aus der italienischen Musiksprache. „Toccare“ heißt „berühren“, oder „schlagen“, Toccata heißen also berührte oder geschlagene Dinge. Noch 1721 weiß der Hamburger Musikgelehrte Johann Mattheson, „Toc-

Partita BWV 830, Frühform im Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach, 1725. Toccata heißt hier Preludio care Tamburro, toccar Tromba: die Trommel schlagen, die Trompete blasen, das Spiel rühren“. Die Fanfare, mit der schon im Jahre 1607 die Oper Orfeo beginnt, heißt bei Claudio Monteverdi Toccata

Ihre Heimat aber hatte die Gattung eher bei den Lautenisten. Von hier aus gelangte sie zu den Tasteninstrumenten. Grundsätzlich handelte es sich um Musik für Einzelspieler, also Solisten, und um Musik mit hohem Anteil an Improvisation. Michael Praetorius (1571-1621) beschreibt Toccata „als ein Praeambulum, oder Praeludium, welches ein Organist, wenn er ernstlich uff die Orgel oder Clavicymbalum greifft, ehe er ein Mutet oder Fugen anfehet, aus seinem Kopff vorher fantasirt, mit schlechten entzelen griffen und Coloraturen etc.“ Damit ist der musikalische Enzyklopädist schon fast bei der d-Moll-Toccata, denn auch hier scheint Bach erst zu fantasieren, bevor er sich kontrapunktischen Elementen oder gar einer strengen Fuge zuwendet.

Der Notendruck Und Seine Folgen

Um die Zeitenwende vom 15. zum 16. Jahrhundert begann man in Venedig, Noten zu drucken. Der Druck bändigte die freien Fantasien in schriftlicher, reproduzierbarer Form. So entstand aus der Improvisation eine musikalische Gattung. Was Annibale Padovano (1527-1575), Andrea Gabrieli (1533-1585) oder Claudio Merulo (1533-1604) als Toccata etablierten, konnte nun jeder Organist fortführen und weiterentwickeln. Besonderen Reiz übte dabei der Kontrast von freien und gebundenen Formen aus, Phantasie und Virtuosität hier, regulärer Kontrapunkt dort. Auch ließen sich die Grenzen von Rhythmus und Harmonie bestens ausdehnen, wenn nicht gar überschreiten. Nach 1600 entwickelte der römische Organist Girolamo Frescobaldi (1583-1643) diese Form weiter; süddeutsche Musiker, die über die Alpen wanderten, um in Italien zu studieren, namentlich der in München tätige Johann Caspar Kerll (1627-1693) oder der Wiener Hoforganist Johann Jakob Froberger (1616-1667) brachten diese Musik mit und verbreiteten sie.

»…EIN PRAEAMBULUM, ODER PRAELUDIUM, WELCHES EIN ORGANIST, WENN ER ERNSTLICH UFF DIE ORGEL ODER CLAVICYMBALUM GREIFFT, EHE ER EIN MUTET ODER FUGEN ANFEHET, AUS SEINEM KOPFF VORHER FANTASIRT…«

Neben der Toccata konnten Musiker sich in Formen wie Ricercare, Canzona, Capriccio, in Tänzen aller Art oder verschiedenen Variationsarten bewähren. Das Repertoire gewann im deutschsprachigen Raum durch die in der protestantischen Kirchenmusik allgegenwärtigen Choralmelodien hinzu. Es bot sich also eine reichhaltige Palette an Möglichkeiten, als Johann Sebastian Bach, der die alte Kunst sehr wohl kannte, um 1700 begann, Orgelmusik zu komponieren – oder soll man sagen: zu improvisieren, fantasieren? Und eben nicht aufzuschreiben? Zusätzlich hatte der junge Organist sich in Lübeck, bei Dietrich Buxtehude (1637-1707), über eine besondere, norddeutsche Spielart der Orgeltoccata informiert, das Fantasieren über einen Orgelpunkt, einen mit dem Pedal gehaltenen Ton also, der eine gewisse Basisharmonie vorgab. Oft mündete der Halteton dann in ein virtuoses Pedalsolo.

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