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ZUM GEBRAUCH DES CLAVIERS UND DER ORGEL

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Wohl kaum eine Komposition Johann Sebastian Bachs ist derart von einer Aura des Rätselhaften und Geheimnisvollen umgeben wie die Kunst der Fuge. Die das Werk begleitenden Legenden haben einen direkten Zugang zu dem monumentalen Fugenzyklus zwar nicht gerade verhindert, einer unvoreingenommenen Würdigung von Bachs künstlerischer Leistung standen sie aber doch spürbar im Wege. Das Dickicht der Sekundärliteratur ist über die Generationen hinweg nahezu undurchdringlich geworden, und der Weizen der seriösen, wissenschaftlich begründeten und nachprüfbaren Erkenntnisse lässt sich auch von Fachleuten oftmals nur schwer von der Spreu wuchernder Hypothesen und abwegiger Spekulationen trennen.

TATSÄCHLICH STELLT SICH DIE ENTSTEHUNG DES WERKS ALS EIN LANGSAMER, BEDÄCHTIGER UND IMMER WIEDER DURCH ANDERE ARBEITEN UNTERBROCHENER PROZESS DAR, BEI DEM PLANEN, KOMPONIEREN, REVIDIEREN UND SCHLIESSLICH DIE VORBEREITUNGEN ZUR DRUCKLEGUNG ENG MITEINANDER VERFLOCHTEN WAREN.

Die Legendenbildung setzte schon bald nach Bachs Tod ein. Die Erben waren offenbar über die genauen Vorstellungen des Komponisten zu der für den Druck bestimmten Fassung letzter Hand nicht hinreichend informiert. Wie hätten sie es auch sein sollen? Die beiden ältesten Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel waren seit langem aus dem Haus und widmeten sich längst ihrem eigenen beruflichen Fortkommen; das gleiche galt seit kurzem auch für den 1748 nach Naumburg berufenen Schwiegersohn Johann Christoph Altnickol. Der zweitjüngste Bach-Sohn Johann Christoph Friedrich hatte seinem Vater zwar als Assistent mehrere Jahre zur Seite gestanden und auch das Autograph der Kunst der Fuge teilweise zur Korrektur durchgesehen, doch zu Weihnachten 1749 folgte er einem Ruf als Kammermusiker an den Hof des Grafen zu Schaumburg-Lippe in Bückeburg; der jüngste Sohn Johann Christian schließlich war mit seinen noch nicht einmal fünfzehn Jahren wohl noch zu jung, um das Spätwerk seines Vaters zu überblicken.

Die Halbleere Letzte Seite

Die 1751 erschienene Erstausgabe der Kunst der Fuge birgt in der Tat zahlreiche Probleme und lässt viele Fragen offen. Zu weitreichenden Missverständnissen gab darüber hinaus die von Carl Philipp Emanuel am Ende der unvollendeten letzten Fuge angebrachte Notiz Anlass. Dort heißt es, „NB Ueber dieser Fuge, wo der Nahme B A C H im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfaßer gestorben.“ Vielen Generationen hat sich die Vorstellung des mühsam gegen sein schwindendes Augenlicht ankomponierenden alten Mannes eingeprägt, und allzu suggestiv war die Wirkung der halbleeren letzten Seite im Autograph, das unheimliche Abbrechen des letzten Satzes, „als er sich eben anschickt, zur Tripelfuge zu werden und die drei

Themen gerade zum erstenmal zu gleicher Zeit erklingen“ (Alfred Heuß). Die Existenz dieses Notenblatts hat auch nüchterne Wissenschaftler immer wieder zu Dichtern werden lassen, ihnen poetische Schilderungen eines sterbenden Genies eingegeben, dem der Tod die Feder aus der Hand windet.

Erst die neuere Forschung hat mithilfe von Schrift- und Wasserzeichenuntersuchungen diese Vorstellungen revidieren können. Tatsächlich stellt sich die Entstehung des Werks als ein langsamer, bedächtiger und immer wieder durch andere Arbeiten unterbrochener Prozess dar, bei dem Planen, Komponieren, Revidieren und schließlich die Vorbereitungen zur Drucklegung eng miteinander verflochten waren. Acht Fugen und der „Canon alla Ottava“ wurden bereits um

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