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HISTORISCH ODER MODERN?


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Stöbert man in den ersten Programmheften der Ansbacher Bachwoche, stößt man auf bekannte Namen des Klassikbetriebs, die in einem munteren Nebeneinander mit historischen und modernen Musikinstrumenten auftraten. Auf den ersten Blick mag dies erstaunen, da viele die „Historisch informierte Aufführungspraxis“ (dank geschickter Öffentlichkeitsarbeit der Musikindustrie) mit Nikolaus Harnoncourt und seinem Concentus Musicus verbinden. Für die erste Bachwoche Ende Juli 1947 auf Schloss Pommersfelden ist aber ein anonymes Dokument erhalten, das leidenschaftlich sowohl die Einbindung von „Barockspezialisten“ als auch historische Musikinstrumente fordert.
WIE ALT DARF ALTE MUSIK KLINGEN?
Die Wiederbelebung Alter Musik auf historischen Musikinstrumenten oder deren Nachbauten versteht mancher als akademische Suche nach vergangenem Klang. Die Frage nach der Besetzung von Johann Sebastian Bachs Musik zum Beispiel ist so alt wie die Werke selbst, da er bei Wiederaufführungen seiner Kantaten und Ensemblemusiken in Leipzig diese den neuen Gegebenheiten anpasste. Im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert stellten der rasche Wandel im Instrumentarium und die damit veränderte Spielweise Musiker vor neue Herausforderungen. Als Kapellmeister am Leipziger Gewandhaus plante Felix Mendelssohn Bartholdy am 15. Februar 1838 ein „Historisches Konzert“ unter anderem mit Bachs Ouvertüre D-Dur BWV 1068 (mit der berühmten Air als zweitem Satz). Die Trompeter des Gewandhausorchesters klagten jedoch über die Unspielbarkeit von Bachs Stimmen, weshalb der Kapellmeister sie mit Klarinetten besetzte. Dieses nach 1700 von Johann Christoph Denner und seinem Sohn Jacob in Nürnberg entwickelte Holzblasinstrument hat seinen Namen zwar von der hohen, Clarin genannten Trompetenlage, wurde von Bach aber nicht verwendet. Dennoch war sein Einsatz anstelle der barocken Langtrompeten für Mendelssohn Bartholdy naheliegend.
Klangbild, sind heute aber unerwünscht. Um der Klangästhetik der modernen Ventiltrompete möglichst nahezukommen, versah um 1960 der Blasinstrumentenmacher Otto Steinkopf (Fagottist des 1954 gegründeten Spezialklang-Ensembles Capella Coloniensis beim WDR Köln) die Röhre nachgebauter Langtrompeten mit zwei Grifflöchern zur Intonationskorrektur und einem weiteren „Transpositionsloch“. Mit „historisch informierter“ Treue hat dies nichts zu tun, dennoch sind diese Instrumente in der historischen Aufführungspraxis fest verankert.
Wissenschaftliche Notenausgaben
GEWISSE UNREINHEITEN
GEHÖREN ZUM HISTORISCHEN KLANGBILD, SIND HEUTE ABER UNERWÜNSCHT.
Dass wir aus dem Notentext recht präzise Vorstellungen vom Klangwillen eines Johann Sebastian Bach oder Georg Friedrich Händel gewinnen können, ist das Ergebnis musikwissenschaftlicher Arbeit. Als zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Musik Bachs und Händels verstärkt in den Fokus rückte, entwickelte die junge akademische Musikwissenschaft an Bachs Werk ihre philologischen und stilkritischen Methoden. Zu Bachs 100. Todestag entstand 1850 in Leipzig die Bach-Gesellschaft, die bis 1899 das erhaltene Werk in 46 Bänden mit wissenschaftlichem Anspruch edierte – Irrtümer in Zuschreibung, Datierung und Bewertung inbegriffen. Im Musikleben war hingegen nur ein geringer Teil, und dieser meist nur in Ausschnitten, präsent.
Und heute? Die Verwendung historischer Musikinstrumente in der „Historisch informierten Aufführungspraxis“ ist längst selbstverständlich, aber nicht frei von Widersprüchen. Die heutigen Ventiltrompeten und -hörner erlauben das chromatische Spiel mit gleicher Tonqualität. Die historischen Langtrompeten der Bach-Zeit haben einen begrenzten Tonvorrat, nämlich die Naturtonreihe, deren Töne unterschiedliche Qualität haben. Der 11. Naturton klingt zu hoch, der 13. zu tief, sodass dies die Spieler mittels Lippenspannung korrigieren müssen. Gewisse Unreinheiten gehören zum historischen
Auf mehr Interesse stießen die ab 1893 unter den etwas sperrigen Titeln Denkmäler Deutscher Tonkunst, Denkmäler der Tonkunst in Österreich oder Denkmäler der Musik in Bayern wissenschaftlich edierten Werke unterschiedlicher Besetzung vom 16. bis späten 18. Jahrhundert. Obwohl einige Bände mit alten Schlüsseln (etwa Samuel Scheidts Tabulatura Nova für Orgel 1893) oder unter Beachtung der historischen Mensur anstelle eines modernen Taktschemas erschienen (so Philipp Spittas Ausgabe von Heinrich Schütz’ Werken), fanden einzelne der darin enthaltenen Werke rasch Eingang in die Musikpraxis – sei es in Form der Bearbeitungen für die moderne Orgel durch den Leipziger Thomasorganisten Karl Straube oder für moderne Orchester durch den ausgebildeten Geiger und Musikwissenschaftler Arnold Schering. Dem Zeitgeist des Fin de Siècle entsprach, dass Sammlungen historischer Musikinstrumente entstanden, deren Objekte als Kuriosa in „Historischen Konzerten“ erklangen. Schon nach dem zweiten Leipziger Bachfest 1904 fanden Diskussionen darüber statt, ob Bachs Werke besser mit historischen oder modernen Musikinstrumenten aufgeführt würden.