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Lenzburger Bezirks-Anzeiger, Donnerstag, 4. Februar 2016 ..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................
Im Gespräch
Hausarzt Richard Dietiker nimmt Abschied vom Lebenswerk Vor 35 Jahren eröffnete Richard Dietiker seine Arztpraxis in Niederlenz. Jetzt, mit 68 Jahren, hat er einen Nachfolger gefunden und geht in Pension; losgelassen hat er aber noch nicht ganz. Interview: Melanie Solloso
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Weile nach, dann lächelt er.) Es ist ein wunderbarer Vertrauensbeweis, wenn die junge Mutter, die ich seit dem Säuglingsalter medizinisch begleitet habe, mit ihrem Neugeborenen in meine Praxis kommt. Das persönliche Vertrauensverhältnis zum Patienten ist in der Medizin sehr wichtig. Was waren weniger schöne Aspekte des Berufs? (denkt lange nach.) Es gibt schon schwierige Erlebnisse. Man begleitet Patienten oft bis zum Tod. Der Tod ist in gewissem Sinne auch eine Belastung. Für den Patienten aber auch eine Erlösung.
er Dietiker, erzählen Sie mir doch etwas über Ihre Anfänge in Niederlenz? Richard Dietiker: Ich wurde von der Ge- Was muss ein Arzt mitbringen, um meinde angefragt, ob ich hier eine Praxis erfolgreich eine Dorfpraxis zu füheröffnen möchte. Damals gab es in Nie- ren? derlenz noch keine Arztpraxis. Ich war Er muss den Menschen, das Gegenüber mir zuerst nicht sicher, ob ich wirklich gern haben und offen sein. Er muss die dort eine Praxis eröffnen möchte, wo ich Fähigkeit haben, die Dankbarkeit, die eigeboren und aufgewachsen bin. Ich habe nem als Hausarzt entgegengebracht wird, mich dann aber doch für Niederlenz ent- anzunehmen. Und er muss sich in seiner schieden und am 1. persönlichen FreiJanuar 1981 hier an zeit zurücknehmen der Mühlestrasse 1 «Die Beziehung zwischen können. meine Praxis eröffHausarzt und Patient Wie meinen Sie net. dauert oft über mehrere das? War es die richtiJahre hinweg, manchmal Ein Hausarzt muss ge Entscheidung? erreichbar ein Leben lang. In eini- immer sein. Die Freiheit ist Ja, das war es. Es gen Familien habe ich bis eingeschränkt. war ein Vorteil, dass ich viele Leute zu vier Generationen beZu wie viel Proschon gekannt habe treut.» zent arbeitet man und einen persönlichen Bezug zu ihRichard Dietiker, Hausarzt denn als Hausarzt? nen hatte. Man arbeitet schon Wissen Sie, wie viele Patienten Sie weit über 100 Prozent. Das ist mit dem in den letzten 35 Jahren betreut ha- Beruf verbunden. Das nimmt man aber ben? schon während der Ausbildungszeit im Wir haben rund 8000 Patientenakten ab- Spital auf. Schon da gibt es naturgegeben viele Überstunden. gelegt. Wie hat sich die Arbeit als Hausarzt in den letzten drei Jahrzehnten verändert? Die Schreibarbeit ist viel aufwendiger geworden. Früher machte sie zirka 10 Prozent aus. Heute beträgt die Schreibarbeit zwischen 30 und 40 Prozent, die Patientenarbeit 60 Prozent. Früher ist man als Hausarzt auch mehr ausgerückt, vor allem für Notfälle. Heute kommt in Notfällen meist die Ambulanz zum Einsatz. Ausserdem war man früher für Patienten weitgehend alleine zuständig, heute übernimmt der Notfalldienst einen Teil davon, vor allem in der Nacht. Was war das Schöne in Ihrem Beruf? Die persönliche Beziehung zu den Patienten. Das war das Schönste. Die Beziehung zwischen Hausarzt und Patient dauert oft über mehrere Jahre hinweg, manchmal ein Leben lang. In einigen Familien habe ich bis zu vier Generationen betreut: von der Grossmutter zu den Kindern, deren Kinder und Kindeskinder. (Er faltet die Hände ineinander, denkt eine
Wie lautet die? Mit der zunehmenden Spezialisierung geht die ganzheitliche Behandlung des Patienten heutzutage unter – für das Hautproblem geht man zum Dermatologen, wegen des hohen Zuckers zum Facharzt für Diabetologie . . . Für den Patienten ist das ein Nachteil, ausserdem
Hausarzt von Niederlenz, Richard Dietiker, übergibt sein Lebenswerk in neue Hände und geht ab sofort in Pension. Rund 8000 Patienten hat er in den (MS) letzten 35 Jahren betreut. verursacht es hohe Kosten. Ich möchte den Patienten als Ganzes behandeln und unnötige Überweisungen vermeiden. Warum ist es in der Schweiz so schwierig, eine Hausarzt-Nachfolge zu finden? Weil es die Politik verpasst hat, die Anzahl Ausbildungsplätze zu korrigieren. Es gab zwar Zuwachs bei der Bevölkerung, aber nicht mehr Ausbildungsplätze.
Der Nachfolger für Niederlenz: André Brzenska Niederlenz hat seit Anfang Jahr offiziell einen neuen Hausarzt. Der Allgemeinpraktiker aus Deutschland bringt viel Praxiserfahrung mit.
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ndré Brzenska, mit Jahrgang 1961, hat nach einer Einarbeitungszeit von 5 Monaten auf Anfang Jahr die Arztpraxis in Niederlenz übernommen. Zuvor war er 25 Jahre lang Hausarzt in einer Praxis in Berlin Kreuzberg. Aufgewachsen ist der Deutsche mit russischen Wurzeln zur Hälfte in Deutschland und Russland. Beide Sprachen spricht er fliessend und auch beim Schweizerdeutsch hat er sich schon ein essenzielles Arztvokabular angeeignet wie beispielsweise «ii-schnufe» oder «us-schnuufe. Brzenska arbeitet bereits seit August in der Praxis am Mühleweg 1. Der grosse Unterschied zu Deutschland sei klar die Anzahl Patienten pro Tag. In Deutschland habe er im Schnitt 100 bis 150 Patienten täglich betreut. «Viel Zeit für Gespräche blieb
da nicht», sagt er. In Niederlenz hat er ein Patientenaufkommen von rund 30 Patienten am Tag. Die Möglichkeit der Ruhe und Qualität schätzt der Allgemeinpraktiker hier in der Schweiz. Zwischen 10 und 15 Minuten könne man für Patientengespräche einplanen. «Das ist dreimal so viel Zeit, wie ich in der Praxis in Deutschland zur Verfügung hatte.» Auch die rasche Labordiagnostik und Terminvergabe bei Spezialisten sei ein grosses Plus. «Die Untersuchungen sind so zeitnah möglich.» Neuer Wohnsitz: Niederlenz Auf Anfang Jahr hat der neue Niederlenzer Dorfarzt die Wohnung oberhalb der Arztpraxis bezogen. «Das war Voraussetzung für die Übernahme der Praxis.» Dort wird er mit seiner Frau und der kleinen Tochter wohnen. Das Landleben sei mit dem Wohnortwechsel ebenfalls ein grosses Plus, vor allem auch für seine Familie. Genau wie sein Vorgänger Richard Dietiker, ist Brzenska vom Hausarztberuf überzeugt, schätzt den Kontakt mit den Patienten und richtet sein Augenmerk auf die ganzheitliche Behandlung. Dank ihm
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er Kanton Aargau hat einen Ideen- und Projektpool lanciert, um die Landschaft zu schützen und sie aufzuwerten. Haben Sie eine packende Projektidee zugunsten von Natur und Landschaft? Der Kanton Aargau öffnet Ihnen die Türe für eine Zusammenarbeit und hilft mit bei der Umsetzung. Gesucht sind Projekte, die eine zündende Idee beinhalten, innovativ sind, Modellcharakter haben oder als Vorzeigebeispiele eine grosse Wirkung auf Natur und Landschaft entfalten. Eine Jury von externen Fachleuten wählt die maximal zehn besten Ideen aus. Die Weiterbearbeitung der Ideen zu detaillierten Projektskizzen wird mit einem Beitrag unterstützt. Jährlich kann der Kanton ein bis drei Projekte für maximal drei Jahre mitfinanzieren. Weitere Infos sind unter Telefon 062 835 34 50 erhältlich.
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Sie haben jetzt drei Jahre über Ihre Pensionierung hinweg gearbeitet. War es schwierig, einen Nachfolger zu finden? Ja, sehr. Zwei Jahre lang habe ich über ein spezialisiertes Vermittlungsbüro nach einer geeigneten Person gesucht. Aus der Schweiz erhielt ich eine Bewerbung, und die war nur für Teilzeit. Erst als ich die Suche auf Österreich und Deutschland ausgeweitet habe, bin ich fündig geworden. Waren Sie erleichtert? Ja, ich bin glücklich, dass ich einen guten Nachfolger gefunden habe. André Brzenska passt einerseits für mich, aber auch für die Patienten. Wir haben eine ähnliche Philosophie.
Blickpunkt
Wenn heute die Anzahl Ausbildungsplätze erhöht würde, ginge es 12 Jahre, bis sich das auch auf dem Arbeitsmarkt zeigen würde. Wie muss man sich so eine Übergabe nach 35 Jahren vorstellen? Seit August 2015 haben wir zusammen gearbeitet. Die Patienten haben wir aufgeteilt. Seit Anfang Jahr führt André Brzenska die Sprechstunden praktisch alleine. Sie sind mit einem Fuss noch in der Praxis. Was machen Sie noch? Ich mache noch Hausbesuche bei älteren Patienten, die es wünschen, und übernehme die Betreuung von Patienten im Altersheim. Und wie lange machen Sie das noch? (lacht) Das ist schwierig zum Sagen. Fällt Ihnen das Loslassen schwer? Auf einer Seite freue ich mich auf mehr Freizeit. Auf Zeit mit meiner Frau und den Enkeln. Andererseits fällt der Abschied von den Patienten schwer. Und es ist auch ein Abschied vom Lebenswerk. Dank dem guten Partner und Nachfolger fällt es leichter, loszulassen. (Er nickt.) Ihm kann ich die Praxis mit gutem Gewissen übergeben.
André Brzenska aus Deutschland übernimmt die Praxis in Niederlenz. dürfte die Zukunft der Niederlenzer Dorfpraxis für die nächsten 10 Jahre gesichert sein. (Text und Bild: MS)
Würden Sie noch einmal den gleichen beruflichen Weg einschlagen? (ohne zu zögern) Ja. Ich war sehr gerne Hausarzt. Ich durfte viel Dankbarkeit empfangen.
deen, das haben auch zwei StartupUnternehmen aus der Region. Sie wurden für das Forum für christliche Führungskräfte nominiert, Ende Februar wird entschieden, ob sie im März in Bern mit von der Partie sind. In Seon ist das Kleinunternehmen «Schmuck für die Schönheit deines Herzens» daheim. Individueller Schmuck aus Opalen wird ganz im Sinne der Nachhaltigkeit hergestellt. Der Nachhaltigkeitsgedanke wird dabei konsequent bis hin zur Nussholschatulle umgesetzt. Die Schönheit des Opals soll auch Hinweis auf den Schöpfer sein. Das Gastronomie-Projekt «Al Salam» ist in Schafisheim entstanden und ermöglicht es, Migrantinnen und Migranten sowie anerkannten Flüchtlingen, ihr Können und ihre Leidenschaft – das Kochen – zur Erwerbstätigkeit zu machen. Das Projekt repräsentiert die Länder Syrien und Äthiopien. «Wir haben das Projekt 2013 ins Leben gerufen und konnten bis jetzt schon 50 Grossanlässe kulinarisch begleiten», freut sich Gründer Markus Zogg. Dass es für das Weiterkommen auch etwas Glück braucht, zeigt das Projekt «Al Salam». «Zur richtigen Zeit traf ich die richtigen Personen, ja gar Koryphäen im Gastrobereich, welche mir die Türen zum Erfolg öffneten», freut sich Zogg. Auch beim Migros Kulturprozent fand «Al Salam» Beachtung. Interessiert ist ebenfalls das Amt für Migration und unterstützt «Al Salam» in der Schaffung von Praktikumsplätzen. «Unser Ziel ist es, mit den Praktikumsplätzen die Menschen auf dem Weg in den Arbeitsmarkt zu unterstützen», erklärt Martin Zogg. Ideen hat Martin Zogg bereits viele. «Trotz des grossen Zeitaufwandes neben Beruf und Familie macht das Arbeiten mit den Menschen grosse Freude und wir sind bereits daran, unser Angebot auszubauen. Im Vordergrund steht für uns die Qualität», schliesst er. Von den insgesamt 15 eingereichten Projektideen wurden wie erwähnt die acht Besten für die zweite Runde nominiert. Bis Ende Januar mussten die Nominierten ihre Projektdokumentationen einreichen. «Das waren unter anderem eine Business-Analyse und eine umfangreiche Power-Point-Dokumentation», hält Zogg fest. Die Jury wird sich dann für vier Unternehmen entscheiden, die am Startup-Forum im März in Bern auftreten dürfen. Dort erhalten sie Gelegenheit, sich und ihre Ideen einer Vielzahl von erfahrenen Unternehmern und potenziellen Partnern vorzustellen, und treffen dort auf die nötigen Ressourcen, um ihre Visionen in die Realität umzusetzen. Da gilt es, Daumen drücken für die regionalen Jungunternehmer. ST/Eing. INSERATE