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Sport

Freitag, 18. Oktober 2013

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Der Fussballclub Affoltern verhalf 1937 Ferdy Kübler zum Karrierestart Willy Hug: Alte Geschichten aus dem Säuliamt – Serie (78) 56 Jahre sind es her, seit Ferdy Kübler sein Rennrad an den Nagel hängte, aber nach wie vor ist er einer der populärsten Schweizer Sportler. Seine Karriere begann er 1937 in Affoltern als 18-Jähriger. Nebst unzähligen Rennen gewann er 1951 auch die Strassenweltmeisterschaft. Als ältester noch lebender Tour-deFrance-Sieger konnte er im Juli seinen 94. Geburtstag feiern. Eigentlich war es Zufall, dass Affoltern die Geburtsstätte von Küblers Karriere wurde. Denn angemeldet hatte er sich für sein erstes Radrennen in ZürichHöngg. In jener Zeit fuhr er täglich Autor Willy Hug. mit dem Rad von seinem Elternhaus in Marthalen nach Zürich an die Bahnhofstrasse 94, wo er beim Uhrengeschäft Barth als Volontär arbeitete. Das ergab täglich eine Strecke von 90 Kilometern. Zu jener Zeit wimmelte es in Zürich von Fahrrädern auf den Strassen. Tausende Pendler, mit ihren Rädern unterwegs, prägten das Strassenbild. Autos gab es erst sehr wenige. Eines Abends suchte Ferdy Kübler an seinem Arbeitsort sein Rad vergebens. Es wurde gestohlen und kam nie mehr zum Vorschein. Dies, eine Woche vor dem ersten Rennen, zu dem er sich angemeldet hatte. Daraus wurde nun nichts. Ein Freund borgte ihm ein neues, wieder knallrotes Rennrad.

Der Fussballclub Affoltern half Just einen Tag nach seinem 18. Geburtstag fand das Rundstreckenrennen in Affoltern statt. Es war ausgeschrieben als 1. Interkantonales Rundstreckenrennen für Junioren Sonntag, 25. Juli 1937. Die Tour de France war soeben zu Ende gegangen, und die Tour de Suisse stand vor der Türe. Der Radsport war sehr populär, Rundstreckenrennen sehr beliebt, und so entschloss sich der Veloclub am Albis erstmals zu einer Durchführung. Die Behörden zeigten dazu ihre Bereitschaft. Aber vor allem dank der tatkräftigen Unterstützung fast aller Mitglieder des zwei Jahre vorher gegründeten Fussballclubs Affoltern wurde die Veranstaltung ermöglicht, ergänzt durch Hilfe von Samariterverein und Töchterchor.

tag um halb elf Uhr beim Restaurant Sternen mit der Räder- und Lizenzkontrolle. Das Rennen war aufgeteilt in eine Anfänger- und in eine Juniorenkategorie. Punkt halb zwei Uhr fiel der Startschuss für 25 startende Anfänger, darunter auch ein Ferdinand Kübler. Eine Stunde später folgte das Hauptrennen mit den Junioren. Die mitten im damals kleinen Dorf Affoltern gelegene Rundstrecke führte über die untere Bahnhofstrasse bis zum «Löwen», dann die obere Bahnhofstrasse bis zum «Kasino», die Innere Grundstrasse via Betpurstrasse bis zum «Rosengarten» und zum Ziel bei der «Landwirtschaftlichen Genossenschaft». Die Strecke hatte die Länge von 1100 Metern und musste von den Anfängern 18 mal (20 km) und den Junioren 72 mal (80 km) gefahren werden. Die Anfänger konnten bei sechs und die Junioren bei zwölf Spurtwertungen um Punkte kämpfen. Ein Speaker hielt beim Ziel das Publikum über das spannende, sportliche Geschehen auf dem Laufenden

Küblers Erinnerungen an Affoltern Ferdy Kübler erinnert sich: «Zu meinem ersten Radrennen in Affoltern am Albis, jenes in Zürich-Höngg war mir ja entgangen, erschien ich in einer blauen Turnhose mit flatternden Hosenbeinen und mit alten Halbschuhen. Hauptsache war ja das Rad. «Mensch, was ist denn das für einer?» grinsten die anderen Fahrer, die in schickem Renndress, mit richtigen Rennschuhen ausgerüstet, neben mir standen. Aber denen wollte ich es schon zeigen.» Obwohl er manchmal mit den Halbschuhen aus den Pedalen rutschte und zweimal hart stürzte, errang er in seinem ersten Rennen einen der vorderen Plätze. Ein Jahr später gewann Kübler sein erstes Rennen als Junior in Glarus und nach zwei Folgejahren in der Amateurklasse erfolgte 1940 der Wechsel zu den Berufsfahrern, bei welchen er während der nächsten 17 Jahre grosse Erfolge feiern konnte.

Frenetische Menschenmassen in Paris

War es 1937 in Affoltern noch eine kleine Zuschauerkulisse, so empfingen 13 Jahre später 1950 in Paris frenetische Menschenmassen den 31-jährigen Kübler, wie er als Sieger der 37. Tour-de-France über die Ziellinie fuhr. Angestachelt wurde Ferdy Kübler im Vorjahr von seinem Rivalen Hugo Koblet, welcher den Giro d’Italia gewann. Kübler ist bis heute nebst Hugo Koblet der einzige Schweizer, welcher die Tour de France, das härteste Radrennen der Welt, gewinnen konnte. So Die «Ämtler Metropole» bekannte Namen wie Stan Ockers, Kräftig wurde die Werbetrommel ge- Louison Bobet oder Raphael Géminiarührt. Man erwartete zahlreiches Pu- ni folgten nach 4775 Kilometern auf blikum. Die «Ämtler Metropole» sei den Ehrenplätzen. Kübler gewann mit von allen Seiten her leicht erreichbar 9:30 Minuten vor dem Zweiten und könne mit einem Besuch des Ockers, davon nahm er ihm allein im schönen Amtes verbunden werden, Zeitfahren von St. Etienne nach Lyon priesen die Veranstalter. Der Auftakt 5:34 Minuten ab. Im Gegensatz zu des Rennens vollzog sich am Vormit- heute, wo die letzte Etappe immer sehr kurz ist, waren es damals am Ende der Tour nochmals 314 Kilometer. Genau 12 Monate später doppelte 1951 Hugo Koblet nach. Und es blieb bis heute der letzte Schweizer Sieg. Koblet war in der Form seines Lebens und «1. Interkantonales Rundstreckenrennen» mit Signet Rad- wurde bei seiner Rückkehr in Züfahrer.

Ferdy Kübler, 1956 ein international bekannter Star (links), zusammen mit dem Affoltemer René Strehler. (Bild zvg.) rich umjubelt. Aber einige Wochen später wurde Kübler in Varese Strassenweltmeister. Auch er wurde bei seiner Rückkehr gefeiert. Es war eine glorreiche Zeit für den Schweizer Radsport. Die sportliche Rivalität zwischen Kübler und Koblet setzte die Schweiz während eines Jahrzehnts in eine Radsport-Euphorie. Nebst Stars wie Bobet, Coppi, Bartali oder van Steenbergen waren es in der Schweiz die beiden Ks, deren sportliche Rivalität die Massen begeisterte.

«Ohne Koblet keinen Kübler ...» Die beiden Zürcher Kübler und Koblet peitschten sich gegenseitig von Sieg zu Sieg. Ihre Rivalität spornte sie zu Höchstleistungen an. Mehrmals bestätigte Kübler in Interviews, dass es «ohne Koblet keinen Kübler und ohne Kübler keinen Koblet gegeben hätte» In der Anfangsphase von Küblers Profikarriere verschenkte er viele Siege, da er sein überschäumendes Temperament nicht zügeln konnte. Mit dem Auftreten des sechs Jahre jüngeren Koblet und der damit verbundenen Konkurrenz änderte dies. Beide waren sehr verschieden. Kübler mit seiner markanten Nase auch «Adler von Adliswil» genannt, war der sympathische, verbissene Kämpfer. Der elegant wirkende Koblet, deswegen als «Pédaleur de charme» bezeichnet, war sehr talentiert und ein «Lebemann». Die Frauen umschwärmten ihn. Die Radsportfans waren in zwei Lager gespal-

ten, begeisterte, enthusiastische Fans von Kübler oder Koblet. Eine Begeisterung erfasste die Massen, nur vergleichbar im selben Masse wie in Frankreich während der Duelle zwischen den genauso unterschiedlichen Jacques Anquetil und Raymond Poulidor in den 60er-Jahren. Die Anhänger von Kübler und Koblet hatten beide ihr Stammlokal in Zürich. Unweit des Hauptbahnhofs, an der Schützengasse, wo sie fachsimpelten und die Siege ihrer Idole feierten. Kübler-Fans trafen sich im Café «Rio» neben der «Walliserkanne» und die Fans von Koblet auf der andern Seite der Bahnhofstrasse im Restaurant «Schützen». In beiden Lokalitäten wurden oft auch künftige taktische Strategien geplant, welche dann «Spione» brühwarm in der anderen Lokalität erzählen gingen. In Frankreich war Kübler der « Fou pédalant», in Deutschland der «Adler aus der Schweiz» und hier der «Ferdy national»

Im populären «Café Endspurt» 20 Jahre später, am 21. Oktober 1957 bestritt der 38-jährige Ferdy Kübler aus Adliswil sein letztes Rennen. Das Zürcher Hallenstadion war mit 12551 zahlenden Zuschauern voll besetzt. Die 100-Kilometer-Américaine gewannen Koblet/von Büren vor Kübler/van Steenbergen. Die Rivalität zwischen den beiden Ks hielt bis zum letzten Moment! In der populären Radiosendung «Café Endspurt» des Radios Bero-

münster wurde Ferdy Kübler von Megge Lehmann und Hugo Koblet von Ines Torelli besungen. Eine spannende Zeit war vorbei. Insgesamt konnte Kübler während zwanzig Jahren in über 2500 Rennen 400 Siege feiern, 600 000 Rennkilometer ist er gefahren. Kübler war ein ungleich vielseitiger Radrennfahrer. Klassische Eintagesrennen wie BordeauxParis, Mailand-Turin, Rom-NeapelRom, Lüttich-Bastogne-Lüttich oder die Flèche Wallone gewann er reihenweise. An den Profiweltmeisterschaften holte er Gold, Silber und Bronze. Die Tour de France gewann er einmal, die Tour de Suisse dreimal, zweimal die Tour de Romandie. 1950, 1952 und 1954 gewann er den «Grand Prix Desgrange Colombo» als weltbester Strassenrennfahrer. Wären die sechs Kriegsjahre nicht gewesen, während denen er Dienst leistete, so würde die Liste der Siege von Ferdy Kübler möglicherweise um einiges länger aussehen. Allerdings hatten diese sechs Jahre auch den Vorteil, dass er nicht allzu früh verbraucht war. Seine grössten Siege feierte er in einem Alter, wo andere bereits aufhörten. Seit seinem letzten Rennen sind 56 Jahre vergangen. Aber Ferdy Kübler ist nach wie vor einer der populärsten Schweizer Sportler. Längst ist er zur lebenden Legende geworden. Am 24. Juli konnte er in Birmensdorf-Waldegg seinen 94. Geburtstag feiern. Und er bleibt weiterhin ein gerne gesehener Gast im Säuliamt.


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