2015 10 Asphalt

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1,60 €

davon 80 Cent Verkäuferanteil

Oktober 2015

Feminismus modern

Laurie Penny, Sprachrohr der neuen Frauenbewegung Armut: Sozialdezernent Jordan redet Klartext Auszeit im Kloster: Hilfe für erschöpfte Pastoren Am Menschen: 30 Jahre »Mecki«-Laden für Obdachlose


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Titelthemen... Wohnungsnot, Hartz IV, Flüchtlinge Erwin Jordan, Sozialdezernent der Region Hannover, spricht im Asphalt-Interview offen über drängende Aufgaben.______________ 6 Feminismus modern Die 28-jährige Britin Laurie Penny ist eine der kritischsten Stimmen einer neuen Generation von bewegten Frauen. Im Interview. _ _________________________ 13 Auszeit im Kloster: Für erschöpfte PastorInnen und kirchliche Mitarbeiter gibt es in Barsinghausen sechs Wochen Ruhe und Erholung.____________ 22 Immer nah dran an den Menschen Der Kontaktladen »Mecki« wird in Hannover täglich von bis zu 120 Obdachlosen aufgesucht – und feiert jetzt sein 30-jähriges Bestehen.__________________________________ 26

...und mehr Notizblock ________________________________________________ 4 Angespitzt: Milch im Gully _ _________________________________ 5 Neue Hoffnung: In Hannover-Sahlkamp sollen die ersten von 800 maroden Hochhaus-Wohnungen saniert werden. _ _________ 10 Oktober-Tipps ____________________________________________ 16 Kultur im Fokus ____________________________________________ 18 Serie: Wer war eigentlich … Kurt Cobain? _ ____________________ 19 Leben auf dem Land: Fremde im Ort _________________________ 20 Impressum _ ______________________________________________ 21 Aus der Szene_____________________________________________ 24 Aus dem Leben: Asphalt-Verkäufer Thomas erzählt. _ ___________ 28

gewinne!

Rund um Asphalt/Zooverlosung_____________________________ 29 Danke für Ihr Engagement _ ________________________________ 30

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Silbenrätsel/Cartoon _______________________________________ 31

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Titelfoto:Laurent Burst

Oktober 2015

Feminismus modern

Laurie Penny, Sprachrohr der neuen Frauenbewegung Armut: Sozialdezernent Jordan redet Klartext Auszeit im Kloster: Hilfe für erschöpfte Pastoren Am Menschen: 30 Jahre »Mecki«-Laden für Obdachlose

Liebe Leserinnen und Leser, … und Osteuropa? Alle reden über Flüchtlinge. Bilder, die einen toten Jungen zeigen, waren in fast allen Zeitungen zu sehen. Eine Welle der Hilfsbereitschaft geht durch unser Land. Unser Land zeigt sich insgesamt von seiner guten Seite und macht deutlich, dass Verantwortung nicht im Nationalen stehen bleiben darf. Auch die niedersächsischen Städte inklusive Hannover er­ klären, wo sie aktiv sind – und was alles bereits an Gutem passiert ist. In einem Interview mit dem Sozialdezernenten der Region Hannover ist in dieser Asphalt-Ausgabe davon zu lesen und auch in einem Bericht über Menschen, die früher oder aktuell als Flüchtende zu uns gekommen sind. Aufgabe von Asphalt ist es aber, den Finger in die Wunde zu legen. Ich spreche von der Situation der Osteuropäer, die zu uns kommen. Offiziell sind es keine Flüchtlinge. Sondern EU- Bürger. Viele sind gut integriert. Ich spreche von den anderen, denen, die nicht integriert sind. Sie kommen zu uns in die diakonischen Einrichtungen, wir versuchen Ihnen zu helfen, medizinisch, sozialarbeiterisch. Aber sie fallen am Ende doch zu oft durch die Netze. Sie belagern die Bahnhöfe, übernachten in den Hütten der Wälder, nicht wenige suchen Trost und Halt im Alkohol – und wecken gleichzeitig bei an­ deren Aggressionen. Als EU-Bürger sind sie offiziell Touristen, faktisch aber sind sie wohnungslos. Gibt es das? Wohnungs­ lose Touristen? Eindeutig: ja. Und jetzt? Weiter so wie bisher? Weder Bahnhof noch Wald­ hütten sind die Lösung. Wir kennen ihre Schlafplätze unter den Brücken und zum Teil auch in den Wäldern. Hier müssen wir die Augen aufmachen, gerade wenn es jetzt kälter wird. Ich weiß, es gibt so viel zu tun. Aber hier die Hände in den Schoß zu legen, wäre grundfalsch. Es sind Menschen, die nicht weiterwissen, und denen es nicht hilft, wenn wir auch nicht weiterwissen. Setzen wir uns zusammen. In den Kommunen, den Städten, der Region. Und lasst uns überlegen, wie wir helfen können. Ihr Rainer Müller-Brandes, Diakoniepastor und Asphalt-Herausgeber


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Notizblock

Foto: V. Macke

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Bauernprotest

Hannover. Mit rund 100 Treckern, 4.000 Teilnehmern und ordentlich Lärm haben niedersächsische Bauern für mehr Wertschätzung und weniger ministerielle Res­ triktionen demonstriert. Unter dem Motto »Perspektiven statt Agrarwende« protestierten die Landwirte gegen ihrer Ansicht nach zu harte Vorgaben seitens der Landesregierung. Das Landwirtschaftsministerium hatte in den vergangenen Monaten vor allem für mehr Tierschutz und weniger Bodenbelastungen gestritten. Das geht den Bauern offenbar zu weit: Landvolkverbandsvertreter verlangten vom Minister, präsident Werner Hilse forderte: »Die Politik nachfolger hätten häufig den Glauben an die niedersächsischen Bauern nicht länger muss unseren bäuerlichen Familien endlich eine wirtschaftlich tragfähige Zukunft in als »Sündenböcke« darzustellen. Landvolk- wieder echte Perspektiven aufzeigen.« Hof- der Landwirtschaft aufgegeben. mac

Bremen zahlt nicht

Bremen. Demonstrativ hat sich der neue rotgrüne Bremer Senat eine Ausgabensperre verordnet. Alle Ressorts dürfen ab sofort nur noch unabwendbare Zahlungen veranlassen. Dienstreisen beispielsweise sind gestrichen – auch für die landeseigenen Betriebe. Hintergrund: 280 Millionen Euro schwer sei das Haushaltsrisiko im laufenden Jahr, so Anzeige

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eine Sprecherin des Finanzressorts. Die Haushaltssperre sei »unumgänglich. Ausgenommen seien Ausgaben in der Flüchtlingshilfe, im Schulbereich und der Kinderbetreuung. Die CDU hält die Sperre für reine Symbolpolitik. Die Linke sprach von einem zahnlosen Tiger und die FDP von einem chronischen Ausgabenproblem. Tatsächlich gab es auch 2014 schon eine Haushaltssperre. Damals wurde das Risiko noch mit 60 Millionen Euro beziffert. mac

ist eine der zentralen Errungenschaften der Landesregierung«, so Sprecher Kai Weber. »Allzu leichtfertig und schnell räumt der Innenminister jetzt das Feld und bereitet den Boden für eine Rückkehr zu überwunden geglaubten Methoden des Vollzugs.« Die SPD-Landtagsfraktion hält die geplanten Änderungen »in der derzeitigen Situation für sinnvoll«, so die SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder. Die CDU-Fraktion begrüßte die Änderungen. mac

Pistorius jetzt wie Schünemann

Wenig Inklusion

Hannover. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass in Niedersachsen Hannover. Die rot-grüne Landesregierung mit am wenigsten behinderte Schüler auf will ihre bisherige Abschiebepraxis ändern: Regelschulen gehen: Im Schuljahr 2013/2014 Abgewiesene Asylbewerber mit weniger als lag der Wert bei 23,3 Prozent. Das bedeutet 18 Monaten Aufenthaltsdauer sollen künftig im Bundesvergleich der vorletzte Platz. schneller und ohne vorherige Benachrichti- Durchschnittlich lag die Quote bei 31,4 Progung abgeschoben werden. Das kündigte Innenminister Boris Pistorius im Landtag an. Auch die bisher letzte Hoffnung, der Gang zur Härtefallkommission, soll für »Es ist nicht hinnehmbar, diese Personen konsequent ausgeschlossen dass der Großteil von bundesweit werden. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen 1.300 Tonnen Antibiotika jährlich reagierte scharf: »Der Rückführungserlass, in niedersächsischen Tierställen mit dem das Land einen Paradigmenwechverbraucht wird.« sel in der Flüchtlingspolitik eingeleitet hatte Christian Meyer, und so den oft menschenverachtenden Nds. Landwirtschaftsminister. Umgang der Vorgängerregierung beendete,

Zitat des Monats


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Angespitzt

Zahlenspiegel

diesmal: Armutsgefährdung

15,3 %, also jeder sechste Niedersachse ist von Armut gefährdet. Das hat das Landesamt für Statistik für das Jahr 2014 ermittelt. Damit ist die Zahl erstmals seit drei Jahren zurückgegangen. Bundesdurchschnitt: 15,4 %. Als armutsgefährdet ist, wer als Ein-Personen-Haushalt weniger als 907 Euro pro Monat hat. Das betrifft 57 % der Erwerbslosen. Bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren sind es 19 %, von Alleinerziehenden 41,6 %, von Großfamilien 25,1 %. me zent. Am besten hat das Land Bremen bei der Erhebung abgeschnitten: Hier lag der Inklusionsanteil bei 68,5 Prozent. Kritik an der Studie kommt von Kultusministerin Frauke Heiligenstadt. Demnach ignoriere die Erhebung die Besonderheit des niedersächsischen Konzeptes, wonach die Inklusion erst nach und nach eingeführt wird. Zu dem Erhebungszeitraum betraf das nur die Jahrgänge 1 bis 5. me

Mehr Lohn für MdLs

Hannover. Niedersachsens Landtagsabgeordnete (MdL) bekommen mehr Geld. Anstelle von bisher 6.386 Euro sollen es jetzt 6.500 sein. Rückwirkend gültig ab dem 1. Juli. Die letzte Erhöhung auf die bisherigen 6.386 Euro ist ein Jahr her. Zusätzlich zu den Diäten erhält jeder und jede Parlamentarierin eine steuerfreie Aufwandsentschädigung von monatlich 1.088 Euro. mac

Hilfe für Kinder

Hannover. Niedersachsen erhält eine Kinderkommission aus Fachleuten und Landtagsabgeordneten. Die Kommission soll auf die Einhaltung der Kinderrechte auf Gesundheit, Sport und Bildung drängen und das Bewusstsein dafür in der Öffentlichkeit schärfen. Zudem soll die Kommission als Beschwerde- und Ombudsstelle für die Belange junger Menschen in Niedersachsen fungieren. Jedes Kind und jeder Jugendliche in Niedersachsen könne sich mit Anregungen und Kritik künftig an die neue Kommission wenden, betont die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Immacolata Glosemeyer. Der Deutsche Kinderschutzbund begrüßte die Entscheidung. »Welcher tatsächliche Nutzen für Kinder und Jugendliche daraus entsteht, liegt aber maßgeblich an den Akteuren, die

ihre Arbeit nun ausgestalten werden«, so Johannes Schmidt, Landesvorsitzender des Verbandes. Der nächste Schritt müsse folgen: »Wir pochen darauf, auch kommunale Kinder­beauftragte zu etablieren.« mac

Land besetzt Häuser?

Hannover. Zur Unterbringung von Flüchtlingen will das Land offenbar notfalls auch die Beschlagnahmung von privaten Gebäuden. Das geht aus einer dringlichen Anfrage der FDP in der jüngsten Landtagsdebatte hervor. »Dass der Innenminister das konkret durchspielt und absehbar nicht ausschließt, ist eine neue Dimension«, warnt der justizpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Marco Genthe. Schon das Gedankenspiel des Ministers könne dazu führen, dass die positive Stimmung der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen in Deutschland kippe. SPD-Fraktionschefin Johanne Modder wehrte den Vorwurf ab: Niemand habe die Absicht, Häuser zu konfiszieren. mac

»Niedersachsen« in China Hannover/Wilhelmshaven. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies hat symbolisch den Grundstein für ein Gebäude mit dem Namen »Niedersachsen« in der chinesischen Stadt Qingdao in der Provinz Shandong gelegt. Das Haus ist Teil eines deutschchinesischen Projektes zur nachhaltigen Stadtentwicklung. Die Hafenstadt ist bereits heute mit Wilhelmshaven partnerschaftlich verbunden. So besteht ein Liniendienst vom Jade-Weser-Port zu dem Hafen in China. Zudem entsteht dort ein weiteres Werk von Volkswagen. Die Stadt Qingdao hat mit mehr als 13 Millionen Menschen fast doppelt soviel Einwohner wie Niedersachsen. me

Milch im Gully Milch ist ein kostbares Gut. Wasser ist ein kostbares Gut. Weder Milch noch Wasser sollten verschwendet werden. Was ist dann gleich noch mal der Grund, warum im September in Brüssel mit Wasserwerfern auf Bauern geschossen wurde, die die Milch ihrer Kühe in den Gully schütteten? Ach ja, und Heu und Stroh (weitere kostbare Güter) haben die Bauern auch angezündet, um darauf hinzuweisen, dass sie ihre Milch leider wegschütten müssen. Worauf auch diese brennenden Heu- und Strohballen mit Wasser beschossen wurden und mit demselben Beschuss noch einmal die protestierenden Bauern, die die Ballen in Brand gesetzt haben, weil sie damit allen EU-Ministern und -Kommissaren zeigen wollten, dass die Milch weggeschüttet werden muss. Es liegt am Preis. Der Milchpreis sinkt und sinkt. Jetzt schon unter 24 Cent pro Liter. Das macht der freie Markt. Der Markt, der jüngst von dieser lästigen Quote befreit wurde, reguliert jetzt den Milchpreis. Nach unten. Derselbe freie Markt ist aber gar nicht so frei, wie immer behauptet wird, sondern nach Russland hin dicht. Aus Boykottgründen. Wegen der Ukraine. Und damit werden die westeuropäischen Bauern ihre Milch im Osten nicht mehr los, nicht einmal mehr in China. Bedeutet: Die europäischen Bauern dürfen zwar soviel Milch produzieren, wie sie wollen, aber es hapert beim Export (Ausnahme Afrika, wo lokale Milchmärkte durch europäische Milch weiterhin lustig kaputt gemacht werden). Also: Überangebot in Europa, Preissturz, Höfesterben, Bauernkrawall. Wie gut, dass unsere zivilisierte Gesellschaft für dieses Milchdrama eine klare, saubere Lösung bereitstellt. Wasserwerfer. Renate Schwarzbauer

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»Es ist mühsam«

Erwin Jordan, Sozialdezernent der Region Hannover, erklärt im Asphalt-Interview, wie Politik vermeiden kann, Wohnungslose, Arbeitslose und Flüchtlinge gegeneinander auszuspielen. Sowohl Wohnungslose als auch Flüchtlinge brauchen im Moment große Zuwendung. Tausende Flüchtlinge kommen. Auch die Zahl der einheimischen Wohnungslosen steigt, die Tagestreffs der Wohnungslosenhilfe verzeichnen mehr Besucher. Ist es schwierig, beiden Gruppen ge­­ recht zu werden?

Zunächst eine wichtige Einschränkung: Steigende Zahlen in den Tagestreffs sind nicht unbedingt ein Indikator für steigende Wohnungslosigkeit. In die Tagestreffs kommen Leute, die wohnungslos sind, und Leute, die nicht wohnungslos sind, aber in Armut leben und nur dort Kontaktmöglich-

Viele Menschen sind arm

Die Region Hannover umfasst mit ihren rund 1,1 Millionen Einwohnern rund ein Siebtel der niedersächsischen Bevölkerung. Die Region besteht aus 21 Kommunen, die größte davon ist die Landeshauptstadt Hannover, die kleinsten sind Pattensen, Wennigsen und Gehrden. Von Armut betroffen sind rund 15 Prozent der Regions-Bevölkerung. 61.000 Menschen sind langzeitarbeitslos (Tendenz leicht steigend), Sozialleistungen beziehen sogar rund 120.000 Einwohnerinnen und Einwohner (z.B. Menschen, die Ergänzungen zu ihrem Niedriglohn erhalten, Wohnungslose, Asylbewerber, Kinder und andere Angehörige von Hartz-IV-Empfängern). Der Sozialetat der Region Hannover beträgt ca. 900 Millionen Euro, rund ein Drittel davon fällt auf die »Kosten der Unterkunft« von Hartz-IV-Beziehern. Diese Summe wird in den kommenden Jahren deutlich steigen, da auch anerkannte oder geduldete Asylbewerber Anrecht auf Hartz-IV haben. In den letzten Jahren wurde die Sozialpolitik der Region Hannover nach heftigen Debatten auf vielfältige Weise erweitert. Es gibt nun ein Tages- und ein Monats-Sozialticket für den ÖPNV (ab 1.1.2016 fällt dafür auch der stigmatisierende Wertmarkenkauf fort, ohne den bisher kein Sozial­ ticket erhältlich war) und ein Sozialticket für den Zoo sowie einen Sozialpass, der zu zahlreichen Vergünstigungen berechtigt. Ein soziales Wohnbauprogramm wurde aufgelegt und die Versorgung Wohnungsloser verbessert. Die psychiatrischen Dienste wurden neu geordnet, auch im Hinblick auf die psychiatrische Versorgung von Bedürftigen. Hinzu kommen zahlreiche Projekte und Maßnahmen für junge Familien und gegen Jugendarbeitslosigkeit. Drängende Probleme sind derzeit der eklatante Mangel an güns­ tigem Wohnraum und die hohen bürokratischen Hürden beim Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder. sch

keiten finden. Da derzeit mehr Menschen in Armut geraten, sind die steigenden Zahlen der Tagestreffs also eher ein Indikator für bekämpfte Wohnungslosigkeit.

Am Ende der Kette Allerdings sind auch die Besucherzahlen im »Kontaktladen Mecki« der Diakonie gestiegen. Dorthin kommen ausschließlich obdachund wohnungslose Menschen. Und die Diakonie sagt auch, dass in Hannover etwa 600 Menschen auf der Straße leben, eine Verdoppelung innerhalb weniger Monate. Ja, es gibt diesen Anstieg, besonders bei jungen Wohnungslosen und wohnungslosen Frauen. Das grundlegende Problem: Es gibt in der Stadt Hannover und den Gemeinden direkt darum herum eine sehr geringe Zahl von freien Wohnungen. So etwas wie »Wohnungsmarkt« funktioniert derzeit gar nicht. Einkommensschwache Leute sind am Ende der Kette, sie haben kaum eine Chance, eine Wohnung zu bekommen. Darum müssen wir dringend mehr Wohnungen haben, auch wieder mehr Wohnungen für Leute mit niedrigem Einkommen. Wo könnten diese Wohnungen herkommen?

Es gibt zur Zeit drei Wohnungsbauprogramme, die in der Region genutzt werden können. Das Programm des Landes, unser Regionsprogramm und das Programm der Städte Hannover und Langenhagen. Also: An Programmen fehlt es nicht. Und die Förderung ist auch mit der Wohnungswirtschaft so verhandelt, dass sie als finanziell auskömmlich angesehen wird. Trotzdem bauen die Unternehmen ganz wenige Wohnungen im Bereich der klassischen B-Schein-Grenze, die typische »5,40-Euro-Wohnung«. Es werden mehr Wohnungen aus den Programmen des Landes gebaut. Für sie kann man 7 Euro Miete nehmen, sie richten sich eher an die Mittelschicht, die auch Wohnungsbedarf hat. Aber die besonders einkommensschwache Gruppe wird im Moment kaum bedacht. Wir von der Region Hannover haben darum extra ein Programm aufgelegt, mit dem wir nur 5,40-Euro-Wohnungen fördern. Doch es ist leider sehr mühsam an die Unternehmen zu bringen. Die unternehmerischen Entscheidungen laufen eher in eine andere Richtung. Es gibt auch viele Investitionen in die höherpreisigen Segmente. Sie können ja heute auf dem hannoverschen Mietwohnungsmarkt locker Mieten oberhalb der 10-Euro-Grenze rea-


Fotos: Region Hannover

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Die Versorgung bedürftiger Menschen mit Wohnraum ist für die Region Hannover ein viel größerer Brocken als die spektakuläre Bergung dieses

27-Tonnen-Eiszeit-Felsens in Ostermunzel, die sie im April 2015 leisten musste.

Erwin Jordan

Seit 2002 ist Erwin Jordan (Bündnis 90/Die Grünen) Sozialdezernent der Region Hannover. 1986 – 1990: Ratsherr der Landeshauptstadt Hannover, Vorsitzender der GrünenFraktion. 1990 – 1998: Landtagsabgeordneter, Vizepräsident des Niedersächsischen Land­ tages. 1998 – 2001: Staats­sekretär im Bundesgesundheitsministerium. In seiner Funktion als Sozialdezernent ist Jordan (62) heute auch Vorsitzender der Trägerversammlung des Jobcenters Hannover. Jordans aktueller Sozialbericht 2015 analysiert auch die tieferliegenden Gründe für die Armut in der Region Hannover. Download unter: http://www.hannover.de/Leben-in-der-RegionHannover/Soziales/Sozialleistungen-weitere-Hilfen/Sozialhilfeund-Grundsicherung/Sozialberichte-der-Region-Hannover sch lisieren, das war für Hannover nicht aus, um auch nur mittelvor fünf, sechs, sieben Jahren fristig Entlastung zu bekommen. unvorstellbar. Jetzt ist es Alltag. Unsere Förderbedingungen werden nicht kritisiert. Aber wir Fürchten Sie, dass sich der Man- müssen sehen, im Gespräch mit gel an kleineren, günstigen Woh- Unternehmen, dass wir mehr Investitionen in den Bereich nungen verstetigt? Stillstand herrscht nicht. Aber der kleineren, günstigen Wohdie Bewegung, die da ist, reicht nungen lenken. Wir als Region

haben weder Grundstücke noch haben wir Planungsmöglichkeiten. Das müssen die Städte und Gemeinden machen. Als Reaktion auf die Bedarfe für Flüchtlinge haben wir noch zusätzlich ein Zwei-Phasen-Modell auf den Weg gebracht. Dabei werden die Wohnungen in den ersten zehn Jahren für Flüchtlinge genutzt und danach 20 Jahre als Sozialwohnungen. Das läuft recht gut an. Drei Projekte – in Ronnenberg, Laatzen und Lehrte – mit Platz für insgesamt 180 Personen sind noch 2015 bezugsfertig. Und weitere vier Projekte sind in der Planung. Das ist hilfreich für die aktuelle Unterbringung der Flüchtlinge. Es sind normale, feste Häuser, keine Container.

Kann es da Konflikte geben, dass Wohnungslose sagen: Für Flüchtlinge werden Wohnungen bereitgestellt, für uns nicht? Das ist eine müßige Debatte! Wenn jemand kommt und sagt, er will die Unterbringung von Wohnungslosen finanziert be­­

kommen, dann kriegt er das auch finanziert von uns. Bei der Flüchtlingsunterbringung stehen wir vor einer ganz speziellen Herausforderung. Aber wir wissen auch, dass die Bedarfsdeckung bei den Wohnungslosen und Armen genau so notwendig ist. Die Region Hannover sieht hier keinen Gegensatz. Wir suchen derzeit nach Wegen, wie wir die Zahl der Wohnungen, die die Soziale Wohnraumhilfe der Diakonie für Wohnungslose zur Verfügung stellt, erhöhen können. Da sollten sich in diesem Jahr noch Lösungen finden. Wir als Region haben großes Interesse daran, dass die Zahl dieser Wohnungen erheblich ausge­ weitet wird. Gerade auch im Um­land, nicht nur in der Stadt Hannover.

Eine gute Nachricht für die vielen Wohnungslosen, die derzeit einfach keine Wohnung finden. Ja. Wir müssen es nur hinkriegen. Wir müssen Vermieter finFortsetzung auf der nächsten Seite


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bezahlt. Das Geld, das wir wiederum vom Land bekommen für den Lebensunterhalt und die Unterbringung der Flüchtlinge, reicht nicht aus.

Wie sieht die Lage aus beim Wohn­raum für die Flüchtlinge? Überall, auch in ländlichen Gebieten, stoßen wir an Grenzen. Der Druck ist so erheblich, dass wohl auch wieder SammelIdris Afrah, Robin Cahmak und Albert Engelke (v.l.n.r.) nehmen an WundA teil. Sie haben inzwischen sogar unterkünfte eingerichtet wereinen Ausbildungsplatz sicher. den müssen. Was die Verwaltungen vor Ort leisten müssen, ist enorm. Sie bekommen oft mit Rund 300 bis 500 junge Menschen in der Region Hannover haben weder Arbeit noch Wohnung. Das Projekt einem kurzen Vorlauf gesagt, »WundA« (»Wohnen und Arbeiten«) will Jugendlichen in prekären Lebenslagen helfen. Zur Verfügung dass sie z.B. 20 neue Leute unterstehen ein Wohnangebot mit 15 Plätzen in vier Dreier-Wohngemeinschaften und einer Notfallwohnung. bringen müssen. Aber WohnSozialdezernent Erwin Jordan: »Die jungen Leute erhalten ein Umfeld, in dem sie zur Ruhe kommen können und sich nicht mehr um den nächsten Schlafplatz kümmern müssen. Sie bekommen zudem Hilfe in allen raum kann man nicht herzausozialen Fragen und erhalten Orientierung für ihre berufliche Entwicklung. Der ganzheitliche Ansatz von bern. In der Stadt Hannover werpsychosozialer Begleitung und Beratung sowie Beschäftigung und Qualifizierung soll ihre Chancen erhöden Turnhallen akquiriert. Das hen, wieder Fuß zu fassen.« mag für ein paar Monate gehen, Die Region Hannover fördert »WundA« in den kommenden Jahren mit rund 650.000 Euro. Das Projekt ist aber wenn die Leute zwei Jahre auf Initiative des Sozialdezernats der Region in Kooperation mit dem Jobcenter entstanden. Die tägliche lang unter solchen Umständen Sozialarbeit mit den Jugendlichen leisten der Jugendhilfeträger »Pro Beruf« und das Karl-Lemmermannuntergebracht würden, dann Haus für Wohnungslose. Auch das Jugend-Jobcenter U25 steht beratend zur Seite. sch wäre das für niemanden besonders gut. Für die Flüchtlinge den, die uns für Geld die Rechte großen Teilen gemeinnützig einen gewissen Prozentsatz an nicht, die Schulen nicht, die geben, Leute unterzubringen, und die Wohnungsmieten im Sozialwohnungen bauen. Aber Sportvereine nicht. die die Wohnungen brauchen. sozialen Wohnungsbau unter- diese Möglichkeit haben wir als schieden sich nicht so stark vom Region nicht. Wir sind »Ritter Viele Flüchtlinge werden anerKönnte man also sagen, es liegt frei finanzierten Wohnungs- ohne Land«. kannt werden. Sie wollen dann derzeit weniger am Geld, son- bau. Anders heute. Wenn heute hier fest wohnen und arbeiten. dern es braucht Engagement ein Wohnungsbauunternehmen Gefälschte Zahlen Einige werden anerkannt werden, viele geduldet und nicht derer, die Zugriff auf Wohnungen überlegt, in welche Projekte gesteckt wird, Wofür ist die Region bei den ausgewiesen. Für diejenigen, die haben, entweder Investoren oder Eigenkapital dann muss schon auch soziales Flüchtlingen zuständig? bleiben, müssen wir so bald wie Wohnungsbesitzer? Hierzu ein Rückblick. Anfang Engagement dabei sein, wenn Die Stadt Hannover ist für Kos- möglich eine Unabhängigkeitsder Neunziger, als wir eine ähn- die Entscheidung zugunsten des ten und Unterbringung im perspektive finden. Dass sie ihr liche Situation hatten und nach sozialen Wohnungsbaus getrof- Stadtgebiet zuständig. Wir als Geld selber verdienen können, der Grenzöffnung nicht genug fen wird. Die Stadt Hannover Region sind zuständig für die dass sie eine eigene Wohnung Wohnraum im Land zur Verfü- versucht das zu steuern über die Kosten im gesamten Umland. finden. Das ist dann die Integragung stand, ist ein Programm eigenen Grundstücke, die sie hat. Die Kommunen im Umland tionsaufgabe. aufgelegt worden über 60.000 Und sagt zu den Unternehmen: haben die Aufgabe der UnterSozialwohnungen. Die Woh- Wenn Sie hier dieses Grundstück bringung übernommen, erhal- Gibt es dafür genügend Sozialarnungswirtschaft war noch zu haben wollen, dann müssen Sie ten aber die Kosten voll von uns beiterstellen?

»Wohnen und Arbeiten«


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Nein. Immerhin haben wir jetzt den Städten und Gemeinden noch einmal 1,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt für zusätzliche Flüchtlingssozialarbeit. Die Grundstimmung ist mehrheitlich eine andere als in den Neunziger Jahren. Und es gibt sehr viele Leute, die sich engagieren für Flüchtlinge. Es gibt aber auch eine Strömung, die massiv polemisiert gegen Flüchtlinge, und das sollte man nicht unterschätzen. Wir als Region sind in der Situation, dass wir Geld geben können. Aber die ehrenamtlichen Aktivitäten müssen vor Ort aufgebaut werden. Da gibt es auch die entsprechenden Netzwerke.

Und die könnten zur Region gehen und sagen: Wir machen soviel Ehrenamt, wir brauchen noch Unterstützung? Ja. Wir wollen zum Beispiel auch im Bereich Sprachförderung Unterstützung geben. Aber das ist eben alles mühsam. Rein rechtlich haben nicht alle Flüchtlinge Anspruch auf Sprachkurse, und wir versuchen, das lokal zu kompensieren. Eigentlich müsste bundesweit einheitlich geregelt sein, dass Sprachkurse selbstverständlich sind. Sie sprachen eingangs von der zunehmenden Armut der Bevölkerung. Welche Zahlen gibt es dazu für die Region Hannover? Offiziell haben wir ca. 61.000 Langzeitarbeitslose. Aber wir haben ja eine Arbeitslosenstatistik, die bundesamtlich gefälscht ist. Sie versucht, die Zustände

nicht so darzustellen, wie sie eigentlich sind. Wir als Region haben es selbst untersucht: Wie viele Leute sind denn nun wirklich auf Dauer im SGB-II-Bezug? Und man sieht, dass diese Zahl viel größer ist als die Zahl der offiziell ausgewiesenen Langzeitarbeitslosen! Wenn man die Wahrheit verschleiert, kann man auch nicht ordentlich eine andere Realität herstellen. Bei uns leben diese Menschen, die aus der Statistik eliminiert sind. Sie sind hier. Sie sind Ihre Nachbarn. Ich hatte vom SGB II, als es vor zehn Jahren eingeführt wurde, erwartet, dass sich die Situation speziell der Leute, die damals in der Sozialhilfe waren, auch verbessert, dass sie einen Zugang zur Arbeit bekommen. Jetzt sehe ich aber über die Jahre hin: Für diese Menschen hat sich gar nichts gebessert. Im Gegenteil. Sie sind jetzt vielleicht in einer schlechteren Situation als im alten Bundessozialhilfegesetz, wo wir über »Hilfe zur Arbeit« etwas zaubern konnten.

Also würden Sie sich von der Bundespolitik wünschen, dass mal wer kommt und die Wahrheit sagt über höhere Arbeitslosenzahlen? Anders ausgedrückt: Das Thema Langzeitarbeitslosigkeit ist überhaupt nicht auf der Agenda im Moment. Es ist politisch ein völlig totes Thema. Die Kommunikation über den Arbeitsmarkt lautet: Der ist so erfolgreich wie noch nie, und 2,7 Millionen Arbeitslose sind ein Erfolg. Ich schlucke da immer: Wieso

sind 2,7 Millionen Arbeitslose ein Erfolg? Das kann man doch nur sagen, wenn man Angst vor vier Millionen hat. Über die vielen Jahre sind viele Menschen richtig aussortiert worden. Aus dem gesellschaftlichen Leben. Und die stören nicht. Die sind in Lebenssituationen, aus denen sie nur ganz schwer herauskommen, und dem Rest der Gesellschaft geht es sehr gut. Wenn ich jetzt sage: Wir sind in einer gro-

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ßen sozialen Krise, dann sagen die Leute: Wovon redet der? Es gibt mittlerweile gespaltene Realitäten. Ich finde, dass Leute, die in schwierigen Lebenssituationen sind, auf jeden Fall eine zweite Chance haben sollen. Und wenn es nötig ist, auch eine dritte. Das ist eine Frage der Haltung. Und der Demokratie! Renate Schwarzbauer Anzeige


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Hoffnung im Plattenbau

Der Sahlkamp ist Sanierungsgebiet – doch in der Realität geschah bisher wenig. Sanierungsstau. Jetzt sollen 211 von 800 desolaten Wohnungen saniert werden. Eine Ankündigung. schöne Heimat sind viele der Wohnungen heute nicht mehr. Wer es sich leisten kann zieht weg. Zurück bleiben die gesellschaftlich Gehandicapten und Gestrandeten. Man darf sich Elisabeth Generotzky nun nicht als naive Person vorstellen. Sie sieht natürlich auch die schwierige Situation im Stadtteil. In der Sanierungskommission war vor einigen Monaten ein erstes Gutachten zur Modernisierung der Hochhäuser an Rhön- und Spessartweg vorgelegt worden. Ein Gutachten, das viele Mängel auflistete und dem Wohnkomplex offiziell den miserablen Zustand attestierte, den hier jeder seit Jahren sieht: »Die Außenwände erfüllen nicht den Mindestwärmeschutz, in den Kellern gibt es keine Deckendämmung, und an den Fenstern haben wir viele undichte Stel-

len gefunden«, sagt Jörg Schmidt von der Berliner Planungsgesellschaft SPP. Dazu kommen Schimmel, alte Haustechnik, Rost, Dreck, fehlende Barrierefreiheit. Und auch – es wäre falsch das zu verschweigen – eine gehörige Portion Vandalismus.

Quartier mit Imageproblemen Viele Menschen in Hannover denken beim Sahlkamp an eine reine Hochhaussiedlung mit sozialen Problemen. Dabei ist dies ein grüner Stadtteil mit vielen Einfamilienhäusern und einer gesunden Altersstruktur. Doch die Hochhauskomplexe in SahlkampMitte mit ihrem immensen Sanierungsstau prägen seit Jahren das Bild des Stadtteils. Schon im Herbst 2009 wurde das Quartier in das Förderprogramm »Soziale Stadt« auf-

Fotos: V. Macke

Elisabeth Generotzky führt Besucher gerne durch das Viertel, das ihr so am Herzen liegt. Die ehemalige Sozialarbeiterin ist nach dem Ende ihrer Berufslaufbahn in Bielefeld vor elf Jahren nach Hannover gezogen. Sie ging durch die Straßen, sprach mit Menschen auf dem Marktplatz, in den Stadtteilinitiativen. Und noch ehe sie so recht angekommen war, war sie quasi wieder Sozialarbeiterin, ehrenamtlich. Heute ist sie Vorsitzende der Sanierungskommission, die monatlich im örtlichen Stadtteiltreff tagt. »Das ist doch wunderschön hier«, sagt Generotzky, und zeigt auf eine Reihe Balkone in der Nähe des Märchenweges im Sahlkamp, die direkt aufs Grüne weisen. Diese Gebäude wurden in den 1970er Jahren von der damals gewerkschaftseigenen Neuen Heimat gebaut. Eine

Der Zahn der Zeit nagt an den Wohnblocks im Zentrum vom Sahlkamp. Die Häuser mit den roten Treppenhäusern sollen als erstes saniert werden.


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genommen. Getan hat sich seitdem einiges. Außenanlagen wie der Märchenweg wurden verschönert, die internationalen Stadtteilgärten sind ein viel beachtetes Projekt für das Miteinander der Kulturen, der Marktplatz wird belebt, einmal die Woche gibt es dort kostenlos Musik. Aber die Immobilien, die großen Wohnblöcke mit dem grauen Hochhaus im Zentrum, bröckeln vor sich hin. Am 20-stöckigen Hochhaus müssen die Balkone sogar schon mit Gerüsten gesichert werden. Damit sie nicht abbrechen. Der Sanierungsstau liegt auch an der unsteten Eigentümersituation, allein fünf Wechsel in den letzten zehn Jahren. Im Jahr 2011 hatten die Stadtplaner schon einmal ein Sanierungsgutachten erstellt, doch dann wurden die mehr als 800 Wohn- und Gewerbeeinheiten erneut verkauft. Seit 2012 ist nun die Deutsche Wohnen (Deuwo) für den Komplex verantwortlich. Das Unternehmen gehört zu den größten deutschen Wohnungsgesellschaften, hat insgesamt knapp 150.000 Wohneinheiten im Bestand. Zumindest für 211 der 800 Wohnungen soll im kommenden Jahr der Sanierungsstau aufgelöst werden. Vertreter der Deuwo und vom Planungsbüro SSP haben in den jüngsten Sitzungen der Kommission die ersten Modernisierungsschritte für diesen ersten Bauabschnitt zwischen Rhön- und Spessartweg vorgestellt. Viele der geplanten Arbeiten sind reine Instandsetzungsmaßnahmen. Die roten Treppenhäuser sollen wieder betont, mehr Licht, klarere Zugänge geschaffen werden. Eigentlich stehen für das Projekt insgesamt vier Millionen Euro zur Verfügung, jeweils zur Hälfte getragen von der Stadt Hannover und der Deuwo. Noch müssen die Gremien der Stadt der Förderung zustimmen. »Die Stadt geht davon aus, dass es demnächst zu einem ersten Modernisierungsvorhaben kommen wird«, sagt Sprecher Demos. Die Gelder aus dem städtischen Topf sind Mittel zur Städtebauförderung, die wiederum jeweils mit einem Drittel von Stadt, Land und Bund getragen werden, sodass für die Stadt letztlich rund 650.000 Euro an Eigenmitteln zu zahlen bleiben.

»Startschuss voll Hoffnung« Die Stadtverwaltung erhoffe sich nun eine nachhaltige Stadtteilentwicklung für Instandsetzung und Modernisierung weiterer Wohngebäude, so der Stadtprecher.

Elisabeth Generotzky, Chefin der Sanierungskommission, kämpft für Verbesserungen für die

Menschen im Sahlkamp.

Damit Menschen wieder bleiben wollen. Damit die Mischung der Milieus wieder stimmt. »Vertrauen und Hoffunng müssen zurück in das Quartier«, gibt Generotzky die Richtung vor. Bis ein erster Spaten in die Erde des Sahlkamps sticht, ist aber offenbar noch einiges zu klären. Die Akteure sind momentan noch »in der Abstimmung«. Bis dahin versichert man sich gegenseitig übermäßig Respekt und Wohlwollen – auch wenn der endgültige Sachstandsbericht zur geplanten Sanierung von der September-Tagesordnung der Sanierungskommission überraschend wieder abgesetzt wurde. Stadt-Sprecher Alexis Demos ist dennoch »sehr erfreut über die konstruktiven Gespräche« mit der Deutschen Wohnen. »Das ist ein StartschussProjekt. Wir wissen, dass damit viele Hoffnungen verbunden sind«, sagt Sprecher Marko Rosteck. Im Frühjahr 2016 sollen die Arbeiten beginnen. Schon vor Ende 2016 könne man damit fertig sein, so Rosteck. Die Mieter bleiben skeptisch. Eine Bewohnerin aus dem Spessartweg: »Wir sind Sanierungsgebiet, seit Jahren.« Saniert würden aber immer nur die Grünanlagen, sagt die junge Frau, während es in ihrer Wohnung im Winter kalt und im Sommer heiß sei – und feucht und schimmlig sowieso. Ein junger Mann im Rhönweg, szenekonform als Gangsterrapper gekleidet, findet die Nachricht vom Sanierungsbeginn hingegen »schon cool«. Er wohnt nicht mehr da, hat es geschafft, weg zu kommen. Aber für seine alten Freunde freut es ihn, »wenn

es stimmt«. »Wenn das hier wird wie beim Klingenthal, dann ist das gut«, spielt er auf die einstige Sanierung im Nachbarstadtteil Vahrenheide-Ost an.

Vahrenheide als Blaupause Auch Harry Grunenberg hat deshalb ein »gutes Gefühl«. Der Bezirksbürgermeister im Stadtbezirksrat Bothfeld-Vahrenheide hofft, dass sich die Akteure, insbesondere die Deuwo, nach den ersten Schritten dann auch der anderen Wohneinheiten annehme. »Das muss eigentlich folgen«, sagt Grunenberg. Der SPD-Politiker kennt sich aus mit Stadtteilentwicklung: Er hat in den 90ern den großen Umbau in Vahrenheide-Ost begleitet. Der einst stigmatisierende Straßenname Klingenthal verschwand damals beinahe über Nacht von den Stadtplänen. Heute stehen auf der Fläche Reihen- anstelle der Hochhäuser. Wenngleich Abrisse nicht geplant sind, könne die Sanierung von Vahrenheide als Blaupause dienen, meint Grunenberg. In Vahrenheide aber sei die Arbeit etwas leichter gewesen, weil hier viele Wohnungen der städtischen GBH gehört hätten. Die Politik hatte so damals mehr Ein­ flussmöglichkeiten. Deshalb war zwischenzeitlich auch ein Teilverkauf der Deuwo-Wohnungen an die GBH im Ge­spräch. Doch die Deuwo lehnte ab und macht es jetzt selbst. »Wenn das erste Gebäude modernisiert wird, wenn die Menschen das sehen, dann geht das hier in die richtige Richtung«, sagt Grunenberg. Gerd Schild


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Fotos: Laurent Burst

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Feminismus modern

Die 28-jährige Britin Laurie Penny ist aktuell eine der kritischsten Stimmen ihrer Generation. Mit Wucht schreibt und twittert sie gegen eine frauen- wie menschenfeindliche Welt an. Hunderte kommen zu ihren Lesungen. Vor allem in Deutschland. Laurie Penny, in Ihrem Buch sagen Sie, die Revolution beginne in der Fantasie. Es endet mit den Worten: »Schließt die Augen. Blättert um. Fangt an«. Womit? Es geht darum, sich die Utopie einer besseren Welt vorzustellen. Oder wie wir die Dystopie, also die negative Vision, einer Welt überleben, in der die Menschen durchdrehen und alles schiefgeht. Selbst wenn du nicht politisch bist und dich aus allem raushalten willst, schreibst du an der Zukunft mit. Deshalb ist es so wichtig, unsere Fantasie zu wecken, dass alles auch anders Seit ihrem 2007 abgeschlossenen Literaturstudium in Oxford arbei- werden könnte. tet sie zudem als Autorin für die Creme der britischen Tagespresse »The Independent« und »The Guardian« und findet viel Beachtung Fantasie gegen Apathie? mit ihren Tweets auf @PennyRed. Wir haben Laurie Penny neben Es geht darum, die Geschichte ihrer aktuellen Lesetour getroffen. zu schreiben. Wenn wir sie nicht Drei Jahrzehnte lang schien es, als habe sich der Feminismus erledigt. Die Schriften von Simone de Beauvoir oder Alice Schwarzer blieben für manche zwar unverändert gültig, schienen aber trotzdem hoffnungslos aus der Zeit gefallen. Überraschend viele hielten die Forderungen von damals in der Gegenwart sogar für längst erfüllt. Dann kam Laurie Penny. Geboren 1986 in London, übersetzte sie die postfeministische Orientierungslosigkeit in eine neue Sprache und gab der feministischen Bewegung mit der Wucht der Wut und des Mitgefühls die verlorene Dringlichkeit zurück. Pennys 2011 erschienenes Buch »Fleischmarkt. Weib­liche Körper im Kapitalismus« war ein Bestseller, ihr neuestes Werk »Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution« elektrisiert das Publikum ihrer Lesetouren. Es geht um falsche politische Erfolge, um die selbst­ bewusste Umkehr von Stigmatisierungen, um »verlorene Jungs« und um die allgegenwärtige »Angst, ungeliebt zu sein« weil man vielleicht ein wenig zu authentisch war.

selber schreiben, schreiben sie andere für uns. Ich meine das ganz konkret: Geschichten von Frauen, von Minderheiten und Unterdrückten sind gefragt, weil sie bisher nicht erzählt worden sind. »Orange is the New Black«, derzeit meine Lieblings-Fernsehserie, ist ein gutes Beispiel für die große Veränderung in der TV-Kultur. Keine der Geschichten dieser Serie ist besonders innovativ. Erstaunlich aber ist, dass sie Geschichten erzählt, die im Mainstream nie erzählt worden sind. Die Serie handelt von Armen, Schwarzen, Latinas. Ihre Schicksale fügen sich zu einem massiven großen Gan-

Fortsetzung auf der nächsten Seite


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zen zusammen, einem Gesell- Vierzigerjahre männliche Autoren die unglaublichsten Techschaftsroman. nologien und die tollsten GesellWoher dieses Vertrauen in die schaftsformen vorstellen konnten – aber eine Zukunft, in der Kraft der Erzählung? Ich bin ein totaler Nerd. Ich lese Frauen eine andere Rolle spielen und schaue viel Science-Fiction, als Hausfrauen oder Prinzessinhabe mich im Studium mit femi- nen, Dienerinnen oder Prosti­ nistischer Science-Fiction aus- tuierte, haben sie nicht hinbeeinandergesetzt. Eines der inte- kommen. Dieses Versagen der ressantesten Bücher ist »Nacht Vorstellungskraft ist das, was es der braunen Schatten« von zu bekämpfen gilt. Katharine Burdekin. Eine ziemlich simple Geschichte über das Durch das Umschreiben der HelTausendjährige Reich nach Hit- dinnenrollen in der Popkultur? lers Triumph im Zweiten Welt- Es gab bis vor Kurzem nur drei krieg. Die Juden sind ausgerot- Heldinnenmodelle: das Schätztet, die Frauen zu Gebärma- chen, die Trophäe und die starke schinen versklavt. Man liest es Frau. Mir wird zum Beispiel derund denkt: Na ja, billige Story. zeit die Rolle der starken Frau Aber nein, nein, nein! Das Buch zugeschrieben. erschien 1937 und Burdekin war eine der Ersten, die sich kon- Sie sind nicht stark? kret vorstellte, wie schreck- Absolut nicht. Ich bin ein senlich schief das alles gehen wird. sibler Mensch, arbeite hart, Feministische Science-Fiction liebe das Nachdenken und bin ist sehr vorausschauend und manchmal mutig – aber stark auch immer politisch. Wer daran bin ich nicht. Mit starken Frauen glaubt, dass das Geschlecht nur sind immer Frauen gemeint, die ein gesellschaftliches Konstrukt Widrigkeiten stoisch ertragen, ist, schreibt über eine andere aber das Patriarchat nicht herZukunft als jemand der glaubt, ausfordern. Ich bin nicht stark. wir hätten mit der heutigen Welt Ich bin wütend. die höchste Entwicklungsstufe erreicht. Können Sie das erklären? Männer sagen oft zu mir: »Ich liebe Frauen. Ich liebe meine Warum ist das wichtig? Es ist doch komisch, wie sich Mutter, sie war eine starke Frau.« Ende der Dreißiger-, Anfang der Was die Männer damit mei-

nen: »Meine Mutter hat sich nie über ihre Situation beklagt, sie konnte nicht, das Risiko war zu groß.« Da denke ich mir: Wow, Jungs, ihr habt überhaupt nicht begriffen, worum es bei der Emanzipation geht.

Überleben ist mehr als nur die Bewältigung des Lebens, sagen Sie. Wie meinen Sie das? So viele Menschen engagieren sich. Aber sie messen der Selbstsorge zu wenig Bedeutung zu und kümmern sich nicht um­ einander. Überleben ist der erste Schritt, das haben viele Aktivisten vergessen. Aber das ist der Grund, warum die Queer-Bewegung so viele Siege errungen hat, trotz all der Scheiße, in die sie geworfen wurde, inklusive Aids. Sie war verbunden durch das Bewusstsein, dass kollektives Überleben nicht ein Nebenprojekt ist, sondern das Projekt an und für sich. Ich halte dieses Bewusstsein für wichtig. Aufeinander achtgeben ist ein wichtiger Akt der politischen Wohlfahrt. Was ändert das? Wir überwinden damit das System noch nicht, aber wir schaffen die Voraussetzungen dafür. Wir wissen längst, dass es kein schönes Leben im falschen gibt, nicht einmal in der Schweiz. Ich komme aus London, wo Wohlstand unglaublich ungleich verteilt ist. Wer kann, entscheidet sich gegen ein aktivistisches Leben, gründet eine hübsche Familie und pflegt einen eigenen kleinen Garten. Aber damit gehen die Angst und der Schmerz nicht weg. Jene, die keine Wahl haben, bleiben alleine zurück. Eine Freundin hat gerade ein Kind bekommen, und sie ist arbeitslos. Sie sagte zu mir: »Ich werde immer arm sein, und mein Sohn wird immer arm sein. Und ich weiß ganz genau, dass das stimmt.« Das macht mich fertig!

Was kann der Einzelne tun? Ich lebe in einer Gemeinschaft von zwölf Menschen, es ist eine Gemeinschaft für arme Leute. Dieser Ort entstand aus Notwendigkeit, es war kein politisches Projekt. Wir haben einen lebenswerten Platz gebraucht, wo wir Spaß haben und uns austauschen konnten. Daraus entstand ein Ort der Achtsamkeit. Wir betreuen immer wieder junge Menschen in Not bei uns, die von überall herkommen. Für sie halten wir einen Raum frei, in dem sie für ein paar Wochen bleiben können, um wieder auf die Beine zu kommen. Das ist wundervoll und für mich ein Weg, wie man Politik machen sollte. Sich Raum schaffen, Ideen austauschen und eine gemeinsame Sprache finden ist das, was ich aus der OccupyBewegung mitgenommen habe. Linke, fortschrittliche Menschen, neigen aber dazu, sich wegen kleiner Unterschiede zu bekämpfen. Es gibt tatsächlich diese Tendenz, jemanden nicht zu unterstützen oder nicht in seinem Namen sprechen lassen zu wollen, weil er die falschen Schuhe trägt oder den falschen Haarschnitt hat. Es gibt immer noch Leute, die denken: Oh, ich kann nicht Feministin sein, weil ich gerne Nagellack trage! Ich glaube, so sollte Feminismus nicht sein.


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Sie kommen nicht aus der Unterschicht, haben in Oxford studiert, sind erfolgreich. Maßen Sie sich als privilegierter Mensch an, im Namen der Armen und Unterdrückten zu sprechen? Darf ich mal für eine Sekunde super arrogant sein? Was ich wirklich gut kann, ist schreiben. Das ist mein Instrument. Wenn ich nicht über Feminismus schreiben würde, würde ich über ein anderes Thema schreiben, und auch da würde ich dafür sorgen wollen, dass meine Geschichten möglichst viele Menschen erreichen. Man wählt seine wirkungsvollsten Waffen. Aber was ist mit den Menschen, die Ihre Waffe nicht haben, die nicht die Möglichkeit haben, ihre eigene Geschichte zu schreiben? Genau dafür ist Journalismus doch da: Im Gespräch mit Menschen zu sein, die dieses Instrument oder diese Plattform nicht haben. Wer politische Geschichten schreibt, muss natürlich aufpassen, nicht anmaßend zu sein, nicht Geschichten von anderen zu seinen eigenen zu machen. Man sollte das Risiko eingehen, Fehler zu machen. Zurück zu den Menschen ohne Ihre Waffe. Gibt es sie denn wirklich noch? Es gibt heute so unendlich viele Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, die es vor wenigen Jahren noch nicht gegeben hat. Selbst wer kein Dach über dem Kopf hat, kann einen Blog starten und ist potenziell mit Millionen Smartphone-Usern verbunden. Bis vor Kurzem ging es in England nur so, wenn man etwas zu sagen haben wollte: Man studierte in Oxford oder Cambridge, knüpfte Kontakte, wurde zuerst Journalist und dann Kommentator, dem ein öffentliches Urteil erlaubt ist. Das ist vorbei. Jeder Videoblog oder Podcast von jeder und

jedem kann morgen einschla- heit ist doch: Du wirst nie genug gen. Zeug haben, um das Loch zu füllen. Egal ob in deiner KarriDas heißt: Alle haben das Werk- ere oder deiner Idee von romanzeug, ihre eigene Geschichte zu tischer Liebe, es wird nie genug sein, weil nicht vorgesehen ist, schreiben? Ja, jeder, der ein Smartphone dass es je genug ist. Selbst wenn hat, hat das Werkzeug dazu. Ich du erkannt hast, dass es größere kenne Leute, die buchstäblich und wichtigere Dinge gibt, als nichts haben außer einer Mat- noch mehr Kleider zu kaufen, ratze in einer Abstellkammer – romantische Liebe oder Schönund einem Laptop. Viele Leute heit, kannst du diesem Sog nach verstehen nicht, wie viel Macht noch mehr kaum entkommen. Das ist sehr beängstigend. sie damit haben.

Die Menschen glauben doch einfach nicht mehr daran, etwas verändern zu können. Jede und jeder wird entmutigt. Das ist das große, verheerende Märchen, mit dem unsere Generation aufgewachsen ist: Der Kapitalismus ist ein Naturgesetz, es gibt keine Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern. Wenn du scheiterst, musst du dich ändern. Wenn du arbeitslos bist oder depressiv, ist das deine Schuld. In Großbritannien haben wir massive Probleme mit Arbeitslosigkeit und noch viel größere Probleme mit den Working Poor, die zwar arbeiten, aber nicht genug verdienen, um davon zu leben. Jetzt werden sie in den Jobcentern von Psychologen betreut – als ob ihre Not ein psychologisches Problem wäre und nicht eine Frage des Systems. Dass die Menschen dies zu glauben begonnen haben, ist eines der ganz großen Probleme. Kann ihr neues Buch dieses Denken aus den Köpfen zu bringen? Die Botschaft des Buches ist: Es liegt nicht an dir! Egal, ob du glücklich oder frustriert bist. Es geht um kollektives Handeln. Zu realisieren, dass es nicht deine Schuld ist, dass die Welt am Arsch ist, ist sehr befreiend. Andererseits ist mir bei meinem letzten Besuch hier aufgefallen, dass Einkaufen eine Haupttätigkeit zu sein scheint. Die Wahr-

Am Ende Ihres Buches schreiben Sie, dass wir unsere Geschichte nicht nur selber schreiben müssen, sondern auch, dass wir Ge­schichten umschreiben müssen. Wie meinen Sie das? Ebenso wichtig wie das Schreiben neuer Geschichten ist das

Umschreiben all dieser alten Geschichten über Liebe, Ge-­ mein­ schaft und Macht. Ich werde oft gefragt, ob das ein neuer Feminismus sei, den ich vertrete. Nein, ist es nicht, es sind die gleichen Fragen, vielleicht in einer anderen Sprache formuliert als derjenigen von Simone de Beauvoir. Es gibt viele neue Fragen, Probleme äußern sich auf neue Weise, aber die alten Probleme sind immer noch nicht gelöst. Das ist die Herausforderung für den Feminismus, überhaupt für linke Anliegen: zu versuchen, die gleichen Dinge zu sagen, wie sie immer schon gesagt worden sind, aber auf eine neue und spannende Art, die auch verstanden wird. Interview: Miriam Walther Kohn und Christof Moser Anzeige

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Seelisch und geistig behinderte Menschen finden in unseren Heimbereichen vielfältige Wohn- und Lebensperspektiven.

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Unsere Oktober-Tipps

Ausstellung Gegen Rechts

Verschiedenes Fußballfieber Die »Matinee im Foyer« widmet sich diesmal einer sportlichen Herzensangelegenheit, die Wochenende für Wochenende Tausende Fans in ganz Deutschland in die Stadien zieht. Analog der Philosophie »Fußball ist unser Leben« diskutieren der frühere Fußballer Dieter Schatzschneider (OSV Hannover, Hannover 96 und Hamburger SV), Sportwissenschaftlerin Francis­ka Wölki-Schumacher und Regionspräsident Hauke Jagau, bekennender 96-Anhänger, die Frage: »Wie passen Verein und Fans zusammen?«

11.10., 11 Uhr, Haus der Region, Hildesheimer Straße 18, Hanno­ver. Eintritt: 3 Euro, Getränke frei. Kartenreservierung unter 0511 – 61 62 22 08 oder per E-Mail an presse@region-hannover.de.

Paper Girls Zum vierten Mal in Folge haben die Paper Girls in diesem Jahr wieder Kunstwerke für ihre Mitmach-Aktion gesammelt. Diese werden am Freitagabend und Samstagvormittag in einer Ausstellung gezeigt, bevor es dann gegen 15 Uhr ans Verteilen der Exponate geht. Hierfür laden die Organisatorinnen des StreetartProjektes alle Interessierten zu einer gemeinsamen Fahradtour

Die Wanderausstellung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes vermittelt anhand praktischer Beispiele, mit welchen Mitteln und Strategien Rechtsextreme heutzutage versuchen, junge Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Zugleich zeigt sie auf, wie man sich gegen diese Anwerbeversuche konkret schützen kann. Ergänzend dazu liest die Journalistin Claudia Hempel am 6. Oktober ab 19 Uhr aus ihrem Buch »Wenn Kinder rechtsextrem werden. Mütter erzählen«. Am 8. Oktober hält der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger – ebenfalls ab 19 Uhr – einen Vortrag über »Faschistische Ästhetik in der populären Kultur«.

Bis 16.10., Di. und Mi. 10 –17 Uhr, Do. 10 –19 Uhr, Fr. 10 –14 Uhr, So. 11–17 Uhr, Gedenkstätte Ahlem, Heisterbergallee 10, ­Hannover. Eintritt frei. Kostenlose Führungen für Schulklassen ab Jahrgangsstufe 8 und Gruppen, Anmeldung per E-Mail an gedenkstaette@ region-hannover.de oder telefonisch unter 0511 – 61 62 37 45.

durch die Innenstadt ein. PaperGirl-Teams gibt es inzwischen in vielen Städten weltweit, die Idee dazu kommt von der Berliner Künstlerin Aisha Ronninger.

Kreativmarkt

Auf der Messe »Deine eigenArt« präsentieren mehr als 50 Aussteller und Ausstellerinnen aus ganz Deutschland ihre KreativUnikate. Diese reichen von aus16.10., 19 Uhr, und 17.10., gefallenen Mode-Accessoires 10 Uhr Fahrradcafé Hannover, und selbstgefertigtem Schmuck Asternstraße 2, Hannover. Eintritt frei. über Fotokunst und originelle Basteleien bis hin zu UpcyclingSchmuckbörse Produkten und handgemachtem Stöbern und dabei Gutes tun: Kinderspielzeug. Auf der Schmuckbörse finden 25.10., 11 bis 18 Uhr. Pavillon, Besucher und Besucherinnen ­L ister Meile 4, Hannover. auch in diesem Jahr wieder eine Eintritt: frei. große Auswahl an gespendeten Schmuckstücken – von Silber und Gold über Bernstein und Halbedelsteine bis hin zu Modeschmuck dürfte für jeden etwas dabei sein. Die Erlöse gehen wie immer an die Projekte Figurentheater des Diakonischen Werks für Kin- Für Kinder ab fünf Jahren aufder in Not. wärts zeigt das Figurentheater Winter am Freitagvormittag 31.10., 10 bis 15 Uhr, Haus der ­Diakonie, Burgstraße 10, Hannover. »Der kleine Hobbit«. Im KinderEintritt frei buchklassiker von J. R. R. Tol-

Kinder

kien (»Der Herr der Ringe«) verlässt der junge Hobbit Bilbo Beutlin seine beschauliche Heimat Auenland, um gemeinsam mit 13 Zwergen und dem Zauberer Gandalf einen geraubten Schatz zurückzuerobern. Auf ihrer Reise treffen sie Trolle, Elben und andere abenteuerliche Gestalten. Außerdem findet Bilbo auf dieser Reise einen außergewöhnlichen Ring …

23.10., 9.30 Uhr, Theatrio, ­ Großer Kolonnenweg 5, 30163 Hannover. Eintritt: 6 Euro, mit Hannover-Aktiv-Pass Eintritt frei.

Musik Mother’s Finest Die US-amerikanische FunkRock-Legende um Sänger-Ehepaar Joyce »Baby Jean« Kennedy und Glen »Doc« Murdock gas-


Unsere Oktober-Tipps Asphalt 10/2015 17 Anzeige

Am Lindener Berge 38 30449 Hannover Telefon 45 44 55 www.jazz-club.de rechtsradikalen Gruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) ermordeten Blumen­ händ­ ler Enver Simsek auf. Der in der Türkei geborene Vater von zwei Kindern war das erste bekannte Opfer der Mordserie an mindestens neun Menschen mit Migrationshintergrund in ganz Deutschland. Das Stück beruht auf dem gleichnamigen Buch von Simseks Tocher Semiya.

12.10., 20 Uhr, Theater Hameln, tiert mit ihrer brandneuen Studiorille »Goody 2 Shoes & The Filthy Beast« in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Liebhaber dürfen sich aber auch auf jede Menge Klassiker wie »Mickey’s Monkey« und »Baby Love« freuen.

lische Programm. Samstag um 16 Uhr findet ein Sonder-Konzert für Kinder und Familien statt. Bei der Frühstücksmatinée am Sonntag sind Buffet und Getränke inklusive.

27.10., 20 Uhr, Pavillon, ­L ister

Trillke Gut, Steinbergstraße 42, Hildesheim. Eintritt: Erwachsene 45 Euro, ermäßigt 33 Euro, Kinder bis 12 Jahre und Asylbewerber 12 Euro. Einzeltickets 12 bis 20 Euro für Erwachsene, ermäßigt 9 bis 15 Euro, Kinder und Asyl­ bewerber 4 bis 6 Euro. Kinder unter 6 Jahre abends Eintritt frei.

Meile 4, Hannover. Eintritt: Erwachsene 31,80 Euro VVK/ 34 Euro AK, ermäßigt 28 Euro, mit Hannover-Aktiv-Pass (nur bei Ticketerwerb vor Ort) 15,90 Euro VVK/17 Euro AK.

Folk’n’Fusion Zum elften Mal treten am letzten Wochenende des Oktobers rund fünfzehn internationale, nationale und regionale Acts auf dem Weltmusik-Festival des Wohn- und Kulturprojektes Trillke Gut auf. Tanzworkshops – finnischer Tango und Popping Streetdance – und Klanginstallationen bereichern das musika-

30.10. (ab 19 Uhr), 31.10. (ab 12 Uhr), 1.11. (11 bis 14 Uhr),

Theater Schmerzliche Heimat Das Westfälische Landesthea­ ter Castrop-Rauxel führt mit »Schmerzliche Heimat« ein Familienstück über den von der

Rathausplatz 5, 31785 Hameln. Eintritt: Erwachsene 15 bis 29 Euro, Schüler und Studenten an der Abendkasse 5 Euro (je nach Verfügbarkeit).

Literatur DDR-Satire Frei nach dem Motto »Vorwärts immer, rückwärts nimmer!« lesen die Autoren Dominik Bartels, Andre Bohnwagner und Jörg Schwedler satirische Geschichten über das Leben in der früheren DDR. Dazu gibt es ostdeutschen Pfefferminzlikör (»Pfeffi«) und philosophisch angehauchte Kalauer jenseits der üblichen Broiler-, Trabi- und Spreewaldgurken-Witze.

29.10., 20 Uhr, Warenannahme, Kulturzentrum Faust, Zur Bett­ federnfabrik 3, Hannover. Eintritt: 7 Euro (VVK), 9 Euro (AK), ermäßigt 7 Euro.

Oktober 2015 Sonnabend, 3.10. NILS WÜLKER CD-Release „UP“ 20 Euro, keine Erm. Montag, 5.10. MATTHIAS SCHRIEFL SHREEPUNK RELOADED 20 Euro, erm. 15 Euro Freitag, 9.10. Peter Fessler– Alfonso Garrido „Echo Jazz Preisträger 2014“ 15 Euro, erm. 10 Euro Sonntag, 11.10. BILL FRISELL Music for Strings 25 Euro, keine Erm. Sonnabend, 17.10. JUNIOR WATSON Jumpin’ Wit Junior 20 Euro, erm. 10 Euro Montag, 19.10. JEFF BALLARD TRIO feat. Lionel L­ oueke & Chris Cheek 20 Euro, erm. 15. Euro Sonntag, 25.10. CARMEN SOUZA & THEO PASCAL CD-Release „Epistola“ 20 euro, keine Erm. Donnerstag, 29.10. BRATSCH La dernière tournée 20 Euro, keine Erm. Sonnabend, 31.10. MARCOS VALLE Summer Samba & more 20 Euro, keine Erm.

Konzertbeginn jeweils um 20.30 Uhr, Einlass ab 19.30 Uhr


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Kultur im Fokus

Vom Cartoon bis zum Comic Fotos: L. Varga

Das Wilhelm-Busch-Museum hält viele Schätze bereit.

des kleinen Drachen Kokosnuss verfolgen und sogar auf einer Südseeinsel in den Büchern des beliebten hannoverschen Autors schmökern. Ebenfalls noch bis um 11. Oktober läuft die Ausstellung Nichts gegen Männer von Marie Marcks (1922 – 2014), die sich zwar viel mit Familie befasst, deren politische Karikaturen, gerade zum Thema Asyl, aber hochaktuell sind. Die Arbeiten der fünffachen Mutter wurden aufgrund ihrer Schärfe nicht immer gedruckt, aber: »Wenn man etwas verändern will, dann muss es vielleicht manchmal auch wehtun oder an die Nerven gehen«, sagt Museums­ direktorin Vetter-Liebenow. Im Rahmen eines Museumsfestes eröffnet dann am 18. Oktober, stilecht mit Planwagen und Lassowerfen, die neue Ausstellung Going West! Der Blick des Comics Richtung Westen. Dort wird die gesamte Welt des Wilden Westens abgebildet – über Etwa 80 Prozent des Werkes 100 Jahre Comic-Geschichte von Wilhelm Busch befinden sich im Museum, aber auch Außen frühklassizistisch, innen modern: Das Wilhelm-Busch-Museum im hanno- mit einer Vielfalt an Zeichenstilen und einem Wandel der andere bedeutende Nachlässe verschen Georgengarten mit der derzeitigen Ausstellung von Ingo Siegner. Wahrnehmung von Erobewie die von F. K. Waechter, Volker Kriegel, Ronald Searle oder Marie Marcks. Insgesamt besitzt rung und Zerstörung des indianischen Lebensraums. Fotos, Filmdas Museum eine Sammlung von rund 40.000 Karikaturen aus vier ausschnitte und ethnologische Objekte bereichern die Ausstellung. Jahrhunderten. So umfangreich die Sammlung, so abwechslungs- Für Kinder gibt es wie üblich ein umfangreiches kreatives Begleitreich sind die Ausstellungen: »Wir versuchen über das Jahr verschie- programm, für die Großen am 13. November den passenden Poetrydene Aspekte zu berühren, also eine Mischung, die auch das breite Jam: Fünf Live-Poeten bringen ihre ganz persönlichen Wild-WestFeld der Besucher abdeckt«, sagt Direktorin Gisela Vetter-Liebe- Einschätzungen auf die Bühne. Und auch da darf dann wieder mit now. Das Spektrum reicht von historischer Karikatur bis zur Kari- viel Humor gerechnet werden. katur der Gegenwart, von der Kinderbuchillustration bis zur ModeLorenz Varga zeichnung, vom Cartoon bis zum Comic. So können die kleineren Besucher noch bis zum 11. Oktober anhand von Originalzeich- Wilhelm Busch Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst nungen des Kinderbuchillustrators Ingo Siegner die Geschichten Georgengarten, 30167 Hannover, www.karikatur-museum.de

Wilhelm Busch (1821 – 1908) soll gesagt haben: »Was man ernst meint, sagt man am besten im Spaß.« Und er hielt sich daran, zumindest in seinem Werk. Wenngleich sein Humor makaber, grotesk und bösartig sein konnte. Aber vielleicht sind das die Zutaten einer guten Karikatur, schließlich bedeutet der Begriff Karikatur »überladen« oder »übertreiben«. ­Insofern ist es konsequent, dass das Karikatur- und Zeichenmuse­ um im Georgengarten Wilhelm Buschs Namen trägt. Gelegen im altehrwürdigen Wallmoden-Palais bietet es nicht nur der Kunst ein passendes Ambiente, sondern lädt auch zu Kaffee und Kuchen in den idyllischen Palaisgarten ein. Längst hat sich das Museum von seinem ­ Namenspatron emanzipiert und sich zu einem international beachteten Ausstellungsort entwickelt.


Biografisches Asphalt 10/2015 19

Wer war eigentlich … Foto: Picture-Alliance/AP Images

… Kurt Cobain? lern ab. Obgleich er andere ständig kriti»Es ist besser auszubrennen, als zu versierte, konnte er es nicht ertragen, selbst blassen.« Mit diesen Worten – einem kritisiert zu werden. Je berühmter und Songzitat von Rocklegende Neil Young – erfolgreicher der Sänger und Gitarrist endet der Abschiedsbrief, den Kurt und seine Band »Nirvana« wurden, desto Cobain der Welt am 5. April 1994 in mehr steigerten sich die schwankenden Seattle hinterließ. Vollgepumpt mit ­ Gefühlsausbrüche des Musikers, desto Heroin und Beruhigungsmitteln, seiner weiter entfernten sich in seiner inneren eigenen Schrotflinte unter dem Kinn und Gefühlswelt die beiden Pole himmeleinem verkrusteten Blutgerinnsel am hochjauchzend und zu Tode betrübt vonOhr – so fand ihn Tage nach seinem Tod einander. zufällig ein Elektriker in der Garage. Kurt Woher rührte diese innere ZerrissenCobain wurde nur 27 Jahre alt. Und zählt heit, die Kurt Cobain schließlich – auf daher, ebenso wie Jimi Hendrix, Janis dem Höhepunkt seines Schaffens – dazu Joplin, Jim Morrison und später Amy veranlasste, sich mit einer Schrotflinte Winehouse, zum tragischen »Klub 27«. in den Kopf zu schießen? Wurden die Um Kurt Cobains Tod ranken sich bis Weichen dazu bereits in seiner Kindheute zahlreiche Theorien. War es tatheit gelegt? Hatte er von Geburt an eine sächlich Selbstmord? Oder wurde er von psychische Beeinträchtigung? Oder war einem Auftragskiller ins Jenseits beförihm schlicht der kometenhafte Ruhm als dert? Und falls ja, wer steckte dahinter? Musiker zu Kopf gestiegen? Seine Ehefrau Courtney Love, ebenfalls Tatsächlich wurde Kurt Cobain bereits Musikerin und Mutter der gemeinsamen als Kind wegen einer ADHS-Störung Tochter Frances Bean? Diese Fragen werden bis heute in zahlreichen Online-Foren diskutiert. Eines aber mit Ritalin behandelt, erlebte die frühe Scheidung der Eltern als steht unzweifelhaft fest: Kurt Cobain war ein Mensch, der Zeit sei- traumatisches Ereignis und nahm schon als Teenager jede Menge nes kurzen Lebens gebrannt hat – für die Musik, die Poesie, seine Drogen. Selbstmordgedanken – so enthüllen es seine Tagebüdezidiert linken politischen Überzeugungen und die 1992 geborene cher – begleiteten ihn ebenfalls immer wieder. Doch können diese auch eine körperliche UrsaTochter, in die der blonde Frontche gehabt haben: Kurt Cobain mann von »Nirvana« abgöttisch litt seit der Kindheit unter einer vernarrt war. sehr schmerzhaften MagenerEbenso groß wie seine Leidenschaft konnte aber auch sein Hass sein. Den bekamen vor allem die- krankung, für die selbst Spezialisten keine Erklärung finden konnjenigen zu spüren, von denen sich der Songschreiber und Gitarrist ten. Laut Cobain gab es nur ein Mittel gegen die Schmerzen, das tatin irgendeiner Art und Weise hintergangen oder in seiner Privat- sächlich half: Heroin. sphäre verletzt fühlte, wie etwa der eigene Vater, die Medien oder Als Kurt Cobain am 5. April 1994 nach einem erneut erfolglosen auch die Musikindustrie. Cobains Gefühle waren dabei – wie in sei- Aufenthalt in einer Entzugsklinik starb, war »Nirvana« eine der nen Tagebucheinträgen nachzulesen – nicht nur sehr extrem, son- weltweit bekanntesten und erfolgreichsten Rockmusik-Bands der dern oft paradox. So strebte er schon in jungen Jahren äußerst ziel- 90er Jahre. Sie begründeten den Musikstil »Grunge« und gelten bis heute als Sprachrohr der »Genestrebig und ehrgeizig danach, ration X«. Ihre preisgekrönte als Berufsmusiker durchzustarHitsingle »Smells Like Teen Spiten. Zugleich missbilligte er die – Kurt Cobain, »Tagebücher«, Clara Drechsler und Harald Hellmann (Hrsg.), Kiepenheuer & Witsch (2002). rit« gehört auch über zwanzig Musikindustrie – insbesondere – N irvana, »Nevermind«, Geffen Records/Sub Pop (1991). Jahre später noch zum Standie großen Majorlabels – und die dardrepertoire jeder Rock-Disko. Musikpresse, sprach ihnen jegli- – »Cobain: Montage of Heck«, Filmdokumentation von Brett Morgen, DVD (2015). che Kompetenz im Umgang mit

Grunge, Drugs & Suizid

Kunst und insbesondere Künst-

Lisa Stegner


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Neu im Ort

Aus Flüchtlingen werden Dorfbewohner – vor 40 Jahren und heute. Antonio Oelkers (70) ist vor 44 Jahren in ein neues Leben gestartet. Der Portugiese mit dem deutschen Nachnamen, den er von seiner Frau angenommen hat, floh damals vor dem diktatorischen Regime in seinem Heimatland. Antonio Francisco Limpo aus Marinha Grande in Mittelportugal, gelernter Fahrradmechaniker, ließ sich 1971 von einer deutschen Firma anwerben und kam zusammen mit zehn Landsleuten aufs platte Land: nach Lengede-Broistedt im Kreis Peine. »Uns lockte ein fester Arbeitsplatz, es gab genug Arbeit für alle«, erinnert er sich. »Wir unterschrieben unsere Verträge und bekamen eine Unterkunft in einer Baracke, die wir Kaserne nannten.« Die Landmaschinenfabrik mit ihren damals bis zu 800 Mitarbeitern bezahlte die Hinund Rückfahrt und organisierte zweimal wöchentlich Unterricht, damit die Portugiesen die Grundbegriffe der deutschen Sprache lernen und sich am Arbeitsplatz verständigen konnten. »Ich bin damals aber auch schon mit einem kleinen Wör-

Antonio Oelkers aus Portugal kam vor 44 Jahren nach Lengede-Broistedt.

terbuch losgezogen, um selbstständig einkaufen und in deutsche Kneipen gehen zu können. Da habe ich dann auch meine spätere Frau kennen gelernt«, erzählt Antonio Oelkers. Seine Landsleute verbrachten das

Die Themenreihe:

Leben auf dem Land – Hat Dorf Zukunft? – Mobilität dank Ehrenamt – Armut auf dem Land – Jung zwischen Alten – Dörfer ohne Bauern – Alt werden im Dorf

– Fremde im Ort

Wochenende mit Grillen und Kartenspielen in der Kaserne; sie wollten Geld verdienen und keine Kontakte in Deutschland knüpfen, das sie doch nach wenigen Jahren wieder verlassen würden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts lebten im Jahr 2013 rund 16,5 Millionen Menschen mit Migrations­ h intergrund – dazu zählen alle seit 1950 Zuge­wanderten und deren Nach­kommen sowie die ausländische Bevölkerung – in Deutschland; das entspricht einem Bevölkerungs­ a nteil von 20,5 Prozent. Mehr als die Hälfte, nämlich 9,7 Millionen, haben einen deutschen Pass. Heute fliehen Tausende von Menschen massenhaft aus Kriegsgebieten im Nahen Osten oder versuchen ihrer elenden Lage in den Balkanstaaten zu entkommen. Hinzu kommen junge Leute aus dem krisengeschüttelten Südeuropa, die sich in Deutschland eine Zukunft aufbauen wollen. Während in den Städten Container aufgestellt und Turnhallen für die Flüchtlinge geöffnet werden, sind auf dem Land fremde Gesichter seltener zu sehen. Die Verteilung auf die Ortschaften übernimmt die Kommune, die die Menschen zugewiesen bekommen hat. »Das ist auch sinnvoll, weil nur vor Ort bekannt ist, ob es Busverbindungen zum Rathaus, zur Schule, zum Einkaufen und zum Arzt gibt«, erklärt Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Niedersachsen.

Doch auch in vom Nahverkehr abgehängten Dörfern gebe es bemerkenswerte Modelle, um den Neulingen, die oft viele Kinder, aber kein Auto haben, zu helfen, beispielsweise Fahrdienste. »Zwar gibt es statistisch in den Dörfern weniger ehrenamtliches Engagement, aber insgesamt bin ich begeistert über die Hilfsbereitschaft der Menschen«, sagt Kai Weber. »Der Integrationswille auf dem Land ist groß, und mehr Wohnraum steht ebenfalls zur Verfügung.« In der ländlich geprägten Gemeinde Uetze mit ihren neun Dörfern leben derzeit 150 Flüchtlinge, die meisten allerdings in der Kerngemeinde. Drei Familien sind in Dollbergen untergekommen, wo es einen Bahnhof gibt. Sebastian Hinz vom Team Sozial­ leistungen beobachtet ein großes, wenn auch nicht immer von einem Verein oder einer Initiative getragenes ehrenamtliches Engagement: »Ich bin ganz begeistert, wie die Leute aufgenommen werden«, sagt er. »Nachbarn und Vermieter beraten über Verkehrsanbindungen und helfen bei Behördengängen oder begleiten ihre Schützlinge ins Rathaus.« Das Manko des Lebens auf dem Lande allerdings bleibt: Fachärzte und Dolmetscher seien dünner gesät, und Sprachkurse schwierig zu erreichen. Dafür lasse die Bebauung im ländlichen Raum eine dezentrale Unterbringung zu, und das begünstige den direkten Kontakt zu den Nachbarn und die Integration: »Für die Familien, die meist großes Leid erfahren haben, ist es tröstlich, von Normalität umgeben zu sein und nicht von Menschen, die ebenso traumatisiert sind wie sie selbst«, stellt Sebastian Hinz fest. »Statt mit anderen Flüchtlingen aufeinanderzuhocken, knüpfen sie zwangsläufig Kontakte mit Einheimischen, und davon profitieren beide Seiten.« An die erste Kontaktaufnahme eines deutschen Kollegen erinnert sich Antonio Oelkers noch genau: »14 Tage nach meiner Ankunft in Deutschland hat er mich zum


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Fotos: S. Szameitat

zerstört und in ihr Ferienhaus Soldaten eingezogen waren, hatte sich die Familie auf die Flucht über das Mittelmeer begeben. Die Städterin Manal, die in Damaskus ein Gymnasium geleitet hat, weiß noch nicht so recht, ob sie sich auf dem Lande wohlfühlen soll: »Auf der Straße werde ich manchmal feindselig angeblickt. In Hannover wären mehrere Frauen so gekleidet wie ich«, sagt sie. »Außerdem gibt es da einfacher die Zutaten für die arabische Küche zu kaufen.« Manal Shtiwie ist froh, dass von der Kirchengemeinde zweimal wöchentlich ein Deutschkurs angeboten wird. »Um mit den Menschen hier in Kontakt zu kommen, muss ich die Sprache lernen«, sagt sie. »Ich kann meine Kleinen mitnehmen, wir haben in unserer Familie immer viel Wert auf Bildung gelegt.«

Manal Shtiwie aus Syrien lebt seit fünf Monaten mit ihren Kindern in Uetze.

Mittagessen nach Hause eingeladen, und wir haben uns auf Französisch unterhalten.« Doch das war damals die Ausnahme. An Integration hätten die wenigsten Deutschen und Gastarbeiter damals gedacht. »Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen«, hat der Schriftsteller Max Frisch die Situation der Gastarbeiter damals umschrieben. Und wenn bei Antonio ­Oelkers nicht die Liebe dazwischengekommen wäre – vielleicht wäre er dann wie die meisten seiner Kollegen zurückgekehrt.

Seine Frau Dorothea (58) erinnert sich: »Wir sind zwar nicht angefeindet worden, aber in die Dorfgemeinschaft kam man nur schwer hinein«. Zum Glück war Antonio Fußballfan und betreute jahrelang die Woltwiescher Kindermannschaft. Manal Shtiwie aus Syrien lebt seit fünf Monaten in Uetze, zusammen mit ihren vier Kindern zwischen 14 Jahren und neun Monaten. Ihr Mann steckt noch in der Türkei fest. Nachdem das Haus der Familie

Auf dem Land gebe es zwar Leerstände, doch kinderreiche Familien ohne Auto könnten dort eher nicht unterkommen, meint Alexander Handschuh. Er ist Referats­ leiter für Finanzbeziehungen Bund, Länder und Gemeinden beim Deutschen Städteund Gemeindebund. »Ein Dorf, wo kein Bus hält, kommt da sicher nicht in Frage.« Flüchtlinge bräuchten eine langfristige Bleibe. »Die Kommunen stehen unter großem Druck, und wenn der Flüchtlingsstrom anhält, müssen Gebäude neu errichtet werden«, fordert er. »Wir mahnen den Neubau von Wohnquartieren an und fordern ein Bauprogramm. Die Kommunen benötigen Bundesmittel und Förderung, damit sie ihrer Aufgabe gerecht werden können.« Sabine Szameitat

Impressum

Herausgeber: Prof. Dr. Heiko Geiling, Hanna Legatis, Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe

Fotografin: Karin Powser

Geschäftsführer: Reent Stade

Druckauflage: ø 27.000

Anzeigen: Heike Meyer

Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 17.9.2015

Verwaltung: Janne Birnstiel (Assistentin der Geschäftsführung), Heike Meyer Archiv: Dr. Waltraud Lübbe

Redaktion: Volker Macke (Leitung, V.i.S.d.P.), Jeanette Kießling, Renate Schwarzbauer

Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Christian Ahring (Sozialarbeiter)

Freie MitarbeiterInnen Oktober: ­C. Eickhoff-Clouvi, M. Eick­horst, Greser&Lenz, Ch. Moser, K. Powser, G. Schild, L. Stegner, S. Szameitat, L. Varga, M. Walther Kohn

Asphalt Vertrieb & Verlag gGmbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Fax 0511 – 30 12 69-15

Asphalt erscheint monatlich.

Online: www.asphalt-magazin.de redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de

Für un­auf­gefor­dert ­ein­ge­sandte Manu­­­skripte, ­Bilder und Bücher über­nehmen wir keine Gewähr. ­Rück­sendung nur, wenn Porto beigelegt wurde.

Redaktion Celle: Ulrich Rennpferdt

Gesellschafter:

Redaktion Nord-West: Mark Brockmann Herstellung: eindruck, Hannover Druck: v. Stern’sche Druckerei, ­Lüneburg

H.I.o.B. e.V. Hannoversche Initiative obdachloser Bürger


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Auszeit vom Kirchenalltag

Im Kloster Barsinghausen gibt es sechs Wochen Ruhe und Besinnung für erschöpfte PastorInnen und kirchliche Mitarbeiter. Hinter der schweren Eingangstür des Klosters mahnt ein Schild mit netten Worten zur Stille. Überflüssig, denkt man im ersten Moment, denn die Alltagsgeräusche und der Trubel des angrenzenden Stadtzentrums verstummen, sobald sich die Falle des Tores in die Zarge geschoben hat. Samtene Ruhe umhüllt den Gast, bereitet auf die kommende Auszeit vor, dauere sie nur Stunden oder gleich mehrere Wochen.

Fotos: C. Eickhoff-Klouvi

In das Kloster Barsinghausen, ein evangelisches Frauenstift der Klosterkammer Hannover, können sich PastorInnen und kirchliche Mitarbeiter vorbeugend aus dem Alltag zurückziehen und Kraft tanken, bevor sie völlig erschöpft und ausgebrannt sind. »inspiratio« heißt die Einrichtung, die hinter den Klostermauern seit Jahresbeginn professionelle Auszeiten von sechs Wochen Dauer anbietet.

für ihre hauptamtlichen Kirchenmitarbeiter, deren beruflicher Alltag sich heute ebenso verdichtet hat wie der vieler anderer Berufsgruppen. Meike Kohzer, zuständig für psychologische Begleitung während des Aufenthalts, ist erstmals im Dienst der Kirche tätig und arbeitet sehr gerne mit den engagierten, bewussten Teilnehmern: »Wir sind keine Klinik und bieten in dem Sinn keine medizinische Behandlung an«, erklärt die DiplomPsychologin den Unterschied zu einer klassischen Kur. Zu »inspiratio« kämen Menschen, die noch gut für sich Verantwortung übernehmen könnten, aber bereits starken Druck aufgrund beruflicher Belastung, Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche privater oder spiritueller Krisen spürten. Hannovers, die Evangelische Kirche von Besonders der spirituelle Austausch und Hessen und Nassau und die Evangelische das Verständnis für Glaubensfragen innerKirche von Westfalen sind Träger von »inspi- halb der Einrichtung habe für die Kursteilratio« und leisten hier Gesundheitsfürsorge nehmer einen hohen Wert. In allgemeinen

Die meisten Räume des fast tausend Jahre alten Klosters werden noch von Schwestern der Evangelischen Kommunität genutzt, nur das Dachgeschoss im Südflügel ist für Gäste der Einrichtung »inspiratio« reserviert. In schlicht, aber modern eingerichteten ZweiZimmer-Appartements finden die Kursteilnehmer während ihrer sechs Wochen hier einen Rückzugsort. »Unsere Einrichtung ist erst die zweite deutschlandweit, die speziell auf kirchliche Mitarbeiter ausgerichtet ist«, erzählt Leiter Guido Depenbrock. Vergleichbar sei nur das Haus »Respiratio« auf dem Schwanberg in Bayern, es existiert seit zwanzig Jahren.

Innere Einkehr im Kloster Barsingh usean: Bevor sie völliggebr usa annt sind, finden PastorInnen heir Zeit f ür sich.


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Kliniken würden PastorInnen von anderen Gästen oftmals als Stellvertreter der gesamten Kirche betrachtet und in Rollen gedrängt. Dabei seien auch sie manchmal einfach nur erholungsbedürftig und wollten während ihres Aufenthalts in einer Genesungseinrichtung weder seelsorgerisch tätig sein, noch dort missionieren.

Bevor Meike Kohzer die laufende therapeutische Begleitung im Kloster aufnehmen kann, wertet Prof. Wielant Machleidt, Psychotherapeut und -analytiker, die zwingend vor der Aufnahme stattfindenden Vorgespräche aus. »Das Angebot von ›inspiratio‹ ist nicht für jeden das Richtige«, erläutert Meike Kohzer. »Der eigene Wille zur Veränderung an drängenden Fragen muss da sein. Wenn körperliche oder psychische Probleme bereits zu groß sind, ist eher eine medizinische Einrichtung gefragt.« Ruhe, Gleichgesinnte und sanfte Anregung finden die Gäste hier in ausreichendem Maß. Ihr Wochenrhythmus in kleinen Gruppen bis zu neun Personen folgt während der Zeit im Kloster einem festen Plan: täglich drei Gebete und drei Mahlzeiten, wöchentlich drei Einzel- und drei Gruppengespräche. Dazu kommen Stunden für sich selbst, zum Verarbeiten der neuen Impulse oder einfach zum Innehalten.

Pastor Guido Depenbrock und Psychologin Meike Kohzer betreuen kirchliche Mitarbeiter, die im Haus

»inspiratio« Abstand vom Arbeitsalltag suchen.

Die Impulse in der Einheit »Sport und Entspannung« etwa sind kleine Tricks für den Alltag: bessere Haltung, richtiges Ausführen von Bewegungen, Bewegung gezielt einsetzen – Kleinigkeiten, die jeder kennt und die doch immer wieder vernachlässigt werden. Richtig begeistert seien die Teilnehmer von der Einheit »Gestaltung«, in der sie mit ihren Händen Nützliches oder Kreatives erschaffen können. Im Klostergarten ist die Mithilfe von allen Gästen des Klosters erwünscht, eine Stunde körperlicher Einsatz pro Woche steht im Wochenplan der Kursteilnehmer. Bei der Zubereitung der Mahlzeiten im Haus »inspiratio« wird ebenfalls Einsatz gefordert: »Sich bewusst eine gute Mahlzeit zuzubereiten ist einer von den vielen kleinen Schritten, die unseren Gästen helfen, sich wieder mehr auf sich selbst zu besinnen«, sagt Guido Depenbrock. Zwischen Angehörigengespräch und Konfirmanden­ gruppe nur rasch einen Snack zu essen würde schnell zur schlechten Gewohnheit, eigene Bedürfnisse gerieten in den Hintergrund und müssten wieder neu entdeckt werden. Bei einem Gemeindemanager sei das gar nicht anders als beim Manager eines Unternehmens. Auch private Gäste aus anderen Bereichen haben die Möglichkeit, sich bei den Schwestern in Barsinghausen ein paar Tage der inneren Einkehr zu gönnen. Für die kirchlichen Mitarbeiter ist der Aufenthalt im Haus »inspiratio« keine Kur und kein Urlaub, sondern eine professionelle Auszeit: Die Termine erscheinen im Fortbildungskalender der Kirche als Angebot. Ob die Teilnehmer

danach gleich wieder voll in den Beruf einsteigen, kleine Veränderungen planen oder auch einen großen Schnitt, ist einzig deren persönliches Fazit. Carmen Eickhoff-Klouvi inspiratio im Kloster Barsinghausen Bergamtstrasse 8, 30890 Barsinghausen Leitung: Pastor Guido Depenbrock Sekretariat: Kerstin Beermann Telefon: 05105 – 80 96 53-0 info@inspiratio-barsinghausen.de, www.inspiratio-barsinghausen.de Infos über das Kloster Barsinghausen: www.hannover.de

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»inspiratio«-Leiter Guido Depenbrock ist selbst Pastor, er predigte früher in der zum Kloster gehörenden Kirche und betreute die Mariengemeinde, in deren geographischer Mitte die romanische Kirche und das Kloster mit den dicken Sandsteinmauern liegen. Er ist für die geistliche Betreuung und Beratung der Teilnehmer zuständig und hält gelegentlich Abendandachten. Die Strukturen und Prozesse der Kirche kennt er aus eigener Erfahrung. Ebenso die Anforderungen an Gemeindepastoren, die den in weiten Teilen schwer zu strukturierenden Tagesablauf auch mit ihrem Privatleben verbinden möchten. Dass Kirchenpersonal an persönliche Grenzen gelangt und sich zwischendurch erholen muss, sähen die Heimatgemeinden nicht skeptisch, hat Pastor Depenbrock beobachtet. Im Gegenteil: »Ein Seelsorger, der seine eigene Grenze erkannt hat, wird ein noch besserer Seelsorger, weil er selbst Krisensituationen durchlebt hat und sich besser einfühlen kann«.


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Aus der Szene

Das muss mal gesagt werden Hilfe brauchen? Schämen sollten sich die, die heute eine große Klappe haben und vor gar nicht langer Zeit selber Hilfe bekamen. Wie erbärmlich sind doch solche Menschen, wie hartherzig, dass sie noch nicht einmal eine einzige Sekunde darüber nachdenken, wie dankbar sie sein müssen, hier leben zu können, ja sogar ihre große Klappe können sie ungestraft aufreißen. Und ich meine nicht nur die »Rechten«, denn wie die ticken, ist hinlänglich bekannt. Wenn ich zaubern könnte, dann würde ich sie alle dahin verhexen, wo die Asylsuchenden her kommen.

Ich zähle zu der »älteren Gene­­ ration«. Aus persönli­ chen Gesprächen weiß ich von vielen, vielen Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs ohne Heimat waren. »Flüchtlinge« wurden sie genannt. Geld war damals knapp, aber die meisten wurden von jemandem aufgenommen und Und noch etwas: Nicht mehr fanden ein neues Zuhause – lange und wir sind darauf angewiesen, dass Fremde in selbstverständlich. unser Land kommen, denn 25 Jahre ist es her, da fiel die inzwischen sollten selbst die deutsch-deutsche Grenze. Dümmsten wissen, dass ohne »Blü­hende Landschaften« ver- Zuwanderung in absehbasprach damals Helmut Kohl rer Zeit die Renten nicht mehr erwirtschaftet werden könden ehemaligen »DDRlern«. Alle Deutschen leben heute nen. Vielleicht zahlen wir in einem der reichsten Län- dann eine Prämie, damit überder der Erde und da sollte es haupt jemand bereit ist, in uns nicht möglich sein, den- Deutschland zu leben. jenigen zu helfen, die unsere Karin Powser Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Foto­ kamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

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Aus der Szene

Drei Jahrzehnte »Mecki«

Täglich hundert und mehr Besucher in der zentralen Anlaufstelle für Wohnungslose in Hannover. lichen Tagen kommen hier 80 bis 100 Menschen her, um ihren Tag zu beginnen. Im Winter, wenn es draußen kalt ist, können es auch schon mal 120 Besucher werden. Es sind Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten, wie es offiziell heißt. Menschen in Armut, ohne Bleibe, alleinste-

den würde. Er hat eine gute Schulbildung, hatte einen guten Job. Aber jetzt weiß Lars, es kann jeden treffen. Und er weiß, dass er hier Hilfe für alle möglichen Probleme finden kann. Gegen den Hunger gibt es Brötchen, gegen Kälte einen warmen Raum, gegen die Einsamkeit Lei-

hend und teilweise suchtkrank. Die Mehrzahl der Besucher ist zwischen 30 und 50 Jahre alt. Einer der Gäste ist Lars, 52 Jahre alt. Frühverrentet und seit einigen Monaten wohnungslos. Er lebt auf der Straße. Vorher hat er ehrenamtlich bei einer Tafel gearbeitet und hätte nicht gedacht, dass er mal hier lan-

densgenossen und für die Seele Menschen wie Achim Teuber. Der Sozialarbeiter ist fast von Anfang an dabei. »Es gibt auch einen Kaffee bei uns für 20 Cent. Allerdings ist das freiwillig«, sagt er. Ganz bewusst. Denn ein Kaffee, für den man zahlt, ist mehr wert und gut für das Selbstwertgefühl. Allerdings zahlen die

Fotos (2): M. Eickhorst

Eigentlich liegt der Kontaktladen »Mecki« sehr zentral in Hannover: direkt am Raschplatz, hinter dem Bahnhof. Dort öffnet die Einrichtung allmorgendlich (außer sonntags) ab acht Uhr ihre Türen. Fast jeder Hannoveraner ist dort schon vorbeikommen – auf dem Weg zur Lister Meile oder zum Pavillon. Oder einfach am Wochenende – wenn das Nachtleben rund um das Cinemaxx und die Osho-Disko bebt. Doch kaum jemand nimmt den Laden unter der Berliner Allee war. Und auch nicht die Klientel, die dort verkehrt. Zum Beispiel die Wohnungslosen, die auf der Straße leben. Von ihnen hört oder liest man nur, wenn etwas passiert: Zum Beispiel, wenn sie – wie unlängst geschehen – von einem Laster überrollt wurden, weil sie auf der Einfahrt zu einem Supermarkt übernachtet haben. Oder tot aufgefunden werden. In einem Wald, von dem kaum einer ahnt, dass überhaupt Menschen darin leben oder leben könnten. Der Namensgeber für den Kontaktladen »Mecki« war ebenso wohnungslos. »Mecki« war der Spitzname von Franz Mock. Er starb auf der Straße in Hannover. Sein Leben ist bezeichnend für das der Besucher, die ebenso wie er häufig ein Leben in der Unsichtbarkeit leben und auf Einrichtungen wie den Kontaktladen »Mecki« angewiesen sind. Der Träger der Einrichtung, das Diakonische Werk Hannover, will mit Angeboten wie diesen gegen die katastrophale Situation von Menschen in Armut angehen und Hilfestellung bei der Bewältigung des Alltags bieten. An durchschnitt-

wenigsten Besucher, da ihnen einfach das Geld fehlt. Und genau deshalb ist der Kontakt­ laden »Mecki« da. »Wir helfen den Menschen, die selbst nicht dazu in der Lage sind«, sagt Teuber. Dazu gehöre vor allem auch die Motivation der Besucher, überhaupt ihr Leben in die Hand zu nehmen. Der Kontaktladen »Mecki» ist ein niedrigschwelliges Angebot. Teuber und seine Mitstreiter reden mit ihren Gästen auf Augenhöhe. Sie unterstützen und helfen bei allen Alltagsproblemen. Sie beraten über Rechte und Pflichten, wenn die Besucher mit Ämtern und Behörden zu tun haben. Und wenn es sein muss, gehen sie auch mal mit. Manchmal haben sie auch einfach nur ein offenes Ohr, wenn den einen oder die andere was bedrückt. Und das ist bei Menschen in derart schwierigen Situationen sehr häufig. Selbst eine medizinische Erstversorgung ist mit im Angebot. Und die wird rege genutzt. Kein Wunder: Mangelnde Ernäh­ r ung, Kleidung und Hygienemöglichkeiten und zum Teil Suchterkrankungen lassen Menschen auf der Straße für Krankheiten besonders an­ f ällig werden. Das Gesundheitsbewusstsein ist bei diesen Personen, die jeden Tag um das Überleben kämpfen, nicht besonders hoch. Bis zu zweimal in der Woche können die Besucher im Kontaktladen »Mecki« kleinere bis größere Leiden behandeln lassen. Mal ist es das Ohr, auf dem nichts mehr gehört wird, weil es verstopft ist, das Bein, auf das jemand während eines epileptischen Anfalls gefallen ist, oder


Foto: Picture-Alliance/dpa

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Raschplatz Hannover: Viele Wohnungslose treffen sich hier und nutzen das Angebot des Kontaktladens „Mecki“.

für viele Arme eine der wenigen Möglichkeiten, sich überhaupt medizinisch beraten oder behandeln zu lassen. Und die Nachfrage steigt stetig. Montags bis samstags ist der Laden am Vormittag voll – jeweils von 8 Uhr an. Absichtlich zu einer Zeit, zu der die Geschäfte drumherum in der Regel noch nicht geöffnet haben. »Das Verhältnis zu unseren Nachbarn ist meistens gut. Viele unterstützen uns auch mit Spenden«, erzählt Achim Teuber. Er weiß, wie wichtig seine Arbeit ist. Es geht um Menschen, für die sich wenige interessieren und von deren Situation viele nichts ahnen: »Ich weiß auch nach all den Jahrzehnten, die ich hier arbeite, ganz genau, wofür ich das mache.« Was ihm Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass die Zahl der Hilfsbedürftigen steigt. Auch gerade jetzt wieder. In den vergangenen Monaten Freiwillig: 20 Cent für einen Kaffee. tauchen immer mehr Menschen rasiert. Für all diese Leiden steht aus Osteuropa im »Mecki« auf. ein eigener kleiner Behandlungsraum mit zehn Quadrat- Für Besucher Lars ist die Einmetern bereit. Allerdings läuft richtung eine feste Konstante an die Finanzierung der Kranken- jedem Morgen. Einfach um von schwester aus, und es gibt noch der Straße für einen Moment keine Lösung, wie es danach weg zu kommen. »Das Leben ist weitergehen wird. Dabei ist das echt hart da draußen. Man kann

ein Hautausschlag, der plötzlich auftrat, nachdem sich ein Besucher im Männerwohnheim rasiert hatte. Vermutlich eine Infektion, denn der Mann hatte nach der Rasur bemerkt, dass er eine Stelle übersehen hatte, und seinen Rasierer wieder aus dem Müll gefischt und weiter

sich das gar nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst mal erlebt hat«, beklagt er. Achim Teuber verdeutlicht: »Ein Jahr Straße kosten fünf Jahre Lebenszeit.« Auch wenn die Aggression unter den Gästen durch deren angespannte Situation fast immer im »Mecki« zu spüren ist, so ist der Laden doch ein Ruheraum. Ein Ort, der zumindest für zwei, drei Stunden am Tag eine gewisse Sicherheit gibt und von den Sorgen und Problemen ablenkt. Das sind zwei, drei Stunden weg von der Straße, vom Stress, vom täg-

lichen Überlebenskampf. Und die Gäste hier, die häufig keine Lobby haben und für die sich sonst in der Regel niemand interessiert, wissen das sehr wohl zu schätzen. »Da möchte ich echt von tiefstem Herzen ›Danke‹ sagen. Das ist so wichtig, dass es das alles hier gibt«, sagt Lars, bevor er wieder raus geht, in die harte Realität zurück auf die Straße, weil der Laden für heute schließt. Mark Eickhorst Kontaktladen »Mecki«, Raschplatz 8c, 30161 Hannover, Telefon: 0511 – 348 02 64 Anzeige


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Rund um Asphalt

»Tod meiner Jugend« Aus dem Leben: Asphalt-Verkäufer Thomas erzählt.

Foto: K. Powser

»Ich denke gerne zurück an meine Kindheit. Das war Bombe. Damals in Südbrandenburg, in der Niederlausitz. Dort lebte ich mit meinen drei Geschwistern und meinen Eltern. Ich hatte viele Freunde, spielte Fußball im Verein. Alles war richtig toll. Bis, ja bis ich 15 Jahre alt wurde. Da drehte sich alles. Mein Vater bekam sein Todesurteil, die Diagnose Krebs. Und ich den Job, ihn zu Hause zu pflegen. Es ging nicht anders. Meine Geschwister waren aus dem Haus und hielten sich aus der ganzen Sache raus. Meine Mutter musste arbeiten. Es gab nur noch zwei Dinge in meinem Leben: Schule und Pflege. Zwei Jahre lang ging das so. Während meine Freunde Party machten und ihre Jugend auslebten, musste ich meinem Vater dabei zuschauen, wie er richtiggehend verreckte. Unglaublich anstrengend. Das war der Tod meiner Jugend. Nachdem er dann 1985 gestorben war, wurde ich aus der Bahn geworfen. Ich konnte das alles überhaupt nicht verarbeiten und fing an zu saufen. Mit 17! Aber als ich 20 Jahre alt wurde, hörte ich damit auf. Von heute auf morgen. Bis heute bin ich überzeugter Nicht-Alkohol-Trinker. Zwei bis drei Bier im Jahr, das ist mein Limit, wenn überhaupt. Naja, ich machte nach dem Tod meines Vaters die Schule zu Ende und ging zur Marine. Von der Maueröffnung hörte ich erst eine Woche später, weil ich zu der Zeit gerade in Russland war. Dabei hatte die Wende für mich, wie für viele andere aus Ostdeutschland, dramatische Folgen. Die Marine der DDR machte ja keinen Sinn mehr und so wurde ich von heute auf morgen entlassen. Also begann ich eine Ausbildung zum Dachdecker. Doch auch der Job in diesem Bereich, danach bei einer Kohlefabrik, war nicht von langer Dauer. Der Osten kam nicht aus der Krise. Zack – wieder gekündigt, wie viele andere. Da hatte ich es satt und wollte in den Westen. Den angeblich so goldenen. 1991 war das. Eine Freundin sagte mir, dass ich bei ihr in Hannover unterkommen könnte. Also verließ ich mich darauf. Doch peng, sie war nicht mal da, als ich in Hannover aufschlug. So startete mein erster Kontakt mit dem goldenen Westen ohne Wohnung und ohne Geld. Leider. Sonst hätte ich mich gleich auf dem Hacken wieder umgedreht. Mein Gott! Ich hatte vorher noch nie einen Penner gesehen. Jetzt war

ich selbst einer. Zumindest eine Woche. Dann geriet ich eine Zeit lang in die Fänge einer Drückerkolonne für Zeitschriften. Immerhin hatte ich dadurch wieder Geld. Problem nur, dass der Chef von denen eine Spielhalle hatte. Ich fing an zu spielen. Ich habe mich dadurch komplett ruiniert. Schulden etc. Am Ende hatte ich sogar Selbstmordgedanken, weil ich überhaupt nicht mehr wusste, wie es weitergehen sollte. Diese ganze Spielsucht hatte mich sogar soweit gebracht, dass ich vier Jahre auf der Straße lebte. Dann begann ich eine Therapie. Erfolgreich. Zum Glück. Wenn ich zurück denke an diese ganze Zeit in Hannover, dann gab es immer eine Konstante: das Straßenmagazin Asphalt. Anfänglich hatte ich das Geld, das ich hier verdiente, immer gleich wieder verspielt. Aber irgendwann konnte ich mit dem Verdienst mir tatsächlich ein geregeltes Leben aufbauen. Sogar den Führerschein konnte ich dadurch machen. Asphalt ist meine Familie. Mittlerweile mache ich auch den sozialen Stadtrundgang und zeige den Menschen, wie ich lebe. Einer geregelten Arbeit kann ich leider im Moment nicht nachgehen, da ich nicht fit genug bin. Das wird sich aber wieder ändern, und dann würde ich gerne in der Lagerlogistik arbeiten. Ich habe so­ gar einen Staplerführerschein. Nur was mich echt nervt: Ich suche mittlerweile seit 2006 meine eigenen vier Wände. Derzeit lebe ich im Männerwohnheim. Ich sehne mich nach Privatsphäre, mein eigenes Reich. Auch in dieser Asphalt-Ausgabe habe ich wieder eine Wohnungssuche geschaltet. Das ist so mein Wunsch. Und mal im Lotto gewinnen. Aber ich spiele lieber gar nicht erst Lotto. Da habe ich zuviel Respekt vor der Spielsucht.« Verkäufer Thomas (47) verkauft donnerstags und freitags vor dem REWE in Bemerode/Hannover an der Bemeroder Straße und am Samstag auf dem Wochenmarkt vor dem CCL in Langenhagen (7.30 bis 13 Uhr).

Aufgezeichnet von Mark Eickhorst


Rund um Asphalt Asphalt 10/2015 29 eitag, der Fr

13 Ingo Siegner liest

Eis für den guten Zweck

Foto: F. Renz

Foto: H. Burchert

Freitag, der 13. ist für uns ein Glücks­tag. So halten wir es seit Jahren. Und damit an diesem Tag auch möglichst viele Menschen glücklich werden, organisieren wir an jedem Freitag, den 13. eine tolle Veranstaltung. Diesmal geht es am 13. November in den Ballhof Eins in Hannover. Zu sehen gibt es dort Ingo Siegner, Geschichtenerzähler und Zeichner aus Hannover. Er ist unter anderem der Erfinder vom kleinen Drachen Kokosnuss. Noch ist es ein Geheimnis, was er im November zu erzählen hat … Eintritt frei! me Freitag, 13. November 2015 Ballhof Eins, Ballhofplatz 5, 30159 Hannover Beginn: 16 Uhr, Eintritt frei, um Spenden für Asphalt wird gebeten

Neuigkeiten aus dem Zoo

Kleiner Wirbelwind

Hannover

gewinne!

Möchten Sie die Familie der Somali-Wildesel im Zoo live erleben? Dann beantworten Sie uns einfach folgende Frage: Wie heisst Megans Mutter?

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oder ein Fax mit dem Stichwort »Zoo« bis zum 31. Oktober 2015: Asphalt-Redaktion,

Hallerstraße 3 – Hofgebäude, 30161 Hannover,

gewinne@asphalt-magazin.de, Fax: 0511 – 30 12 69-15.

Die Lösung unseres letzten Zoo-Rätsels ­lautete: Seit 2010.

Foto: Zoo Hannover

Eigentlich sind Eselfohlen die ersten Tage nach der Geburt schüchtern und misstrauisch, bleiben hinter den Kulissen dicht bei ihren Müttern, machen zaghafte Gehversuche und müssen viel schlafen ... Aber nicht die kleine Megan! Die im August geborene Tochter von Somali-Wildeselin Gasira sprintete schon nach drei Tagen auf ihren dünnen Beinchen durch die Wüstenanlage und hält seitdem alle in Atem. Frech, neugierig und draufgängerisch erobert sie ihre Welt und spielt am liebsten Fangen mit dem Nachwuchs der AddaxAntilopen. Von den Tierpflegern wird Megan behütet wie ein wertvoller Schatz – genau das ist sie auch: Somali-Wildesel sind vom Aussterben bedroht. In freier Wildbahn leben nur noch rund 2.000 Tiere.

Der Handelskonzern REWE wollte Mitte September die längste Eis essende Menschenkette am Maschsee in Hannover für den guten Zweck zusammen bringen. Ziel dabei: Rekord knacken mit mehr als dreitausend Teilnehmern. Für jeden von ihnen wollte REWE einen Euro zu Gunsten sozialer Institutionen spenden – darunter auch an Asphalt. Am Ende kamen allerdings nur 765 Leute. Rekord verfehlt. Trotzdem eine tolle Idee: Die Supermarktkette tat am Ende einfach so, als wäre das Ziel erreicht worden. Spendensumme also trotzdem insgesamt: 3.000 Euro. Wir sagen: Coole Aktion! me


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Danke für Ihr Engagement

Ja, ich unterstütze das Asphalt-Projekt! Ich übernehme ­eine Patenschaft für das Straßenmagazin, indem ich es mit dieser Summe fördere:

Euro

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Dieser Betrag soll zur Deckung der laufenden Kosten und zum weiteren Ausbau des Projektes ­verwendet werden. [  ] Ich bitte Sie, den Betrag von meinem Konto abzubuchen*: IBAN: BIC: [  ] Ich überweise den Betrag regelmäßig auf Ihr unten genanntes Konto. [  ] Bitte Spendenquittung zustellen Name/Vorname:

Herzlich willkommen!

An jedem letzten Dienstag im Monat trifft sich die Runde der Ehren­­amtlichen in den Asphalt-Redaktionsräumen. Da werden Veranstal­tungen organisiert, Info-Stände geplant und Ideen gesammelt, um die Arbeit von Asphalt engagiert zu unterstützen.

E-Mail (falls vorh.):

Besonders für unsere Asphalt-Verkäufe­rin­nen und -Verkäufer ist es wichtig zu spüren, dass viele Menschen hinter ihnen stehen – und ich freue mich, wenn Sie sich dieser lebendigen Runde anschließen möchten!

Ort, Datum/Unterschrift:

Das nächste Treffen ist am

Straße/Hausnr.: PLZ/Ort:

Einfach per Post oder Fax an: Redaktion Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Fax: 0511  –  30 12 69-15

Dienstag, den 27. Oktober, um 17 Uhr.

Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE35520604100000602230 BIC: GENODEF1EK1 Gläubiger-ID: DE32ZZZ00000959499

* SEPA-Lastschriftmandat: Ich/Wir ermächtigen die Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Zahlungen von unserem Konto mittels Lastschrift einzuziehen. Zugleich weise ich mein/weisen wir unser Kreditinstitut an, die von Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH gezogenen Lastschriften einzulösen. Hinweis: Ich kann/Wir können innerhalb von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungs­datum, die Erstattung des belasteten Betrages verlangen. Es gelten dabei die mit meinem/unserem Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen.

Rufen Sie mich einfach vorher an: 0511 – 30 12 69-26. Herzlichst, Ihr

Reent Stade, Asphalt-Geschäftsführer

Asphalt dankt: U. Rehaag, E. Tellinghusen-Rudolph, T. Zuck, A. Gieseler, R. Bothmann, H. + A. Sproetge, K. Socolov, H. Kaebitz, E.-M. Schumacher, S. Hagedorn, E. Mueser, U. Peleikis, A. Luettmann, C. Lorenz, W. Berghold, N. + I. Khaffaf, R. Kallidat, H.-L. Fricke, L. + E. Schulz, R. Fenske, L. Riechers, B. Beutnagel, E. Paschke, M. Dzambasevic, B. Rosemann, G. Seidl, A. Schwannecke, D. Bierotte, H. Schlotter, K. Thormann, R. Hoermann, R. Reimann, H. Jordan, K. Kammann, D. Tetzlaff, L. Maruhn, G. Mosch-Gilg, C. Ellersiek, C. Englert, I. Siegmann, B. + H. Strickmann, J. Jodexnis, D. Lemke, K. Foerster, R. + W. Leuschner, U. Juretzki, I. Mbow, Euromediahouse GmbH, R. Hoextermann, H. Meyenburg, C. Schankat, I. + J. Duden, R. + P. Buettner, Fam. Riefenstahl, M. Henke, J. Beuch, I. Stade, B. Ahrens, Ev.-luth. Marktkirchengem., Kirchengem. Meinerdingen, Ev.-luth. Kirchengem. Boml, K. + M. Borchert, G. + T. Litterscheid, A. + C. Boehning, K. Ohnmacht, B. + J. Randzio, Rockparty BG, I. Valentin, A. Lube, H. + A. Gaedtke, H. Chattelin, N. + I. Rapp, I. Nagel, U. Ahlborn, H. + J. Tippmann, J. Faupel, I. Baxmann, S. Krumei, M. + G. Purr, H. Meyer, R. + M. Roever, D. Grulke, H.-J. Diekmann, V. Bargmann, E. + D. Krebs, G. Hillmer, M. Schulz, J.-E. Schittko, B. Hannemann, E. Borgdorf, E. Holzhausen, B. + J. Doenneweg, K.-H. Miesner, U. Wahl, H. Badstuber, A. Osterloh, H. Behnsen, E. Schulze, M. Wosnitzka-Postall, W. Mogk, M. + U. Kasten, E. Stoerk, H.-U. Zedler, V. Schiefer, R. Lange, U. Borges, S. Drechsler-Neumann, R. Koenig sowie allen anonymen Spendern und allen Asphalt-Patinnen und -Paten.

Verkäuferausweise Bitte kaufen Sie Asphalt nur bei Ver­käuferInnen mit gültigem Aus­weis! Zurzeit gültige Ausweisfarbe (Region Hannover): Pink


Silbenrätsel Asphalt 10/2015 31

Silbenrätsel Aus den nachfolgenden Silben sind 14 Wörter zu bilden, deren erste und vierte Buchstaben – jeweils von oben nach unten gelesen – ein Zitat von Tschechow ergeben:

Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstrasse 3 ­( Hofgebäude), 30161 Hannover; Fax: 0511 – 30 12 69-15 all – be – ben – chor – dar – de – dorf – E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de düs – ent – es – fen – ga – gel – hin – iso – Bitte vergessen Sie Ihren Absender nicht! ka – kampf – la – lei – lia – ma – mäh – mon – Einsendeschluss: 31. Oktober 2015 na – not – on – pa – re – re – sel – so – stier – tag – te – ter – ti – trau – ung – wer Unter den Einsendern der richtigen Lö­­ sung verlosen wir viermal den neuen Band von Wladimir Kaminer: »Das Leben ist (k)eine Kunst«. In bekanntem und belieb1. Hauptstadt von Nordrhein-Westfalen tem Stil erzählt der Erfolgsautor Geschichten von Künstlerpech und Lebenskünstlern: Was verbindet die Putzfrau mit dem Super2. planen star, dem Kneipenwirt, dem Maler, dem Regenmacher oder Wladimir Kaminers Mutter? 3. junges Militärpferd

Ebenfalls viermal haben wir das konkrete und praxisnahe Buch »Meditation ­erleben« für Sie. Immer mehr Menschen nutzen Meditation, um ihren Alltag besser zu bewäl­t igen. Hier finden alle, die zum ersten Mal oder auch schon regelmäßig meditieren, hilfreiche Tipps: Soll ich mein Handy während der Meditation ausschalten? Reichen zehn Minuten am Tag? Was passiert in meinem Gehirn? Empfehlen können wir Ihnen außerdem: »Stricken für Wollsüchtige«, vor allem, wenn Sie sich gern handarbeitlich betätigen. Hier gibt es tolle und moderne Strickanleitungen im alpinen Look, vom Armband bis zum dicken Janker. Alles mit ausführlichen Schritt-für-Schritt-Anleitungen und – das Besondere an diesem Buch – mit kostenloser Strick-App. Viermal für Sie. Die Lösung des August-Rätsels lautete: Wer beobachten will, darf nicht mitspielen.

4. altes Pferd

5. Ausbrechen, Seitensprung

6. Behelf

8. Führer einer Gesangsgruppe

9. starke Zuwendung

10. Absonderung

11. Staat in Afrika

12. Vermählung

13. früher: hungern

14. Werktag

Greser & Lenz, FAZ

7. beliebte Veranstaltung in Spanien


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