2019 09 Asphalt

Page 1

2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

25 1994 –

2019

JAHR

E

09 19 APROPOS ZUKUNFT ARMUT

KLIMA

MOBILITÄT

Einmal unten, immer unten: Kinderarmut ist Schicksal.

EU vor Gericht: Opfer von Extremwetter klagen.

Fahrradgerechte Stadt: Noch viel zu tun in Hannover.


6

Notizblock

8

Vor 25 Jahren – Die Titelgeschichte

10

Teufelskreis Kinderarmut Armut gefährdet das Kindeswohl. Fehlende Bildungsgerechtigkeit und mangelnde soziale Teilhabe sind für viele Kinder bittere Realität.

14

Kaffee mit Käßmann Die Ex-Bischöfin über arme Kinder, engagierte Helfer, Defizite der Schulpolitik und ihre Hoffnung auf ein gemeinsames Ziel.

17

Wer war eigentlich … Pieter Bruegel der Ältere

18

Vor 25 Jahren – Leserbriefe

19

Briefe an uns

20

Vor 25 Jahren – Aus der Szene

22

Aus der Szene

24

»Mehr Platz« Frustrierend und gefährlich, bemängelt der Sprecher des ADFC Hannover, die FahrradInfrastruktur in Hannover und der Region.

27 Das muss mal gesagt werden 28 Nehmen Der dritte Teil einer Reihe, in der unsere AsphalterInnen sich Gedanken machen – um sich, ihre Mitmenschen und das Miteinander.

32

Vor 25 Jahren – Promis schreiben

34 Aus dem Leben von Asphalt-Verkäuferin Renate

36 Rund um Asphalt 38 39

Impressum/Ihr Engagement Gegen Flut und Flirren 34 Betroffene klagen gegen die EU. Für mehr Klimaschutz. Ein Zwischenstandsbericht.

42 Buchtipps 43 September-Tipps 46 Silbenrätsel 47

Brodowys Momentaufnahme

Titelbild: G. Biele

Das Asphalt-Prinzip Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Irgendwann sind sie in ihrem Leben durch schwere Schicksale, Krankheiten oder traumatische Erlebnisse aus der Bahn geworfen worden. Heute versuchen sie, durch den Verkauf des Asphalt-Magazins ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Sie kaufen das Asphalt-Magazin für 1,10 Euro und verkaufen es für 2,20 Euro. Asphalt ist eine gemeinnützige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Einrichtung und erhält keinerlei regelmäßige staatliche oder kirchliche Zuwendung. Spenden Sie bitte an: Asphalt gGmbH bei der Evangelische Bank eG, IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30, BIC: GENODEF1EK1


AUS DER ERSTAUSGABE

25 E

ASPHALT 09/19

JAHR

2 3


Anzeige

Das Fahrgastfernsehen. · Goethestraße 13 A · 30169 Hannover · (0511) 366 99 99 · redaktion@fahrgastfernsehen.de


25 Jahre liegen zwischen unserem heutigen Titelbild und dem Coverfoto der Erstausgabe von Asphalt im September 1994. Vier Jungs, beinahe gleich in Habitus und Haltung. Denn es hat sich nichts Wesentliches verändert. Hier bei uns und in ganz Deutschland. Wir wissen nicht, was aus den beiden Jungs von damals geworden ist. Ob sie es geschafft haben, trotz aller Hindernisse aus sich und ihrem Leben etwas zu machen. Wir hoffen das sehr, doch sicher ist das nicht. Denn eine neue Langzeitstudie besagt: Wer ganz unten landet, bleibt da in der Regel auch. Armut in Deutschland verstetigt sich und damit werden auch die Chancen der Kinder immer mehr gemindert, später der Armut zu entkommen. Besonders bittere Erkenntnis: Auch das deutsche Bildungssystem durchbricht dies offenbar nicht. Wenn sich selbst in jüngst konjunkturell hervorragenden Zeiten der Armutssockel in Deutschland nicht verändert hat, was steht uns bevor, wenn Deutschland nun offenbar in eine Rezession schlittert? Schon heute leben rund 8.000 Kinder und Jugendliche – davon die meisten in den drei Metropolen Deutschlands – auf der Straße. Und das ist nur die allerhässlichste Blüte einer Politik, die Kinder für ihre Eltern in Haftung nimmt, indem Kindergeld auf Hartz IV angerechnet, das Teilhabepaket dem tatsächlichen Teilhabebedarf nicht angepasst wird und die sozialen Milieus in den Städten nicht den Ausgleich suchen. Wir haben Ihnen in dieser Ausgabe zum Jubiläum zusätzlich acht Seiten unserer Erstausgabe nachgedruckt. Den Titel, die Titelgeschichte, Briefe, Prominente und Szene-News. Asphalt hat sich seitdem verändert, entwickelt, verbessert. Wir hätten uns gewünscht, dass die Rahmenbedingungen sich ebenso verbessert hätten. Dass Sie aber, liebe Leserinnen und Leser, so konsequent an unserer Seite sind, das macht uns Hoffnung.

Interessante Lektüre wünscht

Volker Macke · Redaktionsleiter

ASPHALT 09/19

Liebe Leserinnen und Leser,

4 5


NOTIZBLOCK

Foto. V. Macke

Sorge um Windenergie Hannover. Niedersachsens Energieminister Olaf Lies hat die »Blockadepolitik« des Bundes im Bereich des Windenergie-Ausbaus scharf kritisiert. Dieser sei im ersten Halbjahr 2019 bundesweit praktisch zum Erliegen gekommen, so Lies. Lediglich 86 Windenergieanlagen (WEA) wurden bundesweit errichtet, in Niedersachsen nur 14. »Das ist ein Skandal«, so Lies. »Die Zahl neuer Genehmigungen für Windenergieanlagen bewegt sich auf einem Tiefstand. Es drohen schmerzliche Einschnitte in der Windenergiebranche samt der dortigen Arbeitsplätze«, sagte Lies. Handlungsbedarf bestehe zudem beim Ausbau der Windenergienutzung auf See, »einer weiteren Schlüsseltechnologie der Energiewende«. Bei einem Spitzentreffen OffshoreWindenergie will Lies nun Bundesminister Peter Altmeier zu mehr Engagement bewegen. MAC

Hannover. Neubauten aus Holz und Pappe: Mit einem kleinen Protestdorf am hannoverschen Kröpcke haben Vertreter der Landesarmutskonferenz (LAK), einem Netzwerk von Caritas, Diakonie, AWO, Gewerkschaften und anderen, für mehr Engagement des Landes im Kampf gegen Wohnungsnot in den Städten demonstriert. Die Lage sei desolat und dramatisch. Auf der einen Seite sinkt die Zahl der Sozialwohnungen rasant. Von landesweit noch 97.000 im Jahr 2012 auf bald 56.000 in 2020. Auf der anderen Seite machen die Preise der entstehenden Neubauten den Menschen in Niedersachsen das Leben schwer. Eine allgemeine Faustformel besage, dass auskömmliches Leben nur dann möglich sei, wenn die Kosten für Wohnen 30 Prozent des Haushaltseinkommens nicht übersteigen, sagt LAK-Sprecher Lars Niggemeyer vom DGB Hannover (re. im Bild). »Sonst bleibt zu wenig zum Leben.« Eine Analyse des Gewerkschaftsbundes zu den aktuellen Neubaumieten in Niedersachsens Städten zeigt nun: 90 Prozent aller Neubauten in Salzgitter sind für Haushalte mit Durchschnittseinkommen nicht bezahlbar. In Hannover 50 Prozent, in Wilhelmshaven 66 Prozent. Und auch in Oldenburg und Emden seien immerhin je 33 Prozent der Neubauten für Normalverdiener nicht bezahlbar. »Der Markt kann es also nicht richten«, so Niggemeyer. »Stephan Weil muss jetzt die tickende soziale Zeitbombe entschärfen und endlich eine eigene Landeswohnungsbaugesellschaft auf den Weg bringen.« MAC

ZAHLENSPIEGEL »TOTE IM VERKEHR«

Sorge um sozialen Wohnungsbau

Pro Tag stirbt in Deutschland 1 Radfahrer. In den ersten 5 Monaten des Jahres 2019 158. 11,3 % mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Gesamtzahl

aller Ver-

kehrsunfälle stieg laut Destatis in Deutschland um 0,4 % auf knapp 1,3 Mio.. Bundesweit starben insgesamt 1.465 Menschen bei Unfällen, in Niedersachsen 193. In Hannover gab es von Januar bis Mai 925 Unfälle mit 1.020 Leicht-, 81 Schwerverletzten und 4 Toten. In Oldenburg bei 321 Unfällen 351 Leicht-, 38 Schwerverletzte und 2 Unfalltote.


ASPHALT 09/19

Hannover. Borkenkäfer, Trockenheit und Monokulturen machen den Wald kaputt. »Die Entwicklung, die unsere Wälder gerade nehmen, ist besorgniserregend«, warnt Heinz Kowalski vom NABU. Dass auch heimische Laubbäume Schwierigkeiten mit der Trockenheit hätten, sei alarmierend. »Bäume, die hundert und mehr Jahre alt werden, bieten die Chance, atmosphärischen Kohlenstoff über viele Jahrzehnte zu binden. Wenn die Wälder diese Funktion verlieren, verschärft sich die Situation des Klimawandels.« MAC

Sorge um Neutralität Hannover. Richter und Staatsanwälte sollen bald keinerlei sichtbare religiöse Symbole tragen dürfen. Diese Anpassung des Justizgesetzes hat die Landesregierung beschlossen. Justizministerin Barbara Havliza: »Nirgendwo ist die Neutralität so wichtig wie in einem Gerichtsverfahren. Die Justiz entscheidet über existenzielle Sachverhalte, sie ist dabei ausschließlich an Recht und Gesetz gebunden. Diese innere Neutralität muss auch nach außen zum Ausdruck kommen.« Muslimische Verbände haben den Entwurf als diskriminierend kritisiert. MAC Anzeige

Beratung sofort nach Beitritt! Jetzt Mitglied werden! Kompetente Hilfe bei allen Fragen zum Mietrecht. Herrenstraße 14 · 30159 Hannover Telefon: 0511–12106-0 Internet: www.dmb-hannover.de E-Mail: info@dmb-hannover.de Außenstellen: Nienburg, Soltau, Hoya, Celle, Neustadt, Springe und Obernkirchen.

Foto: Karin Powser

Sorge um Wälder

Vor 25 Jahren – Wie alles begann

DER AUFSCHLAG

25 JAHR

Akrobaten, Fabelwesen und Musiker bevölkerten eben noch den Opernplatz von Hannover. Damals am 28. August 1994, dem Erstverkaufstag der ersten je gedruckten Asphalt-Ausgabe. Der »Aufschlag«, wie man so sagt, mit Presse-Statements und Interviews ist gewaltig. Die Asphalt-Macher Rolf Höpfner, Andrea Packulat, und Walter Lampe erzählen vom Warum und Wie und wer da alles mitmacht. Mit 6.000 Wohnungsnotfällen sei Wohnungsnot das größte soziale Problem der Stadt, betont Oberbürgermeister Herbert Schmal­ stieg im Schulterschluss mit Asphalt. Und zwischen all den Helfern, Medienleuten und Politikvertretern stehen verteilt die neuen Stars der Straße: 30 wohnungslose Verkäuferinnen und Verkäufer. Mütze auf dem Kopf, Hefte in der Hand. 1.500 Exemplare der Erstausgabe von Asphalt gehen bereits in den ersten Minuten weg. Entsprechend sind die Nachberichte in den Zeitungen: »Gelungener Start« »Asphalt kommt«, »Super Start für neues Sprachrohr«, »Würdige Alternative« titeln die Blätter. 30.000 Exemplare haben Lampe und Co drucken lassen. Der Verkauf soll den vielen wohnungslosen Asphaltern von nun an Zubrot und Stütze sein. Das klappt enorm gut. In Hannover wird wieder gesprochen. Miteinander. Auf Augenhöhe. Von arm zu reich und reich zu arm. An Straßenecken und auf Marktplätzen. Die Asphalter werden selbst zu Kommunikatoren, damals im September 1994. Am 17. ist Asphalt ausverkauft. Alle 30.000 Hefte. Es wird nachgedruckt. Hannover hat Asphalt angenommen … Fortsetzung in Asphalt 10/2019

E

6 7


AUS DER ERSTAUSGABE


JAHR ASPHALT 09/19

25 E

8

9


Foto: miroslavmisiura/iStock.com

Armut gefährdet das Kindeswohl. Überforderte Eltern, fehlende Bildungsgerechtigkeit, mangelnde soziale Teilhabe: das ist für viele Kinder bittere Realität in Deutschland. Und Verbesserung ist nicht in Sicht.

TEUFELSKREIS KINDERARMUT Die Uhr zeigt schon weit nach Mitternacht. Aus der Wohnung in der zweiten Etage eines Mehrfamilienhauses kommt laut Musik. Kindergeschrei ist zu hören. Ein Nachbar fühlt sich gestört und alarmiert die Polizei. Beim Eintreffen der Beamten bietet sich ihnen ein erschreckendes Bild. Auf dem Tisch im Wohnzimmer stehen angefangene und leere Schnaps- und Bierflaschen. Im Aschenbecher häufen sich die Zigarettenkippen, es riecht nach Gras. Die Wohnung selbst gleicht einer Müllhalde. Schmutziges Geschirr von mindestens einer Woche steht überall herum, Berge aus Dreckwäsche stapeln sich. Auf dem Fußboden sitzt ein fünfjähriger Junge, der gerade versucht, seine zweijährige weinende Schwester zu trösten. Die Eltern selbst liegen auf der Couch, sind eingeschlafen. Für die Beamten steht fest: die Kin-

der können auf keinen Fall in der Wohnung bleiben und ziehen die MitarbeiterInnen der Clearingstelle vom Jugendamt hinzu. Immer wieder treffen die SozialarbeiterInnen auf solche Zustände. Und auch wenn ein Kind selbst den Wunsch äußert, keines Falls mehr im Elternhaus bleiben zu wollen, dann werden die Kinder sofort aus der Familie geholt, durch die Clearingstelle in Obhut genommen und kurzfristig in Bereitschaftspflegefamilien oder Schutzeinrichtungen untergebracht. So­bald es die Situation der Eltern erlaubt, werden sie über die Inobhutnahme des Kindes informiert. Ob und wann die Kinder wieder zurück in die Familien dürfen, hängt von der Einschätzung der MitarbeiterInnen des Kommunalen Sozialdienstes (KSD) und der Mitwirkungsbereit-


Reiches Land, arme Kinder Familien- und Kinderarmut sind in Deutschland eine Massenerscheinung. Dennoch sehen wir in den Straßen in der Regel keine obdachlosen oder hungernden Kinder. Unser Sozialstaat ist nicht perfekt, aber absolute Armut ist in Deutschland zum Glück die Ausnahme. Relative Armut ist dagegen weit verbreitet. Zu den Hauptrisikogruppen zählen Arbeitslose, Alleinerziehende und Familien mit drei oder mehr Kindern. Relativ arm, das heißt: die materiellen Grundbedürfnisse (Nahrung, Wohnen, Kleidung, Hygiene) sind gesichert, aber darüber hinaus ist nicht viel möglich. Oder auch fast nichts. Nach einer EU-Definition gilt als armutsgefährdet, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Dazu zählten 2017 in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes immerhin 19 Prozent der gesamten Bevölkerung oder 16 Millionen Menschen. Die familienpolitische Dimension des Problems wird deutlich, wenn man sich anschaut, wie viele Kinder in armen Familien aufwachsen: Mehr als 21 Prozent aller Kinder in Deutschland erleben dauerhaft Armut, weitere rund zehn Prozent machen vorübergehend diese Erfahrung. Das ergab eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung im Jahr 2017. Zwei Entwicklungen müssen als besonders besorgniserregend betrachtet werden: 1. die Schere zwischen armen und reichen Familien klafft immer weiter auseinander und die ärmsten zehn Prozent haben immer weniger Geld für ihre Kinder. 2. Armut verstetigt sich; arme Familien bleiben arm, ihre Kinder werden dauerhaft benachteiligt. Das hat für die Heranwachsenden erhebliche Folgen, wie aktuelle Langzeitstudien jetzt belegen.

Wer arm wird, bleibt es auch Während ärmere Familien an Kosten für die materiellen Grundbedürfnisse kaum sparen können, setzen sie notgedrungen den Rotstift bei sozialen Aktivitäten an. Im Gegensatz zu den einkommensstärkeren zehn Prozent der Familien, die ihre Ausgaben in diesem Bereich sogar um 14,7 Prozent steigern konnten, schränkten die ärmeren Haushalte ihre Ausgaben hier im Zehnjahresvergleich seit 2003 um fast 30 Prozent ein. Für den

Zoobesuch, den Kinderzirkus, für das Eis unterwegs, Spielzeug oder auch mal eine Pizza stehen ärmeren Familien gerade mal 44 Euro im Monat zur Verfügung. Armut schwächt die sozialen Beziehungen von Kindern und auch von Eltern, das zeigt jetzt eine aktuelle Studie auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Arme Menschen haben nicht nur seltener soziale Kontakte, ihr Freundeskreis ändert sich auch, umfasst immer weniger Menschen mit einem festen Arbeitsplatz. Auch das verfestigt Strukturen. Wie die IAB Studie ergab, ereignen sich über die Jahre tatsächlich nur wenige Wechsel zwischen den Einkommensgruppen. Wer erst einmal ganz unten landet, bleibt da in der Regel auch. Armut verstetigt sich und damit werden auch die Chancen der Kinder immer mehr gemindert, später der Armut zu entkommen. Besonders deutlich wird die Benachteiligung in der Bildung. In kaum einem entwickelten Industriestaat ist das Schulsystem so undurchlässig für ärmere Kinder wie in Deutschland. Von einer Trendumkehr kann keine Rede sein, im Gegenteil: Für Schulmaterialen, Bücher und Hefte zahlen Eltern in Niedersachsen im Schnitt zwischen 200 und 300 Euro. Aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten ärmere Familien dafür aber nur 100 Euro. »Von Bildungsgerechtigkeit sind wir noch immer weit entfernt – ein unerträglicher Zustand, der endlich angepackt werden muss!«, sagt Johannes Schmidt, Landesvorsitzender des niedersächsischen Kinderschutzbundes.

Viele Eltern sind überfordert Kinderarmut kann auch in intakten Familien zu dauerhaften Benachteiligungen führen. Und für die Familien selbst bedeutet Armut eine Art Dauerstress. Das muss nicht, kann aber im schlimmsten Fall auch zu Vernachlässigung und Misshandlung führen. Schon 1999 hat das Kriminologische Forschungsinsti-

Wer im Notfall hilft Gibt es klare Anzeichen für Kindeswohlgefährdung oder Verwahrlosung, dann sollte die Polizei unter 110 benachrichtig werden. Bestätigt sich der Verdacht, schalten die Beamten tagsüber an den Wochentagen den Kommunalen Sozialdienst (KSD) des Jugendamtes ein. Der KSD ist dezentral organisiert und hat in fast jedem Stadtbezirk in Hannover eine Dienststelle, die durch BezirkssozialarbeiterInnen besetzt sind. Am Abend, nachts, am Wochenende oder an Feiertagen sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Clearingstelle, die ebenfalls zum Jugendamt gehört, zuständig. Sie sind rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr erreichbar und vorwiegend für akute Notfälle verantwortlich.

ASPHALT 09/19

schaft der Eltern ab. In unserem Beispielfall deutet vieles auf eine Überforderung der Eltern hin. Das war im Jahr 2018 auch der häufigste Grund für die Einleitung von Schutzmaßnahmen durch die Jugendämter in Deutschland. Überforderung hat meist mehrere Ursachen, zu den größten Risikofaktoren zählt Armut.

10 11


Foto: G. Biele

Immer mehr Kinder wachsen in Deutschland in Armut auf.

tut Niedersachsen in einer Studie festgestellt, »daß elterliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in allen sozialen Schichten vorkommt. Unter den Rahmenbedingungen sozialer Benachteiligung« jedoch wahrscheinlicher ist. Forscher haben als maßgebliche Risikogruppe vor allem junge Eltern unter 25 Jahre identifiziert, die sich auffallend oft psychisch stark belastet zeigen. Entscheidend sei jedoch gar nicht das Alter selbst; vielmehr häuften sich in dieser Gruppe Risiken, eine Depression oder Angstzustände zu entwickeln. Dazu zählten »ungeplante Schwangerschaften, Armut bzw. Bezug von Sozialleistungen, Alleinerziehendenstatus oder Probleme in der Partnerschaft«. Besonders schwierig wird es, wenn mehrere dieser Risiken zusammentreffen. In solchen Fällen ist Unterstützung gefragt. Aufsehenerregende Fälle wie das Martyrium des zweijährigen Kevin 2006 in Bremen haben etwa zur Einrichtung der Bundesinitiative »Frühe Hilfen« geführt. Dadurch sollen gerade junge Familien gefördert und Probleme frühzeitig erkannt werden. Die dauer-

hafte Inobhutnahme darf schließlich nur die Ultima Ratio sein. Doch hundertprozentige Sicherheit können diese Hilfen auch nicht bieten. In Fällen akuter Kindeswohlgefährdung kommt es auf schnelles Einschreiten an und darauf, dass Nachbarn, Freunde und Verwandte nicht wegsehen und -hören. Aufgrund einer gesetzlich vorgegebenen Garantenstellung muss das Jugendamt jedem eingegangenen Hinweis nachgehen und diesen prüfen. Auch dann werden die Kinder nicht ungeprüft aus den Familien geholt. Das Prozedere hierfür ist genau vorgegeben und für den KSD und die Clearingstelle identisch. »Durch den Gesetzgeber sind wir dazu verpflichtet, uns immer im Vier-Augen-Prinzip einen Überblick über die Situation zu verschaffen, den Vorfall mit der Leitung oder anderen KollegInnen zu besprechen und ihn zu bewerten. Eine Entscheidung von nur einem Mitarbeiter ist gesetzlich nicht erlaubt«, erklärt Carsten Amme vom KSD. Je nach Situation vor Ort haben die SozialarbeiterInnen verschiedene Handlungsmöglichkeiten. »Im Kinder- und Jugendhilfegesetz ist vorgeschrieben, dass mit den Eltern und den betroffenen Kindern immer erst versucht werden muss, eine Mitwirkungsbereitschaft zu erzielen«, betont Amme. Daher versuchen auch die SozialarbeiterInnen vom Jugendamt Hannover in erster Linie, mit den Eltern eine sogenannte Schutzvereinbarung zu treffen und formulieren klare Vorgaben, wie sie den Schutz des Kindes, der Anlass für die Meldung war, sicherstellen können. Sind die Eltern bereit, die kleinschrittig beschriebenen Erwartungen umzusetzen und ihr Verhalten entsprechend zu ändern, können die Kinder in der Familie bleiben. Die Eltern erhalten dabei Unterstützung vom KSD. Kommt es jedoch zu keiner Veränderung, wird der Fall dem Familiengericht mitgeteilt, das dann weitere Schritte einleitet und möglicherweise die Unterbringung der Kinder in Pflegefamilien, Schutzeinrichtungen oder Schutzwohngruppen anordnet. Doch egal ob die Kinder in der Familie bleiben dürfen oder fremd untergebracht werden, in beiden Fällen wird der weitere Verlauf und die Entwicklung durch das Jugendamt in regelmäßigen Zeitabständen überprüft. Im besten Fall stabilisieren sich die Lebensverhältnisse und das Jugendamt kann sich aus den Familien wieder herausziehen. Doch das Grundproblem der Kinder- und Familienarmut lässt sich nur politisch lösen. Grit Biele, Ulrich Matthias


ASPHALT 09/19

Foto: G. Biele

KEINE BESSERUNG IN SICHT Eltern, die mit einer angemessenen Versorgung und Betreuung ihrer Kinder überfordert sind, gefährden deren Wohl, sagt Dr. jur. Winfried Möller, Professor für Sozial-, Verwaltungs- und Strafrecht an der Hochschule Hannover.

Herr Prof. Möller, welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Kinderarmut und Kindeswohlgefährdung?

Sollte man eher bei den Eltern oder den Kindern ansetzen?

In einer kapitalistischen Gesellschaft ist die Befriedigung auch elementarer Bedürfnisse von den finanziellen Ressourcen abhängig. Die Regelsätze der SGB II- oder Sozialhilfeleistungen sind zu niedrig. Eltern müssen häufig mehrere Jobs ausüben, um ihren Lebensunterhalt und den der Kinder zu bestreiten. Für diese Familien bedeutet Armut Stress. Stress, das Leben zu organisieren, zu finanzieren und zu bewältigen. Nicht alle werden mit dieser Situation fertig. Die Folge ist Überforderung.

Grundsätzlich sollte natürlich beim Kind angesetzt werden. Ein Kind kann aber Ansprüche nicht selbst geltend machen und die Leistungen nicht selbst verwalten. Also sind die Eltern gefragt. Dennoch geht es in allen diesbezüglichen Modellen einer Kindergrundsicherung zuerst einmal darum, ein Kind mit den notwendigen Mitteln auszustatten, und das ist richtig. Ein Skandal eigener Art ist der Umstand, dass das Kindergeld auf Leistungen nach dem SGB II angerechnet wird.

Es gibt eine steigende Tendenz der Kindeswohlgefährdungen?

Was glauben Sie, in welche Richtung sich die Zahlen weiterentwickeln werden?

Kindeswohlgefährdung auch als ein Ergebnis fehlender materieller Möglichkeiten, hat natürlich etwas mit der Verteilung von Armut und Reichtum zu tun, die gesellschaftlich bzw. politisch zu verantworten ist. Mit den Einnahmen aus einer höheren Einkommenssteuer für Reiche oder einer Vermögenssteuer könnten dann sowohl Sozialleistungen erhöht als auch eine soziale Infrastruktur wie Stadtteil- oder Schulsozialarbeit finanziert werden.

Ich glaube, es wird keine signifikanten Ausschläge nach oben oder unten geben. Da gegenwärtig aber keine politische Kraft den Willen oder die Macht hat, die Verteilungsfrage neu und anders zu regeln, bin ich wenig zuversichtlich. Aber das bedeutet nicht aufzuhören, die herrschenden Verhältnisse zu kritisieren und zu skandalisieren. Interview: Grit Biele

Anzeige

12 13


Foto: Patrick Seeger/dpa

KAFFEE MIT KÄSSMANN

MACHT SCHULE Sie ist eine Instanz. Jüngst erst wurde sie zu den 20 wichtigsten Intellektuellen Deutschlands gewählt. Und sie ist Herausgeberin von Asphalt. Ex-Bischöfin Margot Käßmann über arme Kinder, engagierte Helfer, Defizite der Schulpolitik und ihre Hoffnung auf ein gemeinsames Ziel. Unser Kaffeehausgespräch. Liebe Margot Käßmann, statistisch ist seit Jahren jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut betroffen. Muss man sich also daran gewöhnen? In einem Land, dass insgesamt derartig reich wie Deutschland ist, ist das ein Skandal. Dass sich Teile der Gesellschaft offenbar daran gewöhnt haben, der vielleicht noch größere. Ebenso wie an die Tatsache, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinanderklafft. Als ich Kind war, war die Diskrepanz zwischen arm und reich nicht in dem Maße spürbar wie heute. Armut nehmen Kinder vor allem als ausgegrenzt sein wahr. Sie erleben, wie sie viele Dinge nicht mitmachen können, weil ihre Familien Sport und Freizeit eben nicht bezahlen können. Ballett und Musikschule sind einfach zu teuer. Und sie machen die Erfahrung, dass sie nicht mithalten können, wenn es da-

rum geht, was gerade angesagt ist. Zudem ist ihre Ernährung oft nachweislich schlechter. Das macht Kinder schon frühzeitig frustriert oder auch zornig. Und das finde ich enorm traurig.

Die Politik sieht das Problem mittlerweile mehr oder minder. Je nach Couleur. Es gibt Vorschläge, Hartz IV für Kinder durch eine eigene Kindergrundsicherung oder ein Kinderchancengeld zu ersetzen. Monatliche Beträge von 360 bis 503 Euro je nach Alter des Kindes werden da genannt. Wäre das die Lösung? Für mich überhaupt nicht. Einerseits wünsche ich natürlich allen, vor allem den alleinerziehenden Müttern, die die Arbeit so bravourös leisten, mehr Finanzen zur Verfügung zu haben. Denn es ist beschämend wenig. Insofern ist mehr und direkter


Weil die Eltern nicht wollten? Ob die Eltern nicht wollen oder nicht können, ist für die Kinder selbst erstmal unerheblich. Fakt ist, dass wir mit nur mehr Geld den Kindern nicht die Beteiligungsmöglichkeiten geben, die ihnen eröffnet werden sollten. Wir, die gesamte Gesellschaft, müssen sie begleiten. Das fängt ganz schlicht bei so Dingen an, dass ich anbiete, ein Nachbarskind zu einer Veranstaltung mitzunehmen, wenn ich es kann und darum weiß, dass in der Nachbarsfamilie die Verhältnisse nicht so stabil sind.

In manchen Familien, so heißt es, leben die armen Kinder von heute schon in der dritten Generation in prekärer Situation. Vielleicht haben also schon ihre Eltern nicht erlebt, wie es ist, beteiligt zu sein. Ich denke, dass Armut zu einer bestimmten Art von Erschöpfung führt. Wenn vieles negativ erlebt wird, wenn Erfolge von Bemühen ausbleiben, dann fehlt die Kraft zu sagen: Ich will für mein Kind jetzt etwas tun. Die Beteiligungsarmut der Eltern bremst sie aus in dem, was sie eigentlich Gutes für ihr Kind wollen. Davon gehe ich aus: Alle Eltern wollen immer zunächst einmal nur Gutes für ihr Kind.

Wenn Unterstützung und Förderung der Kinder aufgrund der Erschöpfung der Eltern ausbleiben, sollten diese Kinder dann so lange wie möglich nicht in ihren Familien sein? Eine solche Formulierung fände ich eine ziemliche Arroganz von außen. Gleichwohl bin ich für mindestens ein Kindergartenpflichtjahr vor der Einschulung. Denn der so genannte Ernst des Lebens beginnt bereits vor der Schule. Wir wissen heute aus der frühpädagogischen Forschung, dass sich beispielsweise das Sozialverhalten im Alter zwischen ein und drei Jahren ausbildet. Und das Lernverhalten zwischen drei und sechs. Wenn die Kinder zur Schule kommen, ist bereits sehr viel entschieden. Zu viel, um nicht vorher zu intervenieren.

Dazu passt vielleicht eine Studie des »Instituts der deutschen Wirtschaft«, wonach heute im

Sowas wird nicht durchsetzbar sein. Ich denke, wir brauchen ein viel individuelleres Beschulungssystem. Mit deutlich mehr Sozialarbeitern, die eine bedarfsgerechte Bildung gewährleisten können. Eine große Mehrheit der Eltern mit Migrati»Eine große Mehrheit onshintergrund hat eine hohe Bildungserwartung an ihre der Eltern mit Migra­tions­­ Kinder. Sie kennen aus ihren hintergrund hat eine Herkunftsländern aber nicht, hohe Bildungserwartung dass das hier bedeutet, dass an ihre Kinder.« sie ganz persönlich den Erfolg durch gemeinsames Stöbern in Bilderbüchern, durch regelmäßiges Vorlesen, durch Hausaufgabenbegleitung unterstützen müssen. Das führt dann zu großer Enttäuschung der Eltern und gleichzeitig zu Frust bei den Kindern, weil diese merken, wie sie ihre Eltern enttäuschen. Wir müssen also viel kleinteiliger helfen, die Strukturen für Bildung bei uns im Land zu vermitteln. Es gibt ein beispielhaftes Projekt in Weiden in der Oberpfalz. 1984 hat dort ein Ehepaar angefangen, eine nachmittägliche Hausaufgabenbetreuung für Migrantenkinder aufzubauen. Heute kommen jeden Nachmittag 260 Kinder zu ihnen. Solche Projekte müssen noch viel mehr mit Geld vom Staat unterstützt werden. Und das Ganze natürlich nicht nur für Migrantenkinder. Es geht um arme Kinder, um alle Kinder mit eben nicht gleichen Chancen wie die Kinder der arrivierten Bildungsbürgerschichten.

ASPHALT 09/19

Schnitt 40 Prozent aller Erstklässler einen Migrationshintergrund haben. An manchen Grundschulen 80 Prozent. Viele dieser Kinder könnten nur wenig Deutsch. Laut Studie lägen sie in der vierten Klasse bereits ein Jahr zurück. Und auf den weiterführenden Schulen könne das nicht wieder ausgeglichen werden. Daher wird jetzt wieder über Bussing, also die Gewährleistung von MigrantInnenquoten für Grundschulen per Schulbus, diskutiert. Was hältst du davon?

Foto: Gero Breloer/Picture-Alliance/dpa

Geld für Kinder sicher wichtig. Aber das ist nur der eine Faktor. Darüber hinaus geht es um Aktivierung der Eltern. Wir hatten selbst mal für ein Mitmachprojekt für ein Kindertheater gespendet. Aber die Eltern kamen mit ihren Kindern nicht.

14 15


Foto: Picture-Alliance/Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild

KAFFEE MIT KÄSSMANN

Müsste man bei der Finanzausstattung von Schulen nach einem Sozialindex unterschiedlich investieren? Konkret: Sollte man aus einer Grundschule in Kirchrode Geld abziehen, um es in Stöcken verstärkt einzusetzen, um damit Chancengleichheit herzustellen? Ein interessanter Ansatz auf jeden Fall. In der Folge werden vermutlich alle Schulen versuchen, sich zum prekären Umfeld zu zählen. Aber im Ernst: Es sollte möglich sein, auf kommunaler Ebene bedarfsgerecht die Personalschlüssel so anzupassen, dass im Ergebnis überall in der Stadt die Kinder einen guten, geförderten Freiraum zum Lernen bekommen. Im Zweifel muss an anderer Stelle bei den Schulen gespart werden: Digitalisierung ist nicht die größte Frage der Schulen, wenn es – auch in Niedersachsen – nicht genug Sozialarbeiterinnen und Lehrkräfte gibt und manche Kinder mit leerem Magen zur Schule kommen.

»Digitalisierung ist nicht die größte Frage der Schulen«: Frühstück für Grundschüler­ Innen, die mit leerem Magen kommen.

Sind wir mit den Bildungsreformen hin zu mehr Gleichheit auf halber Strecke stehen geblieben? Auf welchem Streckenabschnitt wir stehen, weiß ich nicht. Es wurde ja schon damals, als ich Kind war, viel geschafft. Ich erinnere mich noch, als meine ältere Schwester aufs Gymnasium kam. Da wurde sie von einer Lehrerein noch mit den Worten begrüßt: »Armes Deutschland, wenn jetzt schon die Kinder von Tankstellenpächtern zum Gymnasium wollen.« Für mich, die sieben Jahre Jüngere, war das schon anders. Unsere Mutter hatte dafür gekämpft, dass wir alle eine gute Bildung hatten. Dass das wieder Ziel für alle Eltern wird, ist mir wichtig. Und dass wir alle miteinander dieses Ziel unterstützen. Anzeige

Armut, Stress im Elternhaus und Schwierigkeiten in der Schule treiben immer wieder Kinder auf die Straße. Nach Angaben des Deutschen Jugendinstituts sind aktuell rund 8.000 Kinder bundesweit ohne Zuhause. Mehrheitlich Mädchen. Zum Teil erfolgen nicht einmal Vermisstenmeldungen seitens der Eltern. In meiner Zeit in Berlin ist mir das sehr stark aufgefallen. Wenn du da durch den Wedding gehst, siehst du sie nicht selten. Im vergleichsweise noch gut strukturierten bürgerlichen Hannover fällt das weit weniger auf. Es mag Straßenkinder auch in der Landeshauptstadt geben, ich selbst habe hier noch keine direkt erlebt. Aber natürlich, da müssen wir uns nichts vormachen, gibt es für manche Kinder offenbar keinen anderen Ausweg als die Flucht vor Missbrauch, Gewalt und Vernachlässigung. Und ich fand es immer zum Heulen, dann auf der Kurfürstenstraße in Berlin diese offenkundig minderjährigen bildhübschen Mädchen zu sehen, die dort auf dem billigsten Straßenstrich standen. Dass es zu so etwas überhaupt kommen kann, das ist für mich ein zivilgesellschaftlicher Offenbarungseid.

Vielen Dank für das Gespräch. Bis zum nächsten Mal im Dezember. Interview: Volker Macke


… PIETER BRUEGEL DER ÄLTERE

ASPHALT 09/19

WER WAR EIGENTLICH …

16

Foto: Heritage Images/Picture-Alliance

Überhaupt die Bauern: Mal sitDie Arme in die Seite gestemmt, der zen sie friedlich vereint am Tisch, Blick starr und glasig, der Tanz aufmal schlagen sie aufeinander ein, reizend – so haben die Mitglieder mal kacken sie am Bildrand in die der flämischen Malerfamilie BrueLandschaft. Und zwischendurch gel das spätmittelalterliche Treiben tanzen sie. Manches mag karikieauf Bauernhochzeiten festgehalten. rend überzeichnet sein, ähnlich Der Erste, der diese derbfröhlichen wie beim Turmbau zu Babel (1563), Szenen auf eine Leinwand bannte, ein Klassiker in Schulbüchern, oder war Pieter Bruegel der Ältere, oft bei »Die niederländischen Sprichauch »Bauern-Bruegel« oder »der wörter« (1559), ein Bild, an dem Drollige« genannt. So richtig beman sich gar nicht sattsehen kann, kannt wurde er allerdings nur, weil weil Bruegel hier über 100 Sprichseine beiden Söhne, Pieter der Jünwörter und Redensarten in Szene gere und Jan der Ältere, sein Erbe gesetzt hat. Doch erklären vermutfortgeführt und das Bauern-Motiv lich gerade diese »Wimmelbilder« etliche Male kopiert haben. Die Armit ihren vielen kleinen gemalten beiten der Familienmitglieder sind Geschichten die Faszination, die bisweilen schwer auseinanderzubis heute von Bruegel ausgeht. halten, selbst Experten haben da Anders als viele andere stellte noch ihre Mühe. Richtig viel weiß man nicht aus dem Leben von Pieter Brue- sich Bruegel nicht in den Dienst irgendwelcher Päpste oder gel dem Älteren. Geboren wurde er vermutlich in Breda, ir- weltlichen Potentaten. Auch verzichtete er auf Portraits der gendwann zwischen 1525 und 1530. Von einem Abstecher nach städtischen Eliten, womit sich manch ein Künstlerkollege über Rom abgesehen, wirkte er vor allem in Antwerpen, damals ein Wasser hielt. Und weil er offenbar auch keine große Neigung geistiges Zentrum der Niederlande. Hier machte er sich schnell verspürte, sich selbst zu verewigen, haben wir kaum eine Voreinen Namen mit der detailgetreuen Wiedergabe von Alltags­ stellung davon, wie er eigentlich ausgesehen hat. Auf den weszenen, einem Malstil, der so ganz anders war als der seinerzeit nigen Werken, die ihn zeigen, sieht man einen ernsten Mann mit langem Bart. Ein kleines in Antwerpen populäre, von ItaSelbstportrait immerhin gibt lien beeinflusste Romanismus. es: Auf dem schaut er grimmig Nach aktuellem Stand sind »Ein stiller und verständiger Mann« drein, mit wuseligen Haaren rund 40 Gemälde unstrittig und dicken Augenbrauen, den dem Stammvater dieses Künstler-Clans zuzuordnen, darunter so berühmte wie »Die Bauern- Borstenpinsel in der Hand. Ein anderer Mann mit Brille schaut hochzeit« (1567). Auf diesem Bild hat sich eine Hochzeitsgesell- ihm über die Schulter, die Hand bereits am Geldbeutel. Eine schaft in einer Scheune versammelt. Zwei Sackpfeifer spielen solche Selbstironie passt in das Bild, das man bei der Lektüre auf, Teller werden auf einer Tür hereingetragen und das Hoch- einer zeitgenössischen Beschreibung von Bruegel gewinnt: »Er zeitsbier in großen Krügen gereicht. Eine solche Wiedergabe war ein sehr stiller und verständiger Mann, der nicht viel Worte bäuerlichen Lebens war bis dahin unbekannt. Gemeinsam mit machte, aber in Gesellschaft sehr spaßhaft war«, heißt es dort. einem seiner Auftraggeber, einem Kaufmann, soll Bruegel sich Und der seine Zeitgenossen auch gern ein bisschen foppte. sogar als Bauer verkleidet haben, um solche Feierlichkeiten beobachten zu können. Wolfgang Stelljes

17


AUS DER ERSTAUSGABE

25 JAHR

E


ASPHALT 09/19

BRIEFE AN UNS

Zu Asphalt Sonderheft: »25 Jahre das Herz der Straße«

Unverzichtbar Zwar wäre es schöner, wenn es Asphalt gar nicht mehr geben müsste, aber in unseren gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen ist das gute Straßenmagazin und die dahinterstehende Organisation unverzichtbar. Ulrike Fink von Rabenhorst, Hannover

Gute Wünsche Ich staune, wie schnell die 25 Jahre vergangen sind, ist doch meine Erinnerung an die Gründung, an der ich flankierend mitgewirkt habe, noch recht frisch. Mit guten Wünschen für Ihre so wichtige und zugleich nicht leichte Aufgabe. Eckhart v. Vietinghoff, Hannover

Gratulation

Vorbild Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zum 25jährigen Bestehen des Straßenmagazins Asphalt. Asphalt hat gesellschaftlich, sozial und journalistisch eine wichtige Bedeutung für Hannover. Das Magazin ist einerseits Vorbild durch die Sozialberichterstattungen, die kritisch, aber fair sind. Gleichzeitig unterstützt es Menschen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihr Leben zu verbessern. Besonders wichtig ist für mich hier hervorzuheben, dass diese Menschen die Chance erhalten, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und wieder Mut schöpfen können. Deswegen ist das Straßenmagazin für mich ein wichtiger Teil unserer Stadt Hannover. Bitte bieten Sie auch weiterhin den Menschen, die allzu oft überhört und übersehen werden, eine Stimme und ein Sprachrohr. Ich wünsche Asphalt alles Gute und von Herzen noch viele und erfolgreiche Jahre. Dirk Töpfer, Hannover

Ich gratuliere zu 25 Jahren! Wer hätte das 1994 gedacht, als Martin Kunze und Rolf Höpfner bei uns im Besprechungszimmer saßen? Wir stoßen auf Euch und die gesamte Asphalt-Familie an! Mathias Müller-Wolfgramm/eindruck, Hannover

Vielen Dank für Ihre Meinung! Die Redaktion behält sich vor, Briefe zur Veröffentlichung zu kürzen. Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Absenderadresse anzugeben.

Anzeige

BESUCHERBERGWERK KLOSTERSTOLLEN BARSINGHAUSEN Helm auf – Lampe an „Glück auf“ – und los geht´s! Fahren Sie mit der Grubenbahn in den Berg hinein und tauchen Sie in die 300jährige Geschichte des Deisterbergbaus ein. Nach ca. zweistündigem Bergbau-Abenteuer kommen Sie zurück ans Tageslicht.

Es werden feste Einfahrtzeiten angeboten. Infos und Anmeldung: Besucherbergwerk Barsinghausen · Hinterkampstr. 6 30890 Barsinghausen · Tel. 05105 514187 E-Mail: klosterstollen@t-online.de

18 19


AUS DER ERSTAUSGABE


JAHR ASPHALT 09/19

25 E

20

21


AUS DER SZENE

n

hen, weil es uns in uns’ren Löchern nicht mehr passt« (Bertolt Brecht 1934 »Resolution«) Für eine digitale Teilhabe aller Wohnungslosen fordert die Selbstvertretung die Bereitstellung von PC‘s, Tablets und Smartphones und unbegrenzten Zugang zu WLan an öffentlichen Stellen (Behörden, Job-Center, Büchereien und Bahnhöfe). Ausblick: Um die eigene Schlagkraft zu erhöhen, wird sich die Selbstvertretung neu organisieren. Es wird ein Verein gegründet, der in mindestens drei Bundesländern verankert sein wird, um ab 2022 die dann auslaufende Förderung durch »Aktion Mensch« durch Bundesmittel ersetzen zu können. Das fünfte Treffen der Selbstvertretung Wohnungsloser Menschen wird im nächsten Jahr am Hauptsitz von Bethel in Bielefeld stattfinden.

Unter Freunden

Foto: U. Matthias

O-To

Asphalt-Verkäufer Hasso Diedrich: Die Diskriminierung armer Menschen abzubauen – das hat sich die Selbstverwaltung Wohnungsloser zum Ziel gesetzt. Nach drei Jahren in Freistatt (Diepholz) fand das diesjährige Bundestreffen in Herzogsägmühle in Bayern statt. 100 derzeitige und ehemalige Wohnungslose aus 37 deutschen Städten sowie Teilnehmer aus Dänemark, Finnland, Österreich und Ungarn kamen zu zahlreichen Workshops und Arbeitskreisen und einem bunten Kulturprogramm zusammen. Die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen organisiert Widerstand gegen die soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung armer Menschen. Damit versucht die Selbstvertretung, die Eigeninitiative der Betroffenen zu stärken. Sie ist ein Projekt, das langen Atem, aber auch Unterstützung und Solidarität der ganzen Gesellschaft benötigt. Innenstädte dürfen niemals nur Orte des Konsums sein. Der Kampf gegen Armut darf niemals ein Kampf gegen arme Menschen sein. Zum Beispiel muss das Unterteilen von Sitzbänken, mit dem verhindert werden soll, dass Obdachlose darauf liegen, aufhören. Das Übernachten an öffentlichen Orten darf auf keinen Fall sanktioniert und kriminalisiert werden, egal zu welcher Jahreszeit. Sehr viele Menschen können nicht so leben, wie sie es gern möchten. Deshalb fordert die Selbstvertretung, dass selbstbestimmte Lebens- und Wohnformen akzeptiert, gefördert und unterstützt werden. Die Selbstvertretung fordert bezahlbaren und vernünftigen Wohnraum überall und für alle, die ihn benötigen. Das Recht auf Wohnen muss im Grundgesetz verankert und praktisch umgesetzt werden. »In Erwägung, daß da Häuser stehen während ihr uns ohne Bleibe lasst / haben wir beschlossen, jetzt dort einzuzie-

Foto: H. Diedrich

Gegen Verdrängung und Vertreibung

Hannover. Alle Jahre wieder: Sommerfest im Karl-Lemmermann-Haus. Gelegenheit für die Bewohner und Mitarbeiter dieser Einrichtung der Wohnungslosenhilfe, für Kooperationspartner und Nachbarn, einander besser kennenzulernen. Aber auch ein Treffen unter Freunden. Bevor das Fest mit der Tombola seinen traditionellen Höhepunkt und Abschluss fand, liefen die Grills heiß und die Kaffeemaschinen leer, wurde gezaubert und gestaunt. Und vor allem geredet – miteinander und nicht übereinander. »Alles gut«, bilanzierte denn auch Besucher Willy, der regelmäßig zu den dienstäglichen Spiele-Abenden ins Karl Lemmermann-Haus kommt und an diesem Tag »viele Freunde« traf. Lob gab es auch von Reiner: »Die Wurst hat geschmeckt und das Wetter spielt mit«, befand der Rentner. Fazit: Wurst gut, alles gut. UM


ASPHALT 09/19

Waschen, WLAN, Winterhilfe Hannover. Zu wenig Geld, zu wenig Ressourcen, zu wenig Kompetenzen. Mehrfach hat das Sozialdezernat im jüngsten Sozialausschuss anlässlich der Vorstellung eines Konzeptes »Strategien zum Umgang mit Wohnungslosigkeit und Sucht aus sozialpolitischer Sicht« betont, was zur Elendsbekämpfung aus einem Guss in Hannover fehlt. Beispiel Gesundheit: »Die medizinische Betreuung der Obdachlosen organisiert nicht der Fachbereich Soziales«, so eine Mitarbeiterin von Sozialdezernentin Konstanze Beckedorf. Wer genau zuständig ist, blieb in der Sitzung offen. Beispiel Unterkünfte: Zuständig für Bau, Zustand und Betreuung der Obdachlosenunterkünfte ist in Hannover das umstrittene Baudezernat. Beispiel Raschplatz: Hier teilen sich mit Sozialdezernat, Ordnungsdezernat und Baudezernat gleich drei Führungskräfte der Stadt die Verantwortung. Beispiel osteuropäische Gestrandete: Wegen der fehlenden Leistungsansprüche von EU-Zuwanderern könne man deren Probleme »auf Arbeitsebene nicht lösen«, heißt es in der Präsentation des Konzeptes. Und weiter: »Wir haben einfach nicht die Struktur, um neue Projekte jenseits der gesetzlichen Anspruchsberechtigungen fördern zu können«, so die Mitarbeiterin. »Ohne finanzielle Mittel können Projekte im besten Fall initiiert, aber nicht umgesetzt werden.« Daher sollen zunächst im Kleinen einige wenige Verbesserungen auf den Weg gebracht werden. Diese so genannten »Bausteine« sollen irgendwann einmal Teile des neuen Konzeptes werden – zumindest die Analyse des Ist-Zustandes ist begonnen. Erster beschlossener Baustein: Das SOS Bistro in der Steintorfeldstraße des freikirchlichen Vereins »Neues Land« kann künftig sein Angebot für Suchtkranke und Wohnungslose erweitern. In Schließfächern sollen Obdachlose zwischenzeitlich ihr letztes Hab und Gut lagern können. Drogensüchtige sollen gezielter auf bestehende Hilfemöglichkeiten angesprochen werden, Waschmaschinen und Trockner sollen als Möglichkeit für mehr Hygiene der Menschen angeboten werden. Und: Starkes WLAN soll Teilhabe ermöglichen und den Kontakt zur Heimat herstellen helfen. 65.000 Euro wurden für das SOS-Bistro-Paket bewilligt. Zweiter beschlossener Baustein: Die so genannten Kältebusse von Johannitern, Maltesern und Caritas, die im Winter Obdachlose an Raschplatz und Kröpcke mit Essen und Decken versorgen, sollen besser koordiniert und eventuell auf z.B. den Stadtteil Linden ausgeweitet werden. Der Bedarf ist enorm. Bis zu 200 Essensrationen wurden im letzten Winter pro Tag verteilt. Zusätzlich zu den stationären Angeboten wie der ökumenischen Essenausgabe und den Mahlzeiten in den verschiedenen Tagestreffs der Stadt. Künftig soll ein Flyer die hannoversche Bevölkerung zudem besser über das Angebot informieren. Für Hinweise aufmerksamer Passanten arbeitet die Verwaltung an einer gemeinsamen Telefonhotline. Im letzten Winter waren in Hannover vier Menschen in der Kälte ums Leben gekommen. MAC

600 Gäste beim 96plus-Grillfest Bei strahlendem Sonnenschein hatte 96plus Anfang August erneut zum beliebten Barbecue in die HDI Arena eingeladen. Mittendrin standen die rauchenden Grills des Charcoal Street BBQ e.V.. Bereits zum sechsten Mal waren die passionierten Griller beim 96plus-Grillfest dabei, was sich für viele fast „wie nach Hause kommen“ anfühlte. Neben frisch Gegrilltem konnten sich die meist wohnungslosen Gäste bei vielen freiwilligen Helfern noch mit kühlen Getränken, Kaffee, Kuchen und einem Eis vom Eiswagen versorgen. Auch die Mitglieder des Barber Angel Brotherhood e.V. sorgten wieder für perfekte Haarschnitte und gestutzte Bärte. Bereits zum dritten Mal waren die Friseurinnen und Friseure in der HDI Arena zu Gast, um mit Schere, Rasierer und Fön bei den Gästen für ein neues Selbstwertgefühl zu sorgen. Erstmals war auch das „Zahnmobil“ dabei. Die rollende Zahnarztpraxis sorgte mit neuen Füllungen und Schmerzbehandlungen für Hilfe. 96plus-Hauptpartner Clarios hatte im Vorfeld seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgerufen, die Veranstaltung zu unterstützen. Zudem sorgte der Hersteller der bekannten VARTA-Autobatterie mit einer Kleiderausgabe bei den Gästen für große Freude.

22 23


Foto: G. Biele

»MEHR PLATZ« Zerschlissene und schlecht einsehbare Bordsteinradwege. Viel zu schmale Radfahrstreifen, die gnadenlos zugeparkt sind oder im Nichts enden. Frustrierend und gefährlich, bemängelt Eberhard Röhrig-van der Meer, Sprecher des ADFC Hannover, die »schlechte und völlig unterdimensionierte Fahrrad-Infrastruktur« in Hannover und der Region. Herr Röhrig-van der Meer, jüngst wurden die aktuellen Zahlen des Fahrradklimatests des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrradclub) veröffentlicht. Demnach liegt Hannover hinter Bremen auf Platz zwei unter den 15 größten deutschen Städten. Das liest sich doch ganz gut.

In anderen Städten wird dafür beispielsweise unter dem großen Platz vor dem Bahnhof eine Tiefgarage gebaut. Da passen dann zigtausend Räder komfortabel und sicher abgestellt rein. In Hannover aber ist diese Willkommenskultur oft ziemlich gering.

Nein, denn das zeigt eher, wie schlecht die Bedingungen für Radfahrer in vielen Städten in Deutschland sind. Wenn man mit einer Ausreichend-Note auf Platz zwei liegt und sich darauf noch etwas einbildet – das geht gar nicht. Wäre das in einer Schulklasse der Fall, dann würde die Schulaufsicht kommen und schauen, wie diese Schule überhaupt funktioniert.

Was wurde beim Fahrradklimatest abgefragt?

Damit sprechen Sie sicher die Durchschnittsnote von 3,8 an. Warum hat Hannover nur mittelmäßig abgeschlossen? Am meisten ärgern sich die Menschen über das Nichtkontrollieren von Schwarzparkern. Radwege oder Radspuren werden oft gnadenlos zugeparkt. Doch in Hannover kümmert sich darum fast keiner. Dadurch wird der Radverkehr aber immer unsicherer. Außerdem fehlen Abstellgelegenheiten für Fahrräder.

Mit dem Test wollen wir ja eine Aussage zum Fahrradklima in der eigenen Stadt bekommen. Es kann zum Beispiel die Fahrradinfrastruktur bewertet und die Stimmung beurteilt werden. Ich kann schauen, wieviel die Medien über dieses Thema berichten. Ich denke, ein Fahrradklimatest bildet im Wesentlichen das ab, was ich auch mit Willkommenskultur meine. Fühlen sich die Radfahrenden in ihrer Stadt willkommen? Wie ist das Klima gegenüber Radfahrenden?

Und wie ist das Klima gegenüber Radfahrenden? Ausreichend. Es kann besser werden. Einige Maßnahmen zur Förderung der Sicherheit im Radverkehr kosten zunächst kein zusätzliches Geld. Die kosten nur guten Willen. Mehr Kont-


Wie könnten solche Sofortmaßnahmen aussehen? Zeigen, dass diese Stadt das Schwarzparken nicht hinnimmt. Der Bundesverkehrsminister hat zumindest mal angekündigt, dass Schwarzparken demnächst ähnlich teuer werden soll wie Schwarzfahren. Bislang ist das viel zu billig.

Viele Radfahrer finden Radwege noch immer zu unsicher. Teilweise sind sie zu schmal, hören plötzlich auf und enden im Nichts. Wo liegen die größten Probleme? In der Durchgängigkeit, das ist richtig. Es ist wichtig, dass wir diese durchgängigen Radrouten endlich bekommen. Die dann breit genug sind, damit man auch überholen und unterschiedliche Geschwindigkeiten fahren kann. Die einen glatten Belag haben und möglichst durchgängig beleuchtet sind. Wo auch schwächere Verkehrsteilnehmer sicher fahren können. Das lässt sich alles wunderbar machen und der Kilometer davon kostet viel weniger, als ein Straßenkilometer.

Wie könnte die Stadt diese Probleme am besten lösen? Die Region Hannover hat zum Beispiel die Radschnellwege nach vorne gebracht und Bundesmittel für das Umland akquiriert, um die Infrastruktur für den Radverkehr zu verbessern. Und der Rat der Stadt Hannover hat auf Vorschlag des ADFC das Veloroutennetz beschlossen und zehn öffentliche Fahrradgaragen in den Stadtteilen zugesagt, wo es große Probleme gibt, Fahrräder geschützt und gesichert abzustellen.

Bis 2025 will Hannover den Fahrradverkehr von derzeit 19 auf 25 Prozent steigern. Ist das machbar? Ja, das ist es. Ich kann mir beispielsweise ein Fahrradangebot

an den Stadtbahnstationen für die letzte Meile und für kürzere Wege im Wohnumfeld sehr gut vorstellen. Mit einem leistungsstarken Fahrradverleih werden wir sicher einen insgesamt höheren Anteil an Fahrradverkehr haben. Da könnten sich ÖPNV und Rad noch mehr ergänzen.

Kopenhagen zählt seit vielen Jahren zu den fahrradfreundlichsten Städten weltweit und ist für viele Großstädte Vorbild. Dort strebt man einen Radfahrer-Anteil von 50 Prozent an. Kann die dänische Hauptstadt auch für Hannover Vorbild sein? Ja. Gerade die WillkommensRadfahren ist ne kultur trägt in Kopenhagen ganz stark dazu bei, den geile Sache. Rad­ Radverkehrsanteil so hoch fahren macht Spaß. zu bekommen. Auch dort ist Rad fahren nicht unbedingt nur wie im Schla­raffenland. Die Infrastruktur ist für Radfahrer nicht wesentlich besser als hier. Dem Radverkehr wird aber mehr Aufmerksamkeit gewidmet, mehr positive Haltung. Die Kopenhagener fahren sehr gerne mit dem Rad, weil sie damit am schnellsten sind, sie so am entspanntesten durch ihre Stadt kommen und weil Fahrrad fahren fit hält. Wenn das auch in Hannover deutlicher vermittelt würde, wenn das die Botschaft wäre, dann kommen auch wir gut auf die 25 Prozent oder da­ rüber hinaus.

Was könnte Hannover speziell aus dem Kopenhagener Konzept für sich übernehmen? Die Willkommenskultur.

Das heißt? Radfahren ist ne geile Sache. Radfahren macht Spaß. Durchgängige Routen, das ist in Kopenhagen zu sehen. Das geht auch mit vergleichsweise nur wenig mehr Straßenraum. Je mehr Menschen mit dem Rad fahren, desto geringer wird der Anteil derer, die mit ihren viel zu breiten Blechkisten Straßenraum brauchen. Dann ist da auch was übrig. Und diesen Raum nehmen dann die Radfahrenden. Das macht Hannover jünger. Das

Spaß oder Stress Der Fahrradklima-Test des ADFC ist eine große, nicht repräsentative Umfrage zur Zufriedenheit der Radfahrenden in Deutschland. Insgesamt 170.000 BürgerInnen haben 2018 an der Befragung teilgenommen und 683 Städte und Gemeinden bewertet. In Hannover haben 1184 Einwohner den 27 Fragen umfassenden Fragebogen ausgefüllt und ihre Meinung über »Spaß oder Stress« beim Fahrradfahren und im Straßenverkehr abgegeben. Beurteilen konnten sie die Sicherheit und den Komfort beim Radfahren, die Infrastruktur und das Radverkehrsnetz, das Fahrrad- und Verkehrsklima, den Stellenwert des Radfahrens und Familienfreundlichkeit der Stadt in Bezug auf den Radverkehr. Mit einer Gesamtnote von 3,8 landete Hannover in seiner Stadtgrößenklasse auf Platz zwei. Besser war nur Bremen mit 3,5. Durchgeführt wird die Befragung alle zwei Jahre. GB

ASPHALT 09/19

rollen von Schwarzparkern wären schon mal ein Anfang. Wir freuen uns aber, dass es für Hannover bald Radschnellwege und ein Veloroutennetz geben soll. Auf der Veloroute kann man dann durchgängig zügig, bequem und sicher fahren. Da muss an der Infrastruktur noch eine Menge getan werden. Mit einem Sofortprogramm könnten wir aber deutlich machen, dass wir die Radfahrenden brauchen, um die Stadt auch vor einem Verkehrskollaps zu bewahren.

24 25


Mehr NutzerInnen der Radinfrastruktur sind ein weiteres Argument für deren kräftigen Ausbau.

Foto: G. Biele

Einige der neuen Radwege sind aber auch jetzt noch sehr schmal. Wird das mit der E-Mobilität trotzdem funktionieren?

Geplante Gefahr: In der Badenstedter Straße, Ecke Lindener Berg endet der Fahrradweg plötzlich im Nichts.

macht Hannover lebenswerter. Das trägt zur Attraktivität der Metropole bei.

Wie sieht es derzeit mit dem Veloroutennetz aus?

Sie sind zumindest erstmal die richtige Verkehrsfläche dafür. Und das lässt sich dann sicher auch noch anpassen. Je mehr Leute mit dem Roller unterwegs sind und je weniger mit ihren Blechkisten, desto eher kann man die Breite von Radwegen ausweiten.

Wäre eine komplett autofreie Stadt für Hannover auch denkbar? Die Debatte, völlig auf das Auto zu verzichten, die müssen wir da gar nicht führen. Allein für die wirtschaftliche Situation ist es wichtig, eine Erreichbarkeit des Zentrums in gewissem Maße auch mit dem Auto anzubieten. Aber die Dominanz des Autoverkehrs, die hat keine Zukunft. Interview: Grit Biele

Als ADFC haben wir ein Netz-Konzept vorgeschlagen, in dem zunächst eine Veloroute in jeden Stadtbezirk führt. Das kann durch Tangenten oder zusätzliche Gabelungen aufgestockt werden, sodass wir auch gute Umlandanbindungen haben. Der Rat hat vor einem Jahr beschlossen, dass es ein solches Netz geben soll und hat auch Geld und Personal zur Verfügung gestellt. Wir sind nun gespannt, wann die erste Veloroute gebaut wird. Der Baudezernent hat zugesichert, dass die 2021 fertig sein soll. Schauen wir mal.

Anzeige

Das hört sich ein bisschen so an, als würden Sie da nicht so ganz dran glauben. Naja, was die Velorouten anbetrifft, haben wir erstmal einen positiven Ratsbeschluss. Laut Verwaltung wollen sie diese Aufgabe jetzt auch anpacken. Wir vom ADFC müssen jetzt mit der Verwaltung im Kontakt bleiben und schauen, wie es voran geht. Im Moment ist es aber noch zu früh, das zu beurteilen.

Seit Kurzem sind nun auch E-Roller und E-Scooter für den öffentlichen Verkehr zugelassen. Diese fahren ebenfalls auf den Radwegen. Wird das Probleme mit anderen Fahrradfahrern geben? Zunächst ist es gut, wenn mehr Menschen für ihre Mobilität auf die Blechkiste verzichten und ein smarteres und kleineres Fahrzeug wählen. Die Radinfrastruktur ist häufig, aber nicht überall, flexibel genug, mehr Menschen aufzunehmen. Es wird der nachhaltigen Mobilität in der Stadt auf jeden Fall nutzen. Ich glaube, die Einsicht, dass das allen nutzt, ist bei den Radfahrenden dann so hoch, dass durchaus eine Harmonie zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmenden entsteht.

WohnGlück Mit Hannoverherz & Immobilienverstand begleiten wir Sie in eine lebens- & liebenswerte Zukunft.

hanova.de


Vor 25 Jahren wurde mit einer großen Feier am Opernplatz in Hannover die erste Ausgabe der Straßenzeitung »Asphalt« verkauft. Wenn ich mich daran erinnere, dass die Tageszeitungen uns damals nicht mal ein halbes Jahr gegeben haben – auch ich war erst skeptisch – so kann ich jetzt frohgelaunt in die Welt hinausposaunen »Hurra wir leben immer noch!« Der Vorläufer, die »HIOBs – Botschaften«, waren somit Geschichte. Ich weiß noch, wie wir von der Hannoverschen Initiative obdachloser Bürger (H.I.o.B.) so manche Stunden bis in die Nacht hinein ein Konzept für das neue StraßenMagazin ausarbeiteten. Es erschien mir fraglich, wie wir ausreichend viele Obdachlose und Sozialhilfeempfänger motivieren können, als Straßenverkäufer für Asphalt zu wirken. Aber sie kamen in Scharen. Im Sommer in der glühenden Hitze oder im Winter bei eisiger Kälte stehen sie seither nun auf der Straße und verkaufen das Magazin. Es ist sehr oft nicht leicht für die Verkäuferinnen und Verkäufer, wenn sie sich stundenlang gedulden müssen, bis irgendwann ein Kunde auftaucht. Doch jedes verkaufte Heft gibt wieder Auftrieb. Den Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufern möchte ich hiermit meinen herzlichen Dank aussprechen. Zugleich die große Frage stellen: Was wäre Asphalt ohne die emsigen und ausdauernden Verkäufer und Verkäuferinnen? Klipp und klar: Untergegangen! Auf ein weiteres ... Karin Powser Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Fotokamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

ASPHALT 09/19

Das muss mal gesagt werden …

26 27


»

Es gab einen Punkt in meinem Leben, an dem mir nichts anderes übrigblieb, als zu nehmen – sonst wäre ich untergegangen. Mailo und ich hatten kein Zuhause mehr. Auch psychisch ging es mir sehr schlecht. Das Verhältnis zu meiner Mutter war damals schwierig, aber sie hat mir ihre Hilfe angeboten und mich dabei unterstützt, weiter- und voranzukommen und mir dabei nicht nur finanziell unter die Arme gegriffen, sondern mir auch seelischen Rückhalt gegeben. Ich bin sehr froh, dass ich ihre Hilfe an dem Punkt annehmen konnte. Heute geht es mir viel besser und deshalb möchte ich ihr jetzt natürlich auch unbedingt etwas zurückgeben. Auch durch Asphalt bekomme ich viel Unterstützung. Vor meiner Zeit bei Asphalt hätte ich nie gedacht, dass es so viele Menschen gibt, die so großzügig sind. Die Leute machen sich richtig Gedanken um Mailo und mich – bringen uns Getränke, Essen, Kleidung oder Hundefutter mit. Dafür bin ich sehr dankbar! Eigentlich bin ich aber ein Typ, der lieber gibt als nimmt. Dass eine Balance zwischen Geben und Nehmen herrscht, würde ich schon gut finden … Deshalb versuche ich, meinen Käufern auch immer mal wieder eine kleine Freude zu machen.«

Michael (42) verkauft seit zehn Monaten Asphalt.

25 JAHR

E

NEHMEN

Im Jahr unseres 25-jährigen Bestehens kommen unsere Asphalt-VerkäuferInnen mehr noch als sonst zu Wort. Nach »Armut« und »Reichtum« geht es in der zweiten Jahreshälfte um »Nehmen« und »Geben«. Der dritte Teil einer Reihe, in der sich unsere AsphalterInnen Gedanken machen – um sich, ihre Mitmenschen und das Miteinander. men.

Diesmal: Neh


Inge-Lore (69) verkauft seit elf Jahren Asphalt.

»

Ich brauche manchmal Hilfe, weil es mir gesundheitlich nicht so gut geht. Ich kann nicht gut laufen und habe deshalb auch meistens meinen Wagen dabei, um mich festzuhalten. Wenn es mir unterwegs mal nicht gut geht, frage ich auch nach Hilfe – zum Beispiel beim über die Straße gehen. Ich schaue mich dann um und wenn mir eine Person vertrauenswürdig erscheint, spreche ich sie oder ihn an. Das musste ich aber lernen: das Fragen nach Hilfe und Annehmen von Hilfe. Früher habe ich mich immer geschämt, heute nicht mehr – mit der Zeit wird es leichter. Genauso ist es auch bei finanzieller Hilfe. Geld anzunehmen, fällt mir schwer. Ich möchte für mein Geld arbeiten, deshalb verkaufe ich Asphalt – und Asphalt hat mich viel stärker gemacht. Heute kann ich auch Trinkgeld annehmen. Am besten kann ich Liebe annehmen, von meinen Kindern zum Beispiel. Ich freue mich auch, wenn meine Kunden mir Herzlichkeit schenken, die nehme ich gerne an und gebe sie zurück.«

Natalie (48) verkauft seit fünf Jahren Asphalt.

Umfrage und Fotos: Svea Kohl

ASPHALT 09/19

»

Ich nehme alles und ich gebe auch alles: Wenn etwas im Gleichgewicht ist, ist es richtig! Das gilt eigentlich für alles. Das geht nicht immer sofort: Manchmal kommt es erst nach Tagen, Monaten oder Jahren zum Ausgleich – manches vielleicht erst im nächsten Leben. Was kann ich nehmen oder geben? Zuwendung, Aufmerksamkeit, Zeit, Liebe – eigentlich alles, was das Menschsein ausmacht. Manche Menschen können nicht nehmen, mir geht das nicht so. Ich weiß, dass ich die Fähigkeit habe, alles auch wieder auszugleichen – zum Beispiel: die Katze versorgen, wenn jemand verreist ist, auf einer Geburtstagsfeier helfen, Kaffee kochen und ausschenken usw. Geben und Nehmen sollte immer freiwillig sein. Wer mit Freude nehmen kann, hat viel viel mehr davon!«

28 29


»

Viele meiner lieben Käufer geben – ihnen angemessen – gerne etwas mehr als den Verkaufspreis. Das hat mich anfänglich sehr beschämt, doch mit dem Wissen, meinen Tagesbedarf dadurch decken zu können, habe ich gelernt, in aufrichtiger Art, einen Obolus annehmen zu können und zu vermitteln, dass ich mich darüber freue. So war es mir in der Zeit meiner Verkäuferschaft auch immer wichtig, etwas zu geben: Nehmen und Geben schließen sich für mich niemals aus! So gibt es an Weihnachten von mir zum Beispiel selbstgebackene Kekse, Grußkarten, Dankesbriefe und stets ein freundliches Lächeln. Etwas Persönliches zu geben, verbinde ich immer mit Herzlichkeit.«

Thomas (49) verkauft seit vier Jahren Asphalt.

»

Wenn man was nimmt, muss man auch was geben können! Für mich ist Nehmen aber schwer. Ich schaffe lieber alles alleine, ich bin nicht gerne auf andere angewiesen. Ich arbeite für mein Geld, schon immer. Ich habe nie gebettelt. Asphalt verkaufe ich jeden Tag, weil meine Rente zu gering ist und ich mir durch den Verkauf selbst helfen kann, aber auch, weil ich gerne unterwegs und unter Leuten bin. Darauf, nicht abhängig zu sein, war ich immer stolz. Und meinen Stolz habe ich nie verloren. Selbstbewusst zu arbeiten: Das habe ich von Kind auf an so gelernt. Ich wollte immer für mich selbst sorgen können. Das habe ich bis heute beibehalten. Und so soll es auch bleiben.«

Karle (78) verkauft seit 25 Jahren Asphalt.


Klaus (61) verkauft seit fünf Jahren Asphalt.

»

Ich gebe gern, aber mein Leben besteht auch viel aus Nehmen – im Sinne von Bekommen, etwas geschenkt bekommen. Ich nehme mir die Dinge ja nicht einfach. Das ist für mich aber positives Nehmen. Klauen zum Beispiel ist für mich negatives Nehmen. Ich habe als Kind auch mal negativ genommen, als ich mir im Tante-Emma-Laden nebenan Kaugummis klauen wollte. Die Quittung gabs direkt: Ich habe mich nämlich vertan und statt der Kaugummis Rasierklingen erwischt (lacht). Später, als ich Mutter wurde und mein Sohn noch klein war, haben mich meine Eltern immer gut unterstützt. So konnte ich mir auch mal Zeit nehmen. Die Hilfe habe ich gerne angenommen. Auch finanziell haben sie mich in schlechten Zeiten unterstützt. Schwer fällt mir so ein Nehmen – das Annehmen von Unterstützung – nicht, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass ich dann auch wieder etwas gebe. Nur nehmen: Das könnte ich nicht. Es muss ausgewogen sein. Das muss für mich nicht an dieselbe Person, dieselbe Stelle, zurückgehen. Für mich sollte vielmehr das ganze Leben aus beidem bestehen und man sollte von beidem leben. Auch zeitlich müssen sich Geben und Nehmen nicht immer direkt ausgleichen. Ich finde wichtig, dass im gesamten Lebenszusammenhang beides da ist.«

Tina (62) verkauft seit dreizehn Jahren Asphalt.

ASPHALT 09/19

»

Ich hätte in meinem Leben gern mehr erreicht, zum Beispiel was Richtiges gelernt. Das macht das Nehmen für mich schwer, weil ich immer denke, dass ich es nicht verdient habe, etwas zu bekommen. Lieber gebe ich, dabei fühle ich mich besser. Ich bin schlecht darin, Hilfe anzunehmen. Dann fühle ich mich nämlich so, als wäre ich ganz unten und würde nichts alleine schaffen. Wenn jemand es gut mit mir meint, mir seine Freundschaft anbietet, kann ich das auch nur schwer annehmen. Genauso Herzlichkeit, Liebe, Wärme: Ich denke immer, dass er oder sie nur Mitleid mit mir hat. Das liegt alles daran, dass ich mich selbst nicht liebe, an meinem mangelnden Selbstwertgefühl.«

30 31


AUS DER ERSTAUSGABE


JAHR ASPHALT 09/19

25 E

32

33


»UNBEDINGT AUFKLÄREN« Aus dem Leben: Im Gespräch mit Asphalt-Verkäuferin Renate (63). Hallo Renate, du möchtest nicht nur aus deinem Leben erzählen, sondern hast auch ein Anliegen ... Ich habe große Probleme im Alltag, weil ich immer beim Treppensteigen am Hauptbahnhof gestört werde. »Jedes Treppensteigen und Schwerheben verlängern das Leben«, hat man früher gesagt. Und so ist es! Ich habe eine künstliche Hüfte und soll mich viel bewegen, auch Treppen steigen. Das sagen die Ärzte. An meinem Wagen halte ich mich fest. Den wollen mir aber immer alle abnehmen, weil sie denken, dass sie mir so helfen.

Das ist aber nicht so? Nein! Sie kommen einfach von hinten und fassen den Wagen an, ohne mich zu fragen. Das ist aber keine Hilfe für mich! Ich kriege große Schmerzen, wenn man mir den Wagen wegreißt. Der Griff ist auch schon kaputtgegangen, weil immer alle daran ziehen, den musste ich schon reparieren. Und wenn ich in dem Moment, in dem sie mir den Wagen wegziehen, mein rechtes Bein mit der künstlichen Hüfte bewege, tut das fürchterlich weh! Meine Hüfte bekommt dann wie einen Stich.

»Bitte keine Hilfe und den Wagen nicht anfassen«, ist deine Botschaft? Richtig. Denn Leute mit künstlicher Hüfte haben oft Beine schwer wie Blei. Gerade dann musst du schwer heben und Treppen steigen, sonst humpelst du nur und hast dabei auch Schmerzen. Das ist wichtig! Darüber will ich unbedingt aufklären! Dazu kommt noch, dass ich meistens keine Zeit habe, den Leuten am Hauptbahnhof das zu erklären. Angenommen ich will noch schnell zu meinem Zug hoch. Dann habe ich zweimal 17 Stufen zu laufen. Wenn ich eineinhalb bis zwei Minuten Zeit habe, weiß ich, dass ich das schaffen kann, aber nur, wenn mich keiner stört. Stört mich jemand, verliere ich aber wichtige Zeit. Bis ich die Person aufgeklärt habe, sind zehn bis 15 Sekunden vergangen und ich hätte schon zehn, 15 Stufen weiter sein können. Und am Ende verpasse ich genau meinen Zug.

Du lebst nicht in Hannover und fährst immer mit dem Zug in die Stadt. Wo wohnst du, Renate? In Stadthagen, seit 2013. Davor habe ich in Hannover gewohnt. Meine Schwester wohnt in Stadthagen und meinte damals: »Hier ist eine gute Wohnung frei, komm doch hier her, jetzt, wo die Eltern verstorben sind, damit ich immer nach dir sehen kann. In Hannover bist du doch so allein, da guckt doch keiner nach dir. Ich kann dir dann auch deine Wäsche waschen.«

Fühlst du dich wohl in Stadthagen? In meiner Wohnung nicht, vor allem nicht in dem Badezimmer. Mit dem Asphalt-Verkauf ist das in Hannover auch viel besser. Ich möchte wieder nach Hannover oder ganz woanders hin.

… ganz woanders hin? Ich bekomme jetzt einen Behindertenausweis mit dem Kennzeichen »G«, mit dem ich kostenlos alle Regionalzüge fahren kann. Ich könnte mal Kontakt zu meiner Cousine und meinem Cousin in Ostfriesland aufnehmen und gucken, was sich in den letzten Jahren bei ihnen getan hat. Ich habe sie das letzte Mal bei der Beerdigung meiner Mutter vor zwölf Jahren gesehen.

Also bist du dir noch nicht sicher, wo du in Zukunft leben möchtest? Nein. Jetzt, wo ich kostenlos in ganz Deutschland rumfahren kann, möchte ich alles angucken und ausprobieren. In Westfalen habe ich auch noch eine Schwester und einen Bruder. Meine Schwester hat mir gesagt, dass ich dort viel besser an eine Wohnung komme als in Hannover. Wenn ich eine günstige Wohnung woanders finde und es da auch ein Straßenmagazin gibt, bin ich sofort aus Niedersachsen raus. Ich bin mein Leben lang hier gewesen und habe hier auch viel Schlechtes erlebt.

Wie kam es dazu, dass du eine künstliche Hüfte brauchtest? Das waren zwei aggressive Besoffene, einen kannte ich. Manchmal habe ich mit ihm über Fußball gesprochen – ich bin Bayern München-Fan. An dem Tag habe ich an der Bushaltestelle gestanden und mein Brot gegessen und dann hat mir der eine Bier in die Tasche gekippt und der andere hat mich genommen, an den Haaren gezerrt und zu Boden geschmissen. Das war 2006. Ich hatte einen Oberschenkelhalsbruch und zwei, drei Jahre eine Schraube an der Stelle, bis der Orthopäde festgestellt hat, dass ich eine künstliche Hüfte brauche.

Das tut mir leid. Hast du damals schon Asphalt verkauft? Nein, das mache ich seit 2008. Bis 2004 habe ich als Raum­ pflegerin gearbeitet. Dann bin ich arbeitslos geworden. Ich hatte damals schon körperliche Probleme, die aus einem Vorfall von 1981 kommen. Darüber möchte ich aber nicht sprechen. In meiner Kindheit hatte ich außerdem Epilepsie, deshalb konnte ich nie bei Schulausflügen mitfahren. Alle anderen konnten nach Norderney, an die Ostsee, in den Harz … und ich musste zuhause bleiben, dafür haben meine Eltern mich dann öfter nach Ostfriesland zu meiner Tante mitgenommen.

Lass uns über die Zukunft sprechen. Hast du Wünsche? Ich will Deutschland sehen, zum Beispiel den größten Flughafen in Deutschland, den in Frankfurt. Und auch mal nach München fahren und die neue Arena von Bayern München kennenlernen – die Allianz Arena! Interview und Fotos: Svea Kohl


ASPHALT 09/19

34 35

Renate verkauft Asphalt in der Lister Meile Hannover.


RUND UM ASPHALT

96-Verlos

ung

Karten für 96!

Eingelocht Bestes Sommerwetter, reichlich Kampfgeist, vor allem aber jede Menge Spaß hatten unsere AsphalterInnen bei ihrem ersten gemeinsamen Minigolf-Turnier in der Steintormasch in Hannover. 18 Bahnen mussten die Hobby-Minigolfer bezwingen und mit maximal sechs Versuchen pro Bahn den kleinen bunten Ball im Loch versenken. Rund 30 Spieler, unter ihnen Asphalt-VerkäuferInnen, Ehrenamtliche und Asphalt-MitarbeiterInnen, kämpften um die goldene Ananas. Obwohl Asphalt-Verkäufer Guido insgesamt die wenigsten Versuche benötige, war er dennoch nicht der Sieger des Turniers. Auf einem Zettel in einem versiegelten Briefumschlag wurden vorab zwei Bahnen festgelegt, die letztlich in die Wertung um den Sieg eingehen sollten. Und so triumphierte am Ende Asphalt-Verkäufer Jörg und konnte sich über den Gewinn der goldenen Ananas freuen. Die Idee zu diesem tollen Minigolf-Turnier hatte Ehrenamtsmitglied Hartmut Scholz. Tatkräftige Unterstützung für die Umsetzung bekam er von seinen ehrenamtlichen Mitstreitern, die zudem mit Selbstgebackenem, Obst, Salaten und Getränken für das leibliche Wohl der Turnier-TeilnehmerInnen sorgten. Auch wenn am Ende nur einer die goldene Ananas mit nach Hause nehmen konnte, so waren doch alle Gewinner: »Es war wirklich toll, was die Ehrenamtlichen hier für uns auf die Beine gestellt haben. Wir hatten alle viel Spaß und freuen uns auf eine Wiederholung«, resümierte Asphalt-Verkäufer Martin zufrieden. GB

Hannover 96 – VfL Osnabrück Wer uns einfach eine Karte, eine E-Mail oder ein Fax mit dem Stichwort »96« schickt, der hat die Chance, zwei Karten in Block S 4 zu gewinnen! Wir drücken ganz fest die Daumen und wünschen viel Glück! Asphalt-Magazin, Hallerstr. 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; gewinne@asphalt-magazin.de oder Fax: 0511 – 301269-15. Einsendeschluss: 30. September 2019.

Ein lieber Gruß an meine Asphalt-Kunden n

Asphalt-Verkäufer Heinz-Dieter Grube: Seit dem Jahre 2005 bin ich in Hannovers Innenstadt stadtbekannt, war nachmittags am Schillerdenkmal eine dort häufig anzutreffende Person, vielen als der Asphaltverkäufer 1902 Heinz-Dieter, auch HaDe genannt. Ebenso hatte ich auf Bauernmärkten, freitags in Kirchrode und samstags am Moltkeplatz, gerne das Asphalt-Magazin angeboten und bin, weil ein offener und freundlicher Mensch, mit ebenso offenen und freundlichen Menschen ins Gespräch gekommen, konnte dank Zeitungsverkauf mein Einkommen aufbessern. Es tut mir sehr leid, dass ich seit längerer Zeit gesundheitlich nicht mehr in der Lage bin, die mir treu angestammte Asphalt-Leserschaft zuverlässig und regelmäßig mit Asphalt-Magazinen zu versorgen, ebenso fehlen auch mir selbst die angenehmen Gespräche mit Ihnen, meiner Stamm-Kundschaft. Mit Asphalt-Kollege Rainer sowie dem Vertrieb habe ich vereinbart, dass bei meiner Abwesenheit dieser Kollege an dem mir freitags angestammten Platz weiterhin Asphalt anbieten kann und hoffe, bald selbst wieder ausreichend fit zu sein. Bis Dahin. Danke für die Geduld.

O-To

Foto: G. Biele

Alte Liebe rostet nicht! Auch nicht nach dem Abstieg in die zweite Liga. Darum: »Steht auf, wenn ihr Rote seid« – und unterstützt eure 96er. Ab sofort verlosen Asphalt und Hannover 96 gemeinsam wieder regelmäßig 2 x 2 Tickets für ausgewählte Top-Heimspiele der zweiten Liga. Los geht es mit dem 10. Spieltag (18. bis 21. Oktober) und der Begegnung:


ASPHALT 09/19

»Fußball verbindet« Kicken, um dabei zu sein: »Straße trifft…« heißt die Aktion von Werkheim und dem 96-Fanclub »Rote Reihe« sowie ihres Kooperationspartners Asphalt, die Wohnungslose mit der Stadtgesellschaft in Kontakt und ins Gespräch bringen soll. Und welcher Anlass wäre dafür besser geeignet als die angeblich »schönste Nebensache der Welt« - der Fußball! So dachten die Initiatoren und lagen schon bei der Premiere im letzten Jahr mit dieser Annahme richtig. Diesmal traf das Team »Straße« (aus Bewoh-

36

»Asphalt ist facettenreich!«

Foto: U. Matthias

Bernd Althusmann Nds. Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung

nern des Wohnheims Werkheim und Verkäufern von Asphalt) auf »Wohnungswirtschaft« und (die Traditionsmannschaft von) »Hannover 96«. Allen, die beim Sport noch nicht zum Schwitzen kamen, heizte in den Pausen die Werkheim-Band »Büttners Best Choice« (BBC) mit heißen Rhythmen ein. Der Spaß stand im Vordergrund, dennoch blieb auch Raum für Nachdenkliches. Vor der Bühne diskutierten Hannovers Bürgermeister Thomas Herrmann, Meravis-Geschäftsführer Matthias Herter und Klaus-Dieter Gleitze von der Landesarmutskonferenz unter der Moderation von Asphalt-Mitherausgeber Rainer Müller-Brandes über Lösungen der akuten Wohnungsnot. Während hinsichtlich des Ziels – der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit – weitgehend Einigkeit herrschte, lag die Runde bei der Bewertung der bislang getroffenen Maßnahmen naturgemäß auseinander. Klar scheint: eine Besserung der Lage ist derzeit nicht in Sicht. Im Anschluss an den Talk begann das zweite Spiel mit einer Gedenkminute für den im April dieses Jahres verstorbenen Asphalt-Verkäufer Bernd Groß, der noch im Vorjahr mit dem Team »Straße« gegen die Politik angetreten war. In diesem Augenblick war der Fußball dann tatsächlich nur Nebensache. UM

Im Asphalt-Magazin wird jedem eine Stimme gegeben. Vielschichtig und facettenreich berichtet das Blatt über Gesellschaft, Politik und Soziales. Während ich mich informiere, kann ich dabei leicht etwas Gutes tun – für mich steht Asphalt für die Unterstützung von Menschen, die von der Gesellschaft viel zu oft übersehen werden. Es freut mich, dass dieses tolle Magazin bereits sein 25-jähriges Jubiläum feiert und ich wünsche weiterhin viel Erfolg für die Zukunft.

on … Wussten Sie sch

it ohne seine soziale Arbe … dass Asphalt e finanziert? ss hü sc Zu chliche öffentliche und kir enerlösen sind aufs- und Anzeig Neben den Verk Förderer die rer Freunde und die Spenden unse ierung. nz zur Gesamtfina wichtigste Stütze ende: indung für Ihre Sp Unsere Bankverb Asphalt-Magazin 30 0410 0000 6022 IBAN: DE35 5206 EK1 BIC: GENODEF1 nk Evangelische Ba ck: Sozialarbeit Verwendungszwe

… mehr als eine gute Zeitung!

37


RUND UM ASPHALT

Foto: privat

Machen Sie bei uns mit!

iel

Gewinnsp Asphalt verlost 3 x 2 Karten für den Jazz Club Hannover

Volle Power Es darf wieder geswingt und gegrooved werden auf Hannovers höchstem Gipfel, dem Lindener Berg! Jazzinterpretationen von Soul über Funk bis zu Heavy-Metal, Flamenco und Bossa Nova – alles wird geboten. Am 20. September verbreitet Albie Donnelly’s Supercharge erneut Rhythm & Blues, Soul, Funk und jede Menge britischen Humor im orangeroten Jazzkeller. Auch nach 46 Jahren »on the road« ist »full power« das Markenzeichen der »Rentnercombo« um das Liverpooler Original Albie Donnelly. Vollbart, dunkle Brille, auf Hochglanz polierte Glatze: Mr. Supercharge ist noch immer die Coolness in Person und mit seiner gereiften Stimme und den Spielkünsten am Tenorsaxophon ein echtes Unikat. Fette Bläserarrangements und kraftvolle R&B-Grooves sind garantiert, die starken Hammond-Sounds und wohldosierter Klamauk sind ein Spaß für sich. Gewinnen Sie mit Asphalt dreimal zwei Tickets für das Konzert mit Albie Donnelly’s Supercharge, am 20. September, um 20.30 Uhr, Am Lindener Berge 38 in Hannover. Rufen Sie uns dafür am 16. September zwischen 12 und 13 Uhr unter 0511 – 301269-18 an und beantworten folgende Frage: Aus welcher englischen Stadt stammt Albie Donnelly? Die ersten drei Anrufer mit der richtigen Antwort dürfen sich freuen.

Die Runde der Ehrenamt­lichen trifft sich an jedem letzten Dienstag im Monat in den hannoverschen Asphalt-Redaktionsräumen. Da werden Veranstaltungen organisiert, Info-Stände geplant und Ideen gesammelt, um die Arbeit von Asphalt engagiert zu unterstützen. Besonders für unsere Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer ist es wichtig zu spüren, dass viele Menschen hinter ihnen stehen. Wir freuen uns, wenn Sie sich dieser lebendigen Runde anschließen möchten! Rufen Sie uns einfach vorher an: 0511 – 30 12 69-0. Das nächste Treffen ist am Dienstag, 24. September, um 17 Uhr.

gesucht – gefunden Verkäuferin Cordula: Suche einen stabilen Rollator. [V-Nr. 1683] Kontakt: 01577 – 9467348. Verkäuferin Vera: Liebe Kunden! Ich suche einen gut erhaltenen kleinen Gefrierschrank. Danke für Ihre Bemühungen! [V-Nr. 2224] Kontakt: 0163 – 1546501.

Verkäuferausweise Bitte kaufen Sie Asphalt nur bei Verkäufer­ Innen mit gültigem Ausweis! Zurzeit gültige Ausweisfarbe (Region Hannover): Grün

Impressum Herausgeber: Matthias Brodowy, Dr. Margot Käßmann, Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe Gesellschafter: Diakonisches Werk Hannover, H.I.o.B. e.V. Geschäftsführung: Georg Rinke Redaktion: Volker Macke (Leitung), Grit Biele, Svea Kohl, Ulrich Matthias Fotografin/Kolumnistin: Karin Powser Gestaltung: Maren Tewes Freie Autoren in dieser Ausgabe: B. Pütter, W. Stelljes, K. Zempel-Bley

Anzeigen: Heike Meyer Verwaltung: Janne Birnstiel (Assistentin der Geschäftsführung), Heike Meyer Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Christian Ahring (Sozialarbeiter) Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Fax 0511 – 30 12 69-15

Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1 Online: www.asphalt-magazin.de redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Druck: v. Stern’sche Druckerei, Lüneburg Druckauflage: Ø 22.500 Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 26. August 2019

Für unaufgefordert eingesandte Manus­kripte, Bilder und Bücher übernehmen wir keine Gewähr. Rücksendung nur, wenn Porto beigelegt wurde. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weiter­ gegeben. Unsere vollständige Datenschutzerklärung finden Sie auf www.asphalt-magazin.de/impressum. Alternativ liegt diese zur Ansicht oder Mitnahme in unserer Geschäftsstelle aus.


ASPHALT 09/19

38

Fotos: peoplesclimatecase

39

GEGEN FLUT UND FLIRREN 34 gegen die EU-Institutionen: Vom Klimawandel betroffene Familien wollten per Klage vor dem Europäischen Gericht für mehr Klimaschutz auf europäischer Ebene sorgen. Eine erste Instanz hat enttäuscht. Auf der zweiten ruhen jetzt die Hoffnungen. Von den Recktenwalds, den Feschets, den Conceiçãos und den anderen. Trockenheit, Sturmfluten, Starkregen und Hitzestress: Sie wollen sich nicht daran gewöhnen, sie tun was: Vor einem Jahr hatten Maike und Michael Recktenwald aus Langeoog Klage beim Gericht der Europäischen Union (EuG) eingereicht (siehe Asphalt 08/2018). Um ihre Insel, das Süßwasser dort und damit ihre Lebensgrundlage zu schützen. Und haben vom Europäischen Parlament und dem europäischen Rat engagierte Maßnahmen zum Klimaschutz gefordert. Gemeinsam mit Maurice Feschet aus Frankreich, ldebrando Conceição aus Portugal und sieben weiteren Familien aus Italien, Rumänien, Fidschi und Kenia. 34 Menschen insgesamt. Sie wollen die supranationa-

len Institutionen, die die großen Räder drehen könnten, dazu bringen, die Emissionen bis zum Jahr 2030 deutlich stärker zu senken als bisher geplant. Denn sie alle leiden heute bereits unter den Auswirkungen der rasch voranschreitenden Klimakrise. Derzeit wollen die EU-Staaten ihre Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2030 lediglich um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Und schon das droht bekanntlich nicht zu klappen. Die 34 fordern, dass das Ziel auf 50 bis 60 Prozent erhöht wird. Maurice Feschet ist Lavendelbauer im Dorf Gringan an der Rhône, doch sein Lavendel ist vertrocknet. Mehrfach in Folge: »44 Prozent in sechs Jahren: Das ist der konkrete Verlust der


Lavendelernte, den wir hier in der Provence durch die Auswirkungen des Klimawandels erlitten haben, der uns immer härter trifft«, sagt der 73-Jährige. »Vor allem im Lauf der letzten sieben Jahre hatten wir wiederholt mit Dürren zu kämpfen, die zusätzlich zum Ernteverlust das Wiedereinsetzen der Pflanzungen unsicher machen.« Die Zahl der Dürreperioden in seiner Region habe seit den 1960er-Jahren erheblich zugenommen. »Kurvendiagramme zeigen, dass es seit 1950 einen deutlichen Trend zur Erwärmung um circa 0,5 Grad Celsius pro Jahrzehnt gibt.« Die Veränderungen in den Jahreszeiten hätten starke Auswirkungen auf den Lavendelanbau, sagt Feschet. Auf die hohen Temperaturen im Januar und Februar, wenn die Pflanzen anfangen zu wachsen, folgt später im Jahr der Frost – für die Pflanzen ist das tödlich. Lavendelkulturen, die früher bis zu 23 Jahre gehalten haben, müssten heute nach nur vier Jahren entwurzelt werden; davon tragen sie 2,5 Jahre Früchte.

Anzeige

a m n e s t y a f t e r wo r k Schreiben Sie für die Menschenrechte – gegen Verfolgung, Gewalt und Folter

Gemeinsam für die Menschenrechte Sie können helfen: Wir laden Sie herzlich ein, uns montags zu besuchen. Lassen Sie Ihren Tag mit einer guten Tat bei Kaffee, Tee und Gebäck ausklingen, indem Sie sich mit Faxen, Petitionen oder Briefen gegen Menschenrechtsverletzungen in aller Welt einsetzen. Öffnungszeiten: Montag 18 bis 19 Uhr after work cafe Dienstag 11 bis 12 Uhr, Donnerstag 18.30 bis 19.30 Uhr amnesty Bezirksbüro Hannover Fraunhoferstraße 15 · 30163 Hannover Telefon: 0511 66 72 63 · Fax: 0511 39 29 09 · www.ai-hannover.de Spenden an: IBAN: DE23370205000008090100 · BIC: BFSWDE33XXX Verwendungszweck: 1475

»Heutzutage gibt es nicht mehr vier Jahreszeiten, es gibt nur noch Winter und Sommer. Dieser Umstand stört die Arbeit der Bienen, denn sie brauchen länger, um sich an klimatische Veränderungen anzupassen. Der seit Jahren anhaltende Rückgang der Honigproduktion hat das wirtschaftliche Einkommen meiner Familie, das wir aus der Imkerei beziehen, vermindert«, klagt lldebrando Conceição aus Tomar im Hinterland von Lissabon. Familie Conceição ist eine Imkerfamilie. Schon feinste Veränderungen des Klimas stören das Leben, das Arbeiten und den Ertrag ihrer Bienen. »Seit Jahrhunderten hat sich unsere Bienenart Apis Iberica an das Klima hier perfekt angepasst, nun aber ändert es sich für sie zu schnell.« Höhere Temperaturen während des Winters etwa bewirkten, dass Schädlinge, die in der kalten Jahreszeit normalerweise in Winterruhe sind, die Bienen dann angreifen können, wenn sie am verletzlichsten sind. Im Sommer komme es durch die Hitze von über 40 °C häufig dazu, dass die Honigwaben in den Bienenstöcken anfangen zu schmelzen. Rasche Temperaturänderungen im Frühjahr wiederum sorgen dafür, dass die Bienen aufhören, die notwendigen Waben zu bauen. Die Conceiçãos müssten mittlerweile zusätzliche Maßnahmen wie künstliche Zufütterung ergreifen, dennoch hätten sie in den vergangenen Jahren Produktionsverlust von bis zu 60 Prozent gegenüber vorigen Jahrzehnten gehabt. Die Recktenwalds aus Langeoog fürchten um Deich und Dünen und um die Süßwasserlinse tief im Inselinneren, die ihnen überhaupt ein Leben am Vorposten zur Nordsee möglich macht. Die Linse droht zu versalzen. »Der Meeresspiegelanstieg und die durch den Klimawandel stärker werdenden Sturmfluten sind auf Langeoog schon jetzt zu spüren. Unsere Lebensgrundlage und die unserer Kinder ist in Gefahr. Die Politik handelt angesichts dieser dramatischen Situation nicht entschieden genug. Wir hoffen, dass die Gerichte dies endlich wahrnehmen und sich für Klimaschutz und unsere Grundrechte einsetzen«, sagt Maike Recktenwald. Seit vier Generationen betreiben die Recktenwalds ein Restaurant auf der ostfriesischen Insel. Bewusst bio und nachhaltig. Damit das Leben auch morgen und übermorgen noch gut möglich ist. Auf Langeoog und auf der Welt. Doch die klimabedingt vermehrten Sturmfluten bedrohten nun ihre Grundrechte auf Gesundheit und Eigentum.


»Wir sind direkt mit dem Klima­ problem konfrontiert und wir wollen Zeugnis ablegen.« Maurice Feschet

Das EU-Parlament und der Rat der EU reagierten im November 2018 auf die Klage der 34 und beantragten Klageabweisung wegen Unzulässigkeit. Jetzt fiel die Entscheidung: Das Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg erkennt darin zwar an, dass jeder Einzelne der Kläger und Klägerinnen auf die eine oder andere Weise vom Klimawandel betroffen ist und durch die darüber angegriffenen EU-Rechtsakte in seinen Grundrechten verletzt sein kann. Gleichzeitig seien aber so viele Menschen betroffen, dass von einer für eine Klage notwendigen »unmittelbaren und individuellen Betroffenheit« nicht die Rede sein könne. Das Gericht hat deshalb die Klage der Familien nicht zugelassen. »Diese Entscheidung ist nicht überraschend, denn sie bewegt sich auf eingefahrenen Gleisen, aber sie ist doch enttäuschend, weil sie sich nicht auf die ausführlichen Argumente der Kläger für eine Öffnung der Klagebefugnis einlässt«, so der Bremer Juraprofessor Gerd Winter, einer der Anwälte, die ehrenamtlich zwei Jahre lang die umfassende Klage der zehn Familien vorbereitet hatte. Inklusive 6.000 Seiten Gutachten von Wissenschaftlern mehrerer Umweltorganisationen. Doch die blieben bei Gericht bisher unbeachtet. Die Formsache war entscheidender. Die »individuelle Betroffenheit« setzte das Gericht in seiner Auslegung mit »exklusiver Betroffenheit« gleich. Das bedeute, ein »Betroffener« müsse aus der breiten Masse herausragen und an-

Volker Macke

»Was uns zusammenbringt ist unsere Verwundbarkeit und unsere Sorge.« ldebrando Conceição.

ASPHALT 09/19

hand bestimmter Merkmale klar identifizierbar sein. Dies sei angesichts der globalen Auswirkungen der Klimakrise jedoch kaum möglich, so Winter. Daher soll die nächste und letzte Instanz, der Europäische Gerichtshof (EuGH), die enge Auslegung des EuG überprüfen. Für das Vorliegen der individuellen Betroffenheit müsse vielmehr auf die Intensität des Eingriffs abgestellt werden – unabhängig davon, in welchem Umfang auch andere betroffen sein können, so die Anwälte. Das beklagte EU-Parlament und der Rat der EU haben jetzt bis Ende September Zeit, um auf die Rechtsmitteleinlegung zu reagieren. Danach erfolgt eine Entscheidung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Wird der Fall auch in zweiter Instanz abgewiesen, findet das Verfahren hier sein Ende – mit dem Ergebnis, dass die europäischen Gerichte den Klimawandel-Betroffenen keinen Rechtsschutz gewähren wollen. Sollte der EuGH dem Urteil des EuG aber widersprechen und die Zulässigkeit bejahen, wird das Verfahren an das EuG zurückverwiesen. Im Hauptsacheverfahren müsste dann endlich inhaltlich verhandelt werden. Damit würde Justizgeschichte geschrieben werden. »Wir haben diese Klage letztes Jahr eingereicht, weil es ein Problem ist, das sich nicht auf Landesgrenzen beschränkt: Es erfordert, dass die EU mehr gegen diese Situation unternimmt, die unser Leben beeinträchtigt und die Zukunft der jüngeren Generationen bedroht«, sagt der alte Imker Conceição. »Wir sind Bauern, Hirten, Förster, Restaurantbesitzer sowie Studenten und Schülerinnen. Was uns zusammenbringt, ist unsere Verwundbarkeit und unsere Sorge um das Klima.«

40 41


BUCHTIPPS 30 Stadtansichten »Der Flaneur ist ein Mensch, der im Spazierengehen schaut, genießt und planlos umherschweift – er flaniert«, sagt das Online-Lexikon. Überflüssig zu erwähnen: Er ist ein Mann. Wie Balzac, Flaubert, Zola den Betrachter der Stadt als Mann erfanden, bleibt auch der spätere literarische Blick auf die Stadt männlich. In »Flexen« fragt im Vorwort eine fiktive »Flâneuse*« im Chor mit den Herausgeberinnen: »Wo sind meine Perspektiven in der Literatur? Wo sind die Blicke der Frauen*, der People of Colour, der Queeren?«, und stellt fest: »Mir fehlt meine Stadterfahrung in den geschriebenen Geschichten«. Als eine Antwort versammelt »Flexen« 30 Perspektiven auf Stadt: subjektiv, vielstimmig, widersprüchlich. Es sind Beobachtungen, Aneignungen und Dekonstruktionen – und sie handeln von der Macht der Blicke und der (Un-)Möglichkeit weiblichen Flanierens. Als Wissenschaftlerin, als Frau, die als Mädchen gelernt hat, sich draußen zu fürchten, als Autorin, die das türkische Personalpronomen o benutzt, das für alle Geschlechter steht. BP Özlem Özgül Dündar, Ronya Othmann, Mia Göhring, Lea Sauer | Flexen. Flâneusen* schreiben Städte | Verbrecher | 272 S. | 18 Euro

Anzeige

ArTo – stock.adobe.com

30 Abenteuerreisen

Dienstag, 22. Oktober 2019 — 19 Uhr Xplanatorium Herrenhausen Herrenhäuser Str. 5, 30419 Hannover

Unerwünscht, toleriert oder integriert? Obdachlosigkeit (in Hannover) Wie ist die Situation der Obdachlosen in Hannover? Welche Angebote gibt es? Was wünschen sie sich? Podiumsdiskussion u. a. mit: • Konstanze Beckedorf (Landeshauptstadt Hannover) • Georg Rinke (Straßenmagazin Asphalt)  Mit ihren Veranstaltungen verfolgt die VolkswagenStiftung das Ziel, die Verbindung von Wissenschaft und Gesellschaft zu stärken. Weitere Veranstaltungen: volkswagenstiftung.de/veranstaltungen

Jede Leserin, jeder Leser weiß: Um zu reisen muss man nicht das Bett, das Sofa, die Gartenbank verlassen. Für diejenigen jungen und nichtmehrjungen Menschen, die (erste) Orientierung in der Welt der fantastischen Literatur suchen, hat Cris F. Oliver einen Reiseführer geschrieben, den der Illustrator Julio Fuentes in einen wunderbaren rotblauen Atlas verwandelt hat. In 30 Kapiteln widmet sich die Autorin alten und neuen Klassikern der Fantasyliteratur und bereist Liliput und Mittelerde, Camelot und Panem, Hogwarts und Gotham. Dabei liefert sie allerlei hilfreiche Informationen für Touristen: Eine Packliste für die Reise zum Mittelpunkt der Erde, Empfehlungen für einen Ausflug in die Umgebung von Oz, ein Architekturführer Wunderland, sehr kurze Hinweise zum Erkunden des Asteroiden B 612 des kleinen Prinzen, Phantasien-Tipps für die Anreise zur Kindlichen Kaiserin usw. Dazu gibt es ganz ernst gemeinte Hintergrundinformationen zu Werk und AutorIn, und, wie gesagt, die stimmungsvollen Karten und Illustrationen von Julio Fuentes. Gute Reise! BP Cris F. Oliver, Julio Fuentes | Atlas literarischer Orte. Von Wunderland bis Mittelerde | Knesebeck | 18 Euro


Für Kinder

ASPHALT 09/19

KULTURTIPPS Bühne

42 Figurentheater Marmelock

Brodowys One-Man-Show für Asphalt

Erdmännchen Tafiti und sein Freund Pinsel, das Pinselohrschwein, freuen sich schon auf ihr Bett. Doch – oh weh – Tafitis Kuschelkissen ist nicht da. Eben war es noch hier und nun ist es weg. Weil Tafiti ohne seine Kuschelkissen aber nicht einschlafen kann, begeben sich die beiden Freunde auf eine abenteuer­ liche Reise nach dem Schmusestück. Dabei begegnen sie Fledermäusen, einem Hasen und einem wütenden Nashorn, aber auch einem gefährlichen Löwen. Ob Tafiti und Pinsel den Kuschelkissendieb wohl aufspüren können? Ein Theaterstück für die ganze Familie ab drei Jahren. Sonntag, 08. September, 15 Uhr, Bödekersaal, Marktkirche Hannover, Hanns-Lilie-Platz 2, Hannover, Eintritt 6 Euro, mit AktivPass frei.

In diesem Monat fällt der 13. auf einen Freitag und das heißt: Es ist wieder Asphalt-Tag. Und wie immer wollen wir diesen vermeintlichen Pech-Tag in einen Glückstag verwandeln. Mit einem Benefiz-Abend zu Gunsten von Asphalt. Hilfe bekommen wir dafür vom Vertreter für »gehobenen Blödsinn«, Matthias Brodowy. In seinem Programm »Bis es Euch gefällt …« führt der »quasi Hannoveraner mit Migrationshintergrund« sein Pu-

er 13., Freitag, d -Tag der

Es sind Worte, Sätze, Geschichten, die in Erinnerung bleiben, die bewegen und einen Perspektivwechsel ermöglichen: Ob das Wiedersehen einer Familie, die sich seit Jahren nicht mehr gesehen hat, oder das Bemühen der Geflüchteten, alles richtig machen zu wollen. Unter dem Titel »Schreib das auf« lesen AutorInnen Geschichten, die zeigen, wie groß das Engagement der ehrenamtlichen Begleiter für die Integration von geflüchteten Menschen war und ist. Die Lesung findet im Rahmen der Ausstellung »Kunst trotz(t) Ausgrenzung« statt, die eine künstlerische Absage an Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus, an Ideologien von angeblicher Ungleichwertigkeit von Menschen ist. An dieser Wanderausstellung sind KünstlerInnen unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft beteiligt, gezeigt werden die Exponate vom 18. September bis 17. Oktober in der Marktkirche in Hannover. Donnerstag, 19. September, 19.30, Lutherkirche, An der Lutherkirche 20, Hannover, Eintritt frei.

Foto: Tomas Rodriguez

Lesung Schreib das auf

43

blikum zurück in die Zeit des käferorangenen Wählscheibentelefons, als er im Blockflötenensemble ganze Seniorenheime tyrannisierte. Als Bauchhintrainer erklärt er, warum Übergewicht angesichts der wirtschaftlichen Lage ein Muss ist und bringt Teile einer längst verschollen geglaubten Mozartoper für Dicke zu Gehör. Auch seine mehr als skurrilen Albträume wirft der gebürtige Wolfsburger zwecks Verarbeitung der Allgemeinheit zum Fraß vor. Eine temporeiche One-Man-Show – Texte und Töne in laut und leise, Klassiker und Aktuelles – wartet auf Sie. Freitag, 13. September, Einlass 18.30 Uhr, Beginn 19 Uhr, Internationale Schule Hannover, Bruchmeisterallee 6, 30169 Hannover, Eintritt frei, um Spenden wird gebeten.


Sonstiges

Zwei Wochen lang wird die Nordstädter Lutherkirche zur Vesperkirche, wenn sie im September wieder zu gemeinsamen warmen Abendessen mit guten Gesprächen bei Theater und Musik einlädt. Jeder ist willkommen – egal welcher Glaube, welche Nationalität oder welche Lebenssituation hinter dem Einzelnen steckt. Wer ein Essen braucht, wer Gesellschaft schätzt und wer Kirche mal ganz anders erleben will ist ein gern gesehener Gast. Mit ihrer Aktion will die Vesperkirche ein Zeichen setzen und den Zusammenhalt einer Gesellschaft, die immer mehr auseinanderdriftet, fördern und fordern. Ein Ehrenamtlichen-Team von Asphalt wird am 20. und 21. September mit einem Stand vor Ort sein und über die Arbeit und das Projekt informieren. Sonntag, 08. September, bis Sonntag, 22. September, täglich ab 16.30 Uhr, An der Lutherkirche 20, Hannover, Eintritt frei.

Foto: FAHeckmann GmbH

Gemeinsam zu Tisch

Verlosung

Asphalt verlost 10 x 2 Karten für die infa 2019

Messe für Hobby und Haushalt Secondhand-Basar der Lions Stöbern und dabei Gutes tun – auch in diesem Jahr gibt es wieder den traditionellen Secondhand-Basar des Lions Clubs Viktoria Luise. Neben hochwertiger Damen- und Herrenmode, Designerstücken zum kleinen Preis, Handtaschen, Schuhen und ganz unterschiedlichen Gebrauchsgegenständen werden auch viele kleine Flohmarktschätze angeboten. Mit einer großen Auswahl an selbstgebackenen Kuchen lädt das Service-Team der Lions Damen zu einer gemütlichen Tasse Kaffee, Tee oder Kaltgetränken ein. Der Erlös des Basars kommt dem Stöckener »Leckerhaus«, der Kinderpflege »Bärenstark« und Asphalt zu Gute. Sonntag, 29. September, 10 bis 14 Uhr, Freizeitheim Döhren, Hildesheimer Straße 293, Hannover, Eintritt frei.

Ob Beauty oder Kochen, ob Weihnachtsdeko oder Mode, ob Haushaltswaren oder Möbel – in neun Hallen und auf dem Freigelände der Messe in Hannover gibt es für die Besucherinnen und Besucher wieder jede Menge zu entdecken, wenn im Oktober die infa, Deutschlands größte Erlebnis- und Einkaufsmesse wieder ihre Pforten öffnet. In neun Themenwelten heißt es dann wieder shoppen, informieren und staunen. Mehr als 140.000 Aussteller aus 40 Nationen präsentieren Neuheiten, bieten Beratungen oder geben Kostproben regionaler und überregionaler Spezialitäten. Über 200 Workshops laden zum Basteln und Selbermachen ein. Für einen erlebnisreichen Tag auf der infa verlost Asphalt 10 x 2 Karten. Schicken Sie uns dafür einfach eine Postkarte mit dem Kennwort »infa« an: Asphalt-Magazin, Hallerstr. 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover oder eine E-Mail an: gewinne@asphalt-magazin.de oder ein Fax an: 0511 – 30126915 und gewinnen Sie mit etwas Glück die begehrten Tickets. Einsendeschluss ist der 30. September. Samstag, 12. Oktober, bis Sonntag, 20. Oktober, jeweils 10 bis 18 Uhr, Messegelände Hannover, Eintritt: Tagesticket Erwachsene montags bis freitags 12 Euro, samstags und sonntags 14 Euro, Junior-Tagesticket (13 bis 17 Jahre) montags bis freitags frei, samstags und sonntags 9 Euro, erm. montags bis freitags 11 Euro, samstags bis sonntags 13 Euro, Kinder bis 12 Jahre frei.


ASPHALT 09/19

Anzeige

Musik Entdeckungen! Romantische Träumereien, rhythmisch kraftvolle Wortausdeutungen und französische Klangmalerei – gemeinsam mit Voces8 präsentiert der Mädchenchor Hannover unter der Leitung von Andreas Felber eine Fülle von unbekannteren Werken für Frauenchor. Mit Hans Huber ist einer der bedeutenden Schweizer Komponisten vertreten, dessen »Sechs Gesänge für Frauenchor« kaum aufgeführt werden. Außerdem zu hören sind unter anderem romantische Stücke von Herzogenbergs, als Kontrast dazu gibt es die gewaltigen, kurzen Chöre aus dem »Griechischen Wörterbuch« von Petr Eben sowie Lili Boulanger und Léo Delibes »Nymphen des Waldes«. Samstag, 14. September, 19.30 Uhr, Christuskirche Hannover, Conrad-Wilhelm-Hase-Platz 1, Hannover, Eintritt ab 18 Euro.

Jazz im Park Gepflegten Jazz der 20er Jahre ganz im Stil der »Grande Dame« des Nachtlebens von New Orleans – das bieten the ›Lulu White‹ salon orchestra. Die fünfköpfige Band verkörpert den »Old School Jazz« wie kaum eine andere Gruppe aus Norddeutschland. Neben »New Orleans« und »Swing« gehören auch Evergreens zu ihrem Repertoire. Das salon orchestra entführt begeisterte Jazzfans mit seiner Sängerin und ihrer mal zarten, mal rauchigen oder explosiven Stimme in die Salons der 20er Jahre in New Orleans. Sonntag, 15. September, 11 bis 14 Uhr, Park von Ilten, Rudolf-Wahrendorff-Straße 1, Sehnde-Ilten, Eintritt frei.

Doppelkonzert gegen Rechtsextreme Seit Jahren sind sie das Extremste, was man unter der Bezeichnung »Liedermacher« finden kann. Sie laufen 1.000 Kilometer für Obdachlose durch die Republik, schwimmen 800 Kilometer für den Artenschutz durch deutsche Flüsse, radeln fast 7.000 Kilometer für Flüchtlinge durch die Lande, um dann mit Weltklasse-Musikern auf Tour zu gehen. Auf der Bühne ziehen »Strom & Wasser« das Publikum mit ihrer Musik, ihrem Gute-Laune-Faktor und der wilden Mischung aus Politik, Party und anspruchsvollen Texten in ihrem Bann. Liebhaber von Musik jenseits von Hitlisten und Mainstream kommen ganz auf ihre Kosten. Los geht es an diesem Abend aber rockig, poppig, punkig und mit Ska-Appeal dank wuchtiger Bläser mit Matthew Graye. Freitag, 27. September, Einlass 19.30 Uhr, Beginn 20 Uhr, KUFA, Langer Garten 1, Hildesheim, Eintritt 5 Euro.

44 Am Lindener Berge 38 30449 Hannover · Telefon 45 44 55 www.jazz-club.de

SEPTEMBER 2019 Montag, 16. September Saisoneröffnungskonzert ZIELKE – ABEL – BOZTÜY – BRAUN Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Freitag, 20. September ALBIE DONNELLY‘S SUPERCHARGE 2019 Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Montag, 23. September JAKOB BRO TRIO Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Mittwoch, 25. September Die Gesellschaft der Freunde des Jazz präsentiert JACOB KARLZON TRIO Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Freitag, 27. September LILY DAHAB „Bajo un mismo cielo“ Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Samstag, 28. September Die Gesellschaft der Freunde des Jazz präsentiert BIANCA GISMONTI TRIO Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Konzertbeginn jeweils um 20.30 Uhr, Einlass ab 19.30 Uhr

45


SILBENRÄTSEL Aus den nachfolgenden Silben sind 15 Wörter zu bilden, deren erste und vierte Buchstaben – jeweils von oben nach unten gelesen – einen Spruch von Wolf Biermann ergeben: a – äs – bau – brindt – ce – de – des – do – dorf – eben – en – eu – hu – irr – line – lis – men – mus – nat – nie – pi – raub – re – ren – ri – ro – schen – sen – sinn – tal – te – te – ter – thet – ti – tun – un – wa

1. Los ohne Gewinn

2. nicht glatt

3. Wirklichkeit

4. Kreisstadt in Westfalen

5. griechischer Tragödiendichter

6. rücksichtsloser Umgang mit Ressourcen

7. empfindsam Unter den Einsendern der richtigen Lösung verlosen wir dreimal den Thriller »Schatten der Toten« von Elisabeth Herrmann. Judith Kepler ist Tatort­ reinigerin. Der Tod einer früheren Stasi-Spionin setzt eine tödliche Jagd auf einen der größten Verbrecher dieser Zeit in Gang. Bastide Larcan ist Judiths Vater – seine Spur führt nach Odessa, und Judith muss sich entscheiden: für ihr Leben oder für eine Reise in die Vergangenheit … Ebenfalls dreimal können Sie den Thriller »Thalamus« von Bestseller-Autorin Ursula Poznanski gewinnen. Ein schwerer Motorradunfall fesselt den siebzehnjährigen Timo für Monate ans Krankenbett. Auf dem Markwaldhof, einem Rehabilitationszentrum, soll er sich von seinen Knochenbrüchen und dem Schädelhirntrauma erholen. Aber schnell stellt Timo fest, dass sich merkwürdige Dinge im Haus abspielen ... Außerdem gibt es das Hörbuch »Die Konferenz der Tiere« von Erich Kästner dreimal zu gewinnen. Oskar, der Elefant, und seine Freunde haben eine Konferenz der Tiere einberufen. Sie finden, dass die Menschen zu viel an Kriege denken und darüber ganz die Kinder vergessen. Das muss anders werden! Schon bald aber müssen sie feststellen, dass die Menschen sie nur ernst nehmen, wenn sie ein paar kluge Tricks anwenden … Die Lösung des August-Rätsels lautet: Wer den Teufel betrügen will, muss sehr klug sein. Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; Fax: 0511 – 30 12 69-15. E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de. Einsendeschluss: 30. September 2019. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Viel Glück!

8. Geisteskrankheit (altertümlich)

9. französischer Dichter und Arzt (1894 – 1961)

10. schnell vorüber eilen

11. Schöngeist

12. Schlange

13. Mitglied des Deutschen Bundestages

14. Wasservogel

15. Rundbau


Foto: Tomas Rodriguez

n f u a t n Mome

Vielleicht wundern Sie sich ein wenig über das Foto, das ich für diese Ausgabe herausgesucht habe. Aber ich verspreche Ihnen, es wird geschichtlich! Wobei ich allerdings beginnen will mit einem Buchtitel. Einem Titel, der mich eher abgestoßen hat, aber vielleicht sollte er das auch, um Aufmerksamkeit zu erregen. Die legendäre WDR-Moderatorin Carmen Thomas, die nicht nur durch ihre beliebte Sendung »Hallo Ü-Wagen« bekannt wurde, sondern auch durch ihren Schnitzer, als sie im Aktuellen Sportstudio aus Schalke 04 Schalke 05 machte, jene Carmen Thomas also veröffentlichte vor langer Zeit ein Buch mit dem Titel: »Urin – ein ganz besonderer Saft«. Dieses Buch war damals ein Bestseller. Ich selbst würde mir ehrlich gesagt lieber Bücher über Kaffee, Schokolade oder meinetwegen Bismarck oder seine Heringe kaufen. Aber der Erfolg sollte dem Thema Recht geben. Jenseits aller dort beschriebenen medizinischen und pseudomedizinischen Eigenschaften darf man wohl sagen: Urin ist nicht nur besonders, sondern auch lukrativ! Und zwar nicht erst, seit die Nutzung der Toiletten an Raststätten oder am Bahnhof zwischen 70 Cent und einem Euro kostet. Lassen Sie uns einen virtuellen Spaziergang machen ins alte Rom. Seinerzeit war man durchaus sehr reinlich! Damals gab es eine große Anzahl öffentlicher Latrinen. Und dies wiederum waren Orte, an denen man sich nicht nur Erleichterung verschaffte, sondern sich auch traf, um auf sehr vertraulicher Basis Geschäfte zu machen. Eine toilettorische Redewendung, die sich immer noch in unserem Gebrauch befindet, leitet sich genau von diesem »Geschäfte machen« ab. Die antiken Latrinen allerdings waren meist steinerne Bänke, in denen sich dicht an dicht Löcher befanden, auf denen man Platz nahm. Man mag sich nicht vorstellen, wie sich dort ein reicher Kaufmann mit einem Vertreter des Senats traf, jeder zog seine Toga hoch und dann traten die beiden Herren mit blankem Hintern in Verhandlungen ein. Zudem gab es in Rom übrigens zentrale Orte mit Pinkelvasen. In diesen Amphoren, sozusagen dem Urimatus Romanorum, sammelte man Urin, welcher dann von speziellen Sammlern zum Waschen von Kleidung verwendet wurde. Das in vergammeltem Urin enthaltene Ammoniak löste nämlich Schmutz besser als Wasser. Wenn das Clementine gewusst hätte … Kaiser Vespasian besteuerte nun in seiner Amtszeit diese Ausscheidungen, was seinem Sohn Titus überhaupt nicht passte. Vespasian aber entgegnete, indem er demonstrativ an einer Goldmünze roch, mit den berühmten Worten: »Non olet!« Bis heute hat sich diese Weisheit gehalten: Geld stinkt nicht! Inzwischen bekommt man für sein Lokus-Eintrittsgeld einen Wertbon zurück, um sich in einem völlig überteuerten Shop irgendetwas Ungesundes zu kaufen. Und auch heute noch soll es vorkommen, dass an einem Urinal geschäftliche Absprachen jenseits des Konferenztisches getroffen werden. Auch in Mafia- oder Agentenfilmen finden an solch einem Ort wichtigste Treffen statt. Kann man machen, muss man nicht. Manchmal muss man einfach nur! Und wenn man muss, sollte man auch dürfen können! Matthias Brodowy/Kabarettist und Asphalt-Mitherausgeber

ASPHALT 09/19

s y w o Brod ahme

46 47


Die Superkraft vom eigenen Dach.

Nutzen Sie die Kraft der Sonne. Und machen Sie sich unabhängig – mit Ihrer eigenen Solaranlage. enercity.de/solar ECY0027_A4_Anzeige_Asphalt_257h_189b.indd 1

12.07.19 12:57


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.