2019 06 Asphalt

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2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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2019

JAHR

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BEREIT SEIN INSTRUMENTALISIERT

DIAGNOSTIZIERT

POSITIONIERT

Lebensrettung bringt deutsche Kapitänin in Italien vor Gericht

Neue Studie soll Ausbruch des Typ-1-Diabetes verhindern

Margot Käßmann über Rechte, Frieden und Rechtsextreme


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Notizblock

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Angespitzt – Die Glosse

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Kaffee mit Käßmann »Ich bleibe Pazifistin«, sagt die Ex-Bischöfin im Interview über Rechte, Frieden und Rechtsextreme.

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Kapitänin vor Gericht Weil Pia Klemp Leben gerettet hat, wird sie nun angeklagt. In Italien. Wer ist die Frau? Und was treibt sie an? Ein Retter-Porträt.

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Auf den Kopf gestellt In Deutschland haben rund 32.000 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren einen Typ-1-Diabetes. Ein Bericht.

18 Reichtum Der zweite Teil einer Reihe, in der unsere AsphalterInnen sich Gedanken machen – persönlich, kritisch und poetisch.

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Briefe an uns

24 Das muss mal gesagt werden 25 Aus der Szene 26

Wohnungslos in Seattle Die Zahl der Obdachlosen in Seattle steigt stetig. Unterwegs auf den Straßen der Stadt.

30 Aus dem Leben von Asphalt-Verkäufer Michael

32 Rund um Asphalt 34 Zoo-Rätsel 35 Impressum 37

Papst der Hirschkäfer Der Hirschkäfer gilt als stark gefährdet. Experte Werner Schiller ist der erste Ansprechpartner, wenn es zu Sichtungen kommt.

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Wer war eigentlich … Mary Wigman?

41 Buchtipps 42 Juni/Juli-Tipps 46 Silbenrätsel

Titelfoto: danielsbfoto/iStock

47 Brodowys Momentaufnahme Das Asphalt-Prinzip Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Irgendwann sind sie in ihrem Leben durch schwere Schicksale, Krankheiten oder traumatische Erlebnisse aus der Bahn geworfen worden. Heute versuchen sie, durch den Verkauf des Asphalt-Magazins ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Sie kaufen das Asphalt-Magazin für 1,10 Euro und verkaufen es für 2,20 Euro. Asphalt ist eine gemeinnützige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Einrichtung und erhält keinerlei regelmäßige staatliche oder kirchliche Zuwendung. Spenden Sie bitte an: Asphalt gGmbH bei der Evangelische Bank eG, IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30, BIC: GENODEF1EK1


man kann darüber streiten, ob jeder Fluchtgrund genug Fluchtgrund im Sinne der Konventionen ist. Man kann auch diskutieren, ob der braindrain, das Abwandern der Klügeren und Besseren, aus Staaten ohne Perspektive Perspektive hat. Und wo der Hebel wäre, dies zu verhin­ dern. Und man kann Debatten führen, inwieweit Inte­ gration eine Pflicht der Ankommenden ist. Und wie man das messen könnte. Unterschiedliche Positionen sind jeweils begründbar. Nun aber hat eine Staatsanwalt­ schaft in Italien Seenotretter angeklagt. »Beihilfe zur il­ legalen Einreise« wird Pia Klemp und ihren Mitstreitern von dem Kutter »Juventa« vorgeworfen. Weil sie Leben gerettet haben. Zu viele Leben aus Sicht des extrem rechten italienischen Innenministers Salvini. Der Kutter ist festgesetzt, den Rettern drohen bis zu 20 Jahren Haft. Die Klage ist Instrument in einem Kulturkampf der Rechtspopulisten gegen die Zivilgesellschaften. Kaum eine Woche vergeht, in der Salvini nicht gegen Seenot­ retter agitiert. Die Einfahrt von Schiffen mit Flüchtlin­ gen an Bord in italienische Häfen hat er längst verboten. Und so spricht das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR von »der tödlichsten Meeresüberquerung der Welt«. 109 Jahre ist das »Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Hilfeleistung und Ber­ gung in Seenot« heute alt. Danach ist »jeder Kapitän ver­ pflichtet, allen Personen, selbst feindlichen, die auf See in Lebensgefahr angetroffen werden, Beistand zu leis­ ten.« Das Übereinkommen ist Teil einer Kulturleistung, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gipfelte. Dass diese kulturelle Errungenschaft heute wie­ der in Zweifel gezogen wird, sollte uns Menschen mit Anstand wachsam werden lassen.

In diesem Sinne

Volker Macke · Redaktionsleiter

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

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Die Schuhe der Kinder Hannover/Hameln. Ein paar kleine Schuhpaare als Mahnung hat Ina Tolksdorf, Sprecherin der Initiative »Kinder von Lügde«, vor den Niedersächsischen Landtag platziert. Sie stehen für den tausendfachen Kindesmissbrauch auf dem Campingplatz unweit von Bad Pyrmont. Denn auch niedersächsische Behör­ den sind in die Verflechtungen aus Vergewaltigern, Polizei-, Staatsanwaltschafts- sowie Jugendamtsversagen rund um das ostwestfälische Lügde involviert. Tolksdorf und ihre Mitstrei­ ter fordern die Einsetzung eines unabhängigen Missbrauchs­ beauftragten des Landes und eine unabhängige Kommission »Kinderschutz«, um die Vorfälle in Lügde zu untersuchen. AfD und Grüne haben das Thema im Landtag aufgegriffen und ih­ rerseits die Einrichtung parlamentarischer Sonderausschüsse gefordert. Der Regierungskoalition reicht es bisher, wenn die bereits existierende Präventionskommission bis Jahresende eine Handreichung zum Umgang mit sexuellem Missbrauch erarbeitet. »Bis dahin sind gerade noch zwei Sitzungstermine vorgesehen. Die Aufarbeitung der Fälle von Lügde entspricht jedoch weder dem Arbeitsauftrag noch der Ausstattung der Präventionskommission«, kritisierte Grünenfraktionschefin Anja Piel. Sie fordert einen Sonderausschuss, »der unter Betei­ ligung von Expertinnen und Experten das System Kinderschutz mit seinen zahlreichen Akteuren, rechtlichen, finanziellen und personellen Rahmenbedingungen auf den Prüfstand stellt.« Eine Kinderschutzkommission habe sich schon »selbst, wenn sie nur einen Fall verhindert, gelohnt«, so AfD-Fraktionsge­ schäftsführer Klaus Wichmann. Ob der Landtag eine solche Kommission braucht, soll der Sozialausschuss des Landtages jetzt klären. MAC

Hannover. Gegen ein Tempolimit auf Autobahnen hat sich mit Mehrheit der Niedersächsische Landtag in seiner Mai-Sitzung ausgesprochen. Ein entsprechender Antrag der Grünen-Frakti­ on wurde von Sprechern der CDU, FDP, SPD und AfD abgelehnt. Die Grünen wollen mit einem Tempolimit mehr Sicherheit und weniger CO2-Ausstoß erreichen. »Hohes Tempo führt zu Unfäl­ len, es verletzt und tötet Menschen und es verursacht erhöh­ te klimaschädliche CO2-Emissionen. Ein Tempolimit ist ein sofort umsetzbares und kostengünstiges Instrument, mit dem sich Menschen und Klima nachhaltig schützen lassen«, so der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Detlev Schulz-Hen­ del. Von 417 Menschen, die im Jahr 2018 auf niedersächsischen Straßen ums Leben kamen, seien 59 Personen auf Autobahnen getötet worden. »Leider sind die Zahlen wieder ansteigend – im Jahr 2017 waren es 38 Menschen«. Laut repräsentativer Umfra­ ge für die ARD sind 51 Prozent aller Deutschen für ein generel­ les Tempolimit auf Autobahnen, 47 Prozent sind dagegen. MAC

ZAHLENSPIEGEL »VORURTEILE«

Foto: Peter Steffen/dpa

Mehrheit für schnelles Fahren

Jeder 4. Deutsche befürwortet, dass bettelnde Obdachlose aus Fußgängerzonen »zu entfernen« seien. So die »Mitte-Studie« der Friedrich Ebert Stiftung. Jeder 2. glaubt, dass Langzeitarbeitslose kein Interesse daran hätten, einen Job zu finden. 63,8

Prozent finden es »empörend, wenn sich die Langzeitarbeitslosen auf Kosten der

Gesellschaft ein bequemes Leben machen.« Laut Polizeistatistik wurden im Jahr 2018 bundesweit 670 schwere Gewaltdelikte gegen Obdachlose gezählt, 78 mehr als 2017. 2012 waren es noch 258 Taten.


Hannover. Strafgefangene in Niedersachsen sollen künftig, wenn sie Ausgang haben, mit der elektronischen Fußfessel überwacht werden. Die SPD/CDU-gestützte Landesregierung hat eine entsprechende Änderung des Justizvoll­ zugsgesetzes auf den Weg gebracht. Bislang sei die Überprüfung der Häftlinge unzureichend. Künftig solle GPS-gestützt in Echtzeit jeder Frei­ gänger überprüft werden können. Häftlingen in Sicherungsverwahrung will Justizministerin Barbara Havliza zudem künftig seltener Frei­ gang ermöglichen als bisher: einmal pro Viertel­ jahr statt wie bisher einmal pro Monat: »Es gilt die Resozialisierung der Sicherungsverwahrten zu fördern und gleichzeitig die Sicherheit der Allgemeinheit zu gewährleisten. Ein Mindestan­ spruch auf eine Ausführung im Vierteljahr ist ein guter Weg, um beiden Zielen gerecht zu wer­ den.« MAC

Mehr Kontrollen gefordert Hannover/Stade. Skandalöse Zustände auf Schlachthöfen und mangelnde Einsatzbereit­ schaft zuständiger Behörden: Die Grünen haben eine entsprechende parlamentarische Anfra­ ge an die Landesregierung zur Aufklärung ge­ stellt. »Immer wieder stellen wir fest, dass die Landkreise als zuständige Kontrollinstanz ihrer Aufgabe nicht gerecht werden«, so die agrarpo­ litische Sprecherin der Fraktion Miriam Staud­ te. Es gebe mancherorts im Land »offenbar ein zu enges Geflecht zwischen Schlachtbetrieben und Kontrollbehörden«. Ende April musste ein Schlachtbetrieb im Landkreis Stade wie schon kurz zuvor einer in Bad Iburg schließen, nach­ dem dort massenhaft Tierquälereien nachgewie­ sen worden waren. Eine Tierschutzorganisation hatte zudem die zuständige Staatsanwaltschaft angezeigt, weil diese offenbar unzureichend auf Hinweise reagiert hatte. »Die Kontrolle der Schlachthöfe muss auf die Landesebene über­ tragen werden, um endlich eine Rotation der Kontrolleure umzusetzen, wie sie in anderen Bereichen längst üblich ist. Die Veterinärbehör­ den brauchen zudem mehr Personal« forderte Staudte. MAC

25 JAHR

Vor 25 Jahren – Wie alles begann

SCHMALSTIEGS VERSPRECHEN Name steht: Asphalt. Logo steht: Verkäufer-Männchen. Die neue Straßenzeitung für Hannover nimmt Formen an. In den Räumen der Schuhstraße hat das Redaktionsteam aus ehemals Obdachlosen und Profis längst die Arbeit aufgenommen. Damals, im Juni 1994. Eine Zeitschrift braucht ein Format, eine Struktur, Rubriken, Kolumnen, eine Bildsprache und Beiträge für die »Leser-Blatt-Bindung«, wie man das auf Journalistenschulen nennt. Vorschusslorbeeren gibt es in diesen Tagen im Juni und Juli 1994 ohnehin immer mehr – Zeitungen und Sender berichten mittlerweile regelmäßig von den Fortschritten der kleinen Straßenzeitungs-Projektgruppe. Am 8. Juni 1994 taucht ein Uwe in den ersten Redaktionsräumen in der Schuhstraße auf: Der Obdachlose will Verkäufer werden. Der erste Verkaufsausweis wird ausgestellt. Zehn Kollegen sind es Mitte Juli. Dann geht es Schlag auf Schlag, in der Szene keimen die Hoffnungen. Doch noch ist unklar, wie und von wo aus man den Vertrieb an die künftigen Verkäuferinnen und Verkäufer organisiert. Und wie ihr rechtlicher Status ist. Mit einer wegweisenden Entscheidung voller Empathie sorgt Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg für Zuversicht, nicht nur bei Asphalt-Gründer Pastor Walter Lampe: Die Verkaufserlöse sollen auf absehbare Zeit nicht auf die Sozialhilfe angerechnet werden. Glasklar sieht Hannovers OB, dass das sofortige Verrechnen jeder verdienten Mark mit der Stütze jegliche Motivation der Obdachlosen sich selbst zu helfen, im Keim ersticken würde … Fortsetzung in Asphalt 08/19

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Foto: Karin Powser

Fesseln für Freigänger

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ANGESPITZT – DIE GLOSSE

Man kann sich ja auf nichts mehr verlassen! Neulich erst berichteten die Zeitungen über eine großangelegte Razzia im Drogenmilieu. Bis an die Zähne bewaffnete SEK-Verbände brachen Wohnungstüren auf und überwältigten die Anwesenden. Wie das so sein soll: Die Bösen werden von den Guten besiegt; in diesem Fall die Drogenhändler, die vermutlich gerade feist grinsend ihr schmutziges Geld zählten, als die Polizei hereinstürmte und ihnen Handschellen anlegte. Aber die Welt ist nicht mehr, was sie mal war. Früher, in meiner Kindheit, war die ganze Welt ein großes Entenhausen. Mickey Maus hat den Kater Karlo stets zuverlässig zur Strecke gebracht, Onkel Dagobert hat uns mit den Ungerechtigkeiten des Kapitalismus versöhnt, Daisy ging zufrieden in ihrer Frauenrolle auf und die Witzfigur Donald wäre nie mit wichtigen Aufgaben betraut worden. Alles vorbei! So müssen wir lesen, dass die SEK-Truppen dreimal in falsche Wohnungen einbrachen! Und warum? Wegen »melderechtlicher Unstimmigkeiten«, wie die Polizei mitteilte. Die gesuchten Personen seien ohne Abmeldung umgezogen, in einem Fall sogar innerhalb des

»KRISE IN ENTENHAUSEN«

Hauses. Einfach so! Ja, wie soll unsere Polizei die dann finden? Also, meine Damen und Herren Verbrecher und Verbrecherinnen, so geht es nicht! Die Panzerknackerbande hätte nie so viele Schwierigkeiten gemacht. Man könnte nun vielleicht einwenden, die SEK’ler hätten ja mal auf die Klingelschilder gucken sollen. Aber ich bitte Sie: was wollen wir von unseren Beamten noch alles verlangen? Nein, das Problem ist doch, dass heutzutage einfach jeder Verbrecher werden kann. Oder jeder Komiker ein Politiker und Donald als Kampferpel sogar Präsident. Ach, Entenhausen, was ist aus Dir geworden! Ulrich Matthias


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KAFFEE MIT KÄSSMANN

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Foto: G. Biele

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»ICH BLEIBE PAZIFISTIN« Sie ist eine Instanz. Jüngst erst wurde sie zu den 20 wichtigsten Intellektuellen Deutschlands gewählt. Und sie ist Herausgeberin von Asphalt. Weil Idee und Ausrichtung der Straßenzeitung sie von Anbeginn überzeugen. Ex-Bischöfin Margot über Europa, seine Rechte und Rechtsextreme, über Frieden und ein Glaubensfest. Liebe Margot, Europa hat gewählt. Fake-News und Halbwahrheiten waren stark im Wahlkampf vertreten. Wie schon beim Brexit. Verbreitet über Social Media. Bist du selbst bei Facebook, Instagram oder Twitter? Weder noch. Das klingt jetzt wahrscheinlich »von gestern«, aber als ich ein paar Wochen bei Facebook war, habe ich ge­

merkt, wie viel Zeit mich das kostet und wie wenig inhaltlich dabei rüberkommt. Und manches Mal, wenn der US-Präsident oder ein deutscher Minister etwas über Twitter bekannt gibt, denke ich: Das gehört doch ins Parlament und nicht in so ein total auf Einzelne abgestimmtes Medium. Sozial finde ich diese Netzwerke übrigens auch nicht.


Foto: dpa

»Nichts ist gut in Afghanistan«, sagte die EKD-Rastvorsitzende Bischöfin Margot Käßmann in ihrer Neujahrspredigt 2010.

Etwa zehn Prozent der Social-Media-Nutzer sind nach einer Untersuchung der Analysefirma Alto in Zusammenarbeit mit NDR und WDR Unterstützer rechter Gruppen bis hin zur AfD. Diese generieren aber fast 50 Prozent der politischen Inhalte in den Netzwerken. Natürlich thematisch zugunsten der AfD. Muss uns das Angst machen, dass auf diese Weise Wirklichkeit verzerrt wird? Es ist sogar extrem beunruhigend, wenn wenige Menschen oder auch diese So­ Ich bin sicher, dass cial-Media-Roboter eigentlich nicht die Rechten in der mehrheitsfähige Aussagen durch tau­ sendfaches Vervielfältigen zu einer ver­ Kirche nicht die meintlichen Stimmung im Land machen. Mehrheit sind. Shitstorms funktionieren ja auch genau so. Das ist roh, respektlos und gefährlich. Da sind natürlich die Anbieter solcher Plattformen als erstes in der Pflicht. Aber ich selbst bin jetzt 60. Ich persönlich will mich da nicht mehr reinhängen.

Die Publizistin Liane Bednarz beschäftigt sich in ihrem Buch »Die Angstprediger« mit einer wachsenden Zahl von Christen, die vor einer angeblichen Islamisierung und vor der Ehe für alle warnen und Kampagnen gegen Abtreibung und den sogenannten Genderwahn initiieren. Machen dir diese Angstprediger Angst? Es gibt das leider in den Kirchen. Fundamentalismus existiert in allen Religionen und auch Konfessionen. Und Evangelikale

gibt es auch in der evangelisch-lutherischen Kirche. Ich selbst erlebe das sehr stark in der Abtreibungs­ debatte. Da ist eine Radikalisierung spürbar, die oft aggressiv daherkommt. Abtreibungsgegner gab es immer, aber heute wird mit Hassbotschaften und Bildern zerstückelter Kinder gearbeitet. Inhaltlich bleibe ich dabei: Niemand kann eine Frau dazu zwingen, ein Kind gegen ihren Willen auszutragen. Wir sollten aber alles versuchen, ihr dabei zu hel­ fen, es bekommen zu wollen. Gegen diese Haltung gibt es gut organisierte Gruppen auch innerhalb der Kirchen. Aber grundsätzlich bin ich sicher, dass die Rechten in der Kirche nicht die Mehrheit sind. Ich sehe in der Landeskirche nämlich auch die vielen Flüchtlingsinitiativen, das große soziale Engage­ ment.

Vom Gedankengut zur Mitgliedschaft in extrem rechten Parteien: Sollten Mitglieder beispielsweise der AfD in Kirchenvorständen sein dürfen oder ist das unvereinbar? Ich finde wir sollten unbedingt mit Leuten aus der AfD diskutieren. Ich wäre dazu bereit, wenn sie dis­ kussionsfähig sind. Aber oft erlebe ich, dass es auf deren Seite so hohe Aggression gibt, dass es kaum möglich ist, in Ruhe sachlich und faktenbasiert mit­ einander zu reden. Ich würde jemandem, der in der AfD ist, nicht gleich das Christsein absprechen. Aber ich kann nicht verstehen, wie ein Christ in dieser Partei sein oder sie wählen kann. Weil sie antisemi­ tisch ist, weil sie eine rassistische Ideologie vertritt und weil sie die Gleichberechtigung von Männern und Frauen nicht akzeptiert.

Die AfD würde antworten: Wir haben aber doch eine jüdische Plattform, die JAfD, in der Partei. Es gibt genug Fakten über Besuche der Partei in den ehemaligen Konzentrationslagern, über un­ flätiges Benehmen dort, es gibt die Aussagen über das angebliche Mahnmal der Schande, den Vogel­ schiss-Vergleich von Herrn Gauland. Das alles ist bitter, inakzeptabel und ich hätte ehrlich gesagt nie für möglich gehalten, dass solche Reden und Verhal­ tensweisen irgendwann möglich sein würden. Dabei können wir so stolz auf Deutschland sein, eben weil es die eigene Schuld so umfassend bearbeitet hat.

Bei der Europawahl sind AfD und ihre Freunde nun angetreten, das christliche Abendland mithin Europa zu verteidigen, indem sie Europa


»Der Fremdling, der unter euch wohnt, den sollt ihr schützen«, ist ein biblisches Gebot. Das christliche Abendland zeichnet sich durch Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Friedensliebe und Gerechtigkeit aus. Davon hat Jesus gesprochen! Wer all das an­ fragt und gleichzeitig sagt, er verteidige das christliche Abend­ land, der hat die Grundideen des Christentums definitiv nicht verstanden. Zudem: Das ganze Abendland ist ein Ergebnis von Migration!

Eine Fluchtursache sind schon immer Kriege gewesen. Ist heute eigentlich was gut in Afghanistan? Oder Mali, Syrien oder Jemen? Als ich damals, Anfang 2010, predigte, nichts sei gut in Afgha­ nistan, ist mir Naivität vorgeworfen worden. Ob ich denn ernsthaft glaubte, man könne mit Taliban verhandeln. Heute wissen wir, dass genau das schon seit längerem geschieht. Die Amerikaner verhandeln und die Dschirga verhandelt. Denn Frieden entsteht nur durch Verhandlung. Das ist zäh und kos­ tet Zeit und Geld. Aber ich bleibe Pazifistin. Ich weiß, dass am Ende immer gesagt wird: Jetzt ist die Gewalt aber soweit fort­ geschritten, dass nur noch Gewalt die Lösung sein kann. Doch das pazifistische Moment der Mediation, der Vermittlung, der Konfliktkompetenz müsste viel früher eingesetzt werden. Und auch finanziert werden. Die Milliarden aber fließen nicht dort­ hin, sondern in Rüstung und Krieg. Das ist sehr tragisch.

Wäre man in Afghanistan mit Mediation statt Krieg heute weiter? Nehmen wir einfach mal das, was wir in den Jahren dort für Militär ausgegeben haben. Die mehr als 50 Auslandseinsätze der Bundeswehr seit Anfang der 90er Jahre haben zusammen mindestens 21,6 Milliarden Euro gekostet, ein Großteil davon für den Afghanistaneinsatz. Wären diese Summen frühzeitig in Konfliktbewältigung und Interessenausgleich investiert worden, hätten wir damit die Kräfte im Inneren unterstützen können, an­ statt von außen zu kommen und zu meinen, wir könnten deren Konflikte lösen. Wir hätten heute gewiss ein anderes Lagebild. Es ist doch ungeheuer arrogant zu meinen, man könne Konflikte weltweit von außen per Militärintervention lösen. Beispielswei­ se Libyen: Nichts wurde dort durch den interventionistischen Sturz Gaddafis besser.

Aber speist sich diese Arroganz nicht aus dem Stolz auf die Werte des christlichen Abendlands, die du gegenüber dem Angehen der AfD verteidigen willst? Jeder Mensch in einem Gefängnis, egal wo auf der Welt, hat die Sehnsucht nach genau den Werten und Rechten, die wir hier haben: Dass er frei reden kann, dass er nicht gefoltert wird, dass er Unversehrtheit hat, dass er einen fairen Prozess hat und sei­ ne Kinder ohne Angst leben dürfen. Er wünscht sich, dass diese zur Schule gehen können, Ernährung, Gesundheit und Obdach haben, dass sie friedlich und unbehelligt ihren Glauben leben können. Deshalb sind die Menschenrechte universell und un­ verhandelbar. Die Arroganz der westlichen Welt besteht eher darin, zu glauben, sie könnten anderen Gesellschaften erklä­ ren, wie sie zu leben haben. Und es gibt ja auch noch die sozi­ alen Menschenrechte, die nach den ungerechten Strukturen in der Welt fragen.

Beim Evangelischen Kirchentag 1983 in Hannover gab es diese ungeheure Friedenssehnsucht. Überall lila Tücher mit dem klaren Nein zu Massenvernichtungswaffen. Das war enorm kraftvoll. Jetzt, Mitte Juni, ist wieder Kirchentag. Ist Kirchentag heute noch so gesellschaftskritisch? Die Kraft von 1983 habe ich 2003 in Berlin nochmal gespürt. Da haben Hunderttausende gegen den Irakkrieg demonstriert. Die vorhandene große Bereitschaft zum Engagement muss aber immer wieder aktiviert werden. Ob sich der Kirchentag heute an die Spitze einer solchen Bewegung setzen würde? Gleich­ wohl bleibt er für mich ein Forum der Freiheit. Dorothee Sölle auf dem Kirchentag zu erleben war für mich damals eine unbe­ schreibliche Erfahrung. Gemeinsam frei denken und diskutie­ ren – das ist Kirchentag. Aber so wie du nicht jeden Tag Weih­ nachten feiern kannst, kann auch nicht immer Kirchentag sein. Das hält niemand aus. Aber dieses Fest des Glaubens kann so etwas wie deine Tankstelle für die Seele sein. Kirchentag ist bes­ tens um zu merken, du bist nicht allein mit deinem liberalen christlichen Denken. Das hilft gegen Verzagtheit.

Du selbst wirst wieder teilnehmen. Ich wünsche dort viel Freude und Auftanken und danke für das Gespräch. Interview: Volker Macke

Dr. Margot Käßmann (60) ist Pastorin. Bis 1999 war sie Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, es folgten Stationen als Bischöfin der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers und der Ratsvorsitz der Evangelischen Kirche in Deutschland und Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017. Seit Mitte 2018 ist sie pensioniert. Seit März 2019 ist sie Asphalt-Herausgeberin. Wir veröffentlichen von nun an vierteljährlich Interviews mit ihr zu Themen der Zeit. Das nächste im September.

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abschaffen wollen und haben europaweit viel Zuspruch bekommen.

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KAPITÄNIN VOR GERICHT Weil sie Leben, offenbar zu viele Leben, gerettet hat, wird sie nun angeklagt. In Italien, das die Flüchtlinge, die Pia Klemp an Land gebracht hat, nicht will. Wer ist die Frau? Und was treibt sie an? Ein Retter-Porträt. Wenn Pia Klemp rauskommt, wäre sie fast 60 Jahre alt. Bis zu 20 Jahre Gefängnis, damit drohen sizilianische Staatsanwälte der 35-jährigen Kapitänin aus Bonn. Und sie fahren dafür einiges auf: abgehörte Telefonate, verdeckte E ­ rmittler und eine ange­ kündigte Anklage wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Es wäre nur zu verständlich, wenn man es da als Beschuldig­

te mit der Angst zu tun bekäme. Aber wenn Klemp welche hat, gibt sie es nicht zu: »Ich habe keine Angst, aber ich bin sauer«, sagt sie. Sie habe in sechs Einsätzen als Kapitänin der privaten Ret­ tungsschiffe Sea-Watch 3 und Iuventa etwa 5.000 Menschen das Leben gerettet. Dass sie dafür jetzt vor Gericht gezerrt wird,


Foto: Friedhold Ulonska

macht sie wütend. »Absolut erbärmlich«, findet sie die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft. Und sie glaubt, dass sie politisch motiviert sind. In Zeiten, in denen in Italien ein Rechtsnationa­ ler Innenminister ist, der immer wieder gegen zivi­ le Seenotretter poltert und rassistische Stimmung gegen Migranten macht, scheint das möglich. Die Anklage gegen sie und neun weitere Crewmitglieder der Iuventa sieht Pia Klemp als Versuch, die priva­ ten Seenot­retter einzuschüchtern und von der Ar­ beit abzuhalten. In gewisser Weise schon mit Erfolg,

»Rettung« oder »Übergabe« lautet die Kernfrage aus Sicht der Ankläger. Also: Hat die Iuventa das Ertrinken der Menschen verhindert oder hat sie sie von Schleusern übernommen.

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Foto: Lisa Hoffmann

denn gerade ist sie an Land und nicht auf dem Mit­ telmeer, wo sie Menschen vor dem Ertrinken retten könnte, weil ihr in dem Fall Untersuchungshaft dro­ hen würde. Und das quält sie am meisten. Denn so lange am selben Ort wie gerade jetzt, war sie seit Jahren nicht mehr. »Ich habe schon lan­ ge keinen festen Wohnsitz mehr, sondern ziehe mit meinem Rucksack durch die Lande und über die Meere«, erzählt sie. Direkt nach ihrem Biologie-Stu­ dium in Bonn zog sie vor zehn Jahren nach Indo­ nesien. Eine Anstellung im Labor, das wäre nichts für sie gewesen. Viel lieber jobbte sie als Tauchleh­ rerin und erkundete die Korallenriffe im Indischen Ozean. Doch mit jedem Tauchgang bemerkte sie mehr und mehr, wie »Ich kann mir sehr die wunderschöne Unterwas­ als Seefrau serwelt durch die Verschmutzung nichts Fieseres der Meere bedroht ist. Also heuer­ te sie nach drei Jahren auf einem vorstellen, als Schiff der Meeresschutzorganisa­ alleingelassen tion Sea Shepherd an, zunächst als im Meer ertrinAushilfskraft. Dort lernte sie dazu, ken zu müssen.« wurde Bootsfrau, später Kapitä­ Pia Klemp nin. Seitdem verbringt sie einen Großteil ihrer Zeit auf dem Meer. »Ich möchte so viel wie es nur irgendwie geht von der Welt sehen«, sagt Klemp. »Es gibt so viele span­ nende Orte, Menschen, Geschichten und Tiere zu entdecken, das treibt mich immer weiter an.« Dass

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Foto: AP Photo/Picture-Alliance

an der weiteren Arbeit gehindert.

sie dafür auf Komfort verzichten muss, stört sie nicht weiter: »Ich bin ein recht genügsamer Mensch«, sagt sie. »Ich bin sehr glücklich mit dem, was in meinen Rucksack passt. Mehr habe ich bis jetzt noch nie gebraucht.« Als private Seenotretter anfingen, Menschen aus dem Mittelmeer zu ziehen, weil die EU ihre staatlichen Rettungsmis­ sionen zurückfuhr, war Klemp schnell zur Stelle. »Ich kann mir als Seefrau nichts Fieseres vorstellen, als alleingelassen im Meer ertrinken zu müssen«, begründet sie die Entscheidung, sich 2017 bei SeaWatch und Iuventa als Schiffsführerin zu bewerben. Und eine politische Begrün­ dung hat sie freilich auch: »Ich bin als Teil dieser Gesellschaft mitverantwort­ lich für viele der Fluchtursachen und habe die seefahrerischen Fähigkeiten.« Es klingt, als hätten die Umstände ihr gar keine andere Wahl gelassen. Im Juni 2017 läuft sie das erste Mal mit der Iuventa aus. »Es ging direkt in die Vollen«, sagt Klemp. Gleich am ersten

Foto: Lisa Hoffmann

Festgesetzt: Die Iuventa wurde von italienischen Behörden in Lampedusa

Einsatztag sei die Crew auf 15 Boote mit jeweils 120 bis 150 Menschen in Seenot gestoßen. Da war sie geschockt: Vom schlechten Zustand der Boote, dem psychischen und physischen Zustand der Menschen und von der Tatsache, dass ihnen außer den privaten Helfern niemand zu Hilfe kam. Haben sie es damals geschafft, alle zu retten? Klemp muss nachdenken. »Ich glaube, an dem Tag hatten wir keine Toten«, sagt sie dann. Aber sicher ist sie sich nicht. Tote gab es, als Klemp ein halbes Jahr später mit der Sea-Watch 3 zu einer Rettungsmission vor der libyschen Küste ausrückte. 150 Menschen auf Schlauchbooten waren in Seenot geraten. In einer aufwendigen Video-Dokumentation auf der Home­ page der »New York Times« kann man sehen, wie vie­ le von ihnen ertrinken. Weil es zu viele sind, die im Wasser treiben, als dass die Retter der Sea-Watch sie alle gleichzeitig herausziehen könnten. Und weil die ebenfalls anwesende libysche Küstenwache kaum Anstalten macht, ihnen zu helfen – sondern sie im Gegenteil aktiv gefährdet. Die, die es an Bord des li­ byschen Schiffes schaffen, werden zudem misshan­ delt. Manche springen aus Panik wieder ins Meer,

Klemp auf der Brücke: Von hier aus koordinierte sie die Rettung von 5.000 Menschen.


a m n e s t y a f t e r wo r k

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obwohl sie nicht schwimmen können. »Ich wäre gen zehn Crewmitglieder. Seitdem darf das Rettungsschiff nicht lieber im Wasser gestorben, als nach Libyen zurück­ mehr auslaufen, obwohl auf dem Meer weiter Menschen ertrin­ zukehren«, sagt einer der Männer im Video der New ken. So wie andere Seenotretter auch, die von der italienischen York Times. Denn dort drohen Folter und Verskla­ und maltesischen Regierung in den vergangenen Monaten im­ vung. Er hat es an Bord der Sea-Watch geschafft, so mer wieder festgehalten wurden. wie 60 Menschen an diesem Tag. Mindestens 20 an­ Konkret wirft die Staatsanwaltschaft der Iuventa-Crew vor, dere aber nicht. »Das Ergebnis von Entscheidungen, sie habe mit Schleusern zusammengearbeitet und Schlauch­ die Politiker weit weg in europäischen Hauptstädten boote zurückgeschickt, sodass sie erneut hätten benutzt wer­ getroffen haben«, kommentiert die New York Times. den können. »An den Haaren herbeigezogener, fingierter, di­ Es ist schon beklemmend, sich dieses Video auf lettantischer Quatsch«, sagt Pia Klemp. Ein Gutachten, das die dem Sofa anzusehen. Pia Klemp war live dabei: auf Seenotretter in Auftrag gegeben haben, spricht von haltlosen der Brücke der Sea-Watch 3. Nimmt sie die Eindrü­ Anschuldigungen. cke mit nach Hause, bringen die Bilder von Ertrin­ Dennoch: »Uns steht ein jahrelanger Schauprozess bevor«, kenden sie um den Schlaf? Wenn sie etwas belaste, befürchtet Klemp. Sie rechnet mit 500.000 Euro Prozesskosten. dann das, dass das Sterben weitergehe – und sie ge­ Einschüchtern lassen wollen sie sich aber nicht, sagt Klemp rade am Festland nichts dagegen tun könne. »Der über sich und ihre Mitstreiter: »Solange Menschen fliehen, eigentliche Schrecken widerfährt diesen Menschen werden wir versuchen, sie zu retten.« auf der Flucht, nicht mir«, sagt sie. Benjamin Laufer Was ihr hilft, ist das Gefühl, nicht alleine zu sein. »Es ist super zu sehen, was alles möglich ist, wenn wir als Crew alle zusammenarbeiten«, resümiert die Kapitänin ihre Rettungseinsätze. Im Rücken haben Anzeige die Seenotretter große Teile der Zivilgesellschaft. Immerhin 75 Prozent der Deutschen befürworten laut einer Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2018 ihre Arbeit. Jüngst, im April, unterschrieben mehr als 250 Organisationen einen offenen Brief an Kanzle­ rin Angela Merkel (CDU) mit der Forderung nach Schreiben Sie für die Menschenrechte – einem Notfallplan für Bootsflüchtlinge und einem gegen Verfolgung, Gewalt und Folter Stopp der Rückführungen nach Libyen. Unterschrieben haben »Solange auch Amnesty International, Menschen die Diakonie und der FC St. Pauli. »Dass zivile HelferInnen fliehen, werden kriminalisiert werden, die der wir versuchen, unterlassenen Hilfeleistung der sie zu retten.« europäischen Staaten nicht ta­ Pia Klemp tenlos zusehen wollen, ist ein Gemeinsam für die Menschenrechte Skandal«, steht in dem Brief. Sie können helfen: Wir laden Sie herzlich ein, uns montags zu »Diese Politik muss beendet werden, denn sie be­ besuchen. Lassen Sie Ihren Tag mit einer guten Tat bei Kaffee, Tee droht nicht nur das Leben von Menschen, sie setzt und Gebäck ausklingen, indem Sie sich mit Faxen, Petitionen oder Briefen gegen Menschenrechtsverletzungen in aller Welt einsetzen. auch unsere eigene Humanität und Würde aufs Spiel.« Öffnungszeiten: Klemp war auch dabei, als die Iuventa im August Montag 18 bis 19 Uhr after work cafe Dienstag 11 bis 12 Uhr, Donnerstag 18.30 bis 19.30 Uhr 2017 von den italienischen Behörden festgesetzt amnesty Bezirksbüro Hannover wurde. Die Notrufleitstelle in Rom habe sie nach Fraunhoferstraße 15 · 30163 Hannover Lampedusa gelotst, erzählt sie: »Wir wurden dort Telefon: 0511 66 72 63 · Fax: 0511 39 29 09 · www.ai-hannover.de von vier Schiffen der Küstenwache mit Blaulicht Spenden an: IBAN: DE23370205000008090100 · BIC: BFSWDE33XXX und bewaffneter Besatzung an Deck in Empfang ge­ Verwendungszweck: 1475 nommen.« Das war der Beginn des Verfahrens ge­

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AUF DEN KOPF GESTELLT In Deutschland haben rund 32.000 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren einen Typ-1-Diabetes. Für die nächsten Jahre sagen Forscher dramatisch steigende Zahlen von jährlich bis zu 2.000 Neuerkrankung voraus. Beunruhigend: Immer mehr Kinder erkranken immer früher an Typ-1-Diabetes. Angefangen hat es mit Trinken. Ganz viel trinken. Dann kam die Müdigkeit dazu. Und Lustlosigkeit. Lust zu gar nichts mehr. Zum Schluss litt die damals noch nicht einmal zwei Jahre alte Sandra ständig unter Kopfschmerzen und häufigem Erbrechen. Eine rapide Gewichtsabnahme folgte – für Mutter Violetta Schlüter ein Alarmsignal zum Handeln. Also ging sie mit ihrer kranken Tochter zum Kinderarzt. Erste Diagnose: Magen-Darm-Grippe. Doch als auch ein paar Tage nach dem Arztbesuch die Symp­

tome nicht besser wurden, war klar: »Da stimmt etwas nicht. Das kann nicht sein. Ich kenne doch mein eigenes Kind und wie es sich bei einer Magen-Darm-Grippe normalerweise verhält.« Doch hier und jetzt war irgendetwas anders. »Als Sandra dann auch noch gegen eine Tür lief, weil sie gar nicht mehr gesehen hatte, dass die nur angelehnt war, schnappte ich sie und ging noch einmal zum Kinderarzt.« Aufgrund der Beschreibung der Symptome ließ dieser nun einen Blutzuckertest machen. Der


Sandra und ihre Mutter Violetta Schlüter sind im Diabetes-Management ein eingespieltes Team. Ihre große Leidenschaft sind Pferde und Reiten.

alter, Virenerkrankungen oder Vitamin-D-Mangel ebenfalls mitverantwortlich sein. Sicher ist jedoch: Süßigkeiten sind für den Typ-1-Diabetes nicht verantwortlich.

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Wert war so hoch, dass das Messgerät schon gar kei­ ne Zahlen, sondern nur noch »HI« für high anzeigte, eine Situation, die lebensbedrohlich hätte werden können. Schnell stand die neue und endgültige Di­ agnose fest – Diabetes mellitus Typ 1. Die sofortige Einweisung ins Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult folgte. Der Typ-1-Diabetes kommt meist wie aus hei­ terem Himmel und ist die häufigste Stoffwechseler­ krankung bei Kindern. Diese chronisch verlaufende Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem entgleist und die insulin­ produzierenden Zellen Zehn von 1.000 der Bauchspeicheldrüse Kindern in Deutschzerstört, kann jeden tref­ fen. Bestimmte Gene in land haben Typ-1unserem Erbgut machen Diabetes-Risikogene. eine Erkrankung wahr­ scheinlicher, aber: »Nicht jeder, der diese Genkombination trägt, wird auch einen Typ-1-Dabetes entwickeln. Wir wissen, dass auch bestimmte Umweltfaktoren eine gewisse Rol­ le spiele«, erklärt Olga Kordonouri, Chefärztin und Professorin im Kinderkrankenhaus Auf der Bult in Hannover. Welche Faktoren das sind, dafür gibt es bisher höchstens Vermutungen, jedoch keine Be­ weise. So könnten häufige Infektionen im Kindes­

Hohe emotionale Belastung für Familien Weil mit so einer Diagnose kaum einer rechnet, ist sie für die meisten Eltern zunächst ein absoluter Schock. »Das ist für alle so, als würde man ihnen den Boden unter den Füßen wegrei­ ßen. Das steckt keine Familie locker weg«, weiß Karin Lange, Psychologin und Leiterin der Forschungs- und Lehreinheit Me­ dizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Han­ nover. Auch die Welt von Violetta Schlüter brach in diesem Mo­ ment zusammen. »Ich habe geweint. Geheult. Schlimmer, als ein Kind. Ich wusste gar nichts mehr. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Was auf mich zukommt. Was genau das überhaupt ist. Ich war total durcheinander«, erinnert sich die 39-Jährige noch heute. Und: »Später, im Krankenhaus, habe ich mir dann ständig die Fragen gestellt: Warum gerade ich und warum mein Kind? Was habe ich falsch gemacht? Habe ich meinem Kind etwas Falsches zu essen gegeben?« Heute weiß sie, dass diese Vorwürfe unbegründet waren. Sie weiß, dass sie keine Chance hatte, den Ausbruch der Krankheit je zu verhindern. Auf der Diabetesstation des Kinderkrankenhauses wurde Mutter Violetta gemeinsam mit ihrer Tochter von Ärzten und Psychologen sowie Diabetes- und Ernährungsberaterinnen für

Verteilung von Typ-1-Diabetes In Europa nimmt die Zahl der Typ-1-Diabetes-Diagnosen jährlich im Durchschnitt um 3,4 Prozent zu. Diese Analyse eines Forscherteams basiert auf den Daten des EURODIAB-Registers, an dem sich 26 europäische Zentren aus 22 Ländern beteiligen. Allerdings gibt es große regionale Unterschiede. Am schnellsten steigen die Erkrankungszahlen in Polen. In der Region Katowice liegt das jährliche Wachstum derzeit bei 6,6 Prozent. Am geringsten ist die Zunahme mit etwa 0,5 Prozent in Katalonien in Spanien. »Es gibt schon seit vielen Jahren auch ein sogenanntes Nord-Süd-Gefälle. Das heißt, in den nördlichen Regionen Europas, wie in Schweden, Finnland oder auch Norddeutschland, kommt der Diabetes häufiger vor als im Süden Europas. Es gibt aber auch Hot Spots, zum Beispiel auf Sardinien. Dort haben genauso viele Kinder Diabetes, wie in Finnland«, berichtet Olga Kordonouri. Im Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult kommen jährlich im Durchschnitt zwischen 80 und 90 Diabetes-Neumanifestationen dazu. »Im vergangenen Jahr hatte wir aber auch schon 94 Neuerkrankungen. Das war bisher ein Rekordjahr«, bemerkt die Chefärztin. Vor zehn Jahren hätten die Neuerkrankungen hingegen noch zwischen 70 und 80 gelegen. GB

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den sicheren Umgang mit dem Diabetes fit gemacht. Als dann endlich der langersehnte Tag der Entlassung anstand, fühlte sich die alleinstehende Mutter mit der Situation dennoch über­ fordert: »Einerseits wollte ich mit Sandra endlich nach Hause, andererseits dachte ich aber: Nein, das möchte ich doch nicht. Ich weiß ja nicht einmal, wie ich mit ihr leben soll. Das schaf­ fe ich nicht. Das wird nicht gehen.« Für Fachpsychologin Karin Lange ist diese Reaktion eine ganz normale. »Gerade im ersten halben Jahr haben die Eltern mit der veränderten Situation rich­ tig zu kämpfen. Mit Angst und noch immer mit Schuldvorwür­ fen, auch wenn diese unberechtigt sind. Sie tragen auf einmal sehr viel Verantwortung«, betont sie. Auch der Alltag und der gewohnte Tagesablauf werden mit der Diagnose Typ-1-Diabetes komplett auf den Kopf gestellt. Nichts ist mehr wie vorher. »Vor der Diagnose haben wir uns kaum Gedanken gemacht. Plötzlich mussten wir alles planen. Wann essen wir? Was essen wir? Im­ mer wieder Blutzucker messen. Mehrmals am Tag. Und auch in der Nacht. Die KE’s (Kohlenhydrateinheiten) und BE’s (Brotein­ heiten) berechnen. Insulin berechnen. Und immer auf die Uhr gucken, um Zeiten einzuhalten«, erzählt Violetta Schlüter.

Früherkennung und Prävention Um den Ausbruch des Diabetes in Zukunft aber besser vor­ hersagen und die Eltern besser darauf vorbereiten zu können, versuchen Forscherteams weltweit anhand von Studien ständig neue wichtige Antworten, Informationen und Daten rund um die Stoffwechselkrankheit zu bekommen. »Unser Ziel und un­ ser großer Traum ist es aber auch, den Ausbruch des Typ-1-Di­ abetes bei Kindern mit einem erhöhten Risiko ganz zu verhin­ dern«, betont Olga Kordonouri. So ist es heute bereits möglich, durch ein genetisches Screening, also durch Untersuchungen des Erbgutes, sowohl das Risiko als auch eine frühe Form des Typ-1-Diabetes, noch bevor sich die ersten Symptome zeigen, zu erkennen. In Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum München, der Technischen Universität Dresden und der Uni­ versität Leipzig führt das Kinderkrankenhaus Auf der Bult der­ zeit eine Studie zur Diabetes-Risikobestimmung durch. Haben Eltern zugestimmt, wird in der Freder1k-Studie bei Neugebore­

In lockerer Atmosphäre gibt Diabetologin und Chefärztin Olga Kordonouri (re.) Sharon und Thomas Merkelbach noch letzte Informationen zur Teilnahme an der POInT-Studie.

nen untersucht, ob das Risiko, einen Typ-1-Diabetes zu bekommen, höher als zehn Prozent ist. Dieses Screening ist nicht nur unkompliziert, es ist auch zu­ verlässig. Forscher benötigen dafür nur wenige Blut­ stropfen des Babys, die gleich nach der Geburt durch einen kleinen Stich in die Ferse, durch eine ve­ Bei Kindern unter fünf nöse Blutabnahme oder Jahren gibt es jährlich aus der Nabelschnur ge­ wonnen werden. zwischen fünf und Kann bei den Neu­ sieben Prozent mehr geborenen ein deutlich Manifestationen. erhöhtes Risiko nachge­ wiesen werden, haben die Eltern die Möglichkeit, an einer weiteren Studie, einer sogenannten Primär-Präventionsstudie teil­ zunehmen. »In der POInT-Studie untersuchen wir dann, ob die regelmäßige Einnahme von Insulin als Pulver über die Nahrung dazu führen könnte, dass der Typ-1-Diabetes verhindert werden kann«, er­

Freder1k und POInT-Studie An der POInT-Studie kann jedes Kind teilnehmen, bei dem im Zuge der Feder1k-Studie ein zehn prozentiges Risiko festgestellt wurde, an einem Typ-1-Diabetes zu erkranken. Es muss zwischen vier und sieben Monate alt sein und bereits Beikost zu sich nehmen, da das Pulver idealer Weise mit dem Brei aufgenommen wird. Weitere Informationen zur Studie und zu den Teilnahmebedingungen gibt es im Studienzentrum des Kinder- und Jugendkrankenhauses Auf der Bult, Diabeteszentrum für Kinder und Jugendliche, Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover, sowie telefonisch unter der kostenfreien Telefonnummer 0800 – 37333715 oder per E-Mail an freder1k@hka.de. GB


Studienteilnahme bringt Vorteile Für diese Studie entschieden haben sich unter anderem die Eltern der kleinen Lynn Merkelbach. »Da mein Mann Diabe­ tes Typ1 bereits hat, haben wir uns nach einigen Überlegungen gemeinsam entschieden, erstmal das Blut von Lynn testen zu lassen, wie hoch ihr Risiko überhaupt ist, dass sie Diabetes be­ kommt«, begründet Mutter Sharon Merkelbach ihre Entschei­ dung. Dabei hat sich herausgestellt, dass Lynn das Risiko-Gen bereits in sich trägt. »Auch wenn ich weiß, dass man heutzutage auch mit Diabetes sehr gut leben kann, hat mich das Ergebnis schon ein bisschen getroffen. Mir war dann aber auch gleich klar, wir machen ganz sicher bei der POInT-Studie mit. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie Diabetes bekommt, ist somit dann noch geringer«, hofft die 32-Jährige. Das bedeutet für die Familie nun regelmäßige Besuche am Studienzentrum in Hannover. Kein geringer Aufwand, denn die Merkelbachs kommen aus Ascheffel bei Kiel. Für jeden Stu­ dienbesuch legen sie somit knapp 300 Kilometer pro Strecke zurück. Aber: »Wenn man auch nur die geringste Chance hat, seinem Kind vielleicht ein besseres Leben ohne Diabetes zu er­ möglichen, ist das im Vergleich dazu kein großer Aufwand«, be­ tont Mutter Sharon. Bis zu ihrem dritten Lebensjahr bekommt Lynn nun täglich über ihre Beikost das Insulinpulver. Danach werden in halbjährigen Abständen weitere körperliche und Blutuntersuchungen im Studienzentrum durchgeführt. Diese Nachuntersuchungen finden maximal bis zum Alter von sie­ beneinhalb Jahren statt. Ob die heute einjährige Lynn wirklich Insulin-Pulver bekommt oder nur ein Placebo bleibt bis zum Ende der gesamten Studie sowohl für das Studienpersonal als auch für die Familie ein Geheimnis. »Selbst wenn Lynn am Ende den Diabetes trotzdem bekommt oder wir am Ende er­ fahren, dass Lynn in der Placebo-Gruppe war, so konnten wir aber vielleicht der Wissenschaft und Forschung ein Stück hel­ fen«, bemerkt die Mutter. Auch wenn der Diabetes vielleicht noch nicht verhindert werden kann, so bietet die Teilnahme an der Studie dennoch einen wichtigen Nebeneffekt. Durch die regelmäßigen Unter­ suchungen erfahren die Eltern noch vor den ersten offensichtli­ chen Symptomen, wenn bei ihrem Kind der Prozess der Zerstö­ rung einsetzt. Das gibt den Ärzten die Gelegenheit, frühzeitig mit der erforderlichen Therapie zu beginnen. So lassen sich

lebensbedrohliche Überzuckerungen rechtzeitig verhindern und Folgeerkrankungen, wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Er­ krankungen, Schäden an der Netzhaut, an den Nieren oder den Nerven, vermeiden. Für Violetta Schlüter und Tochter Sandra kommen die Stu­ dien zur Früherkennung des Typ-1-Diabetes zu spät. Bei der heute Achtjährigen hat sich die Autoimmunkrankheit längst manifestiert. In der Zwischenzeit hat sich Mutter Violetta mit der plötzlichen Erkrankung ihrer Tochter aber arrangiert. Auch Sandra kommt mit dem Diabetes gut zurecht. Teilweise über­ nimmt sie auch schon ein Stück eigene Verantwortung. »Ich kann schon alleine meinen Blutzucker messen und die KE’s berechnen. Wenn ich mir aber nicht ganz sicher bin, frage ich Mama nochmal«, verrät sie. Und auch wenn Sandra ein Leben ohne Insulin-Pumpe quasi nie richtig kennen gelernt hat, so ge­ nießt sie es doch, das Gerät zum Duschen, Baden oder Schwim­ men abnehmen zu können. Dann fühlt sie sich frei und vergisst für einen Moment den Diabetes mellitus Typ 1. Text und Fotos: Grit Biele

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klärt die Chefärztin. Auf diese Weise wollen die Forscher das Immunsystem frühzeitig, also zu einem Zeitpunkt, bevor die ersten Symptome der Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse auftreten, trainieren und an das Insulin gewöhnen, wie beispielsweise eine Hyposensibilisie­ rung bei Allergikern.

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Wenn man alles hat und alles bezahlen kann, wenn man sich überhaupt keine Gedanken um Geld machen braucht und sich jeden Wunsch, den man mit Geld bezahlen kann, erfüllen kann: Das ist Reichtum. Wenn ich auf meinem Verkaufsplatz mitten in Hannover vor der Ernst-August-Galerie stehe, begegnen mir viele richtig reiche Leute und eines will ich mal sagen: Die sehen für mich nicht glücklicher aus, als die, die weniger Geld haben. Für Glück braucht man mehr als Geld. Liebe, Gesundheit, Freunde und Familie kann man sich nicht kaufen. Zwischen Arm und Reich hat sich in den letzten Jahrzehnten aber auch was verändert. Ich verkaufe schon seit 25 Jahren Asphalt: Früher haben die Leute, die sehr viel Geld hatten, gerne Ärmeren geholfen. Heute gucken die Reichen gar nicht mehr, was um sie herum passiert. Die haben kein Mitgefühl, kein Interesse, auch mal zu helfen. Früher haben die sich mit mir unterhalten. Heute sind es die, die weniger haben, die mir Zeitungen abkaufen. Armut ist schlimm, aber Reichtum, glaube ich, auch. Ich bin froh, wenn ich meine Miete und Essen bezahlen kann – mehr brauche ich nicht.

Karle (78) verkauft seit 25 Jahren Asphalt.

25 JAHR

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REICHTUM

Im Jahr unseres 25-jährigen Bestehens rücken wir die Asphalt-VerkäuferInnen mehr noch als sonst in den Mittelpunkt. Es geht um große Begriffe: Armut und Reichtum, Nehmen und Geben. Der zweite Teil einer Reihe, in der unsere AsphalterInnen sich Gedanken machen – persönlich, gesellschaftskritisch und manchmal auch poetisch. htum.

Diesmal: Reic


Klaus (61) verkauft seit fünf Jahren Asphalt.

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Reichtum hat für mich nicht unbedingt viel mit Geld zu tun. Die Natur zeigt uns, was Reichtum ist – Bäume, Blumen, Regentropfen. Ein sich wiederholender Kreislauf: Es kommt, es bleibt und es geht. Mich macht Natur glücklich. Ich bekomme Erkenntnisse, die ich woanders nicht bekomme. Ich habe erlebt, wie es ist, viel Geld zu verdienen. Der Preis dafür war sehr hoch: Stress, Hektik, keine Zeit … Das hat mich krank gemacht und ich fing mit dem Trinken an. Damals hatte ich keine Zeit, in die Natur zu gehen und habe mir stattdessen teure Dinge gekauft. Die Freude über die Sachen hielt oft nicht lange an. Wenn ich heute in die Natur gehe, finde ich für Probleme, die mich beschäftigen, Lösungen, komme zur Ruhe und bin vor allem im Jetzt. Ich habe oft beobachtet, dass Geld nicht unbedingt glücklich macht: In Thailand, wo ich mal im Urlaub war, haben viele wenig Geld, aber sie erschienen mir viel glücklicher als die Leute hier, die meist viel zu viel haben.

Inge-Lore (68) verkauft seit elf Jahren Asphalt.

Umfrage und Fotos: Svea Kohl

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Eigentlich ist Reichtum ja, wenn man Geld hat – und zwar mehr, als man bräuchte. Für mich wäre das nichts. Ich will einfach nur ein Zuhause haben, gut über die Runden kommen und sauber und gepflegt durch die Gegend laufen können: dann bin ich zufrieden. Durch den Asphalt-Verkauf geht das auch. Ich hatte noch nie viel Geld. Wahrscheinlich könnte ich damit gar nicht umgehen. Es gibt ja viele Lotto-Gewinner, denen der plötzliche Reichtum nicht gut bekommen ist. Am Ende waren sie ärmer und unglücklicher als vor ihrem Gewinn. Ich wüsste auch nicht, was ich mit so viel Geld anstellen würde?! Vielleicht eine Eigentumswohnung kaufen … Luxus brauche ich nicht! Wenn ich kann, spare ich nebenbei immer ein bisschen – für schlechte Zeiten, falls mal was kaputtgeht. Das beruhigt mich. Es gibt ja auch Reiche, die immer reicher werden wollen und nie zufrieden sind. Das muss schlimm sein! Dass ich gesund und zufrieden bin, mit dem was ich habe, ist mir viel mehr wert.

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Für mich ist Liebe Reichtum. Liebe ist wertvoller als Geld! Mit Geld kann man Liebe nicht kaufen. Der wahre Freund bleibt auch bei einem, wenn man nichts hat … nicht einen Cent im Portemonnaie. Vor allem die Liebe zwischen Eltern und Kindern ist was ganz Besonderes: Ich liebe meine drei Kinder bedingungslos – und sie mich auch! Außerdem habe ich, seit ich meinen Glauben zum Islam gewechselt habe, Liebe kennengerlernt – in der Moschee-Gemeinschaft. Zwischen den Menschen kann man die Liebe spüren: Wir begrüßen uns herzlich, alle sind lieb und rücksichtsvoll zu mir. Ich werde genauso akzeptiert, wie ich bin. Auch beim Asphalt-Verkaufen spüre ich Liebe. Meine Kunden sind sehr nett und vermissen mich sogar, wenn sie mich mal eine Weile nicht gesehen haben. Weil ich Liebe in meinem Leben habe, fühle ich mich reich!

Natalie (48) verkauft seit fünf Jahren Asphalt.

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Finanzieller Reichtum wird oft mit Glück gleichgesetzt: Wenn man sich aber jeden materiellen Wunsch erfüllen kann, macht das meiner Meinung nach nicht glücklich. Der Mensch braucht Träume. Der Mensch muss nach etwas streben können – das treibt an. Ich finde es gar nicht schlecht, nicht alles zu haben: So kann ich mir Dinge wünschen, darauf hinarbeiten und sie vielleicht irgendwann bekommen. Natürlich: Geld zu haben, beruhigt, aber Reichtum alleine macht weder glücklich noch gesellig. Auch reiche Menschen können einsam sein, selbst wenn sie es sich leisten können, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und ganz anders angenommen werden von der Gesellschaft als arme Menschen. Für mich ist Gesundheit der wahre Reichtum! Gucken wir uns doch Micheal Schumacher an: Finanziell hat er mehr als ausgesorgt, aber wie geht es ihm seit dem Unfall? Ist er überhaupt noch ansprechbar? Gesund zu sein, ist so viel mehr wert als finanzieller Reichtum!

Michael (42) verkauft seit sieben Monaten Asphalt.


Thomas (48) verkauft seit vier Jahren Asphalt.

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Ich fühle mich reich, weil ich nicht alleine bin und gut mit meiner Familie auskomme, speziell auch mit meinem Sohn und seiner Frau. Zusätzlich habe ich viele Kontakte zu Freunden, Bekannten, Asphalt-Käufern, die ich als sehr bereichernd wahrnehme. Und weil ich weiß, dass ich nicht alleine bin, kann ich auch der Zeit, die ich nur für mich habe, viel abgewinnen. Ich kann mich gut selbst beschäftigen: mit regelmäßigem Lesen, kreativen Handarbeiten wie Häkeln und Stricken, Malerei oder Gitarre spielen. Die beste Gitarristin bin ich zwar nicht, aber singen und mich dazu auf der Gitarre begleiten, das kriege ich hin. Ich entdecke immer wieder neue Betätigungsfelder für mich und habe viele Ideen, was ich gerne mal machen oder lernen möchte – Brot backen, Körbe flechten … Insgesamt kann man das vielleicht geistigen und kreativen Reichtum nennen. Materiell gesehen bin ich natürlich nicht reich, aber ich habe genug zu essen und eine Wohnung. Durch den Asphalt-Verkauf kann ich mir mit ein bisschen Vorlauf auch mal etwas zusammensparen – für Dinge, die ich brauche, aber auch für Dinge, mit denen ich anderen oder mir selbst eine kleine Freude bereiten kann.

Tina (61) verkauft seit dreizehn Jahren Asphalt.

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Reichtum ist für mich, dass es Menschen gibt, die mich unterstützen. Im Gegenzug fühle ich mich reich, wenn ich anderen Menschen helfen kann. Heute habe ich zum Beispiel ein Hemd an, dass ich in der Asphalt-Kleiderkammer entdeckt habe. Wie ein kleiner Junge freue ich mich über diesen scharfen Fummel im 70er-Look. Außerdem habe ich in den letzten Jahren gemerkt, dass gute Gespräche sehr bereichernd sind. Ich bin dankbar für meine einfühlsamen Kommunikationsfähigkeiten. Reichtum ist für mich aber auch, die Zeit zu haben, meinen Tulpen beim Verwelken zuzuschauen. Spaß beiseite: Zeit zu haben, ist unheimlich viel wert, wenn man sie konstruktiv zu nutzen weiß. Ich kenne keine Langeweile!

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BRIEFE AN UNS

Zu Asphalt allgemein 2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

Beispielhaft

Zu Asphalt 4/19 Thema: »Wir retten Leben«

Positiv Überrascht

Ich möchte mich Bedanken für viele interessante, aufrüttelnde und lehrreiche Artikel. Ihr trefft mit den ausgewählten Themen oft so sehr ins Schwarze und berichtet über Dinge, die sonst in Hannover leider nicht in dieser Deutlichkeit ausgesprochen werden. Es wäre schön, wenn sich andere Medien aus Hannover daran ein Beispiel nehmen würden. Ich freue mich jeden Monat eine neue Ausgabe von Asphalt in den Händen zu halten. Die Begegnungen mit den Verkäuferinnen und Verkäufern ist immer schön und bereichert mich. Danke an alle! Anika Bogon, Hannover

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»Aber wenn es um elementare Lebensbedürfnisse geht, dann muss aus finanzieller Sicht beispielsweise ein kulturelles Nice-to-have schlicht hintenanstehen«, sagt der CDU-Mann Hellmann in Ihrem Interview zur Obdachlosenpolitik der Stadtverwaltung. Ich staune und bin positiv überrascht. Mara Pangritz, Hannover 25 JAHRE

REANIMIERT

BAND & BUCH

PFLEGE & CHANCE

BETT & WLAN

Bela B übers Schreiben, Nazis und Ärzte-Krisen

Kliniken werben im Ausland um Fachkräfte

Mehr Sicherheit und Teilhabe für Obdachlose

Vielen Dank für Ihre Meinung! Die Redaktion behält sich vor, Briefe zur Veröffentlichung zu kürzen. Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Absenderadresse anzugeben. Zu Asphalt allgemein

Dank an »Alle«

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Danke für Eure Arbeit und an Alle, die vor den Märkten stehen und verkaufen. Dahinter steht immer eine Lebensgeschichte, ein persönliches Schicksal. Manche kriegen diese sogenannte Kurve zum Ausstieg, manche schaffen es nicht (so wie Jimi Hendrix, David Bowie). Angelika Bakker, Leer

2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

25 1994 –

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JAHRE

Zu Asphalt 3/19 Thema: Obdachlosigkeit

Endlich Housing First!

Danke, liebe Asphalt-Redaktion (und natürlich besonders den Verkäufer*innen, die zum Thema Armut gut Stellung bezogen), für den klaren Artikel über falsche Wohnungspolitik und für das Menschenrecht auf Wohnung für alle am Beispiel Hannover. Endlich Housing First! Joachim Barloschky, Bremen EINER FEHLT

OHNE DACH

OHNE GELD

OHNE HALT

Aus der Geschichte lernen gegen Obdachlosigkeit

Asphalt-VerkäuferInnen über die vielen Facetten von Armut

Michelle Hunziker über ihr Leben in der Sekte

WohnGlück Mit Hannoverherz & Immobilienverstand begleiten wir Sie in eine lebens- & liebenswerte Zukunft.

hanova.de


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Das Fahrgastfernsehen. · Goethestraße 13 A · 30169 Hannover · (0511) 366 99 99 · redaktion@fahrgastfernsehen.de


Das muss mal gesagt werden … Während ich diese Zeilen schreibe, liegt die Europa-Wahl noch vor uns; aber wenn Sie diese Zeilen lesen, kennen Sie das Ergebnis bereits. Mir ist ein bisschen mulmig zumute, wenn ich an diese Wahl denke. Wohin ich auch schaue, überall in den Nachbarstaaten und auch in unserem Land sind rechte Tendenzen derart stark zu spüren, dass ich Angst um dieses doch noch recht junge Europa bekomme. Ein bisschen Hoffnung setze ich im Moment – und das hätte ich vor einem halben Jahr noch nicht gedacht – auf die Jugend und auf den Brexit. Hat dieses elendige Hick-Hack um den Brexit vielleicht auch diejenigen wachgerüttelt, die geglaubt haben, alles entwickele sich ohne eigenes Dazutun zum Positiven? Hat die junge Greta Thunberg die Jugend vielleicht nicht nur in Sachen Umweltschutz mobil gemacht, sondern auch zum Nachdenken motiviert, weil es gerade jetzt um ihre Zukunft geht, darum, endlich Schluss zu machen mit der Zerstörung der Umwelt, Schluss zu machen, mit dem kleinkarierten Denken nicht über Staatsgrenzen hinaus. Sie, meine lieben Leserinnen und Leser, wissen heute schon, ob es nicht nur die Menschen in unserem Land, sondern überall in Europa geschafft haben, so zu wählen, dass wir hoffnungsvoll in die Zukunft schauen können. Mir bleibt bis dahin nur das Daumen drücken. Karin Powser

Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Fotokamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.


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AUS DER SZENE

Problem Airbnb?

Knast wegen Brotraub Westerstede/Oldenburg. Weil er Backwaren im Wert von rund vier Euro gestohlen hat, muss ein 31-Jähriger aus Edewecht ins Gefängnis. Das hat das Amtsgericht Westerstede entschieden. Eine Beru­ fung wurde vom Landgericht Oldenburg verworfen. Der drogenabhängige Familienvater wurde wegen des Brotdiebstahls vom Gericht zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Weil er wegen anderer Delikte bereits verurteilt und nur auf Bewährung frei war, muss er nun für insgesamt zehn Monate ins Gefäng­ nis. MAC

SPD will mehr Quote Oldenburg. Die SPD in Oldenburg fordert wegen der Wohnungsnot in der Stadt eine höhere Sozialquote beim Neubau. Auch für nichtstädtische Mehrfami­ lienhausgrundstücke. Die Quote für Geschosswoh­ nungsbau auf Privatgrund solle anstelle der bishe­ rigen zehn Prozent B-Scheinwohnungen künftig 30 Prozent betragen. Bei städtischem Bauland gilt bereits eine Quote von 50 Prozent. Der Haus- und Grundeigentümerverband »Haus und Grund« hält die Forderungen der Sozialdemokraten für überzo­ gen. MAC

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Foto: V. Macke

Oldenburg. Weil auch an der Hunte über das Buchungsportal Airbnb Wohnraum für Touris­ ten zweckentfremdet wird, fordert die Linke im Rat der Stadt eine Satzung zur Verhinderung von Wohnraumzweckentfremdung einzuführen. Auch spekulativer Leerstand, Abriss und Umwandlung von Wohnraum in Gewerbeflächen könnte damit verhindert werden. Im März hatte die Landesre­ gierung eine entsprechende Gesetzesgrundlage geschaffen. Stadtverwaltung und andere Parteien im Rat sind skeptisch. Lediglich 153 Wohnungen, so die Stadt, seien aktuell via Airbnb buchbar. Zu wenig, um kostenintensives neues Personal für die Überprüfung einer eventuellen Satzung einzustel­ len, so die Verwaltung. Der Vorstoß wird weiter im Bauausschuss Thema sein. MAC

Wohnen: Der Markt allein schafft es nicht Berlin/Hannover. Der weitgehende Rückzug des Staates aus der Wohnungspolitik seit den 1980er Jahren hat zur Wiederkehr der Wohnungsnot geführt. Für Deutschland ist die Schaffung bezahlbaren Wohnraums daher zurzeit die größte Herausfor­ derung. Das sagen jedenfalls die Städte, wie eine repräsentative Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) jetzt er­ gab. »Dass der Markt es nicht allein richtet, dürfte inzwischen allen klar sein«, so Difu-Leiter Prof. Dr. Carsten Kühl. Kein Wunder also, dass alternative Konzepte gefragt sind. Seit der Aufgabe der Wohnungsgemeinnützigkeit 1989 und der Priva­ tisierung vieler öffentlich-rechtlicher Gesellschaften, wie der NILEG in Niedersachsen, hat in der Branche ein Goldrausch eingesetzt, wurden von börsennotierten Unternehmen Milliar­ den Euro aus dem Immobilienbestand abgeschöpft. Auch aus diesem Grund steigen die Mieten. Könnte eine Wiederbele­ bung der Wohnungsgemeinnützigkeit diesen Trend stoppen?, fragte nun eine hochkarätige Diskussionsrunde des Forums für Politik und Kultur in Hannover. Eckart Güldenberg, Wohnungs­ marktexperte und Vorsitzender der Stiftung »Ein Zuhause« ver­ wies auf die rund 17 Mrd. Euro Wohnbeihilfen pro Jahr, damit sich Menschen mit geringen Einkommen teure Wohnungen auf dem Markt leisten könnten. Gefordert sei stattdessen eine Wie­ derbelebung des gemeinnützigen Wohnungsbaus, Investitio­ nen in Steine statt in Personen: »Sonst wird sich die Wohnungs­ not in den Groß- und Universitätsstädten nicht lösen lassen«, so Güldenberg. Kernelemente einer Wohnungsgemeinnützig­ keit sollten die Unveräußerlichkeit der geförderten Wohnun­ gen, das Verbleiben der Gewinne in den Unternehmen, eine dauerhafte Preisbindung und nicht zuletzt die Mieterdemokra­ tie darstellen. UM


Foto: Picture-Alliance/AP Photo

WOHNUNGSLOS IN SEATTLE

Seattle ist eine florierende Stadt, aber viele Menschen können sich das Leben hier nicht mehr leisten. Die Zahl der Obdachlosen steigt seit Jahren, obwohl deswegen schon der Notstand ausgerufen wurde. Unterwegs auf den Straßen Seattles. Es sind kleine Szenen, die zeigen, wie groß die Not in Seattle ist. Ein christliches Männerwohnheim an der Ecke 1st Avenue und Pioneer Square, Downtown. 141 Betten stehen in dem al­ ten Klinkerbau. Von Morgens bis zur Kaffeezeit ist der Ort für Gäste offen, es gibt Frühstück, ein warmes Mittagessen, wer will, kann duschen oder sich bei Papierkram helfen lassen. Auf dem Gitterrost vor dem Haus liegt ein Mann, vielleicht 30 Jahre alt, nur mit dünner Stoffhose und Pullover bekleidet, bei drei Grad und Sprühregen, das Gesicht auf dem Boden, er zittert. Als ein Mitarbeiter der Einrichtung darauf angesprochen wird, bedankt er sich, schaut nach draußen und spricht den Mann an. Der murmelt etwas. »Er sagt, er ist okay – hier liegen einfach viele Menschen auf dem Bürgersteig, sorry«, sagt der Mann aus der Notunterkunft, und geht wieder hinein.

Im Jahr 2015 hat die Stadt Seattle den Notstand ausgerufen. Ein Eingeständnis des eigenen Versagens, und ein Mittel, wei­ tere Gelder für den Kampf gegen die Wohnungsnot bereitstel­ len zu können. Denn das Wohnen in der Stadt ganz im Nord­ westen der USA können sich immer weniger Menschen leisten. Seit 2011 hat sich die Durchschnittsmiete praktisch verdoppelt. Aus der Stadt, die früher vom Hafen und vom Flugzeugbauer Boe­ing lebte, ist längst eine Tech-Metropole geworden. Mit Microsoft im Vorort Redmond begann das in den achtziger Jah­ ren, der Aufstieg von Amazon mit seiner Zentrale in Seattle er­ höhte das Tempo in den letzten Jahren drastisch. Die Mitarbei­ ter des Quasi-Internetmonopolisten, die jeden Morgen in die gläsernen Türme strömen, mit Namen wie Houdini oder Ruby, die können die mehr als 2.000 Dollar Durchschnittsmiete be­


Der Manager des Camp Second Chance, Eric Davis (Mitte), führt Kommunalvertreter durch das Obdachlosencamp entlang Myers Way in Seattle, Washington.

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60 Menschen leben hier, ihre Zelte und die alten, undichten, muffigen Holzhütten werden nach und nach durch neue Holz­ häuser ersetzt. Es ist auch ein Ort gegen das Allein-Sein. »Wir sind hier eine Gemeinschaft«, sagt Camp-Manager Eric Davis. Er hat das Camp mit zwei Mitstreitern gegründet. »Wir lieben dich, ob du willst oder nicht«, sagt der breitschultrige Mann. Da­ vis ist die gute Seele des Camps, das sagen eigentlich alle, die an diesem Dienstagmorgen in einem offenen Zelt auf Sesseln und Plastikstühlen sitzen, einer Art überdachter Veranda. Er schaut ins Zelt, wenn jemand länger nicht mehr bei den anderen war, er klopft an eine der Hütten, wenn er glaubt, der Bewohner könnte die Jobsuche intensiver angehen. Vor Davis gibt es kein Entrinnen, denn der Mann, der lange auf der Straße gelebt hat, der die Sucht kennt, der wohnt heute in der kleinen Hütte mit der Nummer 1. »Schau mal rein, wie gemütlich das sein kann«, sagt »Jedes Kind in Seattle er. Drinnen, in dem vielleicht acht Quadratmeter großen Holzhaus, verdient es, so behanein großes Bett. Links an der Wand: delt zu werden wie die ein großer Flachbild-Fernseher, Kinder von Bill Gates.« dem Davis mit Holzleisten einen Teena Ellison edlen Rahmen verpasst hat. Es ist ein demokratisches Camp, das ist Davis wichtig. Jeden Mittwoch um 18 Uhr treffen sich die Bewohner zur Versammlung, jeder hat eine Stimme. »Die Leute sollen hier auch lernen, dass ihre Stimme zählt, dass sie Menschen sind, die etwas zählen«, sagt Davis. Fast die Hälfte der Bewohner von Camp Second Chance arbeitet Vollzeit, viele besuchen eine Schule oder Fortbildungen. Nicht wenige haben

Foto: Carolyn Bick

zahlen. Wer aber für Amazon die Waren ausliefert, Bäcker ist oder Krankenschwester, der kommt da selbst bei einer Vollzeitstelle mit dem neuen Ama­ zon-Mindestlohn von 15 Dollar gerade so drüber. Große Teile der klassischen Mittelschicht können sich kein eigenes Apartment mehr leisten. Etwa 12.000 Menschen in Seattle und der Um­ gebung sind wohnungslos. Ein Krankenhausaufent­ halt, den die Kasse nicht bezahlt, die Sucht-Epide­ mie, die längst auch die Mittelschicht erfasst hat oder eben die Verdrängung, weil ein Apartmenthaus ei­ nem Bürokomplex im Weg steht – es gibt viele Wege, die den Menschen in Seattle die Wohnung kosten kann. Viele haben trotz eines Jobs oder sogar zweien keinen Wohnungsschlüssel in der Tasche. Rund die Hälfte der Wohnungslosen lebt direkt auf der Stra­ ße – in Zelten, in mit Planen überdeckten Baracken am Straßenrand, in Verschlägen, vor dem Eingang eines geschlossenen Geschäfts. In der Innenstadt, am Hafen, im hippen Capitol Hill, an fast jeder Ecke sitzt ein Mensch, der kein Zuhause hat. Wer abends durch die Straßen Seattles geht, sieht die beschlage­ nen Scheiben mancher parkender Autos – jedes ein Obdach für Menschen ohne Wohnung. Die meisten Zelte in Seattle stehen an Orten, die der Stadt gehören, wo die Obdachlosen mit mehr Milde rechnen können als auf einem Privatgelände. Und es gibt die Zeltstädte. Viele der sogenannten illegalen Siedlungen hatte die Stadt immer wieder räumen lassen, wie den berüchtigten »Jungle« an einem Hang unterhalb der Interstate 90 im Stadtteil Beacon Hills. Irgendwann hat die Verwaltung einge­ sehen, dass immer mehr Verdrängung keine Lösung ist. Heute toleriert sie zumindest einige der Camps, ein halbes Dutzend ist es momentan. Eines ist das Camp Second Chance. »Please don‘t sweep our safe solution« steht auf einem Holzschild am Zaun, eine Bitte, ihre sichere Lösung nicht einfach platt­ zumachen. Das Camp der zweiten Chance liegt am Meyers Way im Süden der Stadt, unweit der beiden Flughäfen. Wer hier rein will, muss am Sicherheits­ dienst vorbei. Am Eingang ein offenes Zelt, in dem die Bewohner kochen können, hier stehen auch Kühlschränke und Regale voller Essensspenden. Ein Zelt weiter ist die Kleiderkammer, daneben ein Zelt mit Computern, gegenüber ein Zelt mit Notschlaf­ plätzen. In der Mitte ein Weg aus Kies und Matsch, dann beginnen die Zelte und Häuser, in denen die Bewohner von Camp Second Chance wohnen. Das Camp gilt als Erfolgsgeschichte in der Stadt.

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ändert nichts, wenn man nur eine Meinung hat – man muss auch etwas machen«, sagt Biernacki. Er sieht die Menschen, die im Camp Second Chance Holzhäuser bauen. Freiwillige mit viel Enthusiasmus, aber wenig Ahnung. Biernacki hat lan­ ge als technischer Zeichner im Architekturbereich gearbeitet, hat 3D-Modelle erstellt und selbst Häuser ausgebaut. Er merkt: Hier kann ich helfen. In den letzten Monaten hat er den Arbeitsprozess so umge­ staltet, dass hier auch möglichst viele Ungelernte so arbeiten können und sich möglichst wenige dabei verletzten, sagt Bier­ nacki, und lacht. Zwei Häuser stehen in dem großen weißen Halbrundzelt mit den Heizstrahlern an der Decke. Drei Tage braucht das Team von Freiwilligen für ein Haus. Woody ist die nächste auf der Liste, ihr Haus hat schon ein Dach und Fenster und einen hölzernen Fußboden, indirektes Licht unter der Decke und ein Lüftungssystem, damit es im kleinen Raum nicht schimmelt. Woody mag Woody Woodpe­ cker, den Comic-Specht, so sehr, dass sie von allen nur so ge­ nannt wird. Sie trägt einen rosa Trainingsanzug und Fellstiefel. Woody geht es körperlich nicht gut, eine Operation steht bald an, Details will sie nicht verraten und auch nicht jammern, sagt sie. Die Bustickets, die sie hier gratis bekommt, kann sie nicht nutzen, weil sie Menschenmengen meidet, wegen der posttrau­ matischen Belastungsstörungen, unter denen sie leidet. Sie hat ein Auto, aber kein Geld für Benzin. Es wird schwer für sie, eine Arbeit zu finden. Sie freut sich auf das neue Zuhause. Und doch weiß sie nicht, wie die vielen anderen, wie lange sie hier blei­ ben kann, wie lange das Camp geduldet wird. Die Stadt hat das Camp gerade für sechs weitere Monate geduldet. In Seattle fehlen Tausende bezahlbare Wohnungen. Woh­ nungen für Menschen, die weniger als die Hälfte des Durch­

Foto: Carolyn Bick

Foto: Carolyn Bick

wie er Suchterfahrungen, davon sollen sie wegkom­ men, sich stabilisieren. Deshalb sind Alkohol und Drogen im Zeltlager verboten. Die Bewohner kümmern sich um ihr Camp, die Stadt versorgt es mit dem Nötigsten, zahlt etwa die Klohäuschen und lässt die Wassertanks auffül­ len. Wie so oft in den USA, dem Land, in dem der Staat noch schlanker ist, als er etwa in Deutsch­ land seit Jahren gemacht wird, geht auch in Seattle nichts ohne die Volunteers. Die Kultur des Helfens ist schon in der Schule veran­ kert. Tomasz Biernacki ist ei­ Das Camp gilt als ner der Freiwilligen im Camp Second Chance, die aus dem Erfolgsgeschichte Zeltlager langsam eine Sied­ in der Stadt. lung mit stabilen Holzhäusern machen wollen. Biernacki ist als Zehnjähriger mit den Eltern aus Polen nach Amerika ausgewandert, am Anfang war die Familie illegal dort. Er kennt das Leben an der Armutsgren­ ze, sein Vater kümmerte sich um den Abriss von mit Asbest verseuchten Häusern, seine Mutter putzte in reichen Haushalten, das Geld war trotzdem meis­ tens knapp. Vor zwei Jahren hat Biernacki sein Un­ ternehmen verkauft, das etwa 3D-Animationen für Unternehmen hergestellt hat. Weil er mit 40 Jahren nicht nur rumsitzen wollte, machte er sich an ein Herzensprojekt – einen Dokumentarfilm über Ver­ drängung und die Obdachlosen seiner Heimatstadt Seattle. Während der Arbeit an »Trickle Down City« merkt er, dass er nicht nur Beobachter sein will. »Es

In diesem Zelt werden die Tiny-Houses zusammengebaut.

Das Camp Second Chance ist ein Mix aus Zelten und Tiny Houses.


Foto: Carolyn Bick

Klein, aber ein (provisorisches) Dach über dem Kopf: Die Hütte von Camp-Manager Eric Davis.

schnittseinkommens der Region zur Verfügung ha­ ben. Manche landen nach einer Mieterhöhung, nach einer OP, die die Krankenkasse nicht zahlt, einfach auf der Straße. Wer dann Glück hat, gerät an eine der Hilfsorganisationen wie Compass Housing Alli­ ance. Die betreibt Notschlafstellen, Suppenküchen, Orte zum Duschen und dauerhafte Wohnungen für Familien, Veteranen und ein Apartmenthaus spezi­ ell für Menschen über 70. Dazu kümmern sich die Mitarbeiter um Bankgeschäfte, die Dexter Avenue ist für viele Wohnungslose die offizielle Wohnadresse für Post und Bewerbungen. Dexter Avenue, Downtown, die Space Needle, Aussichtsturm und Wahrzeichen der Stadt (Foto S. 26), steht praktisch nebenan. Vor der Tür Denny Park, ein Grünstreifen, in dessen Mitte zur Mittagszeit eine Frau mit Auch in Seattle Essensstand Quinoa-Bowls mit wei­ ßen Bohnen für 10 Dollar verkauft. gilt: Straße In Sichtweite einige Amazon-Ge­ macht krank. bäude, nebenan ein neues Apart­ menthaus. Die kleinen Wohnungen kosten 2.000 Dollar Miete im Monat. »Dafür braucht man 6.000 Dollar Einkommen«, sagt Teena Ellison und fragt, wer sich das denn bitte leisten können soll. Die Menschen, mit denen sie jeden Tag zu tun hat, jedenfalls nicht. Ellison ist bei Compass als Di­ rector of Housing für die Wohnungen der Organisati­ on verantwortlich. Etwa 100 Wohnungslose wohnen im Gebäude, in dem Ellison ihr Büro hat. Darunter viele Familien, in denen die Eltern arbeiten und die Kinder zur Schule gehen.

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Housing first ist auch hier der Ansatz. Ein Dach über dem Kopf, egal, welche Probleme es sonst noch gibt. Dann soll ein enges Netz an Hilfsangeboten greifen. Denn, wie überall auf der Welt, gilt erst recht im so kalten, regnerischen Seattle: Straße macht krank. Die Bewohner beim Compass zählen zu der Hälfte der Woh­ nungslosen, die immerhin nicht auf der Straße leben müssen. »Es dauert, Vertrauen aufzubauen«, sagt Ellison. Die Men­ schen, um die sich lange niemand gekümmert hat, haben oft Vorbehalte. Was wollen die von mir? Bei der kirchlichen Orga­ nisation gibt es die Sorge, in den Gottesdienst gehen zu müssen oder gar missioniert zu werden. Die Hilfestellung berührt alle Lebensbereiche – etwa, wie man Streit mit den Nachbarn schlichtet. »Gibt es auf der Straße Stress, ziehen die Leute mit dem Zelt einfach weiter«, sagt El­ lison. In einem Apartmenthaus geht das nicht. »Jedes Kind in Seattle verdient es, so behandelt zu werden wie die Kinder von Bill Gates«, sagt Teena Ellison. Der Milliardär Gates hat Micro­ soft im Vorort Redmond aufgebaut, den Tech-Boom eingeläutet und lebt in der Region. Sie könne den ganzen Tag Erfolgsgeschichten erzählen, sagt Ellison, und berichtet von einem Mann, den sie als 18-jährigen Obdachlosen traf und der später Immobilienmakler wurde. Aber Erfolg, das sei auch immer eine Frage der Perspektive. Wenn ein Obdachloser mit Nierenproblemen sich gegen medizinische Behandlung wehrt und sie ihn dazu bewegen kann, einmal in der Woche zur Dialyse zu gehen – das sei doch genauso ein Er­ folg wie der Wohnungslose, der zum Wohnungsmakler wird.

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»SEELENHUND« Aus dem Leben: Im Gespräch mit Asphalt-Verkäufer Michael (42).

Hallo Michael. Du bist nicht allein gekommen. Begleitet dich dein Hund immer und überall hin? Ja, seit sechs Jahren. Mailo ist eigentlich mein kompletter Le­ bensinhalt – ein klassischer Seelenhund. Er spiegelt mich: Geht es mir nicht gut, geht es ihm nicht gut. Geht es mir aber gut, geht es auch ihm gut! Beim Verkaufen ist er immer dabei. Seit Dezember 2018 verkaufe ich Asphalt. Ich habe wieder eine Auf­ gabe – das tut gut. Diese Zufriedenheit spürt er. In den letzten Jahren haben wir unwahrscheinlich viel zusammen durchge­ macht. Wir passen aufeinander auf.

Was war in den letzten Jahren los in deinem Leben? Ich habe Depressionen. Deshalb bin ich seit acht Jahren – im­ mer wieder auf Zeit – berentet. In meiner ganz schweren Zeit war ich sogar wohnungslos, fast acht Monate lang. Mailo hat das alles mitgemacht. Das war vor drei Jahren, unmittelbar nach der Trennung von meiner Frau. Wir waren 18 Jahre zu­ sammen. Am Anfang habe ich am Flughafen auf den Sitzen im Wartebereich geschlafen.

Und dann? Wie ging es weiter? Manchmal hatte ich richtig schlechte Tage: Hoffnungslosigkeit, Suizidgedanken … Dreimal stand ich auf der Brücke und wollte runterspringen. Mailo war jedes Mal dabei. »Wir schaffen das irgendwie«, habe ich dann immer gedacht. Naja und dann bin ich an meine Mutter rangetreten. Sie hat mir geholfen: Sie hat ein kleines Zimmer in einer Pension für mich gefunden, was sie monatlich für mich bezahlt hat. Ich bin dann jeden Tag dran­ geblieben, um aus dieser Lage wieder rauszukommen, habe im Internet nach Wohnungen gesucht und herumtelefoniert. Am Ende hatte ich auch Glück. Über Vitamin B bin ich an eine Wohnung gekommen. An dieser Stelle möchte ich mich unbe­ dingt bei meiner Mutter bedanken, dafür, dass sie immer für mich da war, wenn ich sie denn auch gelassen habe …

Sie hatte uns und hat als Kinderkrankenschwester im Schicht­ betrieb in der MHH gearbeitet. An mich kam sie irgendwann aber kaum noch ran. Mir hat einfach mein Vater gefehlt.

Hast du heute Kontakt zu ihm? In all den Jahren habe ich immer wieder versucht, Kontakt zu ihm aufzubauen, aber das Gefühl zwischen uns ist einfach kalt. Er hat sich finanziell beteiligt, als ich in der Pension gewohnt habe, aber emotional nicht. Das Verhältnis, das ich immer ger­ ne zu ihm gehabt hätte, gibt es bis heute nicht. Dafür hat meine Mutter umso mehr für uns gegeben, war immer für uns da. Es tut mir heute sehr leid, dass ich ihr früher so viel Ablehnung entgegengebracht habe.

Hast du selbst auch Kinder? Nein, aber mein Bruder hat zwei Kinder. Dafür bin ich ihm sehr dankbar: Meine Mutter hat sich immer Enkelkinder gewünscht und bei mir hat das leider bisher nicht geklappt.

Hast du schon dein Leben lang mit Depressionen zu kämpfen oder kam die Krankheit überraschend für dich?

Warum hast du dir von ihr nicht immer helfen lassen?

Das fing zwar mit meiner Kindheit an, ist aber eigentlich erst so richtig während meiner letzten Beschäftigung ausgebrochen. Mit dem Job war ich am glücklichsten in meinem Leben. Ich bin gelernter Einzelhandelskaufmann und habe zu dem Zeitpunkt als einziger Angestellter in einem Kleinunternehmen Out­ door-Küchen verkauft. Leider hat der Chef dann Insolvenz an­ melden müssen, das aber nicht gleich gesagt und mich nicht mehr bezahlt. Er hat mich richtig hängen lassen. Ich konnte meine laufenden Kosten nicht mehr decken. Das hat mich fer­ tiggemacht. Ab diesem Zeitpunkt ging es rapide bergab und ich musste in Behandlung. Meine Ehe hat das sehr belastet, auch, weil ich damals nicht richtig zu mir und meiner Krankheit ge­ standen habe. Heute kann ich das und würde das auch anders machen. Durch die Krankheit habe ich viel über mich gelernt und bin jetzt auf einem guten Weg.

Unser Verhältnis war zwischenzeitlich nicht leicht. Die Ursache liegt in meiner Kindheit, auch für meine Erkrankung.

Wie sieht der aus?

Wie war das damals? Grundsätzlich hat es meinem Bruder und mir an nichts gefehlt, aber leider haben sich unsere Eltern ziemlich früh getrennt – ich war sechs. Ich habe immer unwahrscheinlich an meinem Vater gehangen und dann war er weg, von heute auf morgen. Leider gab es auch erst mal gar keinen Kontakt mehr. Mein Va­ ter war damals alkoholabhängig. Meine Mutter hat lange an ihm und der Ehe festgehalten, sich dann aber getrennt, weil es einfach sein musste. Das war eine harte Zeit für meine Mutter.

Ich habe in letzter Zeit so viele nette Menschen über Asphalt kennengelernt, die mich ins Herz geschlossen haben, die ich ins Herz geschlossen habe. Es wäre schön, wenn das so bleibt und weitergeht. In dem Zusammenhang würde ich gern noch ein Dankeschön an meine beste Freundin richten, die, als es mir mal wieder nicht so gut ging, zu mir meinte: »Wieso ver­ kaufst du eigentlich nicht Asphalt?« Damit dann anzufangen, war die beste Entscheidung für mich! Interview und Foto: Svea Kohl


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Michael verkauft Asphalt vor ÂťLidlÂŤ in Hannover-Wettbergen. Mailo ist immer dabei.


RUND UM ASPHALT

Gesund Kochen mit eher schmalem Budget

Am Anfang war die Not. Und die Tristesse und die Vertreibung und die Erfahrung, nicht gehört zu werden. Dann kam die Idee: Eine Straßenzeitung machen, in der all das thematisiert wird, was Arme und Wohdas Herz nungslose beschäftigt. Ausße. der Stra schließlich verkauft von den Experten in eigener Sache, den Menschen von der Straße. Auf der Straße. Auf den Namen Asphalt wurde die neue Straßenzeitung getauft. Damals vor 25 Jahren. Seitdem hat sich Asphalt verändert, verbessert, verdient gemacht. Aber immer noch trägt das Konzept, weil die Not immer noch existiert. Und nach wie vor informiert Asphalt parteiisch für Arme aber überparteilich. Das wird gefeiert. Mehrfach in diesem Jahr. Mit dem Kongress der Straßenzeitungen (17. – 20.6.), mit einer Galaveranstaltung unter Freunden am 20. Juni und mit einer großen Verkäufersause am Jahrestag unserer Erstveröffentlichung der Asphalt No. 1 am 28. August. Für alle, die sich erinnern wollen, die wissen wollen, wer und was hinter Asphalt steht, mit Zahlen, Daten, Fakten und Einschätzungen, gibt es die Asphalt Spezial zum 25-jährigen Jubiläum. Ab dem 1. Juli auf Straßen und Plätzen. Für 2,20 Euro. Solange der Vorrat reicht. MAC

»An die Töpfe fertig los!« hieß es nun schon zum zweiten Mal für die Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer in der Kochschule der VHS im Rahmen unseres Gesundheitsprojektes. Bevor es aber so richtig losgehen konnte, gab es noch eine kleine Wiederholungseinheit aus dem ersten Kochkursus und eine theoretische Einweisung in das neue Thema »Eiweißreiche Kost«. Anschließend wurde dann in Zweierteams geschnippelt, geraspelt, gewogen, gerührt, gekocht und gebraten. Auf dem Speisenplan standen dieses Mal ein griechischer Salat mit Fetakäse, kleine Hack-Frikadellen mit geraspeltem Gemüse gestreckt und mit Quark als Bindemittel, eine

2,20 Euro

Nach kurzer, schwerer Krankheit hat er den Kampf verloren. Wir trauern um unseren langjährigen Verkäufer und Stadtführer

Bernd Groß * 14. Januar 1959

† 20. April 2019

Das gesamte Asphalt-Team mit allen MitarbeiterInnen und VerkäuferInnen.

Foto: G. Biele

Spezial ·

Eine »Asphalt Spezial« zum Jubiläum

Linsenbolognese mit Tomatensoße und Vollkornnudeln sowie ein Amarettini-Dessert mit Kirschen und Quark als Eiweißspender. Unterstützt wurden die Teams, die jeweils die Zubereitung eines der Gerichte übernahmen, von Diätassistentin Erika Franz und von Tobias Schulte von der BKK VBU. Nachdem die Speisen fertig zubereitet waren, wurde gemeinsam probiert. Alle waren begeistert und »das eine oder andere Gericht werde ich bestimmt auch mal nachkochen«, resümiert Asphalt-Verkäufer Jörg (re. im Bild), der gemeinsam mit Verkäufer Hasso für die Zubereitung des Desserts zuständig war. BKK VBU-­ Account Manager Schulte lobte das Engagement und die bereits erzielten Erfolge: »Die Begeisterung der Asphalter finde ich richtig gut. Und auch die Gewichtsabnahme von mehr als 40 Kilo von AsphaltVerkäufer Guido durch die Ernährungsumstellung und das wöchentliche Fitnesstraining ist wirklich toll. Respekt!« GB


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Asphalt für Journalistenpreise nominiert

Best Photograph-Nominee: das Foto von Karin Powser.

2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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DER SCHEIN TRÜGT VERSCHWOREN

VERBORGEN

VERSTÄRKT

Alles passt ins Muster und ist doch ganz anders

Auf leichten Pfoten: Ratten helfen bei der Landminensuche

Seit 90 Jahren stehen Gitarren unter Strom – Rock sei Dank

Best Feature-Nominee: der Beitrag über Verschwörungstheorien von Uli Matthias.

Best Special Edition-Nomi­ nee: die Asphalt Kids, unser Sonderheft für Kinder.

Mehr als 100 soziale Straßenzeitungen weltweit sind im Internationalen Netzwerk der Straßenzeitungen, dem INSP, organisiert. Eine davon ist Asphalt. Einmal im Jahr treffen sich die Straßenzeitungen zum Kongress, um gemeinsam zu lernen, sich weiter zu entwickeln, solidarisch neue Herausforderungen wie Digitalisierung, bargeldloses Bezahlen oder Armutsmigration anzugehen. Und um die Qualität der Zeitungen immer besser zu machen. Als Trendbarometer und Nachahmungsschmiede gelten daher die jährlich verliehenen INSP-Awards. Mit diesen »Oscars der Straßenzeitungen« werden herausragende journalistische Leistungen von einer international hochkarätig besetzten ExpertInnen-Jury ausgezeichnet. Als einzige Straßenzeitung Deutschlands ist in diesem Jahr Asphalt gleich dreimal nominiert: in den Kategorien Best Cultural Feature, Best Photograph und Best Special Edition. Das freut uns riesig. Und macht uns auch ein bisschen stolz. Der internationale Kongress, der INSP-Summit, wandert. Zuletzt fand er in Manchester, Glasgow, Athen und Seattle statt. In diesem Jahr ist Hannover Gastgeberstadt. Vom 17. bis 20. Juni werden rund 120 Redakteure, Geschäftsführer und Vertriebler von 50 Straßenzeitungen aus 25 unterschiedlichen Ländern im Haus der Region zusammenkommen, um Armen und Obdachlosen in Zukunft noch besser helfen zu können. MAC

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»Asphalt macht Zugehörigkeit« Stephan Weil, Niedersächsischer Ministerpräsident

»Asphalt« hilft bei ersten Schritten heraus aus der Obdachlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit hin zu einer festen Arbeit. Dabei geht es aber noch um mehr: Nämlich um das Gefühl, wieder dazu zu gehören, nützlich zu sein und gebraucht zu werden. Das hatte der frühere Diakoniepastor, mein Freund Walter Lampe, im Sinn, als er das Straßenmagazin im Jahre 1993 initiiert hat. Und seitdem unterstütze ich Asphalt gerne.

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… mehr als eine gute Zeitung!

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Asphalt verlost 10 x 2 Karten für den Zoo Hannover

Bezaubernder Late-Zoo Die Sonne verschwindet langsam hinter den mächtigen Stämmen der Baobabs in Afi Mountain, die letzten Strahlen spiegeln sich im Wasser des Sambesi und tauchen die afrikanische Steppenlandschaft in goldgelbes Licht. In der Ferne stimmen die Timber-Wölfe in der kanadischen Wildnis ihr Lied an, während die Robben im Hafenbecken von Yukon Bay gemütlich durch das stille Wasser schwimmen. Diese besondere Atmosphäre können die Besucher vom 6. Juni bis zum 8. August jeden Donnerstag von 16.30 bis 22 Uhr im Zoo Hannover genießen. Dazu gibt es Live-Musik und Walk-Acts, tolle Aktionen und tieri-

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Gewinnsp

Einladung zur ordentlichen Generalversammlung am 19. Juni 2019, 18:00 Uhr Tagungshaus St. Clemens Platz an der Basilika 3, 30169 Hannover

Tagesordnung 1. Begrüßung und Feststellung der Beschlussfähigkeit

Foto: Zoo Hannover

2. Ernennung von Funktionsträgern für den Lauf der Mitgliederversammlung (Schriftführer/in, Stimmzähler/in)

sche Kommentierungen, bei denen Scouts spannende Zoo-Geschichten erzählen. Märchenhaft wird es mit den Erzählern von »Märchen Erzählen Hannover« immer um 18 Uhr und um 20.30 Uhr. Ein Tipp für Sparfüchse: Ab 16.30 Uhr gelten die vergünstigten Feierabendtickets! Mit Asphalt können Sie zwei Tagestickets für den Zoo Hannover gewinnen! Beantworten Sie uns einfach folgende Frage: An welchem Wochentag gibt es den Late-Zoo? Schicken Sie uns eine Postkarte, eine E-Mail oder ein Fax mit Ihrer Antwort und dem Stichwort »Zoo« bis zum 30. Juni 2019 an: Asphalt-Redaktion, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover, gewinne@asphalt-magazin.de, Fax 0511 – 30126915. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Die Lösung unseres letzten Zoo-Rätsels lautet: »Hudson Bay«.

3. Vorlage des Jahresabschlusses 2018 - Lagebericht und Bericht des Vorstandes über das Geschäftsjahr 2018 - Bericht des Aufsichtsrates 4. B ericht über das Ergebnis der gesetzlichen Prüfung - Verlesen des zusammengefassten Prüfungsberichtes (zur Beratung und ggf. Beschlussfassung) - Stellungnahme des Aufsichtsrates 5. Beschlussfassung über die Feststellung des Jahresabschlusses 2018 6. Beschlussvorlage zur Verwendung des Jahresüberschusses (§ 35 Satzung) Beschlussfassung über die Verwendung des Jahresüberschusses 7. Beschlussfassung über die Entlastung des Vorstandes Beschlussfassung über die Entlastung des Aufsichtsrates fairKauf eG Osterstraße 3, 30159 Hannover Telefon: 0511 357659­0 www.fairkauf­hannover.de


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Machen Sie bei uns mit!

Kommen Sie mit – zum sozialen Stadtrundgang! Asphalt zeigt Ihnen das andere Hannover. Unsere Verkäuferinnen und Verkäufer führen Sie zu Orten, an denen Wohnungslose keine Randgruppe sind. Nächste Termine: 28. Juni 2019, 15 Uhr 26. Juli 2019, 15 Uhr | Treffpunkt: Asphalt, Hallerstr. 3, 30161 Hannover. Bitte melden Sie sich an unter: 0511 – 301269-20. Teilnahme auf Spendenbasis: ab 5 Euro pro Person.

Verkäuferausweise Bitte kaufen Sie Asphalt nur bei VerkäuferInnen mit gültigem Ausweis! Zurzeit gültige Ausweisfarbe (Region Hannover): Grün

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Die Runde der Ehrenamt­lichen trifft sich an jedem letzten Dienstag im Monat in den hannoverschen Asphalt-Redaktions­ räumen. Da werden Veranstaltungen organisiert, Info-Stände geplant und Ideen gesammelt, um die Arbeit von Asphalt enga­ giert zu unterstützen. Besonders für unsere Asphalt-Verkäufe­ rinnen und -Verkäufer ist es wichtig zu spüren, dass viele Men­ schen hinter ihnen stehen. Wir freuen uns, wenn Sie sich dieser lebendigen Runde anschließen möchten! Rufen Sie uns einfach vorher an: 0511 – 30 12 69-0. Die nächsten Treffen finden am Dienstag, 25. Juni und am 30. Juli, um 17 Uhr statt.

Jubiläumsspende zu Gunsten von Asphalt Stolze 100 Jahre alt ist die Wohnungsbaugenossenschaft Soltau in diesem Jahr geworden. Anlass genug, das runde Jubiläum gebührend zu feiern. Doch statt Blumen und Geschenke wünschten sich die Jubilare Geldspenden zu Gunsten von Asphalt. »In der Wohnungswirtschaft ist es üblich, dass wir auf solchen Veranstaltungen soziale Einrichtungen mit bedenken«, betonte der Geschäftsführer der Wohnungsbaugenossenschaft Ralf Gattermann (re. im Bild). Die Idee, das Jubiläumsgeld an Asphalt zu spenden, kam von Landesbischof Ralf Meister, der als Festredner ebenfalls eingeladen war. »Wir hatten Herrn Meister die Wahl überlassen, weil er für seinen Festvortrag kein Honorar wollte«, erklärte Gattermann die Entscheidung. Allein durch die Geburtstagsgäste kamen 5.734,99 Euro zusammen. Um den Betrag rund zu machen, stockte die Wohnungsbaugenossenschaft diese Summe großzügig auf. Asphalt-Geschäftsführer Georg Rinke nahm den Spendenscheck mit der stattlichen Endsumme von 7.000 Euro begeistert entgegen. Das Asphalt-Team bedankt sich herzlich bei Landesbischof Ralf Meister für seinen Vorschlag und bei der Wohnungsbaugenossenschaft Soltau und seinen Geburtstagsgästen für die tolle Spende. GB

Impressum Herausgeber: Matthias Brodowy, Dr. Margot Käßmann, Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe Gesellschafter: Diakonisches Werk Hannover, H.I.o.B. e.V. Geschäftsführung: Georg Rinke Redaktion: Volker Macke (Leitung), Grit Biele, Svea Kohl, Ulrich Matthias Fotografin/Kolumnistin: Karin Powser Gestaltung: Maren Tewes Freie Autoren in dieser Ausgabe: H. Diedrich, B. Laufer, B. Pütter, G. Schild, W. Stelljes

Anzeigen: Heike Meyer Verwaltung: Janne Birnstiel (Assistentin der Geschäftsführung), Heike Meyer Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Christian Ahring (Sozialarbeiter) Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Fax 0511 – 30 12 69-15

Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1 Online: www.asphalt-magazin.de redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Druck: v. Stern’sche Druckerei, Lüneburg Druckauflage: Ø 22.500 Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 20. Mai 2019

Für unaufgefordert eingesandte Manus­kripte, Bilder und Bücher übernehmen wir keine Gewähr. Rücksendung nur, wenn Porto beigelegt wurde. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weiter­ gegeben. Unsere vollständige Datenschutzerklärung finden Sie auf www.asphalt-magazin.de/impressum. Alternativ liegt diese zur Ansicht oder Mitnahme in unserer Geschäftsstelle aus.


RUND UM ASPHALT

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Mogelpackung Housing First? n

Asphalt-Verkäufer Hasso Diedrich: Die Stiftung »Ein Zu-

hause« hat jetzt ein Housing-First-Projekt ins Leben gerufen. Housing-First ist in den USA entstanden, um Wohnungslose dezentral in Wohnungen unterzubringen. Aber was die Stiftung hier vorhat, wirkt eher wie Ghettobildung. Man möchte obdachlose Menschen direkt von der Straße in abgeschlossene Wohnungen bringen. Die Stadt hat der Stiftung schon ein Baugrundstück am KarlImhoff-Weg zur Verfügung gestellt. Ab Sommer soll dort ein Haus mit 15 Wohneinheiten und einem Sozialarbeiterbüro entstehen. Ja, am Anfang in einer neuen Wohnung braucht man auch mal Hilfe von einem Sozialarbeiter. Und bei gleich 15 Wohnungslosen, die dort einziehen sollen, ist ein festes Büro sicher sinnvoll. Aber so erhält das Projekt auch mehr Wohnheimcharakter statt Hausing-First. Handelt es sich bei diesem Projekt – der Karl-Imhoff-Weg geht ja auch direkt von der Büttnerstraße ab – nicht doch nur um eine Art Werkheim II Deluxe? Und außerdem: Es gibt cirka 400 bis 600 Obdachlose und 4.000 bis 6.000 Wohnungslose in Hannover, seit drei Jahren wächst die Zahl der betroffenen Personen um cirka 150 Menschen jährlich. Da frage ich mich, wie trifft man da die Auswahl, welche 15 Obdachlose eine Wohnung bekommen?

Gemeinsam Laufen für Asphalt Der nächste Hannover-Marathon kommt bestimmt: am 26. April 2020. Und weil Asphalt Sozialpartner des Sportevents ist, plant Asphalt-Herausgeber Matthias Brodowy an dem Tag einen Asphalt-Staffellauf. Gemeinsam mit Freunden, Unterstützern und Prominenz. Für den guten Zweck. Und weil gemeinsam Laufen ohnehin viel mehr Spaß macht, wird schon im Vorfeld trainiert. Jeder kann mitmachen. Am 3. Juli wartet Matthias Brodowy im Laufdress am Maschseenordufer. Treffpunkt Fackelläufer, Start: 19 Uhr. Mehr Infos unter 301269-0. MAC

gesucht – gefunden Verkäufer Michael: Ich wünsche allen meinen Kunden frohe Pfingsten! Ihr Verkäufer Michael (Lidl Wettbergen) [V-Nr. 2309]. Verkäufer HaDe: Krankheits- und altersbedingt bin auch ich in meiner Mobilität eingeschränkt. Da es für Menschen mit geringen Einkommen immer schwieriger wird am gesellschaftlichen Leben Teil zu nehmen, habe ich mich entschlossen, mein kleines Wohnzimmer als Treffpunkt zu öffnen. Ob »nur Kaffee/Tee-Tafel« mit Gesprächen, Spiele spielen oder gemeinsam Texte entwerfen, das muss sich zeigen. Anfragen: per E-Mail grube.hannover@t-online.de oder SMS an 01575 9467194. Heinz-Dieter Grube

„Waldi“ und Noah besuchen „Die KuRVe“ „Haste mal 'ne Mark?“ – so hieß die erfolgreiche Kampagne vom Diakoni­ schen Werk (DW) Hannover und 96plus, bei der D-Mark gesammelt und umgerechnet über 6.000 Euro gespendet wurden. Anfang Mai schauten die 96-Spieler Waldemar Anton und Noah Joel Sarenren Bazee im Projekt des Diakonischen Werks Hannover „Die KuRVe“ vorbei, einer Krankenwohnung für Obdachlose. Gemeinsam haben sie das Wohnprojekt besichtigt, bevor sie sich später mit den Bewohnern austauschten. Diese freuten sich über den Besuch und stellten Fragen zum Trainingsalltag der beiden 96-Profis. Auch Waldi und Noah zeigten sich interessiert und erfüllten nebenbei Autogrammwünsche der Bewohner und Betreuerinnen. Am Ende der Woche des Besuchs kam es bereits zu einem Wiedersehen, denn die Bewohner der „KuRVe“ haben das Spiel unseres Teams gegen den SC Freiburg besucht, um unsere 96-Profis zu unterstützen. Rainer Müller-Brandes, Diakoniepastor und Geschäftsführer vom DW, freute sich über den Besuch der 96-Spieler und stellte fest: „Wir können uns bei einer Grippe ins Bett legen. Das können die Obdachlosen nicht. Zur Genesung braucht es einen geschützten Ort. Schön, dass wir dieses Projekt aus der ‚Haste mal 'ne Mark’-Kampagne unterstützen können.“


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PAPST DER HIRSCHKÄFER Der Hirschkäfer ist Europas größter Käfer und gilt als stark gefährdet. In den Dammer Bergen trifft man ihn noch häufiger. Jetzt, im Juni und Juli, ist die Hauptflugzeit. Hauptsaison ist auch für den Hirschkäfer-Experten Werner Schiller. Der Naturschützer ist der erste Ansprechpartner, wenn es zu Sichtungen der Käfer kommt. Die erste Begegnung ist unvergesslich, sagt die Frau, die ge­ genüber der Kirche von Steinfeld im Oldenburger Münsterland lebt. Sie arbeitete gerade im Vorgarten und schnitt den Buchs­ baum, da sah sie das erste Tier. Dann das nächste, im Blumen­ topf. In den Kellerschächten, an der Hauswand, auf der Terrasse – überall entdeckte sie plötzlich Hirschkäfer. Doch sie wusste, was zu tun ist. Während ihr Mann mit einem Kehrblech die Kä­ fer einsammelte und zu »Pastors Hof« trug, rüber zu den alten

Eichen, bei denen sich die Tiere so wohl fühlen, rief die Frau bei der Gemeinde an. Und die informierte Werner Schiller. Schiller ist der »Hirschkäfer-Papst« – viel mehr Respekt geht im katholi­ schen Damme nicht. Für den »Lucanus cervus«, so die korrekte wissenschaftliche Bezeichnung, vernachlässigt der 71-Jährige mitunter sogar den heimischen Garten. Die »Urwald-Reliktart« ist für Schiller allein schon dank ihrer urigen Gestalt ein »Sym­ pathieträger«.


In alten Baumstümpfen legen die Hirschkäfer-Weibchen ihre Eier ab.

Die Hirschkäfer-Männchen werden bis zu acht Zentimenter lang.

Er selbst kam 2005 auf den Hirschkäfer. Damals war er be­ reits in der NABU-Ortsgruppe Damme aktiv. Geplant war eine erste Kartierung. Nur wo und wie findet man die Tiere? »Ob­ wohl ich bereits 30 Jahre in Damme lebte, hatte ich vielleicht zwei Hirschkäfer gesehen«, erinnert sich Schiller. Der Zufall half nach. Beim Kauf von Spargel erzählte Wer­ ner Schiller der Verkäuferin von seinem Vorhaben. Kurz darauf brachte ihm die Frau in einem Glas das erste Exemplar. Es folg­ te ein Aufruf in der Zeitung. Ununterbrochen klingelte nun das Telefon. Es war die Geburtsstunde der »Hirschkäfer-Hotline« (siehe Kasten). Wer auch immer jetzt einen Hirschkäfer zu Ge­ sicht bekommt, wird gebeten, seine Beobachtung zu melden. 200 bis 300 Anrufe bekommt er pro Saison, sagt Schiller. Und einen Großteil dieser Meldungen prüft er selbst. Dann setzt er sich ins Auto und fährt den »Hirschkäfer-Highway« ab, einmal im Uhrzeigersinn um die Dammer Berge. Die »Hotspots« liegen in den Gemeinden Damme, Neuenkirchen-Vörden, Holdorf und Steinfeld.

Kurzes Käferleben: vier bis sechs Wochen Es gibt nur wenige Regionen, in Brandenburg und Hessen etwa, wo man den Hirschkäfer ähnlich häufig antrifft wie in den Dammer Bergen. Hier, im Süden des Oldenburger Müns­

terlandes, lebt vermutlich die größte Population in ganz Norddeutschland. Denn hier findet der Hirschkäfer, was er braucht: sonnige Waldrandlagen, lockere Böden und vor allem alte Baumstümpfe, mit Vorliebe Eichen. Dort legt das Weib­ chen seine Eier ab. Von dem morschen, sich zersetzenden Holz ernähren sich die Larven, die bis zu zwölf Zentimeter lang werden, wenn sie nicht vorher von Wild­ schweinen gefressen werden. Wenn der fertige Hirschkäfer das Licht der Welt er­ blickt, dauert sein Leben gerade mal vier bis sechs Wochen. Dem Hirschkäfer wurden früher be­ sondere Eigenschaften zugesprochen. Donnerkäfer, Hausbrenner, Feuerwurm, Börner oder Feuerschröter – allein sei­ ne zahlreichen Namen lassen vermuten, dass sein Erscheinen nicht immer freu­ dig begrüßt wurde. Die Germanen hiel­ ten ihn für ein »heiliges Tier« des Gottes Donar (Thor). Der Hirschkäfer stand im Verdacht, Blitze anlocken zu können, er durfte also nicht mit ins Haus genommen


Weibchen im Vorteil Ortstermin mit dem »Hirschkäfer-Papst« bei einem Kindergarten in den Dammer Bergen: Wiederholt haben Kinder und Mitarbeiterinnen hier Hirschkäfer beob­ achtet und gemeldet. Ein Sechsjähriger reicht Schiller einen Hirschkäfer. Oder vielmehr das, was offenbar eine Krähe von ihm übriggelassen hat. Eigentlich ist es nur der Kopf mit den Mandibeln, den imposanten Mundwerkzeugen, die aussehen wie ein Geweih. Ihnen ver­ dankt der Hirschkäfer seinen Namen. Er braucht diese Mandibeln, um beim Kampf um Weibchen männliche Rivalen auszuhebeln. Werner Schiller untersucht die nähe­ re Umgebung. Gegenüber vom Kinder­ garten stehen ein paar Eichenstubben. Dann wandert sein Blick an einem Baum hoch, auf der Suche nach einer Wunde in der Rinde, einer »Leckstelle«. Denn der Hirschkäfer ernährt sich ausschließlich von Baumsaft. Die Weibchen sind dabei klar im Vorteil: Sie können solche Stel­ len selbst erzeugen. Männchen dagegen sind auf Unterstützung angewiesen, zum Beispiel durch Blitzschlag. Ist der Baum­ saft bereits angegoren, dann liegen die Tiere betrunken unter dem Baum und strampeln mit den Beinen. Die Leckstel­ len sind auch die bevorzugten »Rendez­

vousplätze« der Hirschkäfer. Hier rangeln die Männchen um die Weibchen und werfen ihren Konkurrenten vom Baum. Das siegreiche Tier stirbt übrigens kurz nach der Paarung. Im Juni und Juli, während der Flugzeit der Hirschkäfer, ist Werner Schiller unermüdlich unterwegs. Fast mantrahaft wie­ derholt er seine Bitte: Ruft an, wenn ihr einen Hirschkäfer seht! Und lasst vor allem die Stubben stehen, wenn ihr Bäume fällt! Hirschkäfer brauchen Totholz, um zu leben. Deshalb haben Schiller und seine Mitstreiter auch mehrere Meiler angelegt, zum Beispiel auf einer Streuobstwiese im idyllischen Bexadde­ tal. Bis allerdings ein Hirschkäfer den Meiler verlässt, dauert es noch Jahre. Das Basislager der Käferfreunde ist das Naturschutzzen­ trum Dammer Berge. Der Verein betreut im Nordwesten von Damme ein ehemaliges Bundeswehrgelände. Werner Schiller und Bernd Averbeck sind die führenden Köpfe des Vereins, bei­ de pensionierte Biologielehrer, der eine Experte für Hirschkäfer, der andere für Stare, Steinkäuze und Blumenwiesen. Und bei­ de eine »aussterbende Art«, scherzt Averbeck – allein deshalb vermutlich voller Mitgefühl für die Spezies der Zauneidechsen, Kammmolche oder eben Hirschkäfer. »Vielfalt statt Einfalt« lautet ihr Motto. Dabei wissen die Naturschützer die Europäi­ sche Union an ihrer Seite. Denn die hat eine Fauna-Flora-Ha­ bitat-Richtlinie verabschiedet zum Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen, für die besondere Gebiete ausgewiesen werden müssen. Auch der Hirschkäfer ist hier als Art »von gemein­ schaftlichem Interesse« aufgelistet, für dessen Erhaltung die Mitgliedsstaaten eine besondere Verantwortung und Verpflich­ tung haben. Vor allem aber setzt Schiller auf die Unterstützung der heimischen Bevölkerung: »Der Hirschkäfer, das Symboltier der Dammer Berge, braucht viele Freunde.« Text und Fotos: Wolfgang Stelljes Hirschkäfer beobachten Die Hauptflugzeit ist im Juni und Juli. Am besten lässt sich der Hirschkäfer in der Abenddämmerung beobachten, auch in Siedlungen. Die Männchen sind mit bis zu acht Zentimetern Länge doppelt so groß wie die Weibchen. Bei beiden Geschlechtern sind die Flügeldecken kastanienbraun. Der Kopf ist schwarz. Besonders auffällig bei den Männchen ist das »Geweih« – die Mandibeln machen bei großen Tieren fast die halbe Körperlänge aus. Wer in den Dammer Bergen Hirschkäfer beobachtet, sollte Fundort und -datum, Anzahl und Geschlecht bei der Hirschkäfer-Hotline melden. Telefon: 05491 – 1412. E-Mail: werner.schiller@gmx.net. WS

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werden. Da man das Tier offenbar auch häufiger im schwachen Licht schwelen­ der Kohlenmeiler beobachtete, entstand das Gerücht, es könnte mit seinen Zan­ gen Feuer auf Strohdächer tragen. Eine eher segensreiche Wirkung wurde dagegen dem »Geweih« zuge­ schrieben. Im Mittelalter verkaufte man die Mandibeln als Mittel gegen Zaube­ rei und verwendete sie auch als Orakel. Ein Hirschkäferkopf in der Tasche soll­ te Reichtum und Glück bringen. Und auch die Römer statteten ihre Kinder mit Hirschkäferköpfen aus, in der Hoffnung, so Krankheiten abwehren zu können.

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WER WAR EIGENTLICH …

… MARY WIGMAN?

Foto: akg-images/Picture-Alliance

ihre eigene Tanzschule in Dresden. Zu Beginn des 19. Jahrhundert stand Das Haus in der Bautzener Straße das klassische Ballett für den Büh­ sollte in den nächsten Jahren zum nentanz. Ein starres Korsett aus Per­ Anlaufpunkt für alle werden, die sich fektion der Bewegung, Kostümen und zum expressiven Ausdruckstanz hin­ Musik war die Vorgabe. Das konnte, gezogen fühlten. das wollte Mary Wigman nicht. Wig­ Wigman selbst wurde zu einem man selbst schrieb in der Frühphase Star, begeistert auch in den USA ihr ihrer Karriere, dass der Tanz eine der Publikum. Das feierte und bewunder­ ursprünglichen Formen des mensch­ te sie, mit ihrem Hexentanz ließ sie lichen Ausdrucks sei. »Doch der Tanz viele wohl auch fürchten. Es gibt zwar von heute musste zunächst die Fes­ nur etwas unscharfe Videos, aber wie seln einer starren Tradition abschüt­ sie da zum ekstatischen Trommeln teln.« mit weit aufgerissenen Augen, wie in Karoline Sofie Marie Wiegmann Trance, über die Bühne, ja, geistert, wurde am 13. November 1886 in das lässt einen auch heute frösteln. Hannover geboren. Sie wuchs in der Die Machtübernahme durch Schmiedestraße in einem gutbürger­ die Nazis erlebte Mary Wigman auf lichen Milieu auf, der Vater führte in Tournee in den USA. Sie fügte sich der Nähe des Bahnhofs ein Geschäft in die neue Realität und profitierte für Fahrräder und Nähmaschinen, zunächst von ihr. Die »Totenklage« die Mutter war Hausfrau. Ihre Eltern, Bewunderer des englischen Königshauses, nannten das Mäd­ bot ihr bei der Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in Ber­ chen nur: Mary. Einige Zeit verbrachte sie auf Internaten in lin die ganz große Bühne, auch sonst fiel sie nicht als System­ kritikerin auf. 1942 zog Wigman nach Leipzig, ihr langjähriger England und der Schweiz. Schon als Kind entdeckte sie ihre Liebe zur Musik und an­ Partner Hanns Benkert hatte sich von ihr getrennt. Das Vor­ deren Künsten. Die Berührung mit dem Theater kam aber erst standsmitglied von Siemens war damals NSDAP-Mitglied und spät. Während die meisten Tänzerinnen und Tänzer eine gan­ »Wehrwirtschaftsführer«, der mächtige Funktionär schützte die Tänzerin, die mit ihrem Konzept doch ze Kindheit in Probenräumen und auf eigentlich so gar nicht zum NS-Kunstver­ Bühnen hinter sich haben, war Wigman ständnis passte. Das zeigte sich nach der schon eine erwachsene Frau, als sie zum »Den Expressionismus Trennung, Wigman wurde zunehmend Tanz fand. in Bewegung gesetzt« eingeschränkt in ihrer Arbeit, im Jahr des Sie ging 1910 nach Dresden, besuch­ Umzugs nach Leipzig wurde ihre Tanz­ te die Schule für Rhythmische Gymnas­ tik und schloss sie auch erfolgreich ab. Glücklich aber war sie schule geschlossen. In Leipzig eröffnete sie diese nach Kriegs­ nicht, sie hatte ihr Feld noch nicht gefunden. Dazu musste sie ende neu, als aber die Gründung der DDR anstand, zog sie nach erst den ungarischen Tanztheoretiker Rudolf von Laban treffen, West-Berlin und gründete dort ein neues Studio. Die Künstlerin Wigman war weiter erfolgreich und geachtet. der Maler Emil Nolde hatte ihr dazu geraten. Der Besuch der »Schule für Kunst« von Rudolf von Laban veränderte sie, und Ihr Berliner Studio schloss sie erst 1967, da war sie schon 80 schließlich die Tanzwelt, für immer. »Es war, als käme ich nach Jahre alt. Sechs Jahre später starb sie in Berlin. Hause!«, beschrieb Wigman den Moment später. Sie fand dort Gerd Schild ihr Glück, und sie erfand den Ausdruckstanz. Schöner klingt, wie es der Maler und Schriftsteller Oskar Kokoschka beschrieb: Noch bis zum 29. September zeigt das Museum August Wigman habe den Expressionismus in Bewegung umgesetzt. Kestner in Hannover eine Sonderausstellung zur VerbinIhren ersten großen Auftritt hatte sie nach dem Ersten Welt­ dung von Ausdruckstanz und Bauhaus. Ein Schwerpunkt der krieg, im Herbst 1919 in Hamburg. Ein Jahr später gründete sie Schau ist das Leben und Wirken Mary Wigmans.


Wie Rechte reden Es gibt inzwischen ganze Regalmeter zum Phänomen des Rechtspopulismus, und es gibt Handreichungen und Praxishilfen zum Umgang. Darunter so unsäglich Kontraproduktives wie den volkspädagogischen Gassenhauer »Mit Rechten reden«, der in erster Linie Autorentrio und Publikum der eigenen Überlegenheit versicherte. Das Buch der Schweizer Soziologin Franziska Schutzbach ist anders. Ihr Buch liefert einen knappen wie verständlichen Überblick über rechtspopulistische Diskursstrategien. Schutzbach identifiziert 20 typische Elemente der Rhetorik des Rechtspopulismus, bei der sich Form und Inhalt durchdringen: Von der Konstruktion des Gegensatzes »Volk – Elite«, über den Kampf gegen »Political Correctness« bis zu gezielten Tabubrüchen oder der rhetorischen Entkernung von Forderungen nach »wahrer Demokratie« oder »Meinungsfreiheit«. Nach 100 Seiten endet sie mit Gedanken zu Gegenstrategien und – in dieser Form auch ungewöhnlich – sehr privaten Ermutigungen, dem Pessimismus, den Verhärtungen und der Resignation zu widerstehen. BP Franziska Schutzbach | Die Rhetorik der Rechten. | Xhanthippe | 19,80 Euro

Inwertsetzung Gentrifizierung ist die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten durch wohlhabendere im Zuge der baulichen Aufwertung einer Nachbarschaft, eines Viertels. Lisa Vollmer, die an der Bauhaus-Universität Weimar forscht und lehrt, hat eine Einführung auf dem Stand der Forschung und eine Art Praxishandbuch in einem vorgelegt. Sie aktualisiert damit die inzwischen fast zehn Jahre zurückliegenden Einführungstexte »Wir bleiben alle« von Andrej Holm und »Gentrifidingsbums« von Christoph Twickel, die in Deutschland die breitere Debatte über Gentrifizierung und ihre Folgen begründet hatten. Vollmer stellt in der ersten Hälfte ihres Buches Definitionen, Erklärungsansätze und Diskurse vor, beschreibt Abläufe, Folgen und Dynamiken von Gentrifizierungsprozessen. Das ist sehr dicht und zwangsläufig theoretisch, aber sehr gut lesbar. Die zweite Hälfte versammelt Beispiele von MieterInnenprotesten aus ganz Deutschland gegen die Inwertsetzung ihrer Nachbarschaften und zeichnet erfolgreiche Strategien nach. BP Lisa Vollmer | Strategien gegen Gentrifizierung | Schmetterling | 12 Euro

Nach Afrin Ismail Küpeli ist einer der in Deutschland vielrezipierten Experten zur politischen Situation in der Türkei und in Nordsyrien. Sein 2015 erschienener Titel »Kampf um Kobanê« war anlässlich der konkreten Kriegssituation auch eine Einführung in die kurdisch-türkische Konfliktgeschichte. Der gerade erschienene Sammelband »Kampf um Rojava, Kampf um die Türkei« knüpft dort an. Die basisdemokratische Förderation Rojava, die Kurden Ende 2013 im Norden Syriens etablierten, war von Beginn an durch einen türkischen Einmarsch bedroht. Mit russischer Zustimmung und durch das schwindende Interesse der USA erfolgte der erste Schritt 2018 mit dem Afrin-Krieg. In dieser neuen Situation haben die Beiträge des Sammelbandes ihren Fokus beiderseits der Grenze. Es geht um Rojava in der türkischen Innenpolitik, um die Presse in der Autonomieregion, um die türkische Frauenbewegung, um Alternativen zum Nationalstaat. In seinem Auftaktbeitrag resümiert Historiker Küpeli die türkische Nahostpolitik unter der Überschrift »Hauptsache, die KurdInnen verlieren.« BP Ismail Küpeli (Hg.) | Kampf um Rojava, Kampf um die Türkei | edition assemblage | 7,80 Euro

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BUCHTIPPS

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KULTURTIPPS Konzert

Er ist ein Musiker, der in seiner Show mit Akkustikgitarre, hübschem Haar, Mutterwitz und schmerzbefreiter Übersetzungswut den Fans einen unterhaltsamen Abend bereitet. Mit internationalen Hits und Immergrüns. Mit ziemlich bekannten Stücken, die auf englisch jeder schon einmal gehört hat. Doch Jon Bon Deppe hat sie für seine Fans übersetzt. Eins-zu-Eins, ohne Abstriche. Er führt den geneigten Zuhörer in sprachlich unbekannte Wahrnehmungswelten. Wort für Wort. Wörtlich. Abende mit Jon Bon Deppe sind für seine Fans stets ein gewaltiger Spaß, die beim Zuhören manchmal schwer ins Grübeln kommen, was der Künstler einem im englischen Original wohl hatte sagen wollen. Freitag, 14. Juni, 19 Uhr Einlass, 20 Uhr Beginn, Leibniz Theater, Kommandanturstraße 7, Hannover, Eintritt 14,90 Euro, erm. 12,90 Euro.

Sommerserenade Unter dem Motto »Ich hab‘ die Nacht geträumt« steht die Sommerserenade, mit der der Mädchenchor Hannover die zweite Hälfte des Jahres 2019 begrüßt und einleitet. Der weit über die Grenzen Deutschlands bekannte Hannoveraner Mädchenchor wird dabei unter der Leitung seines neuen Chorleiters Prof. Andreas Felber unter anderem Werke von Lili Boulanger, Francis Poulenc, Heinrich von Herzogenberg und Johannes Brahms aufführen. Samstag, 15. Juni, 19 Uhr, Christuskirche Hannover, Conrad-Wilhelm-Hase-Platz 1, Hannover, Tickets gibt’s in der Buchhandlung an der Marktkirche oder direkt beim Mädchenchor Hannover, Eintritt 15 Euro, erm. 8 Euro.

Foto: Agnes Fox

Internationale Hits und Immergrüns

Wandelkonzert durch das Schloss Ein Ensemble aus italienischen, persischen und deutschen Musikerinnen und Musikern begibt sich im Schloss Landestrost auf eine abenteuerliche Reise durch die Hölle, den Läuterungsberg und das Paradies. Das Wandelkonzert mit dem Titel »Al Mi’raj e La Comedia Divina« lädt die Besucherinnen und Besucher ein, im Schloss von Raum zu Raum und bei schönem Wetter durch den Amtsgarten zu wandeln. Sie erleben dabei musikalische Stationen, die Parallelen von Dantes Göttlicher Komödie zu den Schriften Ibn Arabis ziehen. Musik der Ars nova, persisch-arabische Improvisationen und zeitgenössische Kompositionen und Klangarbeiten sorgen für ein unvergessliches Hörerlebnis. Sonntag, 30. Juni, 17 Uhr, Schloss Landestrost, Schlossstraße 1, Neustadt a. Rbge., Karten gibt’s unter 0511 – 616-25200 oder kultur@region-hannover.de, Eintritt 19 Euro, erm. 13 Euro. Anzeige

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Keltisch-Friesische Leidenschaft

Nathan der Weise

Friesisch-keltische Klänge, gespielt in einer seltenen, ganz eigenen Instrumentierung – das bieten jank frison. Das Duo, bestehend aus Heike Büsing und Stefan em Huiksen, lässt stark groovende Tanzmelodien in traditioneller bretonischer Besetzung mit Great Highland Bagpipes und Bombarde bzw. Akkordeon erklingen. Ihren unverwechselbaren Stil präsentieren die beiden Musiker mit einer Vielzahl unterschiedlicher Instrumente in abwechslungsreicher Kombination – mal laut und schwungvoll, mal leise und besinnlich. Freitag, 12. Juli, 19 Uhr, St.-Barbara-Kirche, Harenberger Meile 31, Seelze, Eintritt 13 Euro.

Gotthold Ephraim Lessings »dramatisches Gedicht« in fünf Aufzügen hat nach über 200 Jahren nicht das Geringste an Aktualität verloren. Geht es darin doch um Toleranz und Menschlichkeit und das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen. Die »Mobile Bühne Diwan Theater« aus Osnabrück führt Lessings Drama »Nathan der Weise« mit Originaltex-

Ausflug

Es gibt eine erstaunliche Artenvielfalt der sechsbeinigen Krabbler. Genau wie auch die Bienen, so sind sie alle Staaten bildende Insekten – und sie gehören wie Bienen und Hummeln zur Gruppe der Hautflügler: Waldameisen bauen Nesthügel durch Zusammentragen von Pflanzenabfall aus der Umgebung. Bis zu zwei Meter hoch kann sich der aus Nadeln und Ästen aufgeschichtete Hügel erheben. Je nach Art bevölkern hunderttausende bis mehrere Millionen Tiere ein Nest. Auf einer Exkursion durch den Naturpark Steinhuder Meer erzählt der Vizepräsident der Deutschen Ameisenschutzwarte Dr. Wolfgang Leibner den Teilnehmern interessante Aspekte über das Leben der Tiere, ihre Funktion im Ökosystem und praktischen Ameisenschutz. Mittwoch, 26. Juni, 19 bis 20.30 Uhr, Naturpark Infozentrum Steinhude, Am Graben 4-6, Wunstorf-Steinhude, Teilnahme frei.

Foto: Alexander Hector

Bedrohte Helfer des Waldes

ten und Handpuppen, die durch ihre detailliert gearbeiteten lebensgroßen Charakterköpfe ins Auge stechen, auf und bringt es durch seine moderne Sichtweise und unbeschwerte Inszenierung jungen und älteren Zuschauerinnen und Zuschauern nahe. Sonntag, 16. Juni, 15 Uhr, Gedenkstätte Ahlem, Heisterbergallee 10, Hannover, Eintritt frei.

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Bühne

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Gleiches Geld für Alle »Bedingungsloses Grundeinkommen«, so lautet der Titel der nächsten Ausgabe der Polit-Talk-Reihe von Caritas, LAK und Asphalt im ka:punkt. Als Gesprächsgast stellt sich dieses Mal Lars Niggemeyer vom Fachbereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik des DGB Niedersachsen, den Fragen von Fabian Steenken von der Landesarmutskonferenz Niedersachsen. Und natürlich ist auch das Publikum wieder herzlich zum Nachhaken und Mitdiskutieren eingeladen. Für eine entspannte Atmosphäre sorgen Kaffee und Kuchen kostenlos. Donnerstag, 13. Juni, 16 bis 17 Uhr, Treffpunkt ka:punkt, Grupenstraße 8, Hannover, Eintritt frei.

Fluchtgeschichten Unter dem Titel »Flucht durch die Zeit« geben Künstlerinnen und Künstler sowie Zeitzeugen auf kreative Weise Einblicke in Fluchtgeschichten. Gezeigt wird eine Ausstellung des Künstlers Edin Bajric, der sich seit Jahrzehnten in seiner Kunst mit den Themen Flucht, Ankommen und Zusammenleben auseinandersetzt und in seinen Werken seine eigene Flucht aus Bosnien in den 90er Jahren reflektiert. In der Lesung »Flüchtlingswege 1945-2015« teilen Geflüchtete aus dem Irak, Vietnam, der DDR und dem ehemaligen Pommern ihre Erinnerungen und Eindrücke mit dem Publikum und laden zum Diskutieren ein. Donnerstag, 20. Juni, ab 17 Uhr, kargah-Haus, Zur Bettfedernfabrik 1, Hannover, Eintritt frei.

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Foto: Christian Wyrwa

Sonstiges

Asphalt verlost 5 x 2 Karten für Sommernächte Herrenhausen

Open Air Ballroom

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Gewinnsp

Inmitten der sommerlichen Gartenpracht laden die Herrenhäuser Gärten vom 2. bis 23. August zu den »Sommernächten im Gartentheater« ein. Es gibt viel Live-Musik, Poetry-Slam, Tanzvergnügen, und Kino unterm Sternenzelt. Zur Eröffnung der Sommernächte verwandelt sich das Gartentheater in einen funkelnden Tanzsaal. Gemeinsam mit Sänger Daniel Caccia lockt die Bigband Fette Hupe beim »Open Air Ballroom« alle Tanzlustigen aufs Parkett. Sie spielen Jazz- und Swing-Klassiker aber auch seltene Perlen der Swing-Ära. Als Einstimmung auf den Tanzabend gibt es vorab ab 20 Uhr einen Schnupperkursus in »Lindy Hop«, dem wohl populärsten Tanzstil der 1930er und 40er Jahre. Für dieses besondere Sommernachtserlebnis können Sie mit Asphalt 5 x 2 Karten gewinnen. Schicken Sie uns dafür einfach eine Postkarte mit dem Kennwort »Open Air Ballroom« an: Asphalt-Magazin, Hallerstr. 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover oder eine E-Mail an: gewinne@asphalt-magazin.de oder ein Fax an: 0511 – 301269-15 und gewinnen Sie mit etwas Glück die begehrten Tickets. Einsendeschluss ist der 15. Juli. Freitag, 02. August, 20.30 Uhr, Gartentheater Herrenhausen, Herrenhäuser Straße 4, Hannover, Eintritt Abendkasse 20 Euro, erm. 16 Euro, VVK 16 Euro zzgl. VVK-Gebühr.


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Für Kinder Ich und Nikita und der Adopteur Valentin hat die Nase voll. Er möchte kein Zwilling mehr sein. Vor allem, weil sein Bruder Nikita immer alles besser kann. Es ist einfach nicht gut, wenn Eltern ein Kind doppelt bekommen, findet auch Nikita. So entsteht eine Wette zwischen zwei Brüdern. Valentin macht sich auf die Suche nach einem Adopteur. Nikola Huppertz Kinderroman »Ich und Nikita und der Adopteur« erzählt die ganze Geschichte. Sonntag, 16. Juni, 14 bis 16 Uhr, Probenbühne im Großen Garten, Herrenhäuser Straße 4, Hannover, Eintritt im Garteneintritt enthalten.

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JUNI 2019

Wasser, Luft und mehr

Foto: ThomasRadlwimmer

Was ist das Gegenteil von sauer? Wie viel Platz braucht Luft? Wie kann man einen Mini-Vulkan ausbrechen lassen oder einen Tornado in die Flasche bannen? In dieser Experimentierwerkstatt wird ausprobiert, gefragt, beobachtet, getestet und gebastelt. Mit Umweltpädagogin Hannah Kindel für Kinder von sechs bis zehn Jahren. Mittwoch, 10. Juli, und Donnerstag, 11. Juli, je von 9.30 bis 12.30 Uhr, Kulturtreff Plantage, Plantagenstraße 22, Hannover, Teilnahme 12 Euro, erm. 11 Euro, AktivPass 6 Euro.

Donnerstag, 06. Juni

Ausstellung Repräsentation von Staaten und Nationen In ihren filmischen und installativen Werken beschäftigt sich Henrike Neumann mit den Folgen der Wiedervereinigung und analysiert die deutschdeutsche Geschichte. Sie befasst sich mit Fragen der Repräsentation von Machtverhältnissen unseres Staates sowie der Analyse unserer Gegenwart. In Hannover nimmt die Künstlerin die Thematik der Expo 2000 als Paradebeispiel für die Repräsentation von Staaten und Nationen ins Visier. Samstag, 13. Juli, bis Sonntag, 25. August, dienstags bis sonntags von 12 bis 19 Uhr, Kunstverein Hannover, Sophienstraße 2, Hannover, Eintritt 6 Euro, erm. 4 Euro, Mitglieder frei.

Wohnungslos unter Hitler Anlässlich des Internationalen Straßenzeitungstreffens in Hannover präsentiert Asphalt die Ausstellung »Wohnungslose im Nationalsozialismus«. Zum Gedenken an die 10.000 wohnungslosen Männer und Frauen, die in der Zeit der Nazi-Diktatur als sogenannte »Asoziale« und »Nichtseßhafte« verfolgt wurden. Montag, 3. Juni, bis Samstag, 29. Juni, Rathaus, Trammplatz 2, Hannover, Eintritt frei.

MERETRIO Eintritt: 25 Euro/erm. 15 Euro Samstag, 15. Juni SOMMERFEST DES JAZZ CLUB HANNOVER Beendigung der Konzertsaison mit Marina & The Kats, B.B. & The Blues Shacks feat. Bonita, Elmar Braß meets Friends Eintritt: 10 Euro Beginn: 19.00 Uhr Samstag, 29. Juni Die Gesellschaft der Freunde des Jazz präsentiert JAZZ IN JUNE Marktkirche Hannover mit Hans Martin Limberg, Gospel Joy, Siggy Davis Eintritt: 20 Euro Beginn: 19:00 Uhr Konzertbeginn jeweils um 20.30 Uhr, Einlass ab 19.30 Uhr


SILBENRÄTSEL Aus den nachfolgenden Silben sind 19 Wörter zu bilden, deren erste und vierte Buchstaben – jeweils von oben nach unten gelesen – ein Sprichwort ergeben: an – an – arzt – ben – da – der – dif – er – er – fach – fas – fe – fort – fun – ga – ge – ge – gen – haus – haut – hein – in – itha – ja – ka – le – lung – ma – ment – mis – ne – neu – nu – nug – ole – opa – ome – ra – renz – rich – run – schäft – schritt – schu – sung – ter – ti – tik – trei – um – un – wer

1. Quellfluss der Weser 2. jugoslawisches Seebad 3. Unterschied zwischen zwei Zahlen 4. griechische Insel 5. ein Laubbaum 6. Männername 7. griechischer Buchstabe 8. Verbesserung

Unter den Einsendern der richtigen Lösung verlosen wir dreimal den Naturführer »Rügen und Hiddensee« von Rico Nestmann. Beide Inseln bestechen durch abwechslungsreiche Landschaften, bieten seltene Naturräume sowie bezaubernde Licht- und Wetterstimmungen. Zahlreiche Insidertipps machen den nächsten Inselausflug zu etwas Einzigartigem. Das geistreiche Buch »Herkunft« von Saša Stanišić gibt es viermal zu gewinnen. Es ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt. Über Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung. Ein Buch über Sprache, Schwarzarbeit, die Stafette der Jugend und viele Sommer. Im Buch sprechen die Toten und die Schlangen, und die Großtante Zagorka macht sich in die Sowjetunion auf, um Kosmonautin zu werden ... Ebenfalls viermal können Sie die CD »Edison – Das Rätsel des verschollenen Mauseschatzes« von Torben Kuhlmann gewinnen. Mitte des 20. Jahrhunderts: An Mäuseuniversitäten verfolgen kluge Mäuse wissbegierig die Erfindungen der Menschen. So auch Pete. Er hat dank einer alten Tagebuchnotiz seines Urahns von einem Schatz erfahren, der auf dem Meeresgrund liegen soll. Die erste Mäusetauchfahrt der Geschichte steht bevor ...

9. Grundlage für ein Bauwerk 10. Münzkunde 11. Kammer im englischen Parlament 12. überarbeitete Form eines Werkes 13. ausreichend 14. zum Handeln drängen 15. Vorbereitung für einen Berufswechsel

Die Lösung des Mai-Rätsels lautet: Wenn du Orangen willst such nicht im Blaubeerfeld.

16. Laden für eine bestimmte Sparte

Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; Fax: 0511 – 30 12 69-15. E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de. Einsendeschluss: 31. Juli 2019. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Viel Glück!

17. Mediziner für ein spezielles Gebiet 18. Rosenlorbeer 19. Memoiren


Foto: Tomas Rodriguez

n f u a t n Mome

Da hing nun also dieser Auto­ mat an der Wand. Abgeranzt und wenig einladend. Ein Re­ likt aus einer längst vergan­ genen Zeit. Vergessen worden abzubauen, als im Jahr 2000 das analoge Zeitalter endete und wir in die digitale Welt geworfen wur­ den. Ein Kaugummiautomat, der mitnichten nur Kaugummi beinhaltete und der einem unweigerlich das Wort »damals« in den Sinn diktiert. Damals, als ich Kind war, zogen mich solche Automaten magisch an. Da­ mals, als die Menschen noch nicht pausenlos auf kleine Computer starrten, die sie mit der Welt vernetzten. Damals, als man sich zum Telefonieren noch in eine gelbe Zelle stellte, in der ein Aufkleber mahnte: »Fasse Dich kurz!« Ich kann mich noch an die alten schwarzen Münzfernsprecher mit Wählscheibe erinnern. Wo man oben die Groschen reinwarf – wenn man sie nicht längst im Kaugummiautomaten versenkt hatte. Und diese Münzen wiederum trug man in seiner Groschenmaus mit sich herum. Auch ein längst vergessenes Accessoire, dieses Mini-Portemonnaie in Form einer kleinen Stoffmaus, mit einem Reissverschluss über den wenige Zentimeter großen Rücken. Es passten wirklich nur ein paar Groschen hinein. Das Schönste, was man für 10 Pfennig bekam, waren diese kleinen Kirschlutscher. Drei Stück gab es dafür. Oder man warf das Geldstück halt in den Kaugummiautomaten, drehte am Griff und es purzelten Kaugummikugeln oder gebrannte Erdnüsse herunter. Man griff rein, freute sich darüber und machte sich überhaupt keine Gedanken, wie hygienisch das ist. Wunderbar! Kei­ ne Sorgen, wer da vor einem reingegriffen oder ob vielleicht gar ein Hund die letzten Krümel rausgeleckt hat. Kleines Glück an der Häuserecke. Manchmal staune ich doch sehr, worüber man sich in besagtem »damals« so freuen konnte. Zum Beispiel auch darüber, wenn es gelang, durch sportliches Einlegen eines Filmes in die Kamera aus einem 36-Film 37 Bilder herauszu­ holen. Oder aber wenn die Frau am Kiosk, weil sie gut gelaunt war, einen vierten Kirschlolly zum Preis von dreien in die Schnökertüte packte. Übrigens auch ein Wort, das ich sehr gerne mag: Schnökertüte! Eines jener Wörter, die langsam in Vergessenheit geraten. So wie Bandsa­ lat, Matrizendrucker, Dreikäsehoch, Sommerfrische, Schlüpfer oder Einwegblitzlichtwürfel. Erinnern Sie sich noch an Einwegblitzlichtwürfel? Auf den Fotoapparat gesteckt konnte man pro Würfel vier Bilder aufhellen. Und nach jedem Blitz musste man ihn drehen. Wer allerdings zu früh drehte, verbrannte sich die Finger. Nun, da es dem Plastik»stroh«halm an den Kragen geht, wirkt so ein nicht recycelbarer Einwegblitzlichtwürfel wahrlich wie ein Relikt aus einem längst vergangenen Jahrtausend. Irgendwie wie der Kaugummiautomat an der Wand, dessen still poetisches Dasein mich träumen lässt. Und wenn keiner guckt, werfe ich doch was ein, drehe am Rad und freue mich, dass damals damals war und heute heute ist. Matthias Brodowy/Kabarettist und Asphalt-Mitherausgeber

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Wir e-mobilisieren Hannover Mit ßber 480 Ladepunkten werden wir Hauptstadt der Elektromobilität.

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