2015 04 Asphalt

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April 2015

Schulden

Abgebrannt: 7 Millionen in Deutschland überschuldet Alltag: Ein Gerichtsvollzieher bei der Arbeit Handy und Hannover: Virtuelles Spiel, realer Raum Kunst und Kontakte: Bücher nachhaltig verwerten


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Titelthemen... Alltag Gerichtsvollzieher Michael Baumann bei der Arbeit.______________ 6 Abgebrannt Schlechte Arbeit, Konsumdruck und wenig Selbstdisziplin führen in die Überschuldung. 7 Millionen sind aktuell betroffen. _ ________ 9

Liebe Leserinnen und Leser,

Handy und Hannover Mit dem Smartphone-Spiel »Ingress« den realen Raum erleben. Und die Stadt virtuell erobern. _ _____________________________ 26 Kunst und Kontakte Was man mit Büchern nach dem Lesen tun könnte._____________ 28

...und mehr Notizblock ________________________________________________ 4 Angespitzt: Dänen geht’s aber gut …_ _________________________ 5 Serie: Wer war eigentlich … Anna Walentynowicz? _______________ 15 April-Tipps _______________________________________________ 16 Kultur im Fokus ____________________________________________ 18 Aus der Szene ____________________________________________ 19

gewinne!

Rund um Asphalt/Karten für den Zoo ________________________ 20 Aus dem Leben: Asphalt-Verkäufer Hasso erzählt. _______________ 21 Briefe an uns/Impressum___________________________________ 23 Armut auf dem Land: Bloß nicht auffallen im Dorf. _____________ 24 Danke für Ihr Engagement _ ________________________________ 30

gewinne!

Silbenrätsel/Cartoon _______________________________________ 31

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Titelfoto: J. Kießling

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Schulden

Abgebrannt: 7 Millionen in Deutschland überschuldet Alltag: Ein Gerichtsvollzieher bei der Arbeit Handy und Hannover: Virtuelles Spiel, realer Raum Kunst und Kontakte: Bücher nachhaltig verwerten

bei Herrn Zwegat auf RTL geht das schnell: Auf dem Flipchart werden die Schulden untereinander geschrieben und dann wird gestrichen. Bis dahin ist es aber ein langer Weg. In unsere Schuldnerberatungsstellen kommen Menschen mit einer Tasche voller ungeöffneter Rechnungen … Warum ist jeder zehnte bis zwölfte Bundesbürger überschul­ det? Weil es schwer ist, die kaputte Waschmaschine durch eine neue zu ersetzen – zum Beispiel für Alleinerziehende, aber nicht nur für sie. Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt zu in Deutschland. Außerdem ist es sehr leicht ge­worden, Schulden zu machen. Ich erinnere mich an einen Jugend­ lichen aus meiner Zeit als Gemeindepastor: 500 Euro Schul­ den über Nacht zu machen, ist in Zeiten des Internets nur allzuleicht möglich. Schulden bewegen. Nicht erst seit der Eurokrise und Griechen­ land. Gut ist, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit vorsieht, dass Menschen, die überschuldet sind, Privatinsolvenz anmelden können. Dieser Schuldenerlass hat übrigens eine uralte biblische Tradition. Im 5. Buch Mose steht, alle sieben Jahre sollen »allen ihre Schulden« erlassen werden. Dieser Schuldenschnitt war damals Armutsbekämpfungsmittel der Stunde und Mittel gegen die Versklavung weiter Bevöl­ kerungsteile. Schulden machen von der Macht der Gläubi­ ger abhängig. Nicht nur im alten Israel, bis heute profitieren letztlich immer diejenigen von Krediten, die sie vergeben. Das gilt auch für Staaten. Kann Griechenland auf einen Schuldenschnitt pochen? Aber was ist mit dem Geld der Gläubiger? Ich erwarte von meiner Bank auch, dass sie mir mein Geld zurückgibt. Mehr zum Thema »Schulden« lesen Sie in diesem Heft. Ich wünsche Ihnen eine schöne Osterzeit – ein Fest, das im Übrigen auf einem Schuldenschnitt ganz anderer Art basiert: Menschliche Schuld wird getilgt – am Karfreitag und Oster­ sonntag ist davon die Rede. Aber das ist ein anderes Thema. Oder doch nicht? Ihr Rainer Müller-Brandes, Asphalt-Herausgeber und Diakoniepastor


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Asphalt 04/2015 Notizblock

Romantik verboten

Foto: Ingo Wagner/dpa

Bremen. Mit eigens entwickelten Verbotsschildern will die Stadt Bremen gegen die zunehmende Schlösserwut an innerstädtischen Brückengeländern vorgehen. Der neumodische Brauch, die aktuelle Liebe mittels Vorhängeschloss konservieren zu wollen, lässt immer mehr Stadtverwaltungen ernsthaft um ihre Brückengeländer fürchten. In Paris war im vergangenen Jahr das Geländer einer Fußgängerbrücke zusammengebrochen. Die Stadt Hannover hat Anfang des Jahres ein denkmalgeschütztes Geländer am Maschteich noch rechtzeitig mittels Bol­ zen­schneider von der eisernen Last befreit. das Bremer Amt für Straßenverkehr nun ein wolle damit – eigenartig genug – an die VerEbenso die Stadt Bremen die Teerhofbrücke. neues Verkehrsschild mit durchgestriche- nunft Verliebter appellieren. NichtbeachDamit die Geländer künftig frei bleiben, hat nem Schloss kreiert und aufgehängt. Man tung soll aber unbestraft bleiben. mac

CDU will Hilfe für Flüchtlinge Hannover. Angesichts der zunehmenden Belastung niedersächsischer Kommunen durch die Aufnahme von Flüchtlingen hat der CDU-Fraktionsvorsitzende Björn Thümler mehr Unterstützung vom Land gefordert: »Die kommunalen Haushalte laufen gegenwärtig durch die Unterbringung von Flüchtlingen aus dem Ruder. Die Regierung Weil Anzeige

Beratung sofort nach Beitritt! Jetzt Mitglied werden! Kompetente Hilfe bei allen Fragen zum Mietrecht. Herrenstraße 14 · 30159 Hannover Telefon: 0511–12106-0 Internet: www.dmb-hannover.de E-Mail: info@dmb-hannover.de Außenstellen: Nienburg, Hoya, Celle, Neustadt, Rinteln, Springe, Bückeburg und Obernkirchen.

muss endlich die Kosten für Unterbringung, medizinische Versorgung und gestiegene Grundleistungen voll übernehmen. Andere Länder haben diesen Schritt bereits gemacht.« Die vom Land bisher gewährte Kostenpauschale von rund 6.200 Euro pro Flüchtling decke bei Weitem nicht die Kosten. Gegebenenfalls müsse das Nötige über einen Nachtragshaushalt finanziert werden. Kai Weber, Geschäftsführer vom Flüchtlingsrat Niedersachsen, gibt Thümler in der Sache Recht: »Es ist zwar schon eigenartig, wenn der Vertreter der Partei, dessen Innenminister in der letzten Legislaturperiode alles daran gesetzt hat, Flüchtlinge zu isolieren und auszugrenzen, jetzt ›wirkungsvolle Hilfe‹ fordert. Aber die Kritik ist berechtigt. Gerade wenn das Land von den Kommunen mehr erwartet als Lagerunterbringung und Essensversorgung, muss es auch zusätzliche Mittel dafür bereitstellen.« Mitte März hatte auch der Niedersächsische Landkreistag in einer »Bad Nenndorfer Erklärung zum Asyl- und Zuwanderungsrecht« Soforthilfe des Landes in Höhe von 120 Millionen Euro gefordert. mac

Musikland adé?

Hannover. Mit einer Petition wehren sich Eltern und Schüler sowie Musik- und Kunstlehrerverbände gegen die Pläne der Landesregierung, den musisch-künstlerischen Bereich an weiterführenden Schulen zu

beschneiden. Das Kultusministerium plant, den Unterricht in diesem Bereich zugunsten von Informatik und Wirtschaft zu kürzen. Die drei bisher autonomen Fächer Kunst, Musik und Darstellendes Spiel sollen künftig mit lediglich insgesamt zwei Stunden pro Woche ausgestattet werden. Anstelle von einst sechs Stunden. Hintergrund ist die geplante Neuregelung eines G9-Abiturs nach insgesamt 13 Schuljahren. Die Petition ist mit Stichwort »G 9« zu finden unter: www. openpetition.de mac

Geld für Kinder eingeklagt Hannover. Der Bund muss Niedersachsen 21 Millionen Euro aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zurückzahlen. Das hat das Bundessozialgericht entschieden. Geklagt hatten die Bundesländer Niedersachsen,

Zitat des Monats »Da paart sich pure Ideologie mit totaler Faktenignoranz in geradezu sträflicher Weise.« Horst Audritz, Chef des Verbands der Gymnasiallehrer über die schulpolitischen Ansichten der Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Anja Piel.


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Zahlenspiegel

diesmal: Schul-Islam

32 Lehrkräfte unterrichten in Niedersachsen an öffentlichen Schulen islamische Religion. 17 weibliche und 15 männliche. An insgesamt 55 Schulen lernen derzeit 2.400 SchülerInnen der Jahrgänge 1 bis 5. Davon 2.200 an Grundschulen. Seit 2013 wird das Fach an Grundschulen ab der 1. Klasse unterrichtet. Ab Klasse 5 wird das Fach zudem seit Sommer 2014 angeboten. mac Nordrhein-Westfalen und Brandenburg. Insgesamt muss der Bund nun allen Ländern 284 Millionen Euro erstatten. Der Bund hatte nicht abgerufene Gelder für die Unterstützung benachteiligter Kinder und Jugendlicher mit anderen Leistungen verrechnet. Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) dazu: »Das Geld hatte der Bund – ich muss es so sagen – aus an den Haaren herbeigezogenen Gründen einfach nicht ausgezahlt. Den Kommunen fehlte es, um zum Beispiel das Schulmittagessen oder die Lernförderung für Kinder aus Familien mit geringem Einkommen zu bezahlen. Damit hatten wir uns nicht abgefunden. 21 Millionen Euro stehen jetzt wieder für arme Kinder in den Kommunen Niedersachsens bereit.« mac

Chance für die Weser

Hann. Münden/Hannover. Werra und Weser sollen bald wieder Süßwasserflüsse werden. Die Salzeinleitung des Kasseler Kali-Unternehmens K+S soll binnen 12 Jahren drastisch reduziert werden. Das sieht ein Abkommen vor, dass den Anrainer-Ländern von Werra und Weser zur Abstimmung vorliegt. Bereits 2027 soll die Weser laut Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel nach Jahren wieder in einem »guten Zustand« sein. Zwar werde mit den neuen Zielvorgaben für das Unternehmen keine Salzfreiheit erreicht, aber ein weiter Schritt in Richtung naturnaher Fluss gegangen, so der Minister. Wie genau der Konzern die Vorgaben erfüllt, ob mit besseren Abwasseraufbereitungen oder gewissenhafterer Lage­ r ung der Abraumhalden, bleibt offenbar K+S überlassen. mac

Mieten gedeckelt

Hannover/Oldenburg/Bremen. Niedersachsen will die Mietpreisbremse einführen. Wo genau, das wird noch geprüft. In Rede stehen die Städte Hannover, Braunschweig, Wolfsburg, Oldenburg und Osnabrück. »Die

Mietpreisbremse kann ein wichtiger Baustein sein, um einer Aufspaltung der Gesellschaft in Arm und Reich entgegenzuwirken«, betonte Bauministerin Cornelia Rundt (SPD). Sie werde zeitnah die konkreten Gebiete für die Deckelung von Preisen bei Neuver­ mietungen benennen. Auch Bremens Bau­ senator Joachim Lohse (Grüne) hat die Einführung für Stadtteile von Bremen angekündigt. Das neue Gesetz erlaubt ab dem 1. Juni in vorher auszuweisenden Gebieten dann nur noch eine Mietsteigerung bei Neuvermietungen um 10 Prozent gegenüber den ortsüblichen Vergleichsmieten, die meist über einen behördlichen Mietspiegel ermittelt werden. Bisher waren Mietpreisaufschläge nach gusto möglich, in begehrten Wohnlagen wurden so bis zu 25 Prozent mehr verlangt. mac

Koalition gegen Korruption Hannover. Die rot-grüne Koalition in Niedersachsen will Korruption im Land stärker bekämpfen. Dafür soll ein gemeinsames Korruptionsregister der norddeutschen Länder eingeführt und bestehende Regelungen zur Korruptionsbekämpfung verschärft werden. Durch Wirtschaftskriminalität erlangte finanzielle Vorteile sollen von den niedersächsischen Staatsanwaltschaften künftig konsequent abgeschöpft und mehr Steuerfahnder eingestellt werden. So ein Antrag der Koalition im März-Plenum des Landtags. Die Begründung: Die Wirtschafts- und Finanzkrise sei zumindest teilweise auch auf kriminelles Verhalten beteiligter Manager zurückzuführen und Korruptionsskandale großer deutscher Unternehmen hätten »eindrucksvoll vor Augen geführt, dass die gegenwärtigen rechtlichen Instrumente zur Ahndung solcher Verbrechen nachgebessert werden müssen.« Nach Schätzungen des BKA betrug der durch Wirtschaftskriminalität verursachte Schaden im Jahr 2013 bundesweit 3,82 Milliarden Euro. mac

Angespitzt

Dänen geht’s aber gut … Finanzexperten aus aller Welt schlagen entgeistert die Hände überm Kopf zusammen. Und selbst Nobelpreisträger Paul Krugman, US-Wirtschaftswissenschaftler, ist ganz aufgewühlt: »Ich bin mir nicht sicher, aber es macht schon nervös«, gucke ich Richtung Dänemark. Der Grund: Die Dänen haben die größte private Pro-Kopf-Verschuldung der Welt. Konkreter: Die dänischen Haushalte sind durchschnittlich mit über 300 Prozent ihres Jahreseinkommens verschuldet. Das ist ungefähr viermal so viel wie in Deutschland. Die Angebote der dänischen Banken, nach einer 2003 eingeführten und von der Regierung unterstützten neuen Kreditform, waren aber auch zu verlockend: Minimalzinsen und zehnjährige Tilgungsfreiheit für einen Immobilienkredit ermöglichten selbst ärmeren Familien den Erwerb eines Eigenheims. So war’s auch gedacht. Allerdings: Immobilien- und Finanzmarkt wollten nicht so, wie die Dänen wollten. Nun sind viele Häuser um rund 25 Prozent weniger wert als am Kauftag – jetzt müssen die Kredite zurückgezahlt werden. Das vervielfacht die monatlichen Belastungen der Haushalte. Mehr als 100.000 Familien könnten die Rückzahlung ohne Hilfe nicht schaffen, besagt eine Studie. Und die Dänen? Die zucken kaum. Höchstens mit den Schultern. Und sagen: »Det finder vi ud af« (ihre Lieblingsredewendung: »Da finden wir schon eine Lösung«). Die Dänen sind entspannt und lieben ihr Leben und ihr Land und ihre Arbeit und ihre bunten Häuser und ihre Zimtschnecken. Und Gesellschaftsforscher aus aller Welt schlagen begeistert die Hände überm Kopf zusammen: Laut World Happiness Report sind die Dänen die glücklichsten Menschen der Welt. Jeanette Kiessling

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»Leute mit 2 oder 3 Jobs«

Michael Baumann ist Gerichtsvollzieher in der Region Hannover. Einblicke in seinen Arbeitsalltag und in das Schicksal seiner Klienten. In Niedersachsen gibt es rund 400 Gerichtsvollzieher. Im Bezirk des Amtsgerichts Neustadt arbeiten sieben Obergerichtsvollzieher, einer davon ist Michael Baumann. Für diesen Beruf hat er sich entschieden, »um Menschen zu helfen«. Außerdem gefällt ihm, dass er in seiner Zeiteinteilung »frei und unabhängig wie ein Richter« ist. Ein weiteres Plus ist die beruhigende Sicherheit des festen Arbeitsplatzes als Beamter. Nach der anderthalbjährigen Ausbildung als Justizbeamter ließ sich Baumann weitere anderthalb Jahre zum Gerichtsvollzieher ausbilden. »Heute werden auch Quereinsteiger mit kaufmännischem Abschluss als In Deutschland gibt es 4.603 Gerichtsvoll- Gerichtsvollzieher ausgebildet«, sagt er. Ein zieher, davon sind 1.732 Frauen. Im Jahr Gerichtsvollzieher selbst darf nicht über2012 zogen sie über 1,2 Milliarden Euro ein. schuldet sein. »Schulden für ein Haus zum

Jahre mal. In den letzten Jahren allerdings wurde der Gerichtsvollzieher ein Mal pro Jahr körperlich angegriffen. Für ihn ist das ein Anzeichen dafür, dass die Gesellschaft aggressiver wird. Regelmäßig wird Michael Baumann während der Ausübung seines Berufes beleidigt oder mit Anzüglichkeiten belästigt. »Dabei wünsche ich mir einfach, dass die Schuldner mit mir zusammenarbeiten.« 2012 erschoss ein Schuldner in Karslruhe bei einer Zwangsräumung mehrere Menschen, darunter den anwesenden Gerichtsvollzieher. Michael Baumann und seine Kollegen beschäftigt das bis heute.

Symbolfoto: Picture-Alliance

Garbsen. Der Briefkasten quillt über. Der Mieter öffnet die Haustür. Er raucht eine Zigarette und bittet Michael Baumann hinein. Sie kennen sich seit zehn Jahren. Über den Besuch freuen sich beide nicht. Die Termine bei den Schuldnern halten immer wieder Überraschungen für den Beamten bereit. »In den letzten zehn Jahren hat sich die Situation um 180 Grad gedreht«, sagt Michael Baumann mit besorgtem Gesichtsausdruck. Seit 1997 ist der 44-jährige Garbsener Gerichtsvollzieher. Ungefährlich war dieser Beruf schon damals nicht. Sein Vorgänger übergab ihm den Bezirk in Uelzen mit einem eingegipsten Arm. Er war von Schuldnern angegriffen worden. In den ersten Jahren seiner Arbeit passierte Baumann das auch ab und zu, in etwa alle drei

Über diesen Besuch freuen sich beide Seiten nicht: Der Gerichtsvollzieher kommt, wenn Rechnungen und Mahnungen immer wieder ignoriert werden.


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Beispiel sind natürlich in Ordnung« sagt er, aber wäre er selbst zahlungsunfähig »dann muss ich den Dienstausweis abgeben«. Inzwischen übernehmen Gerichtsvollzieher immer mehr Aufgaben, die bis in die 1970er Jahre Richter erledigten, etwa das Einholen einer Vermögensauskunft. Etwa fünf bis zehn Prozent seiner Arbeit mache die Zustellung von Dokumenten aus, schätzt Michael Baumann: Distanzbeschlüsse, Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse, Änderungen von Erbverträgen. Heute bekommt noch ein Angestellter die Benachrichtigung über eine Gehaltspfändung von ihm. »Ich bin ein Zustellungsorgan«, sagt er, »wie die Post«. Offiziell hat Michael Baumann eine 40-Stunden-Woche, tatsächlich arbeite er oft bis zu 70 Stunden. Baumann steht vor der nächsten Tür. »70 Prozent öffnen gar nicht, wenn ich klingele«, sagt er und zuckt mit den Schultern: »So ist halt mein Job.« Dann kommt er einfach nochmal wieder. Vor allem freitags, zwischen 17 und 19 Uhr erwischt er viele Klienten. Der Mann, der die Tür öffnet, ist 49 Jahre alt, hat keinen Beruf gelernt und arbeitet für 1.600 Euro netto auf dem Bau. Er soll 400 Euro Sportvereinsgebühren bezahlen, die in den letzten zwei Jahren aufgelaufen sind. Er bietet Baumann einen Platz auf dem Sofa an. Sie gehen eine Checkliste durch: »Haben Sie eine ungewöhnlich teure Wohnungseinrichtung? Wird ihr Konto bereits gepfändet? Haben sie Einnahmen aus Patenten?« Der Mann hat nichts zu entbehren. Es hat lange gedauert die Beerdigungskosten für die verstorbene Mutter zusammenzukratzen. Das Erbe hatte er ausgeschlagen, es waren nur Schulden übrig. »Manchmal schauen sich die Kinder das Schuldenmachen von den Eltern ab«, sagt Michael Baumann. »Ich habe aber genauso Fälle, bei denen es den Kindern peinlich ist, dass ihre Eltern Schulden hatten. Die tun alles, damit sie selbst nie in diese Situation kommen.«. Den typischen Schuldner gebe es nicht: »Das zieht sich durch alle Schichten. Ich habe Ärzte, Unternehmer, alle möglichen Berufe«.In GarbsenAuf der Horst, einem Stadtteil mit erhöhtem sozialen Förderbedarf, sei der Umgang mit

Gerichtsvollzieher Michael Baumann holt jeden Tag seine Arbeitsunterlagen im Amtsgericht ab.

Schulden gelassen: »Wenn ich da mal eine Woche nicht auftauche, rufen die an und fragen, ob ich krank bin«, sagt er lachend. Hier stehen die Mehrfamilienhäuser dicht beieinander. Mit schnellen Schritten, die Tasche um die Schulter gehängt, geht Baumann durch den leichten Regen und klingelt an der nächsten Tür. Eine Frau, Mitte 20, mit russischem Akzent, bittet ihn in die Wohnung. Die ist, wie die meisten Wohnungen, die Baumann betritt: einfach eingerichtet, aufgeräumt und sauber. »Ungefähr zehn Prozent sind Messies«, schätzt er, lehnt die ihm angebotene Tasse Kaffee aber dankend ab: »da habe ich dann doch schon zu viel gesehen«. Damit meint er vor allem verdreckte Wohnungen, die zwangsgeräumt werden mussten. Die junge Frau ist Studentin, erhält BAföG und arbeitet nebenbei auf 450-Euro-Basis. Ihre zwei Kinder sitzen vor dem Fernseher. Baumann vereinbart mit ihr eine Ratenzahlung für Forderungen des Vermieters. Die Frau versucht, die Beträge auf unter 50 Euro im Monat herunterzuhandeln. Der Beamte erklärt ihr, dass dann durch die Überweisungsgebühren die Endsumme noch größer wird. »Ich habe eine Schadenminderungspflicht«, sagt er, als er die Wohnung verlässt, »die gilt für beide Seiten – dem Gläubiger nützen,

den Schuldner schützen!« Eine Provision für kassierte Beträge bekommt ein Gerichtsvollzieher nicht. Schuldner werden meistens drei Mal angeschrieben. Das legt das jeweilige Amtsgericht fest, für Michael Baumann ist es das in Neustadt am Rübenberge. Dorthin fährt er täglich, um Post abzuholen. Zwischen Tür und Angel unterhält er sich kurz mit den Verwaltungsdamen. Einige Beamte im Amtsgericht tragen Justizuniformen. Manchmal würde sich Baumann auch eine Uniform wünschen, sagt er, weil sie Respekt erzeugen könne. Aber als Nachteil auch eine angespannte, bedrohliche Atmosphäre und viel Gerede: »Uniformen für Gerichtsvollzieher gab es bis ins Jahr 1900«, erzählt er, »die wurden auch privat getragen. Das führte dann schnell zu Gerüchten über eine vermeintlich schlechte Zahlungsmoral des Händlers, obwohl der Gerichtsvollzieher nur einkaufen war«. Baumann verlässt das Gericht und steigt in seinen Privatwagen. Gerichtsvollzieher haben kein Dienstfahrzeug. Michael Baumann kommt aus »einer sehr konservativen Familie«, sagt er. Die Arbeit als Gerichtsvollzieher habe ihn Fortsetzung auf der nächsten Seite


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Spontan fallen Baumann drei Gründe ein, warum sich Menschen verschulden: steigende Energiekosten, zu geringes Einkommen und unüberlegte Käufe. Weitere Gründe seien Scheidungen, bei denen auch mal bewusst Schulden auf den Namen des anderen gemacht werden. Häufig entstehen Schulden, wenn Menschen wegen Krankheit arbeitsunfähig werden. Und immer wieder geraten Selbstständige ins Minus, die sich finanziell übernommen haben. Dank Privatinsolvenz könne inzwischen vielen geholfen werden, freut sich Michael Baumann. »1997, zu D-Mark-Zeiten, standen die Leute finanziell noch besser da«, sagt er. Früher waren die meisten Schuldner Sozialhilfeempfänger, ohne Jobs. »Das hat sich inzwischen sehr verändert: 90 Prozent seiner Schuldner seien Hartz-4-Empfänger, sagt Baumann. »Ich habe immer mehr Leute mit zwei oder drei Jobs, die mit Hartz IV aufstocken müssen«. Manche davon arbeiten 40 Stunden pro Woche, haben 840 Euro im

Pfändung

Die Aufgabe eines Gerichtsvollziehers ist die Zwangsvollstreckung. Die ist erst dann möglich, wenn ein sogenannter »Titel« vorliegt, das heißt: eine Urkunde, in der von einem Gericht oder anderer offizieller Stelle festgehalten wird, dass und in welchem Umfang für einen bestimmten Gläubiger ein Anspruch besteht. Kann der Schuldner dem Gerichtsvollzieher den Schuldbetrag nicht aushändigen, kommt es zur Pfändung. Laut § 811 der Zivilprozessordnung dürfen Gegenstände, die zu einer »bescheidenen Lebensführung« nötig sind, wie Bett, Wasch­maschine, Kühlschrank oder Kleidung, nicht gepfändet werden. Seit 2013 haben Gläubiger vor einer möglicherweise erfolglosen Pfändung das Recht, sich durch den Gerichtsvollzieher eine Vermögensauskunft (früher: eidesstattliche Versicherung) des Schuldners einzuholen. Dort werden alle Vermögenswerte aufgeführt und überprüft, falsche Angaben sind strafbar. kie

Fotos (2): S. Svik

aber liberaler gemacht. Sein Verständnis für Schuldner sei gewachsen, denen es trotz großer Mühe nur schwer möglich ist, mit ihrem Geld auszukommen.

Wird »Kuckuck« genannt, weil früher der preußische Reichsadler darauf zu sehen war: das Pfand­ siegel für Gegenstände, die der Gerichtsvollzieher nicht direkt mitnimmt.

Baumann fährt über die Dörfer. Vorbei an Feldern, an Kühen und an Pferden. Er pfändet sogar Reitpferde, aber nur besonders teure: »Da muss ich wirtschaftlich denken!«. Der »Kuckuck«, das Pfandsiegel wird am Stellplatz des Tieres angebracht. Auch Hunde und Katzen? »Haustiere sind keine Sachen.«. Und was ist mit Kühen und Schweinen? Hier ist es ähnlich wie bei Handwerkern, denen er ihre ArbeitsmateriIn der Schule ginge es ja heute schon los alien nicht pfänden darf: Der Bauer braucht mit dem »Mithalten müssen«. »Das ist meist das Vieh, um sein Land zu bewirtschaften. der Grund, warum sich 18- bis 25-Jährige verschulden«. Einige schließen trotz Das öffentliche oft verbreitete Bild von Schulden weitere Verträge ab, »da wird Gerichtsvollziehern gefällt Michael Baudann absichtlich ein Buchstabe im Ver- mann überhaupt nicht. Dabei denkt er etwa trag geändert«. Statt mit Einsicht begegnen an »Achtung Kontrolle« auf Kabel 1. »Wenn Michael Baumann einige dieser Schuldner ich so unfreundlich und autoritär auftreaber ganz dreist. »Ein 20-Jähriger legte mir ten würde, könnte ich den Bezirk vergesgrinsend sein brandneues iPhone auf den sen«. Gut findet er TV-Berater Peter Zwegat, Tisch«, erzählt er. Als Baumann es pfän- weil der mit den Leuten Klartext spricht und den wollte, entgegnete der Schuldner stolz: sie aus der Lethargie herausholt. Michael »Das kannste nicht pfänden, ist ein Ver- Baumann ist überzeugt: Es lohnt sich zu tragshandy!«. Also noch Eigentum des Ver- kämpfen. »Hilfe gibt es immer!«, sagt er und tragsanbieters. Auch ein Auto ist häufig macht damit Betroffenen Mut. Wer es aber nicht pfändbar, weil es auf Kredit gekauft versäumt zu reagieren, hat oft jahrelang wurde und somit nicht Eigentum des Klien- negative Schufa-Einträge. »Ich sage desten ist. Aber: Werden die Raten nicht recht- halb immer: Leute, öffnet eure Post!« Als er zeitig bezahlt, kann der Gläubiger, bei dem einen Mann auf das Thema anspricht, der das Auto, der Kühlschrank oder der Fernse- den Schlitz seines Briefkastens mit einer her finanziert wurden, durch den Gerichts- Schraube verschlossen hat, kommen allervollzieher die Ware wieder einziehen lassen. dings Ausflüchte: »Das mache ich später«. Vor Jahren pfändete Michael Baumann bei Rund 25 Prozent der Klienten schaffen es, einem Galeristen. Sogar ein echter Picasso ihre Schulden dauerhaft abzubauen. Die war dabei – das Pfandsiegel wurde damals anderen sehen Michael Baumann wieder. auf die Rückseite des Bilderrahmens geklebt. Stefan Svik Monat netto und können damit ihre Familie nicht ernähren. Im Stadtteil Auf der Horst sind gut 70 Prozent der Schuldner Menschen mit Migrationshintergrund. 2006 wurde von der Stadt Garbsen eine zusätzliche Mitarbeiterin für die Schuldnerberatung eingestellt, weil die Anzahl der Fälle, wie in ganz Deutschland, stetig gewachsen ist.


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Schulden bis zum Hals

Die gute Nachricht: Die Zahl der Überschuldeten in Deutschland ist leicht rückläufig. Die schlechte Nachricht: Bei Arbeitslosen und prekär Beschäftigten zeichnet sich keine Besserung ab. Und: Überschuldung im Alter droht als gesellschaftliches Problem. Als das Unangenehme auch nach Europa kam – diese Krisen: Immobilienkrise, Bankenkrise, Krisenpolitik – da durfte Tagesschau-Chefsprecher Jo Brauner Ende November 2008 den erstaunlichen Satz sagen: »Nun hofft Deutschland darauf, dass die Verbraucher durch das Weihnachtsgeschäft die Wirtschaft nachhaltig stärken«. Böswillige Menschen behaupten, es könne einen Zusammenhang geben zwischen der privaten Verschuldung in Deutschland und solchen Sätzen, die bis heute in vielen Varianten wiederholt werden, nicht nur in der öffentlichrechtlichen Tagesschau, sondern auch in Talkshows, Wahlkämpfen, Leitartikeln, Blogs und werbefinanzierten Reality-Dokus auf den privaten Kanälen. Und die Idee ist ja auch bestechend: Tu etwas, das dir wirklich Spaß macht (Shoppen, Kaufen, Anschaffungen machen, das Geld unter die Leute bringen, Verträge abschließen, dir was gönnen) und verhelfe dadurch dir selbst und dem ganzen Land zu einem fantastischen Glücksgefühl.

»Big Six« – die Hauptüberschuldungsgründe nach Altersklassen

Milch, Brot, Mineralwasser, Käse, Fleisch, Kaffee, Tee, Kakao, Säfte,

Gemüse, Obst, Fisch, Eier, Nudeln, Reis, Mehl, Butter, Öl, Alkohol, Süssigkeiten, Genussmittel. Bioladen, Supermarkt, Discounter …

Allerdings: Fast sieben Millionen Deutsche sind überschuldet, rund 120.000 Personen gingen vergangenes Jahr in die Privat­insolvenz. Der durchschnittliche Schuldenbetrag liegt bei 33.000 Euro. Die gute Nachricht: Die Zahl der überschuldeten Menschen geht in den letzten drei Jahren leicht zurück. Die schlechte Nachricht: Bei den Langzeitarbeitslosen und den Männern und Frauen in prekären Beschäftigungen ist keine Besserung abzusehen. Das Landesamt für Statistik nennt Zahlen für Niedersachsen: »Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen ist seit dem historischen Höchststand im Jahr 2010 (14.485 Verfahren) rückläufig. Im Jahr 2014 wurden 11.613 Verbraucherinsolvenzverfahren gezählt. Pro Kopf bedeutete dies Außenstände in Höhe von 49.282 Euro je Verfahren«. Die Durchschnittssumme aller Überschuldeten, also auch derjenigen, die derzeit nicht in einem Insolvenzverfahren stecken, liegt auch in Niedersachsen bei rund 33.000 Euro. Betroffen sind über 600.000 Menschen. Typische durchschnittliche Verschuldungsdauer: 14 Jahre. Miete, Heizkosten, Strom, Gas, Wasser Hort, Kindergarte;

70 %

Versicherungen, Radio- und TV-Gebühr, Schulbildung, Fort- und

60 %

onen, Parteien …

Weiterbildung, Baudarlehen, Kirchensteuer, Gewerkschafts­

beitrag, Mitgliedschaft in Vereinen, gemeinnützigen Organisati-

29,8 %

7,5 %

50 %

2,8 %

32,4 %

5,6 %

30 %

20 %

10 %

12,1 % 2,0 %

6,8 %

14,0 %

8,5 %

19,6 %

5,2 %

3,2 % 7,7 %

11,5 %

10,0 %

25 bis unter 65

65 und älter

2,5 %

Bis unter 25

12,1 %

■ Arbeitslosigkeit, reduzierte Arbeit

■ Krankheit

■ Scheidung, Trennung

■ Einkommensarmut

■ Konsumverhalten

■ Gescheiterte Selbstständigkeit

Quelle: IFF-Report 2014

40 %

Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung definiert: »Ein Privathaushalt ist überschuldet, wenn Einkommen und Vermögen aller Haushaltsmitglieder über einen längeren Zeitraum trotz Reduzierung des Lebensstandards nicht ausreichen, um fällige Forderungen zu begleichen.« Arbeitslosigkeit ist nach wie vor der Hauptgrund für Überschuldung. Die offiziell genannte Zahl geht zwar seit Jahren zurück, doch zugenommen haben die prekären Beschäftigungen. Und der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit stagniert. Rund 15 Prozent der Bevölkerung werden derzeit als arm definiert, bei den Kindern sogar 20 Prozent, bei den Alleinerziehenden mindestens 30 Prozent. Der IFF-Überschuldungsreport 2014 mahnt: »Es steht damit zu befürchten, dass die Konjunktur die Haushalte mit multiplen Schwierigkeiten nicht erreichen konnte.« Das unabhängige Institut für Finanzdienstleistungen (IFF) analysiert jährlich rund 40.000 anonymisierte Fälle aus fast 300 Schuldnerberatungsstellen in Deutschland und führt weiter aus: »So bereitet trotz der guten Entwicklung am Arbeitsmarkt vor allem der hohe Anteil prekärer Arbeitsverhältnisse zunehmend Kopfzerbrechen. Solche Beschäftigungsverhältnisse haben häufig, spätestens mit Beginn Fortsetzung auf der nächsten Seite


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der Rente, Einkommensarmut zur Folge. Diese wird wiederum für viele zum Überschuldungsauslöser. Aus diesem Grund musste in diesem Jahr zu den bisher bekannten fünf Hauptüberschuldungsursachen mit dem Phänomen der ›Einkommensarmut‹ im IFF-Überschuldungsreport ein weiterer hinzugefügt werden. Darüber hinaus werden weiterhin Arbeitslosigkeit, gescheiterte Selbständigkeit, Scheidung, Kon­ sumverhalten und Krankheit als Hauptüberschuldungsgründe genannt. 71,7 Prozent der untersuchten Privathaushalte nannten sie als Grund für Überschuldung.«

menten; Arzneien, die selbst gekauft werden müssen, allergie- und krankheitsbedingte Spezialernährung …

Im Jahr 2013 lag das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen der Ratsuchenden in den Schuldnerberatungen bei 1.154 Euro und damit in etwa auf dem Niveau der Vorjahre. Das durchschnittliche Nettoeinkommen in der Bevölkerung betrug im Jahr 2012 3.069 Euro und damit das 2,7-Fache des entsprechenden Wertes bei den Überschuldeten. IFF-Report: »Die geringfügigen Einkommenssteigerungen, die im Durchschnitt der Bevölkerung in den vergangenen Jahren realisiert werden konnten, sind bei den ÜberschuldeKleidung und Schuhe für Sommer und Winter, Schuhe, Kinderkleiten nicht sichtbar. Die Einkommensgrenze, die eine erhöhte Überdung (jedes Jahr neu), Sportkleidung, Mützen, Handschuhe, Wäschuldungsgefahr anzeigt, ist damit gleich geblieben.« Hoffnung sche, Schlafwäsche, Taschen, Rucksäcke … »Die Untersuchung der gefährdeten Personen und Haushalte zeigt, setzen Schuldnerberater auf den Mindestlohn, der seit diesem Jahr dass sich die Lage der besonders Verletzlichen immer weiter ver- gilt. Doch haben gerade Langzeitarbeitslose bei Annahme einer schärft. Hierzu gehören seit Jahren die allein erziehenden Eltern Beschäftigung erst nach sechs Monaten Anspruch darauf. und die Familien mit drei und mehr Kindern. Die günstige KonÖPNV, Teilauto, Bahncard, Auto (Kauf, Steuer, Benzin, Reifen, Navi), junktur erreicht sie nicht«, schreibt das IFF. Und weiter: »ÜberschulFahrrad, Anhänger, Helm, Schloss, Regenkleidung, Roller, Mofa, dung ist zudem für mehr als die Hälfte der Betroffenen ein einsaMotorrad … mes Schicksal. Fast 57 Prozent der Ratsuchenden lebten bei Bera- Zunehmend wird Armut und Verschuldung im Alter als gravierentungsbeginn allein (in der Gesamtbevölkerung leben 40 Prozent des gesellschaftliches Phänomen wahrgenommen und untersucht. allein). Anlass zur genauen Beobachtung bieten auch die geschei- Eine Zahl aus dem Jahr 2013: 1,13 Millionen 65-Jährige und Ältere terten Selbständigen ohne deutschen Pass. Sie machten im Jahr mussten einen laufenden Ratenkredit mit einer durchschnittlichen 2013 fast jeden dritten Fall unter den Selbständigen in der Schuldnerberatung aus«. Rund eine Million Menschen sind derzeit langzeitarbeitslos, sie bilden mehr als ein Drittel aller Arbeitslosen. »Im Hinblick auf die Überschuldungsentwicklung ist zudem der anhaltend hohe Anteil von Personen, die, obwohl sie Arbeitseinkommen erzielen, auf ALGDie lebensnotwendigen Kosten für Miete, Strom, II-Zahlungen angewiesen sind, bedenklich. Dieser Anteil betrug Wasser, unverzichtbare Versicherungen, Schule auch im Jahr 2013 noch knapp 30 Prozent. Die Aufstockerquote ist und Mobilität steigen beständig. Die prekären bis zum Jahr 2012 kontinuierlich gestiegen und verharrt seit dem Arbeitsplätze nehmen aber zu. Zwar sinkt die letzten Jahr auf diesem hohen Niveau.« Arbeitslosigkeit, doch um den Preis niedriger Löhne und Teilzeitarbeit. Krankenversicherung, Zuzahlungen beim Arzt und Zahnarzt, ProWenn dann noch die Dauergehirnwäsche zum Konsumzwang dazuphylaxe, Zahnzusatzversicherung, IGeL-Leistungen, Zu­zahlungen kommt: Wer soll da auskommen mit dem Geld, der nicht zu den Beszur Brille, orthopädischen Einlagen, im Krankenhaus, bei Medikaserverdienenden und Besitzenden gehört? Dringend geboten also: individuelle Disziplin, Finanzkenntnisse, Selbstbeschränkung. Doch werden gerade diese Fähigkeiten kaum irgendwo als erstrebenswert Anzeige widergespiegelt – schon gar nicht in der omnipräsenten Werbung. Also muss man sich, um durchzukommen, gegen den propagierten Trend stemmen. Es erfordert Mut und Stehvermögen zu sagen: »Ich mache nicht mit, auch wenn die Konsumappelle suggerieren, nur derjenige, der konsumiert, hat Teil am Leben, lebt ein lebenswertes TRAMMPLATZ, FREITAG, 1. MAI Leben«. Tatsächlich ist es ja umgekehrt: Wen der Konsum in die Über11.00 Uhr HAUPTKUNDGEBUNG schuldung geführt hat, der erfährt genau das, was er durch den KonMairedner: Hartmut Meine sum vermeiden wollte – soziale Ausgrenzung, Beeinträchtigung der IG Metall Bezirksleiter Niedersachsen – Sachsen-Anhalt Gesundheit, Angstzustände, Belastung der Beziehung bis hin zu ab 12.00 Uhr MASALA, Trammplatz ihrem Scheitern, Verlust der Arbeit, eventuell sogar der Wohnung. 12.00 Uhr COLOMBOLOCO 13.30 Uhr SOUL-REBELZ & McKEYCAM Langzeitarbeitslose, prekär Beschäftigte, Alleinerziehende, junge 15.00 Uhr THE AUTOMATIC HEROES Erwachsene und alleinstehende Ältere sind die am meisten von Über12.00 Uhr–16.00 Uhr FESTZELT schuldung bedrohten Bevölkerungsgruppen, und zwar allein schon Hauptakt RE-PLAY | Die Coverband von AC/DC bis Bruce Springsteen durch die Höhe der lebensnotwendigen Kosten. Individuelle Disziplin 12.00 Uhr–17.00 Uhr FAMILIENFEST auf der großen Wiese beim Konsum ist nicht die einzige Stellschraube. Mindestens ebenso KABARETT am Vorabend wichtig ist die gesellschaftliche Sorge um familiengerechte und 30. April, 20.00 Uhr DGB-Festzelt | Festwiese am Neuen Rathaus ARNULF RATING: »Ganz im Glück« angemessen bezahlte Arbeitsplätze in ausreichender Zahl. Renate Schwarzbauer

Schulden vermeiden – aber wie?

INTERNATIONALES MAIFEST DGB.DE


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Ursachen: Schicksal, vermeidbar oder anders

Andere Ursachen

Vermeidbares Verhalten

Ereignisse

Restschuld von rund 7.000 Euro bedienen. Einkommensarmut Unfall 0,2 % ist inzwischen bei 20 Prozent der Tod des Partners 1,1 % Krankheit Überschuldeten über 65 Jahre 8,0 % Scheidung, Trennung 10,4 % der Hauptgrund für ihre SchulArbeitslosigkeit, reduzierte Arbeit 28,9 % den. Aufgrund der EntwicklunSchadensersatz wegen unerlaubter gen bei der Teilzeitarbeit, der 0,2 % Handlungen Zeitarbeit, langjähriger Tätig0,3 % Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen keit im Niedriglohnsektor in den 1,9 % Straffälligkeit letzten Jahrzehnten seit 1990 3,0 % Unwirtschaftliche Haushaltsführung ist abzusehen, dass sich dieser 3,3 % fehlende finanzielle Allgemeinbildung Anteil in den kommenden JahKonsumverhalten 7,6 % ren stark erhöhen wird. Gescheiterte Immobilienfinanzierung 1,4 % Der Soziologe Dieter Korczak, Unzureichende Kredit-/Bürgschaftsberatung 1,6 % Leiter des Institutes für GrundlaHaushaltsgründung/Geburt eines Kindes 1,6 % gen- und Programmforschung in Zahlungsverpflichtung aus Bürgschaft und 1,9 % oder Mithaftung München, analysiert: »Die stark Sucht 3,8 % gestiegene Anzahl von MinijobEinkommensarmut 6,8 % bern über 65 Jahre kann als IndiSonstige Gründe 8,0 % kator für ein Anwachsen von Gescheiterte Selbstständigkeit 10,0% Altersarmut interpretiert werQuelle: IFF-Report 2014 den. Die Anzahl der geringfügig Beschäftigten über 65 Jahre stieg von 559.771 im Jahr 2003 auf 829.173 im Jahr 2013. 136.920 Minijobber waren laut veröffentUrlaub, Erholung, Ausflüge, Bildungsreisen, Theater, Kino, lichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit über 74 Jahre alt. Es Wellness, Fitness-Studio, Friseur, Restaurantbesuche, Schwimmkann davon ausgegangen werden, dass der weitaus überwiegende bad, Toto, Lotto, Bingo … Teil der Menschen in diesem Alter nicht zum Spaß und Zeitvertreib Gute Auswirkungen auf den Lebensalltag verschuldeter Menschen nach Erreichen des Rentenalters weiter arbeitet, sondern aus purer hat inzwischen das »P-Konto«, das pfändungsfreie Konto. Die EU finanzieller Notwendigkeit.« 2014 betrug der Anteil der 65-Jährigen hatte auf seine Einführung auch in Deutschland gedrungen. Inzwiund Älteren 24 Prozent der Bevölkerung, Tendenz steigend. Kor- schen ist es kostenlos, längere Zeit hatten sich einige Banken an dieczak legt auch wissenschaftliche Erkenntnisse zum Zusammen- sem Spezialkonto für Überschuldete durch hohe Gebühren bereihang von Alter, Erkrankung, Armut und Überschuldung vor. Er geht chert. Das P-Konto, auch Guthabenkonto genannt, garantiert, dass davon aus, dass Überschuldungen mit Eintritt ins Rentenalter wei- bei egal welchem Schuldenstand ein Grundbetrag für das Leben ter zunehmen werden, denn die gesetzlichen Renten seien zu nied- und Überleben übrigbleibt. Ebenfalls auf Druck der EU können rig und für das Aufstocken mit einer privaten Rente fehlte das Geld. inzwischen fast 100 Prozent der Bevölkerung über ein eigenes Konto »Bereits gegenwärtig betragen die Kosten für die Grundsicherung verfügen – was noch vor wenigen Jahren längst nicht selbstverständim Alter 5,493 Milliarden Euro. Das Bundesarbeitsministerium pro- lich war. gnostiziert, dass diese Kosten bis zum Jahr 2018 auf 7,154 MilliarEinrichtung, Tisch, Stuhl, Sofa, Schreibtisch, Geschirr, Staub­sauger, den Euro ansteigen werden. Das Thema Überschuldung im Alter ist Waschmaschine, Herd, Spülmaschine, Kühlschrank, Schrank, Bett, somit gesamtgesellschaftlich und volkswirtschaftlich von einer weit Bodenbelag, Einrichtungen und Spiele für das Kinderzimmer … größeren Brisanz, als es die gegenwärtige Anzahl an überschuldeten Finanzielle Bildung muss sich die Bevölkerung heute weitgehend älteren Personen nahelegt.« selbst aneignen. Darum gibt es einen Trend, der von Beobachtern kritisiert wird: Immer mehr nicht-unabhängige Institutionen wie Smartphone, TV, Internet, mp3, Radio, Digitalkamera, FlachbildBanken und Versicherungen bieten Materialien und ganze Unterschirm, Blue Ray, Apps, Laptop, Tablet, Kindle, X-Box … 2014 verabschiedete die Bundesregierung eine Reform der Pri- richtseinheiten für die Schulen an. Firmenvertreter gestalten den vatinsolvenz. Klaus Helke, Schuldnerberater im Diakonischen Unterricht, die Grenzen zwischen Aufklärung und Werbung um Werk Hannover, betont, dass dies ein guter Schritt war: »Es ist uns junge Kunden verschwimmen. Auch auf der jüngsten »didacta« in jetzt möglich, überschuldete Menschen besser zu begleiten. Das Hannover waren viele interessengebundene Schulangebote zu finwar immer das, was die Praxis und auch wissenschaftliche Unter- den, die sich den Mangel an Finanzbildung zunutze machen. suchungen forderten.« Helke kritisiert aber, dass in Niedersachsen Raten, Zinsen, Kredite, Darlehen, Überziehungszinsen, Sperr­ im Vergleich zu anderen Bundesländern die notwendige Beratung gebühren, Dispo-, Mahn- und Inkassogebühren, Restschuldversiund Begleitung von Menschen in der Insolvenz nicht vergütet wird: cherungen … »Schleswig-Holstein ist da deutlich weiter.« Renate Schwarzbauer


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Ein Anker, allem zum Trotz In die Schuldnerberatung der Diakonie kommen vor allem arme Menschen, Wohnungslose, Bewohner stationärer Einrichtungen, Arbeitslose. Mit ihren Schicksalen geben sie Einblick in unsere Gesellschaft, die sich sehr stark über Geld definiert. Asphalt sprach mit Schuldner­ berater Klaus Helke über Wege in und aus den Schulden. Herr Helke, Sie haben gerade die ganz neue Website gestartet www.dein-name-zaehlt. Unterti­ tel: »Verträge besser verstehen«. Aus welchem Grund und mit wel­ chem Ziel? In unserer Schuldnerberatung machen meine Kollegin Martina Sievers und ich immer wieder die Erfahrung, dass es bei den Klienten an »finanzieller Allgemeinbildung« fehlt. Es wird bei all diesen finanziellen Verpflichtungen, die man heute ja auch sehr leicht eingehen kann, immer schwieriger, den Überblick zu behalten: Miete, Versicherungen, Smartphone, TV, Internet, Online-Shopping und vieles mehr. Welche Folgen hat das für mich? Wie lange bin ich

gebunden? Welche Rechte habe ich? Welche Pflichten? Wie werde ich einen Vertrag wieder los? Ist es rechtlich bindend, wenn ein Mitarbeiter eines Call-Centers, wie es jetzt häufig geschieht, nach einem Anruf beim Kunden einfach dessen Handy-Vertrag ändert, verlängert, ausweitet? Bei solchen Fragen wollen wir Orientierung geben.

An wen wendet sich »Dein Name zählt« in erster Linie? An alle, die Fragen haben zu den Themen Schulden, finanzielle Verpflichtungen, Haushaltsplanung, Geldeinteilung. Eine wichtige Zielgruppe sind für uns die Migrantinnen und Migranten in den Integrationskursen,

die schon über einige Sprachkenntnisse verfügen. Wir stellen verstärkt fest, dass es zu Verschuldung kommen kann, wenn die finanziellen Konsequenzen aus Verträgen, die in kompliziertem Deutsch verfasst sind, nicht komplett verstanden werden. Darum werden wir auch mit eigens zu diesem Zweck verfasstem Unterrichtsmaterial in die Integrationskurse gehen. Wir wollen Orientierung geben, um die eigenen finanziellen Möglichkeiten richtig einzuschätzen. Die Website ist aber auf jeden Fall für alle interessant, die sich mit den finanziellen Verpflichtungen und Gefahren, die heute auf einen zukommen können, befassen wollen.

Ist sie auch in andere Sprachen, beispielsweise Türkisch, Polnisch, Russisch oder Englisch übersetzt? Bis jetzt nicht. Wir begrüßen es natürlich, wenn möglichst viele Menschen die Informationen für sich nutzen: Wer immer das will, kann sie in eine andere Sprache übersetzen. Ihre Schuldnerberatung gehört zur ZBS, der Zentralen Beratungs­ stelle des Diakonischen Werkes für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten. Wer kommt zu Ihnen in die Schuldner­ beratung? Die Bandbreite unserere Klien­ tinnen und Klienten ist vielfältig. Typisch ist: zwei Drittel von ihnen sind Männer, 30 bis

»Dein Name zählt – Verträge besser verstehen«

»Die Ausgangslage: In unserem Land leben viele Menschen, die wenig Geld haben. Wer wenig Geld hat, muss es gut zusammenhalten und rechnen können. Weil er mit allem rechnen muss. Menschen, die sich vom Finanzsystem getäuscht fühlen, die es nicht kennen oder die tatsächlich Opfer von Betrug und Manipulation wurden, bleibt oft nur Wut, Empörung und Ärger. Der beste Schutz gegen Betrug und Missbrauch ist immer noch, Bescheid zu wissen.« So beginnt die neue Website »Dein Name zählt« (www.dein-name-zaehlt.de) der Schuldnerberatung des Diakonischen Werkes Hannover. Geschrieben in klarem Deutsch, verständlich auch für Migranten mit leicht fortgeschrittenen Deutschkenntnissen. Unter den Stichworten »Wohnung«, »Energie«, »Versicherung«, »Telefon«, »Haushalt«, »Kaufen« und »Bank« wird aufgeklärt über die Folgen finanzieller Verpflichtungen, über die Rechte und Pflichten beim Abschluss von Verträgen, auch von Mietverträgen, und wie man den Überblick behalten kann über die eigenen Einnahmen und die festen und variablen Ausgaben. Das Projekt, zu dem auch Unterrichts-Materialien für die Integrationskurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gehören, wird finanziell gefördert von der Region Hannover (aus einem Budget für Armutsprävention) und fachlich gegengeprüft von dem bundesweit für seine Kompetenz anerkannten Fachzentrum Schuldenberatung Bremen. sch


»Warum bin gerade ich in diese Lage gekommen?«

Nein, wir weisen niemanden ab, er muss lediglich in der Region Hannover leben. Der Anfangskontakt läuft meist über das Telefon und wir vereinbaren dann ein erstes Gespräch. Ich höre zu, sortiere die Fakten und den persönlichen Blick, Müssen Sie Anfragende ableh­ den der Klient auf diese Fakten nen, zum Beispiel, weil sie aus legt: »Warum bin gerade ich in einem Land kommen, für das sie diese Lage mit diesen Schulden gekommen und wie finde ich da nicht zuständig sind?

Die Schuldnerberatung der ZBS

raus?« Ich versuche die reinen Fakten von diesem filternden Blick zu trennen, und ich suche den roten Faden. Mich interessiert zum Beispiel: Warum brennen dem Klienten gerade jetzt die Schulden auf den Nägeln?

Welche Antworten gibt es da? Man hat zum Beispiel schon einmal einen Anlauf genommen, aber abgebrochen. Oder

man hat eine neue Beziehung und die Partnerin entdeckt die Schulden und drängt zur Regulierung. Dann ist es auch so, dass sich in den letzten anderthalb Jahre tatsächlich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert haben: Mehr Menschen bekommen Arbeit, wenn auch oft schlecht bezahlt. Da Fortsetzung auf der nächsten Seite

Die Schuldnerberatung der »Zentralen Beratungsstelle für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten (ZBS)« ist beim Diakonischen Werk angesiedelt. Resumee aus dem jüngsten Jahresbericht der ZBS: »Ein wichtiger Indikator für das Risiko einer Überschuldung ist ein dauerhaftes Niedrigeinkommen. Menschen mit niedrigem Qualifikationsniveau stehen oft in prekären Arbeitsverhältnissen des Niedriglohnsektors. Zeitarbeit gewährleistet kein regelmäßiges Arbeitseinkommen. Immer wieder kommt Martina Sievers Klaus Helke es zu Brüchen in der Erwerbsbiographie, die dazu führen, dass laufende Forderungen nicht gezahlt werden können. Familiäre Unterstützungssysteme sind oftmals nicht vorhanden. Fehlende Geldmittel können nicht von außen beschafft werden, und damit fehlen vielen unserer Klienten/innen in dieser Lebenssituation jegliche Handlungsmöglichkeiten. Sie erleben sich als hilflos.« Die Schuldnerberatung des Diakonischen Werkes zählt jährlich rund 250 Klientinnen und Klienten, die von den Sozialarbeitern Martina Sievers und Klaus Helke beraten werden (Fotos). Verzahnt ist die Schuldnerberatung mit der Wohnungslosenhilfe und der Suchtberatung, die ebenfalls zur ZBS gehören. Arbeitslosigkeit, Trennung und Krankheit sind Hauptauslöser für Überschuldung. Meist baut sich eine Schuldenspirale auf: Nicht rechtzeitig gezahlte Forderungen verursachen hohe Kosten und Zinsen und führen so zu noch mehr Schulden. Pfändungen gefährden den Arbeitsplatz. Die Wohnungsmiete oder Energielieferung kann nicht mehr gezahlt werden, wodurch Wohnungslosigkeit und Energiesperre drohen. sch Soziale Schuldnerberatung der ZBS Hannover, Hagenstrasse 36, 30161 Hannover, Telefon 0511 – 990 40-48, E-Mail: schuldnerberatung@zbs-hannover.de

Foto: privat

Wie hoch sind die Klienten im Durchschnitt verschuldet? Für ganz Deutschland gibt es Zahlen. Die durchschnittliche Summe der privaten Schulden liegt bei 33.000 Euro pro Person. Bei unseren Klienten liegt sie im Durchschnitt bei 10.000 Euro, also deutlich darunter. Dennoch ein ungeheure Summe für Menschen, die über praktisch kein Einkommen außer der Grund­ sicherung verfügen.

Foto: privat

50 Jahre alt, oft arbeitslos, keine feste Beziehung, eher niedriger Bildungsabschluss. Der vergessene Teil der Gesellschaft, der marginalisiert wird oder sich selber marginalisiert. Häufig sind psychische Probleme mit dabei. Dieses Problemfeld nimmt zu und auch wir Mitarbeitende in den Schuldnerberatungsstellen sind sensibler dafür geworden.

Foto: Gina Sanders/Fotolia

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wollen dann Verschuldete genau wissen: Was passiert eigentlich, wenn ich einen Arbeitsvertrag unterschreibe und es kommt dann zu einer Pfändung? Arbeite ich dann nur für das Schuldenabzahlen? Kann ich deswegen gekündigt werden? Oder Menschen kommen aufgrund besonderer Lebensumstände in eine stationäre Einrichtung und beginnen dann Schritt für Schrittt, ihre Dinge zu klären. Sie setzen sich neue Ziele, um wieder mit sich selbst und ihrem Leben ins Reine zu Anzeige

kommen. Wenn die ganz große Krise organisiert ist, kann man sich auch den Schulden zuwenden. Das ist ein gutes Zeichen. Und manchmal ein Überlebensmittel.

Wie ist das zu verstehen – Schul­ den als Überlebensmittel? Schulden haben für die Menschen manchmal auch die Bedeutung, dass sie noch einen Anker werfen können, allen traumatischen Erlebnissen und allen Untiefen des Lebens zum Trotz. Sie koppeln sich an die Reali-

tät. Und dazu gehört: Schulden bezahlt man. Das wusste ja schon Heinrich Heine: »Mensch, bezahle deine Schulden, lang ist ja die Lebensbahn, und du musst noch manchmal borgen, wie du es so oft getan.«

terverkäufe herrschen dort oft sehr verschlungene Strukturen und Hierarchien. Die Mahnungen kommen zu uns, aber wir kommen nicht an die richtige Stelle heran. Die Mahnungen sind meist automatisiert, da steckt gar kein Mensch mehr dahinter. Aber für eine außergerichtliche Einigung braucht es nun mal eine Entscheidung durch einen realen Menschen. Es wird jetzt sehr viel schematischer entschieden, der Einzelfall ist für diese Unternehmen uninteressant geworden. Die Menge macht’s. Aber die Schuldenuhr des Klienten tickt ja weiter.

Stellen Sie in den letzten Jahren Veränderungen fest im Verhalten der Gläubiger? Ja, eindeutig. Es wird immer mühsamer, an die Entscheider heranzukommen, sowohl bei den großen ImmobilienGesellschaften als auch bei den Inkasso-Unternehmen. Bei beiden hat ein starker Konzentrationsprozess stattgefunden, was ja auch heißt: weniger PersoInterview: nal. Durch Verkäufe und Wei- Renate Schwarzbauer

Weitere anerkannte, kostenlose Hilfe bei Überschuldung in der Region Hannover

– Schuldner- und Insolvenzberatung der Stadt Hannover. Hamburger Allee 25, 30161 Hannover, Tel. 0511 – 16 84 39 14, Internet: www.hannover.de

– Caritas: Grupenstraße 8, 30159 Hannover, Tel. 0511 – 27 07 39-53, und Mennegarten 2, 30938 Burgwedel, Tel. 05139 – 80 57 90; Internet: www.caritas-hannover.de – Jugend- und Suchtberatungszentrum, Odeonstraße 4, 30159 Hannover, Tel. 0511 – 701 46 25 – AWO: Deisterstraße 85 a, 30449 Hannover, Tel. 0511 – 219 78-152, und Marktplatz 2, 30853 Langenhagen, Tel. 0511 – 973 55 70, und Rathausplatz 1, 30926 Seelze, Tel. 05137 – 981 50 61; Internet: http://portale.awo-hannover.de/beratung-betreuung – Anerkannte Schuldnerhilfe in Niedersachsen e.V., Wedekindstraße 5, 30161 Hannover, Tel. 0511 – 54 35 18 19; Internet: www.schuldnerberatung-hannover.eu – Phöniks Schuldnerberatung e.V., Berliner Allee 6, 30175 Hannover, Tel. 0511 – 213 30 28; Internet: www.phoeniks-hannover.net – Schuldnerhilfe Neues Leben e.V., Herschelstraße 32, 30159 Hannover, Tel. 0511 – 54 35 26 00, Internet: www.schuldnerhilfe-neuesleben.de – Soziale Schuldnerberatung im Diakonischen Werk, An der Christuskirche 15, 30167 Hannover, Tel. 0511 – 167 68 60, Internet: www.diakonisches-werk-hannover.de


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Wer war eigentlich …

… Anna Walentynowicz? 1970 in Polen: Arbeiterstreik gegen höhere Preise für Grundnahrungsmittel. Auf der Danziger Lenin-Werft im Streikkomitee: Anna Walentynowicz, Kranführerin. Der Streik wird landesweit mit Gewalt niedergeschlagen, fast 50 Arbeiter sterben. 1980 tritt Anna Walentynowicz für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf ihrer Werft ein und wird deshalb entlassen. 17.000 Werftarbeiter sowie zahlreiche Beschäftigte anderer Betriebe treten daraufhin in einen Streik, mit dem sie Annas Weiterbeschäftigung erreichen wollen. Dieser Streik richtete sich auch gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen und der Lebensmittelpreise durch den polnischen Staat. Zum Wortführer wird WerftElektriker Lech Walesa. Er erreicht in Verhandlungen die Wiedereinstellung von Anna Walentynowicz und erklärt daraufhin den Arbeitsausstand für beendet.

tritt, will Walentynowicz aufklären, wer für die Verfolgung der Oppositionellen in den 70er und 80er Jahren verantwortlich war, wer auf die streikenden Arbeiter hat schießen lassen. Sie fordert ein Wort des Bedauerns von denjenigen, die früher versuchten sie einzuschüchtern, sie zu schikanieren, die ihr die Arbeit und dann die Freiheit nahmen.

Foto: Wikicommons

Anna Walentynowicz, die 1929 als Anna Lubczyk zur Welt kam, hatte von kleinauf gelernt, mit Widerständen zu leben. Die Eltern und der einzige Bruder starben im Krieg, mit zehn Jahren war sie auf sich gestellt. Sie ging nur vier Jahre zur Schule, wuchs in einer Pflegefamilie mit harter körperlicher Arbeit in der Landwirtschaft und unter Schlägen auf. Mit 23 Jahren bekam sie einen Sohn, den sie allein aufziehen musste. Sie hatte große Hoffnungen in den sozialistischen Staat, der den kleinen Leuten wie ihr, die sie den Beruf der Anna Walentynowicz gibt sich damit nicht zufrieden. Sie fordert, Schweißerin erlernt hatte, viele Versprechungen machte. Sie wurde dass man die Streikenden in anderen Betrieben nicht alleine lassen enttäuscht durch die Ungerechtigkeiten, die sie durch Vorgesetzte dürfe. Sie zählt zu den Gründern eines überbetrieblichen Streik- erlebte. Damit konnte sie sich nicht abfinden und öffnete immer wieder ihren Mund, auch wenn komitees, das unter anderem es ihr Nachteile einbrachte. die Zulassung von unabhängigen Gewerkschaften verlangt. 2006 will ihr der Regisseur Der Arbeitskampf dehnt sich auf ganz Polen aus, erst da akzeptiert die Regierung die Forderung – mit Volker Schlöndorff mit dem Spielfilm »Strajk« ein Denkmal set»Solidarnosc« entsteht die erste vom Staat unabhängige Gewerk- zen (in der Hauptrolle Katharina Thalbach) – Walentynowicz lehnt den Film ab, weil Lech Walesa zu positiv dargestellt sei. Sie kann schaft in Osteuropa, mit zehn Millionen Mitgliedern. starrsinnig sein, findet Schlöndorff. Als Anna Walentynowicz vor Ende 1981 verhängt Ministerpräsident Jaruzelski das Kriegsrecht, genau fünfzehn Jahren, am 10. April 2010, bei einem Flugzeug­ die Gewerkschaft »Solidarität« wird verboten. Anna Walentynowicz absturz wie alle anderen 95 Passagiere ums Leben kommt (zusamkommt für ein halbes Jahr ins Gefängnis, bis 1984 folgen weitere men mit Staatspräsident Lech Kaczynski, zahlreichen ParlamentHaftaufenthalte. Die Unterdrückung der Opposition kann aller- sabgeordneten und Generälen war sie auf dem Weg nach Katyn, dings den Niedergang der Regierung und die ersten freien Wahlen wo sie an einer Gedenkfeier für die von der Sowjetarmee im zweiten Weltkrieg ermordeten 4.500 polnischen Offiziere teilnehmen in Osteuropa nicht verhindern. Im Westen gilt Lech Walesa als Freiheitsheld, er wird mit dem Frie- wollte) würdigt Schlöndorff sie so: »Von Anna Walentynowicz densnobelpreis geehrt. In Polen wird Anna Walentynowicz zu sei- können wir lernen, was ein einzelner doch alles ausrichten kann. Unsereins denkt oft kompliziert, ner Gegenspielerin – sie wirft Menschen mit einfachen, klaren ihm vor, als Spitzel für den Staat Tytus Jaskulowski (Hrsg.): Anna Walentynowicz: Überzeugungen belehren uns gearbeitet zu haben. Während Solidarnosc – eine persönliche Geschichte, Göttingen 2012 da eines Besseren.« Lech Walesa als Staatspräsident Film von Volker Schlöndorff: Strajk. Dazu Filmheft der ab 1990 für die Aussöhnung mit Bundeszentrale für politische Bildung den einstigen Machthabern einJoachim Göres

»Solidarnosc«-Mitgründerin


16 Asphalt 04/2015 Unsere April-Tipps

Verschiedenes Teilen statt kaufen Abseits der herkömmlichen Be­­ zahlwirtschaft haben sich in den letzten Jahren Tausch-, Teil-, Reparatur- und Verschenksys­ teme etabliert. Diesem anderen Weg zum Glück widmet sich »Tauschen. Teilen. Glücklich sein.« – die Auftaktveranstaltung der Reihe »Bewusst wie, anders leben, besser wirtschaften«. Zunächst stellt Annette Jensen ihr Buch »Glücks-Ökonomie« vor, in dem sie vielfältige Bei­ spiele für die Wirtschaft jenseits

des Kaufens und Besitzens ver­ sammelt hat. Im Anschluss gibt es Tischgespräche mit Men­ schen, die in und um Hannover »anders« konsumieren: zum Beispiel Bruder David Amberg, Benediktiner-Mönch in Hanno­ ver, Jasmin Mittag vom »First Hand Markt – Tauschen statt kaufen« oder Eberhard Irion vom Gartennetzwerk Hannover.

15.4., 18 Uhr, Atelier KrAssUnARTig, Weidendamm 30 (Hinterhof), Hannover. Eintritt frei.

Musik Drei Singer/Songwriter Die drei hannoverschen Singer/Songwriter Marino Carlini, Thomas Martin und Dodo Leo (Foto) bringen mit ihrem Projekt Carlini, Dodo Leo & Martin eine – für Solo-Künstler – verwegene Idee auf die Bühne: sie begleiten sich gegenseitig. Damit stehen akustische Gitarren, E-Gitarre, Bass, Cajon, Percussion, Kazoo und fabulöse Satzgesänge zur Verfügung, um den Zuhörern vor Begeisterung Tränen in die Augen zu treiben.

29.4., 20 Uhr, Kulturpalast Linden, Deisterstraße 24, Hannover. Eintritt: 7 Euro.

Aktion gegen TTIP

delsabkommen TTIP verhandelt. Seit September 2013 wird über Trotz mangelnder Transparenz das Transatlantische Freihan­ sind die wichtigsten Ziele die­ ses Vertrages zwischen der EU und den USA bekannt gewor­ Anzeige den – es geht um viel mehr als »Chlorhühnchen«. Wenn TTIP DAS FACHKRANKENHAUS FÜR DIE SEELE in der geplanten Form in Kraft tritt, würden die demokrati­ schen Gestaltungsmöglichkei­ Wir sind ein seit über 150 Jahren privat geführtes „Für mehr ten der Parlamente deutlich psychiatrisches und psychosomatisches FachToleranz und eingeschränkt, heißt es. Unter krankenhaus. Miteinander!“ Unser Stammhaus liegt in Ilten am östlichen Rand dem Motto »Wir lassen uns nicht Carsten Linke, von Hannover. Sie finden uns mehrfach in Hannover, Sporttherapeut im verkaufen! Stoppen wir gemein­ Klinikum Wahrendorff Celle und Lehrte. sam TTIP und CETA« findet am Unsere Behandlungs- und Leistungsbereiche: 18.4. ein europaweiter Aktions­ • Allgemeinpsychiatrie tag aller Bürgerinitiativen statt. • Transkulturelle Psychiatrie (speziell für Menschen mit ausländischen Wurzeln) In Hannover sprechen Vertreter • Seelische Gesundheit im Alter (Gerontopsychiatrie) von Gewerkschaften und ande­ • Station für Jugendliche und junge Erwachsene ren Organisationen. • Suchtmedizin • Psychosomatische Medizin (Schwerpunkte: Depression und Burnout) • Traumazentrum • Tagesklinik für Männer

18.4., 11 Uhr, Kröpcke, Hannover.

Wir behandeln je nach Wunsch des Patienten und Schwere der Erkrankung im Krankenhaus, in unseren Tageskliniken (werktags 8-17.00 Uhr) oder ambulant in den psychiatrischen Institutsambulanzen. Unsere Wahlleistungsstation bietet besondere Serviceleistungen.

Theaterluft schnuppern

Seelisch und geistig behinderte Menschen finden in unseren Heimbereichen vielfältige Wohn- und Lebensperspektiven. Wir haben den Anspruch, unsere Leistungen in besonders guter Qualität zu erbringen. Wir legen großen Wert auf Fort- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter und bieten mehr als 100 Ausbildungsplätze.

KLINIKUM WAHRENDORFF Rudolf-Wahrendorff-Straße 22, 31319 Sehnde, Tel. 05132 90-0 E-Mail: info@wahrendorff.de, www.wahrendorff.de

Eintritt frei.

Das erfolgreiche Amateurthe­­a­­­ terensemble »Theater im Turm« feiert seinen 40. Geburtstag und lädt deshalb zu einem vergnüg­ lichen Theaterworkshop ein. Gemeinsam werden spielerisch die Grundlagen der Schauspiel­ arbeit erprobt: für alle, die Lust haben auf Improvisieren, für alle, die wissen wollen, wie

Theater funktioniert, für alle, die schon immer mal auf der Bühne stehen wollten. Und besonders für alle, die glauben, das nicht zu können!

25.4., 14 bis 18 Uhr, Studiobühne im Lister Turm, Walderseestraße 100, Hannover. Eintritt frei, Anmeldung nicht erforderlich.

Bühne Katastrophale Nacht Am 26. April 1986 ereignete sich im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl ein katastropha­ ler Unfall: der Reaktor explo­ dierte, der freigesetzte radioak­ tive Staub sorgte in den Tagen und Wochen danach in ganz Europa für Angst. Bis heute ist die Region unbewohnbar. Zum 29. Jahrestag der Katastrophe erinnern JANUN, die Stiftung Leben & Umwelt und die Hein­ rich-Böll-Stiftung an »Eine kata­ strophale Nacht«. Erst mit einem Konzert von »Gedanken beim Pflügen«, mit einer musikali­ schen Bearbeitung von Inter­ views zu Tschernobyl und dem 2. Weltkrieg in Russland und der Ukraine ab 20.30 Uhr. Ab


Unsere April-Tipps Asphalt 04/2015 17

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reicht: es gibt auch Kaffee und Kuchen.

26.4., 13 bis 18 Uhr, Ateliers und Werkstätten, Schulenburger Landstraße 152 F, Hannover. Eintritt frei.

Kinder Bim der Esel 22 Uhr bis in den Morgen dann mit einer Lesung zum SuperGAU, mit Live-Musik von Sergei Kurek (Jazzgitarre und Gesang) aus Weißrussland.

vor ihrem Tod mit 36 Jahren mit dem Fotografen Bert Stern entstanden, noch weitere Fotos der Schauspielerin, deren Tauf­ name Norma Jeane Baker war.

25.4., 20.30 Uhr bis in den Morgen, 15.3. bis 14.6., 11 bis 17 Uhr Stadtteilleben e.V., Fröbelstraße 5, Hannover. Eintritt: 0 bis 4 Euro (nach Selbsteinschätzung).

Oldseed und Waffeln Das Trillke Gut lädt zu einem gemütlichen Sonntagskonzert im Wintergarten, mit Kaffee, Tee und Waffeln – und mit dem Kanadier Craig Bjerring alias Oldseed, der folkige Songwri­ ting-Kunst dazu bringt.

26.4., 17 Uhr (Einlass 16 Uhr), Wintergarten, Trillke Gut, Steinbergstraße 42, Hildesheim. Eintritt frei, Hutspende erbeten.

Ausstellung Marilyn Monroe Die 1962 gestorbene HollywoodLegende Marilyn Monroe gehört immer noch zu den meistfoto­ grafierten Frauen der Welt. Die Ausstellung zeigt neben legen­ dären Monroe-Fotos aus dem »Last Sitting«, die sechs Wochen

dienstags bis sonntags und an Feiertagen, Hochzeitshaus, Osterstraße 2, Hameln. Eintritt: 6,50 Euro, erm. 5,50 Euro.

Kunstfrühling Beim »Kunstfrühling« öffnen neun Künstler in Hainholz ihre Türen. Nikola Saric zeigt male­ rische Arbeiten in byzantini­ scher Tradition, der kurdische Maler Taha Salih orientalische Motive auf Leinwänden, Sergej Tihomirov kritische Bilder zu den aktuellen Themen »Flücht­ lingswellen« und »unsere Werte« und die Grafikdesigner Chris­ toph Sander, Martin Grobecker und Thomas Wahle handge­ druckte Arbeiten. Marion Pusch offeriert interdisziplinäre Kunst und informiert über Hinter­ gründe, Techniken und neueste Ideen. Edith Tönnies bietet Uni­ katen-Edelstein-Schmuck sowie bei Bedarf kreative Reparatu­ ren und Umarbeitungen. Und Christine Rohrbach zeigt Acrylund Gouachebilder zum Thema Matrix. Und wem das alles nicht

Der poetische Märchenfilm »Bim der Esel« bietet Kino für Groß und Klein (ab sechs Jah­ ren). Der arme Junge Abdal­ lah im fernen Orient besitzt den schönsten Esel des Lan­ des – das macht den Sohn des Kalifen eifersüchtig, der Bim rauben lässt. Er ist nicht der einzige  … Nach einer atembe­ raubenden Verfolgungsjagd hat Abdallah nicht nur Bim wie­ der, sondern auch einen neuen Freund gewonnen.

12.4., 16 Uhr, Kino im Sprengel, Klaus-Müller-Kilian-Weg 1, Hannover. Eintritt: 3 Euro oder Kuchenspende.

Fiete Anders

Am Lindener Berge 38 30449 Hannover Telefon 45 44 55 www.jazz-club.de

April 2015 Donnerstag, 2.4. CYMINOLOGY FEAT. MARTIN STEGNER Eintritt: 20 Euro, erm. 15 Euro Sonnabend, 11.4. ELMAR BRAß TRIO FEAT. PETER BERNSTEIN Eintritt: 15 Euro, keine Erm. Freitag, 17.4. DINO SALUZZI Eintritt: 25 Euro, erm. 20 Euro Sonnabend, 12.4. CHARLY ANTOLINI Eintritt: 20 Euro, keine Erm. Mittwoch, 22.4.

Fiete Anders ist ein Schaf – aber er ist nicht wie die anderen Schafe. Fiete Anders ist rot-weiß gestreift und fühlt sich unter den wollweißen Artgenossen fremd. Also macht er sich auf die Suche nach dem Ort, wo er hingehört. Die Suche nach der eigenen Identität ist notwendig und macht manchmal Angst. Dieses Stück soll Kindern (ab vier Jahren) Mut machen, anders zu sein.

ANTONIO SANCHEZ & MIGRATION Eintritt: 20 Euro, keine Erm.

12.4., 11 und 16 Uhr, und 14.4., 9.30 Uhr, Theatrio Figurentheaterhaus, Großer Kolonnenweg 5, Hannover. Eintritt 12.4.: Erwachsene 7 Euro, Kinder 5 Euro, 14.4. Eintritt: alle 6 Euro.

Konzertbeginn jeweils um 20.30 Uhr, Einlass ab 19.30 Uhr

Sonnabend, 25.4. ED MOTTA & BAND Eintritt: 20 Euro, keine Erm. Donnerstag, 30.4. JAMES CARTER ORGAN TRIO Eintritt: 20 Euro, erm. 15 Euro


18 Asphalt 04/2015 Kultur im Fokus

Nur Delikatessen Der Lindener Musikclub Feinkost Lampe feiert zehnten Geburtstag.

Foto: Stefan Knepper

Foto: L. Varga

die »Musik das Wichtigste und »Unser Laden – das ist unsere Schönste ist, zu was es Menschen wöchentliche Dosis Glück!« auf diesem Planeten gebracht Claudia Pahl und Arne Jantos haben.« Wenn die beiden jeman(Foto oben) können stolz auf den buchen wollen, können sie vergangene zehn Jahre zurückbliauch hartnäckig sein. Da wird cken. Aus dem Kellerloch einer schon einmal drei Jahre an einer ehemaligen Grundschule in der Band herumgebaggert, oder Arne Eleonorenstraße in Linden haben Jantos organisiert mal eben eine sie einen der exquisitesten Livekleine Deutschlandtour mit ein Musikclubs Hannovers gemacht: paar Auftritten, nur um die Feinkost Lampe. »Wir wollten gewünschten Künstler in den einen Ort für un­gewöhnliche und Laden zu holen. Am 30. April wird unbekannte Musik schaffen«, sagt Extravagante Bühnen-Acts, ausgefallene Getränke, originelle Deko: sogar der holländische Königin­ Claudia Pahl. Das ist ihnen gelun- bei Feinkost Lampe stimmt die Atmosphäre. nentag zu Feinkost Lampe verlegt. gen. Jüngst gewürdigt von der IniUnd die Wunschliste mit Künsttiative Musik der Bundesregielern ist noch lang. rung, die Feinkost Lampe Ende Das größte Plus des Ladens ist die 2014 den SpielstättenprogrammAtmosphäre. Eine hervorragende preis verlieh – als einzige SpielAkustik gepaart mit Wohnzimstätte in Niedersachsen. Freunde merbehaglichkeit schafft eine der schwarz-weißen Tastenmusik enorm intensive Stimmung. Das können sich besonders freuen, spüren auch die Musiker. »Es entdenn das Preisgeld wurde in ein steht eine Art Verliebtheit zwineues Klavier investiert. Hier deuschen den Künstlern und dem tet sich bereits das musikalische Publikum«, sagt Claudia Pahl. Das Konzept an: Klassische und elekterklärt auch, dass bei Feinkost ronische Musik sind bei Feinkost Wenig Platz, aber gute Akustik: »Bei uns entsteht eine Art Lampe regelmäßig Künstler aufLampe keine Kontrahenten, son- Verliebtheit zwischen Künstlern und Publikum.« treten, die normalerweise größere dern Kumpels. »Bei uns gibt es melodiösen Pop, neue Kompositionen und Crossover zwischen Hallen und auch andere Gagen gewohnt sind. In den zehn Jahren elektronischer und klassischer Musik ebenso wie Weltmusik.« Aber haben sich aber auch viele Kontakte entwickelt. »Freundschaften, das beschreibt den Facettenreichtum der dargebotenen Live-Acts die mit den Künstlern entstanden sind, gar weltweit – das ist schon nur ungenügend. Allein ein Blick auf das April-Programm deutet etwas Tolles«, so Jantos. Und auch viele Stammgäste sind mittlerdie Vielfalt an: Neben Musik aus Holland, Frankreich und Norwe- weile zu Freunden der beiden geworden und begleiten wie ein Fangen gibt es eine kammermusikalische Zeitreise, eine technoide club die Konzerte an auswärtigen Spielstätten. Davon wird es ab Akustikkomposition sowie veganes Kabarett. Die Auswahlkriterien September mehr geben. Denn das musikalische Delikatessengefür die Künstler sind für die selbsternannten Musiknerds relativ schäft wird nach der Sommerpause seine Aktivitäten erhöhen und einfach: »Es muss Arne und mir gefallen. Und wir müssen uns vor- mehr Ver­a nstaltungen anbieten. Vielleicht erfüllt sich dann ja auch stellen können, dass es live auch gut ist«, sagt Claudia Pahl, für einmal deren Geburtstagswunsch: Ein Feinkost-Festival. Klein und fein wie der Laden selbst. Lorenz Varga Anzeige

Donnerstag 9.4. | Konzert: Sea Change – norwegischer Elektropop Freitag 10.4. | Konzert: Das George-Kochbeck-Ensemble – eine kammermusikalische Zeitreise durch 5 Jahrhunderte Samstag 11.4. | Kabarett: Gabriele Busse Donnerstag 23.4. | Konzert: Kuf – technoide Akkustikkompositionen Donnertag 30.4. | Konzert: Qeaux Qeaux Joans – Blues, Chanson, Songwriting aus den Niederlanden www.feinkostlampe.de


Aus der Szene Asphalt 04/2015 19

gesucht – gefunden

Das muss mal gesagt werden

Verkäufer Thomas, Nr. 1909: Suche drin­ gend kleine Wohnung, Miete bis 364 Euro warm. Außerdem einen Computer und einen 50er-Roller. Kontakt: 0151 – 26 87 64 63.

Wölfe, so las ich, mögen keine ­k lassische Musik, so dass sie das Weite suchen, sollten in ihrer Nähe schöne Klänge ­ertönen. Ko­m isch eigentlich, dass bisher noch ­ n iemand auf die Idee gekommen ist, dass Wölfe klassische Musik lieben könnten und sich versammeln, um mit der Musik im Takt zu heulen.

Verkäufer Mario, Nr. 1970: Ich suche Computer oder Laptop, gerne auch älter, sowie einen einzelnen E-Herd. Kontakt: 0157 – 33 89 69 26. Danke. Verkäuferin Eileen, Nr. 2116: Ich suche einen Kühlschrank mit Gefrierfach, leider habe ich keinen Führerschein, würde mich freuen, wenn er gebracht werden könnten bis nach Rethen. Kontakt: 0151 – 26 21 63 92. Verkäufer Jörg, Nr. 2117: Ich suche ein Mofa bis 25 kmh. Danke. Kontakt: 0171 – 195 78 89. Verkäufer Jörg, Nr. 1894: Liebe Ostergrüße in die Altstadt von Hannover. Speziell an meinen Getränkesponsor Cafe*Bar Celona, an Pastor Stephan Lackner und an meine Kunden. Und suche einen gebrauchten Sony oder Panasonic Discman mit Metall­ gehäuse. Kontakt: 0176 – 62 07 77 06. Verkäuferin Angela, Nr. 2158: Ich suche ein Flachbild-TV. Kontakt: 0178 – 819 44 49.

Bei diesem Thema den Vogel abgeschossen hat sicherlich Jens Menge aus der hannoverschen SPD-Ratsfraktion, nämlich als er verkündete, die Klänge von Bach und Mozart würden zur Lärm­ verschmutzung beitragen. Da kann ich mich wirklich nur der CDU-Finanz­ expertin Karin Seitz anschließen, wenn sie sagt, es sei »wahnwitzig, in der UnescoMusikstadt Hannover Musik als Lärm­ verschmutzung zu bezeichnen«.

Manches mal schon habe ich mir Gedanken gemacht, ob mir für die nächste Kolumne ein Thema einfällt, über das ich schreiben kann. Doch so lange es Politiker mit skurrilen Vorschläge gibt, muss ich mir wahrhaftig keine Sorgen machen. »Obdachlose mit Musik vertreiben«, lese ich und staune, wie überheblich da jemand über Leute, die – warum auch immer – auf der Straße leben, urteilt und Gespannt, was unseren Politikern zu es wie selbstverständlich ausschließt, dass diesem Thema noch so alles einfällt ist sich diese Menschen beispielsweise an klassischer Musik erfreuen könnten. Karin Powser Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Foto­kamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

Kommen Sie mit – zum sozialen Stadtrundgang! Asphalt zeigt Ihnen das andere Hannover. Unsere Verkäuferinnen und Verkäufer führen Sie zu Orten, an denen Wohnungslose keine Randgruppe sind. Erleben Sie die Straße neu und lernen Sie spezielle Anlauf­stellen kennen: Wo sind die Schlaf­ plätze von obdachlosen Menschen? Wo duschen oder essen sie? Wo gibt es Konflikte? Ein außergewöhnlicher Stadtrundgang – von ExpertInnen der Straße geführt!

immer am letzten Freitag im Monat!

Nächster Termin: 24. April 2015, 15 Uhr. Treffpunkt: Asphalt, Hallerstraße 3, 30161 Hannover. Bitte melden Sie sich telefonisch an: 0511 – 30 12 69-20. Teilnahme auf Spendenbasis: ab 5 Euro pro Person. Gruppen (Studierende, Schulklassen, Vereine etc.) vereinbaren bitte gesonderte Termine! Übrigens: Unseren sozialen Stadt­rundgang gibt es auf Nachfrage auch in englischer Sprache!

Wir trauern um

Rainer Kolodiczyk * 8. Juli 1951 † 28. Januar 2015 Rainer Kolodiczyk war Asphaltverkäufer der ersten Stunde in Hildesheim. Seit 1990 lebte er dort. Er gehörte in den letzten Jahren an seinem Standplatz vor Galeria Kaufhof direkt mit ins Stadtbild von Hildesheim, begeisterte stets mit selten gewordenen Werten wie Freundlichkeit und Höflichkeit. Als gläubiger Christ besuchte er nahezu jeden Sonntag den Gottesdienst der Freien Evangelischen Gemeinde in Hildesheim. Der Glaube gab ihm Halt und Zuversicht. Wir werden ihn sehr vermissen. Das Team von Asphalt, die Mitarbeiter der Ambulanten Wohnungslosenhilfe Hildesheim sowie alle Verkäuferinnen und Verkäufer.


20 Asphalt 04/2015 Rund um Asphalt

Wissen über Wohnungsnot

Wohnungsarmut in Hannover Mittwoch 25.Juni 1800 – 1930 Marktkirche Hannover

gewinne!

Mit Asphalt haben Sie die Chance, zwei Tagestickets für den Zoo Hannover zu gewinnen! Beantworten Sie uns einfach folgende Frage: Welche bedrohte Tierart soll sich bald im neu angelegten Regenwald wohlfühlen? Schicken Sie uns eine Postkarte, eine E-Mail oder

ein Fax mit ihrer Antwort und dem Stichwort

mit Sid Auffarth, RA Holger Rosemeyer, Matthias Günter (Pestel Institut)

Mit Asphalt in den Zoo! Moderation: Renate Schwarzbauer (Asphalt Magazin)

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Jeden zweiten Monat 10 x 2 Tageskarten zu gewinnen. Info`s unter: Transition Town Hannover, Hausmannstr.9, 30159 Hannover Tel.: 0170- 4339263 oder unter E-Mail: j.peiler@htp-tel.de / office@tthannover.de Gruppe Solidarität Hannover im Wandel www.tthannover.de

Zur Verfügung gestellt vom Erlebnis-Zoo Hannover

»Zoo« bis zum 30. April 2015 an: Asphalt-Redaktion, Hallerstraße 3 (Hofgebäude),

30161 Hannover, gewinne@asphalt-magazin.de, Fax: 0511 – 30 12 69-15. Bitte vergessen Sie Ihre

Absenderadresse nicht! Viel Glück!

Die Lösung unseres letzten Zoo-Rätsels lautete: Drei Pinselohrschweine. Foto: Zoo Hannover

Tierischer Masterplan

Die Erweiterung der afrikanischen Themenwelt Sambesi mit dem neuen Regenwald für Drills, dem Areal für exotische Vögel, dem begehbaren Giraffenhaus und dem neuen Begrüßungskomitee aus Pinsel­ohrschweinen, Zebramangusten, Dikdiks und Sattelstörchen ist nur ein Teilprojekt des Masterplans 2025+, den der Erlebnis-Zoo Hannover kürzlich vorstellte. So sollen zum Beispiel auch die Elefanten zusätzlich eine große Halle nutzen können, und mit der Madagaskar-/Seychellen-Anlage kommen endlich wieder lang vermisste Publikumslieblinge zurück: die Riesenschildkröten.

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öffentliches Forum zum Thema “Wohnungsarmut in Hannover„

Neuigkeiten aus dem Zoo

Der Weg führt vorbei am Reich der Schimpansen, durch eine üppige Feuchtsavanne mit Wasserfall bis tief hinein in den Regenwald. Eine Gruppe bedrohter Drills lebt hier in friedlicher Nachbarschaft mit quirligen Meerkatzen. Nur wenige Meter weiter ist das vielstimmige Gezwitscher bunter Papageien, Säbelschnäbler, Stelzenläufer, Krokodilwächter und Gabelracken zu hören – bis hinauf zur Spitze des imposanten Gorillabergs. Willkommen in Afrika!

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Mittwoch 25.Juni 14:00 – 17:30 öffentliches Forum zum Thema „Wohnungsarmut in Hannover „

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für manch lapidares Geklingel. »Wohnungsarmut in Hannover« heißt die Broschüre von Asphalt, Caritas, DGB, Diakonie, Pestel-Institut und SuPa und Transition Town Hannover. Mit Beiträgen auch von Bürgermeister Thomas Hermann und Stimmen aus den Fraktionen in Rat und Regionsversammlung Hannover. Grundlage der Broschüre ist die bisher in der Gestalt für Hannover einzigartige Fachtagung in der Marktkirche im Juni letzten Jahres. Die Textsammlung gibt es im A4-Format für zwölf Euro inklusive Versand oder digital als pdf für drei Euro zu bestellen bei j.peiler@htp-tel.de oder unter info@asphalt-magazin.de. mac

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In Hannover werden Wohnungen knapp und mithin teuer: 13.000 Neubürger werden für Hannover binnen zehn Jahren prognostiziert, rund 8.000 Wohnungen fehlen entsprechend. Die Zinskrise tut ihr Übriges und lockt renditesüchtige Investoren in den Markt. Sozialer Wohnungsbau mit entsprechend gedeckelten Mieten ist für diese Anleger nicht wirklich interessant. Und doch wird gerade dies gebraucht. In einer 70-seitigen Broschüre haben die, die sich mit dem Thema auskennen, Stellungnahmen und Analysen zusammengefasst. Zum Warum und zum Wie. Und nun veröffentlicht, denn die Situation ist zu ernst

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Unsere Broschüre mit Analysen und Statements zum Wohnungsmangel in Hannover.


Rund um Asphalt Asphalt 04/2015 21

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Romantik folgt Comedy Zweimal Freitag, der 13te, zweimal glückliche Asphalt-Gäste. kers und einer Straßenzeitungsverkäuferin, auf dem Programm. Das Apollo-Kino in Linden hat uns dafür seinen Saal geliehen. Rund 40 Gäste sahen gemeinsam mit Asphalt-Verkäufern das moderne Märchen

von Zuneigung und Zerbrechlichkeit und von der Reinheit einfacher Lieder. Nach zwei Stunden zum Träumen und Schniefen gab es ebenfalls Spenden: 360 Euro. Danke allen Mithelfenden und Künstlern. mac

Foto: Heike Meyer

Im Februar und März war Asphalt-Glückstag. Mit Improtheater und Romantik-Kino. Am 13.2. hatten sich die »Improkokken«, die schräge Comedytruppe aus Hannover, für Asphalt im Lister Turm ins Zeug gelegt. Ohne Gage, dafür mit viel Herz und Situationskomik zauberten die fünf Schauspieler auf Zuruf skurrile Stehgreifsketche mit Lachgarantie auf die Bühne. Ein Thema, ein Begriff, einzählen: »3, 2, 1, los geht’s«. Und schon spielten die Schauspieler, was ihnen in wenigen Sekunden auf die zugerufenen Begriffe als nächste Szene in den Kopf kam. Das war nicht immer logisch aber immer witzig. Und so ging manche La-Ola-Welle durch die Publikumsreihen. Für Asphalt und seine Freunde ein echter Glückstag, keine Frage. 420 Euro landeten übrigens im Spendenhut. Am 13.3. stand der anrührende Kinofilm »Once«, die Geschichte eines Straßenmusi-

Asphalt-Geschäftsführer Reent Stade begrüßt Asphalt-Freunde zu Beginn der Kino-Vorführung.

sucht: Vertriebsleiter/-in Zum 1.8.2015 ist die Stelle eines/einer Leiters/Leiterin der Abteilung »Vertrieb & Soziale Arbeit« neu zu besetzen (unbefristet mit 40 Wochenstunden). In unserer Abteilung »Vertrieb & Soziale Arbeit« wird der Zeitungsvertrieb für niedersachsenweit 160 Verkäuferinnen und Verkäufer organisiert. Berechtigt zum Verkauf des Asphalt-Magazins sind Menschen, die wohnungslos oder unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht sind, wohnungslos waren und deren Einkommen nicht höher liegt als der Regelsatz des Arbeitslosengeldes II.

Zu Ihren Aufgaben gehören:

Wir erwarten:

– Organisation des Zeitungsverkaufs an Asphalt-Verkäufer/-innen

– abgeschlossene Ausbildung im kaufm. Bereich

– Koordination der Vertriebsstellen und Verkaufsplätze

– Grundkenntnisse der Sozialgesetzgebung

– Weiterentwicklung der Vertriebsstruktur – Führen von Verkäufergesprächen

– Erstellung von Tages- und Gesamtabrechnungen – Empfang von Besuchergruppen

– Organisation von Verkäuferveranstaltungen

– Erfahrungen in sozialer Arbeit

– gute Kommunikationsfähigkeit und Selbstorganisation – psychische Stabilität und Stressresistenz – gute Ortskenntnisse in Hannover

Wir bieten Ihnen einen außergewöhnlichen Arbeitsplatz mit einer interessanten und abwechslungsreichen Tätigkeit in einem hochmotivierten Team. Ihre aussagekräftige Bewerbung richten Sie bitte bis 12. April 2015 an Geschäftsführer Reent Stade: stade@asphalt-magazin.de


22 Asphalt 04/2015 Rund um Asphalt

»Einmal die Route 66« Aus dem Leben: Asphalt-Verkäufer Hasso erzählt.

Früher sah mein Leben etwas anders aus: Ich hatte einen guten Job, ein regelmäßiges Einkommen und eine große Wohnung: über 100 Quadratmeter! Das war eigentlich viel zu groß für mich alleine. Aber ich konnte mir einen gewissen Lebensstandard leisten. Ich war Schichtführer in der Gummitechnologie, von 1991 bis 2002, in Eimbeckhausen bei Bad Münder. Die Firma ging konkurs. Beim Konkurs wird eine Firma direkt dicht gemacht, ich verlor also sofort meine Stelle. Von den Sozialleistungen konnte ich natürlich meine laufenden Kosten nicht bezahlen: die Miete für die Wohnung, den Unterhalt für das große Auto (ich hatte einen Daimler). Ich hab Schulden und Schulden und Schulden gemacht. 74.000 Euro kamen zusammen. Das war mein eigener Fehler – ich hätte die Wohnung sofort kündigen müssen oder das Auto abstoßen. Das habe ich aber nicht getan, ich dachte: Irgendwie kriege ich es hin, ich habe sicher bald einen neuen Job, gehe nur kurz durch eine Talsenke und erhole mich wieder … 2006 warf mich der Vermieter aus der Wohnung und entsorgte meine Möbel. Ich kam nach Hannover, wohnte zunächst im Männerwohnheim Kolpinghaus und dann im Wohnheim Büttnerstraße, insgesamt 14 Monate lang. Ich wusste, dass es diese Einrichtungen hier gibt, ich war nämlich selbst vorher schon viele Jahre regel­ mäßiger Asphalt-Leser gewesen! Geboren bin ich in Halle an der Saale. Meine Mutter hat mich alleine großgezogen, meinen Vater kenne ich gar nicht. Irgendwann war er weg, ich kann

mich gar nicht an ihn erinnern. Schön war meine Kindheit nicht, aber darüber möchte ich nicht sprechen. Meine Mutter war Hauptzustellerin bei der Post. In der ehemaligen »DDR« war das ja kein Problem, da konnte jeder Alleinstehende auch gut ein Kind großziehen. Ich ging acht Jahre zur Schule und machte eine Lehre als Gärtner für Obstproduktion. Mit 21 bezog ich meine eigene Wohnung und arbeitete in der LPG – bis die Wende kam. Die LPGs wurden dichtgemacht, die Leute entlassen. 1990 ging ich in den Westen, mit 25 Jahren. Meine Ausbildung wurde hier nicht anerkannt, hier heißt es nämlich »Obstbauer«. Nur wegen dieser Wortspielerei laufe ich heute als »Ungelernter« herum. Ich fand aber Arbeit im Gummi­ betrieb, erst als Hofarbeiter, dann als Maschinenführer, stieg auf zum Schichtführer, bis die Firma eben Pleite ging … Im Wohnheim wurde mir damals geholfen, meine Schulden in den Griff zu kriegen. Dem Sozialarbeiter dort bin ich zu großem Dank verpflichtet. Ich war bei der Schuldnerberatung, mein Weg führte in die Privatinsolvenz. Heute bin ich damit aber glücklicherweise durch. 2007 zog ich in meine jetzige kleine Wohnung und kam das erste Mal zu Asphalt, verkaufte dann drei Jahre lang das Straßenmagazin, bis 2010. Dann fand ich ein paar andere Jobs: im Imbiss zum Beispiel, bei einem Schausteller oder als Reinigungskraft. Jetzt bin ich seit dem 3. Mai letzten Jahres wieder hier. Ich bin wieder gerne zu Asphalt zurückgekommen, es hat mir hier immer Spaß gemacht. Ich bin froh, dass es Asphalt gibt. Dass man jederzeit wiederkommen kann. Dass man sich hier etwas Geld dazuverdienen kann. Dass man doch noch gebraucht wird im Leben. Ich kann mir vieles vorstellen für die nächsten Jahre, vielleicht auch beruflich. Aber ich kann mir auch vorstellen, weiter Asphalt zu verkaufen. Einen ganz großen Wunsch habe ich noch, der wird aber wohl niemals in Erfüllung gehen: Einmal im Leben möchte ich die Route 66 entlangfahren – aber natürlich nicht mit meinem kleinen Roller, lieber in einem großen Lkw!

Foto: K. Powser

»In diesem Jahr werde ich fünfzig. Ich bin alleinstehend, habe keine Familie, bin bewusster Single sozusagen. Einsam fühle ich mich aber nicht, ich bin eher still und gerne für mich. Ein Haustier habe ich auch nicht, denn manchmal möchte ich einfach auch mit meinem Roller ins Grüne rausfahren. Nach Hameln zum Beispiel. Meinen Roller habe ich neu, seit dem 16. Februar genau. Den habe ich mir geleistet. Damit bin ich schneller unterwegs und viel mobiler. Ein Schnäppchen für 250 Euro, da hatte ich wirklich Glück! Obwohl bei mir nicht immer alles glatt lief, bin ich ein fröhlicher, ausgeglichener Mensch. Man könnte ja auch verbittert werden, das liegt aber nicht in meiner Natur. Ich sage immer: Man muss versuchen, das beste aus dem Leben zu machen. Ich lebe jetzt in einer knapp 43 Quadratmeter großen Wohnung – die nun endlich mal renoviert wird, das ist dringend nötig. Allerdings wird dann auch die Miete erhöht: 47 Cent pro Quadratmeter.

Verkäufer Hasso (49) verkauft in der Wöhlerstraße/ Hannover-List, in der Karlsruher Straße/Hannover-Mittelfeld und auf dem Wochenmarkt in Mittelfeld. Aufgezeichnet von Jeanette Kiessling


Asphalt 04/2015 23

Briefe an uns Weiter so

1,60 €

Zu den Artikeln Sehr geehrtes Asphalt-Team, ich möchte Februar 2015 »Dorf macht mich herzlich für den Gewinn aus dem Schule« von November-Rätsel bedanken. Ich habe mich Carmen Eickhoffsehr gefreut. Schon zum dritten Mal in Folge Klouvi und habe ich das Rätsel »in einem Zug«, also »Region ohne komplett zwischen Hannover und Celle, Hat Dorf Zukunft« von gelöst. Das Lösungswort aus Januar sende Zukunft? Volker Macke ich Ihnen gesondert, vielen Dank auch Landleben zwischen Tatkraft und Tristesse Kinder im Syrien-Krieg: Schule in Aleppo in der Februarfür das Heft, ich wusste bisher nicht, dass Udo Lindenberg über Pläne, Politik und Panik Kultur am Freitag, den 13ten: Asphalt lädt ein Ausgabe die sozialliberale Koalition an der sozialen Frage zerbrochen ist. Machen Sie weiter so, ich freue mich immer, dass die Verkäu- Dorfleben – nachgedacht. fer auch ihren Beitrag leisten, wenn sie eine Guten Tag aus Mecklenburg (auch hier Zeitung verkaufen. Viele Grüße aus Fassberg! liest man jeden Monat Asphalt). Die beiKerstin Cassier, Fassberg den Artikel kamen genau in den richtigen Ort. Unser Dorf hat zur Zeit 240 Einwohner und liegt in der südwestlichen Sand1,60 € kiste Mecklenburgs. Am Anfang war es eine März 2015 Gutssiedlung im Irgendwo. Dann wuchsen die Bedürfnisse der Bewohner, der Guts­ betrieb wurde zur LPG, der Personalbestand wuchs. Die Einwohnerzahl lag zeitweise bei 400 Personen. Dann kam – wie ein Hammer – die sogenannte Wende. Die LPG priUnvergessen vatisierte und baute radikal Personal ab, Anne Frank und das Schicksal ihrer Familie Vor 70 Jahren befreit: die Hölle Bergen-Belsen die Bevölkerungszahl sackte mehr und Pegida, Islamismus, Angst: ein Herausgebergespräch Anders als andere: Leben als Asperger-Autistin Zur März-Ausgabe mehr ab, die Kaufhalle rechnete sich nicht mehr. Der ÖPNV hatte hier noch nie eine Kompliment Station. Die ursprünglich nächstgelegene Liebes Asphalt-Team, dickes Kompliment Station wurde zugunsten der ICE-Trasse fürs neue Heft … (wieder mal) brechend voll geschlossen, der versprochene Busersatz mit interessanten Artikeln, gut geschrieben, ist nie gefahren. Unser Dorf liegt an der Bundesstraße 5. Bis Hamburg sind es einfach Klasse. Gil Koebberling, Freundeskreis Hannover e.V., 60 km, bis zur Kreisstadt sind es über 70 km, aber wie man ohne Pkw dorthin Hannover davon 80 Cent Verkäuferanteil

davon 80 Cent Verkäuferanteil

gelangen soll, das sagt einem der Fahrplan nicht. Was wird aus diesem Dorf eines Tages werden? Wir lassen drei Bäckereibetriebe mit ihren Wagen an drei verschiedenen Tagen im Dorf halten, ein Fleisch- und Wurst­ warenhändler fährt einmal in der Woche durch die Straßen. Eine Schule gibt es hier schon viel zu lange nicht mehr zu retten; ein Gemeindehaus gibt es hier nicht. Es fehlen Infra-Strukturen, an die angeknüpft werden kann. Aber wenn dann im Lande die Wege für alles immer noch weiter und immer noch nachlässiger instand gehalten werden, weil ja auch der neue Großkreis keinen Gewinn aus der Fusion ziehen kann, was dann? Wenn zwei Hungernde fusionieren, werden sie nicht satter, nur weil sie beide mehr Erfahrung mit dem Hungern an den Tisch bringen. Unser Landkreis ist viel größer als das Saarland, hat aber nur knapp 200.000 Einwohner. Gewiss sind örtliche Lösungen für die Dörfer die erste Wahl, aber damit ist nur ein kleiner Schritt getan – ein wichtiger. Aber nach den unverantwortlichen Streichkonzerten sind jetzt auch endlich stützende Maßnahmen flächendeckend erforderlich: Dabei darf es nicht mehr um das Geld aus der Gießkanne gehen, sondern es müssen auch unsinnige Regelwerke auf den Prüfstand. Wenn die Städte schon jetzt unter den Lasten ächzen und sie nicht stemmen können, werden sie mit einem weiteren Zuzug aus dem flachen Land nicht weiterkommen. Christel Prüssner, Dersenow

Impressum Anzeigen: Heike Meyer

Herausgeber: Prof. Dr. Heiko Geiling, Hanna Legatis, Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe Redaktion: Volker Macke (Leitung, V.i.S.d.P.), Jeanette Kießling, Renate Schwarzbauer

Verwaltung: Janne Birnstiel (Assistentin der Geschäftsführung), Heike Meyer Archiv: Dr. Waltraud Lübbe Vertrieb & Soziale Arbeit: Helmut Jochens (Leitung), Romana Bienert, Christian Ahring (Sozialarbeiter)

Freie MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: ­M. Eickhorst, J. Göres, Greser & Lenz, K. Powser, N. Puscz, L. Stegner, S. Svik, L. Varga

Asphalt Vertrieb & Verlag gGmbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Fax 0511 – 30 12 69-15

Fotografin: Karin Powser

Geschäftsführer: Reent Stade

Spendenkonto: Evangelische Kreditgenossenschaft e.G. IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1 Online: www.asphalt-magazin.de redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Redaktion Celle: Ulrich Rennpferdt Redaktion Nord-West: Mark Brockmann

Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 21.3.2015

Für un­auf­gefor­dert ­ein­ge­sandte Manu­­­skripte, B ­ ilder und Bücher über­nehmen wir keine Gewähr. ­Rück­sendung nur, wenn Porto beigelegt wurde. Gesellschafter:

Herstellung: eindruck, Hannover Druck: v. Stern’sche Druckerei, ­Lüneburg Druckauflage: ø 27.000

H.I.o.B. e.V. Hannoversche Initiative obdachloser Bürger


24 Asphalt 04/2015

Bloß nicht auffallen

Armut auf dem Land ist schlimmer als in der Stadt. Nicht finanziell. Aber sozial. Armut macht einsam. Nicht nur in Nienburg. die Armut wächst. »Wir hatten anfangs, Butter, Brot, Obst und Gemüse: Wer arm Ende der Neunziger, rund 80 Kunden pro ist in Nienburg, Neustadt oder Stolzenau Die Themenreihe: Monat, heute sind es 4.000.« Vor gut 15 Jahkommt zu Beate Kiehl. Ein bisschen heimren gab es in Niedersachsen 30 Tafeln, lich meist. Kiehl ist Geschäftsführerin der – Hat Dorf Zukunft? heute sind es 101. Sie alle ernähren aktuNienburger Tafel. Mehrmals in der Woche – Mobilität dank Ehrenamt ell rund 166.000 Menschen im Flächenwarten die Menschen dort in Schlangen, land Niedersachsen, davon ein Drittel Kinum Lebensmittelspenden zu ergattern. Sto– Armut auf dem Land der. Und dies obwohl Armut gerade auf isch stehen sie bis weit auf die Straße hinaus. – Jung zwischen Alten dem Land hochgradig schambesetzt ist. Das ist vielen unangenehm. Denn die aller– Dörfer ohne Bauern »Wir erreichen bei weitem nicht alle, die arm meisten wollen unerkannt bleiben, ihre – Alt werden im Dorf sind. Bei vielen bleibt der Kühlschrank lieBedürftigkeit soll niemand wissen. Die – Fremde im Ort ber leer, als dass die Nachbarn reden«, weiß Nachbarn könnten reden. Armut auf dem Kiehl aus langjähriger Erfahrung. »Eine Zeit Land – das bedeutet vor allem Scham. Die Gegend um Nienburg gilt neben Ostfriesland, dem Wendland lang hatten wir das Angebot, Menschen zumindest im innerstädtiund Cuxhaven als Gebiet mit den statistisch höchsten Armuts- schen Bereich von Nienburg die Lebensmittel direkt nach Hause zu quoten in Niedersachsen. Doch Erwerbs- und Einkommenssta- bringen, das ging gar nicht gut« so Kiehl. Einige der Kunden kämen tistik braucht Tafelchefin Kiehl nicht, sie merkt Tag für Tag wie sogar lieber zur weiter entfernten Ausgabestelle in Neustadt als in Fotos (2): V. Macke

Leben auf dem Land

Den Weg zu den helfenden Händen der Tafelmitarbeiterinnen überlegen sich auf dem Land viele zweimal. Man könnte erkannt werden.


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der nahe gelegeneren in Stolzenau um Nahrungsspenden zu bitten. sibel auf Störungen im zwischenmenschlichen Kontakt«. »Die Wahrscheinlichkeit erkannt zu werden, ist dann geringer.« In der Stadt kann man sich Weite Wege dem entziehen, das Viertel Das ging auch Ingrid P. so, die an der Ausgabestelle in der Neuen wechseln oder zumindest die Wallstraße auf gutes Gemüse hofft. Vor ihr stehen 72 andere Arme soziale Gruppe. Auf dem Dorf Tafel-Chefin Beate Kiehl. an. Nur mit etwas Glück erhält sie auch noch eine abgelaufene Tüte geht das nicht. Also RückChips. »Kann man sich sonst ja nicht leisten.« Ihren ganzen Namen zug – Leben in der dörflichen Isolation. In Befragungen von Armut will sie in Asphalt nicht sehen, ein Bild von sich schon gar nicht. Es Betroffener hat Forscherin Winkler vor allem zwei Gefühle ausgesei ihr »nicht wirklich peinlich«, dass sie zur Tafel geht, denn die macht: Erniedrigung und Beschämung. gelernte Kauffrau hat sich jahrelang um Arbeit bemüht. »Doch mit »Ich habe bei uns eine ältere Frau erlebt«, sagt Tafelchefin Kiehl, Mitte 50 kriegst du hier nix mehr«, sagt sie. »Aber es muss ja trotz- »die hat sich ihr Haarefärben vom Munde abgespart und nur von dem nicht jeder wissen, dass man ausrangiert wurde.« Sie weiß der Tafel gelebt. Warum? Weil sie unbedingt einmal zur Weihnoch ganz genau, wie das damals war, als sie vor vier Jahren das nachtsfeier vom roten Kreuz gehen wollte. Mit der ausgewachsenen erste mal zur Tafel in der Wallstraße kam. »Die Leute waren nett Färbung hätte sie sich ja als arm geoutet.« und alles, aber es gehört schon einiges dazu, erstmal für sich selbst Volker Macke anzuerkennen: ›Okay, du bist jetzt arm.‹« Anzeige Sarah G. hat zwar Arbeit, noch dazu eine anstrengende. Doch als Altenpflegehelferin verdient die junge Frau für sich und ihren Verlobten nicht genug. Also die Tafel. Dass sie finanziell anders nicht über die Runden kommen »darf zuhause niemand wissen«. Deshalb kommt Sarah weite Wege mit dem Bus zur Tafel in Nienburg. Die Fahrt über Land dauert lange, und die Dienstzeit mit den Öffnungszeiten der Ausgabestelle in Einklang zu bringen sei auch nicht einfach. Zumal wenn niemand wissen soll, wo sie da regelmäßig hinfährt. Ob sie denn Wohngeld bekommt oder das Gehalt mit Hartz IV aufstockt? »Nein, lieber nicht«, sagt sie, »du stehst bei uns sonst da wie so ein Aussätziger.«

Armut isoliert »In Städten wird ein Sozialhilfeanspruch eher realisiert als in kleinen Gemeinden«, hat Marlis Winkler herausgefunden. Die Sozialpädagogin hat im Auftrag des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD (SI) Armut auf dem Land erforscht. »Die größere Anonymität und die geringere Stigmatisierung der Armut helfen, eigene Ansprüche durch- und Hilfsangebote umzusetzen.« Auf dem Land hingegen gilt: Je kleiner der Ort umso größer die Hemmungen. Denn auf dem Dorf werde von Verarmten die soziale Kontrolle oft als belastend empfunden. »Über Armut wird nicht gesprochen, sie wird negiert« so Winkler. Daraus entstehe ein Teufelskreis. Arme fühlen sich aus der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt und grenzen sich daraufhin selber aus, um bloß nicht mit ihrer Armut aufzufallen. Eine falsche Bemerkung, ein mitleidiger Blick auf die abgelatschten Schuhe und schon fühlt man sich augegrenzt. Egal ob Feuerwehr, Schützenverein oder Frühlingsfest – auf dem Dorf werde genau registriert, wer sich das Bier am Abend nicht leisten könne. »Wer von Armut betroffen ist, reagiert aufgrund verschiedener Kränkungserfahrungen und Entmutigungen besonders sen-

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Kampf um Hannover

Ende März trafen sich Mitspieler aus aller Welt in Hannover, um zusammen das GPS-basierte Handygame »Ingress« zu spielen. Am Rathaus, am Maschsee, am Landesmuseum: überall virtuelle Schlachten im realen Raum. Ein Stadtrundgang der anderen Art. Marion Klewin ist 55. Sie und ihr Lebens­­ partner Stefan Sarzio (43) sind in Hannover in geheimer Mission unterwegs. Beide wollen heute rund um das Neue Rathaus so genannte »Portale« bekämpfen und einnehmen. Die Stadtbibliothek Hannover und das Landesmuseum gehören ihnen bereits. Unter den Pseudonymen ­»Garkitt« und »Salze« sind sie als Agenten im GPSSpiel »Ingress« unterwegs und spielen für die »Resistance«, die blaue Fraktion. Ihre Gegner, die grünen »Enlightened«, ­nennen die Blauen liebevoll »Schlümpfe«. Sie selbst hören auf »Frösche«. Beide Fraktionen haben die gleiche Waffe: eine App auf ihren Smartphones. Hannover, 10 Uhr morgens: Es ist ein etwas trüber, aber freundlicher Morgen und beim großen Trammplatz vor dem Neuen Rathaus ist noch nicht das meiste los. Nur hier und da gehen Menschen mit Brötchentüten und einer Zeitung unter dem Arm entspannt ihren Weg. Die meisten ahnen nicht einmal im Ansatz, was um sie herum in diesem Moment geschieht. Denn Marion und Stefan sind voll in ihrem Element. Sie bombardieren gerade virtuell mit ihren Handys

GPS fordert Standorttreue: Anstelle des Bogen-

schützens wird halt ums Klo gekämpft.

am Amtssitz von Oberbürgermeister Stefan Schostok den »Bogenschützen am Neuen Rathaus«, einem so genannten »Portal« im Spiel »Ingress«. Derzeit werfen die beiden jedoch genau genommen Bomben auf ein Dixi-Klo, denn auf Grund der Umbaumaßnahmen auf dem Trammplatz musste die Figur des Bogenschützen weichen und wurde vorübergehend durch ein mobiles Toilettenhäuschen ersetzt. Davon sind »Garkitt« und »Salze« allerdings gänzlich ­ unbeeindruckt. »Kämpfen wir halt um ein Klo«, meint Marion angriffslustig. Portale sind Orte überall auf der Welt, um die die Mitspieler bei »Ingress« kämpfen. Allein rund um das Neue Rathaus gibt es davon etwa 20, in Hannover und Umgebung liegt die Zahl bei rund 4.000 Portalen. Pia, der Terrier der beiden, der auch immer mit bei den Eroberungszügen dabei ist, hatte bis eben noch gespannt am Bauzahn nahe des Klos geschnüffelt, findet aber jetzt ein Gebüsch spannender, zu dem Pia Stefan hinziehen will – weg von der Toilette. »Pia, Moment noch«, belehrt Stefan die Hündin. Die Bomben, die Marion und Stefan mittlerweile sekündlich auf das Dixi-Klo feu-

Ingress live: Marion feuert Bomben aufs

umkämpfte Portal ab.

ern, heißen »Burster« und »Strike« und ihre Wirkung hängt ab vom jeweiligen Level der Bomben. »So, noch ein paar Siebener-Burster«, meint Marion mit Blick aufs Smartphone. Eine ältere Dame, die in diesem Moment an den beiden vorbeikommt, schaut verzweifelt herüber und versteht nur noch Bahnhof. Kein Wunder. Was da gerade rund um den Lokus geschieht, kann nur der begreifen, der auch »Ingress« spielt. »Das sorgt schon für komische Blicke von Leuten auf der Straße, wenn wir nur noch krampfhaft mit dem Display des Handys beschäftigt sind«, grinst Marion. Der Kampf um den »Bogenschützen« geht mittlerweile in die Endphase. Das Portal übernehmen können die beiden erst, wenn sie alle so genannten »Resonatoren« der Gegner im Portal zerstört haben. Die jeweiligen Resonatoren eines Portals geben an, wem das Portal gehört. Marions Handy ist nur noch am brummen. Das ist kein gutes Zeichen und bedeutet, dass Energie bei Marion abgezogen wird. Denn ganz wehrlos ist der »Bogenschütze am Neuen Rathaus« nicht. Er wurde von den Gegnern mit einigen Waffen ausgestattet, die ihrerseits nun Marion und Stefan attackieren, indem sie ihnen Energie abziehen. Die brauchen die beiden aber, um überhaupt irgendetwas machen zu können. Schließlich ist es geschafft. Das Portal leuchtet jetzt im strahlenden Blau der »Resistance« und hat einen neuen Besitzer: »Salze«. Stefan lächelt, Marion lächelt. Pia setzt eine Pfütze. Weiter geht’s Richtung Maschteich. Durch die Bewegung füllt sich der Energievorrat der Agenten wieder. Stefan zeigt auf eine Abbildung einer Meerjungfrau an der Seite des Rathauses: »Das ist das Schöne an »Ingress«: Man sieht vieles, das einem sonst gar nicht aufgefallen wäre.« Und Marion ergänzt: »Selbst ich als Hannoveranerin entdecke immer wieder Neues in meiner Stadt.« »Ingress« ist anders als die typischen Computerspiele. Während andere Games Spieler


Fotos (3): M. Eickhorst

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Attacke im Schatten des Neuen Rathaus: Marion Klewin und Stefan Sarzio im Ingress-Fieber.

meint Marion. Sie selbst ist als Frau und in ihrer Altersgruppe sicherlich unterrepräsentiert. »Einer der fleißigsten »Ingress«Spieler hier in Hannover ist ein 73-Jähriger Herr, der dafür bekannt ist, dass auch nachts Angriffe gegen seine Portale nicht ohne Gegenwehr bleiben. Wir haben ihn schon häufig mit seiner Frau samt Rollator zusammen »Ingress« spielen gesehen«, erzählt Marion. Marion und Stefan haben bereits kurz nach dem Start des Spiels Ende 2012 ihre Agentenlaufbahn begonnen. Dabei trieb Marion neben der Faszination am Spielen auch eine ganz andere Motivation um, mit »Ingress« anzufangen: »Ich war damals auf dem Abnehm-Trip und für mich kam das gelegen, ein Spiel zu haben, wo man ordentlich viel gehen muss«. Hündin Pia freut es. Sie braucht in der Regel nicht darum zu betteln, dass Herrchen und Frauchen mit ihr Gassi gehen. Allerdings kommt es auch vor, dass es der Hundedame zu viel wird und Pia den Agenten einen Strich durch die Eroberungs-Rechnung macht. »Wenn wir größere »Ingress«Runden drehen, dann haben wir schon erlebt, dass Pia zickig wird, wie so ein kleines Kind. Ihre Laune lässt dann nach und sie legt sich demonstrativ hin«, bemängelt Stefan. »Aber meistens ist sie gern dabei.

Kein Wunder, wir haben ja das gleiche Ziel. Sowohl Pia als auch Marion und ich wollen ja irgendwie unsere Duftnoten an möglichst vielen verschiedenen Orten setzen!«, scherzt Stefan. So gesehen bekommt das Klo auf dem Trammplatz einen ganz neuen Sinn. Mark Eickhorst Anzeige

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an den heimischen Rechner fesseln, muss der Agent bei »Ingress« raus an die frische Luft und direkt zu den Portalen. Denn nur in einem Umkreis von GPS-genau 40 Metern lässt sich mit den Portalen interagieren. »Damit ist das Spiel auch ein super Stadtführer«, empfiehlt Marion. Stefan verbindet nun das Portal Meerjungfrau und den Bogenschützen mit einem »Link«, wodurch auf der Karte in der »Ingress«-App eine Linie zwischen den beiden Portalen angezeigt wird. Dadurch entstehen Muster. Manchmal sogar absichtlich, weiß Marion zu berichten: »Als ein Mitspieler kürzlich in Hannover verstorben ist, haben beide Fraktionen zusammen durch geschickte Verlinkungen von Portalen einen Stern auf der Spielkarte erscheinen lassen. Das war eine ergreifende Aktion«. Die Mitglieder der beiden Fraktionen bei »Ingress« verstehen sich auch weniger als Freund und Feind. »Meistens ist der Umgang sehr nett«, berichtet Stefan. »Man gehört zwar entweder den Fröschen oder den Schlümpfen an, aber im Endeffekt spielt man zusammen. Das ist das Schöne«. Weltweit haben mehr als acht Millionen Menschen »Ingress« auf ihr Smartphone heruntergeladen. »Den typischen Mitspieler bei »Ingress« gibt es nicht, jeder kann mitmachen und wird seinen Spaß haben«,


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Geteilte Buchlust

Haben Sie schon mal ein Buch weggeschmissen? Mit schlechtem Gewissen? Das muss nicht sein. Denn mit ausgedienten Büchern lässt sich noch allerhand anstellen.

Fotos (2): Lisa Steger

»Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Boden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken.« Diese Worte des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Hermann Hesse gelten auch im Zeitalter von Kindle und E-Books fort. Nicht nur Hesses »Demian« und »Steppenwolf«, Bücher allgemein bereichern unser Leben, erweitern den Horizont und entführen in fremde Welten. Sie sind Statussymbol und Stütze, beflügeln Geist und Seele – und manchmal sogar Kochkünste. Doch manchmal gibt es keine Wahl: Das Bücherregal platzt aus allen Nähten oder ein Umzug steht an: Wohin dann mit den ausgedienten heiß geliebten Schinken? Naheliegend: Antiquariate oder die offenen Bücherschränke, doch die einen sind vielfach extrem wählerisch, die anderen überfüllt. Deshalb setzt Xirxe auf Bookcrossing. Im Lindener Café K sitzt die fröhliche blonde Frau regelmäßig hinter einem rie-

Xirxe lässt regelmäßig Bücher frei – beim Wan-

dern im Harz oder im Café in Hannover-Linden.

sigen Bücherstapel und markiert einzelne Exemplare mit Nummern. Denn Xirxe teilt mit Hermann Hesse nicht nur denselben Geburtsort Calw, sondern auch die Leidenschaft für Bücher. In ihrer Wohnung warten nach eigener Schätzung rund 5.000 Exemplare. »Vor einigen Jahren stand ich vor dieser Regalwand, habe ausgerechnet, wie hoch meine Lebenserwartung ist und festgestellt, dass ich niemals alle diese Bücher lesen werde«, erzählt die 50-Jährige. Bereits 2006 hat sie sich deshalb auf der deutschsprachigen Webseite für Bookcrossing angemeldet. 2001 startete die Idee in den USA als Mischung aus Datenbank und sozialem Netzwerk. Inzwischen ist die Online-Community auf mehr als 1,3 Millionen Mitglieder aus über 130 Ländern angewachsen. Bookcrossig funktioniert in etwa wie eine bibliophile Art der Schnitzeljagd. Hierfür wird jedes Buch zunächst mithilfe einer so genannten Bookcrossing-Identitätsnummer (BCID) – einer individuellen Signatur zur Nachverfolgung – auf der Webseite registriert. Diese Nummer wird dann zusammen mit einem erklärenden Aufkleber auf dem Exemplar vermerkt. Nun kann das Buch »freigelassen« werden, wie es im Bookcrossing-Jargon heißt. Konkret bedeutet das, das Buch an einem öffentlichen Platz zu hinterlegen – in der Hoffnung, dass sich ein neuer Leser dafür findet. Ihre eigenen Bücher setzt Xirxe vorzugsweise in der freien Natur aus – zumeist beim Wanderstempeln im Harz. »Stempelstellen sind ideal zum Freilassen, weil immer wieder jemand vorbeischaut«, be­­ richtet die sportliche Vielleserin. Manchmal hängt sie die ausrangierten Exemplare aber auch einfach in einer Plastiktüte verpackt in einen Baum. Nicht immer melden sich die Finder auf der Webseite zurück, obwohl man sich dafür

Mit Knicktechnik vom Buch zum Kunstobjekt.

nicht selbst bei Bookcrossing registrieren muss. »Die Quote liegt bei ungefähr 20 Prozent«, erzählt sie. Umso mehr freut es sie, wenn sich Menschen bei ihr melden, die eines ihrer Bücher gefunden haben. Eine ganz besondere Erinnerung verbindet Xirxe mit »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins« von Milan Kundera, das sie bei einer Wanderung im Harz freigelassen hatte. Die Finderin, so stellte sich heraus, hatte den im Roman beschriebenen Einmarsch der sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei nämlich als Kind selbst miterlebt – und war deshalb umso erstaunter, als ausgerechnet sie dieses Buch nun Jahrzehnte später beim Wandern fand. Im Café K betreut Xirxe die offizielle Bookcrossing-Zone (OBCZ) – so nennen Bookcrosser das in der hinteren rechten Ecke angebrachte Regal voller Bücher. Regelmäßig kontrolliert sie die Bestände und tauscht Bücher, die bereits länger dort liegen, gegen frischen Lesestoff aus. »Ich mag Bookcros-


Foto: Thomas Zigahn

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sing, weil man damit anderen Menschen ohne großen Aufwand eine Freude machen kann«, erklärt sie. Um eine sinnvolle Weiterverwertung von gebrauchten Gegenständen geht es auch beim so genannten Upcycling. Dahinter verbirgt sich die Philosophie, scheinbar nutzlos gewordene Dinge nicht als Abfall, sondern als Rohmaterial für die Herstellung neuwertiger Produkte anzusehen. So werden nicht nur Müllberge reduziert, Kosten gespart und die Umwelt geschont, sondern – und das ist das Beste daran – man kann sich zugleich an etwas schönem Neuen erfreuen. Was man mit ausrangierten Büchern noch alles anfangen kann, weiß Thomas Zigahn, Inhaber der Galerie »Tanz auf Ruinen«. Der Upcycling-Künstler kreiert aus aussortierten Schmökern und Hochglanzmagazinen unter anderem individuelle Handtaschen und Notizbücher sowie 3-D-Objekte mit den unterschiedlichsten Motiven – von Schriftzügen über Jahreszahlen bis hin

zum Herz-Symbol. Hierfür erstellt Zigahn an seinem PC zuerst eine Schablone, die anzeigt, an welcher Stelle und in welchem Winkel die einzelnen Seiten geknickt werden müssen. Danach geht es ans Falten – und zwar Seite für Seite. Bis sich schließlich zwischen den Buchdeckeln das komplette Motiv herausschält, vergeht schon mal ein ganzer Tag. »Das Schöne daran ist: Man hat kein Ressourcen-Problem«, sagt Zigahn und lacht. Sein Material bezieht er von der örtlichen Stadtbibliothek und verschiedenen Buchläden. Dabei handelt es sich um Restbestände, für die sich kein Leser oder Käufer mehr findet. Thomas Zigahn holt diese Bücher ab und schenkt ihnen dann ein neues Leben: »Mir ist wichtig, dass möglichst wenig in der Tonne landet.«. Findet er unter diesen Büchern doch noch ein lesenswertes Exemplar, wandert es in das Tauschregal seines Ladenlokals in Dinslaken. Einen eher praktischen Upcycling-Ansatz verfolgt dagegen der Hannoveraner Gert Schmidt, der eine »Agentur für zukunftsfähiges Handeln« betreibt . Anlässlich der 900-Jahr-Feier des Stadtteils Linden hat er das Projekt »Notizzettelbox« ins Leben gerufen. Hierfür sammelt er neben ausrangierten Büchern auch Geschäftspapier, Poster, Flyer und Broschüren von Lindener Kultureinrichtungen und Unternehmen. In Kooperation mit der Buchbindereien werden aus den einzelnen Seiten viereckige Bereiche in Größe eines Notizzettels gestanzt. Zusammengehalten werden die Stapel durch eine faltbare Papierbox, die ebenfalls ausschließlich aus Recycling-Material besteht. Die so genannte Linden-Edition soll noch in diesem Frühjahr erhältlich sein. Grundsätzlich können Interessierte sich aber auch ihre ganz persönliche Notizzettelbox erstellen lassen. Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass die Seiten auch Bereiche enthalten, die anschließend neu beschrieben werden können. Für das Bookrossing-Regal im Café K hat Xirxe heute die Bücherspende einer älteren

Dame dabei. Diese ist ins betreute Wohnen umgezogen, hat einen Großteil ihrer Sammlung daher abgegeben. Darunter Romane und Thriller von Hans Habe, Maeve Binchy und Catherine Cookson und auch ein Ratgeber »Mütter mit Beruf« von 1981. »Bookcrossing birgt eine große Gefahr«, warnt Xirxe zum Abschied noch. »Die meisten Leute melden sich an, um Bücher loszuwerden. Meist artet es aber dann ins Gegenteil aus.« So lange man die gelesenen Schmöker allerdings wieder freilassen kann, muss man auch kein schlechtes Gewissen mit sich herumtragen. Schließlich wusste schon Hermann Hesse: »Von den vielen Welten, die der Mensch nicht von der Natur geschenkt bekam, sondern sich aus dem eigenen Geist erschaffen hat, ist die Welt der Bücher die größte.« Lisa Stegner Mehr Infos: www.bookcrossing.de www.tanzaufruinen.de www.gsinfo.de

Gert Schmidt macht aus alten Büchern Zettelboxen.


30 Asphalt 04/2015 Danke für Ihr Engagement

Ja, ich unterstütze das Asphalt-Projekt! Ich übernehme ­eine Patenschaft für das Straßenmagazin, indem ich es mit dieser Summe fördere:

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[  ] einmalig [  ] monatlich

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Dieser Betrag soll zur Deckung der laufenden Kosten und zum weiteren Ausbau des Projektes ­verwendet werden. [  ] Ich bitte Sie, den Betrag von meinem Konto abzubuchen*: IBAN: BIC: [  ] Ich überweise den Betrag regelmäßig auf Ihr unten genanntes Konto. [  ] Bitte Spendenquittung zustellen Name/Vorname:

Herzlich willkommen!

An jedem letzten Dienstag im Monat trifft sich die Runde der Ehren­­amtlichen in den Asphalt-Redaktionsräumen. Da werden Veranstal­tungen organisiert, Info-Stände geplant und Ideen gesammelt, um die Arbeit von Asphalt engagiert zu unterstützen.

E-Mail (falls vorh.):

Besonders für unsere Asphalt-Verkäufe­rin­nen und -Verkäufer ist es wichtig zu spüren, dass viele Menschen hinter ihnen stehen – und ich freue mich, wenn Sie sich dieser lebendigen Runde anschließen möchten!

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Das nächste Treffen ist am

Straße/Hausnr.: PLZ/Ort:

Einfach per Post oder Fax an: Redaktion Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Fax: 0511  –  30 12 69-15

Dienstag, den 28. April, um 17 Uhr.

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Rufen Sie mich einfach vorher an: 0511 – 30 12 69-26. Herzlichst, Ihr

Reent Stade, Asphalt-Geschäftsführer

Asphalt dankt: J. + E. May, F. Degotschin, V. Beck, H. Peter, D. + R. Meintke, G. + H. Stephan, A. Stadtlaender, Das Spenden-Lädchen, W. Heinecke, K. Siemer, J. + E. Schmidt, V. Grahn-Waterstradt, R. Mieschner, M. Liptow, B. Graf-Gerlach, F. Mueller, J. Mahl, M. Blank, I. Moehlmann, U. Wegner, Dr. G. KochWagner, V. Busch, A. B. Nagel, L. van der Starre, H. Goehmann, D. Hahn, J. Busch, M. J. Graf von der Goltz, F. Stevens, M. Vester, N. Derben, S. Haddenhorst, H. Chattelin, K. Vatterott, G. Thienel, M. Roeben, H. Mueller, A. Tsikas, D. Schmidt, H. Weisse, Hellberg, R. Klonus, H.-W. Goehlich, W. Riechers, A. Weber, S. Schueller, U. Wiesner, G. Tobies, K. Heckmann, K.-H. Miesner, G. Ahlbrecht, J. Freund, K. Schaefer, H.-P. Dobmeier, B. + W. Heise, D. Wolde, C. + D. Faerber, H. Harms, M. Wehrmeier, G. + A. Gaedtke, V. Bauriegel, L. Krämer, A. Lichtenberg, M. Gersdorf, K. Domina, E. Bleckmann, U. + G. Mesch, W. + H.-J. Schmidt, R. Moslener, H. Seehafer, O. Grunert, H.-U. + G. Menge, J. Holze, K. Prenzler, M. Mueller, A. Kosbahn, J. Wieduwilt, H. BeckerPowelske, H. Ahrens, S. Schwarz, D. Wurl, L. Richter, H. Fuerstenberg, M.-L. Richter, H. Haessig, W. + K. Troebs, M. Dzambasevic, M. + H. Abramski, G. Szklarski, H.-J. Behrendt, K. Jansen, P. Guelzow, W. + E. Kreimeyer-von Morstein, G. Moritz, S. + H. Thiele, B. Witte, G. Pelleter, E. Ahke, R. Mallwitz, M. Anders, D. + I. Schiffling, H.-K. + M. Schoenhagen, E. Fischer, H. Schimanski, S. Kreusel, U. + Dr. H. Glashoff, W. + S. Siegmund, S. Ziesing, D. Bannuscher, Fr. Kutter-Schrader, H.-W. Seider, N. Sandermann, R. Kallidat, B. + H.-J. Nicolai, M. + Prof. Dr. R. Schnuell, G. Noack, K. Herold, H. Gueldenbeck, G. Schroeder, C. Greiff, K. Backhaus, U. Haack, M. Lindenthal, H. + E. Ringe, R. Koenig, T. Schenk, W. Truemner-Pinzel, von Samson-Himmelstjerna, L. + E. Dunst, M. Franke, J. Fiedler, K. Kisser, A. Zwingelberg, B. Langhorst, M. + S. Toussaint, G. Bartscher, I. Lecher, W. Wolsing, H. Selch, M. Schulz, J. Walter, K. Purwin, H. Schaefer, R. Linnhoff, W. Bruns, B. Vajen, O. Seehawer, K. Jochim, U. Bartram-Polaschyk, C. Hakim, M. + H. Papenberg, C. Zarling, H. Eagan, H. + H. Knoche, H. Steltmann, R. Kniggendorf, D. Schulz, S. + L. Steiner, M. Geyh, F. Derkow, K. Kurzich, A. Mueller, H. Durst, R. + D. Posniak, K. Gerwig, D. van der Laan, A. Baltrusch, D. Rampke, B. Reinders, F. Luedtke, A. Ellerbeck, E. + H. Schiffmann, C. Poerschke, A. Cwienk, H.-L. + F. Bertram, R. Koenig, H.-L. Fricke, U. Schneider, R. Engelmann, M. Buentjen, W. Schoemberg, I. Glück, M. Irle, H. Fricke, C. Beltemann, I. Jordan, H. Kuck, H. Baumann, K. Buetefisch, R. Preller, R. Koetter, W. Schenke, M. Hempel, N.-F. Rath, I. Junge, M. + H. Olschewski, L. Benz, G. Kamke, S. Steinfeldt, L. Anders, Bitte kaufen Sie Asphalt nur bei Ver­käuferInnen M. Zwingmann, W. Muenster, I. Metze, P. Toennies, G. Kaevel, G. Mackensen, mit gültigem Aus­weis! G. Schumacher, E. Busse-Schlichtmann, K. Brauns, G. + H. Mensching, Zurzeit gültige Ausweisfarbe (Region Hannover): Orange M. + G. Sonnenberg, H.-G. Bordeaux, R. Joachim, W. Kotschy, R. Tute sowie allen anonymen Spendern und allen Asphalt-Patinnen und -Paten.

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Silbenrätsel Asphalt 04/2015 31

Aus den nachfolgenden Silben sind 17 Wörter zu bilden, deren erste und vierte Buchstaben – jeweils von oben nach unten gelesen – ein Sprichwort ergeben:

Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunsch­ gewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstrasse 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; Fax: 0511 – 30 12 69-15. all – an – bein – chiem – cket – dae – ei – eis – E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de er – flo – ge – gi – han – hen – il – land – le – Einsendeschluss: 30. April 2015. Bitte vergesler – li – lo – mai – mark – ne – ne – ne – no – sen Sie Ihre Absenderadresse nicht! on – on – os – ra – rad – re – se – see – sen – ten – ti – trieb – wo Unter den Einsendern der richtigen Lösung verlosen wir viermal den durch ungeheure Wucht und Sprachgewalt beeindruckenden Erlebnisroman »Tosende Stille« 1. Städtebund von Janice Jakait, die als erste Deutsche den Atlantik in einem Ruderboot überquerte: 2. Nebenfluss zur Donau monatelang den Elementen ausgesetzt, von Seekrankheit, Schlafstörungen, Hitze, Haien, Walen und Delfinen begleitet, ru­­der­ 3. Edelgas 4. Fahrkarte 5. Laubbaum 6. Glaubenslehre 7. Staat im Norden 8. Schwermetall 9. Hauptstadt in der Lombardei 10. Hauptstadt von Norwegen 11. Pflanzenwelt 12. ein Fleischgericht 13. Zensuren 14. große Welle 15. Betriebsart des Autos 16. größter See Bayerns 17. weibliches Geflügel

Die Lösung des März-Rätsels lautet: Sich selbst über­winden ist der grösste Sieg.

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­te sie täglich zehn bis zwölf Stunden ihrem Ziel entgegen und begegnete dabei vor allem sich selbst. »Das Haus, in dem es schräge Böden, sprechende Tiere und Wachstumspulver gibt« von Tom Llewellyn ist ein ganz besonderes Lesevergnügen für Menschen ab zehn Jahre: Seit Jacob und Charlie in das Haus mit den schrägen Böden und der Nachbarstochter Lola eingezogen sind, ist ihr Leben voller merkwürdiger Ereignisse. Die Sache mit dem Wachstumspulver geht noch mal gut aus, aber welche Geheimnisse birgt der Trau-dich-ganz-nach-oben-Raum? Viermal für Sie. Schriftsteller Alex Capus, der schon zahl­ reiche Preise erhielt, lebt in Olten in der Schweiz. Dort hat er fünf Nachbarn, die alle Urs heißen. An milden Sommerabenden trifft er sich mit ihnen auf dem kleinen Kiesplatz, um Würstchen zu braten und sich die Welt erklären zu lassen. Auf der CD »Mein Nachbar Urs«, die wir viermal für Sie haben, liest Alex Capus selbst seine skurrilen Geschichten aus der Kleinstadt.


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