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Skihochtour: Wie früh ist früh genug?

„Der frühe Vogel fängt den Wurm!“ Das trifft vor allem zu, wenn wir uns auf Skihochtouren begeben oder generell im Hochgebirge unterwegs sind. Aber wie früh ist denn eigentlich früh genug und worauf kommt es an, wenn wir unseren Zeitplan für den nächsten Tag festlegen?

von Thomas Wanner

Der Hauptgrund, weshalb wir im Spätwinter früh aufstehen müssen, hängt vor allem mit der nächtlichen Abstrahlung zusammen. Klare Nächte begünstigen diesen Prozess. Bei Durchzug von Wolken oder gar Nebelbänken tritt ein gegenteiliger Effekt ein. Die abgestrahlte Wärme wird von den Wolken reflektiert – in Summe verliert die Schneedecke also viel weniger Energie, als dass sich ein tragfähiger Harschdeckel ausbilden könnte. Weitere Faktoren, die einen tragfähigen Schmelzharschdeckel begünstigen, sind tiefe Temperaturen und eine niedrige Luftfeuchtigkeit. So weit, so gut. Aber wie sieht denn jetzt die konkrete Zeitplanung aus?

Die allgemeine Faustregel, dass man zur Mittagszeit im Tal bzw. auf der Hütte sein sollte, ist in jedem Fall eine gute Ausgangsthese.

Unter normalen, stabilen Verhältnissen wäre das eine sinnvolle Empfehlung. Einer Korrektur bedarf es, wenn die nächtliche Abstrahlung nicht optimal war, wenn die Kältereserven in der Schneedecke aufgrund der vorherigen warmen Tage aufgebraucht sind oder wir einen raschen Temperaturanstieg erwarten. In diesem Fall sollten wir eine oder sogar zwei Stunden früher unterwegs sein und am späten Vormittag die Tour beenden.

Gefahr erkennen

Unter Umständen gibt es auch Situationen, wo man eine Tour abbrechen sollte und erst gar nicht zu starten braucht. Klassische Beispiele wären Nebel, der ein Ausstrahlen der Schneedecke gänzlich verhindert, oder Regen, der die Schneedecke noch zusätzlich schwächt. Ein Sonderfall wäre der Durchzug einer Kaltfront am Nachmittag, der zwar niedrige Temperaturen zur Folge hat, aber die völlig durchnässte Schneedecke durch den frischen Neuschnee am Ausstrahlen hindert. Dies in Kombination mit einer starken Tageserwärmung war z. B. der Grund für den Lawinenunfall in Vent im Frühjahr 2024. Eine niederländische Tourengruppe, die am 11.4.2024 auf dem Weg zur MartinBusch-Hütte war, wurde gegen 11.00 Uhr von einer Lawine überrascht. Drei Personen kamen dabei ums Leben.

Umgekehrt gibt es aber auch im Spätwinter noch Situationen, wo man nach der Mittagszeit noch bedenkenlos unterwegs sein kann. Eine tendenziell kühle Wetterlage kann auch im April noch zu sehr frostigen Bedingungen am Berg führen. Die Gefahr von Nassschneelawinen ist dann naturgemäß sehr gering. Auch Föhnwetterlagen führen häufig dazu, dass die Schneedecke nicht aufweicht, da der kontinuierliche Windstrom die Verdunstung fördert und der Schneedecke ständig Wärme entzieht.

Der Föhn, den wir im Tal als warmen Wind wahrnehmen, ist am Berg viel kälter, da sich die Luft erst auf dem Weg ins Tal aufwärmt. Ein typischer Anfängerfehler ist also, zu glauben, dass man bei Föhnwetterlagen auf die warme Zwischenschicht verzichten kann. Föhnlagen führen häufig dazu, dass es überhaupt nicht auffirnt. Jeder, der einmal eine Firntour bei Föhnlage geplant hat und dann enttäuscht über den pickelharten Schmelzharschdeckel abfahren musste, weiß, wovon hier die Rede ist.

Während man südseitig bereits mit der Durchfeuchtung der Schneedecke konfrontiert ist, findet man nordseitig häufig noch Pulver.
Foto: Thomas Wanner

Sorgfältig planen

Wie kommt man aber zu all diesen Informationen, um die Tour für den nächsten Tag richtig zu planen? Das genaue Studieren des Wetterberichts ist sicherlich ein guter Anfang, um sich ein grobes Bild der Situation zu machen. In der Lawinenprognose ist auch sehr detailliert beschrieben, wie sich die aktuelle Situation darstellt und ob mit einem wesentlichen tageszeitlichen Anstieg der Gefahr zu rechnen ist. Wer in der Früh noch die Möglichkeit hat, online Informationen einzuholen, der sollte vor allem zwei Portale nutzen.

Auf foto-webcam.eu findet man ein mittlerweile recht gut ausgebautes Netz an Webcams, die für ihre Aufnahmen Langzeitbelichtungen von hochauflösenden Fotokameras verwenden. Das Ergebnis sind außergewöhnlich scharfe und helle Aufnahmen auch bei Nacht, die die Wolkenbedeckung sehr gut erkennen lassen. In kürzester Zeit kann man sich so einen Überblick über die Wolkenbedeckung der vergangenen Nacht machen und daraus rückschließen, wie gut die Schneedecke ausgestrahlt hat.

Eine zweite Möglichkeit wäre das Abrufen der Informationen einer möglichst nahe gelegenen Wetterstation. Dort findet man fast immer Informationen über die relative Luftfeuchtigkeit bzw. die Taupunktkurve und die Oberflächentemperatur der Schneedecke. Eine niedrige relative Luftfeuchtigkeit bzw. ein großer Unterschied zwischen der Taupunkt- und der Lufttemperaturkurve bedeutet, dass die Luft sehr trocken und die Voraussetzung für eine starke Abstrahlung entsprechend gut war. Wer auf einer Hütte stationiert ist und keinen Zugang zum Internet hat, der ist gut beraten, bei heiklen Situationen am Abend, zwischenzeitlich in der Nacht und sehr zeitig in der Früh nochmals vor die Hütte zu gehen und die Situation zu evaluieren. Ein dünner Harschdeckel oder, noch schlimmer, der „Sumpf“ vom Vortag sind dann sehr kritisch zu bewerten und ein guter Grund, auf die Tour zu verzichten.

Richtiges Verhalten

Zum Abschluss noch ein paar Hinweise zum richtigen Verhalten bzw. der notwendigen Ausrüstung bei Frühjahrsskitouren: Anders als im Hochwinter erwarten wir im Frühjahr in der Regel keine trockenen Schneebrettlawinen, sondern eher nasse Lockerschneelawinen. Das bedeutet, dass dem Lawinenairbag entsprechend weniger Bedeutung geschenkt werden sollte, da dieser bei Nassschneelawinen wenig Sinn macht. Das Gleiche gilt für die Tourenplanung mittels der Plattform skitourenguru.ch, die vor allem für den Hochwinter und für trockene Schneebrettlawinen gut funktioniert, aber keine Unterscheidung zwischen den einzelnen Lawinenproblemen abbilden kann und entsprechend bei der Nassschneesituation nicht gut geeignet ist.

Dafür ist die Absturzgefahr auf harten Firnanstiegen deutlich höher als im Hochwinter. Den Harscheisen bzw. leichten Steigeisen und einem leichten Pickel sollten im Frühjahr deshalb viel mehr Beachtung geschenkt werden. Der Helm ist auf Skitour mittlerweile ohnehin Standard, sollte im Frühjahr aber noch konsequenter zur Anwendung kommen, da die Mächtigkeit der Schneedecke geringer ist, Kollisionen häufiger und ernsthafter sind und der kompakte Schnee auch härter ist als im Hochwinter.

Wen es trotz guter Planung und Zeitmanagements erwischt und sich in Geländeabschnitten befindet, für die es bereits zu spät ist, sollte sich von möglichen Einzugsgebieten und Rinnen fernhalten und versuchen, einen sicheren Sammelpunkt auf erhöhten Geländeabschnitten zu finden. Nassschneelawinen folgen, anders als trockene Schneebrettlawinen, vordefinierten Sturzbahnen ähnlich einem Wasserlauf. Das Ausfliegen via Hubschrauber oder das Abwarten auf die Abendstunden, bis die Schneedecke anzieht und sich die Situation stabilisiert, sind dann die einzigen beiden Optionen, die noch bleiben.

Auf foto-webcam.eu lässt sich die Wolkenbedeckung während der Nachtstunden eruieren.
Foto: foto-webcam.eu

Autor: Thomas Wanner ist Mitarbeiter der Abteilung Bergsport im Österreichischen Alpenverein.

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