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Sind unsere Wege wetterfest?
from Bergauf #1.2025
Heißere Sommer, schneeärmere Winter – auch an der Wanderwegeinfrastruktur und den Naturraumnutzer*innen geht der Klimawandel nicht spurlos vorbei.
von Wolfgang Gurgiser und Marco Gabl
Das alpine Wegenetz in den Ostalpen ist weltweit einzigartig in seinem Umfang und seiner Dichte. Die Alpenvereinswege entstanden im Wesentlichen innerhalb weniger Jahrzehnte, beginnend im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, und umfassen heute annährend 40.000 km (Österreichischer Alpenverein und Deutscher Alpenverein). Im Vergleich zu damals haben sich Klimabedingungen, Nutzungsgewohnheiten und -ansprüche deutlich geändert. Jedes Jahr müssen die Wege von tausenden Ehrenamtlichen gewartet und instandgesetzt werden. Diese Aufgabe ist durch den Klimawandel umfassender geworden.
Geänderte Klimabedingungen
Ausgangspunkt für die klimatischen Änderungen in diesem Zeitraum ist der Anstieg der mittleren globalen CO2-Konzentration. In Kombination mit anderen Treibhausgasen hat der Anstieg zu einer globalen Erwärmung von aktuell ca. 1,3 °C geführt. Der regionale Temperaturanstieg im Alpenraum ist mit mittlerweile über 2 °C stärker ausgefallen, wobei ein Großteil der Erwärmung ab Mitte der 1980erJahre registriert wurde.
Die Veränderungen der Temperatur haben bisher keinen Einfluss auf die durchschnittliche jährliche Niederschlagsmenge in den Alpen. Der Niederschlag schwankt von Jahr zu Jahr weiterhin stark. So wurden beispielsweise von Herbst 2023 bis 2024 in einigen Regionen der Südalpen Rekordmengen an Regen gemessen. Allerdings führt der Temperaturanstieg dazu, dass immer weniger Niederschlag als Schnee fällt und einzelne Regenfälle intensiver werden.
Beim Wind, der besonders in bewaldeten Gebieten entlang von Wegen eine wichtige Rolle spielt, lassen sich keine klaren Trends erkennen – weder bei den durchschnittlichen Werten noch bei extremen Windspitzen. Es gibt nur wenige Messstationen, und die Werte schwanken stark. Fest steht jedoch, dass die Anzahl der Gewitter in den Alpen in den letzten Jahrzehnten leicht zugenommen hat. Diese Gewitter gehen oft mit starken, örtlich begrenzten Sturmböen einher, deren Wahrscheinlichkeit somit steigt.

Direkte Auswirkungen
Das alpine Wegenetz ist direkt von den veränderten atmosphärischen Bedingungen betroffen. Sehr bekannt sind dabei die Auswirkungen der steigenden Temperaturen und der verringerten Schneedecken(dauer) auf Gletscher und Permafrost, die viele, darunter auch historische Wege im Hochgebirge zumindest in der warmen Jahreszeit gefährlicher und teils unpassierbar machen.
In allen Höhenlagen stellen zunehmende Starkregenereignisse ein steigendes Risiko für Schäden an der Wegeinfrastruktur dar. Extreme Wetterereignisse können die Erosion der Wegoberfläche beschleunigen, Muren oder Rutschungen auslösen und so die Sicherheit auf den Wanderwegen punktuell beeinflussen. Insbesondere Steinschlag oder Felsstürze werden voraussichtlich häufiger werden und nehmen extremere Ausmaße an. Sturzprozesse treten spontan auf und sind im Gegensatz zu Großwetterlagen kaum vorhersagbar.
Lawinen richten ebenfalls Schäden an der Wegeinfrastruktur in allen Höhenlagen an. In tieferen Lagen ist durch die fortlaufende Abnahme der Schneebedeckung von einer Entspannung auszugehen. In mittleren Lagen ist zwar auch mit einer Abnahme der Schneebedeckung zu rechnen, allerdings in Bezug auf Lawinen auch eine Verschiebung der Häufigkeit hin zu schweren Nassschneelawinen, die mehr Schaden anrichten können. Ebenso bleiben diese sehr kompakten Schnee- und Eismassen besonders lange als oftmals schwer passierbare Altschneereste liegen und erschweren die Erreichbarkeit von Schutzhütten.
Ein sehr spannendes Thema in mittleren und tiefen Lagen betrifft die Frage, wie sich klimabedingte Schäden am Wald auf die Wegeinfrastruktur auswirken. Diese Schäden entstehen einerseits durch örtlich und zeitlich kaum vorhersagbare Fallwindböen im Zuge von Gewittern. Herausfordernd ist dabei die unmittelbare Gefahr für die Nutzer*innen und die nicht planbare Unpassierbarkeit auch längerer Wegstrecken. Andererseits führen das längerfristige Zusammenspiel von Klimastress und Schädlingen, insbesondere dem Borkenkäfer, zu noch großflächigeren und manchmal vollständigen Schädigungen von Wäldern. In der Folge fehlt auf den Wegen der natürliche Schutz vor Steinschlag und Lawinen. Auch Hitze wird durch die fehlende Beschattung während der Sommermonate insbesondere auf Wegen in tieferen und mittleren Lagen ein relevantes Thema.

In Zeiten steigender Temperaturen finden sich in den Alpen dank der Höhenlage viele Gebiete, in denen die Umgebungsbedingungen weit angenehmer als in den heißen Ballungsräumen in den Tälern und Vorländern sind. Ebenso wird eine weitere Erwärmung im Mittelmeerraum dazu führen, dass insbesondere im Hochsommer die Alpen als Urlaubsziel attraktiver werden. Folglich ist absehbar, dass die Nutzerfrequenz auf Wegen in mittleren und hohen Lagen besonders während Hitzewellen im Sommer weiter zunehmen wird. Gleichzeitig liegt während solcher Hitzewellen ein erhöhtes Potential für besonders starke Gewitter mit Starkregen und Sturmböen vor, die die Wege in Mitleidenschaft ziehen und die Wegnutzer in unmittelbare Gefahr bringen können. Eigenverantwortung ist das Gebot der Stunde.
Der Klimawandel bringt nicht völlig neue Herausforderungen für die Wegeverantwortlichen mit sich, verändert jedoch die Intensität und Häufigkeit bekannter Wetterphänomene. So suchen Wandernde an heißen Tagen vermehrt Abkühlung in schattigen Wäldern, in den Bergen oder an Gewässern, wodurch die alpine Wegeinfrastruktur an diesen beliebten Orten stärker beansprucht wird. Eine längere Wandersaison bedeutet außerdem aufwendigere Instandhaltungsarbeiten und Kontrollen der Wege, gleichzeitig eröffnen sich für Tourismusdestinationen neue Chancen und Möglichkeiten. Schon heute machen sich die Auswirkungen des Klimawandels aufs Wandern bemerkbar, etwa im Glocknergebiet, wo der Rückzug der Gletscher Felswände und -hänge instabil werden lässt. Dort mussten bereits markierte Steige gesperrt oder Ersatzwege angelegt werden. Um sich an diese Veränderungen anzupassen, ist es notwendig, Naturnutzer*innen verstärkt auf mögliche Naturgefahren aufmerksam zu machen und auf eine gründliche Vorbereitung hinzuweisen. Gleichzeitig bedarf es gezielter Unterstützung und Beratung der ehrenamtlichen Wegeerhalter des Alpenvereins, um ihr Engagement trotz steigender Herausforderungen durch Schadensrisiken und zunehmenden Nutzerdruck aufrechtzuerhalten.

Autor: Dr. Wolfgang Gurgiser ist Meteorologe und Koordinator des Forschungsschwerpunkts Alpiner Raum an der Universität Innsbruck. Er ist mit einer breiten Palette an Themen der Gebirgsforschung befasst.
Autor: Marco Gabl ist Mitarbeiter der Abteilung Hütten und Wege des Österreichischen Alpenvereins und leitet das Projekt av.geo. clim in Kooperation mit dem Institut für Geographie der Universität Innsbruck.
Info Wegenetz und Klimawandel
Mit dem Projekt av.geo.clim verfolgt der Alpenverein das Ziel, das Wanderwegwesen auf neue Herausforderungen durch den Klimawandel vorzubereiten, die Sicherheit zu erhöhen und die Naturraumnutzer*innen zu sensibilisieren. Infos gibt es hier: t1p.de/avgeo