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Eintauchen in die Langsamkeit
from Neu Nota Bene 13
by Mateo Sudar
Menschen mit Demenz verstehen –Eine Buchbeschreibung
„Menschen mit Demenz nicht nur zu versorgen, sondern auch zu verstehen, gehört mit zu den anspruchsvollsten Aufgaben in der Altenhilfe.“ Jeder, der in diesem Bereich eine Aufgabe hat, sei es professionell, ehrenamtlich oder auch in der Unterstützung und Pflege von Angehörigen, wird diesen Satz voll und ganz bejahen können. In ihrem kleinen Ratgeber greift Marianne Eisenburger die „andere Demenzkultur“ auf, über die in jüngster Zeit viel geschrieben und kommuniziert wurde und wohl auch zukünftig noch wird. Im ersten Teil des Büchleins geht es um die innere Haltung gegenüber der Krankheit und den erkrankten Menschen. Dabei hilft es zu verstehen, wie demenzkranke Menschen sind, was sie brauchen und welche Schlussfolgerungen daraus für unseren Umgang mit ihnen erwachsen. In unserer sehr vom Verstand und Vernunft geprägten Gesellschaft, denken wir nur an das Zitat von Descartes „Ich denke, also bin ich“, gehören die Krankheiten, die mit einem hirnorganischen Abbau verbunden sind, doch für die allermeisten Menschen zu den Schreckgespinsten unserer Zeit.
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Frau Eisenburger ist es ein Anliegen, ein anderes Bild von Menschen mit Demenz zu zeichnen. Sehr schön ist die bildhafte Beschreibung, was passiert, wenn Menschen an Demenz erkranken: Stellen sie sich ein Bücherregal vor, in dem die Bücher eines Lebens aufgereiht stehen. In diesem Regal sind die Ereignisse und Erkenntnisse eines Lebens in einzelnen Bänden gesammelt. Wenn jemand an Demenz erkrankt, fallen dann einzelne Bücher aus dem Regal und sind nicht mehr greifbar. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung kann auf immer weniger „Bücher“, also rationales Gedächtnis, zurückgegriffen werden.
Einfühlsam wird anhand von Beispielen erklärt, wie mit zunehmendem Vergessen die emotionalen Erfahrungen der frühen Kindheit wieder in den Vordergrund für das Verhalten der er- krankten Person treten. Dabei dürfen wir uns bei Begegnungen und im Kontakt mit erkrankten Menschen bewusst machen, dass wir es bei aller Unterstützungsbedürftigkeit nicht mit einem Kind, sondern mit einem erwachsenen Menschen zu tun haben, der sein Leben lang unabhängig war und sich selbst auch nicht als kindhaft erlebt. Gleichzeitig lebt der Mensch wieder vermehrt aus der Spiegelung seines Gegenübers, das ihm Wertschätzung, Halt, Geborgenheit und im besten Fall Liebe entgegenbringen kann. So gilt für die an Demenz erkrankten Menschen ganz besonders „Wir beeinflussen durch das, was wir sagen und machen und wie wir es tun, welches Selbstbild der Mensch von sich hat.“ Ein empathischer, behutsamer Umgang hilft dann auch, die durch die wahrgenommenen Veränderungen entstandene, große Verunsicherung und Angst, die erkrankte Menschen überfällt, zu mindern.
Das wird in dem Büchlein durch die Schilderung lebensnaher Beispiele wunderbar verdeutlicht. Auch, dass Menschen mit Demenz ihre Gefühle, die sich nach wie vor unvermindert einstellen, schlechter oder gar nicht mehr steuern können. Dabei wird das ganze Erleben zunehmend von Gefühlen bestimmt. Wo Vernunft und Verstand immer mehr an Bedeutung verlieren, treten für die Beziehungsbildung die Gefühle in den Fokus. Man weiß heute aus der Psychologie, dass „Gefühle, die wahrgenommen und bestätigt werden, sich abschwächen. Dagegen werden Gefühle, die nicht wahrgenommen werden, immer stärker.“ Dies gilt für gesunde und noch viel mehr für demenzkranke Menschen. Diese Menschen haben ein sehr feines Gespür für „echte“ Gefühle, aber eben auch für „falsche“ Äußerungen. „Trotz aller Dramatik gilt: Auch ein Mensch mit Demenz kann zufrieden leben, wenn Beziehung und Milieu stimmen.“ (Müller-Hergl 2003, 110) Ermutigend wird dem Lesenden nicht zu Letzt anhand von Beispielen alltagstauglich beschrieben, wie Beziehung und Milieu stimmig gestaltet werden können.
Nachdem im ersten Teil des Büchleins auf das Verstehen der Krankheit eingegangen und vieles über den Umgang mit erkrankten Menschen wohltuend praxisnah erläutert wird, geht es im zweiten Teil um die Psychomotorik (Motogeragogik) im Alter.
Dazu hat die Autorin selbst ein im Alltag gut anwendbares Konzept entwickelt, dessen Anwendung alte Menschen durch Bewegung unterstützt und fördert. „Leben ist Bewegung und Bewegung ist Leben“, und dabei ist Bewegung vielmehr als Fußball zu spielen oder zu wandern. Wir bewegen uns, um Gefühle zu zeigen, zum Beispiel in Umarmungen, oder auch um Dinge zu erkunden und zu erfühlen. Das motogeragogische Konzept ist der Versuch, Menschen, die sich nur noch wenig bewegen, ihre Bewegungsmöglichkeiten teilweise zurück zu geben. Dabei werden Anregungen für das Bewegen von außen gegeben. Die Motogeragogik fördert den Menschen durch Erfahrung des eigenen Körpers und des Selbst, durch Erfahrung der dinglichen Umwelt sowie durch Erfahrung der sozialen Umwelt. „Kontakt geht vor Funktion“ ist hierbei die Maxime, die beherzigt werden sollte. Auch dies wird anhand eines Beispiels eindringlich veranschaulicht: „Wenn der Mensch, der gerade möglichst schnell und gründlich seinen Rücken gewaschen bekommt, wahrnimmt: `Mein Rücken wird gerade gewaschen, als sei er ein Auto´, ist es nicht weit bis zu der Erkenntnis, `Ich bin nichts wert´.“ Gute Pflege ist wichtig, das stellt die Autorin in keiner Weise in Frage. Genau so wichtig ist jedoch die Atmosphäre, in der gepflegt wird. Bewegung und Wahrnehmung sind untrennbar miteinander verbunden, das geschieht über die Sinne und diese verbinden intuitiv mit gespei- cherten Erfahrungen. Weitere Szenen beschreiben, wie Alltagsbewegungen – und selbst allerkleinste sind wertvoll – provoziert werden und zum Wohlbefinden beitragen können. Durch Bewegung und Wahrnehmung erkennen wir die Dinge der Welt, es darf gefühlt, gerochen, gedreht und hantiert werden. Wenn andere Möglichkeiten, wie abstraktes Denken oder planendes Handeln längst in Vergessenheit geraten sind, bleibt diese Ebene der Intelligenz auch bei Demenzkranken erhalten. So werden leicht durchführbare und hilfreiche Ideen vermittelt, Aufmerksamkeit zu erregen, Abwechslung und Interesse zu wecken, aus der Lethargie zu holen. Parallel dazu erklärt Marianne Eisenburger auf gut verständliche Weise, wie unser Gehirn, auch das von an Demenz erkrankten Menschen(!), funktioniert und arbeitet. Zum Arbeiten benötigt das Gehirn Beschäfti-
Johanneshaus Bad Liebenzell-Monakam und Johanneshaus Bad Wildbad freuen sich über das erfolgreiche Examen als Demenzexpertin von Frau Elke Wagner und als Demenzexperte von Herrn Pedro Coman . Am Freitag, 16.11.2018, war es nach 200 Stunden des Lernens über einen Zeitraum von einem Jahr soweit.
Elke Wagner stellte Ihre Arbeit „Aufblühen im Alltag“ vor. Sie trug vor, wie man mit Empathie, kleinen Gesten, Aufmerksamkeiten und achtsamem Umgang demenziell erkrankte Menschen erreichen, ihnen auf Augenhöhe begegnen und die Herzen aller berühren kann. Die Umsetzung kleinerer und größerer Impulse ist aktuell bereits in der Einrichtung spürbar.
Pedro Coman überzeugte mit seiner Abschlussarbeit „Bewegte Momente für Menschen mit Demenz“. Er stellte Möglichkeiten vor, wie Menschen mit der Erkrankung Demenz gung, sinnvolle Beschäftigung. Und sinnvoll ist sie immer dann, wenn man sie selbst gewählt hat, so die Autorin. So kann das Zerrupfen einer Papierserviette oder einer Blume oder das mit dem Finger im Wasserglas Rühren, für einen Menschen durchaus sinnvoll, kreativ und schöpferisch sein, auch wenn sich für uns nicht an Demenz erkrankte Menschen der Sinn nicht ohne weiteres erschließt. Wir dürfen lernen, das zu respektieren ohne uns entmutigen zu lassen, auch dazu verhilft die Lektüre.
Das Schwierigste für uns „Helfer“ ist wohl „Nicht für die Menschen etwas machen, sondern mit Ihnen“. Das fordert unser Umdenken heraus. Es geht nicht darum, etwas schön zu machen, wie wir es gewohnt sind und gerne tun: Den Tisch schön zu decken, das Bett schön zu machen und vieles mehr. „Wir verwöhnen den Menschen mit Demenz, wenn wir ihn in die Lage bringen, etwas selbst zu machen.“ Und dabei, wenn überhaupt, unauffällig abgestufte Hilfe geben, eine Hilfe die ihm nicht vermittelt „Wieder etwas nicht gekonnt“ Wie wunderbar wenn es gelingt, Handlungen anzubahnen, die Menschen mit Demenz weiterführen können, mit dem Gefühl „Das habe ich selbst gemacht“ und sich dabei als kompetent erleben. Das erzeugt Glücksgefühle, ganz bestimmt auch bei den Helfenden!
Das kleine, kurz gehaltene Buch ist ein äußerst informativer und hilfreicher Ratgeber und sehr empfehlenswert für alle, die Menschen mit Demenz begleiten, pflegen und besser verstehen wollen.
Ursula Dehner
Ein Ratgeber von Marianne Eisenburger, erschienen im Vincentz Verlag, ISBN Nr. 978-3-86630-202-0