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Keine Selbstläufer

Freihandelsabkommen

Für EU-Freihandelsabkommen scheint 2019 ein gutes Jahr zu sein. Im Februar trat ein Abkommen mit Japan in Kraft und das EU-Parlament stimmte einem Vertrag mit Singapur zu. Außerdem hat sich die EU im Juni mit dem Staatenbund Mercosur auf ein Abkommen geeinigt sowie ein weiteres mit Vietnam vereinbart. Für Unternehmen bedeutet das viele Vorteile, aber auch jede Menge Hausaufgaben.

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Manche Dokumente dürfen nur mit blauer Tinte unterschrieben werden. Oder der Behandlungs standard gegen Schädlingsbefall muss auf jedes einzelne Brett einer Palette gestempelt sein. Solche Vorschriften können in Argenti nien oder Brasilien plötzlich kommen. Und sie können bewirken, dass Sendungen nicht abgefer tigt werden. Marc Bauer kennt als Außenwirtschaftsexperte bei der IHK Region Stuttgart noch viele weitere Anforderungen, die den Warenverkehr mit Südamerika erschweren. Dazu zählen auch eine langsame Zollabwicklung und hohe Importzölle.

Zollvorteile durch EU-Mercosur-Abkommen

Zumindest die letzten beiden Punkte könnten sich in Zukunft mit dem angestrebten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ändern. Es sieht vor, dass 91 % der Export-Zölle auf EU-Waren und 92 % der Import-Zölle auf Mercosur-Güter entfallen. „Und wenn die Vereinbarung eine bessere Verwaltungszusammenarbeit unterstützen kann und Dinge zuverlässiger laufen, dann hat das neben einer Zollsenkung einen sehr großen Wert“, sagt Bauer. Julian Thomas, Leiter der Region Südamerika Ostküste bei Hamburg Süd, meint, dass der Wegfall der Zölle „ein wichtiger Katalysator für den Warenaustausch zwischen beiden Wirtschaftsräumen“ sein wird. Die Reederei bietet seit 1871 Liniendienste nach Südamerika an. Heute gehen als Ladung nach Brasi lien zum Beispiel viele Chemikalien, Autoteile und Maschinenbau-Pro dukte, während nach Europa etwa Sperrholz für die Möbelindustrie sowie Kaffee und Früchte transpor tiert werden.

15 Jahre bis zur vollständigen Umsetzung?

Thomas rechnet damit, dass es in Südamerika „voraussichtlich ein Jahr dauern“ wird, bis die nationa len Parlamente das Abkommen durchgewunken haben. „Seitens der EU ist wohl eher von zwei Jahren auszugehen“, vermutet er. Denn außer dem EU-Parlament müssen auch alle 27 Mitgliedstaaten zustimmen. Der hessische Pharma- und Medi zinbedarfs-Hersteller B. Braun Melsungen exportiert in die Mercosur-Staaten. B.-Braun-Logistikdirektor Frank Schröer erwartet von dem Freihandelsabkommen „Reduzierungen bei den Importzöllen von derzeit 10 bis 14 %, bei einigen Produkten in Richtung Null“. Zudem hoffen die Tochtergesellschaften auf Bürokratie-Abbau und dadurch deutlich beschleunigte Prozesse. „Allerdings sind die Erwartungen bezüglich der zeitlichen Umsetzung des Abkommens nicht hoch“, sagt Schröer. Seine südamerikanischen Kollegen gehen davon aus, dass es „10 bis 15 Jahren bis zur vollständi gen Implementierung“ dauern kann. Nicht nur Organisationen wie Green peace, Foodwatch oder Rettet den Regenwald wollen das Abkommen verhindern. Auch die Staatschefs aus Frankreich, Irland und Luxemburg haben gedroht, es im EU-Ministerrat zu blockieren. Zudem könnten politi sche Unwägbarkeiten in Südamerika den Weg zum Abkommen erschweren. Dennoch scheint das Interesse der Wirtschaft an dem Abkommen groß. Arne Olbrisch, Leiter Außenwirt schaftspolitik und -recht bei der Handelskammer Hamburg, berich tet: „Unsere Mitgliedsfirmen fragen nach dem Stand der Verhandlungen und wollen wissen, wo sie weitere Details finden – zum Beispiel Pläne für den Zollabbau, Ursprungsregeln und -nachweise.“

JEFTA-Umsetzung war deutlich einfacher

Politisch einfacher umzusetzen war das Handelsabkommen der EU mit Japan, JEFTA, das seit 1. Februar 2019 in Kraft ist. Durch JEFTA fallen 97 % der Zölle nach Japan weg und umgekehrt über 90 % der EU-Zölle für japanische Waren. Marc Bauer freut bei dem Abkom men besonders der Schutz geografischer Angaben für schwäbische Maultaschen. Ansonsten herrscht unter Außenhandelsexperten wenig Euphorie. Skepsis gibt es vor allem angesichts des kompli zierten Warenursprungs- und Präferenzrechts.

„Die Präferenzen zu prüfen, ist außerordentlich kompliziert und mit keinem anderen EU-Abkommen zu vergleichen“, meint etwa der A EB-Außenw ir tschaf tsex per te Carsten Bente. Auch Bauer mit seinen 22 Jahren Berufserfahrung findet die Regeln so schwierig, „dass kein großes Unternehmen die Präferenzen für den Export nach Japan umsetzen kann“. Und sein norddeutscher Kollege Olbrisch empfiehlt: „Unternehmen müssen ihre zuständigen Mitarbeiter speziell für die Anwendung von Präferenzregelungen qualifizieren oder sich von externen Experten beraten lassen.“

Verlockende Vorteile durch JEFTA

Trotz aller Hindernisse sind die Einsparmöglichkeiten durch JEFTA aber für viele Unternehmen sehr verlockend. Deutsche Maschinenbauer erwarten teilweise jährliche Bei dem 180 Jahre alten Familienunternehmen sind Waren aus dem Kunststoffbereich, Dichtungen und

„Bei JEFTA die Präferenzen zu prüfen, ist außerordentlich kompliziert und mit keinem anderen EU-Abkommen zu vergleichen.“

Carsten Bente, AEB

Einsparungen in Höhe eines zweistelligen Millionen-Euro-Betrags, im Automobilbereich sind es noch mehr. Mit weniger Zollabgaben rechnet auch Pharma- und Gesundheitsspezialist B. Braun. „Durch die Erklärungen zum Ursprung erwarten wir Zolleinsparungen bei den Lieferanten aus Japan in einer Größenordnung eines niedrigen sechsstelligen Bereiches pro Jahr“, sagt Schröer. Filter betroffen. Alle anderen Produkte hat B. Braun auch schon vor JEFTA zollfrei aus Japan eingeführt. Beim Import will das Unternehmen laut Schröer „die Vorteile definitiv nutzen“. Die bisherigen Erfahrungen sind gut: „Anfangs wurden die Dokumente aus Japan durch den Zoll intensiver geprüft, dies hat sich aber zwischenzeitlich normalisiert.“ Das Schneidwarenindustrie-Unter-

Präferenzieller Ursprung Damit ein Unternehmen die Zollpräferenzen eines Freihandelsabkommens nutzen kann, muss es genau nachweisen, dass die Ware den „präferenziellen Ursprung EU“ hat. Das ist für jedes noch so kleine Einzelteil akribisch zu belegen und in ein Harmonisiertes System (HS) zollrechtlich einzureihen. Die HS-Codes bedeuten nach Erfahrung von AEB-Außenwirtschaftsexperte Carsten Bente eine Herausforderung: „Zwar sind sie weltweit harmonisiert und die ersten sechs Ziffern vereinheitlicht, aber dieselbe Ware unterliegt in der Praxis in unterschiedlichen Ländern nicht immer denselben HS-Codes.“ Toleranzregeln legen für den präferenziellen EU-Ursprung fest, wieviel Prozent eines Produkts außerhalb des EU-Raums hergestellt sein dürfen. Jedes Freihandelsabkommen hat sein eigenes Regelwerk, für Unternehmen mit weltweiten Handelsbeziehungen kann sich das zu einem kaum zu durchdringenden Dickicht auswachsen. Die Herausforderung: Den Überblick behalten, mit welcher Ursprungsregel welche Ware in welchem Zeitraum zollbegünstigt (oder zollbefreit) eingeführt werden kann.

AEB-Software unterstützt JEFTA „Damit Kunden die Vorteile von JEFTA nutzen können, müssen sie die verwendeten Ursprungskriterien in codierter Form, also die Ursprungsregeln, angeben“, erklärt Carsten Bente für das AEB-Produkt „Supplier Declaration Exchange“. Das Kriterium steht sowohl im Geschäftspartnerportal auf Positionsebene als auch in der Artikelliste und Schnittstelle für die Übergabe von Nachweisen an Vorsysteme zur Verfügung. Auch in die AEB-Lösung „Origin & Preferences“ wurden neue Funktionen und Änderungen implementiert, um JEFTA vollständig abzubilden. Dabei stehen die Pflege und Verarbeitung der Ursprungskriterien im Fokus. Unternehmen, welche die AEB-Lösungen zur Nachweisverwaltung von Handelsware einfüh ren wollen, sollten dafür eine Projektlaufzeit von mindestens drei Monaten einplanen. Für Her steller, die mit eigenen Stücklisten Kalkulationen durchführen, ist eine Projektlaufzeit von mindes tens einem halben Jahr realistisch. Neben der Einführungsunterstützung bietet AEB fachliche und softwarespezifische Schulungen an.

nehmen Zwilling J.A. Henckels mit Hauptsitz in Solingen will ebenfalls von JEFTA profitieren. Makiko Nonaka, Supply-Chain-Managerin bei Zwilling in Seki, nimmt Küchenmesser aus dem lokalen Werk als Beispiel. Bislang war dafür in Deutschland ein Zollsatz von 8,5 % zu entrichten, durch JEFTA fällt dieser weg. „Bei einem Warenumsatz von 50.000 Euro lassen sich so 4.250 Euro einsparen“, rechnet sie vor.

Software fit machen

Für Haushaltsartikel wie von Zwilling, die aus einfachen Stücklisten bestehen, lassen sich die JEFTA-Vorteile auch leichter nutzen. „Wir haben mit Positionswechseln beim Zolltarif begonnen“, berichtet Nonaka. Das erfordere keine komplizierten PSR-Berechnungen (Product Specific Rules of Origin) wie bei Maschinen- oder Automo bilunternehmen. „Langfristig wollen wir das Abkommen natürlich auch exportseitig nutzen, aber ohne EDV-Unterstützung ist das sehr schwierig“, meint Schröer von B. Braun. Als größte Herausforderung sieht der ChefUrsprungsregel aus einer Langzeitlieferantenerklärung (LLE) einpflegen zu können. Außerdem muss die Information via Schnittstelle dann auch an das ERP-System übermittelt werden, damit sie auf der Faktura abgedruckt werden kann.“ Der Aufwand sei auch intern nicht zu unterschätzen.

„Für den Export ist EUSFTA uninteressant, weil es jetzt schon keine Zölle in Singapur gibt. Aber als Zukunftsmodell, das später zu EU-ASEAN integrierbar sein könnte, ist das spannend.“

Marc Bauer, IHK Stuttgart

logistiker, „dass je Position die angewendete Ursprungsregel angegeben werden muss. Es braucht zum Beispiel zusätzliche Felder, um die B. Braun arbeitet mit Software unterschiedlicher Anbieter, unter anderem des IT-Unternehmens AEB SE. Mit dessen Lösungen lässt sich

ein hoher Automatisierungsgrad beim Thema Ursprungspräferenzen erreichen, was entscheidende Vorteile mit sich bringt: „Die Rechtssicherheit steigt erheblich und die Fehlerquote lässt sich deutlich reduzieren“, erklärt Bente. Dennoch: Zum Selbstläufer wird die Nutzung von Freihandelsabkommen dadurch nicht. „Es ist ein hohes Maß an IT-Kompetenz gefordert, um die richtigen Daten zur richtigen Zeit zu übertragen“, warnt der Senior Consultant des Softwareanbieters AEB, dessen Lösungen bereits fit für JEFTA sind – etwa die Software „Supplier Declaration Exchange“.

Freihandel mit Vietnam ab 2020

Vor allem für die Textilindustrie von großer Bedeutung ist das Freihandelsabkommen mit Vietnam, das Anfang 2020 in Kraft treten soll. Innerhalb von zehn Jahren werden 99 % aller Zölle beseitigt. Dadurch lässt sich viel Geld sparen. Diese Einsparungen müssen sich Unternehmen wie Schöffel Sportbekleidung, die einen bedeutenden Anteil in Vietnam produzieren lassen, aber erst mühsam erarbeiten. „Man unterschätzt die Komplexität, es gibt einiges zu prüfen“, sagt Matthias Freißl, Fracht- und Zoll-Manager bei dem Familienunternehmen in Schwabmünchen. Für alle in Vietnam gefertigten Textilien müssten im Vorfeld Warenmuster an die Zollbehörden geschickt werden. Dabei könnte es sich um bis zu 500 Stück pro Jahr handeln. Für jedes einzelne Kleidungsstück wird eine verbindliche Zolltarifauskunft benötigt, weil es unterschiedliche Zollabbaustufen gibt. Während es bei unbeschichteten Herrenjacken aus Baumwolle zum Beispiel sieben Jahre sind, dauert es für das gleiche Polyester-Modell nur fünf Jahre. Für andere Warennummern wie beschichtete Herrenregenjacken sinkt der Zollsatz von derzeit 12 % in einem Zeitraum von drei Jahren auf 8 und 4 bis auf 0 %. Im Rahmen des Abkommens können nur Oberstoffe aus der EU oder Vietnam eingesetzt werden.

Alternative: Passive Veredelung? Zunächst hat Schöffel aber Zusatzkosten durch Mehraufwand. „Alles muss händisch gemacht werden. Wir prüfen sehr genau, ob wir das Zollabkommen überhaupt anwenden“, sagt Freißl. Die bessere Alternative zum Freihandelsabkommen kann bei größeren Warenmengen die passive Veredelung sein. Bei diesem Zollverfahren werden EU-Waren in Vietnam veredelt, bei der Wiedereinfuhr sind dann nur die Lohnkosten zu verzollen. „Dafür brauche ich Stücklisten und Kalkulationen“, erklärt Freißl. Und weil das noch mehr Aufwand bedeutet, empfiehlt er, das Freihandelsabkommen „spätestens zwei Jahre nach dem Inkrafttreten“ zu nutzen. Interessant ist für Schöffel, dass

Südkorea passiv an dem Abkommen teilnimmt. Materialien aus Südkorea sind in der Ursprungseigenschaft gleichgestellt mit Materialen aus der EU und Vietnam. Ähnliches regelt die ASEAN-Kumulierung als Perspektive des Abkommens mit Singapur (EUSFTA), das das EU-Parlament im Februar gebilligt hat. Bis Jahresende soll es in Kraft treten und innerhalb von fünf Jahren fast alle Zölle beseitigen. „Für den Export ist das uninteressant, weil es jetzt schon keine Zölle in Singapur gibt. Aber als Zukunftsmodell, das später zu EU-ASEAN integrierbar sein könnte, ist das spannend“, freut sich Bauer auf

dieses neue Freihandelsabkommen.

Die Autorin: Kerstin Kloss dachte am Anfang ihrer Recherche für diesen Artikel, dass die bislang 35 Freihandelsabkommen der EU nicht gerade viel seien. Inzwischen weiß sie, wie komplex das Regelwerk dahinter ist – und dass die Abkommen für Unternehmen viele Vorteile, aber auch jede Menge Hausaufgaben bedeuten können.

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