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Kammermusik@ZKO: Zwischen Idylle und Revolution

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Familienkonzerte

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ZWISCHEN IDYLLE UND REVOLUTION

Musik steht immer, selbst wenn sie es eigentlich nicht möchte, in einem Spannungsfeld mit ihren historischen, biografischen und rezeptionstechnischen, also ihren die Wahrnehmung betreffenden Begebenheiten. Das wussten auch die Komponisten dieses Programms.

TEXT LION GALLUSSER

Wenn man für den Parcours durch diese Matinée die eingangs geschilderte Perspektive einnimmt, landet man, chronologisch gesehen, zunächst bei Joseph Haydn. Dessen viel zitiertes Bonmot, dass er angeblich fern von der Welt (als gut bestallter Hofkomponist bei den Fürsten Esterházy) «original», also zum Klassiker, werden «musste», spricht Bände für die Haydn-Vorstellung, die sich bis heute hält. Dabei war Haydn ein gewiefter Geschäftsmann, der den Musikalienmarkt aus der Ferne zu seinem Profit mitgestaltete. Daraus schlug er, als er seine Anstellung am Hof 1790 verlor, sofort weiteres Kapital und ging nach London, um in eigens für ihn organisierten Konzerten aufzutreten. Mit dabei hatte er u.a. das Streichquartett op. 64 Nr. 5. Seine Strategie: Dem Publikum in der sich rasch entwickelnden Stadt das musikalische Bildchen einer natürlichen und heilen Welt, aus der er selbst kam, zu bieten. Mit dieser Idylle (der Begriff kommt von der griechischen Verkleinerungsform von Bild «eidillion») hatte er Erfolg, denn die Städter hörten, sich womöglich aus ihrer Welt träumend, gleich im ersten Satz eine Lerche in der Violine und tauften das Werk kurzerhand «Lerchen-Quartett».

Auch Johannes Brahms war sich der differenzierten Wahrnehmung seiner Musik bewusst. Durch einen Artikel von Robert Schumann, schon im jungen Alter von etwa 20 Jahren als «Messias» der zukünftigen Musik apostrophiert, rang er intensiv mit der Tradition. Sehr virulent wurde dies bei seinen Streichquartetten. So soll er die frühesten zwanzig verbrannt haben. Das Streichquartett Nr. 2 in a-Moll kam erst 1873, als Brahms gut 40 Jahre alt war, heraus. Selbst bezeichnete er es als «Zangengeburt», und zwar als ironische Relativierung seiner Mühen in Anspielung auf den Widmungsträger Theodor Billroth, der Arzt war. Im hiesigen Programm wirkt die Komposition als Mittelstation zwischen Idylle und Revolution. Idyllisch wäre das Werk mit Blick auf den «geist- und schwungvollen» (so Clara Schumann) Charakter zu nennen. Als revolutionär könnte man es bezeichnen, weil Brahms damit der Musik tatsächlich den Weg in die Zukunft wies. Denn die organische Einheit, das stetige Fliessen rührt von daher, dass er die ganzen Sätze aus einzelnen musikalischen Motiven entwickelte. Schönberg sollte Brahms deshalb 1947 als «the Progressive» adeln und sein eigenes Schaffen damit legitimieren.

Bei Schostakowitschs drittem Streichquartett von 1946 schliesslich wird das Spiel mit den Interpretationsmöglichkeiten der Musik auf die Spitze getrieben. Bei der Uraufführung soll Schostakowitsch den Sätzen Überschriften gegeben haben, die auf die Lebenswelt reagieren. Den ersten Satz nannte er beispielsweise «stilles Nicht-Bewusstsein kommender Umwälzungen». Diese Revolution scheint auch in der humoristisch wirkenden Musik angedeutet zu sein: In nichts verherrlicht Schostakowitsch den Triumph des Grossen Vaterländischen Kriegs, vielmehr warnte er, besonders vom heutigen Standpunkt aus, mit der musikalischen Leichtfüssigkeit vor dem sich anbahnenden stalinistischen Terror.

KAMMERMUSIK@ZKO: ZWISCHEN IDYLLE UND REVOLUTION SO, 21. MAI 2023, 11.00 UHR ZKO-HAUS

Philipp Wollheim Violine Simon Wiener Violine Manuel Nägeli Viola Paul Handschke Violoncello Johannes Brahms Streichquartett Nr. 2 a-Moll, op. 51 Joseph Haydn Auszüge aus: Streichquartett D-Dur, op. 64/5, Hob. III:63 Dmitri Schostakowitsch Auszüge aus: Streichquartett Nr. 3 F-Dur, op. 73

CHF 40

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