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Die Jahreszeiten
Haydn, in einem kleinen Haus in Niederösterreich aufgewachsen, wusste, was dörfliche Geborgenheit ist. Dass ihm in den Jahreszeiten eine grosse Palette an Tonbildern von bestechendem Kolorit gelungen ist, verwundert nicht.
TEXT ANDRÉ FISCHER
Joseph Haydn hatte mit der Uraufführung der Schöpfung im Frühjahr 1799 eine epochale Wirkung erzeugt. Mit diesem Oratorium gelang es dem 66-jährigen Komponisten, seine von Leichtigkeit und Anmut geprägte Tonsprache mit einer an Händels Formenreichtum inspirierten Satztechnik zu verschmelzen. Dessen Messiah hatte Haydn 1791 in London gehört; die Klangwirkung des grossbesetzten Bürgerchores soll ihn zu Tränen gerührt haben. Gleich nach dem Riesenerfolg der Schöpfung liess sich Haydn von seinem Librettisten, dem niederländischösterreichischen Diplomaten Baron Gottfried van Swieten, zu einem weiteren Oratorium überreden. Die Vertonung der Jahreszeiten, basierend auf James Thomsons The Seasons (1730), nahm allerdings ganze zwei Jahre in Anspruch und wurde Haydns letztes Grossprojekt, das seine Lebenskräfte zunehmend verzehrte.
Thomsons Gottesbild bündelt die Denkansätze der frühen Aufklärung: Sichtbarer Ausdruck von Gottes Allmacht und Grösse ist allein die belebte Natur. Im Streben nach einem tätigen Leben im Einklang mit ihr und ihren Gegebenheiten huldigt der Mensch zugleich ihrem Schöpfer, der als gütige und weise Vaterfigur dargestellt wird.
Im Einvernehmen mit Haydn erfand van Swieten drei Solo-Rollen: den Pächter Simon (Bass), dessen Tochter
«Oratorienaufführungen als gesellschaftliches Grossereignis, welches sich an ein breites Auditorium aus allen Schichten richtet: Dieses ‹Gebot der Stunde› im aufgeklärten Wien erkannt und realisiert zu haben, ist Haydns Verdienst.»
Hanne (Sopran) und den jungen Bauern Lukas (Tenor). Während Simon als Erzähler fungiert, artikuliert das junge Paar archetypisch die Empfindungen, die der Lauf des Jahres beim Landvolk hervorruft. Die Jahreszeiten stehen dabei sinnbildlich für die verschiedenen Lebensalter: Der Frühling steht für Jugend, der Sommer für Entfaltung, der Herbst für das Ernten, der Winter für Altern und Tod. Danach bricht – gemäss van Swieten und Haydn – ein neuer Frühling an, der als «grosser Morgen», als Leben nach dem Tode jenen zuteil wird, die aller Unbill zum Trotz ein tugendhaftes, tätiges und fleissiges Leben geführt haben.
Haydn, in einem kleinen, strohgedeckten Haus in Rohrau, Niederösterreich, aufgewachsen, wusste, was dörfliche Geborgenheit ist. Seine Familie besass Weinberge, Äcker und Vieh, und sein Vater, von Beruf Wagner, betrieb im Nebenerwerb eine Landwirtschaft. Dass dem Komponisten bei der Vertonung eine grosse Palette an Tonbildern von bestechendem Kolorit gelungen ist, verwundert also nicht. Vieles floss allerdings auf Geheiss van Swietens ein. Dessen weit ins Musikalische hineinreichende Vorgaben kommentierte Haydn am Beispiel des herbstlichen Weinfestes lakonisch: «… einen so komischen Kontrapunkt und eine so besoffene Fuge habe ich noch nie geschrieben.» Tonmalereien, die jeweils kurz vor ihrer Erwähnung durch die Solisten im Orchester erklingen (das heimkehrende Rind, die turtelnde Wachtel, die zirpende Grille, der quakende Frosch), sind nicht immer «aus meiner Feder geflossen, es wurde mir aufgedrungen, diesen französischen Quark niederzuschreiben». Eine Indiskretion trug diese Äusserung Haydns van Swieten zu, was zu einer heftigen vorübergehenden Verstimmung der beiden führte.
Dass die Welt in den Jahreszeiten allein in rosaroten Farben gemalt wird (stets eilt man froh, ist der Anblick lieblich und der Hirte munter etc.) und dass alles – entgegen Thomsons Vorlage – ein Happy End hat, trug van Swieten und Haydn Kritik ein. Versteht man das Stück aber als Utopie, die uns für gut zwei Stunden an einen idealisierten Ort einer imaginären Welt entführt, wird man beim Reichtum von Haydns Einfällen uneingeschränkt auf seine Kosten kommen.
Haydn führte die Jahreszeiten stets in möglichst grosser Besetzung auf: Bei einer Aufführung im Dezember 1801 waren die Holzbläser je dreifach, die Hörner vielleicht sogar vierfach, Trompeten und Posaunen doppelt besetzt. Die Streicherbesetzung scheint 20/20/12/12/12 gewesen zu sein.
Die Sopranistin, die am 24. Mai 1801 – einen Monat nach der Uraufführung – bei einer Privataufführung im Palais Schwarzenberg die Partie der Hanne sang, war keine Geringere als die Kaisersgattin Maria Theresia. Haydn befand nachträglich dem Kaiser gegenüber, sie hätte zwar viel Geschmack und Ausdruck, aber ein schwaches Organ.
DIE JAHRESZEITEN DI, 16. MAI 2023, 19.30 UHR TONHALLE ZÜRICH
André Fischer Leitung Franziska Heinzen Sopran Luca Bernard Tenor Klaus Mertens Bassbariton Zürcher Konzertchor Zürcher Kammerorchester
CHF 120 / 110 / 95 / 60
Mit freundlicher Unterstützung der Lagrev Stiftung Joseph Haydn Die Jahreszeiten, Hob. XXI:3