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Feder und Bogen III: Mark Twain

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Die Jahreszeiten

Die Jahreszeiten

IN DEN ALPEN KRIEGT MAN ETWAS ZU VIEL VON DIESEM GEJODELE

Mark Twain bereist im Sommer 1897 mitsamt Familie die Schweiz. In seinem Reisebericht Bummel durch Europa kommt das Land des «Alpenstocks» nicht besonders gut weg. Den musikalischen Tiefpunkt beschert ihm allerdings eine Landsfrau am Klavier.

TEXT CORINNE HOLTZ

Die Schweiz sei «ein grosser, buckliger, massiver Felsen mit einer dünnen Grashaut darüber. Deshalb schaufelt man hier keine Gräber, man sprengt sie mit Pulver und Lunte heraus.» Wer wie Mark Twain den Friedhof in Zermatt besucht, wird diesen Befund bestätigen können. Ob Twain den Bergsteigerfriedhof meint, im dem auch die Toten der Erstbesteigung des Matterhorns 1865 ihre letzte Ruhe fanden, bleibt in seinem Reisebericht A Tramp Abroad offen.

Twain verbringt den Sommer 1897 in der Schweiz und wagt sich von Luzern aus über Stock und Stein. Die meisten Menschen, «auch Frauen, gehen in Wanderkleidung und tragen Alpenstöcke. Offensichtlich hält man es nicht für sicher, in der Schweiz – selbst in der Stadt – ohne Alpenstock umherzulaufen.»

Gut, lockt abends nach einem Tag Aufstieg im Dauerregen ein freundliches Hotel. So in St. Niklaus im Mattertal, in dem die Reisegruppe auf dem Weg nach Zermatt halt macht. «Wir zogen uns aus, gingen zu Bett und schickten unsere Kleider hinunter, um sie backen zu lassen.» Am anderen Morgen «um halb fünf» schreckt Twain grelles Glockengeläute aus dem Schlaf. Aus der Länge des Weckrufs schliesst er, «dass der schweizerische Sünder eine ganze Weile brauchte, um die Aufforderung zu kapieren.» Im Grand-Hotel Jungfrau Victoria in Interlaken hört er beim Mittagessen «alle Sprachen» und beobachtet die «Kellnerinnen in der merkwürdigen, hübschen schweizerischen Bauerntracht». Im Salon steht ein kleines Klavier, das es in sich hat. Nie hätte Twain seiner Tochter Clara Clemens, die Sängerin und Pianistin werden sollte und in Wien beim Czerny-Schüler Theodor Leschetizky Unterricht nahm, dieses «asthmatische Ding» zugemutet. «Nacheinander trafen fünf oder sechs niedergeschlagene Damen zögernd heran, versetzten dem Klavier einen einzigen prüfenden Anschlag und zogen sich mit einem Kinnbackenkrampf zurück.» Einzig die Jungverheiratete aus Arkansas «fegt mit ihren Fingern vom einen Ende der Klaviatur zum anderen, offenbar nur, um die Lage zu peilen». Schon da würden die Gäste im Salon die Zähne zusammenbeissen. Dann hebt die Pianistin zu The Battle of Prague an, einem Schlachtengemälde aus Blut und Kanonen, komponiert von František Kočvara und als Bestseller in über 30 Neuauflagen gedruckt. Twain hat sich kürzlich Wagners Lohengrin in Hannover ausgeliefert und unter den zermalmten Stimmbändern eines Tenors gelitten. Noch schlimmer ist Kočvaras Machwerk: ein ehrwürdiger «Schmarren», der unter den Händen und Schreien der Jungverheirateten lodert. «Keiner von uns liebt die Mittelmässigkeit, aber wir alle verehren die Vollkommenheit. Die Musik dieses Mädchens war auf ihre Art vollkommen; es war die schlechteste Musik, die auf unserem Planeten je von einem gewöhnlichen, menschlichen Wesen hervorgebracht worden war.» Was hätte Twain zu Antonín Dvořák und seinem groovigen Streichquartett F-Dur, op. 96 gesagt, das im Sommer 1893 in Spilville am Turkey River entsteht? «Uns beide umweht Ruhm wie Kamelienduft das Kamel.»

«Offensichtlich hält man es nicht für sicher, in der Schweiz – selbst in der Stadt – ohne Alpenstock umherzulaufen.»

FEDER UND BOGEN III: MARK TWAIN MI, 17. MAI 2023, 19.30 UHR ZKO-HAUS

Thomas Douglas Konzept und Erzählung Anina La Roche Dramaturgie Willi Zimmermann Violine Daria Zappa Violine Ryszard Groblewski Viola Nicola Mosca Violoncello Antonín Dvořák Streichquartett Nr. 12 F-Dur, American, op. 96

CHF 50

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