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Maillol – Die Suche nach Harmonie
AUS FARBE WIRD MUSIK, AUS FORM FLEISCH
Aristide Maillol (1861–1944) gilt als jüngerer Bruder Rodins. Seine Kunst blickt nach Delphi und Olympia, nach China und Indien. Maillol begreift Volumen als Kugeln und ovale Körper. Statik wie in seinen Skulpturen und Farben aus Naturphänomenen findet sich in der französischen Avantgardemusik.
TEXT CORINNE HOLTZ
Vielleicht hat der Schüler der Malereiklasse der Ecole des Beaux Arts die Skandaltänzerin «La Goulue» tanzen gesehen. Aristide Maillol muss Geld verdienen und übernimmt Gelegenheitsarbeiten als Ausstatter. Er entwirft Dekorationen für ein Marionettentheater und ist an der Ausgestaltung des Foyers im Moulin Rouge beteiligt. 1889 öffnet das legendäre Varieté und ruft mit den Auftritten der «La Goulue» auch die Sittenpolizei auf den Plan. Die Tänzerin mit dem bürgerlichen Namen Louise Weber wirbelt ihre wohlgeformten Beine durch die Luft und hebt den Rüschenrock, während sie die sündigen Tänze Cancan und Chahut in Paris etabliert.
Das Moulin Rouge braucht auch Musiker, um die champagnerseligen Männerrunden bei Laune zu halten. Eric Satie verdient sein Geld ebenfalls im Variété, so in der L’Auberge du clou, und verkehrt mit der Avantgarde im Chat noir im Montmartre. Musiker und Künstler aller Gattungen treten im ersten modernen Kabarett an, um die Bourgeoisie zu schockieren. Satie ist bis zur Schliessung des Kabaretts 1897 Hauskomponist und Interpret von antiromantischer Musik und lernt dort so unterschiedliche Temperamente wie Claude Debussy und den Maler Henry Toulouse-Lautrec kennen, der die ikonischen Bilder des Moulin Rouge schafft.
«Warum sich nicht der Darstellungsmittel bedienen, die uns Monet, Cézanne, Toulouse-Lautrec an die Hand gegeben haben», und sich vom «Wagner-Abenteuer» befreien? Die Franzosen bedürfen einer eigenen Musik, «möglichst ohne Sauerkraut». 1888 schreibt der Bürgerschreck und Essayist eine Musik, die ihn weltberühmt machen sollte. Der sich selbst als «Gymnopédiste» bezeichnende Satie komponiert seine drei gleichnamigen Klavierstücke. In Anlehnung an das Fest unbewaffneter Knaben in Sparta und inspiriert vom Maler Puvis de Chavannes atmen seine Gymnopédies Schwerelosigkeit. Die statischen, modalen Akkorde faszinieren Komponisten, die allesamt zum Kanon der Musikgeschichte zählen: Debussy orchestriert zwei der Klavierstücke, Ravel schmuggelt eine Stilkopie in die vierte Nummer von Ma Mère l’Oye und Strawinsky lehnt sich in der ersten Variation der Sonate für zwei Klaviere an die Gymnopédie Nr. 1 an.
Saties Kunstgeschmack ist vielfältig. An Debussys Klaviermusik entzückt ihn die «neuartige und zarte Nebelhaftigkeit», während ihn, den Sozialisten, Ravels Eleganz abstösst. Ravel sei gewiss ein Poet und kein Schulmeister wie etwa Rimski-Korsakow, aber ein «selbstgefälliger, kleiner» Dandy. Maler wie Manet, Cézanne, Picasso und Derain hätten die Malerei wie das künstlerische Denken «vor der totalen, fortwährenden und allgemeinen Verblödung gerettet». Mit Maillol teilt Satie die Wertschätzung Puvis’ de Chavannes. Maillol kopiert im Musée du Luxembourg dessen Pauvre Pêcheur und verdankt dem Maler nebst Gauguin und Rodin frühe Wertschätzung.
Maillols Musikgeschmack neigt mit einer Ausnahme den Klassikern zu. Bach und Mozart vergöttert er, in der zweiten Reihe stehen Gluck, Rameau und Couperin. Die Zeitgenossen, die im Rahmen unseres Konzerts im Kunsthaus erklingen – darunter Satie, Debussy, Ravel, Turina – sind ihm fremd. Einzig der konservative Déodat de Séverac soll ihm gefallen haben, der wie Satie bei Vincent d’Indy Kompositionsunterricht besucht hat. Die junge Generation tritt jedoch gegen den Übervater d’Indy und den mit ihm verbundenen Wagnerkult an. «Los von d’Indy» ist der Wahlspruch der «Jeunes Ravelistes», die sich seit 1909 um Ravel scharen und vernachlässigte Talente wie den Aussenseiter Satie fördern.
MAILLOL – DIE SUCHE NACH HARMONIE DO, 12. JAN. 2023, 19.30 UHR KUNSTHAUS ZÜRICH, FESTSAAL CHIPPERFIELD-BAU
Willi Zimmermann Violine und Leitung Zürcher Kammerorchester
CHF 50
Das Konzertticket berechtigt am Konzerttag gleichzeitig zum Eintritt in die Ausstellung «Aristide Maillol».
Eine Veranstaltung des Kunsthauses Zürich Joaquín Turina La Oración del Torero Erik Satie Gymnopédie Nr. 1 für Viola und Harfe Claude Debussy Danse sacrée et Danse profane, L 103 Maurice Ravel I. Allegro und II. Très vif, aus: Sonate für Violine und Violoncello Nikos Skalkottas I. Epirotikos, aus: Fünf griechische Tänze Othmar Schoeck III. Tempo di Marcia allegro, aus: Suite für Streichorchester As-Dur, op. 59 Iannis Xenakis Dhipli zhia für Violine und Harfe Claude Debussy I. Animé et très décidé, aus: Streichquartett g-Moll, op. 10
Das begleitende Gespräch wird von Lena-Catharina Schneider, Künstlerische Leitung ZKO, mit Kurator Philippe Büttner und Kuratorin Ioana Jimborean geführt.