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Ruhe nach dem Sturm

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Tirol im Herzen

Tirol im Herzen

Wie der Rest des Landes hat auch die Tiroler Tourismusbranche im März eine Vollbremsung hingelegt. Seit Mitte Mai dürfen Gastronomiebetriebe wieder öffnen. Ende Mai endet die unfreiwillige Pause mit der Öffnung von Hotels und Freizeitbetrieben – überstanden ist die Krise damit aber wohl noch lange nicht.

Text: Lisa Schwarzenauer

Hat man sich Anfang des Jahres noch vielerorts Gedanken über das Risiko von Overtourism und mögliche Lösungsansätze wie das Lenken von Besucherströmen gemacht, kämpften die heimischen Touristiker in den letzten Wochen mit einer völlig anderen, unerwarteten Realität: geschlossene Hotels, leere Betten, weit und breit keine Touristen in Sicht – Tirol als tourismusfreie Tourismusregion.

ZÄHER NEUSTART Beherbergungsbetriebe dürfen am 29. Mai unter Einhaltung strenger Hygiene- und Verhaltensvorschriften wieder aufsperren, aufgrund der weltweiten Reisebeschränkungen und der ge schlossenen Grenzen vorerst aber nur österreichische Gäste empfangen. Das werde einen gewaltigen Rückgang bei

„Wenn der Wohlstandsmotor Tourismus zu stottern beginnt, dann ist auch der Lebensstandard der Menschen im gesamten Alpenraum bedroht.“

HANNES PARTH, TOURISTIKER UND OBMANN VITALPIN

den Nächtigungen bedeuten, sagt Klaus Grabler, Geschäftsführer der Manova GmbH, die unter anderem Marktfor schung in der Tourismusindustrie betreibt. „Die Schätzungen, die momentan kursieren, gehen von 50 bis 70 Prozent Minus im Sommer aus, und die sind meiner Meinung nach recht vernünftig“, so Grabler.

Dieses Minus an Gästen wird wohl auch außerhalb der Branche spürbar werden. „Ich befürchte, dass nun weite Teile der Bevölkerung die Bedeutung des Tourismus für den Alpenraum er kennen“, sagt Hannes Parth, Touristiker und Obmann des Vereins Vitalpin. „Wenn Menschen nicht reisen können, wird die Situation für den Alpenraum sehr schwierig. Viele sind in den Tälern vom Tourismus abhängig – und wenn Urlauber fehlen, dann wirkt sich das fatal auf viele nachgelagerte Branchen aus“,

„Was immer gilt, gilt jetzt noch viel mehr: Man muss sich strategisch clever ausrichten.“

KLAUS GRABLER, GESCHÄFTSFÜHRER MANOVA

so Parth. „Wenn der Wohlstandsmotor Tourismus zu stottern beginnt, dann ist auch der Lebensstandard der Menschen im gesamten Alpenraum bedroht.“

OFFENE FRAGEN Wie stark sich die derzeitige Krise des Tourismus tatsächlich wirtschaftlich auswirken wird, hänge vor allem davon ab, wann die Grenzen wieder geöffnet werden. „Schon ein Sommer ohne internationale Gäste ist für viele Betriebe, Seilbahnen und Freizeiteinrichtungen ein wirtschaftliches Horrorszenario“, betont Parth. Im noch wesentlich wertschöpfungsinten siveren Winter wären die Auswirkungen noch viel dramatischer.

Eine große Frage sei auch, welche Vorschriften es für den Winterbetrieb bei den Seilbahnen geben wird, sagt Grabler. Mehr als 80 Prozent der Winterurlauber in Tirol sind Skifahrer – fahren die Seilbahnen nicht, bleiben diese aus, wodurch die gesamte Region extrem geschwächt werden würde. Eine Case Study von Manova zum Bezirk Landeck veranschaulicht das: Die Schließung der zehn Seilbahnunternehmen würde ein Minus von rund 5,7 Millionen Skigebietseintritten und einer ähnlichen Zahl an Nächtigungen bedeuten, wodurch zwei Drittel (300 Millionen Euro) der gesamten Wertschöpfung sowie rund 80 Prozent (14.000) der Arbeitsplätze im Bezirk wegfallen würden. Die Folgen wären Probleme in der Nahversorgung, verringerte Lebensqualität und massive Abwanderung.

Ob und wie es eine Wintersaison geben wird, sei außerdem natürlich auch deshalb schwer zu prognostizieren, weil niemand weiß, ob eine zweite Krankheitswelle kommt. Sollte das der Fall sein, werde die Politik nach den Ereignissen im März jedenfalls sehr vorsichtig agieren, meint Grabler.

DIE KRISE NÜTZEN Diese Faktoren erschweren die Vorbereitung auf die nächste Wintersaison, aber man könne – und solle – die gewonnene Zeit trotzdem nützen, sagt der Experte für strategisches Marketing: „Was immer gilt, gilt jetzt noch viel mehr: Man muss sich strategisch clever ausrichten. Wer sind die Zielgruppen, wen kann ich jetzt ansprechen, was sind die richtigen Argumente – diese Fragen sind durch die Krise noch viel relevanter geworden.“

Für Hannes Parth ist die momentane Situation auch eine Chance für Tirol. „Die Branche sollte die internationale Aufmerksamkeit nützen, um zu zeigen: Wir setzen bei extremen Entwicklungen ein Stoppzeichen, machen einige Dinge so nicht mehr, um unser Angebot mit Qualität weiter auszubauen.“ Der Tiroler Tourismus müsse sich nicht neu erfinden, aber Signale setzen und vor allem lernen, stärker mit der Bevölkerung zu kommunizieren, um als wichtiger Wirtschaftszweig akzeptiert zu werden. Dafür sei jetzt die perfekte Gelegenheit.

Mehr als 90 % der Nächtigungen in Tirol entfallen auf

Gäste aus dem Ausland

51 % aller Nächtigungen

entfallen auf Gäste aus Deutschland (Stand 2019)

Direktausgaben der Touristen in Tirol: € 8,4 Mrd.

76 % davon entfallen auf Ausländer

Direkte touristische

Bruttowertschöpfung: € 4,5 Mrd. (17,5 % des gesamten Tiroler BIPs)

Rund ein Viertel (75.000) aller Vollzeitarbeitsplätze in Tirol sind direkt von Tourismus und Freizeitwirtschaft abhängig

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