Wie Unternehmerinnen und Unternehmer nun in der Politik mitreden wollen
Warum liefern Sie immer noch nach Russland?
Die Cousins Moritz Ritter (links) und Tim Hoppe stehen hinter dem Schokohersteller Ritter Sport. Im Interview verteidigen sie ihre Geschäfte und erklären, warum ihre Schokolade teurer geworden ist. Und wer in der Eigentümerfamilie nun das Sagen hat
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ie angegebenen Werte wurden nach dem vorgeschriebenen Messverfahren WLTP (Worldwide harmonised Light-duty vehicles Test Procedures) ermittelt r Energieverbrauch und der CO₂-Ausstoß eines Pkw sind nicht nur von der effizienten Ausnutzung des Kraftstoffs bzw des jeweiligen Energieträgers durch den Pkw, sondern auch vom Fahrstil und anderen nichttechnischen Faktoren abhängig Abbildung enthält Sonderausstattungen
Über diese Ausgabe
Liebe Leserinnen und liebe Leser, Staatsschulden sind noch kein Programm. »Deutschland gestalten« steht an, und so heißt auch unser Projekt. Wir berichten über Unternehmer auf dem Weg ins Parlament und zeigen erste Ergebnisse unserer großen Mittelstandsstudie. Der Änderungsbedarf ist riesig, aber zu bewältigen. Die Chefs von Ritter Sport bestätigen das ebenso wie ein führender deutscher Venture-Capitalist! Viel Freude beim Lesen und Nutzen.
Ihr Team von ZEIT für Unternehmer
Zwischen Zwiesel und Riesa
Wo die Firmen ihren Sitz haben, die in dieser Ausgabe vorkommen
Autoren: Carolyn Braun, Nils Heck, Moritz Kudermann, Kristina Läsker, Jakob von Lindern, Navina Reus, Isolde Ruhdorfer, Celine Schäfer, Tom Schmidtgen, Catalina Schröder, Jeanne Wellnitz
Redaktionsassistenz:
Andrea Capita, Katrin Ullmann
Chef vom Dienst: Dorothée Stöbener (verantwortlich), Isabelle Buckow, Imke Kromer, Mark Spörrle
Textchef: Johannes Gernert (verantwortlich), Anant Agarwala, Anita Blasberg, Dr. Christof Siemes
Diese Ausgabe enthält Publikationen von folgenden Unternehmen in Teilauflagen: Privates Kurpfalz-Internat gemeinnützige BetriebsGmbH, 69245 Bammental; Schloss Torgelow Privates Internatsgymnasium Helge Lehmann KG, 17192 Torgelow
»Wir
brauchen mehr positiven Größenwahn«
FRIDTJOF DETZNER, SEITE 14
Dieser Investor glaubt daran, dass grüne Technologien den Unterschied machen S. 14
Diese zwei blasen in Bayern Gläser, und zwar auf den Millimeter genau S. 34
Diese dicken Dinger werden auf einer Reeperbahn in Hamburg hergestellt S. 60
MITTELSTANDSSTUDIE
Was Unternehmer von der Politik erwarten und wie sie sie selbst gestalten wollen 6–13
INTERVIEW
Der Gründer und Impact-Investor Fridtjof Detzner über existenzielle Krisen, den Mut zum Risiko und darüber, warum es trotz der politischen Verschiebungen mehr klimaschonende Technologien braucht 14–18
KLIMA-CHECK
Wie eine Hochschule einem Automobilzulieferer bei der Nachhaltigkeit hilft 20–21
ARBEITSMARKT
Nur jeder dritte geflüchtete Ukrainer hat einen Job. Warum ist das so? 22–24
TITELTHEMA
Ritter Sport kennen viele Menschen, nicht aber ihre Eigentümer Moritz Ritter und Tim Hoppe. Ein Doppel-Interview mit den Cousins über unternehmerische Verantwortung in Krisenzeiten 26–33
FOTOSTORY
Zu Besuch bei einer Glashütte 34–37 Inhaber Andreas Buske im Interview 38
DIE ERFINDUNG MEINES LEBENS
Eine Trompete ohne Nickel und Blei 40
SCHWERPUNKT DIGITALISIERUNG
Zahlen oder nicht? Was man tun kann, wenn eine Hackerbande Lösegeld fordert 42–45
Kolumne: Tabellen zaubern mit KI 46
Chatbots, die bei der Wartung helfen 48–50
Wie wappnet man sein Unternehmen für die bevorstehende KI-Revolution? 52–54
REVERSE-MENTORING
Ganz was Neues: Jetzt gibt die Gen Z den CEOs schon Nachhilfe 56–59
EIN TAG MIT ...
Tom Lippmann, dem Chef einer der letzten Seilereien Deutschlands 60–64
TO-DO-LISTE UND IMPRESSUM 66
Security. Thenew dimension of Safety.
Keine Safety ohne Security! DieIndustrie befindet sich im Wa ndel. Neben Safet ya ls funktionale Sicherheit für Mensch und Maschine ist Industrial Security zum Schutz vor Cyberangri ff en oder Manipulatio n unverzichtbar.M itarbeiter sollen sicher arbeiten können –und die Produktivität von Maschinen und Anlagen muss gewährleistet bleiben. Deshalbdenken wirbei Pilz ganzheitlich, von der Beratung bis zum Produkt. Füreine sichereAutomation IhrerProduktions-und Industrieanlagen.
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Nächster Halt: Berlin
Sandra Stein, 38, ist Unternehmerin aus dem Sauerland und Grünenpolitikerin
Foto: Marlena Waldthausen für ZEIT für Unternehmer
Unternehmerinnen und Unternehmer klagen nicht nur über die Politik, sie möchten auch mitmischen. Aber kann das gelingen? Auftakt der großen Mittelstandsstudie von ZEIT für Unternehmer und der Stiftung »In guter Gesellschaft«
VON CAROLIN JACKERMEIER, NELE JUSTUS UND JENS TÖNNESMANN
Ein Neuanfang lässt sich manchmal in zwei Worten beschreiben. »Fuck yes« steht auf dem Anstecker, den Sandra Stein an diesem Februarmorgen an ihrer Bomberjacke trägt, im ICE von Hamm nach Berlin. Darauf ist eine Frau in blauem Anzug mit Cape und Batman-Maske abgebildet, eine Superheldin. Stein hat ihn gestern im Hofcafé von Sundern im Sauerland geschenkt bekommen, auf ihrer Wahlparty. Da wusste die Familienunternehmerin und Grünenpolitikerin allerdings noch nicht, ob sie es als Abgeordnete in den Bundestag schafft. »Alle Hochrechnungen hatten zwar ergeben, dass ich mit meinem 19. Platz auf der Landesliste reinkommen dürfte«, erzählt sie, noch immer etwas aufgekratzt und leicht übermüdet. Dann dauerte es Stunden, bis klar war, dass das BSW die Fünf-Prozent-Hürde nicht schaffen würde und die Grünen im Bundestag trotz ihrer Verluste genug Sitze erhalten würden. Erst nachts um halb drei habe ihr ein Parteikollege geschrieben: »Du bist drin!«
Nun, zehn Stunden später, ist die 38-Jährige auf dem Weg aus dem Sauerland, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann die Familienfirma Sorpetaler Fensterbau leitet, in die Hauptstadt, um an einem Fraktionstreffen teilzunehmen. Ihr Mann begleitet sie auf ihrer ersten Reise als Parlamentarierin, genau wie eine Reporterin von ZEIT für Unternehmer. Ständig kommen Mails, Nachrichten und Kommentare auf Steins Handy an. »Hunderte«, sagt sie. Eine Nachricht lautet: »Zeig mal Friedrich Merz, wie man das Sauerland würdig vertritt.« Stein und der Kanzlerkandidat der Union sind im Hochsauerlandkreis angetreten, den die Union seit 1949 noch nie verloren und auch diesmal hoch gewonnen hat. Merz muss jetzt Regieren lernen, Stein die Arbeit als Volksvertreterin.
Sandra Stein ist eine von etwa 60 Unternehmerinnen und Unternehmern im neuen
Bundestag. So hat es der Mittelstandsverband BVMW für ZEIT für Unternehmer ermittelt und dabei Freiberufler wie Ärzte, Anwälte und Solo-Selbstständige nicht mitgezählt. Trotzdem fällt gut jeder zehnte der 630 Abgeordneten in diese Kategorie – spürbar mehr als nach der Wahl im Jahr 2021. Damals waren laut einer Auswertung der Stiftung Familienunternehmen 51 Unternehmer in den Bundestag eingezogen, der noch 735 Sitze zählte. Vielleicht sucht das Wahlvolk mehr ökonomische Kompetenz als früher. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die führenden Leute aus der Wirtschaft gerade besonders unzufrieden mit der Politik sind. Viele von ihnen verspüren den Wunsch, sich selbst politisch zu engagieren.
Das zeigt die neue große Mittelstandsstudie von ZEIT für Unternehmer und der Stiftung »In guter Gesellschaft«, deren Ergebnisse wir in dieser und den kommenden Ausgaben als Teil unserer Initiative »Deutschland gestalten« vorstellen (siehe auch ZEIT für Unternehmer Nr. 4/24). Für die Studie hat das Analyse- und Beratungs-
Die Studie
Die Umfrage ist eine gemeinsame Initiative von ZEIT für Unternehmer und der Stiftung In guter Gesellschaft. Die Stiftung der Geschwister Anke und Thomas Rippert soll verantwortungsbewusstes Unternehmertum fördern. Sie unterstützt die Durchführung der Befragung sowie die wissenschaftliche Auswertung durch das Analyse- und Beratungsunternehmen Aserto finanziell. Die Ergebnisse werden der Redaktion in anonymisierter Form unentgeltlich bereitgestellt, auf ihre Veröffentlichung hat die Stiftung keinerlei Einfluss. ZEIT für Unternehmer berichtet über die Erkenntnisse und beschreibt, was den Mittelstand in Deutschland bewegt.
unternehmen Aserto Unternehmerinnen und Unternehmern aus ganz Deutschland über 30 Fragen gestellt, mehr als 1.000 haben sich beteiligt.
Repräsentativ ist die Studie zwar nicht, weil sich die Befragten selbst zur Teilnahme entschlossen und nicht per Zufallsstichprobe ausgewählt werden konnten. Und doch: Drei Viertel der Befragten sind männlich, die Mehrheit ist über 45 Jahre alt, sieben von zehn lenken die Geschicke von Familienunternehmen, vier von zehn sind schon länger als 20 Jahre für ihr Unternehmen tätig. Damit »sind sie ein gutes Abbild des Mittelstands und erlauben verallgemeinerbare Aussagen«, sagt Lars Harden, der Aserto-Chef. Auffällig ist an den Ergebnissen, dass sich drei von vier Befragten in der Pflicht fühlen, aktiv für die Demokratie einzutreten. Ebenso viele finden, Unternehmerinnen und Unternehmer sollten Vorschläge für politische Entscheidungen formulieren. Für Anke Rippert ist deswegen klar: »Die Unternehmerinnen und Unternehmer haben verstanden, wie wichtig die Demokratie und wie wenig selbstverständlich sie ist.« Sie hat die Stiftung In guter Gesellschaft mit ihrem Bruder Thomas Rippert gegründet. Beide sind in einer ostwestfälischen Unternehmerfamilie aufgewachsen und selbst Unternehmer geworden. Anke Rippert erkennt deswegen auch die Nöte des Mittelstands in den Ergebnissen sofort wieder: »Die Studie sendet eine klare Botschaft an die Politikerinnen und Politiker im Land: Wir brauchen endlich stabilere Rahmenbedingungen – und es ist euer Job, die auch zu schaffen.«
Tatsächlich sind laut der Umfrage nur 15 Prozent der Befragten mit den politischen Rahmenbedingungen zufrieden. Ebenso wenige finden, im Land herrsche ein gründungsfreundliches Klima. Zugleich beklagen 84 Prozent der Befragten hohe bürokratische
Was haben Sie über
Politik gelernt? Das wollten wir von Unternehmern wissen, die mindestens in den letzten drei Jahren im Bundestag saßen.
»Ich bin es aus dem unternehmerischen Umfeld gewohnt, zielorientiert zu handeln. In Gesetzen zu denken, war für mich wahnsinnig herausfordernd.«
Daniel Schneider (SPD), nicht wiedergewählt
»Wenn man ein Unternehmen führt, ist man nur sich selbst und den Mitarbeitern und Kunden verpflichtet. In der Politik muss man immer alles austarieren, seine Programmatik vertreten, sich in den eigenen Reihen und mit den Koalitionspartnern abstimmen und die Belange von Bürgerinnen und Bürgern berücksichtigen.«
Kristine Lütke (FDP), nicht wiedergewählt
Hürden. Ein Teilnehmer fürchtet, »bei aller Regulierung und allen Vorschriften immer mit einem Bein im Knast zu stehen«. Um eine Firma zu gründen, brauche man ja schon allein »eine Vollzeitkraft, die sich regulativ und administrativ voll auskennt«. Andere ärgern sich über das geringe »Engagement der öffentlichen Verwaltung«, die »Protokollierungsflut«, das »mangelnde Vertrauen« der Behörden und die »unverhältnismäßigen Auflagen für kleine Betriebe«. Auch die Strompreise beschäftigen viele: Einer sieht in den Energiekosten einen erheblichen Wettbewerbsnachteil, ein anderer schimpft auf die »verfehlte Energiepolitik der letzten Jahrzehnte«, wieder ein anderer fürchtet die »Deindustrialisierung der energieintensiven Industrie«. Zudem leiden nicht wenige unter hohen Personalkosten und Personalknappheit. Die Steuerund Abgabenlast sei so hoch, dass manche Mitarbeiter keinen Anreiz mehr hätten zu arbeiten, schreibt ein Teilnehmer der Umfrage: »Denen muss deutlich mehr Netto vom Brutto bleiben!!!!«
»In der Wirtschaft schaut man in der Regel immer erstmal die Zahlen an, Politik wird oft nach Stimmung gemacht.«
Katharina Beck (Grüne), wiedergewählt
»Es gibt zwei Arten von Entscheidungen im politischen Betrieb. Erstens, die Verhandlung von Interessenskonflikten in der Gesellschaft, etwa wie viel Rente für die ältere Generation der jungen Generation aufgebürdet werden sollte, dafür sind Parlamente der ideale Ort. Und es gibt umsetzungsorientierte Entscheidungen: Wie sollen Glasfaserkabel verlegt, wie Schulen saniert werden? Dafür ist die Entscheidungsfindung im Parlament schlecht, weil die Dinge nicht im Gesamtkontext verstanden, sondern politische Kompromisse geschlossen werden.«
Thomas Heilmann (CDU), nicht wieder angetreten
Sandra Stein, die neue Abgeordnete aus Sundern, hat sich im Bundestagswahlkampf viele solcher Klagen angehört – ob bei der Gießerei, der Brauerei, dem Hygienepapierhersteller, der Digitalagentur oder dem Autozulieferer. Sie hat nach jedem Gespräch Notizen gemacht, fein säuberlich in ein in braunes Leder gebundenes Buch, das sie nun im Schnellzug nach Berlin durchblättert. Die hohen Energiekosten: »Für manche existenzbedrohend«, sagt sie. Die Bürokratie: »Eine Bürde, die jeden Tag ein bisschen mehr wird«. Der Fachkräftemangel: »Gerade bei uns in der Region ein Thema. Wir sind ja richtig Land. Da ist keine größere Stadt in der Nähe. Nichts. Die jungen Leute gehen weg und kommen nicht wieder. Da als Arbeitgeber attraktiv zu sein, ist keine leichte Aufgabe.«
Was nicht in Sandra Steins Büchlein steht und sie trotzdem überall im Wahlkampf gespürt hat, ist die Resignation. »Viele blicken mit negativen Gefühlen auf die Zukunft, selbst Unternehmertypen, die sonst eher die Haltung haben: Scheiß drauf, wir machen weiter, hilft ja nichts.«
Die Mittelstandsstudie spiegelt den wachsenden Frust wider. ZEIT für Unternehmer und die Stiftung In guter Gesellschaft haben eine ganz ähnliche Studie bereits vor drei Jahren durchgeführt. Während damals noch 73 Prozent »sehr optimistisch« oder »eher optimistisch« in die Zukunft blickten, sind es nun nur noch 60 Prozent. Das ist zwar immer noch eine Mehrheit, Unternehmerinnen und Unternehmer sind von Haus aus keine Pessimisten. Doch der Rückgang ist sichtbar. Und es handelt sich nicht nur um eine momentane Skepsis. Zwei von drei Befragten bezweifeln, dass sich der Fortschritt und das Wachstum der vergangenen Jahrzehnte auf Dauer fortsetzen. Manche wären schon froh, wenn die Lage nicht noch schlechter wird.
Dabei haben sich die Sorgen verschoben: Fanden vor drei Jahren noch 61 Prozent die Klimakrise besonders besorgniserregend, sind die gegenwärtigen Kriege mit 73 Prozent nun das größte Problem. Dicht gefolgt von der Gefährdung der Demokratie mit 68 und den Gefahren durch Rechtsruck, Ausländerfeind
Und
wie denken Sie darüber, dass
Unternehmerinnen und Unternehmer stärker in der Politik mitreden?
»Kleinunternehmer und Selbstständige sind hierzulande oft zu wenig gesehen und gehen politisch vor den Interessen von Konzernen wie Google oder Microsoft unter.«
Maik Außendorf (Grüne), nicht wiedergewählt
»Gerade kleinere Betriebe sollten sich bei uns mehr in die Politik einmischen. Das ist nicht immer so leicht, es muss ja erst mal jemand den Chef ersetzen.«
Volker Redder (FDP), nicht wiedergewählt
»Fachleute, die ihre in der Praxis erworbenen Kompetenzen und ihre Expertise in Entscheidungsfindungen einbringen, sind die Basis für eine Politik, die möglichst nah an den Bedürfnissen des Mittelstandes und damit der breiten Masse der Bevölkerung ist.«
Edgar Naujok (AfD), wiedergewählt
lichkeit und Antisemitismus mit 62 Prozent. Wie so vielen im Land erscheint auch den Chefinnen und Chefs das Klima zwar nach wie vor wichtig, aber anderes viel drängender.
Die Grüne Sandra Stein will den Ängsten etwas entgegensetzen. Sie glaubt an Veränderung, von Stillstand hält sie wenig. Nach dem Studium in Bochum zog sie nach Berlin, wo sie zwischen 2012 und 2016 für den Start-up-Inkubator Team Europe arbeitete und für ein junges Unternehmen namens Jobspotting, das eine Jobsuchmaschine entwickelt hatte. Dann ließ sie die Millionenstadt hinter sich und zog ins 850-Einwohner-Dorf Hagen im Sauerland. Ein Örtchen, umgeben von reichlich Wald und Landwirtschaft. Kuhschisshagen nennen es die Einheimischen deswegen auch.
Doch Stein hatte einen guten Grund: Zusammen mit ihrem Mann Stefan Appelhans stieg sie in dessen Familienunternehmen ein. Die beiden sind nun die fünfte Generation beim Sorpetaler Fensterbau, einem Handwerksbetrieb mit mehr als 80 Angestellten. Sie kümmert sich um Marketing und Digi-
»Ich begrüße jede Unternehmerin und jeden Unternehmer sehr herzlich in Reihen des Parlaments oder im politischen Raum. Was nicht geht, sind oligarchische Strukturen und Interessenkonflikte, wie wir sie gerade in den USA erleben.«
Verena Hubertz (SPD), wiedergewählt
»Unternehmer sind stärker auf Ergebnisse ausgerichtet als Berufspolitiker, und das tut durchaus gut. Viele Politiker haben noch nie ein Unternehmen von innen gesehen, beschließen aber Gesetze, die sie betreffen.«
Markus Reichel (CDU), wiedergewählt
tales, also um die Website, den InstagramKanal, das Employer-Branding. Auf diese Weise hat sie in den vergangenen acht Jahren gelernt, wie der Mittelstand tickt – und was ihn von der Gründerszene unterscheidet.
Wie dieses Selbstverständnis heute aussieht, zeigt die Mittelstandsstudie. Die große Mehrheit erklärt, der Mittelstand stärke die Regionen und sei das »wirtschaftliche Rückgrat der Gesellschaft«. Zugleich beklagt eine deutliche Mehrheit, dass die gesellschaftliche Anerkennung für ihre Arbeit fehle und umgekehrt der Mittelstand in den großen Debatten zu leise sei (siehe Seite 12).
David Zülow kennt dieses Klagelied –und mag es nicht mehr hören. »Es wird zu viel gemeckert, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen«, sagt der Unternehmer. Zülow, 49, ist gelernter Elektrotechnikmeister. Doch an einen Handwerksbetrieb erinnert der Sitz seiner Zülow AG am Stadtrand von Neuss wenig. Sein Büro liegt im rechten Flügel eines ehemaligen Klosters, eines klassischen Vierkantenhofs mit einer Kapelle im Innenhof. Rund 20 Verwaltungsmitarbeiter sitzen in
den Räumen mit alten Holzdielen, Sprossenfenstern und Orientteppichen. Weitere 350 Mitarbeiter sind im Außendienst, verlegen Kupfer- und Glasfaserkabel, installieren Einbruch- und Brandmeldetechnik oder warten elektronische Anlagen. Zülows Vater Burkhard hatte die Firma im Jahr 1971 als EinMann-Betrieb gegründet und immer weiter ausgebaut. Nachdem er 2010 plötzlich verstarb, stieg der Sohn schrittweise ins Unternehmen ein. Heute leitet er den Betrieb gemeinsam mit seiner Mutter Jutta Zülow im Vorstand. Das Unternehmen unterhält eine Stiftung, die Sportprojekte für Benachteiligte fördert. David Zülow selbst ist Vorsitzender des Landesverbands der Familienunternehmer in Nordrhein-Westfalen. »Weil wir Unternehmer uns gesellschaftlich einbringen müssen«, sagt er.
Zülow ist nach eigenen Angaben bereits seit Jahrzehnten Mitglied in der CDU, habe sich aber nie in der Partei engagiert. Erst als der langjährige CDU-Vertreter seines Wahlkreises in Neuss, Hermann Gröhe, im Sommer 2024 verkündete, nicht erneut für
den Bundestag zu kandidieren, wuchs ein Gedanke: Er könnte doch antreten! Probleme, die man angehen müsste, gab es auch für ihn reichlich: die hohen Energiekosten, die schlechte Infrastruktur und natürlich die Bürokratie. »Wenn sich ein Archäologe das hier anschaut, denkt er, wir waren eine Papierfabrik und kein Elektrounternehmen«, sagt Zülow.
Ein Selbstläufer war sein Vorhaben aber nicht. Er musste lernen, dass man in der Politik Verbündete braucht. In seinem Ortsverband seien die Reaktionen »zwar nicht offen ablehnend, aber durchaus verhalten« gewesen, sagt Zülow. Gegen drei weitere Anwärter trat er an, nahm an Podiumsdiskussionen teil, führte Gespräche mit Parteimitgliedern. »Das hat schon Spaß gemacht – allerdings war ich einfach nicht so gut vernetzt.«
So zog Zülow gegen seinen Kontrahenten CarlPhilipp Sassenrath den Kürzeren, einen Juristen, der Beamter im Bundeswirtschaftsministerium und Referent der UnionsBundestagsfraktion war. Und während Sassenrath in den Bundestag einzog, verpasste Zülow
das von Friedrich Merz ausgerufene »Rambo Zambo« im KonradAdenauerHaus und besuchte stattdessen eine Karnevalsparty in Köln. »Die Politik will keine Quereinsteiger«, resümiert Zülow in seinem Büro zwei Tage nach der Wahl. Das sei ein Problem, weil das Land auf diese Weise an den Lebensrealitäten der Menschen vorbeiregiert werde. Zülow möchte es mit Blick auf die Landtagswahlen in NordrheinWestfalen in zwei Jahren weiter mit der Politik versuchen.
Sandra Stein aus Sundern bekommt dagegen jetzt ihre Chance – wenn auch aller Voraussicht nach in der Opposition. Die Jungparlamentarierin bremst das nicht: »Man muss daran glauben, dass man etwas bewegen kann«, sagt sie. Und das gehe auch, wenn man sich mit anderen zusammentue und anpacke.
Vor vier Jahren, als der Dorfladen in Hagen schließen sollte, hat sie ihn mit einigen Mitstreitern gerettet. Das war für sie der Startschuss, sich auch politisch zu engagieren. In Berlin will sie an die Rahmenbedingungen ran und »für günstige und sichere Energie
David Zülow, 49, führt ein Elektrounternehmen in Neuss und engagiert sich in der CDU
sorgen«. Außerdem will sie »kleine und mittlere Betriebe von der Berichtspflicht entlasten« und sich dafür starkmachen, »dass der AI Act innovationsfreundlich und bürokratiearm« umgesetzt wird, gerade für den Mittelstand sieht sie bei KI enorme Chancen. Zudem will Stein es Startuplern erleichtern, zu gründen und an Risikokapital zu kommen. Und die dreifache Mutter strebt verlässliche Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeitmodelle an. Dann könnten der Mittelstand und das Handwerk mehr Frauen einstellen.
Als ihr Zug in Berlin ankommt, macht sie noch fix ein erstes Foto mit dem Reichstag im Hintergrund. Sie hat jetzt viel zu tun: Empfänge, Infoveranstaltungen, Gespräche, Netzwerktreffen, Personal rekrutieren, Büro beziehen, sich für den Wirtschaftsausschuss melden, eine Wohnung suchen. Aber eine Frage noch, Frau Stein: Lassen Sie den SuperwomanAnstecker zum Fraktionstreffen dran?
Kurzes Nachdenken. Sie wirkt unentschieden. »Ein bisschen SuperheldenUnterstützung«, sagt sie dann, »kann eigentlich nie schaden.«
Foto: Zülow AG
Ar be itet mit, denktm it , schü tz td eine Daten
Verb esseredeinenArb eitsal ltag mit demG alaxy S25 Ultra mitG alaxyAI. Erhaltep er sona li sierteU pd ates, erled ige Au fg ab en ef fiziente rd urch gleichzeitigeBedienung mehrerer Apps undnutze dieneuen MultitaskingFu nktionenüberSprachsteueru ng. Sa msungKnoxübernimmtden Schut zdeinerBusiness-D aten undwehrt Cyb erangrif fe ab.
Scannen und IT schützen
Engagieren statt arrangieren
Wie sie sich selber sehen ...
Grundsätzlich haben die Befragten ein positives Bild vom Mittelstand, allerdings fühlen sie sich zu wenig wertgeschätzt.
Der Mittelstand ...
... stärkt die Regionen vor Ort ... ist das wirtschaftliche Rückgrat der Gesellschaft
... übernimmt auch in Krisenzeiten Verantwortung
... ist in gesellschaftlichen Debatten zu leise
Zudem blicken die jüngeren Befragten spürbar kritischer auf den Mittelstand: Unternehmerinnen und Unternehmer zwischen 18 und 44 ...
... gibt genügend wichtige Impulse für Innovationen und Fortschritt
... reagiert zu langsam auf Trends ... erhält angemessene gesellschaftliche Anerkennung
Zustimmung aller Befragten in Prozent
... finden häufiger, dass der Mittelstand angemessene gesellschaftliche Anerkennung erhält
... sagen häufiger, dass er zu langsam auf neue Trends reagiert
... finden seltener, dass er auch in Krisenzeiten Verantwortung übernimmt
91 %
der Befragten glauben, dass man um den Erhalt der Demokratie kämpfen muss
Außerdem stehen Unternehmerinnen und Unternehmer anderen Parteien näher als Deutschland insgesamt:
... sehen in ihm seltener das wirtschaftliche Rückgrat der Gesellschaft
87 % halten einen parteiübergreifenden Schulterschluss der demokratischen Parteien für nötig
... glauben seltener, dass er die Regionen vor Ort stärkt
Abweichungen vom gesamten Zustimmungswert in Prozentpunkten
... wovon sie überzeugt sind ...
67 % sind überzeugt, dass wirtschaftliches Wachstum und Klimaschutz kein Widerspruch sind
65 % befürworten, sich von China unabhängiger zu machen, auch wenn das kurzfristig höhere Preise bedeutet
64 % bezweifeln, dass sich der Fortschritt und das Wachstum der letzten Jahrzehnte auf Dauer fortsetzen
Nähe zur jeweiligen Partei (Vorläufiges amtliches Endergebnis bei der Bundestagswahl 2025)
Unsere Mittelstandsstudie zeigt, wie Unternehmerinnen und Unternehmer ticken. Die Jüngeren vertrauen weniger auf die alten Stärken und blicken selbstkritischer auf den Mittelstand
... welche Sorgen sie haben ...
Die folgende Grafik zeigt, welche Herausforderungen die Befragten besorgniserregend finden
Kriege
Gefährdung der Demokratie
Rechtsruck, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus
Zukunft der Bildung
Klimakrise ungesteuerte Migration
soziale Ungleichheit demografischer Wandel
%
Abhängigkeit vom Welthandel
45–59 Jahre
ab 60 Jahre
der Befragten blicken optimistisch in die Zukunft. Anfang 2022, zum Ende der Coronapandemie, lag der Anteil der Optimisten noch bei
73 %
... und wie sie über die Politik denken und sich dort einmischen wollen
84 %
der Befragten beklagen hohe bürokratische Hürden. Mit den politischen Rahmenbedingungen zufrieden sind
15 % nur 15 %
attestieren Deutschland ein gründungsfreundliches Klima. Dass es zu wenig Unterstützung für Unternehmerinnen gibt, beklagen ...
47 %
(Männer: 38 %, Frauen: 66%)
Überraschend: Unter den Befragten von 18 bis 44 findet jeweils jeder Vierte das Klima gründungsfreundlich und ist mit den Rahmenbedingungen zufrieden.
Viele Unternehmerinnen und Unternehmer übersetzen ihren Frust in Forderungen und Engagement:
fühlen sich in der Pflicht, sich aktiv für die Demokratie zu engagieren. Unter den Jüngeren meinen das aber nur
sind überzeugt, dass Unternehmer Vorschläge für politische Entscheidungen formulieren sollten. Unter den Befragten ab 60 Jahren meinen das sogar
Fridtjof »Fridel« Detzner, 41, verdankt seine Karriere als Unternehmer auch einer Party
»Wir brauchen mehr positiven Größenwahn«
Auf dem Bauernhof seiner Eltern baute Fridtjof Detzner einst das Tech-Start-up Jimdo auf. Heute finanziert er als Investor mit seinem Fonds Planet A klimaschonende Geschäftsmodelle. Im Gespräch erzählt er von der Party, die sein Leben veränderte –und was er der neuen Bundesregierung rät
ZEIT für Unternehmer: Herr Detzner, zu Beginn einige knappe Fragen. Nennen Sie uns einen Unternehmer oder eine Gründerin, die unbedingt mal ihren CO₂-Fußabdruck messen sollten.
Fridtjof Detzner: Sam Altman, der Chef der KI-Firma OpenAI.
Einen Unternehmer oder eine Gründerin, die Sie gerne mal mitnehmen würden auf eine Ihrer Reisen nach Südafrika.
Martin Stuchtey, den Gründer der Nachhaltigkeitsfirma Systemiq, der sehr auf Biodiversität achtet.
Dann einen Unternehmer oder eine Gründerin, auf deren Pitch Sie bei Ihrer Venture-Capital-Firma Planet A bisher vergeblich warten.
Hm. Schwer zu sagen. Jemand in der Frühphase, denn wir investieren in ganz neue Ideen. Viele der Zukunftsprojekte, die in Deutschland geboren werden, haben großes Potenzial. Ich freue mich da auf viele Pitches. Und auf viele Investoren in unseren Fonds – wobei wir fossiles Geld bei uns ausgeschlossen haben.
Das ging etwas an der Frage vorbei, aber egal: einen Unternehmer oder eine Gründerin, die sich dringend mehr in die Politik einmischen sollte.
Das gilt für eine ganze Generation von grünen Hardware-Gründerinnen und -Gründern. Wir müssen es schaffen, Klimatech-
nologien wirklich groß zu machen – mit Finanzierungsrunden von mehreren Hundert Millionen Euro. Damit das leichter wird, müssen die Stimmen dieser neuen Unternehmen in der Politik hörbar werden. Wem gelingt das schon?
Anne Lamp, der Mitgründerin von Traceless in Hamburg. Das Unternehmen macht Verpackungsfolien aus Agrarabfällen. Sie war sogar beim Chemiegipfel im Bundeskanzleramt vertreten. Als einzige Start-upVertreterin hat sie am Positionspapier für die Chemieindustrie mitgeschrieben, sonst waren da nur die talking heads der Konzerne. Das sollte Schule machen, das Alte und das Neue müssen zusammenkommen, damit nicht nur die existierende Industrie mit redet, sondern auch die kommende. Nennen Sie uns bitte Unternehmen oder Unternehmer, von denen man 2024 zu wenig gehört hat.
Das Thema Natur und Biodiversität haben wir zu wenig auf dem Zettel. Die Unternehmen aus dem Bereich fehlen bisher auf der Bühne. Ehrlicherweise gibt es da noch keine großen Namen, aber trotzdem tolle Leute. Schließlich bitte jemand, mit dem Sie gerne für einen Tag den Chefsessel tauschen würden.
Mit dem Chef oder der Chefin eines Chemie unternehmens, um zu verstehen, was da wirklich passiert.
Im Alter von 16 Jahren wurden Sie selbst Unternehmer, und das hat angeblich mit einer Party begonnen?
Das stimmt. Aus einer Laune heraus. Ein Schulfreund, Christian Springub, fragte, wer mit ihm eine Firma gründen wolle. Da habe ich die Hand gehoben. Das war total naiv, aber deshalb sitze ich hier. Der Papa meines Freundes sagte, er mache die Steuererklärung, unsere Eltern erklärten uns für voll geschäftsfähig. Am Anfang war es pure Leidenschaft, wir legten einfach los.
Womit genau?
Wir haben beim Großhändler Computerteile eingekauft, Computer zusammengebaut und verkauft. Dann entstand die nächste Idee. Websites waren gefragt, also haben wir Web-Auftritte entwickelt für Unternehmen, sind mit Bahn und Fahrrad durch Deutschland gereist und haben Kundenaufträge an Land gezogen.
Die Zentrale war zu Hause bei den Eltern?
Wir haben uns bei Christian eingenistet. Wir haben gemerkt, wie viel Spaß es macht, Software zu entwickeln, die man auch breit verkaufen kann. Später sind Christian und Matthias Henze, der Dritte im Team, auf dem Bauernhof meiner Eltern eingezogen, in die Kinderzimmer meiner großen Brüder. Dort haben wir ein Programm entwickelt, mit dem Unternehmer selbst ihre Webseiten erstellen konnten.
In Cuxhaven gründete
Detzner mit Christian Springub (rechts)
Jimdo. Hier arbeiten sie am Nordseestrand
Woran erinnern Sie sich besonders?
Wir haben die Nächte durch programmiert und dann morgens mit meiner Mutter gefrühstückt. Sie war Lehrerin. Wenn sie in die Schule fuhr, sind wir ins Bett. Wie wichtig das war, merke ich erst im Nachhinein. Wir konnten uns ausprobieren.
Eine grandiose Zeit.
Auch Ihr Vater war beim öffentlichen Dienst, in der Bundeswehr. Stand mal zur Debatte, dass Sie selbst Beamter werden?
Ich habe mich immer für die Natur begeistert und fand Biologie und Physik total spannend. Wäre die Party nicht dazwischengekommen, hätte ich wohl wie meine Brüder studiert.
Und Ihre Eltern fanden gut, was tatsächlich geschah?
Meine Familie hat mich unglaublich unterstützt. Mein Onkel, meine Mutter, meine Brüder: Alle haben mir Geld geliehen und sind mit ins Risiko gegangen, als wir das Kapital für eine GmbH Gründung brauchten.
Bringt man sich Unternehmertum selbst bei, oder ist das schon in einem drin?
Man lernt dazu. Wir waren zu dritt und konnten sehr unterschiedliche Dinge. Das war wichtig für die Gründung. Wenn wir heute auf Gründerteams schauen, frage ich immer: Sind die komplett, oder fehlen
denen Kompetenzen? Die müssen sich ergänzen, um als kleines Team die große Geschwindigkeit zu schaffen.
Und das reicht dann schon?
Nein. Als Gründer lebst du in zwei Welten gleichzeitig: in der von heute und in der von morgen. Du hast eine Vision und weißt, wohin du willst, andere Leute finden das wahnsinnig. Da braucht man einen starken Glauben in der Gruppe, dass das zu schaffen ist – und gleichzeitig den Realismus, zu sehen, wo man steht.
Heute reden alle über Elon Musk. Ist er ein guter oder ein böser Unternehmer?
Ich teile weder seine politische Haltung noch sein Wertesystem. Ich bezweifle, dass seine politische Arbeit einen positiven Beitrag für unsere Gesellschaft leisten wird. In der Vergangenheit hat er beeindruckende Unternehmen aufgebaut und dabei Prinzipien aus der Softwareentwicklung erfolgreich auf Hardware übertragen. Was genau meinen Sie damit?
Bei Unternehmen wie Tesla oder SpaceX hat er die Produkte in schnellen Schritten kontinuierlich verbessert und die Lerngeschwindigkeit optimiert, anstatt von Anfang an ein perfektes Endresultat zu haben. Gerade in der Gründung von Hardwareunternehmen ist dieser Ansatz entscheidend.
Auch ein Musk hatte existenzielle Krisen am Anfang. Welches war Ihre schwerste?
der Start-ups in Deutschland ordneten sich 2024 laut dem Deutschen Startup Monitor der Green Economy zu, 2019 verortete sich dort nur jedes dritte
Wir sind zu schnell gewachsen. Als wir mehrere Hundert Beschäftigte hatten, haben wir gemerkt: Jetzt ist alles nicht mehr so effektiv. Also mussten wir schauen, welche Unternehmensteile noch funktionierten, und dann Personal abbauen. Eigene Fehler auf diese Weise zu korrigieren, fällt schwer. Haben Sie darüber nachgedacht, dass das Geld Ihrer Familie auf dem Spiel steht?
Mir war das klar, aber zugleich habe ich schon damals so stark an meine Projekte geglaubt, dass ich nicht viel übers Scheitern nachgedacht habe. Außerdem hatte meine Familie das Kapital ja von sich aus investiert. Trotzdem war der Moment toll, als wir ihr das Geld gut verzinst zurückgeben konnten.
Ist das vielleicht das Unternehmer-Gen: ans eigene Ding glauben und die Gefahren ausblenden?
Ich fahre viel mit dem Mountainbike durch den Wald, auch manchmal nachts. Da merkt man: Wohin du fährst, hängt sehr davon ab, wohin du schaust. Fixierst du den Busch, fährst du in den Busch. Als Unternehmer schaue ich genau auf mein Ziel, so kann ich meinen Weg dorthin kontrollieren und korrigieren. Das Risiko besteht darin, zu viel über die Risiken nachzudenken. Bleibt man so, selbst wenn man eines Tages Millionär ist – oder wird man lethargisch?
Dieser Bauer aus Indien hat mehrere Missernten erlebt.
Detzner traf ihn auf seiner Weltreise
Ich habe bisher jedenfalls alles, was ich verdient habe, reinvestiert. Wir haben unsere erste Firma zurückgekauft. Mein verbliebenes Geld habe ich komplett in Planet A investiert.
Warum haben Sie Planet A gegründet?
Nach 18 Jahren bei Jimdo brauchte ich eine Auszeit. Ein Freund von mir hatte die Idee zu einer Dokuserie für die Deutsche Welle: Ich bin dafür 120 Tage lang durch Asien gereist und habe andere Gründerinnen und Gründer interviewt – immer im Kontext der UN-Nachhaltigkeitsziele. In Hongkong ging es um Wohnraumnot, in Indonesien um Plastikverschmutzung. Da hätte ich schon ahnen können, was auf mich zukommt. Habe ich aber nicht. Was denn?
In Indien habe ich einen Bauern interviewt, der versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, weil er aufgrund des Klimawandels drei Missernten hintereinander hatte. Die Gegend, in der er lebt, wird suicide belt genannt, Selbstmordgürtel, weil viele Bauern und Bäuerinnen derart unter den Wetterveränderungen leiden, dass sie keinen Ausweg mehr sehen. Das sind keine Einzelfälle. Das betrifft viele Tausend Menschen. Ich wusste ja vorher, dass es solche Probleme gibt. Aber erst dort wurde mir das Ausmaß bewusst. Meine Schutzschicht war irgendwann einfach ab.
Und aus dem Unternehmer Detzner wurde ein Investor?
Erst mal habe ich ein Start-up namens Wildplastic mit aufgebaut, das Plastikmüll aufliest und daraus neues Plastik herstellt. So habe ich Anne Lamp getroffen, die für uns damals eine Lebenszyklusanalyse aufgestellt hat.
Eine was?
Eine Analyse, bei der präzise ermittelt wird, wie sich ein bestimmtes Produkt auf die Umwelt auswirkt. Dabei wird es mit herkömmlichen Produkten verglichen, also etwa mit gewöhnlichem Plastik. So lässt sich die Wirkung genau messen. Das war ein echter Aha-Moment: Krass, dass man das machen kann. Und krass, dass andere in grüne Technologien investieren, ohne ihre Wirkung zu kennen. Umgekehrt bekommt nur ein Bruchteil der Start-ups Wagniskapital. Beides zusammen hat 2020 die Idee zu Planet A ergeben: einen Fonds, der Start-ups finanziert, die wissenschaftlich erwiesen nachhaltig sind.
Gab es trotzdem Zweifel, ob das klappt?
Klar, es ist eine ganz andere Rolle. Jimdo war ein spielerischer Weg. Planet A war eine überlegte Reaktion auf meine Reise.
Wie sehr nervt Planet A heute seine Gründer?
Wir fordern sie höchstens heraus, damit sie ihrem Ziel selbst näherkommen. Und wir
1.228.811
Tonnen Treibhausgasemissionen haben die von Planet A finanzierten Firmen laut dessen Impact-Report 2024 eingespart oder der Atmosphäre entzogen
können helfen, das Team aufzubauen, sich mit Konzernen zu vernetzen und das Produkt zu entwickeln.
Sie haben 160 Millionen Euro im Fonds, aber erst 23 Firmen finanziert, nur fünf davon im Jahr 2024. Warum dauert es so lange, das Geld unters Volk zu bringen?
Wir sind relativ schnell! In Summe wollen wir mit dem ersten Fonds in 30 Firmen investieren, davon sind wir nicht mehr weit weg.
Unter Donald Trump dürften die USA wieder mehr auf fossile Energieträger setzen und könnten sie so günstiger machen. Wie groß ist die Gefahr, dass das die Rechnung Ihrer Firmen verändern wird?
Auch bei sinkenden Öl- und Gaspreisen wird Europa unabhängiger von Energieimporten werden wollen. Themen wie verlässliche und bezahlbare Energieversorgung, KI-gestützte Innovation, robuste Lieferketten oder kritische Mineralien gewinnen an Bedeutung. Wir investieren in Lösungen, die sauberer, billiger, besser und intelligenter sind – das Interesse daran wird weiter wachsen.
In Deutschland gibt es viele Subventionen, aber auch viele Vorschriften. Wo macht es die Politik Start-ups im Moment zu leicht – und wo zu schwer?
Zu leicht sicher nirgendwo. Die Menschheit muss neue Technologien entwickeln, um mit den endlichen Ressourcen dieses Plane-
ten auszukommen. Und ein Labor zu bauen und eine Pilotanlage, um zum Beispiel einen organischen Plastikersatz in Serie herzustellen, ist viel komplexer und aufwendiger, als eine Softwarefirma zu skalieren. Deswegen würden Banken allein das nie finanzieren. Der Staat muss sich mehr beteiligen. Was konkret sollte die neue Bundesregierung tun?
Sie könnte zum Beispiel Bürgschaften für Investitionen in innovative Technologien gewähren, um privates Kapital anzulocken. Dabei sollte sie besonders jene Technologien fördern, die auf dem Sprung zur Serienrei fe sind.
In Deutschland entstehen viele Start-ups aus der Wissenschaft, aber anders als in den USA werden sie oft nicht richtig groß. Weil unsere Kapitalkosten hier zu hoch sind. Genau deswegen sollte in diesem Stadium der Staat Investitionen fördern und den Finanzsektor so deregulieren, dass auch Banken dieses Risiko eingehen können.
Kann es auch sein, dass zu viele Gründer in Deutschland sich mit zu wenig Wachstum zufriedengeben?
Stimmt. Wir brauchen mehr Mut zum Risiko. Das sieht man auch daran, dass in Deutschland immer die gleichen Unternehmen besonders viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgeben, etwa die Autokonzerne. In den USA dagegen wechseln die Firmen an der Spitze öfter. Ist das eine Art deutsche Genügsamkeit?
Ja. Wir brauchen mehr positiven Größenwahn: Ich kann die Welt verändern, und ich zeige es euch auch!
Wer könnte das in Deutschland am besten vermitteln? In der abgelaufenen Legislaturperiode haben sich ja sowohl Christian Lindner als auch Robert Habeck und Olaf Scholz, die nun alle abgetreten sind, gerne mit Start-ups gezeigt ... ... und ehrlicherweise ist die Initiative für Wachstums und Innovationskapital eines der wenigen Beispiele, wo die drei gut zusammengearbeitet haben, um Unternehmen dazu zu animieren, zwölf Milliarden Euro in Wagniskapitalfonds zu investieren. Aber?
Aber ich engagiere mich eben auch im SustainableFinanceBeirat der Bundesregie
rung, wo es viel um die Frage ging, wie wir Klimatechnologien skalieren können. Und mein Eindruck ist, dass die Grünen das gut verstehen – anders als die FDP. Damit sind Sie der Frage elegant ausgewichen, auf wen Sie nun politisch hoffen. So ist es. (lacht)
Hat Ihr Fonds sein Geld auch schon einmal aus einem Start-up wieder abgezogen, also die Anteile wieder veräußert? Nein.
Moment, Sie hatten mal das Berliner Startup Dance unter Ihren Portfoliofirmen gelistet, das Elektroräder verleiht ...
Ein Sonderfall: Dance war ein ganz frühes Investment. Aber nach der Anfangsphase haben wir uns auf Unternehmen konzentriert, die Produkte für die Industrie entwickeln, also etwa nachhaltige Materialien oder Prozesse.
Kann es sein, dass schlicht das Geschäftsmodell von Dance nicht gut genug funktionierte?
Nein. Für uns ergab eine Beteiligung strategisch keinen Sinn mehr. Das lag am Fonds, nicht an der Firma. Wir hatten nur 60.000 Euro investiert, und eine Lebenszyklusanalyse kostet bis zu 60.000 Euro. Das steht in keinem guten Verhältnis zueinander. Sie klingen wie diese Effektiven Altruisten, die ihr Geld dort einsetzen wollen, wo es am meisten Wirkung für das Gemeinwohl entfaltet. Finden die sich unter Ihren Geldgebern?
Unter unseren ersten Geldgeberinnen und Geldgebern sind viele Unternehmerinnen und Unternehmer, die mit digitalen Geschäftsmodellen erfolgreich waren und die Welt nun progressiv zum Besseren verändern wollen, statt nur ihr eigenes Vermögen zu maximieren. Später kamen dann Versicherer, ein Staatsfonds, Landesbanken oder auch Unternehmen wie Rewe hinzu. Wenn der Bundeskanzler Sie fragen würde, wo er öffentliches Geld effektiv einsetzen kann: Was würden Sie antworten?
Wir müssen es hinbekommen, dass unsere Zukunftstechnologien schnell wachsen. Der Staat sollte Ökosysteme aus Wissenschaften, Startups und Investoren wie das an der TU München fördern, und zwar an
ganz vielen Hochschulen. Nicht jeder muss gründen, aber Unternehmertum muss für ganz viele Physikerinnen, Chemiker und Biologinnen eine Option sein.
Herr Detzner, Sie treten auch vor deutschen Mittelständlern auf und erzählen dort Ihre Geschichte. Welche Eindruck nehmen Sie dort mit?
Mehr Mut würde dem Mittelstand sicher nicht schaden. Die Unternehmen müssen sich verändern, um relevant zu bleiben in der Welt. Und dabei können ihnen junge Firmen helfen. Wir finanzieren zum Beispiel ein Startup, das Zement mithilfe von künstlicher Intelligenz ressourcenschonend herstellt. Diese Technologie kann einem etablierten Zementhersteller wie Heidelberg Materials sehr helfen. Und es freut mich, dass die beiden jetzt zusammenarbeiten. Verzichten Sie eigentlich zugunsten des Klima- und Artenschutzes persönlich auf Dinge, die Ihnen wichtig sind?
Ich würde gerne noch mehr tun, aber ich bin schon ziemlich viel in der Welt unterwegs. Ich versuche jedoch, überall Zeit in der Natur zu verbringen – ob ich nun surfe oder wandern gehe oder mit einem Gleitschirm fliege.
Wie hoch sind Ihre Treibhausgasemissionen pro Jahr, Ihr CO₂-Fußabdruck?
Ich würde schätzen, so 14 bis 15 Tonnen. Ein Drittel mehr als der deutsche Durchschnitt von 10,3 Tonnen im Jahr 2024. Ist es eine gute Idee, Menschen zum Verzicht zu bewegen – etwa auf Fernreisen oder Fleischkonsum?
Es ist schon wichtig, den Menschen klarzumachen, dass uns dieser Planet vieles umsonst zur Verfügung stellt. Und dass es teuer wird, wenn wir dafür eines Tages Geld ausgeben müssen. Wenn jemand in Indonesien seinen Müll in einen Fluss wirft, kann man ihm das schlecht vorwerfen, solange er keine echte Alternative hat. Kein Verständnis habe ich, wenn jemand mit Vermögen und Privilegien es genauso macht. Die Verantwortung für diesen Planeten und seine Zukunft wächst mit den Privilegien. Das gilt für jede und jeden, aber auch für jeden Staat.
Das Gespräch führten Uwe Jean Heuser und Jens Tönnesmann
Zutatenfür ein
Er folgsrezept:
Fleißund Flexibilität
Die Nachfolgeregeln. #DasIstMirWichtig
MitFleiß, Flexibilität undMut hatSuntatdie richtigen Zutatenfür das Wachstum des Unternehmens gefunden.Damit diese besondere Mischunginder nächstenGeneration bewahr tund weiterentwickelt werden kann, stehen die Nachfolgespezialist:innen der HypoVereinsbank Suntatmit Ratund Tatzur Seite.Wir sind stolz,seit 15 Jahren als Geschäftspar tner geschätzt zu werden undTeil dieser besonderen Rezepturzusein.
Must afaB aklan- CEO
Die stehen auf den Schlauch
Witzenmann stellt Autoteile her und will nachhaltiger werden. Das Problem:
Der Zulieferer braucht sehr viel Stahl – und den kriegt er bislang nicht in grün
VON KRISTINA LÄSKER
Heute ist Witzenmann ein internationaler Automobilzulieferer mit 22 Standorten in 17 Ländern. Seit 2020 stecke die Familienfirma erneut im Umbruch, sagt Christine Wüst: »Wir sind mitten in der Transformation, weg vom Verbrenner, hin zu Produkten für eine dekarbonisierte Welt.« Die Betriebswirtin ist in der vierköpfigen Geschäftsleitung für Personal und Nachhaltigkeit zuständig. Die Gruppe fokussiert sich nun stärker auf die Wasserstoffindustrie. Der Wandel hat Gründe: Autohersteller verlangen von ihren Lieferanten, dass sie grünere Produkte anbieten und eine Klimabilanz erstellen. Druck kommt auch von der EU, sie hat die CO₂-Vorschriften für die Autobranche verschärft.
Der Wunsch nach mehr Umweltschutz kommt aber auch von innen: Gut 170 Jahre nach der Gründung gehört die Firma weiterhin einer Großfamilie. 20 Gesellschafter halten Anteile, und mit Philip Paschen sitzt ein Mitglied der fünften Generation in der Leitung. Der Familie sei es schon in den 1960er-Jahren wichtig gewesen, »ökonomisch und ökologisch im Gleichklang zu wirtschaften«, erzählt Wüst.
Umsatz, Gewinn und Produkte: Witzenmann beschäftigt etwa 4.500 Menschen in 17 Ländern und erzielte 2023 etwa 785 Millionen Euro Umsatz, ein Plus von sechs Prozent gegenüber 2022. Laut Wüst gab es einen »zufriedenstellenden« Gewinn, genaue Zahlen nennt sie nicht. Die wichtigsten Produkte sind Metallschläuche, Kompensatoren, Metallbälge und Rohrhalterungen für die Autoindustrie, sie erwirtschaften drei Viertel des Umsatzes. Die größten Kunden sind VW, Mercedes-Benz und der US-Autozulieferer Tenneco.
Was war der Auslöser für mehr Klimaschutz?
Philipp Paschen hat die Bilanzierung der Treibhausgase im Jahr 2010 angestoßen. Witzenmann trat damals dem Global Compact bei, einer Initiative der Vereinten Nationen
für nachhaltige Unternehmensführung. Beim Start spielte die Hochschule Pforzheim eine wichtige Rolle: Am Institut für Industrial Ecology gab es eine Doktorarbeit zur Bilanzierung von CO₂-Emissionen am Beispiel Witzenmann. »Es war damals das Ziel, eine für uns passende Berechnung für Scope 3 zu entwickeln«, sagt Philipp Schäfer, der den Bereich Nachhaltigkeit bei Witzenmann leitet. Die Hochschule entwickelte eine Messmethode, die Witzenmann bis heute nutzt. 2021 setzte sich die Firma dann Klimaziele mit dem Anspruch, dazu beizutragen, die Erderwärmung auf »deutlich unter zwei Grad« zu begrenzen. Bilanziert wird nach dem Greenhouse-Gas-Protokoll.
Was schadet dem Klima am meisten?
Der direkte CO₂-Ausstoß und der indirekte Ausstoß aus eingekaufter Energie machen nur noch sechs Prozent der Emissionen aus. Im Scope 1 entsteht der größte Teil der Treibhausgase beim Beheizen der Gebäude mit Erdgas oder Heizöl. Der Rest stammt aus dem Fuhrpark, in Deutschland sind das gut 100 Fahrzeuge. In Scope 2 sei »der Mammutanteil auf den Bezug von Strom und Fernwärme zurückzuführen«, sagt Schäfer.
Fast 90 Prozent der Scope-3-Emissionen stammen aus der Stahlproduktion, also aus eingekauftem Edelstahl. Drei Hebel sollen sie senken: Der Hersteller will weniger Stahl in der Produktion einsetzen, öfter Rohmaterialien aus recyceltem Stahl verwenden und mittelfristig auch emissionsärmeren Stahl einkaufen. Allerdings könne man als Einkäufer derzeit wenig verbessern, sagt Schäfer: »Es gibt aktuell keinen grünen Stahl zu kaufen.«
Was sind die wichtigsten Maßnahmen?
Künftig will Witzenmann mehr Strom aus Wind- und Solarenergie einkaufen. In Deutschland ist der Zulieferer 2023 auf Ökostrom umgestiegen. Im Ausland soll das bis 2030 geschehen. In Pforzheim baut Witzenmann zudem ein neues Stammwerk und will dort die Photovoltaik ausbauen, Prozesse elektrifizieren und Abwärme aus der
Reduzieren oder kompensieren?
Was kostet es?
Produktion als Energiequelle nutzen. »Der Neubau ist eine Jahrhundertchance für mehr Klimaschutz«, sagt Schäfer.
Die Gruppe kauft keine Zertifikate ein. Christine Wüst sagt: »Wir wollen uns durch Kompensation nicht freikaufen von der Verpflichtung zu mehr Klimaschutz.«
Investitionen: Das Unternehmen erklärt, es könne nicht beziffern, wie viel Geld es insgesamt für den Klimaschutz ausgibt. Allein der Bezug von Grünstrom in Deutschland koste etwa 50.000 Euro extra pro Jahr.
Verhaltensänderung: Nur wenige Kollegen hätten anfangs auf Elektro-Dienstwagen wechseln wollen, erzählt der Nachhaltigkeitschef Philipp Schäfer. Zu groß war die Sorge, dass deren Reichweite zu gering ist. Nun versucht man es mit Anreizen: Wer freiwillig umsteigt, erhält ein höheres Dienstwagenbudget. E-Autos können eine Woche getestet werden. »Das Anstupsen wirkt«, sagt Schäfer. Ein Fünftel des Fuhrparks sei schon elektrifiziert.
Was bringt es?
Anerkennung: Ecovadis hat Witzenmann für die Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit 2024 mit der Platinmedaille ausgezeichnet, laut der Beratung gehört der Hersteller zu den Besten der Branche. »Das haben wir nicht zu träumen gewagt«, sagt Wüst.
Zuspruch von Mitarbeitern: Die Plattform Kununu hat den Zulieferer mehrmals als »Top-Arbeitgeber« ausgezeichnet. Mitarbeiter und Bewerber bewerten ihn im Branchenvergleich überdurchschnittlich hoch; im Punkt Umwelt- und Sozialbewusstsein vergeben sie 4,1 von 5 Sternen. Wüst sagt, der Einsatz für mehr Klimaschutz erleichtere das Recruiting: »Trotz Fachkräftemangel schaffen wir es gut, die offenen Stellen zu besetzen.«
Einfach machen lassen
Seit Russland die Ukraine angegriffen hat, sind 1,2 Millionen Ukrainer nach Deutschland geflohen. Viele sind gut ausgebildet, aber nur jeder Dritte hat einen Job. Sind die Firmen zu anspruchsvoll? VON TOM SCHMIDTGEN, MITARBEIT: ISOLDE RUHDORFER
In den Elbe-Stahlwerken arbeiten fast 40 Ukrainer
Ob sie in Deutschland bleiben wolle? »Ja«, flüstert Olena Skrypai, und ihre Augen werden ganz groß, dann nickt sie entschlossen. Die 32-Jährige sitzt an einem Tisch in einem Besprechungsraum im Industriegebiet von Riesa, zusammen mit drei ukrainischen Kollegen, einer davon ist ihr Ehemann. Zwei der Männer tragen einen orangefarbenen Overall, auf dem Helm des einen klebt eine kleine ukrainische Flagge.
Die vier sind aus Mariupol geflohen, jener Stadt im Südosten der Ukraine, die fast vollständig vom russischen Bombenhagel zerstört wurde und heute von Russland besetzt ist. Sie arbeiteten wie 12.000 andere Menschen im Asow-Stahlwerk, vor dem Krieg war es das wichtigste Stahlwerk der Ukraine und eines der größten in Europa. Bis sich im Frühjahr 2022 rund 1.000 Zivilisten und Tausende Soldaten wochenlang in dem Werk vor den russischen Angriffen verschanzten.
Dieser Hölle sind die vier Ukrainer entkommen. Nun arbeiten sie in der sächsischen Provinz bei den Elbe-Stahlwerken, die zum italienischen Familienunternehmen Feralpi gehören. 850 Leute gießen hier pro Jahr eine Million Tonnen Schrott zu Stahl. Die Ukraine ist zwar weit weg, aber der Rauch, der Schmutz, die Hitze: Das ist weiterhin der Alltag der vier Ukrainer und von weiteren 33 ihrer Landsleute im Werk.
Seitdem Russland vor etwas mehr als drei Jahren die Ukraine angegriffen hat, haben 6,9 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer ihr Land verlassen. In Deutschland leben mehr als 1,25 Millionen von ihnen. Am Anfang hatten viele die Hoffnung, schnell heimkehren zu können. Doch mit den Jahren ist dieser Glaube geschwunden. Und so gaben 80 Prozent von ihnen in einer Studie des Forschungsinstituts ifo im März 2024 an, mindestens für die kommenden zwei Jahre in Deutschland bleiben zu wollen. Anfangs waren auch ihre Hoffnungen groß, schnell Arbeit zu finden. Und weil die Ukrainer nach der sogenannten europäischen Massenzustromrichtlinie registriert wurden, mussten sie kein Asyl beantragen, bekamen direkt Arbeitslosengeld II und ab 2023 dann Bürgergeld und eine Arbeitserlaubnis.
Trotzdem haben bis heute nur ein Drittel der Ukrainer im erwerbsfähigen Alter, die in Deutschland leben, eine Arbeit gefunden. Jeden Monat kommen zwischen 7.000 und 11.000 hinzu, sagt Herbert Brücker, Migrationsforscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, kurz IAB, in Nürnberg. Allerdings trifft man in den meisten Firmen im Land niemanden mit ukrainischem Pass: Nur vier Prozent der Unternehmen beschäftigen bislang geflohene Ukrainer, darunter vor allem große Betriebe mit mehr als 250 Mitarbeitenden, zeigt eine Studie des IAB.
Wie schwierig es ist, auf dem Arbeitsmarkt eine passende Stelle zu finden, zeigt der Fall von Tanja Bojko, die nicht mit ihrem tatsächlichen Namen in der Zeitung stehen möchte, weil sie aktuell zwar eine Arbeit hat, die aber aufgeben möchte. Sie sucht einen Job, der zu ihren Aufgaben in der Ukraine passt, wo sie als Beamtin in der Stadtplanung tätig war. In Deutschland sei es für sie sehr schwer, eine gleichwertige Arbeit zu finden. Oft werde sie trotz ihrer Qualifikation nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, weil in ihrem übersetzten Abschlusszeugnis nicht die Formulierungen stünden, die Arbeitgeber aus deutschen Zeugnissen gewohnt seien. »Das macht mich müde und traurig«, sagt Bojko. »Ich möchte doch nicht arbeitslos zu Hause sitzen.«
Bojkos Lage kennen viele Schutzsuchende aus der Ukraine. Knapp die Hälfte derjenigen im arbeitsfähigen Alter hat einen Studienabschluss und gilt als hoch qualifiziert, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Und laut einer Studie des IAB aus dem Jahr 2023 verfügen rund sieben von zehn ukrainischen Geflüchteten über tertiäre Bildungsabschlüsse, haben also eine Hochschule oder eine Fachakademie abgeschlossen, und seien damit für ihre aktuelle Tätigkeit »nicht selten« überqualifiziert. Dies sei unter anderem angesichts der Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen »nicht überraschend«, heißt es in der Studie.
An einem Tag im Winter sitzt Tanja Bojko in einem Büro in Dresden Tom Naumann gegenüber, er ist ihr Mentor. Sie solle den Lebenslauf noch einmal gemeinsam mit
ihm überarbeiten, rät Naumann, und die Fähigkeiten, die im Zeugnis fehlen, ergänzen. Er überreicht ihr einen gelben Flyer, der für eine Jobmesse in Dresden wirbt. »Es ist besser, dahinzugehen und persönlich mit den Arbeitgebern zu sprechen, statt auf Antworten zu warten«, sagt er. Bojkos Mundwinkel hängen herab. »Wir schaffen das«, bekräftigt Naumann. Sie lächelt kurz.
Bojko hat Naumann über den Bildungsträger Arbeit und Leben in der Dresdner Innenstadt gefunden, der Zugewanderte bei der Arbeits- und Ausbildungssuche begleitet. Das Projekt mit dem Namen »Arbeitsmarktmentoren Dresden« wird vom sächsischen Wirtschaftsministerium finanziert. Knapp 900 Mentees, davon 84 aus der Ukraine, wurden hier schon betreut. Solche Initiativen spielen auch deswegen eine wichtige Rolle, weil die Unternehmen oft unverhältnismäßig hohe Anforderungen stellen, etwa an die Sprachkenntnisse. Das sagt Victoria Baumann. Sie ist Mitgründerin von Workeer, einer Jobplattform für Geflüchtete. Mehr als 4.000 Unternehmen suchen auf der Plattform nach neuen Mitarbeitern. Baumann erzählt, dass viele Ukrainer mittlerweile zwar sehr gut Deutsch sprechen können, aber noch zu viele Arbeitgeber sich damit nicht zufriedengäben. So habe eine Firma kürzlich einen Lastwagenfahrer mit Deutschkenntnissen der Stufe C1 gesucht, also fast muttersprachlichen Fähigkeiten. »Wir haben dann den Chef beraten, wie realistisch das ist und welches Niveau tatsächlich benötigt wird.«
Der Ingenieur Vadym Budur ist einer von denen, die es geschafft haben. Nach dem Gespräch im Besprechungsraum von Feralpi in Riesa hat er auf seinem Arbeitsplatz Position bezogen: im Walzwerk der Stahlfabrik. Lange orange leuchtende Knüppel werden durch eine riesige Maschine gezogen; Wasser spritzt, eine Walze senkt sich dröhnend, Splitter des Metalls fallen zu Boden. Abwechselnd wird der Metallstab von oben und von der Seite gedrückt, wird dünner und dünner. Der 41-Jährige überwacht den Prozess.
Neben Budur steht Kai Holzmüller, der Personalchef von Feralpi. Er muss sein Lob für Budur fast schreien, um das Walzwerk zu
übertönen. Budur, ruft Holzmüller, habe für Feralpi eine digitale Visualisierung der Abläufe im Walzwerk programmiert. Dank ihr müsse man nicht mehr neben der Maschine stehen, um Störungen mitzubekommen – sie ließen sich vom Büro aus lokalisieren. Für so etwas würden andere Werke externe Firmen beauftragen. »Aber wir haben Vadym einfach machen lassen.«
Budur ist nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges geflohen, erst mal quer durch die Ukraine und im Sommer 2022 nach Deutschland, weil seine Tante hier wohnt. Mittlerweile habe er noch seine Eltern nach Riesa geholt, erzählt er, außerdem seinen Bruder mit Familie. Auch der arbeitet bei Feralpi. »Und seine Frau hat gestern ihre B1Sprachprüfung bestanden«, sagt Budur und lächelt. »Jetzt kann sie auch bald arbeiten.«
So läuft das in Deutschland, erklärt der IAB-Forscher Herbert Brücker: erst die Sprache lernen, dann arbeiten. Deswegen sei die Beschäftigungsquote der Ukrainer in den ersten Jahren nach Kriegsbeginn nur langsam gestiegen, seit Kurzem aber viel schneller. Länder wie Dänemark und die Niederlande verzichteten zwar auf Sprachprogramme und versuchten, die Menschen schnellstmöglich zu vermitteln, allerdings würden die dann häufig in prekären Beschäftigungen landen. Das sorge kurzfristig für bessere Zahlen, nachhaltiger sei es nicht.
Das belegen aus Brückers Sicht die Erfahrungen mit Syrern und Afghanen: Ihre Beschäftigungsquote sei hierzulande um 10 bis 15 Prozentpunkte höher als in Dänemark und den Niederlanden. Er rechnet deshalb damit, dass der Anteil der Ukrainer mit Job steigen wird – und damit, dass sie eher Jobs bekommen, die ihren Berufen in der Heimat ähneln.
Kai Holzmüller von Feralpi sagt, das Unternehmen habe jedem Ukrainer eine Chance gegeben. Olena Skrypai und ihr Mann Sergey erfuhren von dem Angebot in Lettland, wo sie nach ihrer Flucht zuerst gelebt haben; Freunde hatten ihnen davon erzählt. Also zogen sie nach Riesa. Holzmüller und sein Team organisierten Tandempartner für jeden neuen Mitarbeiter. Abends nach jeder Schicht bietet Feralpi einen zweistündigen Sprachkurs an, die
»Ich habe es nicht hingekriegt. Ich wäre geblieben, wenn ich schweigend hätte arbeiten können«
Alina Semenko, 40, kehrte von Niedersachsen nach Charkiw zurück
Kosten trägt das Unternehmen. »Wir haben auf keine Behörde gewartet und direkt losgelegt«, sagt Holzmüller. Von jedem Ukrainer verlangen sie nach einem Jahr gute Sprachkenntnisse für eine Entfristung. Berufsbegleitende Sprachkurse findet auch der Arbeitsmarktexperte Brücker gut, er sagt aber auch: »Davon gibt es leider viel zu wenig.«
Und manchmal reichen selbst sie nicht. Alina Semenko ist 2022 aus der Ukraine geflohen, zusammen mit ihrer Tochter, ihrer Mutter, ihrer Tante und ihrem Hund. Zufällig kam die Ingenieurin bei einem Malermeister des Unternehmens Temps in Neustadt am Rübenberge unter. Und weil sie möglichst sofort mit anpacken wollte, vermittelte der ihr ein Bewerbungsgespräch in seiner Firma, ZEIT für Unternehmer berichtete damals über sie.
Heute erreicht man Semenko am Telefon in ihrer Heimatstadt Charkiw. Sie ist zurückgekehrt. Ohne ihre 18 Jahre alte Tochter, die nun in Deutschland studiert, ohne
ihre Eltern. Sie sollten in Sicherheit bleiben. Auf Russisch erzählt sie, der Chef von Temps sei »sehr nett« gewesen: »Er hat mir viel geholfen, stellte jedoch eine Bedingung: Sprachkenntnisse in Deutsch.«
Semenko sagt, für sie sei diese Hürde zu hoch gewesen. »Ich habe es nicht hingekriegt. Ich wäre geblieben, wenn ich schweigend hätte arbeiten können.« Sie hätte auch jede andere Arbeit verrichtet. Aber die Bedingung blieb. »In meinem Alter ist es zu schwer, noch einmal von vorn zu beginnen«, sagt die 40-Jährige.
Ulrich Temps, der Unternehmer aus Neustadt am Rübenberge, kann seine Haltung erklären. »Ein Grundstock an Deutsch ist auf der Baustelle unerlässlich – gerade in Gefahrensituationen«, erklärt der Firmenchef am Telefon. Dafür stelle er ja auch Sprachkurse zur Verfügung, die er aus eigener Tasche finanziere. Temps erzählt, dass er inzwischen sechs Ukrainer beschäftige, etwa ein Dutzend Ukrainer könnten seine Sprachkurse besuchen, ohne dafür zu zahlen und ohne bei ihm zu arbeiten. Für den Unternehmer, so sagt er es, ist das mehr soziale Verantwortung als Gewinnmaximierung.
In Charkiw hat Alina Semenko wieder einen Job gefunden: Die Bauingenieurin arbeitet nun als Direktorin eines kommunalen Unternehmens. Rückkehrer werden in der Ukraine überall gebraucht, vor allem beim Wiederaufbau. Nach Bombardierungen begutachtet Semenko Gebäude und kontrolliert die Reparaturen. Sie schickt Fotos von zerstörten Häusern: Die Fenster sind nur mehr schwarze Löcher, manche Balkone hängen herab. Die untersten Etagen sind mit Brettern zugenagelt.
Ein Foto zeigt Semenko in einem Zelt. Sie liegt auf einer Pritsche, trägt einen knallgrünen Pullover und ist eingewickelt in eine dicke Wolldecke. Neben ihr steht ein Kachelofen, davor dicke Holzscheite. »Ich war dort, um mich aufzuwärmen, als nach einer Bombardierung in meiner Wohnung Wasser, Strom und Heizung ausgefallen waren«, erzählt sie, »wir nennen diese Zelte Punkte der Unverwundbarkeit.«
Alina Semenko sagt, an all das habe sie sich gewöhnt: »Immerhin habe ich Arbeit«, sagt sie, »Gott sei Dank.«
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Ich bin Astrid Sachse –Expertinfür Firmenkundenbei TPC. Als eine von310 Gesprächspartnerinnenund Gesprächspartnern mache ich Ihr Unternehmen sicher und attraktiv. Dabei greife ichauf das Expertenteamder MLP Gruppe zurück. Das ist unser WIR-Prinzip.
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»Wir arbeiten hier nicht an unseren Egos«
Die Cousins Moritz Ritter und Tim Hoppe steuern als Gesellschafter und Beiräte den Schokoladenhersteller Ritter Sport. In ihrem ersten Interview zu zweit erklären sie, warum sie die Preise erhöht haben, weshalb sie weiter nach Russland liefern und wer heute das Sagen im Ritter-Clan hat
Moritz Ritter (links) und Tim Hoppe (rechts) in ihrer Schokofabrik in Waldenbuch. Sie leiten die Holding R2, zu der Ritter Sport gehört, und geben so den Kurs vor
»Der Klimawandel treibt nicht nur die Preise, er könnte auch dafür sorgen, dass es in Zukunft phasenweise weniger Kakao gibt, als wir brauchen«
Tim Hoppe
Herr Ritter, Herr Hoppe, Ritter Sport kennt so gut wie jeder, aber Sie als Eigentümer und Beiräte kennt kaum jemand. Starten wir also mit einem Kennenlernspiel. Ich stelle Ihnen Fragen, Sie schreiben die Antworten auf. Dann vergleichen wir. Auf geht’s: Idealist oder Realist?
Moritz Ritter: Boah. (überlegt, beide schreiben ihre Antworten auf)
Tim Hoppe: Ich traue mir eine gute Balance zu.
Ritter: Idealistisch motivierter Realist. Öko oder Techi?
Hoppe: Meine Liebe gehört der Natur, aber ich brauche auch Technologie.
Ritter: Ich bin ein Öko-Techie. Mit Ritter Sport bauen wir zum Beispiel Windräder, um unseren eigenen Strom zu erzeugen.
Rucksacktour in Nicaragua oder entspannen am Pool?
Hoppe: Mit den vier Kindern oder ohne?
Mehr als 40 Sorten umfasst das Sortiment von Ritter Sport. Firmenangaben zufolge kennen 97 Prozent der Menschen in Deutschland die Marke
12,8 %
beträgt der Marktanteil von Ritter Sport Firmenangaben zufolge in Deutschland. 2020 lag er noch bei 17,3 Prozent
Entscheiden Sie.
Hoppe: Allein mit Rucksack, mit Familie am Pool.
Ritter: Eindeutig Nicaragua.
Wer von Ihnen denkt mehr an heute, wer an morgen?
Hoppe: Moritz denkt mehr an morgen!
Ritter: Andersherum. Bei mir steht: Du denkst sehr strategisch, also an morgen. Ich denke sehr organisatorisch, also eher an heute. Schnelligkeit oder Genauigkeit?
Ritter: Schnell. (zeigt auf Tim Hoppe) Genau. (zeigt auf sich)
Hoppe: Da sind wir einer Meinung.
Wer hat mehr Geduld mit der älteren Generation Ihrer Familienfirma?
Ritter: Ich würde sagen, das bin ich.
Hoppe: Das habe ich auch notiert. Moritz hat die Superpower, alle an einen Tisch zu bringen.
Wer isst mehr Schokolade?
Ritter: Tim.
Hoppe: Weil ich den ganzen Tag hier bin. Wenn ich in der Entwicklungsabteilung herumlaufe, probiere ich alles, was herumliegt.
Voll-Nuss oder Roasted Peanut?
Ritter: Aktuell Peanut.
Hoppe: Voll-Nuss.
Duo oder Solo?
Hoppe: Wenn es nicht um Schokolade geht, fühle ich mich im Duo wesentlich
wohler. Sonst einfach und ehrlich: eine Sorte, also Solo.
Hoppe: Je nach Hersteller. Aber ich freue mich immer über spannende Trends.
Ritter: Die Originalversion kenne ich nicht, aber unsere Pistazien-Tafel schmeckt lecker.
Bleiben wir beim Thema: Was kann man aus dem Hype um Dubai-Schokolade darüber lernen, wie man heute Schokolade verkauft?
Hoppe: Dass Schokolade positiv ist und Spaß macht und man das in sozialen Netzwerken gut transportieren kann. Danach sehnen sich die Menschen, gerade in schwierigen Zeiten.
Ritter Sport macht Werbesprüche wie »Für Beißer, nicht für Lutscher« im Fall der Voll-Nuss-Tafel. Aber früher wirkten Sie mutiger, Sie haben etwa mal mit dem Slogan »Tüten mit mehr Spaß findet man nur in Amsterdam« geworben und in München auf den Plakaten gefragt: »Servus Schickeria, heute schon gekokost?« Verzichten Sie heute auf solche Pointen, um niemandem auf die Füße zu treten?
Hoppe: Nein. Wir versuchen immer, uns und die Welt nicht so ernst zu nehmen –ohne den Bogen zu überspannen. Auch in unserer aktuellen Kampagne sind einige Wortspiele, etwa: »Gute Zutaten sind ein Mousse« oder »Zug verpasst? Vollbitter«. München wird aktuell übrigens mit »Nascheria« angesprochen
Na ja ...
Ritter: Vielleicht fallen Ihnen die frechen Sprüche weniger auf, weil wir inzwischen öfter die Nachhaltigkeit unserer Schokolade betonen. Wir wollen nicht nur zeigen, dass sie schmeckt und Spaß macht, sondern auch, welche Qualität in ihr steckt.
Foto: Ritter Sport
HAUSBAU.
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Wo Ritter seinen Umsatz erwirtschaftet. Russland ist der zweitwichtigste Absatzmarkt
1.900
Menschen arbeiten für Ritter. Im Jahr 2004 beschäftigte das Unternehmen noch doppelt so viele Mitarbeiter in der Produktion wie in seinen Büros. Dank der Automatisierung sind die Schreibtischarbeiter heute in der Mehrheit
Im Firmenblog lassen Sie Ihre Fans sogar über die Botschaften abstimmen. Vor Kurzem haben Sie dort auch verkündet, dass Ihre Schokolade teurer wird, und empfehlen dem Handel jetzt Preise von mindestens 1,89 Euro pro Tafel. Warum?
Hoppe: In den vergangenen Monaten kostete eine Tonne Kakao manchmal mehr als 10.000 Dollar. In den Jahren vor 2023 waren es dagegen selten über 3.000 Dollar. Das spüren alle Hersteller deutlich. Die Nuss-Klasse ausgenommen, macht der Kakao bei uns mittlerweile mehr als 80 Prozent unserer Rohstoffkosten pro Tafel aus.
Laufen Ihnen jetzt die Kunden weg?
Ritter: Vielleicht kauft der eine oder andere vorübergehend lieber Gummibärchen. Aber auf Dauer verliert man die Lust auf Schokolade kaum. Zwei Euro pro Tafel sind auch nicht so viel, wenn man schaut, was eine Brezel oder ein Döner inzwischen kosten.
Konnten Sie im Jahr 2024 Ihren Umsatz trotzdem steigern?
Hoppe: Wir haben noch ein Wachstum von etwa fünf Prozent auf 605 Millionen Euro erzielt. Und wir erwarten weiterzuwachsen. Und konnten Sie die Kosten so weitergeben, dass noch ein Gewinn übrig geblieben ist?
Ritter: Ob es einen Gewinn gegeben hat, können wir noch nicht endgültig sagen. Seit 2012 betreiben Sie eine eigene Kakaoplantage in Nicaragua, seit 2017 bauen Sie im Südwesten Frankreichs Haselnüsse an. Macht Sie das unabhängiger vom Weltmarkt?
Ritter: Perspektivisch auf jeden Fall. Wir unterhalten nun auch in Chile ein Joint Venture, um dort Haselnüsse anzubauen. Hoppe: Die Plantagen schützen uns zudem vor Lieferengpässen. Denn der Klimawandel treibt nicht nur die Preise, er könnte auch dafür sorgen, dass es in Zukunft phasenweise weniger Kakao gibt, als wir brauchen. Wie bedrohlich ist die Lage für Sie?
stresst die Entwicklung der Kakaopflanzen, darauf müssen wir uns einstellen.
Herr Hoppe, auf LinkedIn haben Sie ein Luftbild Ihrer Plantage El Cacao als großes Hintergrundbild eingestellt. Was bedeutet sie Ihnen?
Hoppe: Ich kenne viele Mitarbeiter dort seit mehr als zehn Jahren, bin dreimal im Jahr dort und freue mich jedes Mal darauf. El Cacao verkörpert, wie wir uns eine nachhaltige Zukunft vorstellen.
Aber können Sie die Bauern noch bezahlen, wenn Ernten ausfallen?
Hoppe: Das sehe ich als Teil unserer unternehmerischen Verantwortung. Wir werden immer nach Lösungen suchen, damit es dort weitergehen kann. El Cacao ist für die ganze Familie ein Herzensprojekt.
Sie, Herr Ritter, zeigen in Ihrem LinkedInProfil ein großes Foto einer SolarthermieAnlage ...
Ritter: weil wir auch auf erneuerbare Energie setzen. Unsere Tochterfirma Ritter Regenerativ stellt mit zwei Windrädern und einer PV-Anlage Strom her, mit dem unsere Schokoladenproduktion die Hälfte ihres Bedarfs deckt.
Hoppe: Wir wollen unsere Emissionen bis 2030 um 42 Prozent gegenüber 2021 senken. Auch dabei hilft uns unsere Plantage, da wir in den aufgepflanzten Bäumen und im humusreichen Boden CO₂ speichern. In den USA zeichnet sich eine klimapolitische Wende ab: Donald Trump hat das Klimaschutzabkommen von Paris aufgekündigt, viele Konzerne fahren ihr Engagement zurück. Wie sehr beeinflusst Sie das?
Ritter: Es besorgt mich, ist aber am Ende irrelevant. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Und wenn man die richtig macht, lohnen sich erneuerbare Energien auch wirtschaftlich.
Auf der Plantage »El Cacao« wachsen auf 2.500 Hektar etwa eine Million Kakaobäume. Ritter beschäftigt dort 450 Menschen
Hoppe: Sehr. In Nicaragua gab es in den vergangenen zwei Jahren jeweils etwa sechs Monate Trockenzeit statt der früher üblichen sechs Wochen, und zugleich regnet es in anderen Monaten dort erheblich mehr als früher. Wir haben dort vor zwei Jahren auch den ersten Hurrikan erlebt. All das
Was dachten Sie, als die AfD Chefin Alice Weidel im Wahlkampf gewettert hat, sie wolle alle Windräder abreißen?
Ritter: Reiner Populismus. Das würde sie gar nicht umsetzen können, selbst wenn sie Regierungsverantwortung hätte.
Aber auch von der neuen Bundesregierung dürfte abhängen, wie sehr sich regenerative Energien lohnen. Lässt Sie das zögern?
Rica EL CACAO
Ritter: Ich wüsste nicht, wie man günstiger Strom erzeugen kann als mit Sonne und Wind. Daran wird die nächste Regierung nichts ändern. Trotzdem muss die Politik klare Regeln schaffen, etwa für Heizungen. Die brauchen wir unbedingt, denn es ist völlig unklar, wo in Zukunft noch Gas herkommen soll.
Herr Ritter, Sie haben früher schon mal mit Fridays for Future demonstriert. Gehen Sie immer noch auf die Straße?
Ritter: Im Moment nicht. Aber ich verstehe, wenn die jüngere Generation der älteren sagt: Hey, wir brauchen eine Politik, die unsere Zukunft und damit das Klima schützt. Welche Politik erwarten Sie jetzt?
Ritter: Wir Unternehmer können uns auf vieles einstellen, aber wir brauchen auch Verlässlichkeit, um planen zu können. Planungssicherheit an sich ist kein inhaltliches Programm. Was fordern Sie genau?
Hoppe: Die Politik sollte den Menschen keine Lösungen vorschreiben, also nicht etwa bestimmte Produkte wie Wärmepumpen. Aber sie sollte Anreize setzen, an denen sie sich ausrichten können. Dann kaufen sie eine Wärmepumpe, weil es sich lohnt – und nicht, weil sie gezwungen werden, auf die Gasheizung zu verzichten.
Ritter: Nicht Verbote, sondern Anreize bringen auch die Unternehmen dazu, im Wettbewerb die besten Lösungen zu finden. Und das können wir, der Erfindergeist macht unser Land doch stark!
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben Sie entschieden, weiterhin Schokolade nach Russland zu liefern. Der frühere ukrainische Botschafter twitterte damals »Quadratisch. Praktisch. Blut« und löste so einen Shitstorm aus. Was hat das mit Ihnen gemacht?
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Ritter: Das hat uns emotional extrem getroffen, zumal es auch Drohungen gegen uns gab. Und wir haben uns sehr machtlos gefühlt, weil es in den sozialen Netzwerken gar nicht möglich ist, diese komplizierte Entscheidung zu erklären.
Bereuen Sie die?
Ritter: Es war eine sehr harte Entscheidung, aber wir würden sie wieder so fällen.
Der Beginn des Krieges liegt nun drei Jahre zurück, Russland greift die Ukraine weiter an. Warum also liefern Sie immer noch nach Russland?
Ritter: Der Krieg Russlands ist ein gewaltiges Unrecht. Aber es geht bei uns um Schokolade, und gegen Lebensmittel gab und gibt es keine Sanktionen. Es ist in Ordnung, dass Schokolade an jeden verkauft wird.
Vielleicht hat Ihre Entscheidung so viele Menschen vor den Kopf gestoßen, weil Ihnen verantwortungsvolles Handeln
485 Mio. € 2015 471 Mio. € 2020 605 Mio. €
So hat sich der Umsatz von Ritter in den vergangenen 20 Jahren entwickelt
»Der Krieg Russlands ist ein gewaltiges Unrecht. Aber es geht bei uns um Schokolade, und gegen Lebensmittel gab und gibt es keine Sanktionen«
Moritz Ritter
18 Mio
Euro Jahresüberschuss erzielte die Ritter-Holding 2022 laut ihrer aktuellsten veröffentlichten Bilanz
sonst so wichtig ist. Ist es deswegen nicht besonders widersprüchlich, weiter mit Russland Geschäfte zu machen?
Ritter: Von unserer Nachfrage nach Kakao leben weltweit sehr viele Menschen, nicht nur auf unserer Plantage. Wenn wir auf einen Teil unseres Absatzes verzichten würden, könnten wir unsere Verträge mit den Bauern nicht mehr erfüllen. Anders gesagt: Wir fühlen uns für unsere Lieferkette verantwortlich, aber wir können keine Verantwortung für unsere Kunden übernehmen. Mit den Steuern, die Sie in Russland bezahlen, finanzieren Sie aber das Regime Wladimir Putins.
Ritter: Das ist sicher ein Argument. Aber es ist nur eines von ganz vielen Argumenten. Ich finde es viel bedenklicher, dass Deutschland kubikmeterweise Gas aus Russland gekauft hat, auch noch nach Kriegsbeginn, und über Umwege bis heute bezieht. Und wir werden wegen Schokolade an den Pranger gestellt. Obwohl wir die Gewinne, die wir in Russland erzielen und ausführen, an Hilfsorganisationen spenden. Wie oft treffen Sie sich mit den Familienstämmen, um über solche und andere Fragen zu diskutieren?
Hoppe: Viermal im Jahr ganz formell. Aber wir fahren auch zusammen in Urlaub, feiern gemeinsam und versammeln uns einmal im Jahr zu einem Ritter-Tag. Wir sind ja noch eine kleine Familie.
Neben Ihnen beiden sind Ihre drei Geschwister sowie Alfred Theodor Ritter und Marli Hoppe-Ritter an der Familienfirma beteiligt, also die vierte und die dritte Ritter-Generation. Gibt es auch die fünfte schon?
Ritter: Ja, aber weil unsere Kinder möglichst unbefangen aufwachsen sollen, sprechen wir ungerne über sie.
Hoppe: Unsere Vorgängergeneration ist noch auf dem Werksgelände groß geworden. Immer in der Erwartung, dass sie der nächste Alfred Ritter werden. Gegründet hat das Unternehmen Ihr Urgroßvater Alfred Eugen Ritter, 1952 übernahm Ihr Großvater Alfred Otto Ritter ...
Ritter: ... und bei meinem Vater Alfred Theodor war schon durch die Namens-
gebung von Geburt an der Lebenszweck klar. Er hatte als junger Mensch andere Pläne, ist dann aber auf Wunsch der damaligen Geschäftsführung im Jahr meiner Geburt hier Beiratsmitglied geworden – übrigens genauso wie seine Schwester Marli Hoppe-Ritter. Sie beide heißen nicht einmal mit drittem oder viertem Vornamen Alfred?
Hoppe: Nein. Unsere Eltern wollten es uns ermöglichen, eigene Wege zu gehen. Deswegen waren wir früher nur selten in der Fabrik. Es ist nicht zuträglich für die eigene Persönlichkeit, sich von Kindesbeinen an nur über das Unternehmen zu definieren. Ist es nicht toll, als Kind in einer Schokofabrik aufzuwachsen?
Ritter: Mein Vater und meine Tante wussten nur zu gut, was sie uns ersparen wollten. Ich bin nicht hier in Waldenbuch, sondern in Heidelberg aufgewachsen. Und selbst dort wussten viele Menschen, wer ich bin, noch bevor sie mich kennengelernt hatten. Das ist für einen Jugendlichen, der sich ausprobieren will, keine schöne Situation. Ritter ist immerhin eine Marke, die viele sympathisch finden!
Ritter: Aber jeder fragt Sie aus, erzählt Ihnen von seiner Lieblingssorte und schlägt Ihnen ungefragt neue Sorten vor. Das ist für einen Jugendlichen schon anstrengend. Aber mittlerweile freue ich mich über die verbindenden Gespräche zu Schokolade und bin stolz auf unsere Marke.
Dem »Spiegel« hat Ihr Vater vor vier Jahren gesagt, er habe Sie mal genötigt, ihm zu helfen, das würden Sie ihm regelmäßig vorwerfen ...
Ritter: Es war ein wenig anders: Vor etwa 15 Jahren hat er mich gebeten, ihn als Beirat bei der Ritter Energie, die mein Vater 1988 gegründet hatte, zu unterstützen, was ich dann auch getan habe. Das war schon ein harter Einstieg, denn vorher habe ich Informatik studiert und an einem Fraunhofer Institut geforscht. Aber ich habe mich frei dafür entschieden und wurde einige Jahre später auch Geschäftsführer. Vorgehalten habe ich das meinem Vater nie.
Wie hätte Ihr Leben sonst ausgesehen?
Ritter: Ich hätte mich mit Robotik und Computervision beschäftigt und hätte promoviert.
Hoppe: Das würde sich heute auszahlen! (lacht)
Herr Hoppe, Sie haben BWL studiert und nach dem Studium für eine Softwarefirma gearbeitet. Wollten Sie eigentlich auch woandershin?
Hoppe: Dank meines Nachnamens war die Schokolade nicht so zentral für meine Identität. Aber als Moritz’ Vater mich 2011 gefragt hat, ob ich einsteigen und beim Aufbau unserer Plantage in Nicaragua helfen will, habe ich Ja gesagt. Und da habe ich mich dann ins Thema Kakao verguckt. Ritter gehört jeweils zur Hälfte den beiden Stämmen, den Ritters und den Hoppes. Was passiert, wenn die mal uneinig sind?
Ritter: Wir sind eine Unternehmerfamilie ...
Hoppe: und haben noch nie nach Stämmen abgestimmt.
Aber Sie beide und Ihre insgesamt drei Geschwister könnten mit Ihren 69 Prozent der Anteile die ältere Generation leicht überstimmen, die ja zum Jahreswechsel nach fast 50 Jahren auch aus dem Beirat ausgeschieden ist, dem strategischen Leitungsgremium Ihrer Firma. Ritter: Schon. Aber wenn ich einen Gesellschafter überstimmen müsste, hätte ich in Zukunft ein großes Problem. Gerade in einem kleinen Kreis aus sieben Gesellschaftern muss es uns gelingen, dass wir uns einigen. Wir entwickeln deswegen zusammen Strategien und formulieren Werte, aus denen wir unsere Entscheidungen ableiten können. Ganz gleich sind die Anteile ja nicht verteilt. Ihnen, Herr Hoppe, gehören 16 Prozent, und Ihnen, Herr Ritter, nur etwa 13 Prozent ...
Ritter: Um genau zu sein: 12,5 Prozent. Und Tim hält mir das jeden Morgen vor. (lacht)
Ihr Vater Alfred T. Ritter hat Ritter Energie als Reaktion auf die Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 gegründet und als Ökopionier Auszeichnungen erhalten. Ihr Urgroßvater Eugen hat sich einst den Nazis verweigert, nach dem Krieg haben die Alliierten ihn als Bürgermeister von Waldenbuch eingesetzt, er wurde Ehrenbürger. Wie wollen Sie als Unternehmer in Erinnerung bleiben?
Ritter: Darüber denke ich nicht nach. Wir arbeiten hier nicht an unseren Egos, sondern daran, in Einklang mit Mensch und Natur zu wirtschaften.
Hoppe: Wir wollen Geld verdienen, aber so, dass die Welt eine bessere wird als ohne uns. Und es wäre natürlich schon gut, wenn man später nicht über uns sagen würde: Die haben es an die Wand gefahren. Die Fragen stellte Jens Tönnesmann
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Teure Scherben
60 Millionen Gläser stellt Zwiesel
Kristallglas jährlich her, viele sind mundgeblasen und von Hand graviert.
Ein Besuch im Bayerischen Wald bei Kobelmachern, Formendrechslern und Glasbläsern
VON NAVINA REUS; FOTOS: SIGRID REINICHS
1 Bruch gibt es immer. Jedes Glas, das nicht einwandfrei ist, wird aussortiert – und in der eigenen Produktion recycelt
2 Jede neue Serie entsteht zuerst auf dem Papier. Wenn die Chefdesignerin Irmgard Braun-Ditzen zufrieden ist, lässt sie aus Holz einen sogenannten Model drechseln
3 Das übernimmt Stefan Raml. Der Formendrechsler ist einer der wenigen in Deutschland, die dieses Handwerk noch beherrschen. Für seine Formen nimmt er Buchenholz, das ist am strapazierfähigsten. In dem Model wird das Glas später geblasen 3 2
4 Im sogenannten Hafenofen ist es über 1.200 Grad heiß. Dafür wird Erdgas verfeuert, das in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden ist
5 Ist der Ofen heiß genug, wird darin dieses Gemenge aus Quarzsand, Soda, Pottasche und Kalk erhitzt. Zusammen mit Bruchglas wird es zu einer flüssigen Masse geschmolzen
6 Mit der Pfeife blasen die Kobelmacher das glühende Glas in Form. Bis zu 20 Gläser fertigen sie pro Stunde. Keines darf mehr als einen Millimeter von der Norm abweichen
7 Die Mitarbeiterin Karin Reith zeichnet Linien auf das Glas und graviert es anschließend freihändig. Weit über 100 Linien sind es pro Glas der Serie »Glamorous«. Auch deshalb kostet jedes davon 80 Euro. Kein Schnäppchen, aber beliebt bei der gehobenen Hotellerie
8 In der Halle übernimmt eine Maschine die Arbeit der Glasbläser und formt glühende Glastropfen zu feinen Kegeln und Stielen, dann werden sie vereint. Hier ist zu sehen, wie Flammen anschließend die Ränder veredeln. Zwiesel exportiert Gläser in 160 Länder, das günstigste kostet ein paar Euro. 2022 lag der Umsatz bei über 100 Millionen Euro
UNTERNEHMER-FRAGEBOGEN
Keine Angst vor Trump
Herr Buske, Sie haben 2001 die Zwiesel Kristallglas AG übernommen. Die Glashütte stand damals kurz vor der Pleite. Wie kam es zu dem Schritt?
Andreas Buske: Ich habe damals im Mutterkonzern Schott AG in der Unternehmensberatung gearbeitet, und die Schott Zwiesel AG, wie die Glashütte damals noch hieß, bereitete uns Bauchschmerzen. Sie hatte über viele Jahre Verluste geschrieben.
Robert Hartel, einer der Vorstände, und ich wurden gebeten, nach Lösungswegen zu suchen. Wir entschieden uns für ein ManagementBuy out.
Warum haben Sie an eine Zukunft des Standortes geglaubt?
Weil die Unternehmensstrategie falsch war, nicht aber die Leute. Die zeichnen sich hier durch ein unfassbares Herzblut aus – sie funktionieren wie eine große Familie. Und für die wollte ich damals gern die Verantwortung übernehmen. Genau das bedeutet für mich nämlich Unternehmertum.
Was haben Sie als Erstes geändert?
Wir haben umstrukturiert, auf Qualität statt Masse gesetzt. Wir haben etwa ein neues Herstellungsverfahren entwickelt für spülmaschinen und bruchfestes Kristallglas mit einer besonderen Oberflächenhärte. Außerdem haben wir den Weg in die internationalen Märkte gesucht – Spanien, Japan, China und Amerika – und uns erfolgreich als Weltmarktführer reetabliert.
Welche Krisen mussten Sie auf dem Weg dorthin meistern?
Neun Monate nach der Übernahme überraschte uns das große Oderhochwasser. Unsere Manufaktur in Tschechien wurde in nur acht Stunden zerstört. Das war ein achtstelliger Schaden. 2006 folgte hier in Zwiesel eine der größten Schneekatastrophen: Den zwei Meter hohen Schnee haben viele Dächer der Häuser und Hallen nicht
Andreas Buske, 55, ist seit 2015 alleiniger Eigentümer der Firma
ausgehalten. Wir haben Mitarbeiter verloren, die versuchten, ihre Häuser zu retten, und dabei eingebrochen und verstorben sind. Das war ein harter Schlag. Die Auswirkungen der LehmanBrothersPleite 2008, der Coronapandemie und des Ukrainekriegs haben uns natürlich auch getroffen. Was sind heute die größten Herausforderungen?
Der globale Wettbewerb ist intensiv und sehr dynamisch. Wir müssen uns anstrengen, um da zu bestehen. Wie viele Unternehmen belasten auch uns die hohen Energiekosten. Wir verbrauchen jedes Jahr so viel Gas und Strom wie eine Stadt mit 45.000 Einwohnern. Und wir spüren die Inflation: Die Menschen können sich einfach nicht mehr so viel leisten. Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Ich wünsche mir Planungssicherheit und Klarheit. Wenn wir eine neue Glasschmelzwanne bauen, bleibt die für mehr als zehn
Jahre angeschaltet. Das ist eine MultimillionenInvestition. Sie rechnet sich nur, wenn die Energiepreise nicht noch weiter steigen. Wie hart trifft Sie der Fachkräftemangel? Wir bekommen tatsächlich nicht mehr genug Nachwuchskräfte, das bereitet mir Sorgen. Dazu gibt es diesen neuen Geist: Die Leute wollen nur noch vier Tage die Woche arbeiten, davon am liebsten mehrere im Homeoffice. Wie soll das funktionieren? Unsere Maschinen müssen ununterbrochen laufen, sonst nehmen sie Schaden.
Amerika ist ein wichtiger Markt für Ihr Unternehmen. Machen Sie sich Sorgen angesichts der zweiten Amtszeit von Donald Trump?
Nein, und zwar aus drei Gründen. Erstens stehen wir als Glashersteller nicht im Fokus. Zweitens haben wir jetzt schon signifikante Importzölle von teils über 25 Prozent. Und drittens haben wir uns 2022 in den USA mit Fortessa Tableware Solutions, Marktführer im Bereich Geschirr und Besteck, zusammengetan. Wir sind gut vorbereitet und haben dort alles richtig gemacht. Was begrenzt das Wachstum Ihres Unternehmens am meisten?
Tatsächlich der fehlende Nachwuchs. Unsere Maschinen sind wie Formel1Autos, sie brauchen die richtigen Fahrer, also Menschen, die diese Maschinen führen. Durch die Integration von Fortessa in unser Unternehmen können wir aber immerhin anorganisch wachsen. Rund um den gedeckten Tisch sozusagen. Welchen Unternehmer würden Sie gerne mal zum BusinessLunch treffen?
Warren Buffett. Er verkörpert für mich die Erfahrung, dass man nicht auf schnelle Renditen, sondern auf nachhaltiges Wirtschaften abzielen sollte. Vom Orakel von Omaha könnte ich noch viel lernen. Die Fragen stellte Navina Reus
DEUTSCHE UNTERNEHMEN DER EXTRAKLASSE: DIEMARKEN DES JAHRHUNDERTS FEIERNPREMIERE
Stellen Sie sich vor, Sie betreten einen Raum underleben, wie Graf PatrickFaber-Castell und AnnetteRoecklüber Nachhaltigkeit diskutieren. Alfred Ritterund Dr.Hubertine Underberg-Ruder sinnieren übereinealkoholhaltige Schokoladensorte.Fabian Kienbaum tauschtsich mit Dr.Benjamin Nixdorf aus. Solche Begegnungensindnicht inszeniert–sie warendas Herzstück der feierlichenBuchpremiereder „Marken des Jahrhunderts“am 28. November 2024 im Berliner HotelAdlon.
In seiner Eröffnungsrede machte HerausgeberDr. Florian Langenscheidtdeutlich: Diese ikonischen Marken sind mehr als Wirtschaftsgrößen– sieverleihen der deutschen Wirtschaft einGesicht,tragensie in die ganzeWelt und verkörpern das Qualitätsversprechen „Made In Germany“.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten werden die Marken desJahrhunderts ausgezeichnet,seit 2018 im Rahmen derMedienmarke „Deutsche Standards“vom Studio ZX der ZEIT Verlagsgruppe
Herzstück der Auszeichnung ist die Präsenz im hochwertigen Coffee Table Book „Markendes Jahrhunderts“. Es präsentiert alle titeltragenden Unternehmen und würdigt dieMenschenhinterden Marken, ihre unternehmerische Leidenschaft und ihr kulturelles Erbe.
Neuer Podcast
„Marken des Jahrhunderts“ mit Raphael Gielgen
Ein Highlightder diesjährigen Ausgabewar derbegleitende Podcast, moderiertvon Raphael Gielgen.Als Trendscout von VITRA kennterdie ErfolgsrezepteerfolgreicherMarkenund sprichtmit Unternehmer:innen über Transformation, Innovation undMarkenführung.Gielgen hob hervor: „Eine Markedes Jahrhunderts hatesgeschafft, sich über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich zu erneuern und gleichzeitigihren Kernwerten treu zu bleiben.“
EinBlick ins Buch oder das Reinhören inden Podcastoffenbart: Die Marken des Jahrhunderts
sind mehr als eine Sammlung großer Namen– sie sind ein Symbol fürdie Kraftund Innovationsfähigkeitder deutschen Wirtschaft.
Mehr Informationen zurBuchpremiereund den Marken des Jahrhunderts findenSie hier: www.deutsche-standards.de
Weil neue EU-Regeln für mehr Gesundheitsschutz sein Handwerk bedrohten, erfand Max Hertlein kurzerhand
etwas Neues: die rote Trompete
VON CAROLYN BRAUN
Zwischen Brüssel und Markneukirchen liegen nicht nur acht Autostunden, sondern auch Welten. So kommt es zu unvorhersehbaren Reaktionen, wenn in der Hauptstadt der Europäischen Union etwas beschlossen wird, das in Sachsen umgesetzt werden soll. Und wer weiß: Hätten EU-Politiker nicht eine komplizierte Chemikalienverordnung vorgelegt, wäre ein junger Metallblasinstrumentenbaumeister im vogtländischen Musikwinkel wohl nicht zum Erfinder geworden.
Max Hertlein, 30, gehört zur siebten Generation der Meistermanufaktur Werner Chr. Schmidt. Zusammen mit seinem Großvater und einem Gesellen prägt er diesen ältesten Mundstückhersteller der Welt, gegründet vom Rotgießer Johann Schmidt, Hertleins 1855 gestorbenem Urururururgroßvater. Zwischen ihm und Hertlein reiht sich eine Riege männlicher Musikinstrumentenbauer auf, nur ein einziges Mal unterbrochen durch eine Frau, Hertleins Mutter, einer Lehrerin.
Max Hertlein, der schon als Kind dem Großvater in der Werkstatt half, hat seine Lehre 2015 absolviert. Er hängte den Meister dran, mit Ehrenurkunde. Kaum geschafft, sah es so aus, als, so sagt er es, »könnten wir hier alles zusperren«. Der Grund: Die EU-Verordnung »Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals« (Reach) soll die Anwendung gefährlicher und schädlicher Chemikalien einschränken und so zum Umwelt- und Gesundheitsschutz beitragen. Doch was hehre Ziele verfolgt, hätte beinahe dem Blasmusikinstrumentenbau den Garaus gemacht. Denn für Nickel und Blei wurden strenge Grenzwerte eingeführt.
Nur: Instrumente ohne Nickel und Blei waren nicht denkbar – bis dahin. Glänzen sie gelbgolden, bestehen sie aus Messing, scheinen sie silbrig auf, aus Neusilber. Neusilber aber ist eine Nickel-Kupfer-,
Hossa la Rossa
und Messing eine Zink-Kupfer-Legierung. Letztere enthält außerdem einen Bleianteil von bis zu drei Prozent – genug, um die Brüsseler Grenzwerte zu sprengen.
»Es war wirklich fünf vor zwölf«, so beschreibt Hertlein den Tag, als sich die Kunde von der Verordnung im Musikwinkel verbreitete. Zwar gelang es noch, Ausnahmeregelungen für Instrumente zu erreichen – eine für Blei und eine für Nickel. Beide müssen alle zwei Jahre verlängert werden. Das faktische Verbot war also erst mal vom Tisch, aber Hertlein wollte sich darauf nicht verlassen. Er beschloss: »Dann machen wir eben alles aus Kupfer.«
Die Trompete verdankt dem Kupfer ihre Farbe – und Max Hertlein ihre Existenz
Problem: »Reines Kupfer ist breiweich, sehr schwer zu bearbeiten, und Werkzeuge werden ruck, zuck stumpf.« Mit Experimenten, Geschick und Geduld gelang es Hertlein nach fast fünf Jahren, eine Trompete zu bauen, die nur aus Bronze, Kupfer und einem bleifreien Lot besteht. Diese »La Rossa« hat dem fast 200 Jahre alten Betrieb Aufmerksamkeit, den Sächsischen Innovationspreis und viele neue Kunden beschert, auch wenn er die Trompete selbst gar nicht so oft verkauft. Eine herkömmliche Trompete kostet zwischen 3.500 und 4.000 Euro, die rote etwas über 5.000 Euro. »Wir geben wirklich nur den Mehraufwand an Material und Arbeit weiter«, sagt Hertlein. Zielgruppe sind nun allergische Musiker. Aktuell sucht Hertlein dringend einen Azubi. Zwar werde das Geschäft immer härter, weil man mit günstigen Anbietern aus Fernost konkurriere, sagt er. Aber der Betrieb hat schon viel überlebt. Der Urgroßvater etwa hat sich in der DDR erfolgreich gegen die Enteignung gewehrt. Nun will der Urururururenkel des Gründers alles daransetzen, »mit jungen Ideen alte Traditionen weiterzuführen«. Seinen Sohn, noch keine zwei Jahre alt, nimmt er schon ab und an mit in die Werkstatt.
Foto: Werner Chr. Schmidt
Mit Sicherheit auf Digitalisierung setzen undResilienz stärken.
„Cyberkriminalität ist ein Thema, an dem mandranbleiben muss.Mit einemstarken Partner schaffen wirdas.“
Karl Geiger, Geschäftsleiter Goldfuß engineering
Waskostet Sie ein TagHandlungsunfähigkeit?
Wie viele solcher Tage möchten Siesichleisten?
Werrisikoreiche Entwicklungen früher erkennt, kann besser gegensteuern und ist widerstandsfähiger.Dabei helfen Daten undautomatisierte Prozesse –kurz die Digitalisierung.
Doch damit steigt auchdie Anfälligkeitfür Cyber- und Wirtschaftskriminalität. Die Gefahr, dass im Unternehmen dann nichts mehr geht, ist real. Technische undprozessuale Sicherheits- sowie Schulungsmaßnahmen helfen vorzubeugen. Ein hohesfinanziellesRestrisiko bleibt. Hier bietenAbsicherungslösungen für finanzielleRestrisiken wirksamen Schutz.R+V stellt sie bereit und trägt so zurWiderstandsfähigkeit vonUnternehmensowie Entscheiderinnenund Entscheidern bei.
VORBEREITEN &SCHÜTZEN
REAGIEREN& REGENERIEREN PARTNERSCHAFT FÜRDEN ERFOLG
Resilienz ist ein Prozess– R+V begleitetvon Anfang an unddauerhaft
Jetztmehr zum Thema erfahren und das Praxis-Handbuch Resilienz kostenfrei runterladen:
resilienz.ruv.de
Widerstandskraftfängt mit der Wahl des richtigen Partnersan: resilienz.ruv.de
Wer schnell zahlt, bekommt Rabatt
Reinhard Wollschlaeger war sich sicher: Sein Betrieb würde schon nicht zum Ziel eines Cyberangriffs werden. Bis eine Hackerbande zuschlug und ein sechsstelliges Lösegeld forderte. Und er vor der Frage stand: Wie verhandelt man mit Kriminellen?
VON MORITZ KUDERMANN UND JEANNE WELLNITZ
A»Ach, guck an, selbst denen passiert so was!«, denkt Reinhard Wollschlaeger, als er am 31. Oktober 2023 zur Arbeit fährt und im Radio hört, dass der Dienstleister Südwestfalen-IT gehackt wurde. Mehr als 150 Verwaltungen, Gemeinden, Standesämter, Verbände und Unternehmen sind betroffen. 22.000 Computerarbeitsplätze sind tot.
Wollschlaeger rollt auf den Firmenparkplatz in Oerlinghausen bei Bielefeld. Als er aussteigt, hat er die Nachricht schon abgehakt. Außerdem wähnt er sich sicher: Anfang des Jahres hat er rein vorsichtshalber eine Cyberversicherung abgeschlossen. Und ihm und seinen 22 Mitarbeitern werde schon nichts passieren. »Ich dachte: Wir sind viel zu klein, was sollten Hacker von uns wollen?«, erinnert sich der Unternehmer.
Wollschlaeger ist der Chef von Agromatic. An computerunterstützten Fräsen und 3D-Messmaschinen produziert der Betrieb Stellantriebe für Industriekunden, die damit
den Zufluss von Gasen, Flüssigkeiten oder Feststoffen regeln. Der kühlschrankgroße Metallkasten mit dem Server ist die unscheinbarste Maschine in den Produktionsräumen. Und doch das Herz des Unternehmens. Ressourcenverwaltung, Produktions-, Personal-, Material-, Kapitalplanung – alles steckt dort drin. An jenem Oktobermorgen kommt heraus: Es hat sich noch etwas in dem Server eingenistet – und zugeschlagen. Als Wollschlaeger damals aus dem Auto aussteigt, wundert er sich, dass der Wagen seines IT-Dienstleisters auch dort steht. Was will der denn hier? Drinnen sieht er den Experten mit einem Angestellten am Serverkasten stehen. Die Bildschirme der PCs und Maschinen in den Produktionsräumen sind alle schwarz. Der Server wurde gehackt.
Ein kleines Unternehmen wie Agromatic aus Ostwestfalen ist keineswegs uninteressant für Cyberkriminelle. Der Digitalverband Bitkom geht davon aus, dass in den Jahren
2023 und 2024 bundesweit sechs von zehn Unternehmen von Hackern attackiert wurden. Der Gesamtschaden der Cyberangriffe beträgt mehr als 178 Milliarden Euro pro Jahr. Rund 13,4 Milliarden Euro entstehen durch die Erpressung von gestohlenen Daten, was auch Wiederherstellungskosten und Produktionsausfälle beinhaltet. Der Rest geht etwa für Umsatzeinbußen, Kosten für IT-Dienstleister, Imageschäden und Rechtsstreitigkeiten drauf. Oft verwenden Angreifer Ransomware: Erpressungssoftware, die das IT-System blockiert und erst wieder freigibt, wenn das Opfer Lösegeld bezahlt – ein gut organisiertes Geschäft.
Cyberkriminelle bieten ihre Beute gern in der Unterwelt des Internets an, dem Darknet. Durch Countdowns bauen sie Druck auf. Im Fall von Agromatic kündigte die Ransomware-Gruppe Black Basta an, die erbeuteten Daten in wenigen Tagen freizuschalten. Das belastet die Opfer doppelt:
Jede achte mit Ransomware attackierte Firma hat Lösegeld gezahlt – eher selten in bar, meist in Coins
Einerseits sind ihre Daten verschlüsselt, sodass sie nicht mehr handeln können, allein das drängt manche Firma an den Rand der Pleite. Andererseits lassen die Angreifer ihre Opfer wissen: Wenn du nicht zahlst, leaken wir deine Daten. Dann können andere damit machen, was sie wollen.
Im Fall von Agromatic droht Black Basta damit, Sozialversicherungsnummern, Führerscheindaten, Lohnabrechnungen und Geburtsurkunden von Angestellten ins Netz zu stellen. Reinhard Wollschlaeger allerdings sieht all das nicht, das übernimmt das Krisenteam seiner Cyberversicherung. 30 Minuten nachdem er dort angerufen hat, ist es startklar. Die Bande fordert eine sechsstellige Summe, heißt es schließlich aus dem Team, das die Erpressernotiz gefunden hat. Die Experten raten: Sie zahlen nicht!
Nicht alle bleiben so cool. »Viele Unternehmer kennen ihre Infrastruktur nicht, sie sind nicht auf solche Angriffe vorbereitet«, sagt Andreas Persihl, Geschäftsführer der Beratung Caperium. Er kommt ins Spiel, wenn ein angegriffenes Unternehmen nicht versichert ist. Wenn es keine Back-ups gibt und der Firma nichts anderes übrig bleibt, als mit den Kriminellen zu sprechen.
Persihl ist professioneller Verhandler. »Bis zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine forderten Hackerbanden rund fünf bis zehn Prozent des Jahresumsatzes eines Unternehmens als Lösegeld«, sagt er. Allerdings sendeten nur wenige Täter gleich eine Forderung. Meist nähmen sie erst einmal Kontakt auf und verhandelten über die Zahlungshöhe. »Die unterscheidet sich bei erfolgreichen Verhandlungen immer von der Forderungshöhe«, sagt Persihl. Täter, die das schnelle Geld haben wollen, fordern meist weniger als die grobe Fünf-bis-zehn-ProzentAnnahme. Und: »Viele Tätergruppen bieten auch Speed-Discounts an. Je schneller gezahlt wird, desto größer ist der gewährte Rabatt.« Bevor es in die Verhandlung geht, versuchen er und sein Team zu analysieren, wer die Erpresser sind oder sein könnten. Laut dem Lagebericht des BSI kommen aktuell vor allem fünf Gruppen infrage, darunter auch Wollschlaegers Widersacher, die russische Erpressergruppe Black Basta. Man wisse zunächst nie, mit wem man es zu tun habe,
Die Methoden der Cyberkriminellen
Brute-Force-Angriffe
Hacking-Methode, bei der eine Software in schneller Abfolge verschiedene Zeichenkombinationen ausprobiert, um Passwörter und Zugangsdaten zu knacken. Bei schwachen Passwörtern gelingt das in unter einer Sekunde. Während der Pandemie kam es zu großflächigen Attacken auf Microsoft-Exchange-Server. Cyberkriminelle schafften es etwa, vollen Zugriff auf die Passwörter und Administratorenrechte der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde zu erhalten.
Phishing-Mails
Gut getarnte Mails, in denen wir aufgefordert werden, auf einen Link zu klicken, um Zugangsdaten, Kreditkartennummern oder Bankverbindungen einzugeben. Sie sind immer noch eine der beliebtesten Maschen von Cyberkriminellen. Laut dem Human Risk Report 2024 von SoSafe klickt jeder Dritte zu Beginn eines Cybersecurity-Trainings auf schädliche Links. Die erfolgreichste Betreffzeile: »Gehaltsabrechnungsfehler«.
DDoS-Angriff
Eine Distributed Denial-ofService-Attacke zielt darauf ab, Websites oder Onlineservices komplett lahmzulegen. Dafür kapern die Hacker eine große Anzahl an Rechnern, infizieren sie mit Schadsoftware und schließen sie zu sogenannten Botnetzen zusammen. Die lassen sie dann, wann immer sie wollen, eine Flut von Anfragen erzeugen, um die Server ihrer Opfer zu überlasten. Besonders beliebt: die Zeit um Black Friday, Cyber Monday und das Weihnachtsgeschäft.
erzählt Persihl: »Es kann sein, dass da alkoholisierte, unter Drogen stehende Hacker in irgendeiner Garage hocken – oder auf den Bahamas.« Manchmal habe er hochprofessionelle Callcenter am anderen Ende der Leitung, die selbst versierte Verhandler mitbringen. Solche Banden, erklärt Persihl, säßen oft in Osteuropa und würden vom russischen Geheimdienst gedeckt. Auch China, Nordkorea und der Iran unterhalten hochgerüstete Hackerkartelle.
Es gibt auch Tätergruppen, die ihre Hacking-Software im Darknet anbieten. Affiliates kaufen diese Programme und nutzen sie quasi gegen Provision, erklärt Persihl. Das Geschäft funktioniere wie ein Franchisemodell. Viele Täter würden so viele Ziele gleichzeitig angreifen, dass sie gar nicht wüssten, wen sie an der Angel haben, sagt der Verhandler. So war es womöglich auch bei dem Südwestfalen-IT-Hack gar nicht die Absicht der Erpressergruppe Akira, Kommunen anzugreifen, mutmaßen Journalistinnen der Podcastserie Zero-Day in Südwestfalen. Denn öffentliche Einrichtungen sind angehalten, kein Lösegeld zu zahlen.
»Wie professionell Täter agieren, merkt man, sobald verhandelt wird«, sagt Persihl. Es gebe Täter, die würden einen mit ihrem »Zahl bis morgen!« förmlich anspringen. Andere hätten keinen finanziellen Druck, säßen entspannt auf ihrer verschlüsselten Beute und würden wochenlang Grußbotschaften schicken. Sein Ziel laute stets: Zeit gewinnen. Damit Forensiker die Daten analysieren können, um einen Eindruck vom Ausmaß des Schadens bekommen.
Den nervenaufreibenden Chat mit den Tätern muss das Opfer selbst führen. Aber oft helfe er bei der richtigen Wortwahl. Wie ein Souffleur, sagt Persihl. Er rät: nie die Fassung verlieren und das Gegenüber provozieren! Denn die IT brauche die Täter oft nach der Zahlung noch, wenn die ihr den Entschlüsselungscode gesendet hätten, um ihn korrekt einzusetzen. Wie genau Persihls Team das macht, möchte er nicht vertiefen, um die Täter nicht noch zu stärken. Die gute Nachricht: »Wir haben bislang 100 Prozent der Fälle erfolgreich und diskret verhandelt bekommen.« Also ohne Datenleak, aber mit Zahlung.
Laut einer Bitkom-Umfrage hat 2024 etwa jedes achte betroffene Unternehmen das Lösegeld gezahlt. 40 Prozent konnten ihre Daten selbst wiederherstellen, zehn Prozent haben sie ohne Lösegeldzahlung von den Tätern zurückbekommen. Oft geht es um viel Geld, laut den Statistiken der ITFirma Coveware schwankte der Median der Lösegelder in den vergangenen beiden Jahren bei um die 200.000 Dollar.
Die Täter kommen oft davon. Das Bundeskriminalamt geht von einem »sehr hohen Dunkelfeld« aus, Studien zufolge würden 90 Prozent der Delikte nicht angezeigt. In etwa jedem dritten der übrigen Fälle könnten Verdächtige ermittelt werden. Aber wenn die in einem Land wie Russland agieren: Tja. Persihl zieht mit Blick auf die Angriffe ein düsteres Fazit: »Die Polizei kann dagegen nicht viel tun. Die Unternehmen lernen gerade, dass sie verletzlich sind und allein.«
Der Agromatic-Geschäftsführer Wollschlaeger hat in den dunklen Tagen des Black-Basta-Angriffs Thomas Reinhold an seiner Seite. Der Kommunikationsprofi von Rosenberg Strategic Communications aus Frankfurt gehört zum Krisenteam des Versicherers, und auch er hilft dem Unternehmer, die richtigen Worte zu finden. »Die zwei größten Feinde in der Krise sind: nicht darauf vorbereitet zu sein – und emotional zu werden«, sagt Reinhold. Die Statements nach außen, an Kunden, Lieferanten, Gesellschafter, sollten genauso authentisch und sachlich sein wie die nach innen, an die Mitarbeiter. »Unternehmer sollten kommunikativ in die Offensive gehen, sich nicht wegducken«, sagt Reinhold. Sonst wirke es, als übernehme man keine Verantwortung.
Während Reinhold und sein Team die Kommunikation vorbereiten, erstattet Wollschlaeger Anzeige. Der Polizist habe zuerst gar nicht gewusst, was er ins Formular eintragen sollte, erzählt der Unternehmer. Diebstahl? Schließlich schreibt der Beamte »Computersabotage«. Auch die Landesdatenschutzbehörde muss informiert werden, das macht das Krisenteam.
Wollschlaeger sitzt in den folgenden Tagen häufig bis Mitternacht im Büro oder in Telefonkonferenzen mit dem Krisenteam. Jeden Tag schreibt er seinen Angestellten
über eine WhatsApp-Gruppe, wie es vorangeht. Eine Forensikerin findet heraus, dass die Verbrecherbande schon acht Monate lang ihr Unwesen im System getrieben hat. So weiß das Krisenteam immerhin, welche Back-up-Dateien als sicher gelten können. Wollschlaeger macht seinen Leuten Mut und schreibt auf WhatsApp: Der Wiederaufbau kann beginnen. Mit seinem privaten Laptop richtet er neue E-Mail-Adressen für den Vertrieb ein und bastelt in ihre Signaturen das Logo, das er auf einer externen Festplatte findet. Damit können die Vertriebler ihre Kunden wenigstens anschreiben. Auch wenn nichts zu tun ist, bleibt er oft in der Firma, er will nicht weg. Nachts schreckt er manchmal auf, weil sein Handy klingelt und es in der Leitung knackt. Die ausgeschaltete Telefonanlage leitet alle Anrufe an ihn weiter. Sind das die Hacker am anderen Ende der Leitung? Er fragt die Experten. So etwas komme selten vor. Ausschließen könne man es aber nicht. Wichtig: Sollte sich doch jemand melden, nicht ausfallend werden. Die Hacker hätten alle Daten, wüssten, wo er wohnt und dass er Familie hat. Wollschlaeger hat Angst. »Wenn in der Straße vor unserem Haus ein unbekanntes Auto stand, beunruhigte mich das.«
Also hält er sich an den Aufgaben fest, die anstehen. Er informiert Kunden und Lieferanten: mit Kontaktdaten aus Adressbüchern, Notizbüchern, ausgedruckten Mails oder aus dem Kopf. Alle haben Verständnis, manche fragen nach Details, andere wünschen ihm Durchhaltevermögen. Währenddessen richtet das Krisenteam alles neu ein, säubert die Systeme und überprüft Maschinen, PCs, Software. Wollschlaeger beantragt neue Bankzugänge und Passwörter bei Kunden und Lieferanten.
Die Produktion steht zwei Wochen lang still. Einzelne Aufträge können die Monteure allerdings auch ohne die Software auf dem Server fertigstellen. »Unser Produkt besteht aus 100 Einzelteilen, aber manche Monteure arbeiten seit Jahrzehnten bei uns«, sagt Wollschlaeger. »Wenn ein Kunde immer das Gleiche bestellt, wissen sie auch ohne Anleitung, wie sie das herstellen können.«
Er warnt seine Belegschaft, dass die Erpresser gedroht haben, ihre Daten zu veröf-
fentlichen. Wollschlaeger sagt: »Alle reagierten mit Verständnis. Bislang hat, soweit ich weiß, niemand durch die geleakten Daten negative Konsequenzen erfahren.«
Schließlich richtet er noch neue Sicherheitsvorkehrungen ein, lässt Domains aus einzelnen Ländern sperren. Ebenso können die Angestellten keine Programme mehr herunterladen, ohne dass der IT-Dienstleister den Download freigibt. Ist das alles übertrieben oder richtig?
Krisenkommunikator Thomas Reinhold hält es für angemessen. Nach seiner Beobachtung seien die »häufigsten Einfalltore« für Cyberattacken Phishing-Mails, Brute-Force-Attacken, leichte Passwörter und kompromittierte VPN-Clients (siehe Kasten linke Seite).
Bei Agromatic, das stellte sich später heraus, hatte eine Person auf einen Anhang geklickt, der sich als Auftrag eines realen Kunden tarnte. »Dieser Kunde wurde selbst gehackt«, nimmt Wollschlaeger an, »sodass die Angreifer den gefälschten Auftrag verschicken konnten.« Wollschlaeger weiß, wem das passiert ist, aber er behält es für sich. »Das war ein absolutes Versehen einer Topkraft«, sagt er, »das hätte auch mir passieren können!« In großer Runde habe er seinen Leuten nach der Attacke erklärt, wie sie solche Mails besser erkennen –durch sprachliche Ungenauigkeiten oder eine gefälschte Absenderadresse – und wann sie den IT-Dienstleister besser anrufen, um sie freigeben zu lassen.
Die beste Prävention vor solchen Angriffen, sagt Thomas Reinhold, sei eine vertrauensvolle Unternehmenskultur, in der Menschen keine Angst haben, zu sagen, wenn sie irgendwo draufgeklickt haben –wenn sie es denn merken.
Mittlerweile habe er sich von dem Schreck erholt, erzählt Wollschlaeger, seinen Schaden schätzt er auf rund 350.000 bis 400.000 Euro. Den hat zum großen Teil die Versicherung getragen. Seit dem Hacking-Angriff geht er jeden Abend mit einer Kostbarkeit durch die Produktionsräume und schließt sie in den Tresor: Es ist die externe Festplatte mit allen aktuellen Daten. Das neue, gut geschützte Herz des Unternehmens.
Schau
mal, meine KI ...
... kann deine wirren Tabellen verstehen
Hoffentlich lesen Sie diesen Text nicht im Büro, um sich einmal kurz von langweiligen Excel-Tabellen abzulenken. Denn hier geht es um: langweilige Excel-Tabellen. Solche Daten, die in Spalten und Zeilen sortiert sind, versteht nämlich die künstliche Intelligenz (KI), die Frank Hutter und seine Mitgründer entwickelt haben.
Moment mal, denken Sie jetzt vielleicht, Zahlen zu verarbeiten, müsste für KI doch die leichteste Übung sein! Erstaunlich war es, als sie anfing, Gedichte zu schreiben, Bilder zu generieren und Stimmen zu imitieren. Aber Informationen aus großen Mengen Daten abzuleiten – ist das nicht ein Bereich, in dem KI schon lange eingesetzt wird?
Das stimmt natürlich. Supermarktketten nutzen maschinelles Lernen, um aus Verkaufszahlen zu ermitteln, wie viel Ware in Zukunft in welche Filiale geliefert werden muss. Forscher nutzen Algorithmen, um anhand bestimmter Biomarker zu bestimmen, ob jemand ein erhöhtes Krebsrisiko hat.
Und doch sorgt das neue KI-Modell für Tabellen, das Hutter, Professor für Machine Learning an der Universität Freiburg, und seine Kollegen vor Kurzem im Magazin Nature vorgestellt haben, für Aufsehen. Namhafte Investoren finden es gar so über zeugend, dass sie Hutters Unternehmen Prior Labs im Februar mit neun Millionen Euro finanzierten.
Das liegt an den vielversprechenden Er gebnissen, die es liefert. »In den meisten Anwendungsfällen kommt man mit unse rem Modell zu genaueren Vorhersagen als mit herkömmlichen Modellen«, sagt Hutter. »Und wir brauchen dafür nur die Hälfte der Daten.« Möglicherweise noch bedeutender ist aber der Weg, auf dem diese Ergebnisse erzielt werden.
HUm das zu verstehen, muss man wissen: Mit künstlicher Intelligenz kann Verschiedenes gemeint sein, zum Beispiel auch statistische Verfahren, bei denen vorher ein
Mensch genau festlegen muss, aus welchen Daten welche Zusammenhänge gelernt werden sollen. Und das für jeden Datensatz aufs Neue. Um die korrekte Warenlieferung zu berechnen, wird ein Algorithmus mit Verkaufszahlen trainiert, für die medizinische Forschung ein anderer mit Daten aus Patientenstudien. Das ist der alte Ansatz.
Hutter und sein Team aber haben die gleiche Technik verwendet, mit der auch ChatGPT entwickelt wurde: Deep Learning. Dabei findet die KI selbst heraus, welche Zusammenhänge in den Daten gelten. Und TabPFN, wie ihr System heißt, ist ein sogenanntes foundation model, ein Grundlagenmodell. Es ist mit Millionen synthetisch erzeugten Beispieldatensätzen vortrainiert worden und kann daher nun mit allen möglichen realen Datensätzen umgehen. Das mag technisch klingen, aber Tabellendaten wären nicht der erste Bereich, den Deep Learning revolutioniert. Maschinelle Übersetzer etwa, wie das frühe Google Translate, wurden mit speziellen statistischen Verfahren trainiert und erzielten eher durchwachsene Ergebnisse. Erst DeepLearning-Modelle, die selbstständig in Texten nach Regeln suchten, ermöglichten KI-Übersetzungen auf heutigem Niveau.
Nicht alles, wo KI draufsteht oder drinsteckt, bringt Sie weiter. Manches aber sehr.
Und das schaut sich unser Kolumnist Jakob von Lindern aus dem Digitalressort von ZEIT ONLINE in jeder Ausgabe an. Wenn Sie ihm erzählen wollen, was Ihre KI so kann, schreiben Sie ihm an jakob.vonlindern@zeit.de
Eine ähnliche Revolution will Hutter für die Datenverarbeitung anstoßen. »Medizin, Versicherungen, Finanzmärkte, Transportwesen, Produktion – alle prädiktiven Anwendungen, die es schon gibt, können damit dramatisch verbessert werden«, sagt er.
Bisher kann TabPFN nur mit Zahlen umgehen. In Zukunft soll es auch Text verarbeiten können und so verstehen, um welches Thema es in einer bestimmten Tabelle geht. Dann könnten Nutzer ihren Daten einfach Fragen stellen. ChatGPT schreibt nette E-Mails. Aber für Menschen, die viel Arbeitszeit mit langweiligen Tabellen verbringen, könnte das der eigentliche KIMagie-Moment sein. Jakob von Lindern
Illustration:
Bringt NIS2 die Trendwende?
NIS2 ist in aller Munde: Doch was bringen die strengeren Regeln wirklich? Schaffen diese eine Ablöse einer reinen „Check Box Compliance“? Thomas Snor, Security Director bei A1 Digital, sieht eine große Chance – auch für Unternehmen, die vorerst nicht betroffen sind
Unternehmensehen sich miteiner stetig verschär fenden Bedrohungslage in Sachen Security konfrontiert .Wie wirksamsindneueregulatorischeVorgabenwie NIS2?
Thomas Snor: Wirgehen hier ganz klar in dierichtigeRichtung:Die EU haterkannt,das sstrengere undeinheitliche Regelungen notwendigsind, dieauchdie Effektivitätder Kontrollenüberwachen. Dies verhindert eine reine, unreflektierteUmsetzung vonVorgaben, dersogenannten „Check BoxCompliance“ –Stichwort ISO27000. Speziell bei ISO27000 habenUnternehmen of tden Fokus, dasZer tifikat zu erreichen, anstattein ISMS aufzubauen unddiesesstätig zu verbes sern.Dadurch wurden of tmalsdie tatsächlichen, operativen Risikenund Bedürfnisseder Organisation und derAnwendernicht ausreichendberücksichtigt. DieFolge: Frustrationbei denMitarbeiternund eine erhöhteWahrscheinlichkeit,das sSicherheitsrichtlinienumgangenund im schlimmstenFallS chatten-IT-Lösungengenutzt werden,die zusätzlicheSicherheitsrisikenbergen.
Wasmacht NIS2 so wirksamimVergleich zu früheren Anforderungen?
Thomas Snor: DieNIS2-Richtlinie soll dieResilienz unddie Reaktion aufSicherheitsvorfälle desöffentlichen unddes privaten Sektorsinder EU verbes sern.ImFokus liegen die Themen Risikomanagement,Implementierung geeigneter Sicherheitsmaßnahmen ,die Sicherheit in derLieferkette, dasMeldenvon Sicherheitsvor fällen unddie Reaktion auf Sicherheitsvor fällen. Zusätzlich nimmt NIS2 Vorständevon Unternehmenindie Verantwortungund verlangt,das sdiese entsprechendeTrainings besuchen,umein sicherheitsbewusstesVerhalten zu fördernund diegewünschteSicherheitskulturimUnternehmen zu etablieren
Thomas Snor: IchempfehleUnternehmen,die jetzt(noch) nichtvon derneuen Regelung betroffen sind,sichmit den Anforderungenauseinander zusetzen.DennNIS2gibthier einensehrguten,neuen Rahmen vor. Mitsogenannten Readiness As sessmentskönnenFirmendas eigene Sicherheitsleveleinschätzen.Eineeinmalige,projektbezogene Sicherheitsinvestition in eine eindimensional eTechnologie ohne angemesseneManagementintegration wird nichtausreichen,umdie steigenden Anforderungenzuerfüllen. Unternehmen werden Wege findenmüs sen, um dieeffizientesten, automatisier tenund integrierten Ansätzefür einkontinuierliches undaktives Management vonRisiken,einschließlich OT,zuermitteln undzubewer ten.
SECURITY LÖSUNGEN VONA1DIGITAL
A1 Digital, Teil derA1Telekom AustriaGroup,begleitet Unternehmenbei derDigitalisierung ihrerGeschäf tsbereiche.Durch OT-Security(OperationalTechnology Security)bietetA1Digital denSchutzvon Unternehmen, industriellenSystemenund kritischen Infrastrukturenvor Cyberangriffen. Dazu gehörenbeispielsweisesicheres, verschlüsseltesEdge-Computingoderauchdie sichere Über tragungund Speicherungdurch Verschlüsselungder Daten, um zumeinen Missbrauch zu verhindern undzum anderenVor schrif tenwie derDSGVO oder NISgerecht zu werden –jenachAnwendungsfall.
www.a1.digital
Hey Chatbot, warum sind Kartuschen so gefährlich?
Maschinen liefern permanent Daten, aber sie werden schlecht dokumentiert.
Ein Start-up will das ändern – mithilfe künstlicher Intelligenz
VON CELINE SCHÄFER
So eine Lachgaskartusche ist zwar kleiner als ein Smartphone. Aber ihre Entsorgung kann großen Anlagen viel Ärger machen
Inhalieren, die Augen schließen, ein paar Sekunden das Hirn ausknipsen: Jugendliche, die sich an Lachgas berauschen, bereiten Eltern, Lehrern und Ärzten immer mehr Sorgen. Die gesundheitlichen Folgen sind wohl das größte Problem des Konsums –aber nicht das einzige. Die leeren Kartuschen landen am Straßenrand, Kehrfahrzeuge sammeln sie auf und transportieren sie zur Abfallverwertung. Zum Beispiel in große Müllheizanlagen, wo die faustgroßen Metallteile in einer Maschine des Münchner Unternehmens Martin landen können – und womöglich explodieren.
Christian Le Hong ist Vertriebsleiter von Martin, und ihn stresst das Problem mit den Kartuschen. Wenn sie in den Anlagen von Martin hochgehen, können sie für Millionenschäden sorgen, erzählt er. Die Anlagen dann zu reparieren und wieder in Bewegung zu setzen, sei tricky. Und es bringt Bürokratie mit sich, die alles teurer, langsamer und fehleranfälliger macht. Nicht staatliche Bürokatie wohlgemerkt, sondern unternehmensinterne.
Denn selbst heutzutage läuft es bei Martin oft noch so, als wären Computer gerade erst erfunden worden. Immer, wenn Techniker zum Beispiel eine Anlage in Kempten im Allgäu warten oder sie reparieren, kleine oder größere Maschinenteile austauschen, greifen sie hinterher zu Papier und Stift. Später notieren sie in Word, Excel und Co., was sie getan haben. In der
IMünchner Zentrale des 1925 gegründeten Familienbetriebs tragen andere Mitarbeiter diese Daten zusammen und speichern sie in vielen Ordnen auf vielen Servern.
»Wir verdienen nun mal unser Geld, indem wir die Probleme unserer Kunden lösen«, sagt Le Hong. »Da kommt die Digitalisierung einiger Prozesse manchmal zu kurz.«
Und das ist ja auch ganz normal in Deutschland im Jahr 2025. Es gibt zwar erfolgreiche Unternehmen wie Martin, das mit seinen 200 Mitarbeitern als einer der weltweit führenden Anbieter von Anlagen zur thermischen Abfallverwertung gilt. Doch bei der Digitalisierung hinken viele dieser Hidden Champions hinterher. In einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom aus dem Jahr 2024 berichteten 48 Prozent der Unternehmen von Problemen bei der Digitalisierung, 2023 waren es erst 39 Prozent.
In den letzten zwei Jahren hat sich das Problem verschärft, seit das US amerikanische Softwareunternehmen OpenAI mit ChatGPT ein lernfähiges Sprachmodell veröffentlicht hat, das auf KI basiert. Inzwischen haben andere Unternehmen nachgezogen, darunter Google oder Microsoft. Deutsche Unternehmen reagierten erst mal zögerlich: 82 Prozent der Firmen messen der neuen Technologie in der BitkomUmfrage zwar eine große Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit bei, aber gerade einmal 13 Prozent setzen sie bisher ein.
Immerhin zählt Martin zur Minderheit der Pioniere. Denn das Münchner Unternehmen arbeitet jetzt mit einem Startup zusammen, das mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) den Mittelstand effizienter machen will. Dahinter steckt der Gedanke, dass die Sprachmodelle nicht nur praktisch für Hobbyköche sind, die sich von der KI ein Fünf GängeMenü entsprechend ihrer Vorlieben und ihres KühlschrankInhalts generieren lassen wollen.
In vielen mittelständischen Unternehmen könnten sie Kosten senken und den Umsatz steigern. Davon ist jedenfalls David Hahn überzeugt. Der 32Jährige hat 2018 gemeinsam mit Kommilitonen das Startup Remberg gegründet. Dessen Büros liegen nur zehn Autominuten von der Münchner MartinZentrale entfernt. Bei Remberg will man offenbar hoch hinaus: Die Tagungsräume tragen Namen wie »Zugspitze« und »Mount Everest«.
Remberg gilt als eines der vielversprechendsten Tech Startups in Deutschland, im Februar 2022 sammelte es in einer Finanzierungsrunde elf Millionen Euro ein. Zu den Investoren gehören Persönlichkeiten wie Bastian Nominacher vom Digitalunternehmen Celonis. Sie finden spannend, dass das Team um Hahn in den vergangenen anderthalb Jahren einen der ersten KIbasierten CoPiloten für die Industrie entwickelt und in diesem Mai gelauncht hat. Konkret bedeutet das: Rembergs
96 %
der deutschen Unternehmen beziehen digitale Technologien und Leistungen aus dem Ausland. Das hat eine aktuelle Umfrage des Bitkom ergeben
Software ermöglicht es Menschen, mit Maschinen zu sprechen. Und zwar nicht in Codes, sondern in natürlicher Sprache.
Dafür müssen Unternehmen alle Daten, die sie bislang über ihre Maschinen gesammelt haben, an Remberg übermitteln. Dazu gehören Größe, Gewicht und Form aller Einzelteile, aber auch alle Informationen über Reparaturen und Wartungen aus der Vergangenheit. »Das Ergebnis kann man sich wie eine Patientenakte vorstellen«, sagt Hahn. Wenn ein Techniker eine Maschine reparieren muss, die bei Remberg erfasst ist, kann er einfach einen QR Code scannen, der auf der Maschine klebt – und dann nachschauen, was beim letzten Mal schiefgelaufen ist. »Auf diese Weise können Unternehmen die Stillstandszeiten ihrer Anlagen senken, und die Mitarbeiter können sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren«, verspricht Hahn.
Eine Beispielrechnung: Bei einem RembergKunden, den Hahn nicht namentlich nennen will, brauche ein Mitarbeiter etwa zehn Minuten, um eine technische Frage zu beantworten. »Mit unserer Technologie sind es weniger als 30 Sekunden«, sagt Hahn. Das senke die Kosten um 10.000 bis 15.000 Euro pro Techniker und Jahr. Wenn ein Unternehmen 500 Techniker beschäftigt, ergebe sich also eine Ersparnis von jährlich bis zu 7 Millionen Euro. Dem stünden Kosten für die RembergSoftware
84 %
fordern, die neue Bundesregierung sollte die digitale Souveränität der Wirtschaft dringend stärken. Unternehmen wie Remberg könnte das womöglich helfen
von einem »niedrigen sechsstelligen Betrag« gegenüber, die sich aus einer monatlichen Plattformgebühr und einer monatlichen Lizenzgebühr pro Nutzer zusammensetzen. Wenn Hahns Rechnung stimmt, kann das Unternehmen also rund sieben Millionen Euro pro Jahr sparen. Remberg richtet sich vor allem an die Industrie. Zu den Kunden des Startups zählt etwa auch der Halbleiterhersteller Osram – und eben Martin aus München.
In einem Konferenzraum in dessen Zentrale klappt Christian Le Hong nun sein Notebook auf, an den Wänden hängen SchwarzWeiß Fotos von Abfallanlagen. Jetzt klickt er sich durch die Plattform. »So«, sagt er und ruft die Daten zum Standort Ingolstadt auf, und zwar die einer »kleinen Explosionskanone«. Explosionskanone? Klingt martialisch, ist aber in Müllverbrennungsanlagen eine wichtige Maschine: Wenn sie zündet, zerkleinert sie durch mechanische Schockwellen besonders harte oder große Abfallstoffe.
Am 6. August war Javier an der Anlage, ein Techniker von Martin. Das lässt sich auf Le Hongs Bildschirm ablesen. Ein »geplanter Service« stand an, ein Ersatzteil musste eingebaut werden. Zehn Stunden hat Javier dafür gebraucht, danach hat er alles fein säuberlich in die RembergSoftware eingetragen und unterschrieben. »Früher hätten alle Informationen auf irgendwelchen Ser
vern herumgelegen, als WordDateien oder ExcelTabellen«, sagt Le Hong.
Jetzt öffnet er die Sprachfunktion. »Gab es bei der letzten Revision Empfehlungen?«, tippt er in das Chatfeld ein. »Erneuerung der vier Laufschienen«, antwortet der intelligente Chatbot. »Das ist eine völlig andere Welt«, sagt Le Hong. »In der alten Welt mit ihren verstaubten Ablagestrukturen wäre das nicht möglich gewesen.« Er schließt den Chat und führt vor, wie die Informationen über die Kemptener Anlage abgespeichert sind: in Dutzenden Ordnern.
Wie teuer diese Bürokratie ist, das hat das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn ermittelt und die Kosten von drei Unternehmen aus dem Maschinen und Anlagenbau untersucht. Das Ergebnis: Rund drei Prozent des Jahresumsatzes der analysierten Betriebe geht für Bürokratie drauf. Sie raubt den knappen Arbeitskräften Zeit. Der RembergGründer David Hahn sagt deswegen: »Wir sehen unsere Plattform auch als Mittel gegen den Fachkräftemangel.«
Bei Martin merkt man aber auch, dass der Schritt ins KIZeitalter Übung braucht. Manchen Mitarbeitern falle es schwer, Prozesse in die Software zu übertragen, sagt Le Hong. Noch nutzen längst nicht alle Techniker den Chat – und Le Hong diskutiert noch an einem Konferenztisch, wie die MüllMaschinen repariert werden könnten. Ganz analog also.
Christian Steiger ist ein Managementtheorien-Nerd
So viel Schiss wie nie zuvor
Christian Steiger hat gerade eine große Transformation geschafft, da steht wegen der KI-Revolution schon der nächste Umbruch an. Wie man sich ständig neu erfindet, ohne verrückt zu werden? Mit Methode
VON NILS HECK
Christian Steiger hält es nicht mehr auf seinem Stuhl. Er springt auf, schnappt sich den Stift und läuft zu einem großen Flipchart. Ein buntes Gewusel aus Pfeilen, Rechtecken, Kreisen oder Punkten skizziert er darauf, während er in irrem Tempo über Methoden und Führung spricht. Dann steht er ganz still neben dem Flipchart, schaut auf und wiederholt die Frage: Ob er Angst habe? »Natürlich habe ich Angst«, sagt er. »Ich hatte noch nie so viel Schiss in meinem Leben wie jetzt.«
Steiger ist Co-Geschäftsführer der Firma Lexware und sagt das ganz geradeaus, kein Blabla über dornige Chancen und herausfordernde Marktteilnehmer. Denn es ist doch so: Bisher ist die 1989 gegründete Firma eigenen Angaben zufolge Marktführer für Buchhaltungssoftware bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Etwa drei Millionen solcher Firmen gibt es in Deutschland, sie alle machen Buchhaltung, schreiben Rechnungen oder rechnen Gehälter und Löhne für Mitarbeiter ab. 500.000 erledigen das über die Software von Lexware, entweder auf dem eigenen PC oder in der Cloud. Mehr als 200 Millionen Euro setzt die Firma aus Freiburg mit ihren 500 Mitarbeitern mittlerweile um. Das sind etwa 40 Prozent dessen, was die Konzernmutter Haufe Group, die aus dem 1951 gegründeten Rudolf Haufe Verlag hervorging, mit ihren insgesamt 2.500 Mitarbeitern im Jahr umsetzt. Respektabel, keine Frage.
Doch alles gut? Keinesfalls. Die KIRevolution könnte nicht nur die Arbeitswelt umkrempeln, sondern auch das Geschäftsmodell von Lexware gefährden. »Wenn die jetzt plötzlich beschließen, Buchhaltung zu machen, und wir sind nicht vorbereitet: Das wäre eine Katastrophe«, sagt Steiger. Das Gleiche gilt für Konkurrenten, die er jetzt noch gar nicht auf dem Schirm hat, die aber dank KI schnell Fuß fassen können. Abwehren kann Lexware die neuen Wettbewerber nicht, indem es Start-ups oder Konkurrenten einfach aufkauft. »Wir sind ein Familienunternehmen, da haben wir gar nicht das Geld für«, sagt Steiger. »Nein, wir sind zu Innovationen gezwungen«, sagt er. Bedeutet:
»Wenn wir uns nicht von innen heraus verändern, dann gehen wir unter.«
Da darf man schon einmal Schiss haben.
Das Gute für Christian Steiger: Er hat Lexware bereits einmal grundlegend transformiert. Dabei hat er Erfolge erlebt und Fehlschläge. Weiß er also, was es braucht, damit Innovationen funktionieren?
Auch im Jahr 2010 war die Firma Marktführer, und auch damals rollte eine Veränderung auf die Haufe-Tochter Lexware zu. Das Cloud-Zeitalter brach an, und im Konzern musste die Führungsmannschaft sich überlegen: Was machen wir denn jetzt? Haufe war ein ehrwürdiger Verlag, ein bekannter Name, machte Fachportale, Vorträge und Weiterbildungen in den Bereichen Steuern, Recht und Wirtschaft. 1993 hatte sich Haufe zwar Lexware als junges Start-up einverleibt und damit die Buchhaltung überhaupt erst mal ins PC-Zeitalter geholt. Doch Innovation lag nicht wirklich in der DNA des Freiburger Konzerns, Revolution schon gar nicht.
Trotzdem hatten die Vorstände erkannt, dass es nicht reichen wird, die Buchhaltungssoftware von Lexware langfristig nur als Download anzubieten. Immer online, immer erreichbar: Das war das Credo der Neuzeit. Das iPhone markierte 2007 einen ersten Höhepunkt in dieser Entwicklung, weil es das Internet in die Hosentasche holte. Gleichzeitig zeigte es auf dramatische Art und Weise, wie endlich Geschäftsmodelle sein können, von denen alle dachten, dass sie für die Ewigkeit sind. »Wir wollten auf gar keinen Fall ein zweites Nokia werden«, erinnert sich Jörg Frey, damals wie heute Geschäftsführer bei Lexware. Doch was tun? Firmen zu kaufen, war teuer, die bestehende Lösung ins Web zu heben, umständlich, aufwendig und auch kein Erfolgsgarant. Schlussendlich entschieden sie sich für eine andere Lösung: Sie holten Christian Steiger zurück. Der Mann, der schon vorher mit merkwürdigen Methoden aufgefallen war, bekam einen Freifahrtschein. Hauptsache, er erfindet die Zukunft.
Für Steiger war es eine Rückkehr. Schon Ende der 1990er war er bei Haufe eingestiegen und dort zwischenzeitlich Teamleiter im E-Commerce und bis 2007 Leiter des
Programm- und Projektmanagements, bevor er sich in die Selbstständigkeit verabschiedete. Mit Zaplive Media gründete er 2008 eine Livestreaming-Plattform, über die jeder, der wollte, einen eigenen WebTV-Sender betreiben konnte. Das war Jahre vor heutigen Erfolgsmodellen wie Twitch und vermutlich einfach ein bisschen zu früh. Bei Haufe hingegen kam er genau zum richtigen Zeitpunkt.
Selbst wenn der Mann mit dem immer gleichen schwarzen Poloshirt und der Glatze zunächst nicht den Anschein macht, ist Christian Steiger doch ein Nerd, genauer: ein Managementtheorien-Nerd. Hinter jeder Flipchart-Folie in seinem Büro versteckt sich eine neue Zeichnung mit Zuständigkeiten, Hierarchien, Abläufen und so weiter. Jede Glasfläche im Büro ist zugekleistert mit Post-its. Große Pappen, auf denen Ziele stehen, hängen kreuz und quer über Wände, im Büro ein Whiteboard mit Steigers krakeliger Schrift. Was darauf steht, ist kaum zu lesen. Es soll wohl um die Zukunft gehen.
Was nach Start-up-Wahnsinn aussieht, soll bei Steiger aber nicht Bullshit-BingoCharakter haben – sondern Methode. Schon Anfang der 2000er hat er Theorien und Bücher darüber gelesen, welche Strategien es gibt, echte Innovation zu schaffen. Eine, in die er sich verliebt hat: die BlueOcean-Strategie.
Diese teilt die Geschäftswelt in zwei Ozeane: den roten und den blauen. Im roten Ozean geht es brutal zu. Etablierte Konkurrenten kämpfen dort bis aufs Blut um Marktanteile, deshalb auch die Farbe rot. Innovationen gibt es hier kaum, richtig große schon gar nicht. Das Gegenteil dazu ist der blaue Ozean, in dem schlicht noch niemand anderes unterwegs ist. Hier hat eine Firma alle Nahrungsquellen (also Kunden) für sich und kann schnell wachsen. Die Autoren W. Chan Kim und Renée Mauborgne führen beispielsweise eBay ins Feld, das es mit Onlineauktionen geschafft hat, einen Secondhandmarkt im Internet zu etablieren. Oder der Cirque du Soleil: Der machte einfach eine völlig andere Art von Zirkusshow, indem er die Tiere wegließ. Damit kreierte er einen Ozean, in dem nur er schwamm. Ach, wie weit ist das Meer.
CO RE PROTECTI ON
Steiger wollte den blauen Ozean für Lexware finden. Seine erste Amtshandlung war deshalb: Weg hier! Statt auf den HaufeCampus und zu Lexware, zog Steiger mit seinem Blue-Ocean-Team in ein altes Gebäude in der Innenstadt von Freiburg. Für Steiger fühlte es sich an »wie New York« –weil es gedanklich so weit weg war. Von Anfang an setzte er auf Methoden der Innovationsforschung, die damals merkwürdig klangen und 15 Jahre später in keiner Berater-Präsentation fehlen dürfen.
Dazu gehören beispielsweise die Arbeitsmethode Scrum, das Konzept Design Thinking und das agile Management. Dabei geht es – kurz gesagt – darum, dynamische und flexible Arbeitsprozesse zu etablieren, um beispielsweise eine Software gänzlich neu entwickeln und immer wieder schnell anpassen zu können. Man folgt nicht einem anfangs festgelegten Plan, sondern sammelt immer wieder Feedback von Nutzern ein, um zum besten Ergebnis zu gelangen.
Steiger liebt solche Ansätze. 2010 drehte sich bei ihm alles um den blauen Ozean. Auf der Suche danach befragten Steiger und sein Team rund 800 Kunden. Sie wollten wissen, was die Leute wirklich brauchen. »Wir haben zugehört, so einfach ist das«, sagt Steiger rückblickend.
Nach fast einem Jahr waren sie so weit, ihre Ergebnisse vorzustellen, und luden Jörg Frey in ihr kleines »New York« ein. Es gab, so erinnert sich Frey heute, nur warmes Bier. Und dann, nach einer längeren Präsentation zu Methoden und Befragungen , zeigte Steiger den vermeintlich ganz großen Wurf: Jörg, wir machen jetzt Rechnungen. Totenstille. Ihm sei die Farbe aus dem Gesicht gefallen, sagt Jörg Frey heute. »Ich dachte, die präsentieren mir das iPhone der Buchhaltung – aber dann kamen Rechnungen!«, sagt er. »Das, was wir seit 1995 schon machen. Das war eine Frechheit.« Bis dahin hatte Lexware schließlich mehr als zehn Millionen Euro in sein Projekt gesteckt, ein Jahr lang durfte Steiger tüfteln. Und dann kamen die Ende 2011 mit Rechnungen um die Ecke. War das deren Ernst? Ja, das war es. Denn in all den vielen Befragungen kam heraus, dass die Kunden eigentlich gar nicht viel woll-
ten und dass so ein überladenes Gesamtpaket gar nicht ihr Ding sei. Also bauten sie das, was die Leute sich wünschten: eine Webanwendung, die nicht Tausende Features hat, sondern beim Launch 2012 einfach nur die Basics beherrscht. Dazu hatte Lexoffice, so hieß das Produkt mittlerweile, ein anderes Design, ein anderes Logo und eine neue Benutzerführung bekommen. »Wir haben das von null aufgebaut – und überhaupt nicht geschaut, ob es mit Lexware kompatibel war«, sagt Steiger. Lexoffice sollte ohne Altlasten sein und so funktionieren, als hätte der ärgste Konkurrent gerade ein Produkt auf den Markt gebracht. Lexoffice sollte Lexware verdrängen, so komisch das klingt, und gleichzeitig neue Kunden anziehen.
219 Mio
Euro setzte Haufe mit Software für kleine Firmen im Geschäftsjahr 2022/23 um –9 Prozent mehr als im Vorjahr
Solche, die sich nie für Lexware interessiert hatten, weil es ihnen zu groß, zu umständlich, zu überladen war.
95 Prozent aller Neukunden nutzen heute die Cloudversion Lexware Office, so heißt sie inzwischen, der Umsatz hat sich über die Jahre vervielfacht. Das zeigt, wie gut die Methoden des Christian Steiger funktionieren. Doch unfehlbar waren sie sicherlich nicht. Beispiel Zahlungsgerät: Lexoffice wollte so eines herausgeben, wie es heute jeder Taxifahrer von Marken wie SumUp hat. Die ersten Produkte lagen schon bei den Kunden, da fiel allen Beteiligten auf: Das rechnet sich vorne und hinten nicht. Jedes Gerät schrieb Verlust, das Geschäftsmodell ging nicht auf. »Wenn das skaliert wäre, wären wir pleite gewesen«, sagt Steiger. Verrechnet, einfach so. Ein
anderes Mal wollte Lexware gern eine Art Jobbörse aufbauen, doch musste verwundert feststellen: Während die Kunden in Umfragen noch sagten, sie bräuchten all die Features, die Steigers Team sich ausdachte, nutzte sie in Wahrheit niemand. Auch das Projekt stampften sie ein, schrieben den sechsstelligen Verlust ab. Die Methode aber blieb: Team auslagern, Kunden zuhören, Welt neu erfinden.
Taugt die Methode auch im Abwehrkampf gegen die KI-Konkurrenz? Ein bisschen zumindest. Denn so wie Steiger damals ins fiktive New York gezogen ist, hat er vor einigen Monaten ein KI-Team ausgegründet. Das sitzt nicht kilometerweit weg, aber immerhin in einem anderen Stockwerk. Little New York, wenn man so will. Und auch dort gilt wieder die Prämisse: Bitte alles vergessen, was ihr über Lexware wisst. Doch anders als damals soll das Team nicht erst jahrelang vor sich hin arbeiten, und das Ergebnis darf sehr wohl auf den Daten von Lexware aufbauen. Seit November 2024 gibt es eine erste KI-Pilotversion, die Steiger jetzt auf seinem Bildschirm zeigt.
Anders als bei ChatGPT wurde der Algorithmus mit den Daten der Kunden gefüttert, sprich: Umsätzen, Buchungen und Beziehungen zu Lieferanten und Kunden. Langfristig soll er auch anonym die Daten aus der gleichen Branche vergleichen können, solange diese keine Rückschlüsse auf die direkte Konkurrenz zulassen. Das macht den Unterschied zu herkömmlichen KI-Modellen aus, wie Steiger demonstriert. Auf dem Computer ist Steiger in einem Beispiel-Account eingeloggt. Es öffnet sich ein Chatfenster, und er sagt jetzt in sein Mikrofon: »Sag mir, ob ich ruhig schlafen kann.« Nach kurzer Berechnungszeit schreibt die KI: Ja, du kannst gut schlafen – und rechnet dann vor, wie sich Einnahmen und Ausgaben verhalten, wo Verbesserungspotenzial ist und wo Risiken sind. Wie ein echter Berater soll die KI bald agieren, die in den kommenden Monaten als vollwertige Version auf den Markt kommt. Bis dahin muss Steiger noch befürchten, dass ihn ein Konkurrent überholt. Da darf man schon mal Schiss haben.
KLIMA. MACHT. POLITIK.
GLOBALE ALLIANZEN
FÜR KLIMASCHUTZ BIODIVERSITÄT
Chefs sind wie Containerschiffe: Manchmal brauchen sie Hilfe, um ans Ziel zu kommen
Erfahren und wichtig sucht jung und wendig
Chefinnen und Chefs galt die Gen Z als faul und empfindlich. Jetzt wollen sie von ihr lernen, wie Zukunft geht. Und die Boomer fragen sich: Muss ich auf TikTok tanzen? VON CAROLIN JACKERMEIER
Foto (Ausschnitt): Getty Images
Matthias Hümpfner verkörpert das Klischee eines Bankchefs: Der Vorstandsvorsitzende der Volksbank pur betritt den holzgetäfelten Konferenzsaal in der Karlsruher Zentrale in dunkelblauem Jackett mit Einstecktuch, weißem Hemd, Lederuhr und glänzend polierten Schuhen. Umso ungewöhnlicher ist es, dass er seinen Gesprächspartnern beim Händedruck direkt das Du anbietet. Und noch bemerkenswerter ist es, dass er auf ihren Rat hofft – obwohl sie gerade einmal halb so alt sind wie er.
Der 49-Jährige hat nach der Fusion mehrerer süddeutscher Volksbanken vor drei Jahren eine der größten Genossenschaftsbanken des Landes übernommen. Der Großteil der rund 1.400 Mitarbeitenden ist über 50 Jahre alt, viele stehen kurz vor der Rente. Und auch die Kundschaft altert. »Meine Aufgabe ist es, die Zukunft der Bank zu sichern. Wie ich das mache, ist für die meisten Genossenschaftsmitglieder zweit ran gig«, sagt Hümpfner. Doch der Chef muss mit Onlinebanken wie Trade Republic oder N26 um junge Kundinnen und Kunden konkurrieren und trotz des Fachkräftemangels Nachwuchstalente finden. Er muss also nicht nur verstehen, wie die junge Generation tickt. Er muss die beiden Welten auch vereinen.
Helfen sollen ihm dabei Lorenz Kopp und Laura Weber, die ihn an diesem Morgen erstmals treffen: Sie nehmen in Jeans und Sneakern an der Holztafel Platz. »Kaffee?«, bietet Hümpfner an. Die beiden Gründer lehnen dankend ab, sie trinken zu Hause lieber frisch gepressten Saft. Da fangen die Unterschiede zwischen den Generationen also schon an. Kopp und Weber leiten im Alter von 25 Jahren eigene Unternehmen. Weber hat nach ihrer Lehre als Bankkauffrau bereits während ihres Studiums eine Agentur gegründet und entwickelt heute mit ihrem KI-Start-up unter anderem datenbasierte Marketingstrategien für Unternehmen. Kopp leitet ein Start-up, das Firmen mithilfe künstlicher Intelligenz dabei unterstützt, die richtigen RecruitingKanäle zu finden, und ihre Bewerbungsabläufe optimiert. Die beiden sollen Hümpfner zeigen, wie er seinen Social-Media-Auftritt optimiert, welches Marketing junge Kunden und potenzielle Mitarbeiter anspricht und
Mund nachhaltiger aufzustellen, mehr über die Bedürfnisse der jungen Generation im Arbeitsleben zu erfahren oder sich persönlich weiterzubilden, zum Beispiel im Umgang mit KI oder Social Media.
wie er künstliche Intelligenz im Berufsalltag nutzen kann.
Dabei lief es doch eigentlich lange so: Eine Auszubildende, ein Praktikant oder eine Universitätsabsolventin kommt neu ins Unternehmen, erhält im besten Fall einen Mentor oder eine Mentorin und lernt, wie der Laden läuft. Diejenigen, die schon Jahre oder Jahrzehnte in der Firma sind und erst recht der Chef wissen schließlich am besten, was gut für das Unternehmen ist!
Doch in der Arbeitswelt hat sich etwas gedreht. Während die erfahrenen Mitarbeitenden früher oft überlegen waren, sind sie heute teilweise abgehängt. Personal Branding auf Social Media, wo doch bisher eine Pressemittelung pro Quartal in Sachen Öffentlichkeitsarbeit ausgereicht hat? Junge Menschen aktiv von sich überzeugen, wo sie doch jahrelang die besten Talente aus Stapeln von Bewerbungen picken konnten? Künstliche Intelligenz nutzen, wo man das mit hybriden Meetings und den digitalen Unterlagen doch schon so gut hinbekommen hat?
Die Chefinnen und Chefs brauchen plötzlich den Nachwuchs, der ihnen zeigt, wie all das funktioniert. Auch Unternehmensberatungen und Marketingagenturen haben das erkannt und werben mit sogenanntem Reverse-Mentoring. Dabei übernimmt eine jüngere Person die Rolle des Mentors und unterrichtet eine erfahrene Person, oft in einer leitenden Position. Häufig geht es dabei darum, das eigene Unternehmen digitaler
Konzerne wie Bosch, Henkel und Merck haben solche Programme, auch im Mittelstand kommt der Trend an. Vor allem über soziale Netzwerke wie LinkedIn werben Firmen und Unternehmer damit, ReverseMentoring zu betreiben. Die Weleda-Chefin Tina Müller etwa und ihre Mentorin Yaël Maier, eine der erfolgreichsten Jungunternehmerinnen der Schweiz. Vor knapp einem Jahr posteten die beiden zum ersten Mal über ihre Zusammenarbeit, und Hunderte Follower likten die Beiträge. Müller signalisiert, dass sie die Marke Weleda modernisiert, und Maier inszeniert sich als die Stimme ihrer Generation. Praktischerweise ist sie Gründerin und Geschäftsführerin der Marketingagentur Zeam, die sich auf die Ansprache der Gen Z spezialisiert hat.
Ist Reverse-Mentoring nur ein gutes Geschäft für Berater und Marketingagenturen? Oder besänftigt der Trend tatsächlich den Generationenkonflikt und macht Unternehmen zukunftsfähiger?
In der Karlsruher Verwaltungszentrale der Volksbank pur schlägt Matthias Hümpfner vor, vom Konferenzraum in die Sofaecke zu wechseln. Die hat er beim Umbau des Gebäudes einrichten lassen. Statt aneinandergereihter Einzelbüros gibt es jetzt offene Kochnischen in den Fluren, gläserne Telefonboxen und Begegnungsräume. Hümpfners Lieblingszimmer hat eine Waldtapete und giftgrüne Sofas mit schwenkbaren Tablett-Tischchen.
Als Hümpfner 2022 den Vorsitz des vierköpfigen Vorstands übernahm, hatte er sich vorgenommen, die Bank innerhalb kürzester Zeit zu modernisieren und das etwas verstaubte Image aufzupolieren. »Ich habe mir diesen Prozess viel leichter vorgestellt«, sagt er rückblickend. Kaum im Amt, schloss er rund ein Viertel der Bankfilialen, verkürzte Öffnungszeiten und schaffte an mehreren Dutzend Standorten den persönlichen Service am Schalter ab. Stattdessen ließ er dort Kabinen für eine Videoberatung installieren. Doch auf Facebook beschweren
sich Kunden über die »Klaustrophobiekabinen« und bezeichnen die »Beratungsstützpunkte in Größe einer Dixitoilette« als unverschämt. Nach massiver Kritik musste Hümpfner den Schalterservice wieder einführen und räumte gegenüber regionalen Medien ein, »übers Ziel hinausgeschossen« zu sein.
»Ich will einen Schritt weiter vorne ansetzen und bei mir selbst anfangen«, sagt Hümpfner. Er holt noch einen Block mit gelben Notizzetteln und einen Kugelschreiber. »Ich verstehe euch junge Leute häufig nicht«, sagt er zu Lorenz Kopp und Laura Weber neben sich auf dem Sofa, während er an der zweiten Tasse Kaffee nippt. »Auf der einen Seite wollt ihr alles möglichst günstig, auf der anderen Seite erwartet ihr persönliche Beratung, das funktioniert nicht zusammen.« Laura Weber schreibt auf dem Tablet mit und erläutert: »Wir haben eben keine Lust darauf, ständig von irgendwelchen Beratern angerufen zu werden, die meinen, uns die Finanzwelt erklären zu können«, sagt sie. »Die meisten von uns gehen davon aus, dass wir das selber besser können.« Als Digital Natives sei ihre Generation daran gewöhnt, sich Wissen im Internet selbst anzueignen. Statt bei der örtlichen Bank zur Anlageberatung zu gehen, googelt man eben nach Tipps und informiert sich über YouTubeVideos und Finfluencer. »Wenn mir jemand verkaufen will, dass es besser sei, in einen Bankenfonds statt in meine ETFPläne zu investieren, und ich dafür auch noch horrende Gebühren zahlen soll, sehe ich das einfach nicht ein«, sagt die Gründerin.
Solch ehrliches Feedback hört Hümpfner selten. Genau deswegen hat er sich für ein externes ReverseMentoring entschieden. Viele Unternehmen initiieren interne Programme und bringen ihre Azubis mit Abteilungsleitenden zusammen. Werner Bruns sieht das kritisch: »Menschen in internen Strukturen trauen sich oft nicht, zu sagen, was falsch läuft.« Der Soziologe forscht an der Rheinischen Hochschule Köln unter anderem zu digitaler Transformation und Konfliktmanagement in Unternehmen.
Von 2016 bis 2018 leitete Bruns ein Pilotprojekt mit Schülerinnen und Schülern der elften Klasse eines Kölner Gymnasiums.
Bankenvorstand Matthias Hümpfner will wissen, was er Neukunden bieten muss
Gründer Lorenz Kopp kann ihm auch erklären, wie er KI für sich nutzen kann
Er brachte sie mit Führungspersonen von Unternehmen wie Porsche, Airbus und TUI zusammen. In Tandems sollten die Schüler sie zu digitaler Technik und sozialen Medien coachen. Damals hätten die meisten wissen wollen, wie Instagram funktioniere. »Mittlerweile ist das Topthema KI, Social Media haben die meisten verstanden«, sagt Bruns. Inzwischen bekomme er immer mehr Anfragen aus mittelständischen Familienbetrieben, die sich für ReverseMentoring interessieren. »Auch Mittelständler merken, wie sehr sich die Belegschaft auseinanderentwickelt«, sagt Bruns. »Heute treffen nicht zwei, sondern fünf Generationen in einem Unternehmen aufeinander.« Die technologische Entwicklung sei so rasant, dass schon 30Jährige zehn Jahre jüngeren Menschen kaum folgen könnten. Das berge Konfliktpotenzial und hemme Innovation.
Zwischen kaum einer Konstellation sind die Gräben so tief wie bei den Babyboomern und der Generation Z. Also den Menschen, die zwischen 1946 und 1964 geboren sind, und jenen der Geburtenjahrgänge 1996 und 2010. Die Vorurteile sind allseits bekannt: Die Gen Z sei faul, verwöhnt und hyperempfindlich. Die Babyboomer hingegen seien engstirnig, autoritär und unbelehrbar. Das Technologieunternehmen Slack befragte im vergangenen Jahr in Kooperation mit dem Marktforschungsinstitut YouGov rund 2.000 Büroangestellte in Deutschland. Jeder Fünfte gab demnach an, am häufigsten Konflikte mit älteren Kollegen zu haben. Umgekehrt waren sechs von zehn befragten Boomern der Meinung, die Gen Z erwarte zu sehr, dass sich der Arbeitgeber nach ihren Bedürfnissen richtet. Gleichzeitig schätzen sie die Skills bezüglich KI und Automatisierung, die die jungen Kolleginnen und Kollegen mitbringen. Eine Studie des Softwaredienstleisters Adaptavist kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem im Zusammenhang mit digitalen Tools Konflikte auftreten.
Die Generationen zu versöhnen, hat Paul von Preußen zu seinem Geschäftsmodell gemacht. Er möchte Führungskräfte ohne »ChangeEsoterik« und »ConsultingBlabla« weiterbringen, das verspricht zumindest die Website seines Startups Digital8. Seine Agentur war es auch, die das
[M]:
Die Mentorin Laura Weber weiß, worauf es bei einer jungen Zielgruppe ankommt
Reverse-Mentoring für Matthias Hümpfner und die Volksbank pur organisiert hat. Auf die Idee, Reverse-Mentoring als Dienstleistung anzubieten, kam von Preußen während seines dualen Studiums bei der Commerzbank. Dort untersuchte er im Rahmen seiner Masterarbeit, wie ReverseMentoring das Mindset von Führungskräften verändert – und wurde 2018 Mentor von Sabine Schmittroth, die kurze Zeit später in den Vorstand wechselte. Das Mentoring lief so gut, dass sie ihn als persönlichen Referenten in die Geschäftsführung holte und die beiden sich bis heute auch privat treffen. Schon während seiner Anstellung gründete von Preußen gemeinsam mit Jonas Sowa Digital8. Seit drei Jahren arbeitet er dort als Geschäftsführer.
Man erreicht von Preußen im Frankfurter Westend, nicht weit von seiner ehemaligen Arbeitsstätte. Der 29-Jährige spricht in die Kamera seines Smartphones und wippt auf dem Bürostuhl vor der Frankfurter Skyline. Mittlerweile haben die Gründer sieben Mitarbeiter, das Netzwerk an Mentorinnen und Mentoren bestehe aus knapp 400 Menschen. »Wir haben Reverse-Mentoring zwar nicht neu erfunden, aber unser Timing war ideal«, sagt von Preußen. In den ersten Jahren von Digital8 gab es einen Tech-Trend nach dem anderen, viele Firmen seien intern nicht mehr weitergekommen. Chefinnen und Chefs wollten wissen, ob sie nun auch auf TikTok tanzen müssen, ob sie einen LinkedIn-Account brauchen und wie sie junge Menschen erreichen. »Viele Führungskräfte haben einen vertraulichen Rahmen gesucht, in dem sie ehrlich einen Spiegel vorgehalten bekommen«, sagt von Preußen. Inzwischen habe sein Start-up eine »gute dreistellige Anzahl« an Mentorings organisiert.
Meist läuft das Ganze so ab: Die Mentees melden sich bei seiner Agentur und beschreiben, was sie lernen möchten. Von Preußens Team sucht dann nach passenden Mentorinnen und Mentoren. Viele von ihnen sind selbst Unternehmerinnen und Unternehmer. Wichtig sei neben der fachlichen Kompetenz, dass sie gut kommunizieren können. »Man muss schon selbstbewusst auftreten und sich trauen, einem Geschäftsführer zu sagen, wenn etwas blödsinnig
ist«, sagt von Preußen. Bis zum ersten Termin wissen die Teilnehmer meist nicht, wer sie coachen wird. Wie sie das Mentoring gestalten, entscheiden die Tandems individuell, manche treffen sich jede Woche per Videocall, andere sehen sich nur zweimal im Monat, dafür aber persönlich. In der Regel dauert das Mentoring mindestens ein halbes Jahr und wird in einem Abschlussgespräch gemeinsam evaluiert.
Die Unternehmen bezahlen Digital8 für die Vermittlung der Mentorinnen und Mentoren und die Projektbegleitung. Wie viel das kostet, verraten beide Seiten nicht. Die Kosten seien je nach Projekt individuell, »bewegen sich aber im Rahmen der Kosten, die Führungskräfte auch für Managementseminare ausgeben«. Im Gegensatz zu Unternehmensberatungen sei Reverse-Mentoring vergleichsweise erschwinglich, meint Werner Bruns. Es sei »eine der kostengünstigsten Methoden, um Innovation im Unternehmen voranzutreiben«, sagt der Organisationspsychologe. Ab etwa 20.000 Euro könne man ein gutes Reverse-Mentoring bekommen.
Matthias Hümpfner nutzt das erste Treffen mit Laura Weber und Lorenz Kopp gleich für konkrete Fragen. Wie wählen junge Kunden ihre Bank aus? »Ich suche vor allem eine unkomplizierte App und nehme gerne kostenloses Startguthaben mit«, sagt Kopp. Sollte wirklich alles nur noch digital sein? »Nein, es ist schon wichtig, auch präsent zu sein, zum Beispiel mit coolen Events«, sagt Weber. Aber eben nicht mit ungefragter Verkaufe. Welche Inhalte sollte er auf LinkedIn posten, sollte er sich politisch äußern oder lieber unterhaltsam und locker sein? »Keiner will tanzende Azubis sehen«, meint die Gründerin. Stattdessen schlägt sie vor, mit Mythen in der Finanzwelt aufzuräumen und mit Faktenwissen einen Mehrwert für junge Leute zu bieten. Lorenz Kopp wirft ein: »Vielleicht könnten wir einen KI-Influencer aufbauen!«
Noch sind die Vorschläge unausgereift, aber: »Ich habe Lust zu experimentieren«, sagt Hümpfner. Wie viel er in seinem Unternehmen umsetzen kann, ist für ihn zunächst zweitrangig – er möchte sich zum Bankenchef von morgen formen.
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Fotos: Charlotte Schreiber für ZEIT für Unternehmer
… Reeperbahn. Die von Tom Lippmann ist mit 342 Metern die längste in Europa
Tom Lippmann führt in sechster Generation eine der letzten Seilereien in Deutschland. Seine Taue werden für Spielplätze, Motorsägen oder Segeljachten gebraucht. Doch er findet niemanden, der noch auf seiner Reeperbahn anheuern will
VON CATALINA SCHRÖDER; FOTOS: CHARLOTTE SCHREIBER
Es ist ein Donnerstagmorgen, kurz nach neun Uhr, als Tom Lippmann die Tür zur Reeperbahn aufschließt. »Achtung, jetzt wird’s laut«, warnt der 27-Jährige. Anders als man es von Hamburgs weltbekannter Vergnügungsmeile erwarten würde, schallt dem Besucher allerdings keine Musik entgegen, sondern ein ohrenbetäubendes Rattern. Auf Lippmanns Reeperbahn rollen überdimensionierte Spulen Garn ab und verzwirbeln es zu fingerbreiten Litzen, der Vorstufe eines Seils. Im nächsten Schritt werden mehrere Litzen zu unterarmdicken Seilen verarbeitet. Die heißen Kardeelen. Aus vier Kardeelen entsteht auf der Reeperbahn schließlich ein 114 Meter langes und eine Tonne schweres Tau. Von Anfang bis Ende dauert das einen kompletten Arbeitstag.
Reep ist das niederdeutsche Wort für Seil, und die Reeperbahn im Hamburger Stadtteil St. Pauli verdankt ihren Namen der Tatsache, dass dort früher mehrere Hundert Meter lange Taue für die Schifffahrt hergestellt wurden. Lippmanns Reeperbahn dagegen, eine der beiden letzten in Deutschland und mit 342 Metern die längste in ganz Europa, befindet sich heute allerdings in einer Halle im Hamburger Süden. Und er ist einer von nur noch ganz wenigen gelernten Seilern in Deutschland, früher Reepschläger genannt. Wie viele es genau sind, darüber gibt es keine exakten Zahlen. Deutschlandweit gab es 2023 laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks gerade einmal 20 Auszubildende.
Als Juniorchef leitet Tom Lippmann zusammen mit seiner Mutter in sechster Generation den Familienbetrieb Lippmann German Ropes. 1850 hat sein Urururgroßvater Friedrich Lippmann das Unternehmen gegründet. In diesem Jahr feiert die Familie ihr 175-jähriges Firmenjubiläum. Sie führt da-
Emit ein Handwerk fort, das heute kaum noch jemand kennt. Wie herausfordernd das ist, merkt man, wenn man Tom Lippmann einen Tag lang begleitet.
Seine Reeperbahn sieht ein bisschen aus wie ein Bahngleis: Über den Hallenboden verlaufen Schienen, darauf fährt ein Wagen, auf dem ein runder Holzblock mit Einkerbungen befestigt ist. Drei Arbeiter spannen die Kardeelen in den Holzblock ein. In der Mitte läuft ein Stahlseil ein, das dem Tau später besondere Stabilität verleiht. Einer der Arbeiter zieht jetzt an einem gelben Seil, das auf Kopfhöhe über die gesamte Länge der Reeperbahn verläuft. So signalisiert er den Kollegen am anderen Ende der Reeperbahn: Ihr könnt die Anlage starten. Sobald sich der Wagen in Bewegung setzt, drehen sich die Seile um den fahrenden Holzblock herum. Die Arbeiter halten das Stahlseil, das in das Tau läuft, dabei mit aller Kraft fest.
Tom Lippmann packt an diesem Morgen mit an. »Halt fest«, ruft einer seiner Mitarbeiter ihm zu. Meter für Meter erarbeiten sich die Männer an diesem Tag das dicke Seil. »Wir Seiler sagen auch: Das Tau wird geschlagen«, erklärt Lippmann. »Unser Beruf lässt sich nicht automatisieren.«
Im Unternehmen sind alle per Du. Manch einer erinnert sich noch, wie »der Tom« schon als kleiner Junge durch die Produktion lief. An normalen Tagen verbringt der Firmenchef die Hälfte seiner Arbeitszeit in der Produktion.
Es ist kurz vor halb elf, und Lippmann geht ins Nachbargebäude, in sein Büro. Hier arbeitet er, wenn er nicht in der Produktion mithilft. Sein Schreibtisch steht im einzigen Großraumbüro der Firma, nur wenige Meter von der Produktionshalle entfernt. Der Teppichboden ist in die Jahre gekommen, und an den Wänden hängen Schwarz-WeißBilder und Zeitungsartikel der früheren Unternehmergenerationen von Lippmann German Ropes. Nur Toms Mutter hat hier ein eigenes Büro. Der Juniorchef sitzt mit den Mitarbeitern zusammen. Jetzt ist Zeit für Filterkaffee und ein Butterbrot.
Vom Schreibtisch aus kauft Lippmann Rohstoffe für neue Seile ein, kümmert sich um die neue Website des Betriebs, berät Kunden. Wie sein Tag aussehen wird, lässt sich schwer vorhersagen. »Wenn ich morgens reinkomme, drehe ich als Erstes eine Runde durch Büro und Produktion – und dann packe ich da mit an, wo es nötig ist«, erzählt er. Gegen Mittag geht es zurück zu den Seilen. Lippmann liebt sein Handwerk, obwohl es ihn immer wieder vor große Herausforderungen stellt. Wie zum Beweis schließt er die Tür zu einem Nebenraum seiner Reeperbahn auf. Es ist dunkel und die Maschinen stehen still, dabei sollten hier Taue als Beißspielzeug für Hunde entstehen. Die kann Lippmann in die ganze Welt verkaufen. Aber es fehlen Mitarbeiter. Fünf Leute könnte der Juniorchef in der Produktion sofort gebrauchen, denn die Auftragsbücher sind voll. Doch er findet niemanden und muss seine Kunden vertrösten.
Diese Maschine dreht aus mehreren Litzen ein besonders starkes »Herkulesseil«. Es wird …
… als Kletterseil auf Spielplätzen verwendet
36 Männer und Frauen arbeiten in Lippmanns Betrieb: 30 in der Produktion und sechs in der Verwaltung. Manche gehören schon seit über 20 Jahren zum Unternehmen. Wann immer einer geht, gerät Lippmann in Not. »Ausgebildete Seiler finden wir sowieso nicht«, erzählt er, seine Mitarbeiter in der Produktion seien in der Regel Quereinsteiger. Inzwischen arbeite er meist mit Zeitarbeitsfirmen zusammen. »So können wir erst mal schauen, ob jemand zu uns passt«, sagt der Juniorchef.
Es ist nämlich so, dass Tom Lippmann schon häufig schlechte Erfahrungen gemacht hat. Gerade junge Mitarbeiter seien »ständig zu spät« gekommen, »überhaupt nicht belastbar« und »ständig krank« gewesen, sagt er. Fünf Lehrlinge wollte seine Mutter in den vergangenen zehn Jahren ausbilden. Bis zum Ende geschafft hat es keiner von ihnen. Dazu kommt, dass die einzige Berufsschule für Seiler in Bayern liegt. Ein weiter Weg aus Hamburg, auf den kaum jemand Lust hat. So kommt es, dass Lippmann selbst der bislang letzte Azubi seines eigenen Betriebs ist.
14 Uhr, Lippmann führt in das Abhollager seines Unternehmens. Er zeigt auf eine Palette, auf der Spulen mit dünnen schwarzen Seilen lagern. Gemacht für die Kofferräume von Autos, wo sie die Hutablage nach oben ziehen, wenn jemand die Klappe öffnet. Lippmanns Seile dienen auch als Anlassseile für Motorsägen und als Hundeleinen, seine dicken Taue als Handläufe an Treppen oder auf Jachten. Kurzum: Sie werden fast überall gebraucht.
Nur an die Berufsschifffahrt, die der Betrieb früher belieferte, verkauft Lippmann heute kaum noch. Die Betreiber all der Handelsschiffe und Fischereischiffe und Arbeitsschiffe kaufen heute in Asien und Osteuropa. »Bei deren Preisen können wir nicht mithalten«, sagt Lippmann. Wie viel genau er für seine Taue verlangt, sagt der Unternehmer nicht so gern. Ein Vergleich sei außerdem schwierig, weil Material und Qualität oft sehr verschieden sind. Aber Tom Lippmann schätzt, dass die Konkurrenz aus Fernost nur etwa ein Drittel seiner Preise aufruft. Seine eigene Produktion ins Ausland zu verlagern, kommt für
»Seile herstellen können viele. Um zu überleben, müssen wir die Besten in einer Nische sein«
Tom Lippmann
den jungen Unternehmer aber nicht infrage: »Dann mache ich den Laden lieber dicht!«
Ihren Hauptumsatz macht die Familie seit vielen Jahren mit Seilen für Spielplätze. Auch hier haben die Lippmanns Konkurrenz aus Fernost, gegen die sie mit guter Qualität punkten wollen. Toms Großvater hat ein spezielles Herstellungsverfahren entwickelt, das es nahezu unmöglich machen soll, Lippmanns Spielplatzseile durchzuschneiden.
15 Uhr, zurück in der Produktion: Auch auf dem dicken Tau, das seit heute Morgen auf der Reeperbahn entsteht, werden schon bald Kinder balancieren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fertigen zudem große Netze für Klettergerüste, Netzschaukeln und Kletterseile. Entstanden ist dieses Geschäftsfeld in den 1980erJahren. Lippmanns Großvater erhielt damals den Auftrag, im Hamburger Park Planten un Blomen erstmals einen Spielplatz in Deutschland mit Kletterseilen auszustatten. »Der kam so gut an, dass daraufhin immer mehr Spielplatzausrüster auf meinen Opa zukamen und Kletternetze bestellt haben«, erzählt Tom Lippmann.
Gegen 16 Uhr schaut Opa Klaus Lippmann vorbei. Er ist heute 83 Jahre alt und wohnt zusammen mit Lippmanns Oma noch immer auf dem Firmengelände. Mehrmals in der Woche schaut er in Büro und Produktion nach dem Rechten. »Einen Rat gebe ich aber nur, wenn ich gefragt werde«, betont er mit erhobenem Zeigefinger. »Wie
soll mein Enkel sich sonst die Hörner abstoßen?«
Überhaupt scheint die Harmonie in der Unternehmerfamilie ungewöhnlich groß zu sein: In den letzten Jahren seiner aktiven Zeit führte Klaus Lippmann den Betrieb mit seiner Tochter Stefanie Lippmann. Die leitet die Firma heute gemeinsam mit Tom. Doch Lippmann weiß, dass Harmonie nicht reicht: »Seile herstellen können viele. Um zu überleben, müssen wir die Besten in einer Nische sein.« Er hat deshalb angefangen, Seile für Segeljachten zu entwickeln, und geht dabei sehr systematisch vor. »Ich habe zuerst überlegt, welches Garn sich hierfür besonders eignet. Die Seile müssen zum Beispiel besonders strapazierbar sein, da sie durch Wind und Wasser stark beansprucht werden«, sagt Lippmann. Er öffnet die Tür zu einem Nebenraum der Produktionshalle. Sein kleines Entwicklerreich. Hier arbeitet er an den neuen Seilen. Allerdings erst nach Feierabend. Denn auch wenn sein Tag selten eine feste Agenda hat, ist für Sonderprojekte wie dieses im Alltag fast nie Zeit. Die ersten Prototypen testete er mit zwei befreundeten ProfiSeglern, die sie schon auf einer Regatta über den Atlantik eingesetzt haben. Er hofft, dass ihre Prominenz seinen Seilen hilft. Was ihn dagegen bremse, seien die bürokratischen Hürden im Land, sagt er. Vor zehn Monaten hat er eine Solaranlage auf dem Hallendach installieren lassen. Sie soll den Bedarf seines Betriebs decken. »Aber Pustekuchen«, sagt Lippmann und klingt dabei zum ersten Mal an diesem Tag erbost. Es habe Monate gedauert, bis die Anlage ans Netz angeschlossen worden sei. Warum so lange? Das wisse er auch nicht, sagt Lippmann.
Die Tür zu seiner Reeperbahn schließt er an diesem Tag gegen 17 Uhr ab. Er fährt zu einem Freund. Gemeinsam arbeiten sie an einer Website, über die Lippmann seine neuen Produkte – die Seile für Segeljachten – vermarkten und verkaufen will. Auch dafür bleibt erst nach Feierabend Zeit. Tom Lippmann stört das nicht. Schließlich will er derjenige sein, der den Traditionsbetrieb eines Tages an die siebte Generation übergibt. Und nicht derjenige, der das Familienunternehmen dichtmachen muss.
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3. Juli 2025 EBS Universität,Oestrich-Winkel
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LASSEN
Schieben Sie die Sicherheit Ihrer ITSysteme nicht auf die lange Bank. Sonst kann es teuer werden, wenn sich Ransomware-Banden Zugang zu Ihren Daten verschaffen und Lösegeld fordern (S. 42). Und nein: 1234567 ist und bleibt kein gutes Passwort. Überlegen Sie sich auch genau, wie Sie Ihre Familie einbinden. Von den Ritters kann man lernen, dass es Kindern manchmal hilft, fernab der Familienfirma aufzuwachsen, selbst wenn die Schokolade herstellt (S. 26). Und vertrauen Sie ruhig auch mal auf Opa Lippmann, der seinem Enkel nur dann Rat gibt, wenn er gefragt wird – der Junge soll sich schließlich mal schön selbst die Hörner abstoßen (S. 64).
DELEGIEREN
Auch als Führungskraft muss man nun wirklich nicht alles wissen. Man muss nur wissen, wer es besser weiß! Zum Beispiel eine KI, der Sie Fragen zu Ihren langweiligen Excel-Tabellen stellen können (S. 46). Oder Chatbots, die Ihnen bei der Auswertung Ihrer Daten helfen (S. 48). Das ist Ihnen zu viel KI? Dann probieren Sie doch mal Reverse-Mentoring, und vertrauen Sie bei Entscheidungen auf die Gen Z (S. 56). Und wenn Sie neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen, die Ihnen Arbeit abnehmen: Wussten Sie, dass erst vier Prozent der deutschen Firmen Geflüchtete aus der Ukraine eingestellt haben, obwohl die meisten sehr gut ausgebildet sind (S. 22)? Sie sagen es: Da geht mehr!
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