X-Rockz Magazin - Ausgabe 12 | Juli 2014

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„Die Musik ist als die universelle Sprache der Menschheit zu bezeichnen, durch welche das menschliche Gefühl sich einst allen Herzen in gleich verständlicher Weise mitteilen kann“, sagt einst der Klaviervirtuose Franz Liszt. Diese universelle Sprache wurde schon seit jeher von allen Volksgruppen dieser Welt gesprochen und gepflegt. Um das menschliche Gefühl musikalisch zu notieren (daher der Ausdruck „Note“), wurden auch diverse Notierungsversuche gestartet, mehrere Notationssysteme umgeworfen, bis sich die fünf sogenannten Notenlinien mit ihren freundlich wirkenden runden Noten durchgesetzt haben. Die Notation als visuelle Kulturtechnik Die Sprache Musik war – wie die meisten Sprachen und Dialekte – schriftlos und wurde mündlich weitergegeben. Mit Musiknotationen als materiellem Träger konnte erstmals zwischen Erinnerung und Vergegenwärtigung sowie zwischen Visuellem und Klanglichem vermittelt werden. Ganz pragmatisch betrachtet handelt es dabei um eine Niederschrift akustischer Phänomene und

Neumen (griech. für „Wink“) entstanden aus notierten Gedächtnisstützen der Kantoren, die mit Handzeichengebung („Wink“) den Sängern den Verlauf einer Melodie angedeutet haben. Das Repertoire der Handzeichengebungen wuchs und wuchs, bis es ein vollkommenes und viel verwendetes Notationssystem wurde. Im 11. Jahrhundert führte der Benediktinermönch Guido von Arezzo die noch heute in der Musiknotation gültige Notenschrift mit Notenlinien ein. Die barocke Musik brachte gegen Ende des 16. Jahrhunderts den Generalbass, der mit Buchstaben und Zahlen arbeitet, hervor. Es handelte sich um Anweisungen für Fundamentinstrumente wie Orgel, Cembalo, Violoncello oder Laute, einzelne Basstöne sind mehr oder weniger vollständig mit Ziffern versehen. Was ursprünglich als eine Sparmaßnahme gedacht war (Tinte und Papier waren schließlich teuer und für viele Musikschaffende und Kopisten unerschwinglich), entwickelt sich zu einer der wichtigsten Notationsmöglichkeiten der Musik. Sie ermöglicht(e) den Musikern, Improvisationen innerhalb des erlaubten Rahmens durchzuführen.

Im l e t z t e n T e i l d e r S e r i e „Die Entstehung der Schrift“ f ü h rt u n s d i e M u s i k e r i n u n d K u lt u r b l o g g e r i n C h i a - T ya n Ya n g i n d i e W e lt d e r M u s i k n otat i o n . Strategien. Konkret: Die Musik, die schöne Sprache für die Ohren, wird visualisiert. Die Musiknotationen, die sich in Europa seit etwa dem 8. Jahrhundert entwickelt haben, sind nicht nur musikhistorisch von Bedeutung. Ohne sie wäre unzählige Musik verloren gegangen bzw. sie wäre erst gar nicht entstanden! Die Notationssysteme von Musik brachten und bringen Notenschriften hervor, die je nach ihren historischen Anforderungen verschiedene Parameter wie Tonhöhe, Tondauer, Rhythmus etc. miteinbezogen haben. Die frühen deskriptiven – also beschreibenden – Notationen, haben sich in erster Linie entwickelt, um bereits bestehendes, mündlich überliefertes Melodiengut visuell zu fixieren. Im Mittelalter kam komplexe mehrstimmige Musik auf, mit ihr die präskriptiven – also vorschreibenden – Notenschriften, die die Fähigkeit besitzen, den schöpferischen Vorgang des Komponierens, des Zusammensetzens der Stimmen, in einen optischen Zusammenhang zu bringen. Interessant ist dabei, dass musikalische Notation grundsätzlich die Musik ihrer Zeit, ihre Aufführungs­ bedingungen und die Bedingungen ihrer Entstehung reflektiert. Die abendländischen Notationen & die Ziffer als Sparmaßnahme Ich möchte mich auf die Entwicklung der Notationssysteme im Abendland konzentrieren, da sie die führende Rolle in der weltweiten Musikgeschichte der letzten paar hundert Jahren gespielt hat. Den ersten Meilenstein finden wir in der Kirchenmusik: Die

Das Inventar an Zeichen und Anweisungen wurde im Laufe der Zeit stets ausgebaut, um immer komplexer werdende musikalische Vorgänge auszudrücken. Erfindung und Niederschrift von Musik stehen dabei immer in Wechselwirkung. Komposition fordert Notation heraus, und Neues notieren ermöglicht neuartiges Komponieren. Noten-Bilder des 20. Jahrhunderts Parallel zur Entwicklung in der Malerei (Impressionismus, Kubismus) empfanden die Avantgardekomponisten die Standardnotation als Ausdrucksmittel unzureichend – es wurden neben der konventionellen Notenschrift auch neue Formen zur Darstellung elektronischer und atonaler Musik entwickelt. In der Jazz- und Popularmusik hat sich ebenfalls ein komplexes Repertoire an Akkordsymbolen entwickelt. Anweisungen für neue Spieltechniken und Klangeffekte entstehen, teilweise sind die modernen Notenbilder so weit von der Standardnotation entfernt, dass sie an abstrakte Bilder erinnern – die Möglichkeiten der Musiknotation sind noch lange nicht ausgeschöpft! Mit einem Zitat von Richard Wagner möchte ich diesen Artikel abschließen: „Die Tonsprache ist Anfang und Ende der Wortsprache, wie das Gefühl Anfang und Ende des Verstandes.“ Da wird man beim Schreiben schon richtig melancholisch …

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