X-Rockz Magazin - Ausgabe 02 | Jänner 2012

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Wissen

Im Auge des Betrachters „Dieses Bild ist wunderschön“, sagt eine Dame in der Galerie. Ein künstlerisches Attribut ist „wunderschön“ wohl nicht, vielmehr handelt es sich hierbei um eine der subjektivsten Aussagen, die man überhaupt treffen kann. Warum findet man manches schön und manches hässlich? Warum merken wir uns manche Eindrücke, während uns andere Reize gar nicht auffallen? Bevor wir über ein Bild urteilen, müssen wir unseren Blick darauf richten. Und wenig haben unsere Augen nicht zu tun. Mit demselben Augenpaar erblicken wir sowohl die Kunstwerke einer Ausstellung, als auch die Müsliriegel im Supermarkt. Visuelle Reize, die auf uns hereinprasseln, sind mächtig. Wir nehmen nicht bloß Informationen auf, wenn wir etwas sehen, wir gleichen das Gesehene auch mit unserer Erinnerungswelt ab. Hätten wir noch nie zuvor gesehen, wie ein Reiskorn aussieht, würden wir es auch nicht zuordnen können.

Außerdem nehmen wir auch nur das wahr, was für uns als relevant erachtet wird – den Großteil sehen wir gar nicht. Würden wir alles wahrnehmen, was um uns ist, wären wir restlos überfordert. „Was weiß der Fisch vom Wasser, in dem er sein ganzes Leben verbringt“, fragte einst Albert Einstein und will damit sagen, dass wir das Unmittelbarste oft gar nicht vernehmen. Selektive Wahrnehmung wird dieses Phänomen in der Psychologie genannt. Selbst bei der Betrachtung eines Gemäldes nehmen wir nur einen Teil davon wahr, die Ganzheit bleibt uns verschlossen.

Wir sehen und merken uns, was für uns am Markantesten erscheint. „Das, was wir vor uns sehen, blickt uns an und hallt in uns wider“ – so sagte es der französische Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman. Es sind die Farben, es sind die Motive, es sind die Ausschnitte, die Emotionen in uns wecken. Welche Emotionen das sind, das hängt von den gespeicherten Erinnerungen oder Erwartungen ab, kurz: unsere Gedankenbilder beeinflussen uns andauernd. Was wir nun als schön oder hässlich einstufen, hängt ebenfalls von unseren Wertvorstellungen ab. Wir glauben zwar, diese Entscheidung selbst zu treffen, aller­ dings gibt uns eigentlich die Gesellschaft vor, was schön zu sein hat. Im Auge des Betrachters oder, besser ge­sagt, im Kopf des Betrachters liegt das Urteil über die Schönheit eines Bildes. Fest steht nur, dass die anfangs erwähnte Dame in der Galerie positive Gefühle bei der Betracht­ ung hatte. Warum genau, das kann wohl nicht einmal sie selbst sagen. Der Mensch ist ein Mysterium. Dabei bleibt’s. Text: Matthias Alber

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