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Reform in Arbeit Sozialminister Anschober geht das Thema „Pflege“ an

Unkoordinierte Pflege

Die Pflegereform soll noch heuer stehen. Eine neue Studie zeigt vor allem Probleme bei der Koordination von Bund, Ländern und Gemeinden.

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••• Von Martin Rümmele

WIEN. Sozial- und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) macht Druck für eine Pflegereform. Anlässlich der nun abgeschlossenen Pflegebefragung betont er, dass es keine Reform über die Köpfe der Betroffenen hinweg geben werde. Die mehr als 3.000 Rückmeldungen werden jetzt ausgewertet, die Ergebnisse sollen in den Reformprozess einfließen, erklärte er am Freitag. Anschober will zudem die durch die Coronakrise unterbrochene Dialogtour durch die Bundesländer fortsetzen. Diese habe das Ziel, ein Gesamtbild der Ist-Situation zu schaffen und Ideen für die Zukunft zu sammeln, wie eine professionelle, menschenwürdige Pflege in Österreich gelingen könne.

Task-Force sucht Lösungen

Im Anschluss daran sollen von der Task-Force Pflege notwendige Neuerungen erarbeitet werden, die dann Anfang 2021 in die konkreten Umsetzungen gehen sollen – in einer Zielsteuerungskommission, in der Bund, Länder und Gemeinden erstmals gemeinsam den Bedarf erheben, gemeinsam planen und gemeinsam umsetzen, wie Anschober betonte.

Genau das scheint auch dringend notwendig, wie eine neue Umfrage zeigt. Eine aktuelle Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo zur Pflegevorsorge in den Gemeinden sieht Nachholbedarf bei der Koordination zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Die Experten raten zu regionalen Pflegeinformationsstellen – einerseits zur Beratung der Angehörigen, aber auch, um den Pflegebedarf vor Ort besser verfolgen und prognostizieren zu können. Die Studie wurde im Auftrag des größten privaten

© APA/AFP/Daniel Leal-Olivas

Pflegekosten

Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo schätzt, dass bis zum Jahr 2030 die Ausgaben für Pflege- und Betreuungsdienste um 77% steigen werden.

+77%

Pflegeheimbetreibers SeneCura in Kooperation mit dem Gemeindebund erstellt.

Der Untersuchung zufolge wird bis zum Jahr 2050 in allen Bundesländern die Anzahl der sogenannten hochaltrigen Personen ab 85 Jahren um das Zweieinhalb- bis Dreifache steigen, wenn auch die Entwicklung regional unterschiedlich ist. Die Nachfrage nach Pflegedienstleistungen wird also enorm zunehmen. Die Gesamtausgaben für Pflege- und Betreuungsdienste werden laut den Projektionen des Wifo bis 2030 um 77% steigen. Die laufenden Ausgaben für Wohn- und Pflegeheime beliefen sich im Jahr 2018 laut Statistik Austria auf 3,456 Mrd. €; nicht eingerechnet sind hier häusliche Pflege und mobile Dienste.

Als zentrale Herausforderungen im Pflegebereich sieht das Wifo wenig überraschend Finanzierung und Personal. Finanzierungs- und Aufgabenverantwortung sind derzeit zwischen unterschiedlichen Gebietskörperschaften verteilt – zumeist ohne gemeinsame Steuerung,

Neue Studie

Präsentierten Pflegeanalyse: Markus Schwarz (SeneCura), Christoph Badelt, Ulrike Famira-Mühlberger (beide Wifo), Alfred Riedl (Gemeindebund, v.l).

© SeneCura/APA-Fotoservice/Schedl sodass es laut den Experten zu Fehlanreizen und Ineffizienzen kommt. Die Stärkung mobiler Dienste könne den Kostenpfad etwas dämpfen, glaubt das Wifo, aber aufgrund der demografischen Entwicklung sei der Ausbau stationärer Einrichtungen unerlässlich, befand Studienleiterin Ulrike Famira-Mühlberger.

Privater Betreiber will helfen

Aus Sicht der befragten Gemeinden besteht hoher Nachholbedarf bei der Koordination der Pflege: Einerseits eine systematische Herangehensweise, um Informationen über den gegenwärtigen und künftigen Pflegebedarf der lokalen Bevölkerung zu erheben, andererseits, um den Bürgern kompetente, wohnortnahe Information und Beratung bieten zu können. Man müsse sich auf die wohnortnahe Organisation der Pflege fokussieren, bekräftigte Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl (ÖVP), eine systematische Herangehensweise bei Information und Planung sei dabei unerlässlich. Der größte private Pflegeheimbetreiber SeneCura bietet sich hier selbst an: Man könne einen Betrag leisten und in Zukunft vielleicht Aufgaben offiziell übernehmen, die man jetzt informell mitmache, meinte Markus Schwarz, Vorstand der SeneCura Gruppe.

Die Gesundheitskasse soll Millionenhilfe vom Bund bekommen. Arbeitgeber fordern die Kasse aber auch zu Reformen auf.

© APA/Herbert Neubauer

Geldspritze für ÖGK

Der Bund will der coronagebeutelten Gesundheitskasse mit einem dreistelligen Millionenbetrag helfen. Nicht alle freut das.

••• Von Martin Rümmele

WIEN. Gesundheits- und Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) hat nach einem ersten Treffen mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) finanzielle Coronahilfen des Bundes zugesagt. Er versprach einen „dreistelligen Millionenbetrag“ für heuer, konkreter wurde er noch nicht. Für die Versicherten schloss er Verschlechterungen aus. Der Bund werde seine Verantwortung wahrnehmen. Man wolle die durch Corona entstandenen Herausforderungen gemeinsam stemmen, und zwar nicht nur heuer. Inklusive 2021 und 2022 – denn auch über diesen Zeitraum will der Minister ein Gesamtpaket schnüren – soll es um einen „größeren dreistelligen Millionenbetrag“ gehen.

Die Krankenversicherungen zusammen haben zuletzt ein Minus von 558 Mio. € für heuer prognostiziert, 427 Mio. € davon entfallen auf die ÖGK. Die Liquidität der ÖGK sei aber nach wie vor gewährleistet, Grund zur Sorge bestehe also nicht.

Andreas Huss (SPÖ), im laufenden Halbjahr Obmann der ÖGK, freute sich über die grundsätzliche Unterstützungszusage. Generaldirektor Bernhard Wurzer erwartet recht bald einen Abschluss. Huss warnt aber vor steigenden Kosten: „Die Krise ist nicht mit 31.12.2020 erledigt“, betonte er. Neben dem heuer erwarteten Defizit von 447 Mio. €

Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Krise ist mit dem 31.12.2020 nicht erledigt.

Andreas Huss

Obmann ÖGK gebe es auch noch 440 Mio. € an Stundungsaußenständen. Wenn nun die von Kreditschützern erwartete große Insolvenzwelle komme, müsse man einen großen Teil davon im kommenden Jahr abschreiben. Seine Prognose, dass die Kasse zwischen 600 Mio. und 1 Mrd. € brauchen werde, halte er deswegen weiterhin aufrecht, sagte Huss.

Arbeitgeber sind vorsichtig

Zurückhaltend gibt sich der Obmann der SelbstständigenKasse SVS und Co-Vorsitzende im Dachverband der Sozialversicherungen, Peter Lehner. Er will sowohl für seine SVS als auch für die ÖGK die gestundeten Beiträge vom Staat ersetzt haben. Die aufgrund der Arbeitslosigkeit gesunkenen Beitragseinnahmen will er für die ÖGK nur dann ausgeglichen haben, wenn die Selbstverwaltung das nicht mehr schafft. „Eigenverantwortliches Handeln ist die Kernaufgabe der Selbstverwaltung, nicht der Ruf nach dem Staat.“

CORONA

Kritik von Vamed-Mutter

BAD HOMBURG. Der Chef des deutschen Medizinkonzerns Fresenius, Stephan Sturm, kritisiert das Coronakrisenmanagement der Politik. Es sei ein Fehler gewesen, „alles komplett einseitig auf die Pandemie auszurichten“, heißt es in einer im Voraus veröffentlichten Rede, die Sturm auf der Hauptversammlung des Gesundheitskonzerns am 28. August halten soll. Das gelte für viele Bereiche der Gesellschaft, besonders jedoch für die Medizin.

Nicht nur an Covid denken

„Wir haben alles runtergefahren. Und das, obwohl die große Coronawelle gar nicht kam“, sagt Sturm mit Blick auf die 86 Kliniken des DAX-Konzerns in Deutschland. Covid-19 sei zwar eine große Bedrohung. Das seien Schlaganfälle, Herzinfarkte oder Krebs aber auch, sagte der Chef des größten deutschen Klinikbetreibers. In Österreich ist Fresenius mehrheitlich am Gesundheitsdienstleister Vamed beteiligt. (red)

© Fresenius

Privater Klinikkonzern

Fresenius-Boss Stephan Sturm will auch andere Krankheiten behandelt wissen.

© APA/EXPA/Johann Groder Auch bei den diesjährigen Alpbacher Gesundheitsgesprächen stand die Coronakrise im Zentrum.

Was wirklich fehlt

Corona beschäftigte die Gesundheitsgespräche in Alpbach. Eine Studie zeigt: Das Gesundheitssystem braucht 4,2 Mrd. €.

ALPBACH. Für die Zukunft benötigt das Gesundheitswesen einen Covid-19-Fonds, um sich aus der Krise „herauszufinanzieren“. Das ist das Ergebnis einer Analyse der Gesundheitsökonomen Maria Hofmarcher und Christopher Singhuber, die ALPBACH. Sicherheitsaspekte in der Entwicklung eines CoronaImpfstoffs dürften nicht beiseite gelassen werden, erklärten bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen die Immunologin Faith Osier (Universität Heidelberg) und Mirjam Jenny (RobertKoch-Institut).

Bei der aktuellen Pandemie mit einem neuen Erreger sei der Druck auf Wissenschaft und am Montag im Rahmen der Alpbacher Gesundheitsgespräche in Zusammenarbeit von Philips Austria präsentiert worden ist. Das Volumen des „AT4Health“- Fonds sollte 4,2 Mrd. € betragen. Man habe zwar durch eine nahezu vollständige Sperrpoli

Gehörst du dazu? Politik, „etwas zu tun“, derzeit enorm. Beide Expertinnen warnten vor einer Vernachlässigung von Sicherheitsprüfungen mit großen klinischen Studien der Phase-III. Jenny: „Das könnte das Vertrauen in Vakzine und Impfungen schädigen.“ Osier dazu: „Die gleichen Leute, die jetzt Hoffnung wollen, werden Fehler nicht verzeihen.“ Ein weiteres Problem sei derzeit,

tik das Land recht gut vor der Pandemie geschützt, doch es gibt Mankos: Laut den Experten zeigt SARS-CoV-2 in Österreich erst recht, dass das Gesundheitswesen – wie seit vielen Jahren gefordert – vor allem im niedergelassenen Bereich und dass jeder kleinste mögliche wissenschaftliche Fortschritt im Wissen über das Virus sofort via Medien an die Öffentlichkeit gelange: „Wir sehen Informationen in den Medien, ohne die wissenschaftlichen Daten zu kennen.“ Jenny unterstrich, dass die aktuelle Situation rund um die Pandemie zumindest in Europa bis auf Weiteres keine extreme Gefahr darstelle. (red) auf lokaler Ebene massiv gefördert werden sollte. Hofmarcher: „Das heißt aber auch, dass die angestrebte Gesundheitsreform wichtiger denn je ist.“ Dazu zähle auch, dass Österreich beim Pflegepersonal im internationalen Vergleich stark aufholen müsse.

Privatanteil steigt

Besonderes Augenmerk müsse in der Gesundheitspolitik auch der Kassenmedizin gewidmet werden: „Wird mehr den Wahlärzten überlassen, steigen die privaten Ausgaben. Am niedrigsten ist der Anteil der privaten Ausgaben für ambulante Leistungen in Oberösterreich (23 Prozent). Sehr hoch ist er in Vorarlberg (35 Prozent) und in Salzburg (30 Prozent). Alle drei Länder haben eine mittelmäßige Versorgung mit Kassenärzten pro 100.000 Einwohner.“ Hofmarcher: „Der Umbau des Systems in Richtung regionaler Zusammenführung der Mittel für die ambulante Versorgung ist ein Muss und bedeutend wichtiger als der Umbau der Kassen

Vorsicht bei Impfstoffentwicklung

Der Druck der Politik und Bevölkerung auf die Wissenschaft steigt.

landschaft.“ (red)

© APA/AFP/Chandan Khanna Die Suche nach einem Impfstoff macht Unternehmen zu schaffen.

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