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«Mit jeder Wiederholung werden wir besser»
Vor bald zwei Jahren ist auch bei den Kaufmännischen Berufen die neue Bildungsverordnung (BiVo) in Kraft getreten. Zeit für eine Zwischenbilanz. Marc Matti, Leiter des WST-Standortes Gstaad, gibt im Interview Einblick in seine persönlichen Erfahrungen und Besonderheiten eines kleinen Schulhauses.
Marc Matti, wie haben Sie die letzten eineinhalb Jahre der Reform bei den Kaufmännischen Berufen erlebt?
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Wie bei allem, das neu ist, stelle ich fest, dass man beim zweiten Durchlauf schon ein bisschen besser ist. Das zeigt sich auch in unserem ersten Lehrjahr, das wir seit Sommer 2024 nun zum zweiten Mal durchführen. Wir konnten unsere Erfahrungen aus dem ersten Jahr einfliessen lassen, haben vieles optimiert und Sicherheit gewonnen. Wichtig ist, dass man bei solchen Reformen nicht nur die Rahmenbedingungen anpasst, sondern auch sich selber als Lehrperson reflektiert und regelmässig prüft, was man verbessern kann. Ich denke, dass uns das ganz gut gelungen ist. Aber das ist eine Erfahrung, die ich bislang bei jeder Reform – nicht nur der aktuellen – gemacht habe: dass man mit jeder Wiederholung besser wird. Das sind klassische Learnings einer jeder Reform, unabhängig davon, welche neuen Inhalte sie mit sich bringt.
Wie viele Reformen haben Sie als Berufsschullehrperson bereits erlebt?
Die «KV Reform 2023» ist die dritte Reform meiner Berufskarriere und zweifelsohne die grösste. Die beiden vorherigen waren eher leichte Adaptionen des Bisherigen. Ich muss sagen, dass ich mit der jetzigen Bildungsreform alles in allem sehr zufrieden bin. Was mir besonders gut gefällt, ist, dass die neue Kaufmännische Grundbildung konsequent auf Handlungskompetenzen ausgerichtet ist, was in der Berufsbildung heute ja überall Standard ist. So befähigen wir die Lernenden, gut mit Veränderungen umgehen zu können und motivieren sie zu lebenslangem Lernen. Als Lehrpersonen laufen wir manchmal aufgrund unseres akademischen Hintergrundes Gefahr zu denken, dass unser eigenes Wissen im Zentrum steht und wir den Lernenden genau dieses Wissen vermitteln müssen. Als Lehrpersonen ist es jedoch unsere Aufgabe, den Lernenden jene Kompetenzen zu vermitteln, die sie im Betrieb und Berufsalltag tatsächlich benötigen. Und das ist nicht immer deckungsgleich mit jenem Wissen, das wir als Lehrpersonen persönlich vielleicht als wichtig erachten. Das ist sicher eine wichtige Erkenntnis der aktuellen Reform. Deshalb finde ich das Konzept der Handlungskompetenzaufträge auch so sinnvoll. Der Lernende wird damit ins Zentrum gestellt.
Dann war früher nicht alles besser? An Kritik wurde bei der BiVo nicht gespart, gerade auch in den Medien waren viele kritische Stimmen zu lesen.
Nein, früher war nicht alles besser oder perfekt. Ich habe in den letzten 30 Jahren oft von Lernenden gehört, dass sie gewisse Dinge, die sie in der Berufsfachschule lernen, so gar nicht im Betrieb gebrauchen können. Respektive dass es im Betrieb ganz anders angewendet wurde. Es gab deshalb definitiv eine Notwendigkeit, die Kaufmännische Grundbildung grundlegend zu reformieren. Das sehen wir aktuell beispielsweise in Sachen Künstlicher Intelligenz und den verschiedenen Tools, die mittlerweile auf dem Markt sind. Arbeitnehmende müssen heute andere Dinge beherrschen als noch vor wenigen Jahren. Tools wie ChatGPT sind in den Unternehmen heute täglich in Gebrauch, was noch vor einem Jahr anders war. Viele versenden keine wichtige Mail mehr, ohne sie von solchen Tools überarbeiten zu lassen – auch ich nicht. Es ist eine Tatsache, dass diese Hilfsmittel im Berufsalltag eingesetzt werden. Wir müssen den Lernenden als Berufsfachschule deshalb einen sinnvollen Umgang damit vermitteln, ihnen lernen, wie sie mit den raschen Änderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zurechtkommen. Die rasante Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass wir uns als Berufsfachschulen den aktuellen Gegebenheiten anpassen müssen. Nicht nur unsere Lernenden müssen sich bewegen, auch wir als Lehrpersonen. Es ist wichtig, diese Offenheit zu behalten und nicht rückwärts orientiert zu agieren.
Wo sehen Sie bei der BiVo noch Optimierungsbedarf? Noch nicht ganz glücklich bin ich bei den Prüfungen. Wir haben die Nullserien der QV Prüfungen beim Detailhandel sehr spät erhalten, im KV sind aktuell ebenfalls noch viele Fragen offen. Wir «schwimmen» hier aktuell schon etwas, weil wir nicht wissen, was effektiv geprüft werden wird. Die Prüfungen finde ich zudem noch nicht ideal konzipiert, da nur ein sehr kleiner Ausschnitt aus dem vermittelten Wissen geprüft wird. Das macht das Ganze etwas zufällig. Die Prüfungen haben früher weit mehr abgedeckt, womit wir anhand der Vorschlagsnoten in etwa einschätzen konnten, ob ein Lernender die Abschlussprüfungen bestehen wird. Allerdings denke ich, dass die aktuellen Probleme ein Teil der «Kinderkrankheiten» sind, die jede Reform mit sich bringt. Je näher die Prüfungen kommen, desto mehr Klarheit wird bestehen. Und auch hier gilt, dass wir mit jeder Wiederholung besser werden.

Nun gibt es aber Herausforderungen, die tatsächlich schwierig scheinen, wie beispielsweise beim Französisch. Die KV-Lernenden haben zwei Jahre Französisch-Unterricht, danach ein Jahr Pause und werden erst am Ende des dritten Lehrjahres geprüft … Der Grundgedanke der Reform war, dass man zwei Jahre Französisch Unterricht hat und die Sprache danach im Betrieb anwendet. Das Problem ist, dass das in vielen Betrieben in der Deutschschweiz nicht der Fall ist, wenn kein Bezug zur Westschweiz besteht. Hier besteht zu unseren Lernenden in Gstaad aber interessanterweise ein grosser Unterschied. Unsere Lernenden wenden Französisch tatsächlich täglich an, beispielsweise an der Reception im Hotel. Das liegt daran, dass wir eine Tourismusregion und viel näher am Welschland sind. Es gibt somit regionale Unterschiede, die einen sehr grossen Einfluss auf die Wahrnehmung von Herausforderungen haben.
Mit der Reform müssen Lehrperson nun viel enger zusammenarbeiten, weil Themen fächerübergreifend vermittelt werden. Wie hat sich Ihre Rolle als Lehrperson mit der BiVo verändert? Ich bin wahrscheinlich nicht repräsentativ für die gesamte Lehrer:innenschaft, einerseits weil ich in meinen Anfängen als Lehrer in mehrstufigen Klassen, also vierte bis sechste Klasse, unterrichtet habe. Das Koordinieren und enge Zusammenarbeiten kenne ich somit schon von meinen Anfängen. Für mich hat sich deshalb mit der BiVo nicht sehr viel verändert. Hinzu kommt, dass bei uns am Stand ort Gstaad der regelmässige Austausch und die enge Zusammenarbeit schon immer stattgefunden haben. Das ist sicher ein Vorteil von uns als kleinem Schulhaus. Sicher hat der Koordinationsaufwand etwas zugenommen, da wir über verschiedene Handlungskompetenzbereiche hinaus zusammenarbeiten. Jedoch ist er aus meiner persönlichen Sicht maximal um 10 Prozent gestiegen.
Wie sind die Rückmeldungen der Lernenden zur BiVo?
Die Lernenden kennen ja nichts anderes und haben keinen Vergleich zur vorherigen Grundbildung. Ich erlebe die Lernenden deshalb so zufrieden, wie sie es früher waren. Und man muss ja auch ehrlich sein, dass 80 Prozent dessen, was ich im Unterricht vermittle, dasselbe ist. Ich unterrichte nicht komplett andere Dinge; Buchhaltung und Sprachen gibt es als Inhalte ja beispielsweise immer noch, auch wenn wir heute handlungskompetenzorientiert unterrichten. Hinzu kommt, dass bei der Ausbildung von jungen Menschen am Ende das Zwischenmenschliche oft entscheidender ist, als die reinen Inhalte. Wie wir als Lehrpersonen unterrichten, wie die Berufsbildner:innen das Wissen vermitteln, ist am Ende das, was eigentlich zählt.
Interview: LILLY TORIOLA Kommunikationsverantwortliche
