"die beste Zeit", Oktober-Dezember 2021

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Für die Dichtung streiten

Ein Rückblick auf die Geschichte des Vereins „Literaturhaus Wuppertal e.V.“

Anne Linsel und Hermann Schulz im „Literaturhaus Wuppertal“, Foto: Willi Barczat

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Auch diese Ära endet nun. Anne Linsel, Kulturjournalistin, Publizistin, Filmemacherin, hat auf der letzten Mitgliederversammlung des Vereins „Literaturhaus Wuppertal e.V.“ nicht wieder als Vorsitzende kandidiert. Sie

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war es seit Januar 2005, genauer schon seit 1997, als sie und etliche Mitstreitende sich von der „Else Lasker-Schüler-Gesellschaft“ trennten und den Verein „Else Lasker-SchülerHaus e.V.“ gründeten – als Einspruch gegen die ausgeprägte Neigung vieler „Else“-Apologeten, Person und Werk der jüdischen Dichterin für alles Mögliche zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren. Weil die Namensgebung aber immer wieder mehr oder weniger amüsante Irritationen auslöste, gab sich der Verein Anfang 2005 zunächst aus pragmatischen Gründen einen neuen Namen. Anne Linsel wurde erneut 1. Vorsitzende, Ehrenvorsitzende die hochgeschätzte Wuppertaler Bühnenbildnerin Hanna Jordan, die in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden wäre. Ein erstes provisorisches Dach fand der Verein im sogenannten Soppschen Pavillon am Schauspielhaus. Als dem Verein Anfang 2000 zwei Räume in einem der im klassizistischen Stil erbauten Bürgerhäuser am Haspel mietfrei überlassen wurden, konnte er sich als „Literaturhaus Wuppertal“ für viele Jahre zu der vielleicht wichtigsten Adresse für Literatur in unserer Stadt etablieren. Konzeption und Programm des Vereins bringt eine Sentenz Else LaskerSchülers auf den Punkt, die diese 1927 in ihrer berühmten

Streitschrift „Ich räume auf!“ formuliert hatte: „Ich streite für mich und für alle Dichter, vor allen Dingen für die Dichtung.“ Realisiert wurde dieses Ansinnen in den Anfangsjahren durch zahllose Lesungen, Gespräche, Vorträge, Konzerte und Geselligkeiten, die einem Literaturhaus, das es ja in Wuppertal in Wirklichkeit gar nicht gab, verdammt nahekamen. Zwar weckte der Name entsprechende Erwartungen, von einer soliden Ausstattung in finanzieller, personeller oder infrastruktureller Hinsicht – so wie in anderen Städten mit wirklichen Literaturhäusern – war (und ist) das Domizil am Haspel weltenweit entfernt. Das bleibt ein Defizit - und ein Stachel. Dennoch hat der rein ehrenamtlich betriebene Verein über die Jahre ein beachtliches literarisches und kulturpolitisches Profil entwickelt. Von Anfang an setzte man auf Kooperationen und Partnerschaften, etwa mit dem Kulturbüro, dem Von der HeydtMuseum, dem Kunst- und Museumsverein, der Begegnungsstätte Alte Synagoge, der Stadtbibliothek, der Armin T. Wegner-Gesellschaft, der Ev. CityKirche, der GEDOK, der Bergischen Universität, der Musikhochschule, dem NRW Kultursekretariat, den Wuppertaler Bühnen und dem Skulpturenpark Waldfrieden von Tony Cragg. Zudem standen die immer etwas vernachlässigt anmutenden großbürgerlichen Räumlichkeiten am Haspel allen literarischen Vereinen und Initiativen für eigene Veranstaltungen offen, u.a. dem regionalen Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) mit seinen regelmäßigen Werkstattlesungen. Eine verlässliche Unterstützerin in finanzieller Hinsicht war in all den Jahren die Stadtsparkasse Wuppertal. Dank ihr und den Kooperationspartnern konnten immer auch (geringe) Honorare gezahlt werden. Substanz und Ausstrahlung haben dem „Literaturhaus Wuppertal“ vor allem jene Künstlerinnen und Künstler verliehen, die am Haspel oder an anderen Orten zu Gast gewesen sind: Andrzej Szczypiorski, Judith Kuckart, Emine Sevgi Özdamar, Barbara Nüsse, Georg Klein, Norbert Hummelt, Milena Moser, Ingrid Noll, Eugen Gomringer, Lutz Seiler, Barbara Köhler, Jan Wagner, Mechthild Großmann, Karl Otto Mühl, Michael Zeller, Gerlind Reinshagen, Hermann Schulz, Wolf von Wedel, Safeta Obhodjas, Christiane Gibiec, Angelika Zöllner, Tillmann Rammstedt,

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