5 minute read

Für die Dichtung streiten

Ein Rückblick auf die Geschichte des Vereins „Literaturhaus Wuppertal e.V.“

Anne Linsel und Hermann Schulz im „Literaturhaus Wuppertal“,

Advertisement

Foto: Willi Barczat

Auch diese Ära endet nun. Anne Linsel, Kulturjournalistin, Publizistin, Filmemacherin, hat auf der letzten Mitgliederversammlung des Vereins „Literaturhaus Wuppertal e.V.“ nicht wieder als Vorsitzende kandidiert. Sie

war es seit Januar 2005, genauer schon seit 1997, als sie und etliche Mitstreitende sich von der „Else Lasker-Schüler-Gesellschaft“ trennten und den Verein „Else Lasker-SchülerHaus e.V.“ gründeten – als Einspruch gegen die ausgeprägte Neigung vieler „Else“-Apologeten, Person und Werk der jüdischen Dichterin für alles Mögliche zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren. Weil die Namensgebung aber immer wieder mehr oder weniger amüsante Irritationen auslöste, gab sich der Verein Anfang 2005 zunächst aus pragmatischen Gründen einen neuen Namen. Anne Linsel wurde erneut 1. Vorsitzende, Ehrenvorsitzende die hochgeschätzte Wuppertaler Bühnenbildnerin Hanna Jordan, die in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden wäre.

Ein erstes provisorisches Dach fand der Verein im sogenannten Soppschen Pavillon am Schauspielhaus. Als dem Verein Anfang 2000 zwei Räume in einem der im klassizistischen Stil erbauten Bürgerhäuser am Haspel mietfrei überlassen wurden, konnte er sich als „Literaturhaus Wuppertal“ für viele Jahre zu der vielleicht wichtigsten Adresse für Literatur in unserer Stadt etablieren. Konzeption und Programm des Vereins bringt eine Sentenz Else LaskerSchülers auf den Punkt, die diese 1927 in ihrer berühmten Streitschrift „Ich räume auf!“ formuliert hatte: „Ich streite für mich und für alle Dichter, vor allen Dingen für die Dichtung.“ Realisiert wurde dieses Ansinnen in den Anfangsjahren durch zahllose Lesungen, Gespräche, Vorträge, Konzerte und Geselligkeiten, die einem Literaturhaus, das es ja in Wuppertal in Wirklichkeit gar nicht gab, verdammt nahekamen. Zwar weckte der Name entsprechende Erwartungen, von einer soliden Ausstattung in finanzieller, personeller oder infrastruktureller Hinsicht – so wie in anderen Städten mit wirklichen Literaturhäusern – war (und ist) das Domizil am Haspel weltenweit entfernt. Das bleibt ein Defizit - und ein Stachel. Dennoch hat der rein ehrenamtlich betriebene Verein über die Jahre ein beachtliches literarisches und kulturpolitisches Profil entwickelt.

Von Anfang an setzte man auf Kooperationen und Partnerschaften, etwa mit dem Kulturbüro, dem Von der HeydtMuseum, dem Kunst- und Museumsverein, der Begegnungsstätte Alte Synagoge, der Stadtbibliothek, der Armin T. Wegner-Gesellschaft, der Ev. CityKirche, der GEDOK, der Bergischen Universität, der Musikhochschule, dem NRW Kultursekretariat, den Wuppertaler Bühnen und dem Skulpturenpark Waldfrieden von Tony Cragg. Zudem standen die immer etwas vernachlässigt anmutenden großbürgerlichen Räumlichkeiten am Haspel allen literarischen Vereinen und Initiativen für eigene Veranstaltungen offen, u.a. dem regionalen Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) mit seinen regelmäßigen Werkstattlesungen. Eine verlässliche Unterstützerin in finanzieller Hinsicht war in all den Jahren die Stadtsparkasse Wuppertal. Dank ihr und den Kooperationspartnern konnten immer auch (geringe) Honorare gezahlt werden.

Substanz und Ausstrahlung haben dem „Literaturhaus Wuppertal“ vor allem jene Künstlerinnen und Künstler verliehen, die am Haspel oder an anderen Orten zu Gast gewesen sind: Andrzej Szczypiorski, Judith Kuckart, Emine Sevgi Özdamar, Barbara Nüsse, Georg Klein, Norbert Hummelt, Milena Moser, Ingrid Noll, Eugen Gomringer, Lutz Seiler, Barbara Köhler, Jan Wagner, Mechthild Großmann, Karl Otto Mühl, Michael Zeller, Gerlind Reinshagen, Hermann Schulz, Wolf von Wedel, Safeta Obhodjas, Christiane Gibiec, Angelika Zöllner, Tillmann Rammstedt,

Tanja Dückers, Rafik Schami, Ralf Thenior, Peter Stamm, Eugen Egner, Falk Andreas Funke, Angela Krauß, Marcel Beyer, Ursula Krechel, Dariusz Muszer, Christoph Peters, Leif Randt, Jan Brandt, Serhij Zhadan und andere.

Ein Markenzeichen des Vereins „Literaturhaus Wuppertal e.V.“ war von Anfang an die Konzeption von Veranstaltungsreihen, die einem bestimmen Thema gewidmet waren oder die – als Eigenprodukt oder in Kooperation - ein neues Konzept der Vermittlung von Literatur erproben wollten. Diese neuen Formate sollten auch eine Alternative bieten zu jener klassischen, aber doch zuweilen ziemlich betulich anmutenden Literaturlesung mit Wasserglas, Stehlampe und den höflich einführenden Gastgeberworten. Dahinter stand die Absicht, ein attraktives Angebot für alle literaturinteressierten Menschen zu schaffen - ohne Preisgabe der dichterischen Qualität. Keine „Ranschmeiße“ an das Publikum durch reine Bestsellerorientierung und schon gar nicht eine Unterforderung desselben. Das war und ist der Verein seinem Motto, für die Dichtung zu streiten, schuldig. Zu den Neugier weckenden Veranstaltungsreihen der Anfangsjahre zählen z.B.: „Prominente Wuppertaler und Wuppertalerinnen stellen ein Lieblingsbuch vor“, „Meine besten Seiten – Uni-Dozenten reden über Bücher“, „Kultur am Haspel – Gespräche, Lesungen, Vorträge“ und „Intendanten und Intendantinnen aus der Region im Gespräch“, u.a. mit Gerard Mortier, Michael Gruner, Anna Badura, Roberto Ciulli, Gerd Leo Kuck. Dass inhaltliche Substanz, Wagemut und Erfolg spektakulär und glückhaft gelingen können, zeigte von 2004 bis 2007 die an 15 teils aufregend neu inszenierten Orten in der Stadt gastierende Reihe „Die Schönen Drei – Literatur und Musik in Architektur“. Sie wurde vom Kulturbüro initiiert, das „Literaturhaus Wuppertal“ war mit der Universität fester Kooperationspartner. Dieses altersunabhängig bestens „funktionierende“ Format inspirierte das seit 2008 stets ausverkaufte Angebot „kunsthochdrei“ im Von der Heydt Museum. Diese immer noch existierende Reihe bietet einen breiten Querschnitt vom Barock bis zur klassischen Moderne und bringt jeweils epochenspezifische Musik, Literatur und bildende Kunst in ein sinnfälliges Verhältnis. Als Partner fungieren hier der Kunst- und Museumsverein, das Von der Heydt-Museum und die Musikhochschule. Gut angenommen wird ebenso die zuletzt pandemiebedingt immer wieder abgesagte Lesereihe „Literarische Teezeit“ im Café Podest des Skulpturenpark Waldfrieden von Tony Cragg, kulinarisch begleitet von Tee und Gebäck aus der Küche vor Ort. Einst verpönt und vermieden, erscheint diese Art kunstsinnig gepflegter Gediegenheit heute als ein Mittel der Wahl im Kampf um Aufmerksamkeit.

Nach dem für sie wichtigsten Vereinsprojekt gefragt, antwortet die einstige Vorsitzende: „Die Schulhausromane unter der Leitung von Wuppertaler Schriftstellerinnen und Schriftstellern: Dorothea Müller, Safeta Obhodjas, Christian Oelemann, Hermann Schulz, Michael Zeller u.a.“ Hier wurden mit Jugendlichen aller Schulformen kleine Romane geschrieben, im normalen Schulunterricht und jeweils über ein Vierteljahr hinweg. Die Texte wurden gedruckt und öffentlich vorgelesen. Zwanzig Schulhausromane in über zehn Jahren sind so bei dem von der Dr. Werner Jackstädt-Stiftung geförderten Projekt entstanden.

Und wie sieht Anne Linsel die Zukunft von „Literaturhaus Wuppertal e.V.“? Sie wünscht sich, dass Else Lasker-Schülers Motto vom „Streiten für die Dichtung“ weiter Leitlinie des Vereins bleibt und es gelingt, mehr junge Menschen für die Literatur zu begeistern. Das Ende einer Ära also als Aufbruch. Wie in der Politik. Wie in der Politik?

Michael Okroy

„kunsthochdrei“ im Von der Heydt Museum – Lesung mit Thomas Braus, 2019,

Foto: Von der Heydt Museum