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Von „on the go“ zum Gemälde

Der Künstler in seinem Atelier mit seinem Siegerbild

Der Bergische Kunstpreis geht 2021 an Pascal Sender und sein Bild „Exit“

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Schnell und doch bedächtig, Anglizismenfreund und sprachsensibel: Pascal Sender ist Träger des 75. Internationalen Bergischen Kunstpreises 2021, seine Kunst startet spontan, und gern sagt er Dinge wie „on the go“, „weird“ oder „spooky“. Hilft

nichts – der Mann ist ein angenehmes Gegenüber und reflektiert, was er tut: „Ich mache Malerei - in jeder Hinsicht.“

Die Auszeichnung, seit 2012 verliehen vom Geldhaus „National Bank“, erhält der frühere Student der Düsseldorfer Kunstakademie für sein Werk „Exit“. Neben Gisela Elbracht-Iglhaut, Direktorin des Kunstmuseums Solingen, gehörten zur Jury Dr. Anna Fricke (Kuratorin des Folkwang-Museums), Dr. Thekla Zell (Kuratorin des Museums Morsbroich), Dr. Roland Mönig (Direktor des Von der Heydt-Museums), ferner Bankchef Dr. Thomas A. Lange sowie mit David Czupryn auch ein ehemaliger Preisträger.

Auch „Exit“ spiegelt Tempo. Das gilt allgemein schon für den Rahmen, der das Ganze wörtlich umgibt und damit auch prägt: unverkennbar ein Smartphone und sein Display. Und nicht nur durchs Wort „Mobiltelefon“ ist das so zeittypische Allzweckgerät ja eng mit ständiger Mobilität verbunden. Was zeigt das Display? Die Uhrzeitanzeige ist ein dem Betrachter vertrautes Versatzstück; kombiniert ist sie mit Ansichten der Handykamera: Motive vom Bahnhof sowie das grüne, internationale Symbol für Fluchtwege, das gemeinhin so heißt wie der Titel. Dieses wird die Jury meinen, wenn sie in ihrer Begründung von „vertrauten semantischen Zeichen“ spricht. Nicht nur dieses Werk Senders hat diese Struktur, zeigt sich in seinem Atelier. Es liegt im Düsseldorfer Stadtteil Unterbilk in einem einstigen Fabrikgebäude; beim Aufstieg durchs schroffe Treppenhaus passiert man ein paar Stahltüren. Großformatig hängen diese und andere Bilder an den weißen Wänden der weitläufigen Halle, in der er arbeitet. Ordentlich schaut es hier aus und vorzeigbar - beim Besuch war in der Tat just am Vortag seine Tür zur Atelierschau „Kunstpunkte“ für Publikum geöffnet. Den Arbeitsort bezeugt am Rand der Tisch mit Computer, im Raum ein Regal mit Werkzeug und Malutensilien.

Den Begriff „Collage“, im Juryurteil gleichfalls verwendet, weist Sender nicht zurück, aber mit seinem Eingangszitat zum „Malen“ scheint er nach Präzisierung dazu zu suchen. An dieser Stelle einiges zum Vorgehen, wie es hinter dem Siegerbild und einigen weiteren steckt: Basis sind Aufnahmen mit der Handykamera - was sich zunächst „flüchtig“ nennen ließe. Zum fertigen Werk werden sie durch die Bearbeitung. Diese ist aufwendig, erstreckt sich gern einmal über ein Jahr - und kann dennoch in denkbar beiläufiger Form beginnen: noch unterwegs im Handyprogramm. Entsprechende „Tools“ imitieren den klassischen Pinsel und lassen den Künstler schon kurz nach der Aufnahme erste Modifikationen vornehmen. Malen ist das für ihn, „weil ich es mit meinem Finger mache“.

Im Atelier dann wird ausgedruckt und der Ausdruck dem kreativen Zugriff unterzogen - eingehend, langwierig und diesmal materiell-physisch. Das erwähnte WerkzeugEquipment lässt es erahnen. Der Künstler nimmt sich alle Zeit fürs Gegenüber, doch zugleich glaubt man sofort, dass er jederzeit aufspringen und sich einen Pinsel greifen

könnte. Charakteristisch fürs Ergebnis und wieder digital ist zudem: die Integration von Netzfunden, Chatverläufen, E-Mail-Messages. Erst durch all dies und mehr ist es irgendwann fertig; ein limit finden muss man ja am Ende doch. Grundregel jedenfalls: Bevor Farbe ans Bild kommt, ist nichts finished.

Ein prägnantes Gemälde an der Atelierwand beruht auf einer Momentaufnahme in einer Bar und lässt von dort ein Bierglas erkennen. Ein weiteres entstand aus der spontanen Draufsicht auf eine Rolltreppe samt Menschen. Ein Panorama-Querformat hier, das Sender nun im Kontext

Mixed Media auf bedruckter

Leinwand

eines Großgemäldes klassischer Art sieht: „last supper“ - das letzte Abendmahl.

Vielleicht steckt für Sender im Begriff „Collage“ auch zu sehr die Vorstellung, Bilder planvoll zusammenzufügen. Denn die Entstehung besagter Basis folgt ja dem Zufall oder, wenn man will, dem wachen Blick für Situationen. Die Sorgfalt gilt der Arbeit danach. Dass ein Motiv sich gerade anbot, scheint auch ihn selbst vor dem fertigen Bild zuweilen noch zu faszinieren. Gern zeigt er bei einem Bild schon einmal auf dieses oder jenes Detail, das erstaunlich passend scheint, staunt und versichert: Das habe er so vorgefunden.

Viel Technik, viel Bewegung fallen bei Sender sofort ins Auge. Das gilt nicht nur in puncto Produktion der Bilder, sondern auch bei Rezeption und Interaktion. Will sagen: Ganz selbstverständlich sind bei Werken QR-Codes angefügt und erlauben den Sprung ins Digitale, soweit man denn gerüstet ist zum Mitspringen. Da können die Betrachtenden unversehens ihr eigenes Gesicht als Teil eines Bildes auf ihrem Display wiederfinden und derlei Schwindelerregendes mehr. Gut und gern so interessant: Einblicke in den Prozess. Stufe für Stufe sind die Ergänzungen und sonstigen Schritte auf dem Weg zum Werk am Bildschirm nachvollziehbar. Die Genese, scheint es, ist für Sender nicht etwa nur Historie, sondern wichtiger Teil seines Kunstverständnisses.

Klar ist aber, bei all dem gerade auch im Atelier betriebenen Aufwand: Der virtuelle Raum interessiert Sender in seinem Verhältnis zum analogen. Die Grenzen zwischen beidem, sieht er sie fließend? Nein, sein Punkt ist eher die Beeinflussung beider Sphären, wechselseitig. Womöglich liefert das sogar eine Erklärung, warum in Senders Kunst bei allem Momenthaften am Ende doch so viel Zeit und Hingabe steckt? Am Smartphone dauert es ja keine Sekunde, per Klick eine Ergänzung rückgängig zu machen. Droht da nicht das Risiko, sich zu gewöhnen und auch mit realem Pinsel uferlos zu korrigieren, verbessern, erweitern? Kein Risiko, stellt Sender freundlich richtig. „Eine opportunity.“

Martin Hagemyer