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„Der Expressionismus ist meine Leidenschaft“

Dr. Roland Mönig kuratiert seine erste Ausstellung im Von der Heydt-Museum Wuppertal

Im Interview mit der besten Zeit erläutert er, was das Besondere an der Ausstellung „Brücke und Blauer Reiter“ im Von der Heydt-Museum ist, und warum er dabei mit dem Buchheim Museum der Phantasie und den Kunstsammlungen Chemnitz kooperiert. Außerdem zieht er eine erste Bilanz seiner Arbeit in Wuppertal.

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Wie ist die Idee zu der Ausstellung entstanden? Die Idee entstand im angeregten Gespräch unter Kollegen. Daniel Schreiber vom Buchheim Museum in Bernried gab den ersten Impuls, und Frédéric Bußmann von den Kunstsammlungen Chemnitz und ich waren sofort Feuer und Flamme. Uns allen war klar, welche einzigartige Chance in diesem Projekt steckt: Drei hochrangige Sammlungen zum deutschen Expressionismus, angesiedelt an weit voneinander entfernten Orten im Süden, im Westen und im Osten der Republik, tun sich zusammen, um ein Schlüsselthema der Kunstgeschichte darzustellen – das mussten wir einfach machen. Dabei muss man betonen: Eine Zusammenschau von „Brücke“ und „Blauem Reiter“ hat es seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gegeben. Es ist lange überfällig, dieses entscheidende Kapitel moderner Kunst in Deutschland für eine neue Generation aufzubereiten und neue Fragen an die Werke heranzutragen – gerade deshalb, weil viele von ihnen enorm populär sind.

Was zeichnet die drei kooperierenden Sammlungen aus? Wie ergänzen sie sich in diesem Fall? Alle drei Häuser hüten bedeutende Werke der beiden Künstlergruppen „Brücke“ und „Blauer Reiter“, die unsere Vorstellung vom Expressionismus als Phänomen und Epoche entscheidend bestimmen. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Genese aber hat jede der drei Sammlungen ihre eigenen Schwerpunkte. Nimmt man sie zusammen, entsteht ein erstaunlich vollständiges und facettenreiches Bild der Epoche. Das Von der Heydt-Museum, 1902 eröffnet, wurde gegründet und stets gefördert von einem wohlhabenden Bürgertum, das sich begeistert der damals zeitgenössischen Kunst und folglich auch dem Expressionismus öffnete. Parallel dazu entwickelte sich die Kunsthalle in Barmen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gleichsam zu einem Epizentrum der Moderne. Fast alle namhaften expressionistischen Künstler wurden dort in Einzelpräsentationen gewürdigt. So entstanden hochrangige Sammlungen zum Expressionismus im Tal der Wupper, die bis heute die Basis unserer Bestände bilden. Ikonische Hauptwerke wie Kirchners „Straßenszene“, Marcs „Blauschwarzer Fuchs“ oder Jawlenskys „Mädchen mit Pfingstrosen“ wurden damals erworben und gehören heute zu den weltbekannten Schätzen des Von der Heydt-Museums. Bei den Kunstsammlungen Chemnitz handelt es sich um eine traditionsreiche städtische Sammlung, die in der Herzregion der „Brücke“-Künstler aufgebaut wurde: Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner verbrachten Teile ihrer Kindheit und Jugend in Chemnitz, Karl Schmidt-Rottluff wurde im heute eingemeindeten Rottluff geboren. Vor wenigen Jahren ist ergänzend zu den „Brücke“-Beständen im Haupthaus die Sammlung des früheren Münchner Galeristen Gunzenhauser mit Bildern des „Blauen Reiters“ hinzugekommen. Sie werden in einem eigenen, nach dem Sammler benannten Museum gezeigt. Das Buchheim Museum der Phantasie in Bernried schließlich vertritt einen anderen Museumstypus: Es ist ein reines Sammler- und Stiftermuseum. 2001 von dem Künstler, Schriftsteller und Sammler Lothar-Günther Buchheim gegründet, beherbergt es dessen private Sammlung, die für ihre ausgezeichneten Bestände zum „Brücke“-Expressionismus bekannt ist.

Dies ist die erste von Ihnen kuratierte Ausstellung in Wuppertal. Was ist Ihnen dabei wichtig? Zunächst einmal möchte ich sagen, welch großer Glücksfall das ganze Projekt aus meiner Sicht ist. Die Kunst des Expressionismus hat mich schon lange beschäftigt. Sie ist meine alte Leidenschaft und zugleich mein langjähriges wissenschaftliches Spezialgebiet. In meiner Dissertation habe ich die Malerei Franz Marcs, des Mitbegründers des „Blauen Reiters“, mit der Dichtung Georg Trakls vergli-

chen. Es ist wunderbar, hier in Wuppertal meine Visitenkarte als Kurator ausgerechnet mit einer Ausstellung abgeben zu können, die eine Epoche aufarbeitet, mit der ich mich schon lange und intensiv wissenschaftlich beschäftigt habe. Wichtig an der Ausstellung ist mir zweierlei: Erstens möchte ich deutlich machen, welche enormen Schätze wir in der expressionistischen Kunst, bei „Brücke“ und „Blauem Reiter“, haben. Vieles ist vertraut, wird aber gerade deshalb kaum mehr bewusst wahrgenommen. Und noch viel mehr, insbesondere im Bereich der Grafik ist über lange Jahre gar nichts zu sehen gewesen. Die Ausstellung wird also auch eine Entdeckungsreise in unsere eigene Sammlung werden. Zweitens geht es mir darum, eine entscheidende Phase der Kunstgeschichte für ein neues Publikum unter neuen Aspekten vorzustellen. Und da spielen natürlich die vielen Leihgaben, die wir zu Gast haben werden, eine wichtige Rolle. Wir beschäftigen uns beispielsweise mit den Netzwerken, in denen die Künstler sich bewegten und die sie nutzten, um Galeristen und Sammler zu finden oder Ausstellungen zu organisieren. Und wir fragen, welche Rollen die Frauen in den beiden Formationen spielten oder wie aus heutiger Sicht ihr Umgang mit außereuropäischer Kunst zu bewerten ist.

Was hat Sie speziell an den beiden Künstlergruppen interessiert? Welche neuen Erkenntnisse haben Sie dabei gewonnen? Ich hoffe, dass wir mit der Ausstellung vermitteln können, was für ein komplexes Phänomen der Expressionismus ist. Man kann die üblichen Schlagworte verwenden und sagen, im Expressionismus, bei „Brücke“ und „Blauem Reiter“, gehe es um die Befreiung von Farbe und Form von akademischen Vorgaben, von einem normativ gesetzten Naturalismus. Und hinzufügen, beide Künstlergruppen hätten gleichermaßen mit den akademischen Normen gesellschaftliche Zwänge überwinden wollen. Das ist sicher irgendwie korrekt. Aber unter der Oberfläche dieser schnell erkennbaren Gemeinsamkeiten schlummern viele andere Themen und manche Widersprüche. Wenn die Künstler der „Brücke“ einerseits und des „Blauen Reiters“ andererseits das Gleiche tun, so ist das keineswegs immer dasselbe. Nicht zuletzt daher rühren die Missverständnisse und Auseinandersetzungen zwischen ihnen. Aber auch innerhalb der beiden Formationen spürt man Spannungen – es sind die Spannungen einer Zeit, in der vieles im Umbruch war und die letztlich in die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts mündete: den Ersten Weltkrieg. In den Werken der Expressionisten trifft der Moloch Großstadt auf die Vorstellung von Idylle und Paradies, in ihnen steht eine mitunter scharf zugespitzte Figürlichkeit im Kontrast mit dem Aufbruch in die Abstraktion. Diese Gegensätze werden in der Ausstellung spürbar werden.

Was war das Revolutionäre der Künstlergruppen damals? Worin unterscheiden sich die Arbeiten der Künstlergruppen? Das Manifest der „Brücke“ bringt es auf den Punkt: Man wolle „unmittelbar und unverfälscht“ arbeiten, heißt es da. Kandinsky, das Master Mind des „Blauen Reiters“, formulierte es etwas feinsinniger und sagte, in der Kunst komme es ausschließlich auf die „innere Notwendigkeit“ an. Wie auch immer: Revolutionär an der Kunst der Expressionisten war und ist bis heute das Vertrauen auf die eigene Subjektivität. Beide Künstlergruppen verstanden sich als Vorreiter eines neuen Sehens, eines neuen Fühlens, eines neuen Denkens. Sie erwarteten eine neue Zeit und eine neue Welt und wollten ihren Beitrag dazu leisten, dass sie hereinbrach. Andererseits waren „Brücke“ und „Blauer Reiter“ sehr verschieden. Das beginnt schon auf der organisatorischen Ebene. Wir nennen sie ja immer die beiden prägenden „Künstlergruppen“ des Expressionismus. Ich habe das in unserem Gespräch auch getan – weil es einfach griffig klingt. Genau genommen ist die Sache aber komplizierter. Die „Brücke“ war in der Tat eine „Künstlergruppe“ im strengen Sinn des Wortes: 1905 in Dresden gegründet von vier Freunden, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl. Und diese Künstlergruppe blieb – mit einigen Fluktuationen (so schied etwa Bleyl früh aus, dafür kam Pechstein hinzu) – rund acht Jahre beieinander. Erst 1913 in Berlin brach die Gemeinschaft endgültig auseinander. Man malte zusammen, man organisierte Ausstellungen zusammen, man suchte auch privat große Nähe zueinander. In einer besonders fruchtbaren Phase, um 1909/10, ist der formale Einklang zwischen den Künstlern derart groß, dass man fallweise Schwierigkeiten hat zu unterscheiden, von wem welche Arbeit stammt. Der „Blaue Reiter“ funktionierte ganz anders. Es handelte sich nicht um eine fest umrissene Künstlergruppe, sondern um eine eher lockere Formation, an der Jahreswende 1911/12 zusammengerufen auf die Initiative von Franz Marc und Wassily Kandinsky, die ein Buch, einen „Almanach“, herausbringen wollten, der ein Bild der aktuellen Entwicklungen und Fragestellungen im Bereich von Kunst und Kultur zeichnen sollte. Demzufolge war man stärker als die „Brücke“ an Theorie interessiert. Nicht nur bildende Künstler gehörten zum „Blauen Reiter“, auch Komponisten und Kunstkritiker. Es

Gabriele Münter, Stillleben

mit Madonna und Teekanne, 1912/13, Öl auf Malpappe,

Kunstsammlungen Chemnitz

- Museum Gunzenhauser,

Eigentum der Stiftung

Gunzenhauser, Chemnitz,

© VG Bild-Kunst, Bonn 2021

war buchstäblich eine bunte Truppe. Außer dem Buch „Der Blaue Reiter“, das in zwei Auflagen erschien, trat die nach ihm benannte Gruppierung nur zweimal in Ausstellungen in Erscheinung.

Warum spielen die Künstler der beiden Gruppen heute noch eine so große Rolle? Wen haben sie wie beeinflusst? Worin sieht man das vielleicht heute noch? Bis heute spürt man die Energie in den Arbeiten von „Brücke“ und „Blauer Reiter“ – eine Frische und einen Geist von Aufbruch und Neubeginn, der ansteckend wirkt. Sie haben Konventionen gesprengt und eine neue Vorstellung von Kunst und ein neues Bild des Künstlers begründet. Generationen konnten sich darauf berufen. Nach 1945 wurde die Kunst von „Brücke“ und „Blauem Reiter“, wurde der Expressionismus insgesamt zum Fanal der Freiheit stilisiert. Seine Vertreter, in der Mehrheit von den Nationalsozialisten als „entartet“ gebrandmarkt, verkörperten eine vermeintlich unbelastete Moderne, galten als Wegbereiter einer wiedergewonnenen Freiheit. In unserer Ausstellung ist das in einer Art Epilog angedeutet: In einem eigenen Raum zeigen wir Malerei der Nachkriegszeit aus unserer Sammlung – Werke des Informel und des Abstrakten Expressionismus. Aber wenn man die Expressionisten derart idealisiert, vergisst oder ignoriert man die inneren Konflikte und Widersprüche, in die sie selbst sich verwickelt hatten. So ist beispielsweise Franz Marc, der vermeintlich sanftmütige Maler der Tiere, mit voller Überzeugung und in falsch verstandenem Patriotismus in den Ersten Weltkrieg gezogen und darin umgekommen. Oder nehmen Sie den berühmten Fall Emil Nolde: Er biederte sich – allerdings vergeblich – den Nationalsozialisten an, im festen Glauben an seine Sendung als „deutscher“ Künstler.

Was erwartet die Besucherinnen und Besucher? Die Ausstellung umfasst insgesamt rund 160 Werke: knapp 90 Gemälde und gut 70 Arbeiten auf Papier, schwerpunktmäßig aus dem Zeitraum 1905 bis 1914. Alle bedeutenden Künstlerinnen und Künstler sind vertreten: für die „Brücke“ Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Max Pechstein, Emil Nolde und Otto Mueller; für den „Blauen Reiter“ Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, Franz Marc, August Macke, Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin und Paul Klee. Besonders aufregend ist, dass wir eine Reihe von bedeutenden Gemälden der „Brücke“ zeigen können, die außerhalb der Sammlung Buchheim noch nie zu sehen waren. Und dann kommen noch Leihgaben aus weiteren international renommierten Häusern hinzu, die gezielt ergänzen, was in den drei Partnermuse-

Franz Marc, Schafe, 1912, Öl auf Leinwand, Saarlandmuseum – Moderne Galerie, Saarbrücken, © bpk/SSK Tom Gundelwein

en fehlt. So erwarten wir hochkarätige Gemälde u.a. aus dem Lenbachhaus in München, dem Kunstmuseum Moritzburg Halle, der Kunsthalle zu Kiel oder dem Stedelijk Museum Amsterdam.

Sie sind nun seit anderthalb Jahren Direktor des Von der Heydt-Museums – und sind im April 2020 in nicht gerade einfache Zeiten gestartet. Wie fällt Ihre bisherige Bilanz Ihrer ersten Zeit am Wuppertaler Museum aus? Es war eine eigentümliche Zeit, das muss ich sagen. Nicht nur für das Museum und für mich als „Neuen“ hier in Wuppertal. Für uns alle. Dennoch ziehe ich eine positive Bilanz. Wir haben immer wieder neu und umplanen müssen, vieles musste verschoben oder anders gedacht werden. Und natürlich haben wir unser Publikum vermisst, den Kontakt und den Austausch mit den Menschen. Denn für sie machen wir ja Museum. Beglückend war für mich, die Energie im Team zu spüren. Alle sind mit viel Engagement, guten Ideen und Leidenschaft an der Arbeit. So haben wir neue digitale Kommunikations- und Vermittlungsformen gefunden. Und wir haben uns Themen vorgenommen, die normalerweise erst später auf der Agenda gestanden hätten. So haben wir etwa die Website grundlegend überarbeitet. Jetzt spiegelt sie in der Tiefe und Breite ihrer Angebote endlich die Bedeutung des Museums und den Rang seiner Sammlung wider. Und macht – so hoffe ich jedenfalls! – vielen Menschen noch mehr Lust auf einen Besuch im Von der Heydt-Museum.

Wie haben Sie die Stadt bisher erlebt, trotz aller Krisen? Ich fühle mich sehr wohl in Wuppertal. Gerade Corona und die unselige Flutkatastrophe im Sommer haben mir viele liebenswerte Seiten dieser Stadt gezeigt, die ja durchaus ihre Brüche hat. Ich habe große Solidarität und Einsatzbereitschaft erlebt, lebendigen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, stete Unterstützung durch unsere Freunde und Förderer. Was will man mehr?

Brücke und Blauer Reiter

21. November 2021 bis 27. Februar 2022 Eine Ausstellung von Buchheim Museum, Bernried am Starnberger See, Kunstsammlungen Chemnitz und Von der Heydt-Museum Wuppertal.

Von der Heydt-Museum Wuppertal Tel. 0202 563 6231

www.von-der-heydt-museum.de