Kurzvorschau – Ferdinand Hodler – Die Nacht

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FERDINAND HODLER

DIE NACHT

Der Todesgedanke ist eine gewaltige Kraft
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Abb. 1

Ferdinand Hodler, Die Nacht, 1889/90, Öl auf Leinwand, 116 × 299 cm, Kunstmuseum Bern, Staat Bern, signiert unten links: «F. Hodler», SIK Archivnr. 23 111

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Abb. 2

Ferdinand Hodler, Autoportrait, dit Autoportrait parisien, 1891, Öl auf Holztafel, 28,8 × 22,8 cm, Musée d’art et d’histoire, Ville de Genève, Dépôt de la Fondation Gottfried Keller, Numéro d’inventaire 1914-0027

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Inhalt

Vorwort und Dank

Die Nacht als Schnittpunkt von Hodlers Todesthematik

Biografische Hintergründe

Traum, Schlaf und Todesangst: Die Symbolik der Nacht

Die Struktur als Spiegel der Bildidee

Der Tag und Die Liebe als Gegenbilder zu Die Nacht

Der Tag

Die Liebe

Die späten Landschaften: Sinnbilder der Wiedergeburt

Anmerkungen

Biografische Daten

Bibliografie

Abbildungsnachweise/Bildrechte

Angaben zur Autorin

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Vorwort und Dank

Die Idee zum Thema des Buchs kann ich auf eine Erkenntnis bei der Betrachtung eines Bildes von Ferdinand Hodler zurückführen. Es war eine der späten Ansichten des Genfersees von 1915, eine schemenhafte Bergsilhouette in kühlen Blautönen. Auf den ersten Blick hat das Bild nichts mit den zahlreichen Darstellungen von Sterbenden und Toten im Werk des Malers zu tun. Dennoch wusste ich plötzlich, dass in der merkwürdigen Erstarrung des lagernden Mont Salève der Tod anwesend war. Das Werk von Hodler hat oft und in mancher Hinsicht meine Gedanken beschäftigt. Doch erst viele Jahre nach der Begegnung mit der Ansicht des Genfersees kam ich auf meine Erkenntnis zurück. Ich arbeitete damals am Katalog der Meisterwerke des Kunstmuseums Bern und hatte das Glück, das 1889/1890 entstandene Werk Die Nacht vorstellen zu können. In der Folge habe ich mich mit der Thematik des Bildes und dem Leben des Malers noch weiter auseinandergesetzt und den vorliegenden Text verfasst, der als kompakte Analyse gedacht ist.

Das Todesthema ist das bedeutendste Grundmotiv bei Hodler und zieht sich durch sein Werk wie eine geheime Macht. Es ist kein Drang zu Melancholie, sondern ein vitaler Antrieb. Die monumentale Nacht ist das zentrale Werk in diesem Zusammenhang. Hodler selbst hat das Bild als das «grosse Symbol des Todes» bezeichnet. Es hat in vieler Hinsicht mit seiner Biografie zu tun. Darüber hinaus ist es Teil seiner symbolistischen Lebenszyklen, wie sie in dem Tag und der Liebe verkörpert sind. Der Maler sah in den Zyklen eine Hommage an den natürlichen Lebensvollzug. Bewusst habe ich in meinem Text den Tag und die Liebe als lichte Gegenbilder der dunkeltonigen Nacht gegenübergestellt. So wird das Todessymbol zu einer für Hodlers Kunst bestimmenden Kraft, die letztlich eins mit der Hingabe ans Leben ist.

Ich möchte all denen danken, mit deren Unterstützung meine Gedanken zu Hodler und seinem Werk als Buch erscheinen können. Zu ihnen gehört an erster Stelle Nina Zimmer, Direktorin des Kunstmuseums Bern und des Zentrums Paul Klee, die mein Vorhaben zum Buch begrüsst und die Bereitstellung des Bildmaterials zugesichert hat. Besonderen Dank möchte ich ebenso dem Weber Verlag in Thun aussprechen, der sich zur Herausgabe des monografischen Themas entschlosssen und es als Buch in sein Programm aufgenommen hat. Ich danke den Lektor:innen und Polygraf:innen für ihre wertvolle Arbeit und die schöne Gestaltung des Buchs.

Die Publikation wurde durch die Unterstützung von Stiftungen möglich gemacht. Ich danke der Mary und Ewald E. Bertschmann Stiftung Basel und einer Stiftung aus dem Kanton Basel-Stadt sowie der Burgergemeinde Bern für ihre Unterstützung, die das Buch und meine Arbeit als Autorin gefördert haben.

Mary und Ewald E.

Bertschmann-Stiftung

Eine Stiftung aus dem Kanton Basel-Stadt

Basel, im März 2024

Maria Becker

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Abb. 3

Ferdinand Hodler, Toter Knecht, 1876, Öl auf Leinwand, auf Karton montiert, 22,7 × 51 cm, Musée d’art et d’histoire, Ville de Genève, Numéro d’inventaire 1937-0015

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Die Nacht als Schnittpunkt von Hodlers Todesthematik

Eine der schönsten Bemerkungen zum Tod ist uns von Ferdinand Hodler überliefert. Hans Mühlestein hat sie am 14. März 1914 – das war am Geburtstag des Malers – in seinem Tagebuch notiert: «So kommt der Tod auf uns zu, jede Sekunde unseres Lebens ist das eine schöne, ruhige Bewegung und eine Gegenbewegung. Wenn du ihn aufnimmst in dein Wissen, in deinen Willen: das schafft die grossen Werke! Und du hast nur dieses eine Leben, um etwas zu leisten. Das gliedert unser ganzes Leben, es gibt ihm einen vollkommen andern Rhythmus! Das zu wissen, das verwandelt den Todesgedanken in eine gewaltige Kraft.»1 Der Tod war für Hodler eine Kraft, die die grossen Werke anstösst und hervorbringt. Er war mit ihm vertraut von Kindheit an, und er hat ihn lange vor seinem Meisterwerk Die Nacht als Motiv in seine Kunst hineingebracht. Die Todessymbolik ist das wichtigste Grundmotiv des Malers und trägt sein Werk wie eine geheime Macht – nicht im Sinne von Melancholie oder Schrecken, sondern als vitaler Antrieb. Vor dieser Grundierung können seine lichten Bilder des Wachstums und der Lebenskraft und die Landschaften des reifen Werks umso stärker leuchten.

Biografische Hintergründe

Der biografische Hintergrund von Hodlers Todesthematik ist vielfach thematisiert worden und lässt dennoch manches im Ungewissen.2 Das Werk transponiert die realen Bezüge auf die Ebene der Kunst, kombiniert und bündelt, was lose und oft peripher in den Ereignissen des Lebenslaufs begründet ist. Unzweifelhaft haben der frühe Tod der Eltern und das Sterben der Geschwister Hodlers Kindheit und Jugend tief geprägt. «In der Familie war es ein allgemeines Sterben. Mir war schliesslich, als wäre immer ein Toter im Haus und als müsste es so sein.»3 Die Tuberkulose als Krankheit der armen Leute war damals allerdings keine Seltenheit;

Hodler teilte dieses Schicksal mit vielen seiner Zeit und seines Standes. Dass er, der Erstgeborene einer Handwerkerfamilie, nicht selbst davon betroffen war, mag seinen Lebenswillen und seine Leistungsbereitschaft eher gestärkt haben. Wie wenige Künstler hat Hodler seine Laufbahn und seinen Erfolg als Maler mit vehementem Ehrgeiz betrieben und sich in der Öffentlichkeit mit provokanten Bildern positioniert. Dabei war für ihn, der seinen Anfang in völlig mittellosen Verhältnissen machte, der Ausweis akademischer Qualifikation besonders bedeutsam. Schon 1874, mit 21 Jahren, verfasste er die Zehn Gebote des Malers Ferdinand Hodler, ein Gelöbnis zur Selbstverpflichtung gegenüber seinem Streben.4 Im Selbststudium und auf der Basis von Vorlesungen an der Genfer Universität entwickelte er die Idee des Parallelismus, die er zum wichtigsten Grundprinzip seiner Kunst machte und in eigenen Schriften und Lehrsätzen reflektierte. Nimmt man das Thema Tod bei Hodler in den Blick, kommt man nicht umhin, es vor dem Hintergrund des brachialen Ehrgeizes und der enormen Vitalität des Künstlers zu betrachten.

Dass Hodler Darstellungen von Toten in seine Malerei aufnahm, ist im Realismus des 19. Jahrhunderts nichts Ungewöhnliches. 1875 sah er zum ersten Mal den Toten Christus im Grab von Hans Holbein dem Jüngeren in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel (vielleicht im Original oder als Druck). Es ist nicht bekannt, wie er darauf reagierte, aber der kalte Naturalismus, der den Leichnam Christi mit dem Auge eines Pathologen erfasst, hat ihn sicher fasziniert und wohl auch inspiriert. Ein Jahr nach dem Besuch in Basel malte Hodler eine Ölskizze von einem toten Landarbeiter und das Bildnis einer Bäuerin auf dem Totenbett.5 Der Tote Knecht (Abb. 3) zeigt den durch harte Arbeit und ein karges Leben ausgemergelten Leichnam auf einer Decke am Boden liegend, flüchtig mit

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