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Blumenfrau Marianne Gnägi «Das Wilde steht für mich für Weiblichkeit.»

Bärn-Persönlichkeiten

«Das Wilde steht für mich für Weiblich keit.»

Thoams Bornhauser Thoams Bornhauser, Rafael Bolliger

Der Berner Märit. Treffpunkt aller Altersgruppen und sozialen Schichten. Ein Ort, wo keine Waren unter Zeitdruck über den Kassenscanner gezogen werden. Hektik? Fehlanzeige. Im Gegenteil: Hier findet man Zeit für einen Schwatz. Wir haben uns an einem ganz bestimmten Stand vor dem federalen Palais umgesehen, bei Marianne Gnägi, die seit vielen Jahren an Dienstagen und Samstagen ihre Blumen anbietet. Nein, falsch: Marianne Gnägi bietet sie nicht bloss an, sie steckt sie auf Wunsch nach den Vorstellungen der Kundschaft zusammen.

Und da ist es schon vorgekommen, dass Kundinnen und Kunden den Vorschlag gemacht haben, «die Blumen aus dem Strauss zu entfernen», weil – saisonal wechselnd – allein schon Kerbel, Triebe, Hirtentäschel oder Ziersträucher ein einzigartiges Arrangement darstellen. Aber der Reihe nach.

Blumenfrau und Lehrerin

Geboren wird Marianne Gnägi in Biel, sie geht in Täuffelen zur Schule, später in den Gymer Biel. Es folgt anschliessend ein Studium Phil 1, wonach Marianne Gnägi den Weg als Lehrerin einschlägt, einen Beruf, den sie bis zum ordentlichen Pensionsalter ausüben wird. Arch kommt ihr als Station ihres Wirkens spontan in den Sinn, aber auch Wengen («Da haben wir Leonce und Lena von Georg Büchner aufgeführt, das war ein grossartiges Erlebnis, unvergesslich!»), Gümligen, das Seminar Muristalden, das Seeland oder Adelboden. Vor allem aber ihr Engagement an der Gesamtschule in Says. Die Ortschaft liegt über dem Churer Rheintal auf Hangterrassen oberhalb von Trimmis. Was Marianne Gnägi froh stimmt: Nach ihrer Zeit in Says musste die Gesamtschule geschlossen werden. Das hat sich geändert: Heute gibt es dank stolzen Bauernfamilien neues Leben auf dem Plateau, nicht zuletzt dank der Fusion 2008 mit Trimmis.

Schule ist das eine im Leben von Marianne Gnägi, Blumen das andere. Sie wächst nämlich in der Gärtnerei ihrer Eltern auf, die auch heute noch in Gerolfingen an der Hauptstrasse 17 zu finden ist. Zurück jetzt aber in ihre Jugendzeit: «Wenn immer möglich, habe ich zuhause meinen Eltern in der Gärtnerei geholfen», sagt sie. Vater und Mutter gingen regelmässig von Gerolfingen aus auf den Märit am Brunnenplatz in Biel. Der Vater von Marianne Gnägi stirbt nach langer Krankheit, als seine Tochter 33 Jahre alt ist. Um ihm nahe zu sein und ihn beim Unvermeidlichen zu begleiten, kehrt sie ins Seeland zurück, unterrichtet in der Nähe, unterstützt aber die Gärtnerei so gut es geht. Kurze Zeit nach dem Tod ihres Vaters gibt die Mutter den Märit auf. Aber wohin mit den vielen Rosen und «Röseli», die seit Jahren in den Treibhäusern wachsen? «Wir haben sie zusammengebündelt und Grossverteilern angeboten.» Irgendwann fand Marianne Gnägi, ihre Blumen seien zu schön, um nur unpersönlich angeboten zu werden.

Verkauf keine Option

Zeitsprung: Sie fragt Christian, der einen kleinen Gemüsestand am Berner Wochenmarkt betreibt, ob sie ihm ihre Blumen zum Verkauf mitgeben kann (nicht vergessen: Marianne Gnägi ist Lehrerin, keine eigentliche Blumenhändlerin). Dieser «Chrigu» geht den berühmten Schritt weiter, der die See-

Titelbild:

Marianne Gnägi im AnzuchtTriebhäuschen der Gärtnerei.

Bild oben:

Auch bei Regenwetter ist es schön.

Bild unten links:

Seit vielen Jahren Stammkunden: Noël und Kasper.

länderin prägen wird: Er gibt ihr die Möglichkeit, einen Laufmeter an seinem eigenen Stand zu führen. Dort kann sie ihre beliebten Moosröseli anbieten und verkaufen. Es kommt wie es mit dem Erfolg kommen muss: Marianne Gnägi muss vergrössern, die Einnahmen übertreffen im Laufe der Zeit die Standmiete. In Bremgarten bei Bern entsteht eine kleine Filiale, die Marianne Gnägi nach dem Tod ihrer Mutter und der Übernahme der Gärtnerei an ihre erste Blumenbinderin übergibt.

Während wir miteinander sprechen, werden wir regelmässig unterbrochen. Logisch. Kundschaft. Über eine Begegnung freut sich Marianne Gnägi besonders: Es ist ein ehemaliger Schüler – mit seiner Familie, seine Frau in froher Erwartung des zweiten Kindes – aus der École cantonale de langue Française ECLF in Bern –, an der Marianne Gnägi zum Schluss ihrer schulischen Tätigkeit Englisch unterrichtet hat. Das Treffen ist keine Seltenheit: Regelmässig schauen ehemalige Schülerinnen und Schüler bei der Blumenfrau auf dem Bundesplatz vorbei. Viele Stammkunden sind bei ihr anzutreffen, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie Sträusse bindet, die ihresgleichen suchen. Die Blumen kommen noch immer aus der Gärtnerei in Gerolfingen, wo auch Marianne Gnägi nach wie vor ihren grossen Teil dazu beiträgt. Über einen möglichen Verkauf des Betriebs habe man zwar einmal gesprochen, die Idee aber schnell verworfen, «schliesslich ist es eine Familientradition».

Wenn sie so an ihre Zeit auf dem Bärner Märit zurückdenkt: Welche Erinnerungen kommen da auf, welche Begegnungen? «Wissen Sie, ich habe zwar eine rasche Auffassungsgabe», lacht sie, die sich selber als Zeitgenossin mit Ecken und Kanten bezeichnet, «aber mit dem Gedächtnis ist es so eine Sache, wie mit Chrigu…».

Wichtig sei einzig das Gefühl, den Menschen mit einem Stück Natur eine Freude bereiten zu können. «Natur ist unser höchstes Gut, dazu gilt es, Sorge zu tragen.» Sie lebt es vor. Spannend dann ihre Feststellung, dass es bei ihren individuell zusammengesteckten Sträussen «weiblich und männlich» zu- und hergeht. Wie denn das? «Das Wilde der Natur, das ist im Strauss für mich weiblich, die kultiverten Blumen männlich.» Und da kann es eben passieren, wie ganz zu Beginn beschrieben.

Aha, ja, ganz zum Schluss die Beantwortung Ihrer ungestellten Frage, liebe Lesende: Nein, Marianne Gnägi ist nicht mit dem ehemaligen Bundesrat verwandt.

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