
6 minute read
Libellen: Farbenfrohe Flugkünstler
Tierwelten
Libellen: Farbenfrohe Flugkünstler
Anja Rüdin zvg



Über fast jedem Weiher ziehen an sonnigen Tagen farbig glitzernde Insekten ihre Kreise. Libellen sind dank ihren schillernden Farben, den grossen Augen und den flinken Flugmanövern leicht erkennbar und faszinierend zugleich.
Odonatologie, so nennt sich die Wissenschaft der Libellen. Sie gehören zu den Insekten und sind in ihrem Aussehen sehr ursprünglich geblieben. Libellen ähneln auch heute noch den zur Blütezeit der Dinosaurier lebenden Arten. Jedoch summten diese Vorfahren der Libellen noch mit Flügelspannweiten von bis zu 60 Zentimetern durch die Sumpfwälder der Steinkohlezeit – zum Vergleich: Heute weisen Libellen Flügelspannweiten von 2 bis 15 Zentimetern auf. Auch der weitverbreitete Irrglaube, dass Libellen giftig seien oder stechen könnten, hält sich teils immer noch hartnäckig. Alte Namen wie «Teufelsnadel», «Augenbohrer» oder «Pferdetod» brachten solche falschen Vorstellungen zustande und den Libellen damit einen schlechten Ruf ein. Jedoch sind die Tiere für Menschen völlig harmlos und können weder stechen noch sind sie giftig.
Die sehr auffälligen Insekten mit ihren langen, dünnen und meist farbig glänzenden Körpern lassen sich in drei Untergruppen unterteilen: Urlibellen, Grosslibellen und Kleinlibellen. Zwar unterscheiden sich letztere beiden im Körperbau, jedoch gibt es in Bezug auf ihren Lebenszyklus und ihre Lebensweise grundsätzlich keine Unterschiede. Insgesamt sind weltweit rund 6000 ver-

Bild oben: Durch die gut erkennbare Flügeladerung werden die Flügel stabilisiert.
Bild links: Eine Libelle lebt nur etwa sechs bis acht Wochen, während das Larvenstadium beträchtlich länger dauert.






Kleines Bild oben: Libellen können ihre Flügel unabhängig voneinander bewegen.
Kleines Bild unten: Direkt nach dem Schlüpfen aus der Exuvie werden Libellen von ihren Fressfeinden verzehrt.
Grosses Bild: Die Beine sind zu einer Art Fangapparat gebogen, damit Libellen ihre Beute im Flug ergreifen können.

schiedene Arten von Libellen bekannt, in der Schweiz konnten 80 unterschiedliche Arten nachgewiesen werden. Ausser in der Antarktis kommen diese Insekten überall auf der Welt vor. Am häufigsten sind die Insekten in der Nähe von Gewässern anzutreffen, da ihre Larven auf Süsswasser als Lebensraum angewiesen sind.
Ein Libellenleben beginnt mit dem Ablegen der Eier. Daraus entwickeln sich bereits nach etwa drei bis vier Wochen die Prolarven, woraus wiederum die eigentlichen Larven gedeihen. Während dieser Wachstumsphase häuten sich die Libellenlarven bis zu 17 Mal. Die Dauer des Larvenstadiums übertrifft dasjenige der daraus hervorgehenden Libelle in der Regel beträchtlich: In Mitteleuropa ist eine ein- bis zweijährige Larvenentwicklung am häufigsten, diese kann jedoch auch bis zu fünf Jahren dauern. Die ausgewachsene Libelle hingegen lebt nur etwa sechs bis acht Wochen. Nur Winterlibellen überwintern als ausgewachsene Insekten und erreichen dadurch eine Lebensdauer von zehn bis elf Monaten.
Heikle Umwandlung
Trotz ihrer Schnelligkeit und ihren Flugkünsten haben Libellen eine grosse Anzahl an Fressfeinden. Besonders angreifbar sind sie während der letzten Häutung. Noch während sich die Insekten aus der Exuvie herausarbeiten oder direkt nach dem Schlüpfen werden die Libellen von Fröschen, Fledermäusen, Vögeln, Wespen, Spinnen oder Ameisen attackiert und verzehrt. Auch fleischfressende Pflanzen wie Sonnentau können zur Gefahr werden. Die Larven selbst fallen vor allem anderen Libellenlarven oder sonstigen Räubern im Wasser zum Opfer. Übrigens attackieren männliche Libellen sogar während der Paarungszeit Angehörige der eigenen Art und zeigen teils Formen von Kannibalismus.
Waghalsige Flugmanöver
Libellen fallen nicht nur durch ihre glänzenden, bunten Körper auf, sondern zeichnen sich auch durch ihren aussergewöhnlichen Flugapparat aus. Die Vorder- und Hinterflügel sind annährend gleich gross und lassen sich unabhängig voneinander bewegen. Anders als bei fast allen anderen Fluginsekten liegen die Flugmuskeln bei Libellen direkt an den Flügeln an. Durch eine komplexe Flügeladerung werden die Flügel stabilisiert – übrigens dient die Flügeladerung auch der Artenbestimmung, da sich diese jeweils stark unterscheiden. Durch diese Besonderheiten können Libellen rüttelnd wie Vögel in der Luft stehen, dahingleiten wie ein Segelflugzeug, bis zu 50 km/h beschleunigen und abrupte Richtungswechsel absolvieren. Auch Rückwärtsfliegen stellt bei einigen Arten kein Problem dar.
Überdies sind die Flugkünste der Libellen auch für die Erbeutung von anderen (Klein-)Insekten gefragt. Denn sie sind Räuber, welche die Beutetiere im Flug fangen. Dabei sind sie kaum wählerisch und attackieren beinahe wahllos alle Insekten, die sie überwältigen können. Zum Beutefang fliegen die Libellen auch weite Gebiete abseits der Gewässer ab, durch umliegende Wälder oder über Wiesen und andere freie Flächen. Die zu einer Art Fangapparat gebogenen Beine nutzen sie dabei zum Ergreifen der Beute. Mit kräftigen Klauen und bedornten Unterschenkeln werden diese dann sicher festgehalten.
Libellen ähneln auch heute noch den zur Blütezeit der Dinosaurier lebenden Arten.



Der Kopf der Libellen ist sehr beweglich und ihre grossen, auffälligen Facettenaugen können bei einigen Arten aus bis zu 30 000 Einzelaugen bestehen. Auf der Kopfoberseite haben die Insekten drei kleine Punktaugen, die sehr wahrscheinlich als Gleichgewichtsorgan sowie zur Kontrolle von schnellen Flugbewegungen dienen. Dieses spezielle System ermöglicht einen der besten Sehsinne unter den Insekten. Ihr Thorax (Brust) ist wie bei allen Insekten dreiteilig aufgebaut und der langestreckte Hinterleib besteht aus zehn Segmenten. Die Länge ihres Körpers hat eine stabilisierende Wirkung beim Flug.
Cœur d’Amour
Die Beweglichkeit des Hinterleibes spielt vor allem bei der Paarung der Tiere eine grosse Rolle. Zudem besitzen die männlichen Libellen am Ende des Hinterleibes eine Art Greifzange, mit der sie das Weibchen festhalten können. Männchen und Weibchen finden sich im Flug, danach packt das Männchen das Weibchen hinter dem Kopf – das Weibchen wiederum biegt sich nach vorne und berührt das Männchen an dessen Hinterleib. So entsteht das typische Paarungsrad, welches sicher alle schon oft gesehen haben. Im Französischen wird dies auch als «cœur d’amour» bezeichnet.
Nach der Begattung werden die Eier meist in ein Gewässer abgelegt, dabei gibt es jedoch je nach Art verschiedene Methoden: Entweder werden die Eier in Wasserpflanzen eingestochen, im Flug ins Wasser abgeworfen oder unter Wasser am Substrat abgestreift. Erstaunlich dabei ist die Fähigkeit der Weibchen einiger Arten, hierfür bis zu 90 Minuten unter Wasser auf Tauchgang bleiben zu können. Mit einer Luftblase zwischen Körper und Flügel haben die Libellenweibchen unter Wasser Sauerstoffreserven. Aus den abgelegten Eiern schlüpfen wie schon erwähnt die sogenannten Prolarven, ihre Beine sind noch nicht einsatzbereit. Im Wasser sind die Larven jedoch gut angepasste Räuber und können unter Wasser atmen. Bei den Kleinlibellenlarven geschieht dies mittels drei blattförmigen Tracheenkiemen, Grosslibellen hingegen besitzen keine sichtbaren Kiemen, sondern nehmen den Sauerstoff durch ein spezielles Gewebe im Enddarm auf.
Gefährdeter Lebensraum
Die meisten Libellen sind Ubiquisten, das heisst, sie sind auf keinen bestimmten Lebensraum spezialisiert. Selbst die Larven können relativ hohe Verschmutzungsgrade im Wasser tolerieren. Dennoch bevorzugen die meisten Libellenarten stehende Gewässer als ihren Lebensraum. Man findet Libellen vermehrt an Tümpeln, Seen und Teichen, wo ihre Larven in den flacheren Uferzonen und zwischen Wasserpflanzen leben. Typische Bewohner von Flüssen und langsamen Bächen sind wiederum Prachtlibellen. Verhältnismässig sind aber nur sehr wenige Libellen als Fliesswasserarten zu bezeichnen.
Die Gefährdung von Libellen geht durch die voranschreitende Verschmutzung und Trockenlegung vieler Gewässer aus. Denn ohne diese Gewässer fehlt der Ablageort für die Eier und der Lebensraum der daraus schlüpfenden Larven. Besonders Arten, die kühlere Temperaturen und stehende Gewässer wie Sümpfe und Moore wegen der niedrigen pH-Werte im Wasser bevorzugen, verzeichnen einen starken Rückgang. Umso wichtiger ist es, solche Gebiete zu erhalten und den Libellen weiterhin Lebensräume zu gewähren, damit wir uns auch in Zukunft an den bunten Flugkünstlern erfreuen können.