Fernweh Magazin 04/18

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Die Füllung besteht hauptsächlich aus Mandeln, Zucker, Wasser, Zitro­nat und Orangeat. Die beiden Massen werden nun ausgewallt und in der gewünschten Grösse zugeschnitten. Dann beginnt der Arbeitsschritt, der mich am meisten beeindruckt: Jeder Biber wird einzeln von Hand zusammengesetzt. Dazu wird eine Holzschablone mit Motiv bereitgelegt und der Deckelbiber daraufgedrückt. Auf den Deckel folgt die Mandelfüllung, die den Einbuchtungen entsprechend platziert wird. Nach der Füllung folgt die Bodenschicht, die mit etwas Druck darauf gelegt wird. Dazwischen wird er mit ein wenig Wasser bepinselt, sodass die Schichten aneinanderkleben. Nun wird der Biber gekehrt und nochmals festgedrückt. Nach dem Entfernen der Holzform erkenne ich das traditionelle Motiv mit Gallus und dem Bären und staune ob der präzisen Einzelheiten, die im Bild enthalten sind. Der Biber wird nun knapp zehn Minuten im Ofen gebacken und anschliessend mit einem Gummigemisch aus Gummi arabicum, Harz, Eigelb und Milch dünn besprüht. Dadurch erhält das Honiggebäck einen glanzvollen Überzug.

Confiserie seit mehr als 100 Jahren Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass hier bereits vor über 100 Jahren gebacken wurde. 1913 wurde in diesem Gebäude das Café eröffnet. Einige Jahre danach übernahm es die Familie Roggwiller, ­deren Name bis heute erhalten blieb. Als das Café 1982 umgebaut wurde, machten die Besitzer einen eigenartigen Fund. In der Decke war eine Flaschenpost mit einer jahrzehntealten Nachricht versteckt.

«St.Gallen, 7. Oktober 1913. Unterzeichneter hat die Café-Conditorei am obigen Datum gut eingerichtet, in der Hoffnung, dass sich ein gutes Geschäft damit einsetze. Der Mensch denkt, Gott lenkt. Dem Finder dieser Zeilen, wenn er noch lebe, eine gute Flasche Wein zu spendieren, und wenn nicht, der Schreiber dieser Zeilen noch lebe, muss der Nachfolger, der wird auf meinen Wunsch, dann schon auch eine leisten können.» F. Kuhn, Conditor, zur Zeit 32 Jahre alt

Der historische Fund stammt somit noch vom ersten Conditor, der in diesem Haus seiner Leidenschaft nachging. Der Brief aus der Flaschen­ post hängt fortan eingerahmt an der Wand im Café.

Martin Schnyder setzt die einzelnen Massen zu einem Biber zusammen.

15 Tonnen Biber pro Jahr Selbstverständlich werden hier nicht nur einzelne Biber produziert. Die Herstellung erfolgt je nach Saison an fünf bis sechs Tagen pro Woche. Der Biber als herkömmliches Weihnachtsgebäck wird heutzutage das ganze Jahr durch konsumiert. Trotzdem ist die Produktion im Winter besonders hoch. Bis zu 60 Bleche mit einer Vielzahl Biber werden pro Tag produziert, das macht fast 15 Tonnen Biber pro Jahr aus. Der Geschäftsführer arbeitet selbst seit 25 Jahren aktiv in der Backstube mit. Martin Schnyder erklärt: «Mein Arbeitsort befindet sich hier zwischen Ofen und Arbeitsfläche. Als gelernter Konditor-Confiseur fühle ich mich hier am besten aufgehoben und packe gemeinsam mit dem Team tagtäglich mit an.»

Im Laden an der Multergasse werden unzählige Leckereien angeboten.

Weitere süsse Leckereien Der Biber ist nun getrocknet und eingepackt, damit endet meine erste Biberbackstunde. Ich erkundige mich, ob ich nun den Biber auch zu Hause nachbacken kann. Doch davon wird mir leider abgeraten. Der Teig wird in einem aufwendigen Prozess gemischt, und die Gewürz­ mischung ist geheim. Ausserdem erspare ich mir viel Mühe und Nerven, wenn ich den Biber im Laden kaufe. Beim Verlassen des Cafés komme ich nicht darum herum, viele weitere St.Galler Spezialitäten zu betrachten und etwas Schokolade zu probieren. Denn auch für diejenigen, die lieber Torten oder Pralinen geniessen, ist hier gesorgt. Aus gutem Grund besuchen nicht nur eine Vielzahl Stammgäste, sondern auch Touristen das Café sehr gerne. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall. www.roggwiller.ch

Der rohe zusammengesetzte Biber mit dem typischen St.Galler Motiv

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Text und Bilder: Carla Ullmann


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