Die zahnärztliche Praxis 07-08, 2021

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e h c i l t z r ä n h a z

Die

s i x a r P

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Information und Inspiration

Ästhetik und konservierende Zahnheilkunde

Frontzahntrauma: Ästhetische und praxisnahe Lösungen Modellieren statt Präparieren Bleichen von Zähnen – ein Klassiker? www.dizapra.de ZP_7_8_2021_Aufbau.indd 1

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DIE NICHTMETALLE FÜR ZAHNMEDIZIN & ZAHNTECHNIK

Ein Meilenstein für die Ausbildung in der Zahnmedizin und Zahntechnik in optisch überzeugender Aufmachung! Ernst Rieder erklärt in seinem Werk „Die Nichtmetalle“ physikalische und chemische Grundlagen der nichtmetallischen Werkstoffe. Dabei beschreibt er deren Eigenschaften und Verhalten anschaulich und leicht verständlich. Es geht in diesem Grundlagenwerk nicht um das Auswendiglernen von Formeln oder Merksätzen. Stattdessen wird der intelligente Umgang mit hochentwickelten Materialien vermittelt. Und damit die Fähigkeit, neue Verfahren und Materialien zu entdecken und für die eigene Arbeit in der Zahnarztpraxis oder dem Zahntechniklabor nutzbar zu machen.

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Kapitel 2

Abb. 2.6 Anordnung der Teilchen in den verschiedenen Aggregatzuständen

2108002 © Adobe Stock - Artem Furman

Abb. 2.7 Kochsalzkristalle mit mehreren Zentimetern Seitenlänge zeigen die typische Würfelform (Naturkundemuseum Johanneums­ viertel Graz). Noch größere Kristalle bis zu etwa ½ Meter, die in Millionen von Jahren gewachsen sind, können im Erlebnisbergwerk Merkers in Thüringen bewundert werden.

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Von der Alchemie zur wissenschaftlichen Chemie

Bewegung daher kommt, dass die sehr viel kleineren Alkohol- bzw. Wasserteilchen ständig von allen Seiten an Teilchen von sichtbarer Größe stoßen und diese hin und her schieben, wurde erst 1863 nachgewiesen. In Flüssigkeiten und Gasen können Sie noch eine andere Erscheinung beobachten, die sich durch die Teilchenbewegung erklären lässt: die Diffusion. Unter Diffusion versteht man die Durchmischung zweier oder mehrerer Stoffe ohne äußeres Zutun. Bei Gasen funktioniert das besonders gut. In einem geschlossenen Raum ohne Luftbewegung breiten sich Gerüche sehr schnell aus. Aber auch in Flüssigkeiten lässt sich die Diffusion gut beobachten. Ein Tropfen Tinte verteilt sich ohne Rühren relativ schnell in einem Wasserglas. Mit der Teilchenvorstellung lässt sich auch die Existenz der drei Aggregatzustände gut erklären (Abb. 2.6). Man benötigt dazu noch eine weitere Annahme, die aber eigentlich fast selbstverständlich ist: Zwischen den Teilchen herrscht eine Zusammenhaltskraft. Die Stärke dieser Zusammenhaltskraft hängt vom Abstand der Teilchen ab: Je geringer der Abstand, desto größer die Kraft. Im festen Zustand liegen die Teilchen sehr eng beieinander und bewegen sich langsam um ihre Ruhelage. Die Zusammenhaltskraft ist hoch. Mit steigender Temperatur nimmt die Bewegung zu. Die Teilchen benötigen dafür mehr Platz: das Volumen nimmt zu. Ab einer bestimmten Temperatur ist die Bewegung so stark, dass die Zusammenhaltskraft nicht mehr ausreicht, um die Teilchen in ihrem Verband festzuhalten. Sie wuseln nun durcheinander, halten sich aber immer noch aneinander fest. Das ist die Beschreibung des flüssigen Aggregatzustandes. Steigt die Temperatur noch weiter, so wird die Bewegung irgendwann so heftig, dass die Zusammenhaltskraft nicht mehr ausreicht, um die Teilchen in der Flüssigkeit festzuhalten. Besonders schnelle Teilchen schießen aus der Oberfläche heraus und fliegen nun mit hoher Geschwindigkeit frei im Raum umher. Die Geschwindigkeit ist beachtlich. Sie entspricht bei Zimmertemperatur etwa Schallgeschwindigkeit, also ca.

300 m/s. Die Teilchen kommen allerdings nicht sehr weit, denn sie stoßen ständig mit anderen Teilchen zusammen, die mit ähnlicher Geschwindigkeit herumfliegen. Immerhin befinden sich in einem Liter Gas bei Atmosphärendruck und Zimmertemperatur etwa 2,7 x 1021 Teilchen, das ist eine Zahl mit zwanzig Nullen. Die Teilchen in der Gasphase stoßen auch an Begrenzungsflächen und üben dadurch einen Druck auf diese aus. Diesen Druck üben sie natürlich auch auf die Flüssigkeitsoberfläche aus. Teilchen, die die Flüssigkeit verlassen wollen, müssen diesen Druck überwinden. Das stimmt mit der Beobachtung überein, dass die Siedetemperatur einer Flüssigkeit mit zunehmendem Druck steigt. Umgekehrt sinkt der Siedepunkt mit abnehmendem Druck. Wasser kann schon bei Zimmertemperatur sieden. Das kann man mit dem Anrührgerät ausprobieren. Dazu füllt man etwas lauwarmes Wasser in den Becher und evakuiert ihn. Mit einer sehr guten Pumpe siedet das Wasser schon bei 0 °C. Da beim Sieden die schnellsten Teilchen das Wasser verlassen und die langsamen übrig bleiben, sinkt die Temperatur unter den Gefrierpunkt: das Wasser siedet und friert gleichzeitig ein. Einen Kristall erkennt man leicht daran, dass er ebene Oberflächen hat, die sich in geraden Kanten treffen. In der Regel bilden Kristalle auch relativ einfache geometrische Formen wie Würfel, Oktaeder, Prismen oder Pyramiden. Kochsalz zum Beispiel bildet immer würfelförmige Kristalle, die beachtliche Größe erreichen können, wie Abb. 2.7 zeigt. Wesentlich komplizierter sind allerdings Quarzkristalle aufgebaut, die auch gigantische Größe erreichen können (Abb. 2.8). Dass praktisch alle Stoffe unter geeigneten Bedingungen Kristalle bilden, ist leicht zu verstehen, wenn man annimmt, dass die Stoffe aus kleinsten Teilchen bestehen, die sich im festen Zustand in einer bestimmten Ordnung aufreihen. Durch die unterschiedliche Form und Größe der Teilchen entstehen dabei verschiedene räumliche Muster, das heißt verschiedene für jeden Stoff typische Kristallformen. Durch das Beobachten und Beschreiben des Verhaltens von Stoffen konnte im Laufe der Jahrzehnte die Teilchenhypothese an vielen weiteren Beispielen bewiesen werden. Heute wissen wir,

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Abb. 2.8 Dieser Quarzkris­ tall mit einem Gewicht von etwa 90 kg steht im Natur­ kundemuseum Johanne­ umsviertel in Graz. Auf der Internetseite https://upload. wikimedia.org/wikipedia/ commons/2/20/Riesenkris­ tall.jpg ist ein noch größerer Quarzkristall zu bestaunen.

Ernst Rieder Die Nichtmetalle Verlag Neuer Merkur ISBN 978-3-95409-042-6 456 Seiten, kartoniert überarbeitete Neuauflage 28,00 Euro (Print) 18,99 Euro (E-Book)

• dass alle Stoffe aus Teilchen bestehen, • dass die Teilchen durch Anziehungskräfte zusammenhalten, • dass sich die Teilchen in ständiger Bewegung befinden (Wärmebewegung) • dass die kleinsten Teilchen der Elemente die Atome sind.

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Erhältlich über fachbuchdirekt.de, im Buchhandel oder auf Amazon 12.08.21 03.08.21 08:12 17:08


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EDITORIAL

WIR KÖNNEN NICHT IMMER STEUERN, WER ETWAS AUF UNSERE FESTPLATTE SCHREIBT, ABER WIR KÖNNEN DAS PROGRAMM BEARBEITEN.

G

eht's noch? Das schoss doch jedem durch den Kopf, der vor einigen Wochen die Nachricht las, dass sich eine Moderatorin vor einer TV-Schalte aus dem Hochwassergebiet mit Schlamm beschmierte. Woher kommt der Gedanke, dass das nach größerer persönlicher Betroffenheit aussieht? Und warum braucht es das? Welcher Gedanke auch immer dahinterstehen mag, ich kann ihn nicht nachvollziehen. Wir Menschen speichern von Geburt an Informationen auf unserer persönlichen Festplatte, unserem Gehirn. Wir können nicht immer steuern, wer etwas drauf schreibt und was (nicht nur das Unterbewusstsein lässt grüßen), so ähnlich steht es in einem Ratgeber. Aber wir können das Programm bearbeiten. In diesem Fall wäre das – hätte die Information darin bestanden, dass man sein „Zupacken“ darstellen muss – einfach gewesen, denn wem nützt schon ein Programm mit unnötiger Selbstdarstellung? Zugegebenermaßen ist das ein Programm heutiger Zeiten. Schön ist es trotzdem nicht.

Dr. med. dent. Ulrike Oßwald-Dame

Zur Bearbeitung gehört, unser abgespeichertes Programm immer wieder zu prüfen. Und als Arbeitgeber sind wir gefordert, das Programm unserer MitarbeiterInnen abzurufen; für die Praxis und für diese selbst. Ich meine damit, dass Motivation, Freude an der Teamarbeit, Leistungsfähigkeit etc. auch davon abhängen, was aus dem persönlichen Programm eines jeden abgerufen wird. Im gewissen Maß kann man nur abrufen, was angelegt ist, wir können darüber hinaus aber auch motivieren, binden, stärken, loben, Verantwortung übertragen. Davon profitiert die Persönlichkeit der MitarbeiterInnen, letztlich aber auch die Praxis. Auf diese Weise werden Programme weitergeschrieben. Ein Beispiel aus dem Hotel- und Gastgewerbe: Hier habe ich gerade erlebt, wie zufriedene MitarbeiterInnen ihrem Haus die Stange trotz Corona, Kurzarbeit, generell schwierigen Arbeitszeiten bei teilweise nicht adäquater Vergütung usw. gehalten haben und nicht wie so viele andere abgewandert sind. Sie betonen, dieses über den materiellen Ausgleich hinaus auch deshalb gemacht zu haben, weil sie das Team mögen, vom Chef geschätzt werden und dieser das auch artikuliert, der Kontakt auch während Corona gepflegt wurde, sie in ihrem Betrieb Verantwortung übernehmen dürfen. Die Liste dessen, was Zufriedenheit und Einsatzbereitschaft hervorrufen kann, wäre lang und hier trifft wieder einmal zu: Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus.

Ihre

ulrike.osswald@vnmonline.de

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Werkstoffkunde der zahntechnischen Materialien

Das neue Standardwerk für Zahntechnik und Zahnmedizin in zwei Bänden Die Werkstoffkunde ist die Basis für sämtliche Herstellungsprozesse in Zahnmedizin und Zahntechnik. In seinem zweibändigen Werk vermittelt Roland Strietzel umfangreiches Hintergrundwissen, mit dem Sie die für den jeweiligen Werkstoff nötigen Handlungsweisen besser verstehen und so Fehler vermeiden können. Band 1 erläutert die physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften sowie die Fertigungsverfahren. Band 2 befasst sich mit Abform-, Modell- und Modellierwerkstoffen, Einbettmassen, der Oberflächenbearbeitung, Doublierwerkstoffen, metallischen und keramischen Werkstoffen, Kunststoffen sowie den Fügetechniken.

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Inhalt EDI TORI A L

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ZUSA MMEN FA SSU NG

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Dr. Ulrike Koock

FAC HBEI T RAG

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Frontzahntrauma: Eine Übersicht mit praxisnahem Vorgehen Dr. Julian Schmoeckel, Mhd Said Mourad, Ahmad Al Masri, Prof. Dr. Christian Splieth

Fazialisparese – Was ist wichtig in der Praxis? Abbildung: Andreas Kehrer

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A B R E CH N U N GST IP P Komposit: Korrekte Berechnung Christian López Quintero

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zur Ästhetik und konservierender Zahnheilkunde

Abbildung: Julian Schmoeckel

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Modellieren statt Präparieren

T IP PS & T R ICKS

Anne Bandel

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N ACH R U F

Bleichen von Zähnen – ein Klassiker?

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R E L E VA N T E U RT E IL E

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P RAX IST E ST

Prof. Dr. Olga Polydorou

Scotchbond Universal Plus Abbildung: Olga Polydorou

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Abbildung: Verlag Neuer Merkur

AKT U EL L ES FAC HBEI T RAG

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ST U D IE N F Ü R S IE GE L E S E N

Mundöffnungseinschränkungen Ursachen, Diagnostik und Therapie

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VO RS CH AU / IM P R E SS U M

Dr. Lukasz Katzer

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ZUSAMMENFASSUNG

E V I T U C EXE Y R A M M SU S. 8 Frontzahntrauma: l Expertenleitfaden unter www.dentaltraumaguide.org/ und Leitlinie unter www.awmf.org/leitlinien/detail/II/083004.html l essenziell: Beruhigen der Eltern, Dokumentation des Unfallhergangs, Diagnostik, richtige diagnosebasierte Initialtherapie, Recall, Übersicht zum schrittweisen Vorgehen auf S. 8/9 l hilfreich: Traumadokumentationsbogen (z.B. DGZMK), Faustregel: je schwerer Verletzung, desto zügiger Diagnostik/Behandlung, Röntgen (meistens unabdingbar), Kostenträger beachten, Anwendung Kaltlichtsonde/FOTI zur Rissdiagnose l Zahnverletzungen und Therapie nach Milchgebiss (Verlagerungen in toto, häufig Abwarten und weiche Kost oder Extraktion, selten Zahnfrakturen, dann Abdeckung der Dentinwunde) und permanenten Gebiss (Schmelz- ggf. SchmelzDentin-Frakturen in Kombination mit Konkussions-, Subluxations- oder Luxationsverletzungen, entsprechend partielle Pulpotomie, Endo-Therapie, Schienung, mehr individuelles Vorgehen) zu unterscheiden, schnelle Einschätzung durch (Empfangs-) Personal erforderlich, Cave Milchgebiss: Folgeschäden am Zahnkeim vermeiden l endodontische Maßnahmen erfordern Alternativabwägung, evtl. auch RET in Betracht ziehen l Mundschützer (konfektioniert, individuell anzupassen oder individuell laborgefertigt) zur Prävention, bei Individualprophylaxe zu thematisieren, Zahnret-

S. 21 Bleichen:

KURZ& KNAPP

Die wich tigst Fakten a en us dem Heft

tungsbox/alternative Aufbewahrungsmedien hilfreich (Tabelle S. 15)

S. 16 Modellieren statt Präparieren: l wenn es nichtinvasiv, nicht kostenintensiv und nicht lange dauern soll l mit 60-LADA-Regel Frontzahnsituation analysieren/Veränderung planen, Übersicht mit QR-Code zum Herunterladen als Chairside-Anleitung S. 17 l Mockup: hellere Farbe als bei eigenen Zähnen verwenden, da Patient schlecht zwischen dunkler Farbe und schöner Form unterscheiden kann, genügend Material verwenden, Zahnlänge aus 6Uhr-Position ermitteln. Behandler erhält so benötigte Informationen/Patient prüft am Selfie daheim angestrebtes Ergebnis l Anwendung der 60-LADA-Regel am klinischen Fallbeispiel, mit KompositSpateln (breitflächig/lang) arbeiten, Farbe: für zervikales Drittel eine einen Ton dunklere Farbe als die gewählte Zahnfarbe, die inzisalen zwei Drittel mit der gewählten Hauptfarbe und im inzisalen Drittel die dazu passende Schmelzfarbe verwenden l Optische Illusionen mit Kenntnis der Zahnanatomie umsetzbar, wichtigste Problemlöser sind Winkelmerkmal und Kantenlinie l Modellation kontraindiziert bei Bruxern ohne Eckzahnführung/ohne nächtliche Schiene, Nägelkauern, Patienten, die Zähne „missbrauchen“ (z. B. Öffnen Chipstüte), PA-Patienten mit schlechter Mundhygiene nur nach Aufklärung

l Richtlinie 10/2012 erlaubt Bleichmittel mit H₂O₂-Konzentration von 6 % für kosmetische Behandlung unter zahnärztlicher Anwendung, frei verkäufliche kosmetische Produkte nur mit Konzentration von max. 0,1%; Bleichen erst nach 18. Lebensjahr empfohlen l extrinsische Verfärbungen keine Bleichindikation, intrinsische dagegen gut bleichbar, Verfärbungen aufgrund genetischer Störungen aufhellbar, wenngleich meist nicht vollständig l Bleichverfahren 1. In-Office- (Aufsicht/Verantwortungspflicht bei ZA) und 2. Home-Bleichen, 3. Bleichen avitaler Zähne: Walking-Bleach-Technik, hier Natriumperborat, zervikale interkanale Barriere (Vermeidung von Resorptionen) und schwache Bleichmittel (verändern nach Dentinkontakt dieses) empfohlen l Tabelle mit repräsentativen Bleichmitteln auf S. 24 l Cave: Bleichmittel mit niedrigem pH-Wert indizieren Demineralisierung des Schmelzes, Zahnempfindlichkeit nach Bleichen, verminderte Adhäsion von Restaurationsmaterialien nach Bleichen → adhäsiven Vorgang erst eine Woche danach durchführen, BleichEffekte auf Restaurationsmaterialien durch Politur reversibel, Patient zu möglichen Farbunterschieden aufklären l Lichtaktivierung ohne zusätzlichen positiven Langzeiteffekt auf Bleichmittelaktivierung

S. 29 Aktuell: l Deutsche Gesellschaft Praxislaboratorien gegründet l Fluorid-Konsens zwischen Pädiatern, Hebammen und ZÄ erreicht: Handlungsempfehlungen im Säuglings- und frühen Kindealter kostenlos bestellbar/ herunterladbar unter www.ble-medienservice.de l Update S3-Leitlinie „Vollkeramische Kronen und Brücken“

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l in 2020 4,5 ÄrztInnen auf 1000 Einwohner (gesamt 372.000 praktizierende ÄrztInnen) l zehn Bakterientypen seit über 40 Millionen Jahren zum oralen Mikrobiom bei Menschen/ihren engsten verwandten Primaten gehörend

S. 30 eingeschränkte Mundöffnung: l liegt vor bei SKD < 40mm, Cave: Overbite einberechnen, Lebensqualität deutlich eingeschränkt, Ursachen vielschichtig: Infektion, Trauma, CMD, Kieferfehlbildung, neurologische oder psychosomatische Erkrankung, Tumor, Medikamente/Drogen l stufenförmiges Vorgehen: Anamnese (allgemein und speziell zur Einschränkung), Untersuchung (zahnärztl. Befund plus PSI, Perkussionstest, Kälteprobe), klinische und instrumentelle Funktionsdiagnostik (mit CMD-Kurzbefund oder CMDScreening), bildgebende Diagnostik l wenn nötig fachärztliches Konsil l Zehn Diagnosen mit Vorgehen in Tabellen ab S. 33

S. 37 Fazialisparese: l häufigste Hirnnervenläsion, ist Reaktivierung einer Herpes simplex-Virusinfektion, auch nach traumatischer Lähmung nach Leitungsanästhesie des N. Alveolaris inf. möglich, klinisch: hängende Mundwinkel, fehlender Lidschluss, ausbleibende Tränen-/Speichelproduktion, Ausfall Geschmackssinn, idiopathisch, auch entzündliche, metabolische, traumatische oder tumoröse Form l unbedingt Differentialdiagnostik zentrale (Schlaganfall) und periphere Fazialisparese, zentral u. a. Stirnast nicht/ kaum betroffen, Bulbus bei Lidschluss bedeckt, spezifische Auslöser Neuroborreliose, Zoster oticus, Viren wie HIV, Mumps, CMV, Diabetes erhöht Risiko l Ausmaß mit House-Brackmann-Skala abschätzen, allgemeine laborchemische Untersuchung mit Entzündungswerten/

Differentialblutbild/Serologie, Liquorpunktion nicht grundsätzlich empfohlen, Lumbalpunktion bei unklaren Fällen, Unterstützung durch Bildgebung/elektrophysiologische Untersuchungen l Therapie mit Prednisolon, bei Zosterinfektion antiviral (z. B. Aciclovir), bei Borreliose Antibiose (Doxycyclin), zur Vermeidung von Hornhautulzerationen/Keratokonjunktivitiden nächtliche Uhrglasverbände und DexpanthenolAugensalben, künstliche Tränen im Tagesverlauf l Prognose gut, Rückbildung nicht immer vollständig, Lähmungen durch Herpes zoster münden häufiger in Defektheilungen

S. 43 Abrechnung: l nicht alles, was mit Komposit behandelt werden kann, ist gebührenrechtlich Füllungstherapie l Füllungen bzw. Restaurationen (Begrifflichkeit bei GKV- bzw. PKV-Patient) nur bei zahnwandbegrenzten Defekten/ retentiver Verankerung – fehlt eine Zahnwand oder Ersatz eines ganzen Höckers → dann ist es eine direkte Rekonstruktion, nur privat und nicht im Rahmen einer Mehrkostenvereinbarung abrechenbar l Zahnhalsdefekte ohne! kariöse Läsion nicht über GKV abrechenbar → Privatvereinbarung nötig, ein als überkronungsbedürftig eingestufter Zahn und der Patient möchte keine Krone → direkte Rekonstruktion → nicht als Füllungstherapie abrechenbar l mit tabellarischer Übersicht über korrekte Abrechnung von Kompositversorgungen bei GKV-Patienten und medizinisch notwendiger Behandlung

S. 44 Tipps & Tricks: l approximale Reparatur von SZ-Kompositfüllungen: Statt Vorbehandlung mit Pulverstrahlgerät selbstretentiven Kasten in vorhandene Füllung präparieren l ins Krankenhaus mit neuer Zahnbürste: vermeidet Infektionsketten Krankenhaus und daheim in beide Richtungen

l MitarbeiterInnen nach Fortbildung in Teamsitzung darüber referieren lassen → es profitieren alle, gemeinsam Anregungen umsetzen l an mehrfach nicht erschienene Patienten Warnbriefe versenden l 1-stufige Politur: Polierer mit entsprechender Winkelstück-seitiger Formgestaltung verwenden, sodass kein Kühlwasser auf Polierkörper trifft, auf ZA zurückspritzt oder ungünstig ablenkt

S. 45 Recht: l auch (Vermögens-)Straftat kann zu Approbationsverlust führen l ZA darf Gewinnanteil bei Cerec abrechnen, ZA darf Fremdlabor ein Skonto von bis zu 3% für sich selbst abziehen l keine Haftung bei versehentlich weggeschmissener Prothese im „Haufen“ gebrauchter Taschentücher

S. 46 Praxistest: l Scotchbond Universal Plus überzeugt mit sehr guter Bewertung und einfacher Handhabung. Radioopazität für Mehrheit der Tester nicht besonders wichtig.

S. 48 Studienergebnisse: l Amalgam-Anwendung weiter gesunken, patientenindividuelle Anwendung verschiedener Amalgam-Alternativen weiter empfohlen, alle neuen Alternativen ohne klinische Vorteile im Vergleich zu Amalgam l Moderne CAD/CAM-Kunststoffverbundstoffe sind anfällig für wassergetriebene Abbauprozesse l Modelliermittel reduzieren Mikrohärte von Kompositen l Bulk-Fill Komposite: schnelle Aushärtung in 3 s wirkt sich negativ auf das Elastizitätsmodul aus, Einfluss auf Biegefestigkeit dagegen stark materialspezifisch l Optimierung klinischer Ergebnisse durch Kenntnis des optischen Verhaltens einfarbiger Komposite im Vergleich zu mehrfarbigen

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FACHBEITRAG

FRONTZAHNTRAUMA:

EINE ÜBERSICHT MIT PRAXISNAHEM VORGEHEN Ein Frontzahntrauma tritt relativ häufig auf, nicht nur, aber besonders bei Kindern. Frischen Sie hier Ihr Wissen praxisnah auf. däquates Management eines Frontzahntraumas bei Kindern ist eine zwangsläufige Herausforderung für die Zahnarztpraxis: Untersuchungen zeigen Prävalenzen eines dentalen Traumas im Milchgebiss von ca. 50 Prozent der Kinder und von über 30 Prozent im bleibenden Gebiss [1]. Die tatsächliche Häufigkeit liegt wahrscheinlich deutlich höher, da fast alle Kinder beim Laufen lernen, Spielen oder Radfahren irgendwann stürzen und der Kopf-Gesichtsbereich bzw. die Zähne betroffen sind, ohne dass dies wohl zahnärztlich erfasst wird. Jungen sind vor allem im bleibenden Gebiss häufiger betroffen als Mädchen [2–4], dabei ist die Altersgruppe der 7–9-Jährigen besonders gefährdet [3]. Interessant ist zudem eine potenzielle Abhängigkeit von Zeitraum und Jahreszeit; Kinder in Greifswald in den 80er Jahren z. B. erlitten eher im Winter Zahnunfälle, während aktuell Zahnunfälle im Sommer deutlich häufiger auftreten [5].

Einen guten Leitfaden mit Übersichten und Hilfen, insbesondere zur Diagnostik und Therapie von Frontzahntraumen, bietet die von entsprechenden Experten entwickelte englischsprachige, jedoch mittlerweile teilweise kostenpflichtige Internetseite: https://dentaltraumaguide.org/. Zusätzlich stellt die sich aktuell in Überarbeitung befindliche deutsche S2k-Leitlinie zum dentalen Trauma im permanenten Gebiss wichtige Hinweise bereit, abrufbar unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/083-004.html. Essenziell im Management von Frontzahntraumata sind das Beruhigen der Eltern, eine sehr gute Dokumentation des Unfallhergangs, der Diagnostik und die möglichst richtige, diagnosebasierte Initialtherapie sowie das Recall, was in Abb. 1 bzw. Tab. 1 in Form einer Kurzübersicht für häufige dentale Traumata dargestellt ist. Da dentale Traumata extrem unterschiedlich sein können, muss die Therapie stets individuell nach biologischen Prinzipien erfolgen. Daher sind generelle bzw. verallgemeinernde Aussagen nur schwer möglich.

1

Abbildung: Julian Schmoeckel

A

Ablauf und wichtigste Aspekte bei einem dentalen Trauma im Überblick (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

Schritt

Kommentar

erste Einschätzung Anamnese

zügige Entscheidung, wie schnell genauer untersucht und behandelt werden sollte! Im permanenten Gebiss möglichst sofort, im Milchgebiss zeitnah, jedoch nicht zwingend sofort erforderlich.

Traumabogen

systematisches Abfragen und Dokumentation relevanter Aspekte: • Unfalldetails (u.a. Unfallzeitpunkt, -ort und -hergang) • Tetanusschutz erfragen • Ausschluss von Schädel-Hirn-Trauma (Kopfschmerzen, Ohnmacht, [anterograde/retrograde Amnesie], Übelkeit, Erbrechen, Blutung aus Nase/Ohren) • Fremdverschulden/Rohheitsdelikt? • Unfallort (wg. Wege-/Schul- oder Arbeitsunfall und ggf. Kontakt zur Polizei und Versicherungsträger)

Untersuchung Klinisch

Dislokation, Lockerung, Mobilität, Blutung, Fraktur von Krone/Wurzel, Vitalitätsprüfung/ einschätzung

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Klinisch

Röntgen

Diagnose

Kommentar

Vorbereitung: Traumabogen

• Einschätzung Kindeswohlgefährdung:

Patienten mit dentalen Traumata kommen in der Regel unangemeldet in die Praxis. Um eine hohe Versorgungsqualität zu gewährleisten, muss man trotzdem vorbereitet sein. Sehr hilfreich ist deshalb das Vorhalten eines Bogens zur Traumadokumentation (Abb. 2), damit relevante anamnestische Faktoren systematisch abgefragt werden und eine erste Einschätzung erfolgen kann. Der allgemeine Traumadokumentationsbogen der DGZMK kann unter www.dgzmk.de/formulare-fuer-ihre-praxis heruntergeladen werden. Dazu ist eine klare, interne Absprache zum Arbeitsablauf und zur Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Praxispersonal und Zahnarzt sehr wichtig.

Passt die Unfallanamnese zum Befund und zur Art und Alter der Verletzung? Nein? → ggf. Anruf Kinderschutzhotline 0800-19 210 00 • Indikationsgerechtes Röntgen, i. d. R. Zahnfilm bzw. Okklusalaufnahmen indiziert Bei Verdacht auf UK-Frakturen auch OPG und bei Verlagerungen ggf. weitere Ebene Diagnosestellung anhand von Anamnese, klinischem und Röntgenbefund. Insbesondere bei kleinen Kindern ist auch eine Einschätzung der Kooperation bzw. Mitarbeit wichtig.

Diagnose• abwarten, weiche Kost empfehlen, Recall basierte Initial- • Abdeckung der Dentinwunde therapie • Extraktion Milchgebiss (andere Therapiemaßnahmen sind prinzipiell Merke: meist auch möglich, doch aufgrund des geringen Alters „Ex oder Nichts“ der Kinder eher selten umsetzbar) diagnosebasierte Initialtherapie permanentes Gebiss

Aufklärung & Prognose

prinzipielle Regel: „Biologie der Verletzungen beachten“ • Dentinwunden sollten abgedeckt werden • gelockerte Zähne flexibel geschient, nicht starr • dislozierte Zähne repositioniert und flexibel geschient • avulsierte Zähne i.d.R. replantiert und endodontisch therapiert werden (nur bei deutlich offenem Apex kann eine endodontische Therapie ggf. vermieden werden)

• weiche Kost und vorsichtiges Zähneputzen

Verletzungsgrad, Alter und Erstversorgung bestimmen Prognose des Zahns • bei nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum eher günstiger für Vitalität, aber schwieriger für endodontische Therapie • Auch bei gering erscheinenden Verletzungen kann die Pulpa avital werden. Dies ist für den Einzelfall nicht vorhersagbar.

Recall ggf. auch permanente/ weitere Versorgung

„Faustregel“: nach 1 Woche, 1, 3, 6 und 12 Monaten Röntgennachkontrollen sind zur Beurteilung von Pulpazustand, entzündlichen Prozessen wie Wurzelresorptionen wichtig.

Traumaprävention

• Mundschutz/Zahnschutz bei Risikosportarten

wie Boxen, Handball, Skaten, Eishockey empfehlen • KFO-Therapie bei ausgeprägter Frontzahnstufe Zahnrettungsbox in Schulen und Schwimmhallen

Tab. 1 Ü bersicht zum Ablauf und den wesentlichen Aspekten beim dentalen Trauma

*ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Dentale Traumata können extrem unterschiedlich sein, die Therapie muss deshalb immer individuell nach biologischen Prinzipien innerhalb des Machbaren erfolgen. Daher sind kaum generelle bzw. verallgemeinernde Aussagen möglich.

Abbildung: DGZMK

Schritt

2

Standardisierte Dokumentationsbögen dentaler Traumata erlauben strukturiertes Qualitätsmanagement.

Gelegentlich werden die Praxen auch vom Unfallort aus angerufen. Dann sollte, sofern keine Anhaltspunkte für schwere Begleitverletzungen (wie Schädel-Hirn-Trauma) bestehen, empfohlen werden, zügig zur Praxis zu kommen und alle auffindbaren Zahnfragmente feucht gelagert (optimal Zahnrettungsbox, alternativ Milch, Wasser oder Speichel) mitzubringen (s. Abb. 3, Tab. 2). Andernfalls sollte eine sofortige Vorstellung in der Praxis bei einem Spezialisten für dentale Traumatologie bzw. im Krankenhaus dringend empfohlen werden. Die Schwere bzw. die Art des Unfalls und die Erstversorgung, und das betrifft auch das dentale Trauma, haben einen wesentlichen Einfluss auf die langfristige Prognose. Die beste Überlebenschance, insbesondere für totalluxierte, permanente Zähne, besteht bei sofortiger Reinigung und

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Zahnrettungsbox (hier DENTOSAFE®) – bestes verfügbares Aufbewahrungsmedium, in der Apotheke erhältlich, Lagerungsdauer von Zähnen bzw. Zahnfragmenten für ca. 24 – 48 Stunden

Replantation vor Ort und v. a. bei nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum [6]. Hierfür müssen allerdings unkomplizierte medizinische und dentale Verhältnisse vorliegen, wie ein Tetanusschutz und eine nicht zu starke Verschmutzung von Zahn oder Alveole. Andernfalls sollte eine Lagerung in einer Zahnrettungsbox (Abb. 3), die inzwischen vielerorts in Schulen und Schwimmbädern vorhanden ist, oder in physiologischer Kochsalzlösung, Milch oder Speichel des Patienten, erfolgen. Die Dauer und Art der Lagerung ist anamnestisch zu erfassen. Oft ist zunächst eine Beruhigung der meist sehr besorgten beteiligten Personen nötig.

Anamnese und erste Einschätzung Bei Eintreffen des Patienten am Empfang sollte je nach Befund sehr zügig der verantwortliche Behandler informiert werden, und die spezielle Unfallanamnese erfolgen. Dazu sollten anhand des speziellen Dokumentationsbogens der genaue Unfallzeitpunkt, -ort und -hergang, die Beteiligung Dritter bzw. Aussagen zu einem möglichen Fremdverschulden (z. B. Rohheitsdelikt) erfragt und gut systematisch dokumentiert werden. Zugleich sind schwerwiegende Komplikationen, wie z. B. Schädel-Hirn-Verletzungen, auszuschließen. Dies geschieht durch Einschätzung des Allgemeinzustandes und Fragen nach Bewusstlosigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen, anterograder/retrograder Amnesie, Schwindel, Doppelbildern und Blutungen aus Nase oder Ohren. In der allgemeinen Anamnese müssen der Tetanus-Impfschutz abgeklärt und gegebenenfalls aufgefrischt sowie mögliche Gerinnungsstörungen, Medikamenteneinnahme, Anfallsleiden und Immunschwächen erfasst werden. Insgesamt sollte auch die Glaubhaftigkeit der Aussagen und die Korrelation zum Befund abgeschätzt werden [7], um eine Kindeswohlgefährdung oder Misshandlung auszuschließen und Informationen sowie auch Fotos für eine gegebenenfalls nötige, gutachterliche Stellungnahme bereitzustellen. Dazu sollte sich die Frage gestellt werden: Passt die Unfallanamnese zum Befund, zur Art und zum Alter der Verletzung? Seit 2017 existiert eine bundesweite kostenfreie medizinische Kinderschutzhotline, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird. Unter

der Nummer: 0 800-19 210 00 erhalten „Angehörige der Heilberufe“ bei Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Kindesmissbrauch rund um die Uhr telefonische Beratung (www.kinderschutzhotline.de).

Abbildung: Mhd Said Mourad

FACHBEITRAG

Die genannte zügige Einschätzung (bereits an der Rezeption) zur Dringlichkeit der Versorgung des Patienten ist sehr wichtig. Im Milchgebiss kann dies i.d.R. etwas entspannter gehandhabt werden; das Beruhigen und die Dokumentation stehen zunächst im Vordergrund. Im permanenten Gebiss hängt die Dringlichkeit der Versorgung jedoch stark von der Diagnose und der Lagerung der Zähne bzw. Zahnfragmente ab. Als grober Leitfaden gilt: Je schwerer die Verletzungen desto zügiger sollte die Diagnostik/Behandlung erfolgen, denn dabei zählt ggf. sogar jede Minute. Sofern es sich ausschließlich um ein dentales Trauma handelt, muss zügig entschieden werden, welche weitere Diagnostik neben der klinischen Inspektion erfolgen soll. In den meisten Fällen ist eine röntgenologische Untersuchung unabdingbar [8]. Dann können der Schweregrad der Verletzung besser eingeschätzt und u.a. Wurzelfrakturen erkannt bzw. ausgeschlossen, der Grad des Wurzelwachstums sowie mögliche Schädigungen der Zahnkeims abgeschätzt werden. Anschließend kann dann eine diagnosebasierte Initialtherapie erfolgen.

Kostenträger Der Ort und Hergang des Unfalls sind abrechnungs- bzw. versicherungstechnisch relevant und deshalb auch zu dokumentieren. Daher sollte im Traumadokumentationsbogen ebenfalls erfasst werden, ob sich der Unfall in der Freizeit bzw. zu Hause oder aber im Kindergarten/Schule/ Arbeitsplatz bzw. dem Weg dahin ereignet hat. In diesem Fall handelt es sich um einen BU-Unfall und alle traumabezogenen Leistungen werden dann nicht über die Krankenversicherung, sondern über die Gemeindeunfallversicherung bzw. Berufsgenossenschaft abgerechnet. Dies ist meist vorteilhaft für den Patienten, da dann auch potenzielle künftige, nicht absehbare Folgebehandlungen wie Kronen und Implantate indikationsgerecht i.d.R. übernommen werden.

Diagnostik Eine systematische, klinische Inspektion (extra- und intraoral) ist Ausgangspunkt jeder Diagnostik bei dentalem Trauma. Dies umfasst u.a. Positionsveränderungen, Lockerungen der Zähne, eine Vitalitätsüberprüfung – die bei Kindern aber sehr vorsichtig interpretiert werden sollte – und die Kontrolle der Okklusion. Auch ein Ausschluss von Ein-

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schränkungen der Mundöffnung und -bewegung, v.a. bei Fahrradstürzen aufs Kinn mit dem Risiko von Unterkieferbzw. Gelenkfortsatzfrakturen, sollte erfolgen. Je nach klinischem Befund reicht bei der röntgenologischen Untersuchung ggf. eine Einzelzahnaufnahme (Abb. 4-6) aus oder es sind weitere Röntgenuntersuchungen wie z. B. ein OPG, das insbesondere bei Verdacht auf UK-Frakturen hilfreich sein kann, notwendig. Zudem kann eine Aufbissaufnahme, die bei verlagerten Frontzähnen eine zweite Ebene liefert, sinnvoll sein. Bezüglich einer genaueren klinischen Untersuchung ist die Anwendung einer Kaltlichtsonde/FOTI hilfreich, da mitunter Risse des Zahnschmelzes (Schmelzinfraktion) erst dann zu erkennen sind (Abb. 7).

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4 5 6

6

Subluxation der permanenten Schneidezähne 11/21 bei nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum. Kein Anhalt für eine Wurzelfraktur Wurzelfraktur an Zahn 21 im mittleren Drittel der Wurzel bei abgeschlossenem Wurzelwachstum Zahn 11 mit Obliteration der Wurzel (bei negativem Vitalitätstest). Da die Pulpaobliteration erst nach Wochen bis Monaten radiologisch sichtbar ist, muss der Zahn schon vorher ein Trauma gehabt haben.

Häufige Zahnverletzungen und diagnosebasierte Therapie Milchgebiss Im Milchgebiss treten aufgrund der geringen Wurzelfläche hauptsächlich Verlagerungen des Zahnes in toto wie Subluxationen, Intrusionen und laterale Luxationsverletzungen an einem Frontzahn im Oberkiefer auf. Frakturen sind seltener und dann häufig zusätzlich zur Luxation [4]. Daher gibt es im Milchgebiss häufig nur zwei Optionen: Abwarten und weiche Kost oder Extraktion der betroffenen Zähne [9]. Die Zahnentfernung ist bei 2–3-jährigen Kleinkindern wegen der geringeren Kooperationsfähigkeit natürlich eine Herausforderung und wird daher oftmals mit „liebevollem Stützen“, medikamentöser Sedierung oder unter Narkose durchgeführt. Bei Zahnfrakturen (Abb. 8), die seltener auftreten, muss die Dentinwunde zügig abgedeckt werden, z. B. mit einem Bonding-Material oder alternativ mit einem Glasionomerzement, soweit die Mitarbeit des Kindes eine entsprechende Zahnbehandlung zulässt. Bei kleinen Schmelzfrakturen ist ein abwartendes Verhalten sinnvoll. Bei komplizierten Frakturen mit Pulpabeteiligung ist hingegen, wie bei sehr starken Luxationsverletzungen (Abb. 9), eine zeitnahe Zahnentfernung zur Vermeidung von Entzündungsherden angezeigt. Endodontische Behandlungen sind prinzipiell auch möglich, doch wegen des geringen Alters und der begrenzten Lebenszeit des Zahnes meist nicht gut möglich und daher oftmals nicht die Therapie erster Wahl. Bei Intrusionen (Abb. 10 und 11) kann eine spontane ReEruption des Zahnes innerhalb der nächsten Wochen er-

Abbildungen : Mhd Said Mourad (4, 7); Julian Schmoeckel (5, 6, 8)

a

b

7

8

a. Klinisch zunächst ohne klare Indizien für eine Zahnverletzung, b. mit Kaltlicht/FOTI (re) wird ein Riss des Zahnschmelzes (Schmelzinfraktion) an Zahn 11 sichtbar.

Minimale Schmelz-Dentin-Fraktur mit Konkussion an Zahn 51: Wenn möglich (Kooperation des Kindes), Abdeckung der Dentinwunde, ansonsten abwartendes Verhalten und regelmäßige Kontrolle bzgl. Schmerzen, Fistel, Abszess, Lockerung, Zahnverfärbungen

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9

Starke Luxation bzw. annähernde Avulsion von Zahn 61 mit Indikation zur Extraktion bei einem elf Monate alten Kind. Keine Replantation des Milchzahnes, da potenzieller Entzündungsherd entsteht, der Keim des permanenten Zahnes geschädigt und/oder der Milchzahn ankylosieren kann.

10

Intrusion von Zahn 51 wenige Tage nach dem Unfall

13

14

13

Traumatisch induzierter Zahnhartsubstanzdefekt durch Intrusion von Zahn 51 und 61 bei schwerem Sturz mit ca. 3 Jahren, zusätzlich Dentalfluorose

14

Zahn 61 mit gelblicher Farbveränderung aufgrund Pulpaobliteration. Diese tritt mit deutlichem zeitlichen Abstand zum Zahnunfall auf, ist also bei Akutvorstellung nicht zu befunden, außer das Kind hatte bereits zuvor ein dentales Trauma an diesem Zahn.

11

Intrusion an Zahn 52 bei 2-jährigem Kind, klinisch war der Zahn nicht zu sehen. Die Eltern hatten keinen Zahn am Unfallort finden können, daher lag Verdacht auf Intrusion nahe.

12

Ankylose von Zahn 51 einige Monate nach dentalem Trauma mit deutlicher Intrusion bzw. Luxation

folgen. Hierbei sollte allerdings die Lage zum Zahnkeim unproblematisch sein. Bei ungünstigen Lagen und fehlenden Anzeichen einer Re-Eruption nach ca. 2 Monaten sollte der betroffene Zahn jedoch entfernt werden, um eine wahrscheinliche Ankylose (Abb. 12) und Durchbruchsstörung des permanenten Zahnes zu vermeiden. Über eine mögliche Zahnkeimschädigung sollte bei solchen Verletzungen zwingend aufgeklärt werden, denn unter Umständen bricht der permanente Nachfolger mit Veränderungen in der Zahnhartsubstanz durch (Abb. 13). Auch scheinbar kleine Verletzungen (z. B. Subluxation) nach einem Zahnunfall können zu einer Pulpaobliteration führen [10], welche in etwa zu zwei Drittel der Fälle klinisch mit einer gelblichen Farbveränderungen einhergeht (Abb. 14). Vielfach bleiben Milchzahntraumata vermutlich unbemerkt und werden nicht immer zeitnah beim Zahnarzt vorgestellt. Permanentes Gebiss Schmelz- ggf. Schmelz-Dentin-Frakturen sind im permanenten Gebiss sehr häufig (Abb. 15 und 16). Diese treten jedoch nicht isoliert, sondern in der Regel in Kombination

15

15 16

Abbildungen : Mhd Said Mourad (10, 13, 15, 16); Julian Schmoeckel (9, 11)

9

16 Minimale Schmelzfraktur an 11 bei einem 7-Jährigen am Unfalltag

Frontale Ansicht der OK-Schneidezähne bei einem 8-jährigen Kind mit Frontzahntrauma. Tiefe Schmelz-Dentin-Fraktur an 21, sofern die Pulpa nicht eröffnet ist, sollte eine Abdeckung der Dentinwunde erfolgen. Bei Pulpaeröffnung ist eine partielle Pulpotomie nötig (siehe Abb. 18).

mit Konkussions-, Subluxations- oder Luxationsverletzungen auf. Das zeitnahe Abdecken des freiliegenden Dentins zum Schutz der Pulpa mit z. B. Kompositen (Abb. 17a) und ggf. eine Schienung (Abb. 17b) ist dann sinnvoll und kann später ästhetisch final versorgt werden (Abb. 17c). Bei komplizierten Frakturen, d. h. mit Eröffnung der Pulpa, ist meist eine partielle Pulpotomie (Abb. 18) für die langfristige Prognose des Zahnes angezeigt [11]. Das Risiko einer möglichen Nekrose beispielsweise bei Subluxationsverletzungen und begleitender Kronenfraktur gilt es zu reduzieren, was jedoch nicht in allen Fällen gelingen wird. Denn auch hier gilt, dass aufgrund der besonderen Akutsituation die Behandlung ggf. der Mitarbeit des Patienten angepasst werden muss. Neben der Diagnose beeinflussen viele weitere Faktoren die Prognose wesentlich, u. a. das Alter des Kindes, Wurzelwachstum, Zeitraum bis zur Erstversorgung, Art der Erstversorgung und Lagerung von Zahnfragmenten. Je älter das Kind, desto wahrscheinlicher werden auch Wurzelfrakturen; je jünger das Kind, desto eher sind noch Luxa-

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Abbildungen : Mhd Said Mourad (17, 19, 20, 24); Ahmad Al Masri (18), Julian Schmoeckel (21, 22, 23)

FACHBEITRAG

a

b

17a–c

a. Unkomplizierte Schmelz-Dentin-Fraktur an Zahn 11/21. Abdeckung der Dentinwunde am Unfalltag (an begleitende Luxationsverletzungen denken)

b. Erkennbar erhöhte Mobilität der Zähne 11/21: Nach Versorgung der Dentinwunde (s. Abb. 16a) wird mit einer TTS-Schiene jeweils über einen Nachbarzahn flexibel geschient (Subluxationsverletzung häufig bei Schmelz-Dentin-Frakturen).

c c. Zustand nach ästhetischer Kompositversorgung (unter relativer Trockenlegung/Lokalanästhesie) von Zahn 11/21 nach unkomplizierter Schmelz-Dentin-Fraktur. Zahnaufbauten mit UD2 Dentin + UE1 Schmelz / Fa. Optident, Enamel Plus HRI kit. Nach Wunsch Imitation der vorhandenen Schmelz- bzw. Fluoroseflecken: letzte Schicht mit Komposit Enamel plus HFO „NG“ Intensiv Enamel - Milky (Loser & Co).

20 a

b

c

d

e

19

18a–e

Komplizierte Kronenfraktur an Zahn 21/unkomplizierte Kronenfraktur an 11 bei einem 10-jährigen Kind durch Spielplatz-Sturz (a). Nach Lokalanästhesie partielle Pulpotomie an Zahn 21 (b). Nach Blutstillung Applikation von Biodentine (c) und adhäsive Befestigung des Zahnfragmentes an Zahn 21, für Zahn 11 Aufbau der frakturierten Ecke mittels Komposit (d). Rö-Kontrolle nach 6 Monaten ohne pathologische Auffälligkeiten (e)

Erstvorstellung mit deutlicher Intrusion von Zahn 11 am Tag nach dem Unfall. Die Eltern dachten, nur ein Stück vom Zahn sei abgebrochen.

Infektionsbedingte, entzündliche Resorptionsvorgänge an Zahn 31 mehrere Monate nach Avulsion und Repositionierung inkl. Schienung am Tag des Unfalls, jedoch ohne die nötige, zügig nachfolgende WK-Behandlung

tionsverletzungen zu beobachten, da die Wurzel noch nicht vollständig ausgebildet und der Knochen während des Wachstums noch flexibler ist. Bei deutlicher Lockerung der Zähne sollten diese flexibel für ca. 1–3 Wochen geschient werden (z. B. mit einer TTS-Schiene; s. Abb. 17b), dislozierte Zähne sollten vorher repositioniert und anschließend flexibel für ebenfalls ca. 1–3 Wochen geschient werden [12]. Insbesondere bei deutlichen Intrusionsverletzungen (Abb. 19) oder schweren Luxationsverletzungen bei abgeschlossenem Wurzelwachstum ist eine Pulpanekrose fast vorprogrammiert und eine endodontische Behandlung ca. eine Woche nach dem Trauma nötig, um infektionsbedingte, entzündliche Resorptionsvorgänge an der Wurzel zu verhindern (Abb. 20). Zugleich können (wie im Milchgebiss auch) scheinbar kleine Verletzungen (z. B. Subluxation mit Infraktur) nach einem Zahnunfall zu einer Pulpaobliteration (klinisch häufig gelbliche Verfärbung und keine/geringe Reaktion auf Vitalitätstest) führen (Abb. 21), welche jedoch klar auf eine vitale Reaktion des Zahnes deutet. Eine späteres Auftreten von Pulpanekrosen und periapikalen Prozessen sind seltene Komplikationen der Pulpaobliteration, weshalb eine prophylaktische endodontische Intervention nicht sinnvoll ist [10].

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a. OK-Frontzähne bei Durchleuchten des Zahns 11: Schmelzinfraktur und deren Ausmaß damit (gut) zu erkennen. Zahnunfall vor einigen Monaten wurde nicht als relevant betrachtet/daher ohne Vorstellung beim Zahnarzt. b. Röntgenbild bei Zahn 11 mit Pulpaobliteration

Im Übrigen sind Wurzel- oder kombinierte Kronen-Wurzelfrakturen einschließlich der Begleitumstände (Zahn, KFO-Situation, Alter etc.) extrem unterschiedlich und die Therapie muss hier sehr individuell nach biologischen Prinzipien erfolgen. Daher sind generelle bzw. verallgemeinernde Aussagen schwierig.

Vermeidung von Folgeschäden nach Milchzahntrauma Nach einem Milchzahntrauma können Folgeschäden am Zahnkeim entstehen. Davon sind i. d. R. mittlere Schneidezähne, meist im OK, betroffen (s. Abb. 13). Die Zahnhartsubstanzveränderungen erscheinen meist als weißlich-gelbe bis bräunliche Verfärbungen und sind teilweise zusätzlich mit Strukturveränderungen der Zahnkrone und/ oder -wurzel vergesellschaftet. Diese sind je nach Art und Zeitpunkt der Verletzung im Milchgebiss sehr verschieden, treten aber zumeist nach Intrusions- oder schweren Luxationsverletzungen in den ersten Lebensjahren auf, die in der Folge zu einer Schädigung des Zahnkeims geführt haben. Daher ist beim Milchzahntrauma über diesen Sachverhalt aufzuklären und, sofern möglich, therapeutisch dafür zu sorgen, dass das Risiko für Folgeschäden am bleibenden Zahn möglichst gering gehalten wird.

Regenerative endodontische Maßnahmen Mitunter sind bei Zähnen als Folge von Frontzahntrauma endodontische Maßnahmen nötig [13]. Diese sind insbesondere bei nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum eine große Herausforderung (Abb. 22): Es müssen verschiedene Alternativen gegeneinander abgewogen und auch eine regenerative endodontische Therapie (RET) in Betracht gezogen werden [14]. Das Ziel dieser Maßnahme ist die Regeneration des Gewebes und der normalen Funktion des Dentin-Pulpa-Komplexes. Diese Behandlung behebt oft die

a

b

22

a. Eitrige Schwellung regio 21 b. infektionsbedingte, entzündliche Resorptionsvorgänge an Zahn 21 wenige Wochen nach Avulsion und Replantation inkl. Schienung (alio loco) am Unfalltag

23

Bei vergrößerter Frontzahnstufe erhöhtes Verletzungsrisiko durch einen Zahnunfall. Zur Prävention deshalb Empfehlung einer KFO-Therapie

Symptome, jedoch sollte nicht zu optimistisch auf ein Fortschreiten der Wurzelentwicklung gehofft werden. Vor der Einführung der RET wurden traditionell Apexifizierungsverfahren verwendet, bei denen mittels MTA ein apikaler Plug appliziert oder eine Langzeit-Calciumhydroxid-Behandlung eingesetzt wurde.

Präventive Maßnahmen für Zahnverletzungen Viele Zahnunfälle ereignen sich beim Sport [5]. Deshalb sollten Schulkinder und Jugendliche schon in der Anamnese nach Risikosportarten (Handball, Kampfsport, Hockey, Reiten, Inline-Skaten, Rugby etc.) routinemäßig befragt und entsprechende Mundschützer empfohlen werden. Dies kann auch gut durch das Praxispersonal unterstützt werden, wenn dies z. B. bei der Individualprophylaxe thematisiert wird. Das Risiko einer Verletzung ist im OK-Frontzahnbereich insbesondere bei einer größeren Frontzahnstufe erhöht [15] (Abb. 23). So liegt ein erhöhtes Trauma-Risiko im Milchgebiss bei einer sagittalen Stufe von ≥ 3mm, im permanenten Gebiss bei einem Überbiss von etwa ≥ 5mm vor [16]. Bei solchen Befunden sollte daher eine Vorstellung beim Kieferorthopäden angeraten werden.

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FACHBEITRAG

Bei der Anfertigung des Mundschutzes wird idealerweise neben dem Oberkiefer zugleich der Unterkiefer leicht mitgefasst. Es existieren verschiedene Arten von Mundschützern [17]: m Konfektionierter Mundschutz (einfache, vorgefertigte Schienen) ~ 5–15 € m Individuell anzupassender Mundschutz (thermoplastisches Material) ~ 5–15 € m Individuell laborgefertigter Mundschutz (je nach Art & Labor) ~ 100–200 €

24

Abbildung : Mhd Said Mourad

Im Sportladen gekaufter thermoplastischer Mundschutz, kann zu Hause mit warmem Wasser angepasst werden.

Aufgrund des Preises und der Anpassungsfähigkeit im Wechselgebiss wählen die meisten Patienten wohl lieber die thermoplastischen Mundschützer (Abb. 24). Für Profis lohnt sich aber ein laborgefertigter Schutz, der den besten Komfort bei einem optimalen Schutz bietet. Hierfür werden 2–4 mm starke Folien im Tiefziehverfahren über ein OK-Gipsmodell gezogen (Multilayer-Verfahren, 2 Folien). Der Kunststoff sollte tief in die Umschlagfalte reichen. Optimal ist ein Fassen der Unterkieferzähne durch Einschleifen im Artikulator oder durch Erwärmung. Nach Benutzung sollte der Mundschützer wie ein kieferorthopädisches Gerät abgespült und in einer Box mit Lüftungsschlitzen aufbewahrt werden [18]. Zudem kann, wie bereits erwähnt, insbesondere für avulsierte Zähne durch Vorhalten einer Zahnrettungsbox (siehe Abb. 4) u. a. in Schulen, Schwimmhallen und Sportstätten die Prognose bei schneller Nutzung essenziell verbessert werden. Falls nach dem Unfall keine Zahnrettungsbox vorhanden ist, sollte ein alternatives Aufbewahrungsmedium genutzt werden (Tab. 2). Dieses (z. B. H-Milch) sollte möglichst nur für kurze Zeit, und nur bis zum schnellstmöglichen Austausch gegen eine Zahnrettungsbox, verwendet werden.

Fazit Frontzahntraumata bei Kindern sind häufig und Patienten erscheinen meist ohne Voranmeldung in der Praxis. Eine zügige genaue klinische und röntgenologische Untersuchung sowie eine systematische Dokumentation sind bei einem Frontzahntrauma unabdingbar für die bestmögliche diagnosebasierte Initialtherapie (Tab. 1, Abb. 1). Hier steht

Aufbewahrungsmedium

Akzeptable Lagerungsdauer

Trockenlagerung

ungeeignet

Wasser

ungeeignet

feuchtes Taschentuch

ungeeignet

Mundhöhe

eher ungeeignet wegen Gefahr des Verschluckens und der Bakterien

Speichel (in Gefäß gesammelt)

15–30 Minuten

Plastikfolie

15–30 Minuten

isotone Kochsalzlösung (aus Apotheke

30 Minuten

H-Milch

1–2 Stunden

Zahnrettungsbox

24–48 Stunden

Tab. 2 Aufbewahrungsmedien im Vergleich (modifiziert nach KZBV [19])

der Erhalt der Pulpa bzw. eine möglichst günstige Prognose für den Zahn im Vordergrund. Die möglichen Diagnosen nach Frontzahntrauma sind breit gefächert: So treten Zahnfrakturen beispielsweise eigentlich nicht ohne andere Begleiterscheinungen (z. B. Luxationsverletzungen) auf, so dass jeder Fall stets individuell eruiert werden muss. Die meisten Zahntraumata treten bei Frontzähnen im Oberkiefer auf. Schwere Zahnunfälle sind eher selten, dennoch sollte man in der Praxis dafür bereit sein. Die ästhetische Langzeitversorgung, falls notwendig, kann bzw. sollte bei einen späteren Termin erfolgen. Auch das Praxispersonal ist gefragt, bei akutem Erscheinen schnell richtige Entscheidungen zu treffen, aber auch im Rahmen der zahnmedizinische Prävention z. B. Patienten mit Risikosportarten oder risikobehafteter Zahnstellungen (große Frontzahnstufe) zu erkennen und dort mitunter Mundschützer anzuraten und/oder eine KFO-Therapie zu empfehlen. 

Autoren Julian Schmoeckel, Mhd Said Mourad, Ahmad Al Masri, Christian H. Splieth Korrespondierender Autor OA Dr. Julian Schmoeckel Abteilung Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde, ZZMK, Knips Mich! Universitätsmedizin Greifswald Autoren-Biografie Walther-Rathenau-Straße 42, und Literaturliste 17475 Greifswald auf dizapra.de

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FACHBEITRAG

MODELLIEREN STATT PRÄPARIEREN Schöne Zähne werden unseren Patienten immer wichtiger. Komposite haben sich bewährt, um invasive und teure Therapien zu vermeiden. Nachfolgend eine Einführung in das Know-how des Kompositaufbaus. ückig oder verschachtelt stehende Zähne, invertierte, rotierte oder abgeknirschte Zähne: Viele Fehlstellungen in der Front können Patienten in der Interaktion mit anderen Menschen einschränken. Hier können wir helfen, indem wir Kompositaufbauten erstellen, die den sieben Kriterien für eine ästhetische und harmonische Frontzahnsituation entsprechen. Diese Methode ist für Patienten interessant, die hohe Kosten, eine langwiege Behandlungsdauer oder invasive Therapien scheuen (Abb. 1 und 2).

1

Lückige Front mit verspannter Lippenhaltung und schiefem Inzisalkantenverlauf

2

Umformung mit Komposit: Lückenschluss, Verlängerung der Inzisalkanten. Deutlich entspanntes Lippenbild.

60 = 60-Prozent-Regel L = Lachlinie A = Achsenlinien D = interinzisale Dreiecke A = Anatomie 60 = 60-Prozent-Regel Die Breite eines Zahns 12/22 beträgt von frontal betrachtet 60 Prozent der Breite eines Zahns 11/21. Die Breite eines Eckzahnes beträgt von frontal betrachtet 60 Prozent der Breite eines lateralen Inzisivus (Abb. 3).

3

L = Lachlinie Beim Lächeln verläuft die obere Unterlippenkontur parallel zu den Inzisalkanten der OKFrontzähne (Abb. 4). Diese Regel hilft dabei zu entscheiden, ob als „Hasenzähne“ empfundene sehr lange Einser gekürzt werden könnten, oder ob es besser wäre, die Zähne 12 und 22 zu verlängern.

4

Frontzahnanalyse mit der 60-LADA-Regel

A = Achsenausrichtung der Zähne

Zunächst wird mit dem 60-LADA-Check bestimmt, was den unharmonischen Eindruck der OK-Front verursacht und welche Zähne wie verändert werden sollten. Oft wird dabei das Hauptthema sichtbar, z. B. zu breite Dreier, schiefe Zahnachsen, fehlende interinzisale Dreiecke usw. Die 60-LADA-Regel vereint alle ästhetischen Kriterien in einer Eselsbrücke:

Die Zahnachsen der OK-Frontzähne neigen sich von den Einsern ausgehend, vermehrt zur Mittellinie. Das heißt, dass die Zahnachse des Dreiers stärker zur Mittellinie geneigt ist als die Zahnachse des Einsers (Abb. 5).

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Abbildungen : Anne Bandel

L

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D = interinzisale Dreiecke Die interinzisalen Dreiecke sind zwischen den mittleren Inzisivi klein, zwischen mittleren und seitlichen Inzisivi größer und zwischen lateralem Inzisivus und Caninus am größten. Die Größe der Dreiecke resultiert aus der Ausarbeitung der Winkelmerkmale (Abb. 6).

tomie, vor allem die Konturlinie und Zahnlänge bestimmt werden. Die ungefähre Zahnlänge sollte man immer aus der 6-Uhr-Position ermitteln.

A = Zahnanatomie Diese besteht aus drei wesentlichen Komponenten: 1. Konturlinie (blau): mesial gerade, distal runder 2. Winkelmerkmal (rot): mesial eckig, distal rund 3. Kantenlinie (grün): mesial gerade, distal rund. →Frontzähne im OK sind mesial eckiger und gerader als distal (Abb. 7). Winkelmerkmal und Kantenlinie sind wesentlich für das Endergebnis und machen die Arbeit mit optischen Illusionen möglich.

Check mit der 60-LADA-Regel: 60 %-Regel? Das Breitenverhältnis ist in Ordnung. Lachlinie? Ist hier nicht beurteilbar, 11 und 21 sollten aber so lang wie 13 und 23 sein. Achsenlinie? Ist in Ordnung. Interinzisale Dreiecke? Sind zu ausgeprägt, daraus resultiert ein unruhiges Erscheinungsbild = 1. Hauptthema: Wie kann man optische Ruhe erreichen? Anatomie? Wir sehen schmale lange Zähne, die noch länger sein müssten, um die Zahnlänge von 13 und 23 zu erreichen = 2. Hauptthema: wie kann man die Zähne breiter wirken lassen, ohne dass sie länger aussehen? (Abb.8)

6

7

Meist gilt:  die Einser sollten mindestens so lang sein wie die Dreier, gerne einen Millimeter länger.  Die Zweier sollten etwa ein bis zwei Millimeter kürzer sein als die Zweier.

Mockup am Patienten Das direkte Mockup (z. B. mit abgelaufenem Komposit) macht dem Patienten das Ergebnis direkt erfahrbar und zeigt dem Behandler, wo Schwierigkeiten liegen könnten. Vorschlag: Machen Sie ein Foto (einfach auch Selfie des Patienten), dann kann der Patient zuhause nochmal darüber nachdenken, ob er es so möchte. Das Mockup ist eine grobe Annäherung. Die Farbe sollte gern etwas heller als die eigenen Zähne sein, denn der Patient kann schlecht zwischen dunkler Farbe und schönerer Form unterscheiden. Tipp: Hier sollte man nicht mit Material sparen, der Finger ist der beste Spatel für die erste Positionierung des Materials, dann kann mit einem Heidemannspatel die Zahnana-

Fallbeispiel Die Patientin hatte den Eindruck, „Mäusezähne“ zu haben.

Zur Lamination: Chairside Übersicht zur 60-LADA-Regel

8

Unruhiges Zahnbild mit schmalen Zähnen

Mock-Up mit Komposit: Ziel: Prüfung, ob eine Verbreiterung der Zähne zum gewünschten Ergebnis führen könnte und dem Patienten als Resultat reichen würde. Therapieansatz: Verbreiterung der schmalen Zähne durch Abdecken der Mesialflächen der Zähne 12 und 22 mit einer Verbreiterung der Einser distal. Abdecken der Mesialflächen der Zähne 13 und 23 mit einer Verbreiterung der Zweier nach distal. So bleibt die 60-Prozent-Regel gewahrt. Verlängerung von 12–22 mit Ausformung sehr kleiner interinzisaler Dreiecke, um das Erscheinungsbild zu beruhigen (Abb. 9).

9

Skizzenhaft appliziertes Komposit nach der Aushärtung

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FACHBEITRAG

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Ausführung in Komposit: Die deutlich kleinen interinzisalen Dreiecke dienen hier dem Ziel, die Zähne möglichst breit wirken zu lassen. Würde man die Winkelmerkmale hier betonen, sprich: Substanz abtragen, würden die Zähne wieder schmaler wirken (Abb. 10).

Fertige Arbeit mit ruhigem Erscheinungsbild

Umsetzung bei einer Umformung von 13 auf 23 1. Schritt: Prüfen, ob der Aufbau einer Eckzahnführung notwendig ist. Scherkräfte bei Laterotrusion führen leicht zum Chipping von Komposit. Daher sollte ggf. der Aufbau einer Eckzahnführung mit Komposit erfolgen (Abb. 11).

11

Ohne Eckzahnführung wird die Front wieder abradiert werden. Ein Aufbau ist nicht sinnvoll, da der Aufbau einer Eckzahnführung hier ohne KFO nicht möglich ist.

2. Schritt: Für die Zeitersparnis gleichzeitiger Aufbau von 22 und 11. Bestimmung der endgültigen Zahnlänge und vor allem der geraden Mittellinie mit der groben Soflexscheibe (ohne Wasser) am sitzenden Patienten (Abb.12).

12

Am sitzenden Patienten sieht man, dass die Mittellinie nicht gerade ist. Diese kann jetzt mit der Soflexscheibe exakt bestimmt werden.

3. Jetzt Aufbau der Zähne 21 und 12 (Abb. 13). 4. Wenn dominante Eckzähne schmaler wirken sollen: Beispiel: 13 wirkt von frontal so breit wie 12 (Abb.13a). Lösung: Zahn 12 wird nach vestibulär im distalen Anteil aufgebaut, die Mesialfläche des Zahnes 13 wird so verdeckt und wirkt schmaler. 5. Zahnlänge, Winkelmerkmale, Kantenlinien und damit die optische Breite der Zähne und die Natürlichkeit der Zahnform werden am sitzenden Patienten ermittelt. Am besten geeignet ist die große und grobe Soflexscheibe (dunkelorange) ohne Wasserzufuhr. 6. Vorpolitur: Individualisierungen wie labiale Einziehungen und weitere Strukturen auf der Labialfläche werden z. B. mit einer Flamme hinzugefügt. Dann erfolgt die erste Politur mit z. B. Brownies (Abb. 14). 7. Die Feinjustierung der Zahnlänge und Form erfolgt gemeinsam. Der Patient sitzt aufrecht und hält zur Beurteilung einen Handspiegel. Cave: Bei größeren Veränderungen möchten die Patienten tendenziell zur alten Zahnlänge und zu schmaleren Zähnen zurück. Hier empfiehlt sich ein zweiter Termin für die Feinpolitur, um dem Patienten die Zeit zur Umgewöhnung zu geben. 8. Die Feinpolitur erfolgt z.B. mit dem Greenie und abschließend mit der Occlubrush. Lichtreflexe auf dem Zahn lassen ihn natürlich erscheinen (Abb. 15 und 16).

a

b

13

a. Die Mesialfläche des Zahnes 13 wird durch den vestibulärdistalen Aufbau an 12 verdeckt, 13 wirkt so schmaler. b. Zahn 21 wird durch Aufbau an 11 gespiegelt. Auch Zahn 22 bekommt ein Veneer und lässt 23 schmaler wirken. Der Gesamteindruck wurde beruhigt, die charakteristische Stellung der Einser wurde erhalten.

14

Mit der Flamme kann die Labialfläche des Zahnes strukturiert werden.

Brownie und Greenie für den Schnellläufer, hohe Drehzahl, viel Wasser, wenig Druck (Abb. 17).

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l l

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Alte Füllung Klasse IV

Füllung mit lebendiger Oberfläche und Lichtreflexen

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Brownie und Greenie für den Schnellläufer und Occlubrush

a

b

18

a. Kantenlinie mesial weit außen: Zahn 12 wirkt breiter. b. Kantenlinie mesial nach innen verlegt: Zahn 12 wirkt schmaler.

Kantenlinien zur Zahnmitte hin „verlegen“ (Abb. 18) Betonung der beiden Einziehungen auf der Labialfläche Inzisalkante dezent einkerben in Verlängerung der Vertiefungen (vorher mit dem Patienten absprechen)

Schmale Zähne breiter erscheinen lassen: l Winkelmerkmale nur dezent ausarbeiten = kleine interinzisale Dreiecke l Kantenlinien weit nach außen verlegen, fast kongruent zur Konturlinie l Keine Vertiefungen auf der Labialfläche, keine Einkerbungen inzisal l Ausgeprägte distale Konturlinie verbreitert optisch Lange Zähne kürzer erscheinen lassen: l Deutliche zervikale und inzisale Kantenlinie l Keine Betonung der Winkelmerkmale = Zahn wirkt breiter l Betonung der distalen Konturlinie = Zahn wirkt breiter l Querrillen bei der Politur ausarbeiten Kurze Zähne länger erscheinen lassen: l Keine Kantenlinien zervikal und inzisal, wenn passend, d. h., wenn die Zähne dadurch nicht zu schmal werden: Betonung der Winkelmerkmale

Fallbeispiel

19

Lückige Front mit nach außen weisenden Zahnachsen und falschem Breitenverhältnis der Zähne.

Das Auge misst nicht, es vergleicht. Glücklicherweise kann das Auge nicht messen. Was während der Umformung absurd erscheint (s. Abb.12), wirkt am Ende harmonisch. Damit können viele schwierige Frontzahnsituationen gelöst werden.

Optische Illusionen mit Kenntnis der Zahnanatomie Die wichtigsten Problemlöser sind das Winkelmerkmal und die Kantenlinie (Abb. 18–20). Breite Zähne schmaler erscheinen lassen: l Winkelmerkmale betonen = interinzisale Dreiecke werden größer

Problem: Lückig stehende Zähne, die Zahnachsen weisen von der Mitte weg, 60-Prozent-Regel nicht stimmig. Zahn 12 ist so breit wie Zahn 13 (Abb. 19). Ziel: geschlossene Lücken, ohne die Zähne zu breit wirken zu lassen. Therapie mit Kompromissen: Lückenschluss mit jeweiliger distaler Verbreiterung von Zahn 12 und 22, um die Mesialflächen von Zahn 13 und 23 abzudecken. Ebenso Verbreiterung von Zahn 11 und 21 nach distal, um die Mesialflächen der Zweier abzudecken. Starke Betonung der interinzisalen Dreiecke durch starke Ausarbeitung der Winkelmerkmale, um die Zähne nicht zu breit wirken zu lassen. Kompromisse: 1. Achsenaufrichtung nicht optimal, man hätte sonst noch mehr Komposit vestibulär-zervikal auftragen müssen. 2. Interinzisales Dreieck zwischen Zahn 11 und 21 zu groß, um Zähne schmal wirken zu lassen. 3. Reduktion von Zahn 13 labial, um starke Achsenneigung nach außen zu reduzieren (Abb. 20).

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FACHBEITRAG

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20

Der Lichtreflex auf den mesialen Kantenlinien ist entscheidend für die Breitenwirkung des Zahnes. An den mittleren Inzisivi sollte er spiegelbildlich sein.

Viele Kompromisse, aber für die Patientin ein zufriedenstellendes Endergebnis

Kontraindikationen

Materialien und Instrumente

Da Komposit bei der normalen Abbissfunktion sehr haltbar ist – auch bei rein inzisalen Verlängerungen bei Bisshebungen – aber schlecht mit Scherkräften umgehen kann, sind Arbeiten in folgenden Fällen nicht sinnvoll:  Bruxer, die nachts keine Schiene tragen wollen/können  Patienten, die Nägel kauen  Patienten, die ihre Zähne nutzen zum Öffnen von Chipstüten, Ausziehen von Handschuhen usw.  Bruxer ohne Eckzahnführung.

Bei jedem Kompositsystem muss man sich mit der Transparenz und Opazität vertraut machen, um gute und natürliche Ergebnisse zu erzielen. Meist führt der Klassiker zu einem schönen Ergebnis: Zervikales Drittel – eine ein Ton dunklere Farbe als die gewählte Zahnfarbe, die inzisalen zwei Drittel mit der gewählten Hauptfarbe und im inzisalen Drittel die dazu passende Schmelzfarbe verwenden. Das bedeutet, dass jede Schichtdicke nach der Applikation und vor dem Aushärten von inzisal geprüft werden sollte, um abzuschätzen, ob z. B. eine Schmelzschicht noch Platz haben würde, ansonsten würde die Schmelzschicht beim Ausarbeiten wieder entfernt.

Komposit ist Plaque-affiner als der eigene Zahn oder Keramik. Bei PA-Patienten mit schlechter Mundhygiene sollte nur nach gründlicher Aufklärung mit Komposit gearbeitet werden. Der Aufbau invertiert stehender Frontzähne führt meist dazu, dass aus der Inzisalkante eine „Inzisalfläche“ wird. Das beeinträchtigt die Funktion nicht, im Gegenteil, diese stabilen Aufbauten sind sehr langlebig.

Typische Fehlerquellen  Nicht

Einhalten der vom Hersteller angegebenen Einwirkzeiten des Bonding-Systems. Ich verwende Zweiflaschen-Systeme wie Optibond FL.  Ausarbeiten der Zahnform, Zahnlänge und Mittellinie, ohne den Patienten aufgesetzt zu haben.  Farbwahl mit dem OP-Licht. Einfaches Deckenlicht oder besser Tageslicht, sind optimal. Farbwahl immer als erstes, bevor der Zahn austrocknet.  Zähne haben alle die gleiche Länge, das wirkt abradiert und/oder künstlich.  Zu wenig Betonung der Winkelmerkmale  Kein Lichtreflex auf der mesialen Kantenlinie (Abb. 21)  Ausarbeitung/Politur der Zahnoberfläche mit Soflexscheiben  Keine Symmetrie von Zahn 11 und 21 aus jeder Blickrichtung: von inzisal, aus der 12-Uhr-Position, am sitzenden Patienten. Der Verlauf der Kantenlinie sollte an Zahn 11 und 21 spiegelbildlich sein.

Es gibt von unterschiedlichen Herstellern Komposit-Spatel, an denen das Komposit nicht klebt, diese sollten möglichst breitflächig und lang sein.

Fazit Mit Komposit können bei Anwendung der 60-LADA-Regel unharmonische Frontzahnsituationen noninvasiv und kostengünstig therapiert werden. Bei Vermeidung von Scherkräften können solche Restaurationen bis zu zwanzig Jahre halten. Kompositveneers haben allerdings einen gewissen Wartungsbedarf. Matte Oberflächen oder Verfärbungen können auftreten und sollten dann durch eine Politur wieder optimiert werden. 

Autorin ZÄ Anne Bandel Praxis Dr. Brouwer & Dr. Lehmensiek Potsdamer Straße 116 10785 Berlin anne.bandel@gmail.com

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FACHBEITRAG

BLEICHEN VON ZÄHNEN – EIN KLASSIKER? Für den Patientenwunsch nach hellen weißen Zähnen gibt es, je nach Ursache der Zahnverfärbung, verschiedene Bleichmethoden. Bezüglich der Konzentrationen der eingesetzten Bleichmittel besteht Verunsicherung. Die nachfolgenden Tipps bringen Sicherheit für das erfolgreiche Aufhellen.

D

ie Ästhetik des Lächelns ist wichtig für das Aussehen und die Lebensqualität von Erwachsenen Menschen [1, 2], da sie das Selbstbewusstsein zu beeinflussen scheint. Eine weiße Zahnfarbe wird von Patienten sehr häufig gewünscht, da diese mit attraktiven, natürlichen, sauberen und gesunden Zähnen in Verbindung gebracht wird. Heute gibt es mehrere Behandlungsmethoden, um eine natürlich-weiße Farbe zu erreichen. Häufig werden restaurative Materialien und Techniken verwendet, um die Zahnfarbe und -form zu korrigieren. Das Bleichen gilt als minimalinvasive, konservative Methode zur Verbesserung der Zahnfarbe und hat in den letzten Jahrzehnten bei den Patienten an Beliebtheit und Akzeptanz gewonnen. Das Bleichen von Zähnen ist nicht neu. Seine Wirksamkeit bei vitalen und nicht-vitalen Zähnen wurde in der Literatur umfassend untersucht [3–8]. Es ist bewiesen, dass die heute verfügbaren Bleichmethoden in der Lage sind, die Zahnfarbe zu verändern, um die gewünschten weißen Zähne zu generieren und die Anforderungen sowie Bedürfnisse der Patienten zu erfüllen. Es gibt in der täglichen zahnärztlichen Praxis jedoch immer noch einige Bedenken hinsichtlich der Anwendung von Bleichprodukten mit hohen Konzentrationen von Wasserstoffperoxid (H₂O₂), da nicht eindeutig dokumentiert ist, wann ihre Verwendung erforderlich und ob sie als medizinische Behandlung indiziert ist. Insbesondere seit der Richtlinie 2011/84/EU9 [9] bezüglich kosmetischer Mittel, die am 31. Oktober 2012 in Kraft getreten ist, herrscht in diesem Bereich noch mehr Unsicherheit, was die Verwendung von Materialien mit hoher H₂O₂-Konzentration und deren Indikation betrifft. Diese Richtlinie erlaubt erstmals die Verwendung von Bleichmitteln mit einem H₂O₂-Gehalt von bis zu 6 Prozent für kosmetische Behandlungen unter

zahnmedizinischer fachlicher Anleitung. Seitdem sind lediglich kosmetische Produkte mit einer maximalen H₂O₂Konzentration von 0,1 Prozent frei verkäuflich und dürfen von Patienten selbständig ohne zahnärztliche Anleitung verwendet werden. Diese Regularien haben dem Zahnarzt jedoch die Möglichkeit gegeben, die korrekte Anwendung von Bleichmitteln nach einer angemessenen Befundung und Indikationsstellung für diese Anwendung zu beaufsichtigen. Den Regularien entsprechend wurden in den letzten Jahren die von den Herstellern angebotenen Bleichmittelkonzentrationen geändert, so dass die im Markt angebotenen Produkte für die rein kosmetische Anwendung einen Höchstwert von 6 Prozent H₂O₂ enthalten. Die wichtigste Änderung nach dieser Richtlinie betraf Produkte mit bis zu 6 Prozent H₂O₂, die in der Vergangenheit als „over the counter“ (OTC) Produkte vermarktet wurden und von den Patienten ohne Rücksprache mit den Zahnärzten „gekauft“ werden konnten. Gemäß der EU-Richtlinie 2011/84/EU9 sollten diese Produkte daher so reguliert werden, dass sie nicht direkt für den Verbraucher zugänglich sind. Die Umsetzung der Richtlinie verursachte jedoch einige Unsicherheit in Bezug auf die Kategorie der Bleichmittel mit einer höheren H₂O₂-Konzentration als 6 Prozent, die bisher zur Behandlung von starken Zahnverfärbungen verwendet werden. Deshalb vermarkteten viele Hersteller ihre Bleichmittel nun als Kosmetika oder als Produkte für die medizinische Anwendung, abhängig von ihrer Wasserstoffperoxid-Konzentration und/oder ihrem Verwendungszweck.

Zahnverfärbungen Laut Literatur [10, 11] können Zahnverfärbungen nach ihrem Aussehen, ihrer Ätiologie, ihrem Schweregrad, ihrer

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FACHBEITRAG

Lokalisation und ihrer Anhaftung an der Zahnstruktur [12, 13] wie folgt klassifiziert werden: Die extrinsischen Verfärbungen werden durch Auflagerungen auf der Zahnoberfläche verursacht [11]. Es handelt sich dabei in der Regel um Lebensmittelprodukte (Rotwein, Kaffee, Tee oder Lebensmittel, die einige Farbstoffe enthalten), Tabak oder Mundspülungen. Extrinsische Verfärbungen können durch die Verwendung von Mundpflegeprodukten wie Zahnpasten und Polierpasten, einschließlich abrasiver Produkte, entfernt werden. Daher stellen sie keine Indikation für die Verwendung von Bleichmitteln, speziell mit hochprozentigem Wasserstoffperoxid, dar. Die internalisierten Verfärbungen sind auf extrinsische Verfärbungen zurückzuführen, die nach der Zahnentwicklung durch Schmelzdefekte oder über poröse, freiliegende

Dentin- oder Schmelzflächen in die Zahnsubstanz eingebaut werden [11]. Die intrinsischen Verfärbungen sind das Ergebnis einer Veränderung der strukturellen Zusammensetzung oder Dicke der Zahnhartsubstanz [11] oder der Einlagerung von Verfärbungen oder Pigmenten im Dentin und/oder Schmelz. Intrinsische Verfärbungen können während der Zahnentwicklung oder nach dem Durchbruch der Zähne auftreten. Die Behandlung dieser Verfärbungen durch Bleichen führt zu guten Ergebnissen. Im Fall von Verfärbungen aufgrund genetischer Störungen kann Bleichen eine Verbesserung der Situation erwirken, jedoch ist meist keine vollständige Entfernung der vorhandenen Verfärbung möglich. In der Literatur werden für solche Fälle lange Applikationszeiten von Bleichprodukten empfohlen. Die Ursachen [11, 14, 15] für intrinsische Verfärbungen sind in Tabelle 1 dargestellt.

Tab. 1: Intrinsische Verfärbungen Intrinsische Verfärbungen während der Zahnentwicklung Name

Ursache

Zahnverfärbung

Alkaptonurie

Angeborene erbliche Enzymopathie mit Störung des PhenylalaninTyrosin-Stoffwechsels

Braune Zahnverfärbung

Kongenitale erythropoetische Porphyrie

Autosomal rezessive Stoffwechselstörung. Sie ist durch die Akkumu- Rote Zahnverfärbung lation von Uroporphyrin-I in der Haut, am Auge, in den Knochen und Zähnen charakterisiert.

Kongenitale Hyperbilirubinämie

Fehlen eines Leberenzyms – Ablagerung von Bilirubin im Körper

Gelb-grüne Verfärbung

Amelogenesis imperfecta

Genetisch bedingte Strukturstörung – Störung der Zahnschmelzbildung

Weiße bis gelb-braune Zahnfarbe

Dentinogenesis imperfecta

Genetisch bedingte Strukturstörung –Störung der kollagenen und nicht kollagenen Proteine – „Dentindysplasie“

Die Zähne erscheinen in der Regel blaugrau oder gelbbraun mit einem hohen Maß an bernsteinartiger Transluzenz .

Dentindysplasie

Genetische Störung in der Bildung des Dentins

Obliterierte Pulpa - braune Verfärbung

Tetracycline (oder Minocyclin)

Irreversible Komplexbildung mit Kalzium, das während der Odonto- Gelbe oder braune Verfärbungen genese in Zahnhartsubstanzen und Knochen eingelagert wird.

Fluorose

Übermäßige Fluoridaufnahme

Kreidig-weiße Schmelzflecken

Turner Zahn

Missbildungen im Bereich des Zahnschmelzes – Infektion durch Karies oder Trauma des Milchzahns

Weiße oder gelbe Verfärbung

Intrinsische Verfärbungen nach der Zahnentwicklung Zahntrauma

Hämorrhagische Nebenprodukte der Pulpa und/oder Pulpanekrose - Rosa-rote Farbe, die in eine graue oder schwarze Abbau der Proteine der nekrotischen Pulpa Zahnfarbe übergeht.

Endodontisch bedingte Verfärbungen

Pulpagewebe, das in der Pulpakammer verbleibt; Materialien und Medikamente bei der Wurzelkanalbehandlung/-füllung

Graue bis schwarze Verfärbung

Wurzelresorption

Zahntrauma

Anfänglich rosa Farbe

Alterung

Abnutzung des Schmelzes, physiologische Ablagerung von Sekundärdentin

Verdunkelung des Zahnes

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Was ist Bleichen? Laut Definition ist das Bleichen ein Vorgang, mit dem unerwünschte Färbungen entfernt oder abgeschwächt bzw. Vergilbungen beseitigt werden können. Für das Bleichen von Zähnen wird als Hauptbleichmittel H₂O₂ (oder eine Vorstufe wie Carbamidperoxid) verwendet. H₂O₂ ist ein Oxidationsmittel, das sich aufspaltet und instabile freie Radikale erzeugt, wenn es in den Zahn diffundiert [16]. Diese freien Radikale greifen die organischen Moleküle an, die für die Zahnverfärbung verantwortlich sind, und oxidieren sie. Carbamidperoxid zerfällt zu ca. ein Drittel in H₂O₂. Deshalb wirken Carbamidperoxid-Gele langsamer.

Abbildungen : Olga Polydorou (1), Kerstin Siemer (2, 3)

Die Bleichverfahren für Zähne können wie folgt kategorisiert werden:  In-Office-Bleichen für vitale Zähne: Die beim InOffice-Bleichen verwendeten Produkte enthalten hochprozentige Konzentrationen von H₂O₂ (30–40 Prozent). Die gesamte Behandlung erfolgt in der Zahnarztpraxis und kann in einer oder mehreren Sitzungen durchgeführt werden. Mit dieser Methode ist eine selektive Aufhellung der verfärbten Zähne möglich (Abb. 1). Bei der Anwendung des In-Office-Bleichens ist ein selektives Bleichen der verfärbten Zähne möglich.

1

Selektive Aufhellung verfärbter Zähne mittels In-Office-Bleichen

 Home-Bleichen: Das Bleichmaterial wird zu Hause mit

einer individuellen Schiene aufgetragen. Bei dieser Methode werden heutzutage in der Regel zehn bis 16 Prozent Carbamidperoxid (3,6 bis 6 Prozent H₂O₂) verwendet. In seltenen Fällen werden Konzentrationen von 30 bis 35 Prozent Carbamidperoxid (10,5 bis 14,1 Prozent H₂O₂) verwendet. Seit der Richtlinie 2011/84/EU9 beträgt die Höchstmenge an Carbamidperoxid in den in Europa erhältlichen Home-Bleichen-Produkten 16 Prozent. Carbamidperoxid zerfällt in Wasserstoffperoxid und Harnstoff [17]. Die Einwirkzeit des Bleichmittels unterscheidet sich je nach Schweregrad und Ursache der Zahnverfärbung.

Zur Produktkategorie des Home-Bleichens gehören auch Lacke und Bleichstreifen. Dabei handelt es sich um Aufhellungsprodukte, die bis zum 31. Oktober 2012 als rezeptfreie Produkte (OTC) auf dem Markt waren und keine Verkaufsbarrieren hatten. Die Produkte dürfen heute nur unter Aufsicht und Beratung eines Zahnarztes verwendet werden. Sie enthalten bis zu 6 Prozent H₂O₂ und werden kurzzeitig (fünf bis 60 Minuten) angewendet. Der Anzahl solcher Produkte, die in Europa verfügbar sind, wurden die letzten Jahre von den Herstellern kontinuierlich reduziert.  Bleichen von nicht-vitalen Zähnen: Voraussetzung für das Bleichen von nicht-vitalen Zähnen ist eine suffiziente Wurzelkanalfüllung, der Zahn sollte symptomfrei sein. In der Vergangenheit wurde für diese Zähne die thermokatalytische Technik verwendet. Bei diesem Verfahren wurde Wärme eingesetzt, um die Freisetzung von Sauerstoff aus Wasserstoffperoxid zu erhöhen. Heute werden erfolgreiche Ergebnisse erzielt, indem nur die chemische Aktivierung verwendet wird. Die etablierte Methode zum Bleichen von nicht-vitalen Zähnen ist die „Walking-Bleach-Technik“. Dafür kann Natriumperborat (Abb. 2 und 3), gemischt mit Wasser oder mit 30 Prozent H₂O₂, verwendet werden, um eine Paste zu erzeugen, die in die Zugangskavität und die Pulpakammer eingebracht und dann versiegelt wird. Heute sind dafür auch vorgefertigte Gele mit hohen H₂O₂-Konzentrationen für das interne Bleichen erhältlich. In der Literatur wird berichtet, dass es keinen Unterschied zwischen diesen beiden Mischungen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gibt [18, 19]. Um jedoch der Gefahr einer potenziellen Resorption zu begegnen, wird hauptsächlich die Anwendung von Natriumperborat empfohlen.

2

Walking-BleachTechnik: Ausgangssituation

3

Ergebnisse nach zwei Sitzungen mit Natriumperborat und NaCl

Tabelle 2 zeigt repräsentative Bleichmittel, die BehandlerInnen auf dem deutschen Markt zum Bleichen von Zähnen zur Verfügung stehen.

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FACHBEITRAG Tab. 2: Bleichprodukte Name

Hersteller

Opalescence Go® 6%

H₂O₂/CPKonzentration

Zusatzstoffe

Anwendung

Form

Ultradent Products Inc. 6 % H₂O₂

Kaliumnitrat und Fluorid

60–90 min 5–10 Tage

Vorgefüllte UltraFit™ Trays

Opalescence® PF 10 % & 16 %

Ultradent Products Inc. 10 % & 16 CP

Kaliumnitrat und Fluorid

Opalescence® Boost PF 40 %

Ultradent Products Inc. 40 % H₂O₂

Kaliumnitrat und Fluorid

Opalescence® Endo

Ultradent Products Inc. 35 % H₂O₂

Opalescence® Quick PF 45 %

Ultradent Products Inc. 45 % CP

VivaStyle Paint On Plus

Ivoclar Vivadent AG

Illuminé home 10 % & 15 %

Home-Bleichen (Tiefziehschiene) 2–3 x 20 min /Sitzung

In-Office-Bleichen

3–5 Tage im Kanal

Walking-Bleach-Technik

Kaliumnitrat und Fluorid

30 min /Sitzung

Bleichen im Wartezimmer (Tiefziehschiene)

6 % H₂O₂

D-Panthenol

10 min / Anwendung

Home-Bleichen (Lacksystem)

Denstply Sirona

10 % & 15% CP

Natriumfluorid

2h täglich oder über Nacht

Home-Bleichen (Tiefziehschiene)

Perfect Bleach 10 % & 16 %

VOCO GmbH

10 % & 16% CP

Kaliumnitrat, Natriumfluorid

2h täglich oder über Nacht

Home-Bleichen (Tiefziehschiene)

Perfect Bleach Office+

VOCO GmbH

35 % H₂O₂

Kaliumnitrat, Natriumfluorid

2 x ca. 10–15 min/Sitzung In-Office-Bleichen (QuickMix Spritze)

Easywhite® Ready

DeltaMed

32 % H₂O₂

Easywhite® Office

DeltaMed

35 % H₂O₂

Power Whitening YF 40 %

WHITEsmile GmbH

40 % H₂O₂ (≅32 % H₂O₂) & 6 % H₂O₂

3 x 15–20 min/Sitzung

In-Office-Bleichen

Light Whitening AC

WHITEsmile GmbH

32 % H₂O₂ & 6 % H₂O₂

3 x 10–15 min

In-Office-Bleichen (mit WHITEsmile LED Whitening Lampe)

In-office Whitening

WHITEsmile GmbH

35 % CP

30–60 min/Sitzung

Bleichen im Wartezimmer (Tiefziehschiene)

Home Whitening

WHITEsmile GmbH

10 % CP 16 % CP

über Nacht

Home-Bleichen (Tiefziehschiene)

Tooth Whitening

WHITEsmile GmbH

5,6 % H₂O₂

15–20 min für 10–15 Tage

Home-Bleichen

Pola Professional

SDI Limited

35 % H₂O₂& 37,5% H₂O₂

2–3 Tage pro Anwendung Walking-Bleach-Technik

Pola Rapid

SDI Limited

6 % H₂O₂

Pola Night

SDI Limited

10 % CP , 16 % CP

Pola Office+

SDI Limited

6 % H₂O₂

ZOOM DayWhite

Philips

6 % H₂O₂

Fluorid, Kaliumnitrat, Kalziumphosphat

30–90 min/Tag

Home-Bleichen (Tiefziehschiene)

ZOOM NiteWhite

Philips

16 % CP

Fluorid, Kaliumnitrat, Kalziumphosphat

2–4h/Nacht

Home-Bleichen (Tiefziehschiene)

VivaStyle Paint On Plus

Ivoclar Vivadent

6 % H₂O₂

D-Panthenol

10 min/Anwendung

Home-Bleichen (Lacksystem)

EnaWhite Power Kit

Micerium S.p.A.

35 % H₂O₂

30 min/Sitzung

In-Office-Bleichen (Automix-Spritze)

EnaWhite Regular Endo Kit Micerium S.p.A.

12 % H₂O₂

EnaWhite Bleaching 2.0

Micerium S.p.A.

6 % H₂O₂

Fluorid & Kaliumnitrat

2 min/Tag

Home-Bleichen (Zahnbürste mit Bleichmittel)

EnaWhite Light Home

Micerium S.p.A.

6 % H₂O₂

Fluorid & Kaliumnitrat

3 h täglich

Home-Bleichen (Tiefziehschiene)

Desensibilisierungsmittel und Fluorid

max. 3 x 20 min/Sitzung –

2 x 15 min/Sitzung

In-Office-Bleichen (Automix Kanülen) In-Office-Bleichen (Pulver & Flüssigkeit)

In-Office-Bleichen

30 min

Walking-Bleach -Technik

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Bleich-Indikationen

Ist Bleichen schädlich?

Die Hauptindikation für das Bleichen sind rein ästhetische Aspekte zur Verbesserung der Zahnfarbe [20]. Das Bleichen gesunder Zähne kann auch mit geringeren Konzentrationen von Wasserstoffperoxid erfolgreich sein. Das kann auch zur Verbesserung der Zahnfarbe vor der Behandlung mit indirekten Restaurationen angewendet werden (Abb. 4 und 5).

Es gibt verschiedene Faktoren, mit denen das Bleichen sehr häufig in Zusammenhang gebracht wird:

4+5 Abbildungen : Olga Polydorou

Bleichen von Zähnen vor den definitiven restaurativen Maßnahmen

Zusätzlich zur Verbesserung der Ästhetik bei vitalen Zähnen kommt es sehr oft zu Verfärbungen durch Blutabbauprodukte bei einer Zahnnekrose oder durch die Farbe der Materialien, die für die Wurzelbehandlung verwendet werden. Die Behandlung dieser Zähne mit Bleichen (auch mit sehr schwachen Bleichmitteln) kann sehr erfolgreich sein und stellt eine konservative Behandlungsmöglichkeit dar [21]. Es gibt viele Fälle von Patienten mit starken Zahnverfärbungen aufgrund von Zahnfarbstörungen oder Zahnstrukturanomalien, die eine medizinische Behandlung benötigen. Bleichen stellt eine konservative Behandlung hinsichtlich des Zahnsubstanzverlustes im Vergleich zu allen anderen Behandlungsmöglichkeiten dar und kann im Falle von Zahnverfärbungen, die durch systemische, metabolische, traumatische Faktoren oder Medikamente verursacht werden, zu einer Verbesserung der Zahnfarbe führen. Trotzdem sind zur Behandlung von Patienten mit schweren krankheitsbedingten Zahnverfärbungen starke Bleichmittel mit hohen Konzentrationen von Wasserstoffperoxid notwendig, um eine Farbverbesserung zu erreichen. Dennoch kann eine vollständige Entfernung der Verfärbung nicht garantiert werden. Cave: Bei der Indikationsstellung für das Bleichen nicht vergessen, dass die Anwendung des Bleichens aus rein ästhetischen Gründen erst nach dem 18. Lebensjahr empfohlen wird.

Bleichwirkung auf die Zahnhartsubstanzen: Die Ergebnisse in der Literatur bezüglich der Wirkung von Bleichmitteln auf die Zahnhartsubstanz sind teils widersprüchlich. Einige Studien zeigen keine Auswirkungen auf die mechanischen Eigenschaften der Zahnhartsubstanz nach dem Bleichen [22,23], während in anderen Studien verschiedene Konzentrationen von CP und H₂O₂ zu einer Reduktion der Schmelzmikrohärte [24, 25] und zu einer Erhöhung der Oberflächenrauheit nach dem Bleichen führten [25, 26]. Der Unterschied zwischen den Studiendesigns und den Bedingungen, die in den Studien verwendet wurden (unterschiedliche Bleichmittel, deren Zusammensetzung und pH-Wert) macht den Vergleich jedoch sehr schwierig und sind Grund für die unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Interessant sind die unterschiedlichen Ergebnisse, über die nach Bleichen mit gleichen H₂O₂-Konzentrationen berichtet werden. Ein Grund dafür ist, dass in der Literatur häufig die Anwendung der verwendeten Bleichmittel nicht den Herstellerangaben entspricht, wie z. B. die Verwendung von 30 Prozent Wasserstoffperoxid für 28 Stunden [27], was in der täglichen klinischen Praxis nie vorkommt. Tatsächlich übersteigt diese Zeitspanne das 10- bis 20-fache dessen, was bei korrekter Anwendung in der zahnärztlichen Praxis die normale Anwendungszeit wäre. In einer Studie von Kwon et al. [28] wurden die Proben in 30 Prozent H₂O₂ für drei Tage eingelegt. Zusätzlich ist es äußerst wichtig, auf die Art des für die Studie verwendeten H₂O₂ einzugehen. Dabei muss zwischen der Verwendung von kommerziell erhältlichen Bleichprodukten und der Verwendung von reiner H₂O₂-Lösung unterschieden werden. Es muss zudem die Zusammensetzung des verwendeten Bleichmittels berücksichtigt werden. Die kommerziell erhältlichen Bleichmittel enthalten zusätzliche Komponenten und Desensibilisierungsgele, welche die Wirkung des Produktes auf die Zahnhartsubstanzen beeinflussen. Darüber hinaus stellt der pH-Wert der Bleichprodukte einen zusätzlichen Faktor dar, der die Wirkung auf die Zahnhartsubstanz beeinflusst. Obwohl saure und neutrale In-Office-Bleichmittel in situ und in vitro eine ähnliche Aufhellungswirkung zu haben scheinen, induzieren Bleichmittel mit niedrigem pH-Wert eine Demineralisierung des menschlichen Zahnschmelzes [29–32]. Eine saurere Behandlung hat einen Einfluss auf den

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FACHBEITRAG

Schmelz, unabhängig von der H₂O₂-Konzentration, und einige Hersteller bevorzugen für ihre Bleichmittel ein eher saures Milieu (unter pH 5,0), um sie stabiler zu halten. Es muss auch die Beurteilung der Wirkung von Bleichprodukten auf das Dentin berücksichtigt werden. Bei dem Bleichen von vitalen Zähnen wird das Bleichmittel bei korrekter Anwendung auf den Zahnschmelz appliziert und es gibt eigentlich keinen Grund und keine Indikation, Bleichmittel auf Dentin anzuwenden. Bei der Anwendung der Walking-Bleach-Technik bei nicht-vitalen Zähnen wurde festgestellt, dass die Bleichprodukte in direktem Kontakt mit Dentin dieses verändern können. Deshalb sind bei solchen Behandlungen schwache Bleichmittel zu bevorzugen. Zahnempfindlichkeit nach dem Bleichen: Zahnempfindlichkeit ist ein sehr häufiges Symptom während oder nach dem Bleichen. In der Literatur wird häufig über eine leichte/milde Zahnempfindlichkeit und/oder eine Weichgewebsirritation nach dem Bleichen berichtet, die als reversibel betrachtet wird [33–36]. Zahnempfindlichkeit kann während oder nach dem Home-Bleichen mit niedrigen Konzentrationen von H₂O₂ oder In-Office-Bleichen mit hohen Konzentrationen von H₂O₂ auftreten. Klinische Studien berichten, dass die Konzentration des H₂O₂ nicht der entscheidende Faktor für die Zahnsensibilität ist, wenn die Bleichprodukte nach Herstellerangaben verwendet werden. Im Fall des Home-Bleichens scheint es, dass die Zahnempfindlichkeit auf die verlängerten Applikationszeiten und die Weichgewebsirritation auf die übermäßige Verwendung von Bleichmitteln zurückzuführen sind. Beim In-Office-Bleichen wird die Gingiva vom Behandler vor dem Bleichen isoliert. Die durch Bleichen hervorgerufene Zahnempfindlichkeit wird von der Konzentration des H₂O₂ der verwendeten Technik, dem gewählten Bleichprodukt und seiner Zusammensetzung in Bezug auf das Vorhandensein von Desensibilisierungsmitteln beeinflusst. Eine multizentrische, fragebogenbasierte prospektive Studie [37] an Allgemeinpraxen und Universitätskliniken in den Jahren 2007–2009 in Skandinavien zeigte sehr interessante Ergebnisse: Die Zahnempfindlichkeit bei der ersten Nachuntersuchung (14 Tage nach der Behandlung) war beim Home-Bleichen höher, als beim In-Office-Bleichen (Home-Bleichen: 50,3 Prozent; In-Office-Bleichen: 39,3 Prozent), die Prävalenz von Gingivairritationen war hingegen nach den In-OfficeBleichen höher (Home-Bleichen: 14,0 Prozent; In-Office-

Bleichen: 35,7 Prozent). Ein Jahr nach der Behandlung gab es keinen Unterschied zwischen den Bleichmethoden. Die erhöhte Zahnempfindlichkeit durch das Home-Bleichen könnte auf die erhöhte Anwendungszeit zurückzuführen sein, während die erhöhte Gingivairritation im Fall des InOffice-Bleichens auf die nicht korrekte Verwendung der Bleichmittel zurückzuführen sein könnte. Wirkung des Bleichens auf die Adhäsion: Die Daten in der Literatur zeigen, dass Bleichen, unabhängig von der Konzentration des enthaltenen H₂O₂, die Haftfähigkeit an Zahnhartsubstanzen beeinflussen kann. Auch ein negativer Effekt von H₂O₂ in Kombination mit der Anwendung von Ätzmitteln wurde beschrieben. Ein Großteil der Daten wurde jedoch mit einer Lösung aus rein chemischem H₂O₂ generiert, bei der es sich nicht um ein kommerzielles Bleichmittel handelte, was zu noch negativeren Auswirkungen führte. Außerdem wurde diese Reduktion der Haftfestigkeit bei der Adhäsion der Restaurationen direkt nach dem Bleichen festgestellt. Eine Zurückstellung des adhäsiven Vorgangs von ca. einer Woche wird empfohlen, da sich die Haftung auf der Zahnhartsubstanz nach dieser Zeit wieder normalisiert hat. Einfluss von Bleichen auf Restaurationsmaterialien: Es wird häufig argumentiert, dass Bleichen mit Produkten, die hohe Konzentrationen von Wasserstoffperoxid enthalten, negative Auswirkungen auf die Oberfläche oder Struktur von Restaurationsmaterialien haben kann. In einer früheren Übersichtsarbeit [38] wurde empfohlen, den Kontakt der Restaurationsmaterialien mit Bleichmitteln zu vermeiden, um die Auswirkungen zu minimieren. Andere Daten aus der Literatur [39–41] zeigen, dass die Auswirkungen von Bleichmitteln auf die Restaurationsmaterialien gering und klinisch unbedeutend sind. Die Effekte, die durch das Bleichen auf der Oberfläche der Restaurationsmaterialien verursacht werden, sind durch Politur der Restaurationen reversibel. Der Grad der Wirkung hängt vom Restaurationsmaterial und dem für die Behandlung gewählten Bleichmittel ab. Die Zusammensetzung der Restaurationsmaterialien hat einen Einfluss auf die Ergebnisse der einzelnen Studien. Es muss jedoch erwähnt werden, dass es keinen Grund gibt, Bleichprodukte gezielt auf Restaurationsmaterialien aufzutragen, da die Farbveränderung, die durch die Zahnsubstanz erreicht werden kann, bei den Restaurationsmaterialien nicht stattfinden kann. Bei den Home-Bleich-Verfahren ist leider keine selektive Applikation des Bleichmittels möglich. Beim In-Office-Bleichen werden die Bleichmittel nicht auf

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Abbildungen: Olga Polydorou

die Restaurationsmaterialien aufgetragen, da der gesamte Vorgang unter Aufsicht des Zahnarztes stattfindet. Die Auswahl der zu bleichenden Bereiche stellt einen der Vorteile der In-Office-Technik dar, da der gesamte Bleichvorgang unter der Aufsicht und Kontrolle des Zahnarztes stattfindet. Trotzdem ist der Farbunterschied zwischen Zahnsubstanz und Restaurationsmaterialien, der durch Bleichen entstehen kann, ein wichtiger Punkt, der bei der Aufklärung des Patienten ausführlich diskutiert werden soll, da potenzielle Farbunterschiede im Frontzahnbereich eine ästhetische Verbesserung/Korrektur der vorhandenen Restaurationen notwendig machen könnten. Diese Maßnahmen unterliegen dann nicht den Kassenrichtlinien.

Ist Lichtaktivierung notwendig?

Bleichen und zervikale Resorptionen: Das Auftreten der zervikalen Resorption steht nur im Zusammenhang mit dem Bleichen avitaler Zähne und nicht mit dem Bleichen vitaler Zähne. Über derartige Resorptionen wird in der Literatur seit 1979 berichtet [42]. Dabei sind die meisten Studien in der Literatur Fallberichte [42–46]. Die Daten zeigen, dass die externe Resorption, die auf eine Bleichbehandlung folgt, in den älteren Studien sehr häufig mit der Anwendung von Hitze während des Bleichens in Verbindung gebracht wurde. Das Fehlen einer geeigneten zervikalen intrakanalen Barriere und die Ebene, auf der die Guttapercha vor dem Bleichen entfernt wird, spielt eine wichtige Rolle bei der externen Wurzelresorption. Deshalb wird die Verwendung einer geeigneten zervikalen interkanalen Barriere [44, 46] und die Anwendung einer medikamentösen Einlage (Kalziumhydroxid) intrakoronal für eine kurze Zeit [44] vor der definitiven Restauration empfohlen.

Tipps

Um eine zervikale Resorption nach intrakoronalem Bleichen zu vermeiden, muss das Austreten von Bleichmittel aus der Pulpakammer durch die Dentintubuli in das zervikale Parodontalgewebe vermieden werden, da dadurch ein entzündlicher Prozess um die Zähne herum initiiert wird, dem eine zervikale Wurzelresorption folgen kann [47]. Es ist bekannt, dass ein Zahntrauma eine externe Resorption verursachen kann. Daher muss bei der Beurteilung des Auftretens einer externen Resorption durch Bleichen von nicht vitalen Zähnen berücksichtigt werden, dass ein vorangegangenes Trauma den Verlust der Zahnvitalität überhaupt erst verursacht haben könnte. Dies könnte dann auch der Grund für die externe Resorption sein. Die korrekte Verwendung der Bleichmaterialien, entsprechend ihrer Indikation und deren sachgemäßen Anwendung, hilft externe Wurzelresorptionen zu vermeiden.

Bei der Lichtaktivierung des In-Office-Bleichmittels zeigen die Daten eine Zunahme der Zahnempfindlichkeit direkt nach dem Bleichen [48–51]. Diese Sensibilität verschwand jedoch in allen Fällen nach 24 Stunden oder einer Woche [48, 51]. Auch die Art der Lichtaktivierung hat einen Einfluss auf die Zahnempfindlichkeit [49, 51, 52]. Daher sollten die Behandler auf Daten bezüglich der Qualität des Lichtgeräts achten, wenn sie es zur Aktivierung von Bleichmitteln verwenden möchten. Es scheint, dass die Lichtaktivierung keinen zusätzlichen positiven Langzeiteffekt auf die Aktivierung der Bleichmittel hat, insbesondere unter Berücksichtigung der potenziellen Erhöhung der Pulpatemperatur während der Lichtaktivierung.

Darauf sollte beim Bleichen geachtet werden:  Vor Beginn der Behandlung sollte eine professionelle Zahnreinigung durchgeführt werden. Idealerweise einige Tage vor dem Bleichen.  Ein ausführliches Beratungsgespräch ist vor dem Bleichen notwendig. Dieses Gespräch sollte (z. B.) folgende Punkte beinhalten: Patientenerwartung und Indikationsstellung; Aufklärung über Bleichmethoden und mögliche Zahnempfindlichkeit.  Wenn das Bleichen auf die Verbesserung der Zahnfarbe aus ästhetischen Gründen ohne medizinische Indikation abzielt, ist die Anwendung niedriger Konzentrationen von H₂O₂ oder CP mittels Home-Bleichverfahren zu empfehlen.  Eine korrekte Herstellung der Tiefziehschiene für das Home-Bleichen mit „Reservoirs“ führt zu geringeren Gingivairritationen (Abb. 6).

6

Vorbereitung am Modell für die Herstellung der Tiefziehschiene mit „Reservoirs“ für das Home-Bleichen

 Obwohl

es keine wissenschaftlichen Daten gibt, stellt eine Schwangerschaft eine Kontraindikation für das Bleichen dar. Die Behandlung sollte auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.  Eine kosmetische Zahnaufhellung ist bei Jugendlichen unter 18 Jahren nicht empfohlen.  Kariöse Defekte und undichte Füllungen sollen zumindest provisorisch vor dem Bleichen versorgt werden.

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FACHBEITRAG

 Akute Parodontalerkrankungen sollen vorher behandelt

werden.

Fazit  Bleichen ist eine konservative Methode, um die Ästhetik

 Beim In-Office-Bleichen ist ein Gingivaschutz mit Kof-

ferdam und/oder lichthärtendem „Kunststoff“ notwendig (Abb. 7 und 8). Abrasionen und Schmelzdefekte sollen von dem Bleichen abgedeckt und dem Bleichmittel nicht ausgesetzt werden.

7

Gingivaschutz mit Kofferdam ...

8

… und/oder lichthärtendem „Kunststoff“

zu verbessern.  Anwendung von kommerziellen Produkten und nicht von reiner H₂O₂: Die Verwendung von reiner H₂O₂Lösung hat starke Effekte auf Zahnhartsubstanz und Restaurationsmaterialien.  Zahnhartsubstanz wird durch Bleichmittel beeinflusst. Dies hängt jedoch von der Art der Bleichprodukte, ihrem pH-Wert, ihrer Zusammensetzung, der Anwendungszeit und den verwendeten Methoden ab.  Eine Wartezeit von 1–2 Wochen wird empfohlen, bevor adhäsive Maßnahmen durchgeführt werden.  Indikationen für das Bleichen und die Patientenerwartungen sollten bei der Auswahl der richtigen Therapie in Betracht gezogen werden.  Aufsichts- und Verantwortungspflicht des Bleichens unterliegt dem Zahnarzt. 

 Die

Anwendung der Bleichmittel (Dauer, Menge etc.) sollte nach Herstellerangaben durchgeführt werden, um eine sichere Therapie zu gewährleisten.  Bleichprodukte mit neutralem pH sind, wenn möglich, zu bevorzugen!  Abhilfe bei Zahnempfindlichkeiten: Kürzere Behandlungszeiten, Pausen zwischen Behandlungen, niedrigere H₂O₂-Konzentration der Präparate und Anwendung von Desensibilisierungsgel vor und nach dem Bleichen.

4 TAGE (IN) KÖLN

Autorin Prof. Dr. Olga Polydorou Oberärztin, Leiterin des Bereichs Restaurative und Präventive Zahnheilkunde Universitätsklinikum Freiburg Department für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie Hugstetterstraße 55, 79106 Freiburg

Knips Mich! Autoren-Biografie und Literaturliste auf dizapra.de

die gesamte internationale Dental-Branche: Sie

bekannterweise Bewegung im Markt, ein Ansatz-

spiele eine entscheidende Rolle für einen erfolg-

punkt ist der Viskositäts-Switch eines Komposits

reichen Re-Start des Marktes. Derzeit geht man

mit Schallaktivierung oder thermischer Regulie-

von rund 830 ausstellenden Unternehmen aus

rung – fließfähig eingebracht und dann auf Mo-

Aktuelle Trends, neueste Produktinnovationen,

56 Ländern aus, die sich auf die Hallen 2, 3, 10

dellierbarkeit eingestellt. Das betrifft auch die

spannende Vorträge, die Möglichkeit zum fach-

und 11 verteilen. Alle Hallen sind durch einen ein-

Hilfsmittel: Polymerisationslampen, die sicher

lichen Austausch: All das bietet die IDSconnect

fachen Rundlauf miteinander verbunden. Die

polymerisieren und darüber hinaus zur Diagno-

dieses Jahr – ganz egal, wo Sie sich vom 22. bis

vier Eingänge Süd, Ost, West und der Eingang

se-Unterstützung Karies detektieren können. Da

25. September befinden. Auf dieser neuen und

Messeboulevard sorgen für eine gleichmäßige

die Füllungstherapie einen Großteil der täglichen

innovativen Plattform gibt es, wie sonst auf der

Verteilung der Besucher auf die Messehallen.

Arbeit in den Zahnarztpraxen ausmache, entfal-

Messe vor Ort in Köln, vielzählige Bereiche zu ent-

Fachlich erwartet Mark Stephen Pace, Vorstands-

ten selbst kleine Fortschritte in diesem Bereich

decken.

vorsitzender des Verbandes der Deutschen Den-

eine weitreichende Hebelwirkung, so Pace.

Die 39. IDS versteht ihre Aufgabe laut Veranstal-

tal-Industrie e.V., gerade in der Füllungstherapie

Informationen zur IDS unter

ter auch als eine neue Positionsbestimmung für

eine Vielfalt von Produktinnovationen. Hier ist

www.ids-cologne.de

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AKTUELLES

+++ AKTUELLES +++ NEUE GESELLSCHAFT DGPL 32 Prozent aller Zahnärzte in Deutschland haben ein eigenes Praxislabor. Die neu gegründete Deutsche Gesellschaft Praxislaboratorien (wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Martin Rosentritt, Universitätsklinikum Regensburg) versteht sich als Sprachrohr für die Belange der Praxislaboratorien und Plattform für Fortbildungen in diesem Bereich [1].

FLUORID-KONSENS ERREICHT

Kombination mit der Vitamin DGabe fortgesetzt werden oder die Fluoridanwendung durch Zahnpasta mit 1000 ppm Fluorid (bis zu 2-mal täglich, jeweils bis zu 0,125 g, Reiskorngröße) erfolgen; die Vitamin D-Gabe wird bis zum zweiten erlebten Frühsommer weitergeführt. Ab einem Alter von 12 Monaten wird das 2-mal tägliche Zähneputzen mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta (1000 ppm Fluorid) für alle Kinder empfohlen, zunächst mit einer geringen Zahnpastamenge (jeweils bis zu 0,125 g, Reiskorngröße), ab 24 Monaten mit einer größeren Menge (jeweils bis zu 0,25 g, Erbsengröße). Die Handlungsempfehlungen Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter gibt es kostenlos zum Bestellen oder Herunterladen unter www.ble-medienservice.de [2].

UPDATE S3-LEITLINIE Pädiater, Hebammen und Kinderzahnmediziner haben sich auf einen Konsens in den Empfehlungen zur Kariesprävention von Säuglingen und Kleinkindern mit Fluorid geeinigt. Demnach wird bei Säuglingen von der Geburt bis zum Zahndurchbruch die Gabe von 400–500 I.E. Vitamin D und 0,25 mg Fluorid empfohlen. Mit dem Zahndurchbruch wird das Kind an das Zähneputzen herangeführt. Dabei soll entweder die genannte Fluoridanwendung in

Das Update der S3-Leitlinie „Vollkeramische Kronen und Brücken“ ist veröffentlicht. Hier finden Sie Empfehlungen für den erfolgreichen klinischen Einsatz vollkeramischer zahngetragener Restaurationen. Es wurden neue Werkstoffe, erweiterte Indikationen, sowie Patienten und materialspezifische Faktoren berücksichtigt und lokalisationsspezifische Empfehlungen anhand der Ergebnisse von Langzeitstudien formuliert. Die tabellarische Darstellung der Empfehlungen eignet sich gut als Nachschlagewerk [3].

ÄRZTEDICHTE 2020 Im Jahr 2020 waren deutschlandweit rund 372.000 ÄrztInnen behandelnd tätig. Damit kamen 4,5 ÄrztInnen auf je 1.000 EinwohnerInnen. Im Jahr 2019 arbeiteten im deutschen Gesundheitswesen (von Praxen und Krankenhäusern über medizinische Labore und Apotheken) insgesamt 5,7 Millionen Beschäftigte [4].

FASZINATION MUNDFLORA Eine Studie verglich fossilen Zahnbelag von Menschen, Neandertalern und weiteren Primaten: Mithilfe von neuen Analysemethoden gelang es Forschern, das 100.000 Jahre alte orale Mikrobiom eines Neandertalers aus der Pešturina-Höhle in Serbien zu rekonstruieren. Trotz der Unterschiede im oralen Mikrobiom identifizierten die Wissenschaftler zehn zentrale Bakterientypen, die seit über 40 Millionen Jahren zum oralen Mikrobiom der Primaten gehören und die noch immer bei Menschen und ihre engsten Verwandten unter den Primaten vorkommen. Laut der Autoren bieten orale Bakterien „eine überraschende Möglichkeit, die Interaktionen von Menschen und Neandertalern vor ZehntausenKnips Mich! den von Jahren Literaturhinweise zu rekonstruieauf dizapra.de ren“ [5].

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FACHBEITRAG

MUNDÖFFNUNGSEINSCHRÄNKUNGEN

URSACHEN, DIAGNOSTIK UND THERAPIE

Abbildung: Unsplash/Noah Buscher

Mundöffnungseinschränkungen haben verschiedene Ursachen, die über das jeweilige therapeutische Vorgehen entscheiden. Unabhängig davon sind die Folgen einer solchen Einschränkung für alle Patienten unschön. Mit diesen Tabellen haben Sie die Lösung der Probleme immer griffbereit.

E

ine Mundöffnungseinschränkung stellt eine seltene und herausfordernde Symptomatik in der zahnärztlichen Praxis dar, welche die Lebensqualität von Patienten zeitweise oder dauerhaft stark einschränken kann. Diese besondere Form der Funktionsstörung kann zu einer Beeinträchtigung der Kaufunktion führen, die Mundhygiene erschweren und auch zahnärztliche oder operative Eingriffe (z. B. Intubationsnarkosen) behindern.

meiden. Das Messen sollte mithilfe eines handelsüblichen Lineals oder eines eigens dafür konzipierten Messinstruments (CMDmeter; Fa. dentaConcept Verlag GmbH, Hamburg) erfolgen. So können Veränderungen im Therapieverlauf genau erfasst werden. Wer kein Messinstrument hat, kann seine Fingerbreite abmessen und diese (meist zwei bis drei Fingerbreiten) als Referenzwert nehmen.

Definition und Messung

Ursachen für Mundöffnungseinschränkungen lassen sich in mehrere Gruppen unterteilen [3]: 1. Infektionen  Odontogene Infektionen (Pulpitis, akute apikale Parodontitis, Pericoronitis, Alveolitis sicca, Abszess)

Als eingeschränkt gilt eine Mundöffnung bei weniger als 40 mm Schneidekantendistanz (SKD) [1,2]. Bei Patienten mit frontoffenem Biss oder Tiefbiss sollte der Overbite berücksichtigt werden, um einen falsch-positiven Befund zu ver-

Ursachen

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 Non-odontogene

Infektionen (Tonsillitis, Parotiditis, Tetanus, Meningitis [4]) 2. Traumata  Unfallbedingt (Corpusfrakturen, Capitulumfrakturen)  iatrogen (Wundschwellung nach Zahnextraktion, Hämatom in der Kaumuskulatur nach Leitungsanästhesie im Unterkiefer [5,6], Strahlenstomatitis bei Strahlentherapie [7]) 3. CMD  arthrogen (anteriore Diskusverlagerung ohne Reposition, Synovialitis, Arthrose, Kiefergelenksluxation, Fibrose)  myogen (Muskelspasmus, Muskelhartspann) 4. Kieferfehlbildungen  genetisch bedingt (Trismus-Pseudokamptodaktylie-Syndrom [8])  erworben (Coronoid-Hyperplasie [9], kondyläre Hyperplasie, Eagle-Syndrom [10], verlagerter Weisheitszahn) 5. Neurologische Erkrankungen (Multiple Sklerose [11], Epilepsie, Neuroborreliose [12]) 6. Medikamente/Drogen (Succinylcholin [13], Metoclopramid [14], Amphetamin, MDMA [15]) 7. Tumoren (Gelenkneoplasien, Tumoren im Oropharynx, orale submuköse Fibrose [16]) 8. Psychosomatische Erkrankungen (Angststörung, Konversionsstörung)

Diagnostisches Vorgehen

Abbildung: Lukasz Katzer

Zur Erfassung der Ursachen und Einleitung einer geeigneten Therapie ist ein stufenförmiges Vorgehen sinnvoll. Es besteht aus ausführlicher Anamnese, allgemeinzahnärztlicher Untersuchung, klinischer und instrumenteller Funktionsdiagnostik sowie bildgebender Diagnostik. Bei unauffälliger bzw. nicht eindeutiger zahnärztlicher Befundlage sollte ein fachärztliches Konsil erfolgen.

gänzt wird. Bei auffälligen Zahnbefunden sollte ein Zahnfilm angefertigt werden. Odontogene Infektionen wie z. B. eine akute apikale Parodontitis können so als Ursachen ausgeschlossen werden. Funktionsdiagnostik Um abzuklären, ob eine craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) für das Auftreten einer Mundöffnungseinschränkung verantwortlich ist, empfiehlt es sich, ein CMD-Screening durchzuführen. Im deutschsprachigen Raum stehen zwei Screening-Untersuchungen zur Erfassung der CMD zur Verfügung: Der CMD-Kurzbefund nach Ahlers und Jakstat [17] sowie das CMD-Screening der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT). Mit Hilfe dieser Screening-Tests kann entschieden werden, ob eine weiterführende Funktionsdiagnostik zielführend ist. Bei positiver Screening-Untersuchung sollte eine klinische Funktionsdiagnostik bestehend aus einer klinischen Funktionsanalyse und – beim Vorliegen von Schmerzen – zusätzlich einer manuellen Strukturanalyse durchgeführt werden. Hierbei werden Druckdolenzen sowie Belastungsschmerzen im Bereich der Kiefermuskulatur und der Kiefergelenke erfasst, um Muskelverspannungen und mögliche Gelenkentzündungen (Synovialits) zu erkennen. Zudem wird die Beweglichkeit des Kiefers in unterschiedlichen Bewegungsrichtungen millimetergenau aufgezeichnet. Es wird sowohl die aktive als auch passive Mundöffnung untersucht. Passive Erweiterungen von mehr als 4 mm sind Hinweis auf eine Schonhaltung durch Schmerzen. Wichtig ist, dass zudem überprüft wird, ob die Mundöffnung asymmetrisch verläuft, da dies den Hinweis auf die ursächliche Kieferseite liefern kann (Abb. 1).

Anamnese In der Allgemeinanamnese interessieren besonders die Angaben zu Medikamenten/Drogen sowie zu neurologischen oder Tumorerkrankungen. Neurologische Grunderkrankungen wie eine multiple Sklerose oder Tumorerkrankungen können so zu Beginn als Auslöser für die Bewegungseinschränkungen mit einbezogen werden. Neben der Erfassung der Allgemeinanamnese sollte in der speziellen Anamnese die Entstehung der Mundöffnungseinschränkung erfragt werden. Untersuchung Nach der anamnestischen Befragung sollte ein zahnärztlicher Befund erfolgen, der durch ein parodontales Screening (PSI), einen Perkussionstest und eine Kälteprobe er-

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Abbildungen: Lukasz Katzer

FACHBEITRAG

3

2

5a

5b

4

6

9

7

10

8

11 Zudem sollte die Mundöffnungskapazität mit den Protrusion- und Laterotrusionsbewegungen verglichen werden. Eine eingeschränkte Mundöffnung bei physiologischen Lateralbewegungen (>8 mm) macht eine arthrogene Ursache eher unwahrscheinlich. Neben der Kieferbeweglichkeit wird die Okklusion auf Auffälligkeiten in Statik und Dynamik untersucht. Eine einseitige Infraokklusion im Seitenzahnbereich kann beispielsweise Hinweis auf eine Synovialitis im ipsilateralen Gelenk sein.

Bildgebende Diagnostik Neben Einzelzahnfilmen zur Erfassung odontogener Ursachen kann bei unklarer Befundsymptomatik ein OPG als Übersichtsaufnahme erfolgen. Frakturen und Dislokationen können so in der Regel erkannt werden. Auch ungewöhnliche knöcherne Veränderungen wie z.B. ein Osteom (Abb. 2) können so festgestellt werden. Bei unklarem Befund nach zweidimensionaler Röntgendiagnostik kann ein dentales Volumentomogramm (DVT) den Kieferknochen dreidimensional darstellen. Knöcherne Fehlbildungen, wie bei einer Coronoid-Hyperplasie (Abb. 3) oder dem Eagle-Syndrom und auch verlagerte Weisheitszähne (Abb. 4) können so sicher erkannt werden. Als Goldstandard zur genaueren Beurteilung von Kiefergelenken gilt die Magnetresonanztomographie (MRT). Hiermit können sowohl Veränderungen des Weichgewebes (ADV ohne Rep., Abb. 5), das Bestehen von Entzündungserscheinungen (Synovialitis, Abb. 6) als auch knöcherne Veränderungen (Arthrose, Abb. 7) ausgeschlossen werden. Liegt der Verdacht auf ein Hämatom innerhalb der Kiefermuskulatur (Abb. 8) nach Leitungsanästhesie vor, kann ein Weichteil-MRT veranlasst werden.

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Diagnose(n)

Odontogene Infektionen (Pulpitis, akute (apikale) Parodontitis, Pericoronitis, Alveolitis sicca, Abszess)

Anamnese

starke akute Zahn- bzw. Kieferschmerzen attackenförmig oder als Dauerschmerz, Mundöffnungseinschränkung meist Nebenbefund

Untersuchungen

01, PSI, Perkussionstest, Kälteprobe, Zahnfilm, OPG

Befunde

auffällige allgemeinzahnärztliche Befunde (positiver Perkussionstest, erhöhte Sondierungstiefe, Pus, keine oder eine sehr starke Reaktion auf Kälte, radiologisch erkennbare Auffälligkeiten (z.B. koronale/apikale Aufhellung, teilretinierter Weisheitszahn), eingeschränkte Mundöffnung

Therapie

Füllung, Wurzelkanalbehandlung, Parodontalbehandlung, Abszess-Inzision, Extraktion, Antibiose

Prognose

gut

Tabelle 1

Odontogene Infektionen

Diagnose(n)

Alveolitis sicca

Anamnese

komplizierte Zahnextraktion im Molarenbereich, Schwellung und Schmerzen im Bereich der Wunde

Untersuchungen

01, PSI, Zahnfilm oder OPG

Befunde

Schwellung im Bereich der Wunde, Pusaustritt, fehlendes Blutkoagel in der Alveole, eingeschränkte Mundöffnung

Therapie

Kühlung, Antiobiose, Wundspülung und -kürretage, Medikamentenstreifen

Prognose

gut

Tabelle 2

Alveolitis sicca

Diagnose(n)

Muskelhämatom nach Leitungsanästhesie

Anamnese

schleichende Mundöffnungseinschränkung, nach Leitungsanästhesie, schmerzhafte mechanische Blockade, hält mehrere Wochen an

Untersuchungen

01, OPG, CMD-Screening, klinische Funktionsanalyse, manuelle Strukturanalyse, Weichteil-MRT, Kiefergelenks-MRT zum Ausschluss einer arthrogenen Ursache

Befunde

eingeschränkte Kieferöffnung, starker Palpationsschmerz im Bereich der Einstichstelle, häufig physiologische Laterotrusion und Protrusion

Therapie

Manualtherapie, Dehn- und Spatelübungen, Therabite, chirurgische Intervention bei Ausbleiben einer Beschwerdebesserung

Prognose

gut

Tabelle 3

Muskelhämatom nach Leitungsanästhesie

Fachärztliches Konsil Konnte die Ursache für die Bewegungseinschränkung im Rahmen des oben genannten zahnärztlichen Vorgehens nicht festgestellt werden oder ist durch die Untersuchungsschritte ersichtlich, dass die Ursache außerhalb der zahnärztlichen Zuständigkeiten liegt, empfehlen sich je nach Symptomatik

konsiliarische Untersuchungen bei Fachärzten für Neurologie, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde sowie innere Medizin und Psychiatrie. Dies gilt bei Verdacht auf non-odontogene Infektionen, unfallbedingte Kieferfrakturen, Kieferfehlbildungen, neurologische Erkrankungen, Tumoren und psychosomatische Erkrankungen. Die zahnärztliche Praxis | 7/8 -2021 33

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FACHBEITRAG

Diagnose(n)

verlagerte Weisheitszähne

Anamnese

schleichende Mundöffnungseinschränkung, mechanische Blockade, selten Schmerzen

Untersuchungen

01, OPG, DVT

Befunde

verlagerte Weisheitszähne im OPG bzw. DVT

Therapie

Extraktion der Weisheitszähne

Prognose

gut

Tabelle 4

Verlagerte Weisheitszähne

Diagnose(n)

Coronoid-Hyperplasie

Anamnese

schleichende Einschränkung, entsteht häufig in der Pubertät

Untersuchungen

01, OPG, CMD-Screening, klinische Funktionsanalyse, manuelle Strukturanalyse, DVT, Kiefergelenks-MRT zum Ausschluss einer arthrogenen Ursache

Befunde

einseitig oder beidseitig deutlich verlängerte Procc. coronoidei, keine Schmerzen, häufig SKD < 30 mm, unauffällige Kiefergelenke

Therapie

Coronoidektomie oder Coronoidotomie und intensive Physiotherapie über 12 Monate

Prognose

mäßig

Tabelle 5

Coronoid-Hyperplasie

Diagnose(n)

anteriore Diskusverlagerung ohne Reposition

Anamnese

plötzliches Auftreten der Bewegungseinschränkung, Unfall, vorheriges Kiefergelenksknacken, Gelenkschmerzen bei Öffnung, mechanische Blockade, Schmerzen beim Kauen

Untersuchungen

01, CMD-Screening, klinische Funktionsanalyse, manuelle Strukturanalyse, instrumentelle Bewegungsaufzeichnung, Kiefergelenks-MRT

Befunde

SKD ca. 25-35 mm, Deflektion des Unterkiefers zur ipsilateralen Seite bei Öffnung, Gelenkschmerzen bei aktiver Öffnung und in Isometrie, anteriore Diskusvorverlagerung im MRT

Therapie

Funktionstherapie mit adjustierter Okklusionsschiene, Manualtherapie, Dehn- und Spatelübungen, Therabite, Arthroskopie bei ausbleibendem Therapieerfolg nach mehreren Monaten

Prognose

mäßig

Tabelle 6

Anteriore Diskusverlagerung ohne Reposition

Therapie Die Behandlung von Mundöffnungseinschränkungen erfolgt ursachenbezogen. Bei odontogenen Infektionen reicht eine klassische zahnärztliche Behandlung der betroffenen Zähne als alleinige Maßnahme in der Regel aus (Tab. 1 und 2). Bei Hämatomen nach zahnärztlicher Leitungsanästhesie sollte eine regelmäßige Physiotherapie mit Dehn- und Spatelübungen (Abb. 9) durchgeführt werden. Es können wei-

tere Hilfsmittel wie z. B. die Pat-Bite-Device [18] (Abb. 10) oder ein TheraBite (Fa. Atosmedical, Malmö) eingesetzt werden (Tab. 3). Sind verlagerte Weisheitszähne ursächlich für eine mechanische Blockade, führt eine Extraktion zu einer Wiederherstellung einer physiologischen Mundöffnung (Tab. 4). Die operative Entfernung bei eingeschränkter Mundöffnung ist deutlich erschwert.

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Diagnose(n)

Synovialitis

Anamnese

plötzliches Auftreten der Bewegungseinschränkung, Unfall, vorheriges Kiefergelenksknacken, Gelenkschmerzen bei Öffnung, mechanische Blockade, Schmerzen beim Kauen

Untersuchungen

01, CMD-Screening, klinische Funktionsanalyse, manuelle Strukturanalyse, instrumentelle Bewegungsaufzeichnung, Kiefergelenks-MRT

Befunde

Gelenkschmerzen bei aktiver Öffnung, in Isometrie und bei diagnostischer Kompression, Schonhaltung (passive Mundöffnung > 4mm größer als aktiv)

Therapie

Schonen, Funktionstherapie mit adjustierter Okklusionsschiene, NSAR hochdosiert über mehrere Wochen, Arthrozentese

Prognose

gut

Tabelle 7

Synovialitis

Diagnose(n)

aktive oder inaktive Arthrose

Anamnese

Krepitationsgeräusche in den Kiefergelenken, mechanische Blockade, Schmerzen beim Kauen

Untersuchungen

01, CMD-Screening, klinische Funktionsanalyse, manuelle Strukturanalyse, instrumentelle Bewegungsaufzeichnung, Kiefergelenks-MRT

Befunde

Krepitationsgeräusche in den Kiefergelenken, SKD ca. 25-35 mm, Deflektion des Unterkiefers zur ipsilateralen Seite bei Öffnung, Gelenkschmerzen bei aktiver Öffnung und in Isometrie, sehr gerade Bewegungsbahn, Arthrose im OPG und im MRT erkennbar

Therapie

Funktionstherapie mit adjustierter Okklusionsschiene, Manualtherapie, Dehn- und Spatelübungen, Therabite, Arthrozentese oder Arthroskopie bei ausbleibendem Therapieerfolg nach mehreren Monaten

Prognose

mäßig

Tabelle 8

Aktive oder inaktive Arthrose

Diagnose(n)

Kiefergelenksluxation

Anamnese

generell erhöhte Beweglichkeit der Körpergelenke, Kiefergelenk ist ausgehakt, der Kieferschluss war nicht mehr möglich, Gelenkschmerzen

Untersuchungen

01, klinische Funktionsanalyse, OPG, manuelle Strukturanalyse, instrumentelle Bewegungsaufzeichnung, Kiefergelenks-MRT

Befunde

Schonhaltung (passive Mundöffnung deutlich größer als aktiv), steiles Tuberculum articulare im OPG oder MRT, Palpationsschmerz Gelenk, lange Bewegungsbahnen

Therapie

Physiotherapeutische Übungen, Osteotomie des Tuberculum articulare

Prognose

gut

Tabelle 9

Kiefergelenksluxation

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FACHBEITRAG

Diagnose(n)

Myogelose oder Muskelspasmus

Anamnese

starke Verspannungen oder Schmerzen der Kiefermuskulatur, keine Gelenkgeräusche, Bewegungseinschränkung stressabhängig

Untersuchungen

01, klinische Funktionsanalyse, OPG, manuelle Strukturanalyse, Kiefergelenks-MRT

Befunde

starke Druckdolenz der Kiefermuskulatur, Muskelhypertrophie der Kieferschließer, unauffällige Kiefergelenke

Therapie

Funktionstherapie mit adjustierter Okklusionsschiene, Manualtherapie, Dehn- und Spatelübungen, Therabite, Verhaltenstherapie, Biofeedbackschiene, Botox

Prognose

gut

Tabelle 10

Myogelose oder Muskelspasmus

Ist in der bildgebenden Diagnostik eine Kieferfehlbildung erkennbar, kann eine chirurgische Intervention erfolgen (Tab. 5). Im Falle einer Coronoid-Hyperplasie gilt zu bedenken, dass über 12 Monate eine physiotherapeutische Behandlung erfolgen sollte, um eine postoperative Fibrose des operierten Gewebes zu vermeiden. Eine physiologische Mundöffnung ist durch die Operation häufig nicht zu erreichen und ein Teil der Patienten entwickelt eine Okklusionsstörung. Daher sollte ein operatives Eingreifen genau abgewogen werden. Für die Behandlung von Patienten mit craniomandibulären Dysfunktionen eignet sich bei mechanischer Blockade durch ADV ohne Rep. zunächst ein konservativer Behandlungsansatz, bestehend aus einer Funktionstherapie mit adjustierter Okklusionsschiene sowie einer manualtherapeutischen Behandlung (Tab. 6). In der Manualtherapie sollte eine Mobilisierung des Kondylus durch Traktionsund Translationsbewegungen erfolgen. In neun Prozent der Fälle ist eine Reposition möglich [19]. Die oben genannten Hilfsmittel können zusätzlich eingesetzt werden. Beim Vorliegen einer Synovialitis sollte der Kiefer geschont werden (Tab. 7). Zudem sollte bei ausbleibender Remission eine Funktionstherapie mit adjustierter Okklusionsschiene erfolgen. Die Regeneration des Gewebes kann medikamentös mit mehrwöchiger hochdosierter Gabe von NSAR unterstützt werden. Alternativ kann das Gelenk im Sinne einer Arthrozentese gespült werden. Arthrotische Gelenke sollten ebenfalls zunächst konservativ mit adjustierter Okklusionsschiene sowie unter physiotherapeutischer Begleitung behandelt werden (Tab. 8). Bei Ausbleiben einer Beschwerdelinderung innerhalb mehre-

rer Monate oder einer Verschlechterung der Symptomatik kann hier eine Arthroskopie erfolgen. Patienten mit Mundöffnungseinschränkungen nach Kondylusluxation weisen häufig aus Angst eine Schonhaltung zur Vermeidung einer erneuten Luxation auf (Tab. 9). Hier kann physiotherapeutisch eine Mundöffnung eingeübt werden, bei welcher eine potenzielle Luxation ausbleibt. Alternativ kann eine Osteotomie des Tuberculum articulare durchgeführt werden, um durch Veränderung der knöchernen Form ein besseres Zurückgleiten des Kondylus zu ermöglichen. Bei massiver oder krampfartiger Verspannung (Myogelose oder Muskelspasmus) der kieferschließenden Muskulatur (z. B. durch ausgeprägten Wach- und Schlafbruxismus) sollten muskeldetonisierende Maßnahmen erfolgen (Tab. 10). Dies kann eine Manualtherapie, Funktionstherapie mit adjustierter Schiene oder Biofeedbackschiene (Bruxane personal, Fa. Bruxane GmbH, Marburg; Abb. 11) sowie verhaltenstherapeutische Maßnahmen umfassen. Auch Spatel- und Dehnübungen sowie der Einsatz von Therabite kann sinnvoll sein. Zudem sind Botox-Injektionen als Offlabel-Behandlung möglich. 

Autor Dr. Lukasz Katzer CMD-Centrum HamburgEppendorf Falkenried 88 (CiM, Haus C) 20251 Hamburg

Knips Mich! Autoren-Biografie und Literaturliste auf dizapra.de

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FACHBEITRAG

FAZIALISPARESE –

WAS IST WICHTIG IN DER PRAXIS ? Wenn die Mimik „verrutscht“, ist umsichtiges und schnelles Handeln erforderlich. Dann ist die Prognose gut. Hier erhalten Sie eine Anleitung.

1

E

Typische Zeichen einer Fazialisparese. Hängender Mundwinkel, verstrichene Nasolabialfalte, Lidschluss nicht möglich.

ine Fazialisparese bezeichnet den Ausfall des siebten Hirnnerven und ist die häufigste Hirnnervenläsion. Mit weitreichenden Folgen: hängende Mundwinkel, fehlender Lidschluss, ausbleibende Tränen- und Speichelproduktion sowie der Ausfall des Geschmacksinns kennzeichnen das häufig idiopathisch auftretende Krankheitsbild (Abb. 1). Es existieren jedoch auch entzündliche, metabolische, traumatische oder tumoröse Formen. Essenziell für die Behandlung und den Verlauf ist die Abgrenzung von zentraler und peripherer Parese, die klinisch meist gut gelingt. Wichtig für die zahnärztliche Praxis sind iatrogene, meist selbstlimitierende Fazialisaparesen, Hyposalivation als Konsultationsgrund und eingeschränkte Motorik bei chronischen Lähmungen der Gesichtsnerven. Doch auch akute Paresen müssen zuweilen in der Praxis erkannt und die richtigen Schritte eingeleitet werden.

Mit Dank an PD Dr. Kehrer, Abt. für Plastische, Handund Wiederherstellungschirurgie, Ingolstadt [1]

Anatomie und Verlauf des N. facialis Der N. facialis ist der siebte der zwölf Hirnnerven und entspringt in der Brücke (Pons) des Hirnstammes, wo er sich aus drei Hirnnervenkernen zusammensetzt. Hier entspringen die motorischen Fasern für die mimische Muskulatur und für Teile der Mundbodenmuskulatur sowie für die Schallweiterleitung über den M. stapedius. Außerdem leitet er parasympathische Fasern für den Geschmack und die Funktion der Speicheldrüsen (außer Parotis), ferner sensible Fasern für die äußere Haut des Gehörganges. Nach dem Ursprung verlässt der N. facialis den Hirnstamm und gibt im Canalis nervi facialis die Chorda tympani für die Geschmackswahrnehmung und die Speicheldrüsen ab, den N. stapedius für die Schallweiterleitung, sowie den N. petrosus major für die Tränendrüsen. Den Schädelknochen verlässt er über das Foramen stylomastoideum, anschließend verzweigt er sich in seine einzelnen Fasern für die Innervation der 21 paarig angelegten Gesichtsmuskeln (Abb. 2).

2

Anatomie des Fazialisnerven (Wort und Bild Verlag, Dr. Ulrike Möhle)

Einteilung der Fazialisparese Zentral und peripher Die Abgrenzung einer zentralen von einer peripheren Fazialisparese ist essenziell, denn eine neu aufgetretene zentrale Parese erfordert eine sofortige Einweisung auf

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FACHBEITRAG

eine „Stroke Unit“ (Schlaganfallabteilung) zum Ausschluss einer zerebralen Ischämie oder einer intrazerebralen Blutung (Tab. 1). Bei der zentralen Form ist die Stirn nicht betroffen, da die Innervation der Stirnmuskulatur durch Nervenfasern aus beiden Hirnhemisphären geschieht, so dass ein Ausfall auf einer Seite kompensiert werden kann. Die Parese tritt dann auf der kontralateralen Seite der Hirnschädigung auf (Abb. 3). Wird der Nerv in seinem extrakranialen Verlauf geschädigt, spricht man von einer peripheren Fazialisparese. Sie betrifft ipsilateral die mimische Muskulatur inklusive der Stirnäste, sowie je nach Lokalisation des Ausfalls auch die Speichel- und Tränendrüsen und die Geschmacksnerven (vordere Zweidrittel der Zunge) [2]. Symptomatisch und idiopathisch: Gullian-Barré-Syndrom Grundsätzlich kann die Fazialisparese in eine symptomatische und eine idiopathische Form eingeteilt werden, wobei etwa 60–75 Prozent den idiopathischen Paresen (Bell-Lähmung) zuzuordnen sind. Die idiopathische Fazialisparese ist immer eine Ausschlussdiagnose und sollte nur nach ausführlicher Diagnostik gestellt werden. Ätiologisch nimmt man eine Reaktivierung einer Herpes simplex-Virusinfektion an. Daneben existieren zahlreiche weitere Ursachen, die entzündlicher, metabolischer, neoplastischer oder traumatischer Genese sein können. Im zahnmedizinischen Bereich muss auch eine traumatische Lähmung nach Leitungsanästhesie des N. alveolaris inf. gedacht werden, wenn die Nadel zu weit nach dorsal geführt wurde und das Anästhetikum in den retromandibulären Raum gelangt. Die Form der Fazialisparese ist meist reversibel, sobald die Wirkung des Lokalanästhetikums nachlässt. Zu den spezifischen Auslösern zählen am häufigsten die Neuroborreliose, insbesondere bei beidseitigem Auftreten [3], und der Zoster oticus (Ramsay-Hunt-Syndrom). Darüber hinaus können auch andere Viren wie HIV, Mumps oder CMV die Erkrankung verursachen. Seltene Auslöser sind die Sarkoidose, das SjögrenSyndrom, das Gullian-Barré-Syndrom und die Orofaziale Granulomatose (Melkersson-Rosenthal-Syndrom). An das letztgenannte sollte man bei wiederholt auftretenden nipsilateralen Fazialisparesen oder bei wechselnder Lokalisation der Lähmung denken. Typisch beim Mel

Periphere Fazialisparese

Zentrale Fazialisparese

Anamnese

jedes Alter, Entwicklung innerhalb von 1–2 Tagen

ältere Patienten, akutes Geschehen

Gesicht in Ruhe

oft unauffällig, seltener unauffällig Lidschlag, schlaffe Lähmung der Gesichtshälfte

Mimische Muskulatur

Lidschluss unvollständig, Stirnast betroffen

Stirnast nicht/kaum betroffen, Bulbus bei Lidschluss bedeckt

Sonstige Befunde

Geschmackssinn vordere zwei Drittel der Zunge aufgehoben, verminderte Tränenund Speichelsekretion

ggf. zusätzliche neurologische Befunde, Hemiparese, Zungenparese

Tabelle 1 Unterscheidung zentrale und periphere Gesichtslähmung

3

Links.: Periphere Fazialisparese. Eine gesamte Gesichtshälfte ist betroffen. Rechts: Zentrale Fazialisparese. Die Stirn bleibt von der Lähmung ausgespart. (Wort und Bild Verlag, Wladimir Szczsny)

kersson-Rosenthal-Syndrom ist in der Regel auch eine Lingua plicata (Landkartenzunge), die aber auch fehlen oder wenig ausgeprägt sein kann. Raumfordernde kraniale Prozesse wie Meningeome des Felsenbeins, Akustikusneurinome, Parotistumoren oder Karzinominfiltrationen sind eher seltener. Das Risiko für die Entwicklung einer Fazialisparese ist bei Diabetes mellitus erhöht, die Datenlage zu ihrem Auftreten in der Schwangerschaft inkonsistent. Einige Daten zeigen eine um den Faktor 2,6 erhöhte Wahrscheinlichkeit [4], andere Studien fanden kein höheres Risiko [5-7].

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Clinical Pathway – Periphere Fazialisparese Spezielle Untersuchung: ▶ Geschmackstest ▶ Hyperakusis ▶ Schwellung von Zunge/ Lippen (MelkerssonRosenthal-Syndrom)? ▶ Zoster-Effloreszenzen im Gehörgang? ▶ Parotisschwellung? Frage/Suche nach Grunderkrankung: ▶ Diabetes mellitus ▶ Borreliose ▶ Herpes zoster, Herpes simplex ▶ Maligne Erkrankung Zusatzdiagnostik: Magnetisch evozierte Potenziale (1. oder 2. Tag) ▶ Borrelien-Serologie ▶ Liquordiagnostik bei Kindern und V. a. nicht-idiopathische Genese

▶ Prednisolon 2 x 25 mg/d

Hinweise auf idiopathische Fazialisparese Ο Geschmackstörung Ο Hyperakusis Ο Minderung der Tränensekretion Ο MEP: kanalikuläre Läsion

Hinweise Zoster oticus: Ο Bläschen im Gehörgang Ο Neuropathische Schmerzen Ο MEP: kanalikuläre Läsion

für 10 Tage ▶ Prednisolon 60 mg/d für 5 Tage und dann Reduktion um 10 mg/d ▶ Fazialis-Übungen ▶ (virustatische Therapie mit geringem Zusatznutzen) ▶ VZV-Serologie

(Cave: Zoster sine herpete nicht selten)

▶ Aciclovir 3 x 5–10 mg/kg KG i.v. oder 5 x 800 mg für 7 Tage oder ▶ Valaciclovir 3 x 1000 mg p.o. für 7 Tage oder ▶ Brivudin 1 x 125 mg p.o. für 7 Tage oder ▶ Famciclovir 3 x 250–500 mg p.o. für 7 Tage plus ▶ Prednisolon/Methylprednisolon 1 mg/kg (optional) ▶ Therapiebeginn vor Vorliegen der Serologie!

Hinweise auf radikuläre Läsion: Ο Bilaterale Fazialisparese Ο MEP: subklinische Beteiligung Ο der Gegenseite Ο MEP: präkanalikuläre Läsion Ο andere Hirnnervenausfälle

Hinweise tumoröse Ursache: Ο langsame Progredienz Ο anhaltende Schmerzen Ο Hörstörungen

▶ AEHP (Verlänge-

Hinweise zentrale Ursachen: Ο weitere Ausfälle Ο vaskuläre Risikofaktoren

4

Hinweise auf Parese distal des Foramen stylomastoideum Ο Ausfall einzelner Muskelgruppen

toidale Fazialisreizung nach 10–14 Tagen zur Abschätzung der Prognose: MAP-Minderung um < 80–90 % = günstige Prognose

Zoster oticus

Basistherapie: ▶ Korneaschutz (Uhrglas verband, Augensalbe [Dexpanthenol] oder künstliche Tränenflüssigkeit

▶ elektrische mas-

Liquordiagnostik incl. Zytologie Borrelienserologie in Serum und Liquor

rung der Interpeaklatenz I–II bzw. I-III) MRT mit KM

▶ zerebrale Bild-

gebung (z.B. DWIMRT) ▶ Hirnstammreflexe ▶ ENG ▶ Doppler-Sonographie

▶ antivirale Therapie:

Mögliche Ursachen

▶ Borreliose, seltene Erreger (CMV, EBV,

Rickettsien u.a.)

▶ Polyneuritis cranialis

Symptomatische Therapie: ▶ Hornhautprotektion: ▶ Uhrglasverband

oder Frisén-Klappe

▶ Tränenersatzmittel

oder Augensalbe ▶ Physiotherapie ▶ Schmerztherapie: Ibuprofen oder Paracetamol Möglichkeiten bei inkompletter Rückbildung:

▶ Fisher-Syndrom

▶ externe Applikation

▶ Basale Meningitis

▶ Implantation von

▶ Meningeosis carzinomatosa

Mögliche Ursachen

▶ Vestibularis-Schwannom ▶ Felsenbein-Meningeom

▶ Tumoren der Schädelbasis

Mögliche Ursachen ▶ Hirnstammischämie ▶ andere Hirnstammprozesse

von Bleigewichten

Gold- oder Platingewichten ins Oberlid ▶ Lidraffung bei Ektropium ▶ Botulinum-Toxin bei störenden Synkinesien ▶ mikrochirurgische Maßnahmen

Mögliche Ursachen

▶ HNO-Konsil

▶ Parotistumor

Überblick zur Diagnostik. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie (AWMF- Registernummer: 030/013)

Akut und chronisch Die idiopathische Fazialisparese tritt meist akut innerhalb weniger Stunden und häufig über Nacht auf. Die Regeneration erfolgt in der Regel innerhalb von drei Wochen, kann jedoch auch bis zu sechs Monaten andauern. Von einer chronischen Fazialisparese spricht man, wenn die Lähmungen und Ausfallerscheinungen über eine Dauer von neun Monaten andauern.

Diagnostik Neben einer sorgfältigen Anamnese muss eine ausführliche klinisch-neurologische Untersuchung durchgeführt werden, um einerseits den Schweregrad der Erkrankung beurteilen zu können, und andererseits die Einteilung in eine zentrale oder eine periphere Fazialisparese zu treffen. Dies

ist die Grundlage für die weitere Diagnostik. Ein Schaubild aus der AWMF-Leitlinie gibt einen guten Überblick zur Diagnostik bei peripherer Fazialisparese (Abb. 4). Mimische Muskulatur Das auffälligste Merkmal der Fazialisparese ist die Lähmung der mimischen Muskulatur von Augen, Nase, Mund und – bei einer peripheren Fazialisparese – auch der Stirn. Meist fallen schon auf den ersten Blick der hängende Mundwinkel und eine verstrichene Nasolabialfalte auf. Die klinische Untersuchung bestätigt schnell den Verdacht, denn den Patienten ist es nicht möglich, zu pfeifen, die Wangen aufzupusten oder die Zähne zu zeigen. Auch das Platysma im Halsbereich ist betroffen und hängt schlaff herab.

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FACHBEITRAG

Bei einer zentralen Fazialisparese wird die Muskulatur im Bereich der Stirn aus dem nicht betroffenen Hirnnervenkern kreuzinnerviert. Ein Patient, der beim Grimassieren die Stirn runzeln kann, leidet folglich unter einer zentralen Fazialisparese. Da die sensible Innervation des Gesichts durch den N. trigeminus erfolgt, ist sie bei einem Ausfall des N. facialis nicht betroffen. Auch Schmerzen kommen nicht vor, gleichwohl Patienten von Missempfindungen durch den Tonusverlust im Bereich der gelähmten Muskulatur berichten. Auge Der Lidschluss ist unvollständig (Lagophtalmus) und kann durch parallel verminderte Tränensekretion (N. petrosus major) zu Hornhautulzerationen führen. Gleichzeitig bedingt das schlaffe Herabhängen des Unterlids (Ektropium) ein kontinuierliches Tränenlaufen (Epiphora), wenn die Tränen sich im herabhängenden Lid sammeln und einen sogenannten Tränensee bilden, sodass Patienten über ein gestörtes Sehen berichten. Insbesondere bei chronischer Fazialisparese führt das Ektropium trotz Epiphora zu einem dauerhaft trockenen Auge und zu Keratokonjunktivitiden. Ohr Essenziell bei der klinischen Untersuchung ist die Otoskopie, da ein Herpes zoster oticus sich manchmal auch nur im Gehörgang verbirgt. Er kann aber gelegentlich auch gänzlich ohne Bläschen auftreten (Zoster sine herpete). Deshalb stellt ein otoskopisch unauffälliger Gehörgang noch kein Ausschlusskriterium dar. Schmerzen treten auch ohne die typischen Hautveränderungen auf und sollten Anlass zur weiteren Labordiagnostik sein. Ein Ausfall des M. stapedius geht mit einer Hyperakusis für niedrige Frequenzen einher. Patienten berichten (häufig auf Nachfrage), sie würden auf der betroffenen Seite lauter hören. Zunge Eine Geschmacksstörung wird durch den Ausfall der Chorda tympani und damit der Geschmacksnerven der vorderen zwei Drittel der Zunge verursacht und wird von Patienten als unangenehme Missempfindung beim Essen beschrieben. Eine Hyposalivation mit konsekutiver Xerostomie kann ebenfalls auftreten und schränkt die Lebensqualität der Patienten erheblich ein. Die Zunge wird motorisch durch den N. hypoglossus innerviert, kann aber bei zentralen Lähmungen mitbetroffen sein und auf die ipsilaterale Seite abweichen.

Skalen, Untersuchung Zur Abschätzung des Ausmaßes der Lähmungen existieren verschiedene Skalen. Die House-BrackmannSkala [8] teilt die Lähmung in folgende Schweregrade ein (Tab. 1): Grad I

Normale Fazialisfunktion

Grad II und III

Leichte und nicht entstellende Fazialisparese

Grad IV

Inkompletter Lidschluss

Grad V

Zusätzlich kaum eine Mundwinkelbewegung möglich

Grad VI

Komplette Lähmung

Tab. 1

House-Brackmann-Skala

Ferner gibt es das Sunnybrook Facial Gradient System [9], bei dem nach einem bestimmten Schema der Grad des Muskelbewegungsumfanges, unwillkürliche Muskelkontraktionen, die Symmetrie des Gesichts untersucht und in einem Punktesystem bewertet werden (Abb. 5). Standardisierte Foto- oder Videodokumentationen eignen sich generell zur Verlaufskontrolle. Ferner haben sich gerade im chirurgischen Bereich Scores etabliert, die eine Verlaufskontrolle nach Operation zulassen: Das sind insbesondere Ultraschallkontrollen [10] und der Stennert-Index [11]. Labor Die periphere Fazialisparese stellt eine Ausschlussdiagnose dar, sodass grundsätzlich nach Allgemeinerkrankungen gesucht werden sollte. Diabetiker sind häufiger betroffen, ebenso kann sich in seltenen Fällen auch eine Tumorerkrankung hinter der Lähmung verbergen. Eine allgemeine laborchemische Untersuchung mit Entzündungswerten, Differentialblutbild und Serologie (VZV, Borrelien) ist Basis der Diagnostik. Die BorrelienSerologie ist besonders bei Kindern erforderlich, da Zeckenstiche zum einen häufig unbemerkt bleiben und zum anderen die periphere Fazialisparese bei Kindern das einzige Symptom einer Neuroborreliose sein kann. Eine Liquorpunktion (LP) ist nicht grundsätzlich empfohlen und wird kontrovers diskutiert. Da der Liquor in 80–90 Prozent der Untersuchungen einen Normalbefund ergibt, kann sie als invasive Maßnahme nicht uneingeschränkt empfohlen werden. Umgekehrt zeigt sich aber,

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Sunnybrook Facial Grading System Synkinesis

Degree of muscle exCuRSion compared to normal side

Rate the degree of inVoluntaRy MuSCle ContRaCtion associated with each expression

Mouth normal corner dropped corner pulled up/out

total Resting symmetry score

total X 5

0 1 1

Forehead Wrinkle (FRO)

1

2

3

4

5

Gentle eye closure (OCS)

1

2

3

4

5

Open mouth smile (ZYG/RIS)

1

2

3

4

5

Snarl (LLA/LLS)

1

2

3

4

5

Lip Pucker (OOS/OOl)

1

2

3

4

5

Voluntary movement score:

Patient’s name Dx

Vol mov’t score

Date

5

-

Resting symmetry score

total

total X 4

-

Synk score

❑ ❑ ❑ ❑ ❑

: Ne

Standard Expressions

No

0 2 1 1

M mm ild etr y Nor Sym mal me tr y

Cheek (naso-lablal fild) normal absent less pronounced more pronounced

Asy

0 1 1 1

Asy Gross mm etr y S Asy evere mm etr y Mo d e Asy rate mm etr y

Eye (choose one only) normal narrow wide eyelid surgery

No sy ma nkine ss mo sis or Mi vem ld ent : Slig ht s ynk Mo ine de sis ra te : O dis bviou figu Se ring s but n ve re syn ot : kin Dis esi s Gro figuri ng ss of s ma synk eve ss m ine ral s mu ovem is/ e scl es nt

Symmetry of Voluntary Movement

Una b mo le to vem init ent iate /no Init mo iate vem ss mo ent l vem igh ent t Init ia exc ted m urs o ion veme nt w Mo ith ve mil com ment d ple alm te ost Mo vem ent com ple te

Resting Symmetry Compared to normal side

0

1

2

3

0

1

2

3

0

1

2

3

0

1

2

3

0

1

2

3

❑ ❑

Synkinesis score:

=

total

❑ ❑ ❑ ❑ ❑

Composite score Ross, Fradet, Nedzelski 1992

Sunnybrook Facial Grading Score.

Ross, Fradet, Nedzelski 1992

Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dr. Kehrer, fazialis.de, Klinikum Ingolstadt

dass 10–20 Prozent der ursprünglich als idiopathisch deklarierten Fazialisparesen doch eine symptomatische Form zugrunde liegt. Auch geplante Therapiestudien mussten im Nachgang 8–11 Prozent ihres Kollektivs ausschließen, da durch die LP eine symptomatische Fazialisparese diagnostiziert und die ursprüngliche Diagnose einer idiopathischen Lähmung revidiert werden musste [12]. Um größtmögliche diagnostische Sicherheit zu erhalten, ist eine Lumbalpunktion empfohlen; dennoch müssen die Risiken sorgfältig in Betracht gezogen werden. Aus hausärztlicher Sicht ist die LP den unklaren Fällen vorbehalten, da gerade in ländlichen Regionen der Hausarzt der erste Ansprechpartner ist und die Behandlung im ambulanten Setting auch durchführbar sein muss [13].

Apparative Diagnostik Die Bildgebung und elektrophysiologische Untersuchungen bringen Klarheit darüber, ob eine zentrale oder eine periphere Parese vorliegt. Die MRT dient dabei insbesondere zum Ausschluss einer Hirnstammläsion [2]. Eine Computertomographie des Schädels (cCT) ist bei Verdacht auf eine traumatische Genese der Fazialisparese, (z. B. Felsenbeinfraktur) indiziert. Mit Hilfe der transkraniellen Magnetstimulation ist eine Lokalisation der axonalen Schädigung möglich: Kann in der Frühphase der Erkrankung (Tag 1–3) eine kanalikuläre Unerregbarkeit gezeigt werden, ist die extrazerebrale Genese belegt, wobei diese Untersuchung keine Unterscheidung von idiopathischer und nicht-idiopathischer Genese zulässt. Kann die Kontinuität des N. facialis durch die Elektroneurographie (ENG) und die Elektromyographie (EMG)

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FACHBEITRAG

bestätigt werden, ist dies ein Marker für die Prognose der Erkrankung. Finden sich pathologische Spontanaktivitäten im EMG, so ist die Wahrscheinlichkeit für eine Defektheilung erhöht – die ENG und die EMG dienen somit zur Prognosebeurteilung der Gesichtslähmung. In der klinischen Routine haben Untersuchungen der Tränendrüsenfunktion mittels Schirmer-Test, die Gustometrie (Geschmack der vorderen zwei Drittel der Zunge) sowie die Sialometrie einen untergeordneten Stellenwert.

Therapie Bei symptomatischen Formen wird die Therapie entsprechend der zugrunde liegenden Ätiologie eingeleitet [2]. Eine idiopathische Fazialisparese wird mit Steroiden behandelt, therapeutisch zählt insbesondere der rasche Start der Steroidgabe innerhalb von 72 Stunden nach Diagnosestellung. Zwei verschiedene Schemata haben sich dabei bewährt: m Sullivan-Schema: 2 × 25 mg Prednisolon für 10 Tage m einmal tägliche Gabe von Prednisolon für 5 Tage, beginnend mit 60 mg und täglicher Reduktion um 10 mg. Die morgendliche Gabe ist aufgrund der geringeren Suppression der adrenergen Achse zu bevorzugen. Trotz vermuteter HSV-Reaktivierung wurde ein Wirksamkeitsnachweis für Virustatika in Kombination mit Steroiden bisher nicht erbracht [12]. Im allgemeinmedizinischen Setting kann die Gabe von Virustatika mit den Patienten besprochen und ein sog. „Shared decision making“ angewandt werden, bei dem Arzt und Patient gemeinsam den weiteren Therapieplan festlegen. Bei einer nachgewiesenen Zosterinfektion ist aber eine antivirale Therapie unumgänglich und erfolgt mit Aciclovir (3 × tgl. i.v. 5–10mg/kg KG oder 5 × tgl. p.o. 800 mg), Valaciclovir (3 × tgl. p.o. 1000 mg), Brivudin (1 × tgl. p.o. 125 mg) oder Famciclovir (3 × tgl. p.o. 250–500 mg). Eine Borreliose sollte eine antibiotische Therapie mit Doxycyclin oral 200 mg für 14 Tage nach sich ziehen. Die orale Therapie genügt in der Regel; die i.v. Therapie mit Ceftriaxoin wird üblicherweise im stationären Setting durchgeführt. Die symptomatische Behandlung zur Vermeidung von Hornhautulzerationen und Keratokonjunktivitiden erfolgt durch nächtliche Uhrglasverbände und DexpanthenolAugensalben sowie mit künstlichen Tränen im Tagesverlauf. Metaanalysen, welche den Nutzen der Akupunktur in der Behandlung der Fazialisparese untersuchten, konnten

keine Schlussfolgerung über den Erfolg der Behandlungsmethode ziehen [14]. Physikalische Therapien haben in Studien keinen Nachweis für die Überlegenheit einer der Behandlungsformen Elektrotherapie, Übungsbehandlung und Kombination aus beiden genannten erbracht [12]. Der psychologische Effekt für die Patienten, sich selbst an der Verbesserung seiner Erkrankung zu beteiligen, darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Durch eine frühzeitige chirurgische Nervenrekonstruktion kann die originäre Gesichtsmuskulatur weitestgehend gerettet werden. Es gilt das Prinzip „time is muscle“, um die mimische Muskulatur zu erhalten, die sich nach spätestens 18 Monaten in Fettgewebe umwandelt. Später kann man durch die freie Muskelverpflanzung auch gute Ergebnisse erzielen und die Lebensqualität erhöhen. Die chirurgischen Möglichkeiten sind bisher wenig bekannt [15].

Prognose Die Prognose der idiopathischen Fazialisparese ist insgesamt gut. Bei 85 Prozent der Patienten kommt es innerhalb von drei Wochen zu einem vollständigen Rückgang der Symptome, bei 10 Prozent zu einer teilweisen Rückbildung innerhalb von 3–6 (max. 9) Monaten. Wenn sich die House-Brackmann-Skala innerhalb von sechs Monaten nicht um mindestens eine Stufe verbessert, ist eine weitere Verbesserung dagegen unwahrscheinlich [15]. Nicht immer ist die Rückbildung vollständig. In 16 Prozent der Fälle kommt es durch abnorme Regeneration der Nervenfasern zu Synkinesien, so dass willkürliche Muskelbewegungen unvorhergesehene Kontraktionen anderer mimischer Muskeln hervorrufen (z. B. Augen zusammenkneifen beim Lächeln). Darüber hinaus können autonome Störungen („Krokodilstränen“) und Kontrakturen auftreten. Die Fazialisparesen bei Neuroborreliose haben nahezu immer eine gute Prognose, wohingegen Lähmungen durch einen Herpes zoster häufiger in Defektheilungen münden [12].

Autorin Dr. med. Ulrike Koock Zum Junkenwald 7 61130 Nidderau

Knips Mich! Autoren-Biografie und Literaturliste auf dizapra.de

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ABRECHNUNGSTIPP

KOMPOSIT: KORREKTE BERECHNUNG

D

ie korrekte Abrechnung von Kompositversorgungen ist eine große Herausforderung, denn nicht alles, was mit Komposit behandelt werden kann, stellt im gebührenrechtlichen Sinne eine Füllungstherapie dar, wodurch in vielen Praxen hohe Honorarverluste entstehen. Im Bereich des Kassensystems spricht man von Füllungen, bei Privatversicherten von Restaurationen. Gemeint ist in beiden Fällen die Versorgung einer Kavität mit plastischem Füllungsmaterial. Füllungen oder Restaurationen sind grundsätzlich nur dann gegeben, wenn es sich um zahnwandbegrenzte Defekte handelt und das Füllungsmaterial entsprechend retentiv verankert werden kann. Fehlt eine Zahnwand oder muss ein ganzer Höcker ersetzt werden, so handelt es sich um direkte Rekonstruktionen. Derartige Versorgungen können nicht im Rahmen einer Mehrkostenvereinbarung, sondern nur rein privat abgerechnet werden. Die Voraussetzungen für eine Füllungstherapie bei GKV-Patienten sind durch die GKV-Behandlungsrichtlinien definiert. So können nur kariöse Defekte behandelt und über die GKV abgerechnet werden. Hierbei sollen nur anerkannte und erprobte plastische Füllungsmaterialien gemäß ihrer medizinischen Indikation verwendet werden. Die aktuellen Gebrauchsund Fachinformationen und Aufbereitungsmonographien sind entsprechend zu berücksichtigen.

Im Seitenzahngebiet sind weiterhin Amalgamfüllungen, im Frontzahngebiet einfach befestigte Kompositfüllungen – ohne ästhetische Optimierung (z.B. durch Mehrfarbentechnik) – Kassenleistung. Amalgamfüllungen müssen seit dem 01.01.2021 durch ein großes „A“ am Ende der Gebührenziffer gekennzeichnet werden (z.B. BEMA-Nr. 13bA – zweiflächige Amalgamfüllung). Dies dient der statistischen Auswertung für die Amalgam-Diskussion auf EU-Ebene. Minimalinvasive Therapien sowie der Austausch insuffizienter Füllungen gehören ebenso zum Leistungsspektrum der GKV. Die Therapie von Zahnhalsdefekten, welche z.B. durch eine falsche Putztechnik entstanden sind, können nicht zu Lasten der GKV abgerechnet werden, es sei denn, dass zeitgleich eine kariöse Läsion vorliegt. Derartige Versorgungen müssen im Rahmen einer Privatvereinbarung dem Patienten – ohne Kassenabzug – in Rechnung gestellt werden. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass auch die unmittelbaren Begleitleistungen ebenfalls auf Basis der GOZ bzw. GOÄ zu liquidieren sind.

Wurde ein Zahn als überkronungsbedürftig (Befundkürzel: „pw“ / „ww“) eingestuft und der Patient entscheidet sich gegen die Überkronung, so kann die direkte Rekonstruktion des Zahnes nicht mehr als Füllungstherapie abgerechnet werden. Die Berechnung erfolgt rein privat. Nachfolgend eine Übersicht über die korrekte Abrechnung von Kompositversorgungen bei GKV-Patienten und medizinisch notwendiger Behandlung: Zahnbefund „c“

Geb.-Nr.

MKV

Privat

Frontzahnbereich – Restauration: a) e infache Kompositfüllung

BEMA-Nr. 13a – 13d

b) Kompositfüllung in Mehrschicht-/ Mehrfarbentechnik

GOZ-Nr. 2060 ff. abzgl. BEMA-Nr. 13a ff.

a) Plastische Füllung

BEMA-Nr. 13a – 13d

b) Kompositfüllung mit Ausnahmeindikation*

BEMA-Nr. 13e – 13h

c) K ompositfüllung ohne Ausnahmeindikation*

GOZ-Nr. 2060 ff. abzgl. BEMA-Nr. 13a ff.

d) Kompositfüllung in Mehrschicht-/Mehrfarbentechnik

GOZ-Nr. 2060 ff. abzgl. BEMA-Nr. 13a ff.

a) e infache Kompositfüllung

BEMA-Nr. 13a / 13b

b) Kompositfüllung in Mehrschicht-/ Mehrfarbentechnik

§ 6 Abs. 1 GOZ abzgl. BEMA-Nr. 13a / 13b

BEMA-Nr. 13a / 13b

b) Kompositfüllung mit Ausnahmeindikation*

BEMA-Nr. 13a / 13b

c) Kompositfüllung in Mehrschichttechnik

§ 6 Abs. 1 GOZ abzgl. BEMA-Nr. 13a / 13b

a) M ehrfach geschichtete Rekonstruktion einer Zahnkrone im direkten Verfahren

§ 6 Abs. 1 GOZ

b) Direkte Teilkrone / Veneer /Zahnumformung

§ 6 Abs. 1 GOZ

c) Kronenkernaufbau im direkten Verfahren, intrakanalär / kanalverankert

§ 6 Abs. 1 GOZ

d) Intrakanaläre Stiftverankerung ohne nachfolgende Überkronung des Zahnes

§ 6 Abs. 1 GOZ

e) Beseitigung von Schmelzschäden bzw. keilförmigen Substanzdefekten (nicht kariös)

§ 6 Abs. 1 GOZ

Seitenzahnbereich – Restauration:

Zahnbefund: „pw“ / „ww“ Frontzahnbereich – Aufbaufüllung:

Seitenzahnbereich – Aufbaufüllung: a) Plastische Füllung

Front- und/oder Seitenzahnbereich:

*Ausnahmeindikationen sind: Kinder bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres, Schwangere oder Stillende, nachgewiesene Amalgamallergie, schwere Niereninsuffizienz

Autor Christian López Quintero Geschäftsführer VABODENT GmbH Mangerstraße 26 14467 Potsdam www.vabodent.de

Knips Mich! Autorenbiografie auf dizapra.de

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TIPPS & TRICKS Reparatur von SZ-Füllungen Bei der Reparatur von Seitenzahn-Kompositfüllungen im approximalen Bereich kann die Vorbehandlung mit einem Pulverstrahlgerät für die Retention entfallen, wenn Sie einen selbstretentiven Kasten in die vorhandene Füllung präparieren [1]. Im Krankenhaus neue Zahnbürste Raten Sie Ihren Patienten für die Dauer ihres Klinikaufenthalts neue Zahnbürsten benutzen, „um mögliche Infektionsketten vom häuslichen Milieu in die Klinik und umgekehrt zu unterbrechen“ [2].

Warnbriefe Schicken Sie Patienten, die, ohne rechtzeitig abzusagen, mehrfach ihre Termine nicht wahrnehmen, Warnbriefe. Darin steht, dass Sie beim nächsten NichtErscheinen eine Rechnung senden. Fruchtet auch das nicht, wird der Patient aufgefordert, eine andere Praxis auszusuchen [3].

ZUR ÄS KONSERTVHETIK UND IERENDER ZAHNHEIL KUNDE

In-House-Weiterbildung Lassen Sie MitarbeiterInnen, die auf Fortbildung waren, darüber in der nächsten Teamsitzung referieren. So kann das ganze Team profitieren und gemeinsam überlegt werden, was davon in der Praxis umgesetzt wird [3].

Polierinstrumente Achten Sie bei der Auswahl Ihrer Polierkörper für die 1-stufige Politur darauf, dass die Winkelstück-seitige Form der Polierkörper so gestaltet ist, dass kein Kühlwasser auf den Polierkörper trifft, auf Sie zurückspritzt oder anderweitig ungünstig abgelenkt wird [4].

Knips Mich! Quellenangaben auf dizapra.de

NACHRUF

Viel zu früher Abschied

Unsere Kollegin, Ute Buchholz-Gall, ist leider ihrem schweren Leiden erlegen. Sie ist gerade einmal 56 Jahre alt geworden. Frau Buchholz-Gall fing Mitte Juli 2000 bei der Verlag Neuer Merkur GmbH als Layouterin in der Grafikabteilung an. Im Rotationsverfahren hat sie in bestimmten Tourni alle Zeitschriften des Hauses gelayoutet, auch die Zahnärztliche Praxis. Ihre Arbeitsweise war bemerkenswert und hoch effizient: schnell, präzise, professionell, termintreu, kreativ. Also all das, was man von einem guten Layouter erwartet und braucht. Ich schätzte Frau Buchholz-Gall als Kollegin und mochte sie als Mensch sehr gerne: sie sprach nicht viel über ihr Privatleben, war aber immer freundlich, aufgeschlossen und kollegial, wenn es um Sorgen und Probleme anderer ging. Ein großes Hobby von ihr war Wrestling – an den Wochenenden wurden keine Wettkämpfe ausgelassen. Eine Leidenschaft, die sie mit ihrem Mann teilte, und von der sie oft begeistert erzählte. Was ich besonders an Frau Buchholz-Gall mochte: sie war pragmatisch und von einem erfrischenden Realismus. Keine Arbeit war ihr zu viel, keine Aufgabe zu abenteuerlich. Gleichgültig, mit was man zu ihr kam, man wusste: Frau Buchholz-Gall macht das schon. Ohne große Worte, schnell und zuverlässig. Die einzige Frage, die sie stets hatte: „Ok, wann brauchen Sie das zurück?“ Sie war eine Macherin, sie hielt sich niemals lange mit „wenn und aber“ auf, sondern erledigte einfach. Fertig. Und was sie machte, hatte Hand und Fuß. Jeder, der mit Frau Buchholz-Gall arbeiten durfte, schätzte ihre Vorgehensweise, ihr Grafik-Wissen, ihre Ideen, ihre Erfahrung und ihren Pragmatismus. 44 Die zahnärztliche Praxis | 7/8 -2021

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Um Weihnachten 2017 herum begannen die ersten Symptome ihrer Krankheit, die anfangs niemand so recht ernst nahm, am allerwenigsten sie selbst. Denn Frau Buchholz-Gall war vor allem eines nicht: wehleidig. Im Gegenteil. Als die Krankheit voran schritt, kam sie tapfer in den Verlag, teilweise mit Krücken und unter großen Schmerzen, was sie vor den anderen so gut es ging verbarg. Fragte man sie, wie es ihr geht, wurde generell untertrieben. Sie wollte nicht bemitleidet werden, das war nicht ihre Art. Als ihr der Weg in den Verlag nicht mehr zuzumuten war, richteten wir zu Hause ihre Grafikumgebung ein, da sie unbedingt weiter arbeiten wollte und wir auch ungern auf ihre wertvolle Mitarbeit verzichten wollten. Alles andere wäre auch einem Aufgeben gleich gekommen. Das wollte sie nicht, das wollten wir nicht. Wir wollten, dass sie so lange, wie sie es selbst wollte, für den Verlag arbeiten konnte, was eine alltägliche Selbstverständlichkeit, eine wohl tuende Routine, eine gute Normalität jenseits der Krankheit bedeutete. Selbst im fortgeschrittenen Stadium arbeitete Frau Gall weiterhin und lieferte die gewohnte Qualität ab. Das war ihr selbst gestecktes Ziel. Aber … eines Tages ging es eben nicht mehr. Es folgten viele Monate der intensiven Therapie, die am Ende in einer palliativen Behandlung endete. Auf einer Palliativstation ist nun Ute Buchholz-Gall am frühen Morgen des 1. August gestorben. Wir, ihre Kolleg*innen, sind untröstlich. Wir wünschen der „Die Erinnerung ist Familie in diesen Tagen der Trauer, das einzige Paradies, aus des Nachdenkens und Abschieddem wir nicht vertrieben nehmens viel Kraft.

werden können“

Dr. Angelika Schaller

(Jean Paul)

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RELEVANTE URTEILE

IHR GUTES RECHT APPROBATIONSVERLUST DURCH VERMÖGENSSTRAFTAT DER FALL: Einer zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten rechtmäßig verurteilten Ärztin war die Approbation entzogen worden. Sie hatte zuvor 65.000 € Krankentagegeld eingestrichen, weil sie gegenüber ihrer privaten Krankenversicherung über vier Jahre an 255 Tagen eine Erkrankkung vorgetäuscht, gleichzeitig aber ärztliche Honorare eingenommen hatte. Ihre Klage gegen die Approbationsentziehung landete in letzter Instanz. DAS URTEIL: Die Richter bestätigten die Rechtmäßigkeit des Approbationsentzugs. Da der Betrug einem Gewinnstreben um jeden Preis entspreche, sei das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Ärztin nachhaltig beeinträchtigt. FAZIT: Auch eine (Vermögens-)Straftat, die zunächst nichts mit dem Arzt-Patienten-Verhältnis zu tun hat, kann zu einem Approbationsentzug führen.

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT, 3 B 7.18, BESCHLUSS VOM 31.07.2019

Für die gegebenen Informationen liegt Haftungsausschluss vor.

EIGENLABOR: GEWINNANTEIL BEI CEREC ABRECHENBAR DER FALL: Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hatte gegen die Aussage von Dentsply Sirona geklagt, durch die Abrechnung von mit dem CEREC-System erbrachten zahntechnischen Leistungen könne der Zahnarzt mit Praxislabor einen Gewinn erzielen. Damit werde vermittelt, dass der Zahnarzt die eigenständig erbrachten zahntechnischen Leistungen willkürlich „kalkulieren“ könne. DAS URTEIL: Dem widersprach das Gericht und bestätigte vielmehr, dass ein Zahnarzt einen angemessenen kalkulatorischen Gewinnanteil abrechnen darf, wenn er beim Ersatz seiner Auslagen gemäß § 9 Abs. 1 GOZ die mit dem CEREC-System erbrachten Leistungen abrechnet. Begründet wurde das damit, dass der Zahnarzt das volle Risiko eines Verlustes durch sein Praxislabor trage und deshalb – analog zum Fremdlabor – auch ein Gewinn möglich sein müsse. Schließlich stände er ansonsten

schlechter da als ein Zahnarzt, der mit einem Fremdlabor zusammenarbeite. Das sei von § 9 GOZ jedoch nicht gewollt. Weiter hieß es, dass nicht unterstellt werden dürfe, dass ein Praxislabor mit Gewinnabsicht darauf abziele, Patienten unnötig Zahnersatz anzufertigen. Das schließlich verstoße gegen die zahnärztliche Berufspflicht. Weiter entschied das Gericht, dass ein Fremdlabor beauftragender Zahnarzt ein Skonto von bis zu 3 Prozent für sich selbst ziehen darf. Hier lautete die Begründung, dass dadurch das Risiko der Zahlungsunfähigkeit von Patienten ausgeglichen werde, wenn der Zahnarzt das Fremdlabor schon bezahle.

LANDGERICHT DARMSTADT, 18 O 33/20, URTEIL VOM 15.3.2021

VERSEHENTLICHES WEGSCHMEIßEN: KEINE HAFTUNG FÜR PROTHESE DER FALL: Eine Frau hatte die auf dem Nachttisch der kranken Mutter ihres Lebensgefährten liegenden gebrauchten Taschentücher als Ganzes genommen und in einen brennenden Kohleofen geworfen. Nachdem sich unter den Taschentüchern eine in Papier eingewickelte Prothese befunden hatte, wurde die Frau auf 11.833 € als Verlustsumme verklagt. DAS URTEIL: Die Frau muss nicht haften, da sie nicht gewusst haben konnte, dass die Prothese der Kranken auf dem Nachttisch lag: Die Kranke habe die Besucherin nicht darauf hinwiesen, dass im Papiermüll die Prothese lag und auch aufgrund des geringen Prothesengewichts habe die Besucherin nicht merken können, dass etwas im Papier lag. Darüber hinaus habe sie es auch nicht erkennen können, da sie die gebrauchten Taschentücher imPaket aufgenommen und in den Ofen geworfen habe.

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ, 8 U 1596/20, URTEIL VOM 13.4.2021

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PRAXISTEST

ADHÄSIVE BEFESTIGUNG Wir haben niedergelassene Kollegen und Kolleginnen gebeten, das erste röntgenopake Universaladhäsiv in der Zahnarztpraxis zu testen und ihre Erfahrungen mit uns zu teilen. Die Ergebnisse geben ausschließlich die Meinung der Anwender wieder. Sie erheben keinen Anspruch auf Repräsentativität, stellen aber eine praktische Orientierungshilfe dar. Wir danken unseren Testpraxen für ihr Engagement und der Firma 3M Deutschland für das zur Verfügung gestellte Testmaterial.

Scotchbond Universal plus Adhäsiv (3M Deutschland )

Abbildung: Verlag Neuer Merkur

ist der Nachfolger von Scotchbond Universal Adhäsiv und das erste röntgenopake Universaladhäsiv. Damit, so der Hersteller, seien Sekundärkaries in Röntgenaufnahmen leichter von einer Adhäsivansammlung zu unterscheiden und Fehldiagnosen oder Überbehandlungen vermeidbar. Das Adhäsiv eignet sich für alle gängigen Ätztechniken und direkten wie indirekten Indikationen. Die Formulierung ist frei von BPA-Derivaten wie Bis-GMA, die erzielbare Haftfestigkeit wird mit dem Niveau traditioneller GoldstandardAdhäsive angegeben. Die Anwendung separater Primer wie Silan zur Vorbehandlung indirekter Restaurationen ist nicht erforderlich, das Risiko postoperativer Sensitivitäten sei minimal. Anwendung des Adhäsivs: in allen Praxen für die Befestigung direkter Restaurationen, zusätzlich in drei Praxen auch für die Befestigung indirekter Restaurationen inkl. Glaskeramik, in drei Praxen dabei auch Einsatz an kariös verändertem, remineralisierbarem Dentin gemäß Herstellerangaben, in einer Praxis darüber hinaus zur ZahnhalsDesensibilisierung

Angewandte Ätztechnik: verschiedene Ätztechniken – m Selektive Schmelzätzung mit Phosphorsäure 10 s bzw. 30 s (zwei Praxen) m Etch and Rinse-Technik (vormals total etching) (sechs Praxen; Ätzzeit zwischen 15 und 30 s/ Phosphorsäure 36%) m verschiedene Ätztechniken mit und ohne Konditionierung (eine Praxis)

Anwender würden Scotchbond Universal Plus nicht einsetzen bei (Alternative): m adhäsiver Befestigung mit Variolink, hier der empfohlenen Produktkombination mit Syntac classic folgend/Kompatibilität, Scotchbond nur mit RelyX Ultimate/Universal m Stiftbefestigung, da nicht dualhärtend mit allen Materialien. Hier Anwendung von Futurabond Universal/Voco, sonst müsste Praxis auch auf RelyX Universal umstellen m bei nicht gewährleisteter absoluter Trockenlegung, dann eine weniger selektive Befestigung mit einem GIZ-Material (FujiCEM/ GC) m großen Füllungen, dann OptiBond FL (Kerr/zwei Flaschen) m Fissurenversiegelungen, da sich für den Anwender hier smartseal/Detax als 1-Komponenten-System bewährt hat. (Zwei Praxen sehen keine Kontraindikation, eine Praxis ohne Angabe, da noch keine Langzeiterfahrungen vorliegen.) Befestigte Materialien/Produkte: m Beautifil Flow m Gaenial m Gradia m Grandio SO m Omnichroma m Twetric Flow m Tetric Ceram m Venus ONE m X-flow m Ceram X m Ceram.x Spectra ST-HV m Gold m Zirkon (2-fache Nennung) m Kronen und Brücken aus NEM und Cercon m Glaskeramik (e.max), Komposite/Angabe ohne Produktbezeichnung (3-fache Nennung) m Restaurationen aus CERECVerfahren, d. h. verschiedene Keramiken m Glasfaser EndoStifte Bisher in den Praxen bevorratete Adhäsive: m Clearfil Universal Bond Quick m Futurabond U m G-Bond m G-Premio Bond (zwei Praxen) m iBOND m OptiBond FL (drei Praxen) m Scotchbond Universal (zwei Praxen) m Syntac classic (zwei Praxen) m Tokuyama Universal Bond Haftungs-Misserfolg bzw. Füllungsverlust in der Anwendungszeit von Scotchbond Universal Plus Adhäsiv (mögl. Ursache): in sechs Praxen kein Misserfolg/Füllungsverlust, in einer Praxis Misserfolg aufgrund ungenügender Trockenlegung/wäre nach Anwendereinschätzung bei Syntac auch passiert, in einer anderen Praxis ein Misserfolg bei einer sehr großen Aufbaufüllung Postoperative Sensitivitäten nach Anwendung: in keiner Praxis beobachtet, Ausnahme: in einer Praxis bei CP, eine Praxis berichtet vom Gegenteil → gut geeignet für Zahnhalsanwendung

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Es wurde das Ein-Flaschen-System getestet. Anwender, die stattdessen Single-use L-Pop Variante aus Gründen des effizienten Hygienemanagements bevorzugen würden: keiner (Begründung: wäre zu viel Müll) Anwendungs-Tipps: alle Anwender betonen die sehr einfache und normal gewohnte Handhabung, darüber hinaus Empfehlung: m auf kleine Tropfengröße achten m nur auf allgemeine Grundlagen der Adhäsiv-Technik (Trockenheit, Verblasen des Adhäsivs) achten m Beim Verblasen einen kleinen Sauger nehmen, da das Bond sonst im Umkreis des Zahnes verteilt wird. Wichtigkeit der Röntgenopazität des Adhäsivs (auf einer Skala von 1 [sehr wichtig] bis 6 [unwichtig]): Ø 3,68 (Drei Anwender finden das unwichtig, zwei Anwender finden es sehr wichtig, einem Anwender ist es wichtig für die Röntgenkontrolle bei Stiftversorgungen, zwei weitere Angaben im Mittelfeld.) Wie oft kommt es tatsächlich vor, dass aufgrund Radioluzenz unter einer Restauration eine Fehldiagnose bzw. invasive Überbehandlung auftritt: in sechs Praxen sehr selten. In einer Praxis wird eine röntgenopake Unterfüllung verwendet, sodass Fehldiagnosen ausgeschlossen werden. Ein anderer Anwender weiß es nicht, da bei intakten Restaurationsrändern mit Rö zurückhaltend/i.d.R. nur bei (Schmerz-)Problem. Beurteilung der Unterscheidbarkeit Sekundärkaries vs. Adhäsivansammlung bei Scotchbond Universal Plus Adhäsiv (auf einer Skala von (1 [sehr gute Unterscheidung] bis 6 [nicht unterscheidbar]): Ø 2,25 (Die Hälfte der Praxen konnte dazu noch keine Aussage treffen, da keine Aufnahmen gemacht wurden.) Anwender würden Adhäsiv weiterempfehlen: alle mit einer Ausnahme, da Anwender mit seinen „Hausprodukten“ sehr zufrieden ist/beurteilt Test-Adhäsiv aber als sehr gut. Begründung: m sehr einfache bis einfache Handhabung (4-fache Nennung) m aufgrund der tatsächlich überzeugenden Röntgenopazität und der nicht auftretenden postoperativen Sensitivitäten m Als Ergänzung zum bisherigen Portfolio für die „schnelle“ Füllung sehr gut geeignet. m Man könnte es als „Mittelklasse“ zwischen Kassenfüllung und hochpreisiger Syntac-Adhesive-Füllung anbieten, da Handhabung einfach und Behandlungszeit kürzer ist.

m hohe Kompatibilität mit verschiedenen Materialien/Zahnhartsubstanzen (auch demineralisierte), auch für ÜZ geeignet m gutes Produkt (2-fache Nennung)mleichte Dosierung m gute Verbindung zu RelyX Universal, deswegen geringe Lagerungskosten für verschiedene Adhäsive, universell einsetzbar Anwender, die bisheriges Universal-Adhäsiv durch dieses Produkt ersetzen: eine Praxis (zukünftig Umstellung auf RelyX Universal geplant), zwei Praxen nehmen Scotchbond zusätzlich in die Bevorratung mit auf. Begründung: Ein Anwender wird es zusätzlich zu den aufeinander abgestimmten und von ihm verwendeten GC-Produkten aufnehmen. Ein weiterer Anwender als Ergänzung zu OptiBond. Grund: Langjährige Erfahrung und sehr gute Haftwerte, Scotchbond wird zusätzlich verwendet für → kleine Füllungen, Milchzahnfüllungen, Einsetzen mit RelyX Universal. Ein Anwender nutzt die volladhäsive Befestigung das Panavia-Systems. Das dazugehörige Bonding habe bis auf die Röntgensichtbarkeit das gleiche Spektrum bei tendenziell besseren Haftwerten. Zwei Anwender sind mit ihrem aktuellem System sehr zufrieden und würden deshalb selbst nicht wechseln. Ein Anwender ist noch unentschlossen, da er noch die mittelfristigen Erfolge abwarten möchte. Für einen Anwender gibt es trotz der deutlich einfacheren Handhabung als Goldstandard wegen der langen Beobachtungszeiträume und sehr guten Stabilität nur Syntac.  Testpraxen: 8

Insgesamt erhält das neue Scotchbond Universal Plus Adhäsiv eine sehr gute Bewertung und wird weiterempfohlen. Die Anwender überzeugt die sehr einfache Handhabung. Die Radiopazität des Adhäsivs spielt für mehr als die Hälfte der Tester keine entscheidende Rolle, da in ihren Praxen eine Fehldiagnose aufgrund einer Adhäsiv-Radioluzenz, wenn überhaupt, nur sehr selten auftritt. Das Material punktet stattdessen u. a. mit den nicht auftretenden postoperativen Sensitivitäten. Zufriedene Anwender wechseln ihr langjährig vertrautes Adhäsiv scheinbar nicht schnell, stattdessen soll das neue Adhäsiv die Bevorratung ergänzen.

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FÜR SIE GELESEN Amalgam und Alternativen Frankenberger R., Winter J., Schmalz G.: Amalgam und Alternativen – Diskussionen zur Quecksilberreduktion in der Umwelt. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2021; 64 (7): 847-855

Sie gelesen r ü

Mechanischer Abbau moderner CAD/ CAM-Kunststoffverbundmaterialien nach Wasseralterung Wendler M., Stenger A., Ripper J., Priewich E., Belli R., Lohbauer U.: Mechanical degradation of contemporary CAD/CAM resin composite materials after water ageing. Dent Mater 2021; 37 (7): 1156-1167 Das Ziel der vorliegenden Studie war es, den Einfluss der Wasserspeicherung auf die quasi-statischen Eigen-

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In diesen Ausführungen ist zu lesen, dass sich die sinkende Verwendung von Amalgam auch ohne zusätzliche gesetzliche Reglungen künftig fortsetzen wird. Das liegt daran, dass Patienten aus ästhetischen Gründen vermehrt auf die zahnfarbenen Alternativen (meist Komposite) setzen. Probleme der alternativen Werkstoffe seien aber immer noch der erhöhte Aufwand und die damit verbundenen höheren Kosten sowie eine verringerte Langlebigkeit, die sich besonders in schwierigen Fällen und bei vulnerablen Gruppen ungünstig auswirke. Aus Sicht der Autoren hat es sich in den letzten mehr als 20 Jahren deshalb bewährt, verschiedene Materialien vorzuhalten, aus der dann im Einzelfall – zusammen mit dem Patienten – das jeweils geeignete Material ausgewählt werden kann. Davon sollte nicht ohne Grund, d.h. ohne verlässlichen Amalgamersatz abgewichen werden. Diverse Forschungsbemühungen in dieser Zeit hätten zwar innovative Materialien hervorgebracht, die jedoch schließlich keinen klinischen Vorteil brachten. Neue Materialien im Sinne eines echten Amalgamersatzes zu entwickeln, müsse daher oberstes Ziel gemeinsamer Anstrengungen von Wissenschaftlern aus Zahnmedizin, Naturwissenschaften und Industrie sein und durch entsprechende Mittel, z. B. auch seitens der Europäischen Union, gefördert werden.

schaften und das zyklische Ermüdungsverhalten von modernen CAD/CAM-Kunststoffverbundmaterialien (CAD/CAM: Grandio Blocs, Lava™ Ultimate, Cerasmart ™ und Brilliant Crios sowie das Direktkomposit Grandio SO). Für die Proben wurden rechteckige Platten aus den Blöcken geschnitten oder unter Verwendung einer Silikonform hergestellt. Die Hälfte der Proben wurde 24 h trocken gelagert, die andere Hälfte 60 Tage in destilliertem Wasser bei 37 °C gealtert. Die höchste Wasseraufnahme wurde für Lava™ Ultimate (42,6 µg/mm3), die geringste für Grandio SO (14 µg/ mm3) beobachtet. Ein statistisch signifikanter Abfall der Bruchzähigkeit und biaxialen Festigkeit wurde für alle Materialien nach Wasserlagerung gemessen, mit Ausnahme von Cerasmart™. Die Wasseralterung zeigte eine unterschiedliche Wirkung auf das zyklische Ermüdungsverhalten: bei Lava ™ Ultimate erhöhte, für Cerasmart ™ und Brilliant Crios jedoch verringerte sie die Anfälligkeit für langsames Risswachstum. Fazit: Moderne CAD/CAM-Kunststoffverbundwerkstoffe sind anfällig für wassergetriebene Abbauprozesse, obwohl Unterschiede im Füllstoffgehalt und der Zusammensetzung der Kunststoffmatrix eine wichtige Rolle bei der Auswirkung auf ihre mechanischen Eigenschaften spielen. 

Einfluss von Modelliermitteln auf die Mikrohärte von Kompositen Bayraktar, E.T., Atali P.Y., Korkut B., Kesimli E.G., Tarcin B., Turkmen C.: Effect of modelling resins on microhardness of resin composites. Eur J Dent 2021. DOI: 10.1055/s0041-1725577 Ziel dieser Studie war es, die Auswirkungen von Modelliermitteln auf die Oberflächenmikrohärte von Kompositen zu bestimmen. Untersucht wurden die sechs Komposite Charisma Smart, Estelite Asteria, Ceram.X SphereTEC one, Admira Fusion, Filtek Ultimate und Clearfil Majesty Es-2 sowie die drei Netzmittel Modeling Liquid, Composite Primer und Modeling Resin. Insgesamt wurden 240 Proben hergestellt

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und in den Versuchsgruppen vor der Lichthärtung die Netzmittel aufgetragen. Nach 24 Stunden wurden die Proben poliert und die Vickers-Mikrohärtewerte gemessen. Sowohl Modelliermittel als auch Komposite erwiesen sich als wirksame Faktoren (p< 0,001). Die Kontrollgruppe zeigte die höchste Vickers-Mikrohärte (70,37 ± 7,94), gefolgt von Modeling Liquid (64,68 ± 12,07), Composite Primer (59,84 ± 6,33) und Modeling Resin (58 ± 3,52; p< 0,001). Bei den Kompositen zeigte Filtek Ultimate die höchste Vickers-Mikrohärte (76,62 ± 9,78), während Charisma Smart (58,87 ± 7,95) und Clearfil Majesty (67,27 ± 2,58) die niedrigsten (p< 0,001) Werte aufwiesen. Die Kombinationen aus Clearfil Majesty/Modeling Liquid (46,62 ± 5,33) bzw. Charisma Smart/Composite Primer (50,81 ± 0,39) hatten die niedrigste Vickers-Mikrohärte, während Filtek Ultimate/ Control (87,15 ± 2,12) bzw. Filtek Ultimate/Modeling Liquid (84,24 ± 3,11) die höchste aufwies (p< 0,001). Fazit: Alle getesteten Modelliermittel verringerten den Vickers-Mikrohärtewert; das Ausmaß der Reduktion variierte zwischen Kompositen und Netzmitteln. Möglicherweise ist es sicherer, keine Netzmittel zu verwenden, außer es ist erforderlich. 

Schnelle Aushärtung in 3s: Was passiert in tiefen Schichten neuer Bulk-Fill-Composites? Marovic D., Par M., Crnadak A., Sekelja A., Mandic V.N., Gamulin O., Rakic M., Tarle Z.: Rapid 3s Curing: What happens in deep layers of new bulk-fill composites? Materials (Basel) 2021; 14 (3): 515 In dieser Studie wurde der Einfluss einer schnellen 3sLichthärtung auf die neue Generation von Bulk-FillKompositen unter der simulierten Alterungsherausforderung und Tiefen bis zu 4 mm untersucht. Zwei Materialien, die für die schnelle Aushärtung entwickelt wurden (Tetric PowerFill, Tetric PowerFlow) und zwei normale Materialien (Filtek One Bulk Fill Restorative, SDR Plus Bulk Fill Flowable) wurden getestet. In der 3s-Gruppe wurden für eine Dicke von 4 mm zwei 2 mm dicke Proben gestapelt, für die ISO-Gruppe wurden 2 mm dicke Proben verwendet. Die Proben wurden 1, 30 oder 33 Tage in Ethanol gealtert. Es gab keinen Unterschied zwischen den Härtungsprotokollen hinsichtlich der Biegefestigkeit nach einem

Tag für alle Materialien außer Tetric PowerFlow. Das Elastizitätsmodul war für alle Materialien für das ISOHärtungsprotokoll höher. Die mechanischen Eigenschaften verschlechterten sich durch zunehmende Tiefe (2–4 mm) und Alterung. Die ISO-Härtung entwickelte einen höheren Konversionsgrad für Tetric PowerFlow und Filtek One Bulk Fill Restorative, während die 3s-Härtung für Tetric PowerFill und SDR Plus Bulk Fill Flowable ausreichenend war. Die 3s-Härtung wirkte sich negativ auf das Elastizitätsmodul aller getesteten Materialien aus, während ihr Einfluss auf die Biegefestigkeit stark materialspezifisch war. 

Optisches Verhalten von einfarbigen Kompositen Lucena C., Ruiz-López J., Pulgar R., Della Bona A., Pérez M.M.: Optical behavior of one-shaded resin-based composites. Dent Mater 2021; 37(5): 840-848 Es sollten die optischen Eigenschaften sowie der Transluzenz- und Opaleszenzparameter von einfarbigen Kompositen bewertet werden. Dazu wurden drei einfarbige Komposite (Omnichroma, Venus Pearl und Venus Diamond und ein mehrfarbiges Komposit (Filtek Universal A2) verwendet. Drei Verbundscheiben aus jedem Material wurden in Dicken von 0,5 wie 1,0 und 2,0 mm hergestellt. Die spektralen Verteilungen von Streuung, Absorptionskoeffzient und Transmission waren wellenlängenabhängig und zeigten signifikante Unterschiede zwischen Materialien gleicher Dicke sowie für unterschiedliche Dicken desselben Materials (p < 0,001). Omnichroma zeigte für alle Dicken die höchsten Transluzenzwerte. Die Transluzenz nahm mit zunehmender Dicke ab, mit statistisch signifikanten Unterschieden (p < 0,005). Die Werte für die Transluzenzparameter zwischen den Dicken lagen für alle Materialien über den Transluzenzschwellenwerten. Venus Pearl und Venus Diamond zeigten die niedrigsten Werte für die Opalenszenzparameter. Fazit: Einfarbige Komposite zeigten ein anderes optisches Verhalten als die mehrfarbigen Komposite. Das Verständnis des optischen Verhaltens der einfarbigen Komposite ist für die Optimierung ihrer klinischen Leistung unerlässlich. 

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Themen Ausgabe 9 -2021 u.a.: SPEICHELDIAGNOSTIK

Prof. Dr. Hady Haririan

Information und Inspiration

zahnärztliche

Praxis

Die

ZKZ 11361

VM 10810

Vorschau/Impressum

PARODONTOLOGIE

aMMP-8, KNOCHENSTOFFWECHSEL UND VITAMIN D

Dr. Roland Möbius

DELEGIEREN IN DER ZAHNARZTPRAXIS

Dr. Hendrik Schlegel

ABRECHNUNG PARODONTOLOGIE – EIN UPDATE

Speicheldiagnostik Parodontologie – ein Update

Anja Mehling

Delegieren in der Zahnarztpraxis

IMPRESSUM Anschrift Redaktion, Anzeigen, Verlag und aller Verantwortlichen: Verlag Neuer Merkur GmbH, Behringstraße 10, 82152 Planegg Telefon (089) 31 89 05 - 0, Fax (0 89) 31 89 05 - 38 Internet: vnmonline.de Geschäftsführer: Burkhard P. Bierschenck, Dr. Angelika Schaller Herausgeber: Burkhard P. Bierschenck Redaktionsdirektorin: Dr. Angelika Schaller, E-Mail: angelika.schaller@vnmonline.de Chefredaktion: Dr. med. dent. Ulrike Oßwald-Dame (verantwortlich), Telefon (0 89) 33 98 02 76, E-Mail: ulrike.osswald@vnmonline.de Autoren dieser Ausgabe: Anne Bandel, Lukasz Katzer, Ulrike Koock, Christian López Quintero, Ahmad al Masri, Mhd Said Mourad, Olga Polydorou, Angelika Schaller, Julian Schmoeckel, Christian Splieth Beirat: Dr. Dr. Klaus Büning, München (Innovative Zahnheilkunde); Dr. Werner Fischer, Zürich (Hygiene, Mikrobiologie); Prof. Dr. Alexander Gutowski, Schwäbisch Gmünd (Herausnehmbarer Zahnersatz); Prof. Dr. Nikolaus P. Lang, Bern (Parodontologie); Prof. Dr. Claus Löst, Tübingen (Endodontie); Prof. Dr. Birte Melsen, Aarhus (Kieferorthopädie); Dr. Hans-Joachim Nickenig, Köln, (Implantologie); Dr. Stefan J. Paul, Los Angeles (Ästhetische Zahnheilkunde); Dr. Dr. Monika Preischl, Hamburg (MKG-Chirurgie); Dr. Peter Reichert, Mannheim (Ganzheitliche Zahnheilkunde); Dr. Dr. Volker Tröltzsch, Ansbach (Implantologie, Chirurgie); Prof. Dr. Georg Watzek, Wien (Implantologie, Chirurgie); Prof. Dr. Heiner Weber, Tübingen (Kronen und Brücken) Verlags- Anzeigen- und Vertriebsleitung: Elke Zimmermann (0 89)31 89 05-76, E-Mail: elke.zimmermann@vnmonline.de

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ISSN 2193-7265 Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung des Verfassers wieder. Im Text sind Warennamen, die patent- oder urheberrechtlich geschützt sind, nicht unbedingt als solche gekennzeichnet. Aus dem Fehlen eines besonderen Hinweises oder des Zeichens ® darf nicht geschlossen werden, es bestehe kein Warenschutz. Die Autoren haben alle Angaben geprüft, Fehler sind aber nicht auszuschließen. Verlag und Autoren haften daher nicht für etwaige inhaltliche Unrichtigkeiten. Soweit in der „Zahnärztlichen Praxis“ ein bestimmtes Medikament oder die Dosierung oder Indikation eines bestimmten Medikaments erwähnt ist, bitten Autoren, Redakteure und Verlag, vor Verabreichung eines Medikaments die Empfehlung des Herstellers in puncto Dosierung, Indikation und Kontraindikation genauestens zu prüfen. Dies gilt insbesondere für solche Präparate, deren Anwendungsbereich vom BGA eingeschränkt ist. Urheber- und Verlagsrecht · Gerichtsstand Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keine Haftung übernommen. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Annahme des Manuskripts gehen das Recht der Veröffentlichung sowie die Rechte zur Übersetzung, zur Vergabe von Nachdruckrechten, zur elektronischen Speicherung in Datenbanken, zur Herstellung von Sonderdrucken, Fotokopien und Mikrokopien den Verlag über. Jede Verwertung außerhalb der durch das Urheberrechtsgesetz festgelegten Grenzen ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Der Autor räumt dem Verlag räumlich und mengenmäßig unbeschränkt für die Dauer des gesetzlichen Urheberrechts ferner folgende ausschließliche Nutzungsrechte am Beitrag ein: • Das Recht zur maschinenlesbaren Erfassung und elektronischen Speicherung auf einem Datenträger und in einer eigenen oder fremden Online-Datenbank, zum Download in einem eigenen oder fremden Rechner, zur Wiedergabe am Bildschirm sowie zur Bereithaltung in einer eigenen oder fremden Offline-Datenbank zur Nutzung an Dritte. • Die ganze oder teilweise Zweitverwertung und Lizensierung für Übersetzungen und als elektronische Publikationen • Das Recht zum ganzen oder teilweisen Abdruck in allen Lizenzausgaben dieser Zeitschrift. Die „Zahnärztliche Praxis“, ehemals „die dental-praxis“ bzw. „Phillip-Journal“. © Copyright by Verlag Neuer Merkur GmbH · Gerichtsstand München

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