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Vorsorgen ist sinnvoller als zuwarten
Wer entscheidet über mein medizinisches und persönliches Wohl, wenn ich nicht mehr urteilsfähig bin? Wer regelt meine finanziellen Angelegenheiten? Diese und weitere Fragen sollte man rechtzeitig klären. Der Docupass, der bereits seit 10 Jahren von Pro Senectute angeboten wird, ist ein hilfreiches Instrument, das die wichtigsten Lebensbereiche im Falle einer Urteilsunfähigkeit regelt.
Schicksalsschläge prallen mit voller Wucht in unser Leben. Darum ist es wichtig, rechtzeitig Vorkehrungen zu treffen für den Fall der Fälle. Der Docupass ist dabei eine grosse Hilfe.
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Peter M. war 54 jährig, als er aus einem vollen Leben in ein gänzlich anderes katapultiert wurde. Das Schicksal schlug unerwartet zu. Peter M. fühlte sich kerngesund. Er hatte keine Vorerkrankungen. Und trotzdem erlitt er einen schweren Hirninfarkt. Die Nachbarin fand ihn noch rechtzeitig. Er schwebte zwischen Leben und Tod. Entscheidungen mussten getroffen werden, eine Patientenverfügung fehlte jedoch. Seine Angehörigen kannten seine Wünsche zu wenig. Heute sitzt er im Rollstuhl, ist halbseitig gelähmt und kann sich nicht mehr artikulieren. Womöglich hätte er sich gewünscht, dass keine lebensverlängernden Massnahmen getroffen worden wären. Schicksalsschläge prallen mit voller Wucht in unser Leben. Danach ist nichts mehr wie zuvor. «Deshalb ist es wichtig, dass wir uns frühzeitig mit der Vorsorge befassen und alles regeln, sodass der eigene Wille bestmöglich umgesetzt wird», sagt Raoul Dürr, Fachverantwortlicher Docupass bei Pro Senectute Kanton Zürich (PSZH). Der 30 Jährige hat seinen eigenen Vorsorgeauftrag schon einige Male überarbeitet. «Die persönliche Vorsorge ist nach Abschluss nicht in Stein gemeisselt. Wenn sich meine Lebenssituation oder meine Einstellung ändert, passe ich die Dokumente wieder an.»
Docupass, das umfassende Vorsorgedossier
Der Docupass von Pro Senectute ist ein gebündeltes Dossier, das alle Bereiche regelt, wenn man unverhofft in eine lebensbedrohliche Lage kommt oder nicht mehr urteilen kann. Darin lassen sich die persönlichen Bedürfnisse und Wünsche zu Krankheit, Pflege und Sterben festhalten. Ebenfalls kann man Vertretungspersonen benennen, die im Falle einer Urteilsunfähigkeit in seinem Sinn handeln können. «Der Docupass ist modular aufgebaut», erklärt Dürr. Vier Bereiche werden darin geregelt: der Vorsorgeauftrag, die Patientenverfügung, ein Leitfaden für das Testament sowie eine Anordnung für den Todesfall.
Der Vorsorgeauftrag
Der Vorsorgeauftrag gilt zu Lebzeiten. Er bestimmt, wer im Falle einer länger andauernden Urteilsunfähigkeit die persönlichen, administrativen und finanziellen Angelegenheiten regelt. «Hat jemand nichts geregelt, muss unter Umständen die Kindes und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) eingeschaltet werden. Diese ernennt einen Beistand, der die weiteren Schritte regelt», erklärt Dürr. «Selbst wenn Angehörige vorhanden sind, kann eine Beistandschaft vonnöten sein. Dessen sind sich längst nicht alle bewusst. Deshalb ist es so wichtig, dass man einen Vorsorgeauftrag abschliesst. So sorgt man selbstbestimmt vor und schafft Klarheit in Bezug auf die eigene Vertretung», sagt der Sozialarbeiter. Das revidierte Kindes und Erwachsenenschutzgesetz, das vor zehn Jahren in Kraft trat, erlaubt, mit dem Vorsorgeauftrag und der Patientenverfügung die eigene Vorsorge zu regeln. «Heute stehen mehr Möglichkeiten zur Verfügung als vor der Revision und diese gehen weit über das Medizinische hinaus», erklärt Raoul Dürr. Die neuen gesetzlichen Grundlagen gewähren mehr Selbstbestimmung im Falle eines Urteilsverlustes.
Der Vorsorgeauftrag regelt drei Bereiche:
1. Personensorge: Festlegen einer Vertrauensperson, die Bindeglied zwischen der betroffenen Person und einem Pflegeteam ist und über Pflege, Betreuung und Wohlergehen bestimmt.
2. Vermögenssorge: Einsetzung einer Vertrauensperson, die sich um die Verwaltung der Geldflüsse, der Einkünfte und des Vermögens inklusive allfälliger Liegenschaften kümmert.
3. Rechtsverkehr: Bestimmung einer rechtlichen Ansprechperson, die sich um das Vertragliche kümmert. Diese ist beispielsweise befugt, die Post durchzuschauen oder Abonnemente zu kündigen.
Für jeden dieser drei Bereiche kann je eine Vertretung ernannt werden. Es kann sich aber auch eine Person um alle drei Bereiche kümmern. Dies schützt davor, dass sich die Vertretungspersonen allenfalls nicht einig wären und der Vorsorgeauftrag nicht durchgesetzt werden könnte. Pro Senectute empfiehlt jedoch, auf Mehrfachnennungen zu verzichten. Das gesamte Vorsorgepaket kann auch an die Pro Senectute Kanton Zürich übertragen werden dank der Dienstleistung Vorsorgeregelung. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn jemand keine Angehörigen oder Vertrauenspersonen mehr hat oder die Verantwortung einer professionellen, neutralen Organisation übertragen möchte.
Der Vorsorgeauftrag muss von A bis Z von Hand geschrieben sein. Er muss datiert und unterschrieben werden. Oder er kann durch einen Notar beurkundet werden. Damit der Vorsorgeauftrag wirksam wird, wird er von der KESB «validiert». «Die KESB geistert zu Unrecht in manchen Köpfen als Schreckgespenst herum. Sie hat einen Schutzauftrag und überprüft, ob die im Vorsorgeauftrag eingesetzte Person in der Lage ist, die Aufgaben zu übernehmen. Es wäre vielleicht nicht günstig, wenn ein spielsüchtiger Sohn das Vermögen des Vaters verwaltet», erklärt Raoul Dürr. Die KESB soll also Missbrauchspotenzial verhindern. Der Experte von Pro Senectute Kanton Zürich weist mit Nachdruck darauf hin, dass das Ausfüllen des gesamten Vorsorgeauftrages nicht in wenigen Stunden erledigt ist. «Das ist ein intensiver Prozess. Bei gewissen Fragen braucht es Gespräche mit engsten Vertrauenspersonen. Es erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit sich und seinen Werten.» Aber es lohne sich, denn im Endeffekt gehe es um die Durchsetzung der Selbstbestimmung, die uns allen wichtig sei.
«Es kümmern sich viel zu wenig Menschen um die eigene Vorsorge. Da braucht es von unserer Seite noch mehr Aufklärung, um die Sinnhaftigkeit und Wichtigkeit zu verdeutlichen.» Für die meisten Menschen sei das Thema Vorsorge noch zu weit weg, merkt Dürr an. Wer mit dem Thema nicht in irgendeiner Art und Weise in Berührung gekommen ist, macht sich über belastende Themen lieber keine Gedanken.
So erging es auch Urs Bosisio. «Ich schob das Thema jahrelang vor mich hin. Es lag mir im Nacken», sagt der heute 67Jährige. Als dann sein Mitarbeiter einen Hirnschlag erlitt und sein Kollege nach einem schweren Autounfall monatelang im Koma lag, war der Zeitpunkt reif. Beide hatten nichts geregelt, sodass die KESB auf den Plan kam. Mit 59 Jahren nahm Bosisio es an die Hand. Er sprach alles mit seinen beiden Söhnen ab und beurkundete den Vorsorgeauftrag beim Notar. «Es gab mir ein gutes und gelassenes Gefühl, als ich alles geregelt hatte.»
Die Patientenverfügung
Die Patientenverfügung ist ein Vorsorgedokument, das festhält, welche medizinische Behandlung man sich wünscht oder ablehnt, wenn man selbst nicht mehr in der Lage ist, sich zu äussern oder zu urteilen. Es gilt: Je konkreter, eindeutiger und klarer man seine Wünsche formuliert, umso besser. «Dann handeln die Ärzte in meinem Sinn und Geist», erklärt Raoul Dürr. In einem Beiblatt kann man seine Werteerklärung verfassen. Darin lassen sich persönliche Werte, seine Vorstellung und Überzeugung zu existenziellen Fragen beschreiben. Was bedeutet mir Lebensqualität? Was macht mein Leben lebenswert? Was ist meine Vorstellung von Würde? Wie gehe ich mit Abhängigkeit und Kontrollverlust um? Was sind meine Vorstellungen im Umgang mit Schmerz und Schmerzlinderung? «Die Antworten helfen den Vertretungspersonen, Entscheidungen in medizinischen Situationen zu treffen, die nicht explizit in der Patientenverfügung erwähnt sind», sagt Dürr und empfiehlt, diese freiwillige Werteerklärung unbedingt auszufüllen.
Was bedeutet mir Lebensqualität?
Was macht mein Leben lebenswert? Was ist meine Vorstellung von Würde?
In der Patientenverfügung wird weiter festgelegt, welche Vertrauensperson die Wünsche vertreten soll. Schliesslich hält man die Wünsche betreffend Sterben sowie zur Organ und Gewebespende rechtsgültig fest. Die Patientenverfügung wird mit Ort, Datum und Unterschrift abgeschlossen und an einem für Angehörige leicht zugänglichen Ort aufbewahrt. Eine notarielle Beurkundung ist nicht nötig. Dürr empfiehlt, Kopien an die Vertretungspersonen abzugeben und die Patientenverfügung im ZweiJahresRhythmus zu überprüfen.
Anleitung zur Errichtung eines Testaments
Das dritte Dokument innerhalb des Docupass ist eine Anleitung zur Errichtung eines Testaments. Dieses schreibt man auch heute noch von Hand oder lässt es von einem Notar beurkunden. Hier regelt man, an wen die eigenen Ersparnisse, die Gelder aus Lebensversicherungen oder persönliche Wertgegenstände verteilt werden. Das Testament sollte an einem sicheren Ort in einem geschlossenen Briefumschlag aufbewahrt werden, der leicht auffindbar ist. Das kann in den eigenen vier Wänden, beim Willensvollstrecker, bei einer Bank (nicht im eigenen Tresorfach) oder einer öffentlichen Stelle des Wohnkantons sein.
Anordnung für den Todesfall
Im letzten Dokument hält man fest, wie man sich seine Abdankung vorstellt. Das ist vor allem für die Angehörigen hilfreich. Wer keine Nachkommen hat, sollte zu Lebzeiten eigenverantwortlich einen sogenannten «Willensvollstrecker» beauftragen, welcher sich nach dem Ableben aller Aufgaben annimmt. Dazu gehören Sofortmassnahmen im Todesfall, die Organisation der Bestattung, die Auflösung des Wohnsitzes und Administratives und Erbteilung nach Eintritt des Todes.
Zum Schluss appelliert Raoul Dürr: «Regeln Sie möglichst rechtzeitig und selbstbestimmt, was mit Ihnen passieren soll, wenn Sie nicht mehr urteilsfähig sind. Nutzen Sie die verfügbaren Instrumente und besprechen Sie sie mit ihren Vertretungspersonen.»
Docupass: hilfreiche Workshops
PSZH bietet Docupass-Workshops an. An zwei Nachmittagen erhält man wertvolle Informationen und Unterstützung in der Anwendung dieses umfassenden Vorsorgedossiers. Der Workshop kostet 80 Franken.
Der Docupass kann online als Gesamtpaket bestellt werden und kostet 19 Franken.
In den Dienstleistungscentern der PSZH wird er ebenfalls verkauft.
pszh.ch/docupass
«Kaum hat man zehn Kisten sortiert, treffen die nächsten zwanzig ein»: Nathalie Touré (oben) und Chantal Hüni (unten) haben in ihrem schönen Brockenhaus in Stäfa stets viel zu tun.

