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Grosse Liebe mit tragischem Ende

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Die Gottfried-Keller-Stiftung ist eine der bedeutendsten Sammlungen zur Schweizer Kunst. Sie wurde 1890 von Lydia Welti-Escher gegründet, der Tochter und Erbin des damaligen Wirtschaftsführers Alfred Escher. Es war die letzte grosse Tat in einem so bewegten wie kurzen Leben.

Lydia Escher wohnte wie eine Prinzessin in einer der schönsten Villen Zürichs, in der Villa Belvoir im prächtigen Belvoirpark am See. Sie war gebildet und kulturbeflissen, wie es sich für eine Tochter aus gutem Hause geziemte. Und es gab viele Möchtegern­Prinzen, die sie hofierten. Aber sie liess alle abblitzen. Die meisten lockte eh nur beruflicher und gesellschaftlicher Aufstieg. Ihr Vater Alfred Escher war nämlich einer der einflussreichsten, mächtigsten Männer des Landes und sie die Alleinerbin eines der grössten Vermögen in der Schweiz. Lydia jedoch träumte von der romantischen Liebe und sehnte sich nach einem aufregenderen Leben, frei von gesellschaftlichen Zwängen.

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Eines Tages fiel ihr dann doch ein junger Mann auf unter den Gästen im Belvoir, Friedrich Emil Welti, der Sohn des Aargauer Bundesrates Emil Welti. Er war höflich, umgänglich, wie auch sie kulturell interessiert. Grosse Leidenschaft empfand sie zwar nicht für ihn, aber sie mochte ihn. Sie heiratete ihn kurz nach dem Tod ihres Vaters.

Friedrich Emil zog in die Villa Belvoir ein. Für die 24 ­jährige Lydia änderte sich nicht allzu viel. Statt Tochter eines vielbeschäftigten Mannes war sie nun Ehefrau eines ebensolchen und weiterhin viel allein im Belvoir, gelangweilt, missmutig.

Ungeahnte Folgen eines Porträts

Bis ihr Mann eines Tages einen ehemaligen Schulkameraden mit nach Hause brachte, Karl Stauffer. Er war einer der international gefragtesten Maler zu jener Zeit. Er sollte die Dame des Hauses porträtieren. Mit ungeahnten Folgen!

Stauffer, ein Mann mit schwarzem Haar, grossen dunklen Augen und kühnem Blick, war nun regelmässiger Gast im Belvoir. Mit ihm konnte Lydia über Kunst, Literatur, ja über Gott und die Welt diskutieren. Er brachte Farbe in ihr Leben. Und weckte in ihr Gefühle, wie sie sie noch nie empfunden hatte. Sie hatte Feuer gefangen. Stauffer seinerseits war es gewohnt, von Frauen angebetet zu werden. Er schrieb an einen Freund: «Es ist schwer, die Frau Welti gut zu malen, sie ist nicht hübsch, ich muss alle Künste aufwenden, um der Sache irgendeinen Reiz abzugewinnen.»

An seinen Bruder jedoch schrieb er: «Wir liebten uns seit der ersten Minute unserer ersten Begegnung – hoffnungslos, denn sie war die Frau eines andern, dem sie Treue gelobt hatte.»

Feuer und Flamme für die Kunst

Stauffer beendete seine Arbeit im Belvoir und zog weiter nach Rom. Lydia war untröstlich. Sie fühlte sich wieder so einsam wie zuvor und wurde immer wieder krank. Da hatte sie eine Idee. Noch einen Winter im nasskalten Zürich würde sie gesundheitlich nicht überstehen, klagte sie ihrem Mann und bat ihn, mit ihr nach Italien zu übersiedeln und Stauffer zu bitten, ihnen bei der Suche nach einer Villa behilflich zu sein. Welti willigte ein, Stauffer willigte ein, und schon bald trafen sie sich in einer Pension in Florenz, um zu dritt goldene Herbsttage zu geniessen. Doch Welti zog es schon bald wieder in die Schweiz zurück. Lydia jedoch sollte in Florenz bleiben. Allein mit Stauffer? Lustwandelnd in den lauschigen Gärten und malerischen Gassen der Stadt unter südlicher Sonne? War Welti tatsächlich so arglos? Oder wollte er die sehnsüchtigen Blicke nicht bemerken, die seine Gattin seinem Schulfreund immer wieder zuwarf? Wie auch immer, Lydia war es recht. >>

Sie erbte ein riesiges Vermögen und verfiel einer grossen Liebschaft: Lydia Welti-Escher.

Der Kunstmaler Karl Stauffer porträtierte seine grosse Liebe Lydia Welti-Escher mehrfach.

Die beiden unternahmen lange Spaziergänge, diskutierten, philosophierten. Stauffer erzählte Lydia von seinem Plan, in Italien eine Kunstakademie zu gründen, und bat sie, ihn dabei finanziell zu unterstützen. Die Kunstliebhaberin war Feuer und Flamme! Sie sah sich schon als Mäzenin eines Genies, als seine Muse – und vielleicht bald als seine Geliebte. Und so kam es.

Eines Nachts klopfte Stauffer an die Tür von Lydias Hotelzimmer. Sie schrieb später: «Ich habe ihm nichts mehr verweigert.» Nach dieser Liebesnacht gabs für Lydia nur noch eines: mit Stauffer ein neues Leben anfangen. Hals über Kopf floh sie mit ihm nach Rom, sie liess alles, was sie bei sich hatte, im Hotel zurück. Schon nach ein paar Tagen schrieb sie an seine Mutter, die sie noch nie gesehen hatte: «Liebe Mamma!» und endete den Brief mit: «Deine Lydia Stauffer».

Verbannung ins Irrenhaus

Die Flucht des Paares blieb nicht lange geheim. Friedrich Emil Welti wurde vom Hotelier in Florenz informiert. Welche Schmach! Seine Frau durchgebrannt mit einem Frauenhelden, einem Künstler! Die Ehre des betrogenen Ehemannes musste sofort wiederhergestellt werden. Und Vater Welti wusste auch wie. Er hatte als Bundesrat die entsprechenden Fäden in der Hand. Der Schweizer Gesandte in Rom wurde beauftragt, das Liebespaar zu verhaften. Sie sei in eine Irrenanstalt einzuweisen wegen geistiger Verwirrung, und er solle ins Gefängnis gesteckt werden wegen Entführung und Vergewaltigung einer Geisteskranken. So geschah es. Ein Amtsmissbrauch, über den man in der Schweiz zu jener Zeit wohl sprach, doch die Fakten wurden später von den Beteiligten erfolgreich verwischt.

Lydia blieb nicht lange im Römer Irrenhaus. Den Ärzten erklärte sie, sie sei weder gegen ihren Willen zu etwas gezwungen worden noch bereue sie ihr Verhalten. So wurde sie entlassen. Friedrich Emil Welti reichte unverzüglich die Scheidung ein. Lydia galt als die Alleinschuldige, als Ehebrecherin und musste ihrem Mann einen Fünftel ihres damaligen Vermögens abtreten.

Der Schweizer Gesandte in Rom wurde beauftragt, das Liebespaar zu verhaften.

Ruinierte Karriere

Lydia hätte sich ein Zusammenleben mit ihrem Gatten ohnehin nicht mehr vorstellen können. Auch Zürich, wo die Spatzen ihre skandalöse Geschichte von den Dächern pfiffen, war für sie unmöglich geworden. Sie erwarb sich bei Genf ein Schlösschen und lebte dort sehr zurückgezogen. Auch von ihrem ehemaligen Geliebten wollte sie nichts mehr wissen. Sie glaubte den Worten ihres Exmannes, Stauffer hätte es nur auf ihr Geld abgesehen. Der Künstler wurde ebenfalls aus dem Gefängnis entlassen. Doch der Skandal blieb an ihm haften. Seine Karriere, sein Ruf, ja sein Leben waren ruiniert. Er schrieb Lydia verzweifelte Briefe, beteuerte ihr seine Liebe. Doch Lydia blieb unerbittlich. Am 24. Januar 1891 nahm sich Stauffer in Florenz das Leben. Eine Schweizer Tageszeitung schrieb über seinen Tod: «Die erschütterliche Lebenstragödie ist abgeschlossen; die stolze, hoffnungsfreudige, urwüchsige, geniale Kraft des vielseitig talentierten Künstlers und grossangelegten Menschen ist gebrochen.»

Vermächtnis an die Eidgenossenschaft

Der Gedanke, sich für die Kunst einzusetzen, liess Lydia allerdings nicht mehr los. Sie beschloss, ihren Nachlass zu regeln, und da sie keine Nachkommen hatte, vermachte sie ihr Vermögen der Eidgenossenschaft mit dem Auftrag, eine nationale Kunstsammlung zu schaffen. Dazu wollte sie eine Stiftung gründen, welche Kunstwerke von Schweizer Künstlerinnen und Künstlern im Inund Ausland erwerben sollte, im Speziellen Kunstwerke von Frauen. Ja, ihre Stiftung sollte

Grosse Kunststiftung

Die Gottfried-Keller-Stiftung ist eine der wichtigen Sammlungen zur Schweizer Kunst. Sie umfasst heute mehr als 6500 Werke in rund 100 Museen der Schweiz. Die Stiftung wurde 1890 von Lydia Welti-Escher ins Leben gerufen, der Tochter und Erbin des Politikers, Wirtschaftsführers und Eisenbahnunternehmers Alfred Escher. Lydia Welti-Escher vermachte damals der Eidgenossenschaft einen Grossteil ihres Vermögens und verband dies mit dem Auftrag, aus den Erträgen bedeutende Werke der bildenden Kunst anzukaufen und so für die Allgemeinheit zu bewahren. Die Ankäufe sind Eigentum der Eidgenossenschaft und werden als Dauerleihgaben in Schweizer Museen deponiert. Der Name der Stiftung erinnert an den Schweizer Dichter und Maler Gottfried Keller, der ein Freund der Familie Escher war.

Das Stiftungsvermögen belief sich ursprünglich auf knapp 5 Millionen Franken, was einem heutigen Wert von rund 60 Millionen Franken entspricht. Darunter befanden sich –nebst zahlreichen Wertpapieren – auch Immobilien an bester Lage, etwa das Belvoir in Zürich. Durch Misswirtschaft des für die Vermögensverwaltung zuständigen Finanzdepartements war das Vermögen jedoch schon bald deutlich geschrumpft. Über den Erwerb der Kunstwerke entscheidet die Eidgenössische Kommission der Gottfried-KellerStiftung; ihre fünf Mitglieder werden alle vier Jahre vom Bundesrat ernannt.

«der Entwicklung und Förderung der Selbständigkeit des weiblichen Geschlechts, zumindest auf dem Gebiet des Kunstgewerbes» dienen. Sie hatte am Beispiel einer Freundin gesehen, wie schwer es für Künstlerinnen war, sich zu behaupten und ein selbständiges Leben zu führen.

Lydia bat ihren Exmann, sie bei der Gründung dieser Stiftung zu beraten – das Verhältnis zueinander hatte sich mittlerweile entspannt. Er riet ihr von einigen Punkten ab. Dass Lydia die Stiftung «Welti­Escher­Stiftung» nennen wollte, missfiel ihm. Er wollte seinen Namen darin nicht sehen. Er überredete sie, die Stiftung nach ihrem väterlichen Freund, dem Schriftsteller Gottfried Keller, zu nennen. Und die Idee, mit der Stiftung hauptsächlich Künstlerinnen zu unterstützen und zu fördern, fand er völlig unangebracht. Sie wolle sich doch nicht als «Apostel der Frauenemanzipation aufspielen», meinte er, sie wolle doch «für die Kunst etwas tun und nicht in erster Linie für Mädchen einen Ersatz für den Gatten kreieren». Lydia gab nach. Und so heisst die Stiftung nun «Gottfried­Keller­Stiftung» und unterstützt Künstler gleichermassen wie Künstlerinnen. Sie wird bis heute vom Bundesamt für Kultur betreut.

Als Lydia von Karl Stauffers Tod vernahm, machte sie sich Vorwürfe, ihm misstraut und ihn abgewiesen zu haben. Sie fühlte sich immer einsamer in ihrer Abgeschiedenheit und fand immer weniger Sinn in ihrem Leben. Stauffer sei für sie gestorben, also müsse auch sie für ihn sterben, entschied sie. Noch im selben Jahr wie er beendete auch sie ihr Leben. Sie waren beide nur dreiunddreissig Jahre alt gewesen.

Zur Autorin

Die Radiomoderatorin, Sängerin und Buchautorin Regula (Regi) Sager – eine profunde Kennerin der Stadt – hat mit ihrem Buch «Zürcher Liebesgeschichten» einen «Stadtführer der besonderen Art» verfasst. Darin zeigt sie Orte und erzählt Geschichten, die man in dieser doch eher nüchternen Stadt niemals vermuten würde. Ein Kapitel ist der dramatischen Geschichte von Lydia WeltiEscher gewidmet. Auch eine Stadtführung mit Regula Sager folgt den Spuren der «Zürcher Liebesgeschichten»; die Führung kann über Zürich Tourismus gebucht werden.

Regula Sager: «Zürcher Liebesgeschichten –Ein Stadtführer der besonderen Art», Verlag Zocher & Peter.

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