Kavallerist auf zwei Kontinenten

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Fabian Brändle Werner Warth

Kavallerist auf zwei Kontinenten

FormatOst Leseprobe

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Fabian Brändle Werner Warth

KAVALLERIST AUF ZWEI KONTINENTEN JOHANN JACOB JÖRIMANN (1861–1947) IN AMERIKANISCHEN DIENSTEN

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© 2019 by Verlag FormatOst, CH-9103 Schwellbrunn Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten. Gestaltung Umschlag: Janine Durot Gesetzt in Minion Pro und Helvetica Neue LT Std Herstellung: Verlagshaus Schwellbrunn ISBN 978-3-03895-014-1 www.formatost.ch

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Inhalt

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Vorwort und Dank Vorwort der Autoren Kavallerist auf zwei Kontinenten «Erlebnisse eines Schweizers in der Bundesarmee der Vereinigten Staaten 1882–1907» Der Lebensabend in Wil Nachruf auf John J. Jörimann, Wil Quellen Literatur Bildnachweis

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Vorwort und Dank

Das Stadtarchiv Wil ist der Hüter unserer Dokumente der Vergangenheit und anderer Erinnerungen. Das Archiv im Besitze der Ortsgemeinde Wil birgt Urkunden, Protokolle, Bücher und viele Dokumente mehr seit dem Jahre 1312 bis zum Ende der alten Ordnung unter der Fürstabtei St.Gallen. Zudem sind «Wilensia» (Publikationen mit Bezug zu Wil) sowie Tausende Fotografien hier aufbewahrt. Das Archiv der Stadt Wil erlaubt den Zugriff auf Akten, Pläne, Karten, Protokolle und so weiter seit der Gründung der Politischen Gemeinde Wil und auf die kompletten Jahrgänge der in Wil erschienen Zeitungen. Dem Stadtarchiv Wil wurden auch die schriftlichen Erinnerungen von Johann Jacob «John» Jörimann an seine Auswanderung und seine turbulente Zeit in den Vereinigten Staaten von Amerika übergeben. Die Vereinigung der Kunst- und Museumsfreunde Wil und Umgebung machte es sich immer auch zur Aufgabe, vor allem auch Schriften zu «Wiler Themen» zu publizieren. Die vorliegende Publikation reiht sich bestens in diese Reihe ein; wir machen damit ein interessantes Stück Zeitgeschichte aus dem Stadtarchiv Wil für die Öffentlichkeit zugänglich. Wir freuen uns, den Mitgliedern und weiteren Interessenten mit Johann Jacob «John» Jörimann eine Person näher bringen zu können, die nach ihrer Rückkehr aus den USA in Wil lange Jahre bestens bekannt war, deren «Vorleben» aber nur wenige kannten. Die Kunst- und Museumsfreunde Wil und Umgebung danken ihrem Stadtarchivaren und Vorstandsmitglied Werner Warth und dem Historiker Dr. Fabian Brändle herzlich für die Aufarbeitung und Aufbereitung dieses Dokumentes und die spannende Darstellung einer uns wenig bekannten Zeitepoche. Für die Herausgeberin: Vereinigung Kunst- und Museumsfreunde Wil und Umgebung Hans Vollmar, Präsident Wil, im Oktober 2019 7


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Vorwort der Autoren

Im 19. Jahrhundert überquerten Zehntausende Schweizerinnen und Schweizer den Atlantik, um in den Vereinigten Staten von Amerika oder in Kanada ihr Glück zu machen. Die Neue Welt verhiess Aufstiegschancen, die meisten Auswanderer aber hielten sich mit Knochenarbeit nur mühsam über Wasser. Rund ein Drittel von ihnen, so Schätzungen, kehrten nach Europa zurück, manche reich, die meisten desillusioniert. Von den meisten Migranten kennen wir allenfalls die Namen, vielleicht hat sich auch ein Brief in die Heimat erhalten. Wenige indessen haben über ihre Erfahrungen detailliert geschrieben und Selbstzeugnisse oder Reiseberichte hinterlassen. Zu den Schreibenden gehört der Bündner Johann Jacob «John» ­Jörimann, der wie viele andere Schweizer seiner Epoche aus Armutsgründen in die USA auswanderte. Jörimann legte Zeugnis ab vom mühevollen Start im «gelobten Land», berichtete, wie er sich von der Armee anwerben liess und Soldat wurde, in den «Indianerkriegen», auf Kuba und auf den Philippinen kämpfte. Der Schweizer in fremden Diensten überlebte, mehr noch, er wurde befördert, in Ehren entlassen und erhielt eine Rente, die es ihm erlaubte, in Wil einen beschaulichen Lebensabend zu verbringen. Die Autoren dieses Werks sind vielen Personen zu Dank verpflichtet, namentlich Dietmar Kuegler, Frank Schumacher, Franziska Peterli, Katja Stiefel. Fabian Brändle   Werner Warth Zürich/Wil

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Kavallerist auf zwei Kontinenten Johann Jacob Jörimann (1861–1947) in amerikanischen Diensten Fabian Brändle

1 Gemeindeachiv Tamins, Stammbaum Jörimann.

2 Michael-Caflisch, Peter. Hier hört man keine Glocken. Geschichte der Schamser Auswanderung nach Amerika und Australien. Baden 2009.

3 Wette, Wolfram (Hg.). Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten. Frankfurt am Main 1995.

Johann Jacob «John» Jörimann wurde im Jahre 1861 in Tamins, Kanton Graubünden, als illegitimes Kind einer alleinerziehenden Mutter geboren.1 Wir wissen so gut wie nichts über seine Kindheit und Jugend, die schwer verlaufen sein dürfte, denn illegitime Kinder wurden damals von Staat und Kirchen diskriminiert. Der alpine Kanton Graubünden war ein Armutskanton und somit klassisches Auswanderungsland. Viele Bündner arbeiteten in ganz Osteuropa als Zuckerbäcker und Kaffeehausbetreiber, andere wagten den Sprung übers «Grosse Wasser» nach Amerika2, so auch Johann Jacob, oder «John», wie er sich amerikanisiert nannte, Jörimann, der diesen Schritt im Jahre 1881, wohl aus Armutsgründen, wagte. Über die Motive der Emigration lässt sich mangels Quellen nur spekulieren: Jörimann hat als «Armleutekind» keine Lehre absolviert, eine höhere Schulbildung blieb ihm ohnehin versagt. Abenteuerlust mag bei seinem Entscheid auch eine Rolle gespielt haben. Wie viele Auswanderer migrierte auch Jörimann nicht alleine, sondern in Begleitung eines Freundes. Im Jahre 1881 setzt der autobiografische Reisebericht Johann Jacob «John» Jörimanns ein, eine farbige, äusserst wertvolle Quelle, die Einblick gibt in den amerikanischen soldatischen Alltag jener Jahrzehnte, in den «Krieg des kleinen Mannes» (Wolfram Wette3) und unseren Blick auf die «weisse» Wahrnehmung der Indianerinnen und Indianer «von unten» mit all ihren Stereotypen schärft. «John» Jörimanns erste Zeit in den USA als Zivilist

4 Stöver, Bernd. Geschichte der USA. Von der ersten Kolonie bis zur Gegenwart. München 2017, S. 235.

Jörimann kam zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt in die USA. Seit Beginn der 1870er-Jahre litt die amerikanische Wirtschaft unter einer massiven Krise, verschärft durch einen Börsencrash im Jahre 1873. Die Arbeitslosigkeit war hoch, ökonomisch bedingte Vorurteile gegenüber anderen «Rassen» und Religionen verstärkten sich.4 Da­ 11


runter hatte Jörimann als «weisser», protestantischer Schweizer nicht zu leiden, doch hatte er grösste Mühe, sich in Arbeit und Brot zu setzen. Nach zwei Tagen Aufenthalt in New York fuhr Jörimann in Begleitung eines St. Gallers im Zug nach Philadelphia. Die Stadt war gross und ein bedeutendes, von vielen Deutschsprachigen bewohntes Handelszentrum, so dass sich Jörimann dort Arbeit erhoffte. Er hatte jedoch nach eigener Aussage «kein Handwerk gelernt» und konnte auch kein Wort Englisch. Die Kommunikation mit den Einheimischen war also auf ein Minimum beschränkt. Jörimann kaufte ein Schuhputzset und begann buchstäblich ganz unten als Schuhputzer, nahm später auch Jobs an als Fensterputzer und in einem Billardparlor sowie als Tellerwäscher in einem Restaurant. Nichts war von Dauer, er wurde nicht vom Tellerwäscher zum Millionär. Das wenige ersparte Geld war schnell ausgegeben, und betteln wollte Jörimann nicht. Der Hunger nagte schon, die Schuhe waren löchrig. So erheischte ein Plakat an der Market Street Jörimanns Aufmerksamkeit, wo Rekruten für die amerikanische Armee gesucht wurden: «Das Vagabundenleben war nicht nach meinem Geschmack und Aussicht eine Stelle zu erhalten war auch nicht da.» Eine «Rite de Passage»

Der Zürcher Historiker Christian Koller hat in seinem massgebenden Buch zur Geschichte der französischen Fremdenlegion anhand von Selbstzeugnissen die Übergangsriten (rites de passage nach Arnold van Gennep5) von militärischen Rekrutierungen und Musterungen herausgearbeitet.6 Der Übergang vom Zivilleben zum Leben in Uniform musste symbolisch und rituell zementiert werden, so auch im Falle Johann Jacob «John» Jörimanns, der auf das oben angesprochene Plakat reagierte und den darauf versprochenen Lohn positiv bewertete. Zusammen mit einem weiteren abgerissenen Schweizer namens Blöchlinger machte er den ersten Schritt und begab sich ins Rekrutierungsbüro der Armee. Der Werbeoffizier war ebenfalls Schweizer und bemerkte, dass die beiden Neugierigen «Grünhörner» seien. Er klärte sie «über alles auf», bestand nicht darauf, sie anzuwerben. Er bot ihnen an, sie bis zum nächsten Tag zu verpflegen sowie ihnen ein Bett zu stellen. Es waren bereits rund dreissig Rekrutierungswillige im überfüllten Schlafsaal anwesend. Am nächsten Tag «und mit gefülltem Magen» entschlossen sich Jörimann und Blöchlinger, dem verheis12

5 Van Gennep, Arnold. Übergangsriten (= les rites de passage). Frankfurt am Main 2005. 6 Koller, Christian. Die ­Fremdenlegion. Kolonialismus, Söldnertum, Gewalt 1831– 1962. Paderborn, München, Wien, Zürich 2013.


sungsvollen Werbeangebot Folge zu leisten. Sergeant Weber nahm sie in Empfang. Zuerst mussten die beiden ein Bad nehmen. Die medizinische Untersuchung war «sehr streng». Jörimann und Blöchlinger wurden für tauglich befunden und mit neuen Unterkleidern, Hemd et cetera «in die Uniform eines Kavalleristen gesteckt»: «Also für fünf Jahre gehörten wir nun Uncle Sam.» Sich nackt ausziehen, neue Kleider, eine brandneue Uniform: So gestaltete sich der Übergang vom Zivilisten zur Militärperson, der mit der Leistung des Eides abgeschlossen wurde. Die Zukunft war ungewiss, «doch in der Jugend geht ja alles leicht, und somit beschlossen wir durchzuhalten, was auch kommen möge». Nachdem die Zahl der Angeworbenen auf über zweihundert gestiegen war, «wurden wir unter Kommando von Sergeant Weber nach Fort Mc Henry nach Baltimore gebracht». Dort gab es einen weiteren Aufenthalt von zwei Wochen, ehe es nach St. Louis (Bundesstaat Missouri) zu den Jeffferson Barracks (Kavalleriedepot) weiterging. «Aller Anfang ist schwer»: Ausbildung und Drill

In den Jefferson Baracks wurden die Rekruten in «Troops» (Kompanien) eingeteilt. Ein «Troop» bestand in Friedenszeiten aus 65 Mann, in Kriegszeiten aus hundert. Zwölf Schwadronen bildeten ein Regiment von A bis M. Zusätzlich bestand eine Regimentskapelle aus vierzig Mann. Der Kapellmeister war meistens ein Schweizer, ein Deutscher oder ein Italiener. Allgemein taten viele Schweizer, Iren, Italiener oder Deutsche Dienst in der amerikanischen Armee und gehörten entsprechend auch zu den Opfern der legendären Schlacht am Little Bighorn, die mit der totalen Niederlage von General Custers Armee endete. Das Leben als Rekrut war durchaus hart und monoton, wie Jörimann anmerkte. Ihm persönlich ging es «etwas leichter, hatte ich doch in der Schweiz Rekruten Kurse für Infanterie durchgemacht und war deshalb an Ordnung und Discipline gewöhnt. Andere nahmen es aber sehr schwer, mussten jedoch dennoch gehorchen, wann sie nicht gestraft werden wollten.» Frühmorgens nach dem Appell, noch vor dem Morgenessen, hatten die Rekruten die Pferde zu reinigen. Das Morgenessen bestand «aus einer Art Goulasch mit Brot und Kaffee.» Nachher gab es für eine Stunde Exerzieren zu Fuss, «dann beritten zwei Stunden lang, ohne Sattel, nur mit Decke und Zaum». Reiten 13


wollte eben gelernt sein. Erst nach etwa sechs Wochen wurden der Mannschaft die Sättel ausgegeben. Der Rekrutenalltag war eintönig. «John» Jörimann erinnert sich: «Das ging so Tag für Tag und liess wenig Zeit übrig seinen Gedanken nachzugehen. Aller Anfang ist schwer und manchmal war man am Abend todmüde und war froh, wenn man sich auf den Strohsack legen konnte. Ausser den gewöhnlichen, militärischen Ausbildungen, wie z. B. Soldatenschule, Reiten, Wache, Küchenpolizei etc., gab es aber noch andere Arbeit, die von uns Soldaten gemacht werden mussten: Strassenbauten, Wasserleitungen, Holzfällen, auf der Sägmühle behilflich sein, nebenhanst gab es keine Civilisten die das machen durften.» Mancher Rekrut wünschte sich zurück in seine Heimat, manche desertierten sogar. Die meisten wurden jedoch wieder eingefangen und vor ein Kriegsgericht gestellt, das sie zu vier bis fünf Jahren Festungshaft verurteilte. «Indianerkriege» um 1885

Im September 1882 wurde Jörimann zusammen mit 200 weiteren Kavalleristen nach Montana an die sogenannte «frontier» gesandt. Sie fuhren dorthin in einem Eisenbahnwagen. Ein längerer Halt brachte den Soldaten die Schönheiten St. Pauls, Minnesota, näher. Der Trupp passierte einige Forts, ohne, zur Enttäuschung Jörimanns, auf Indianer zu treffen. Allgemein lässt sich sagen, dass sich ein Grossteil des Dienstes aus reichlich öden und anstrengenden Märschen und Ritten von Fort zu Fort bestand. Erst am River Poplar stiessen die Kavalleristen in einem Reservat auf einige Lakota (Sioux): «Wir hatten nun Gelegenheit, diese wilden, roten Gesellen zu beobachten. Die meisten waren von schönem schlankem Wuchs, sehr grosse und stämmige Gesellen, nur mit Lendengürtel bekleidet, bemahlt und tättowiert, eine farbige Decke über die Schulter gehängt, Federn als Kopfschmuck, Jagdmesser an der Hüfte und mit Winchester Gewehre und Tommahawks bewaffnet. Von ihren Grausamkeiten und Überfällen auf Ansiedler und Truppen hatten wir auch schon gehört.» Die Soldaten waren also schon mündlich auf die vermeintliche Bösartigkeit des Feindes vorbereitet worden, traten ihren Feldzug gleichsam indoktriniert an. In der Beschreibung des Äusseren der ­Sioux zeigt sich das «Andere», das «Fremde», das «Wilde», das India14


7 Bitterli, Urs. Die «Wilden» und die «Zivilisierten». Grundzüge einer Geistesund Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung. München 1991.

nerinnen und Indianer für «Weisse» ausstrahlten. Ethnologen und andere Wissenschaftler führen ins Feld, dass dieses «Andere», gegen das man sich sich abgrenzt, sehr wichtig ist für die Herausbildung einer kollektiven Wir-Identität. Die vermeintliche Nacktheit der Lakota ist, wie mir der Spezialist Julius Wilm mitteilte, wohl ein Vorurteil, denn die tiefen Temperaturen in Minnesota erlaubten kaum ein Leben im «Adamskostüm». Zu direkten Kampfhandlungen kam es nicht. In solche wurde Jörimann eigentlich erst gegen Ende seiner amerikanischen Dienstzeit verwickelt, als er in New Mexico und Arizona gegen die renitenten Apachen Geronimos vorzugehen hatte. Eine interessante Passage belegt die Belesenheit Jörimanns und die literarischen Vorurteile im westlichen Denken über die Indianerinnen und Indianer. Wer Karl May oder James Fenimore Cooper gelesen habe, glaube an die Gutherzigkeit des «roten Mannes», an dessen edle Charaktereigenschaften. Diese Charakterisierung erinnert an die Aufklärung und Jean Jacques Rousseaus «edlen Wilden».7 Die Realität sehe jedoch gänzlich anders aus. Jörimann führte seine Augenzeugenschaft, seine Kenntnis verschiedener Stämme von den Lakota bis zu den Apachen ins Feld, um seiner Argumentation mehr Gewicht zu verleihen. Der Indianer sei «von Natur aus» grausam und schone deshalb weder Frau noch Kind. Gefangene martere er zu Tode. Er spreche nicht viel, sei aber ein guter Diplomat, um seine Interessen klug zu vertreten. Wenn sich die Gelegenheit biete, verlasse er seine Reservate und überfalle Postkutschen, einsam gelegene Farmen, Armeetrupps oder Meldereiter. Die Yankees ihrerseits, so Jörimanns ehrliche Worte, seien in vielem auch nicht viel besser. Sie hätten ihre Versprechen und ihre Verträge nicht gehalten und würden sich die Indianer durch Schnaps gefügig machen. Verkaufte Waffen kämen gegen die eigenen Truppen zum Einsatz. Jörimann weilte bei der Niederschrift seines Selbstzeugnisses bereits seit Jahren wieder in der alten Heimat, der Schweiz. Er kritisierte also die amerikanischen Kriegsverbrechen gleichsam aus schweizerischer Warte. Die eigene Rolle indessen reflektierte er kaum. Er habe stets seine Pflicht getan, sei soldatischer Befehlsempfänger gewesen, so seine Selbsteinschätzung. «John» Jörimann kommt dann auch auf den bei den Indianer geläufige Brauch des Skalpierens als Ausdruck der Grausamkeit zu spre15


chen: «Ein Indianer scalpiert immer seinen Feind, damit er durch die Scalplocke beweisen kann, dass er Sieger geblieben ist.» Wie wir wissen, wurden die so genannten «Indianerkriege» («Indian Wars») seit dem 17. Jahrhundert auf beiden Seiten mit grosser Härte geführt. Auch die Amerikaner schonten Frauen und Kinder kaum und begingen zahlreiche Massaker wie jenes am Wounded Knee, das auch Jörimann erwähnt. Die Gewalt wurde überall dort angeheizt, wo paramilitärische Milizen aufgeboten wurden und die Kontrolle übernahmen. Diese «men on the spot» («Männer vor Ort») operierten fern von Washington sozusagen ohne Kontrolle von oben und waren für genozidale Massaker verantwortlich. Die «Frontiergesellschaft» war ohnehin geprägt von physischer Gewalt, auch unter sogenannten «Weissen». Der Rechtsstaat war nur schwach ausgeprägt, und die wenigen Ordnungskräfte standen in der Regel auf verlorenem Posten. Jörimann erwähnt auch die Jagden der «Weissen» auf Bisons in Montana und den «Great Plains» der Dakotas, das Hinschlachten der Tiere bedeutete ökonomische und kulturelle Tiefschläge für jene Indianerstämme, die vom Fleisch und von den Fellen der Bisons lebten. Jörimann sah die Kadaver von Tausenden von Tieren, «ihren Fellen beraubt. Ueber den Cadavern zogen die Aasgeier und die kleinen Präriewölfe (Coyotes) hatten ein üppiges Mahl. Ein Jahr später war kaum ein Büffel in Montana oder Dakota zu sehen. Die Herden waren entweder zerstört oder kleine Ueberreste hatten sich nach Kanada zurückgezogen. Der Indianer hatte sein Hauptnahrungsmittel verloren.» Der Luzerner Historiker Aram Mattioli spricht in seinem Buch «Verlorene Welten» in diesem Zusammenhang mit Recht von einem «Ethnozid» an den Indianerinnen und Indianern, das diesen die wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Lebensgrundlagen entzog.8 Jörimann beobachtete auch genau einen Kriegstanz der Indianer. Er wunderte sich ob der Intensität des Tanzes, der kreisend vor sich ging. Die Tänzer drehten sich dabei auch um die eigene Achse. Sie würden die Jagd und den Krieg nachahmen, so Jörimann, dem ein gewisses ethnologisches Interesse nicht abzusprechen ist. So betätigte er sich auch auf Kuba und den Philippinen als Amateur-Völkerkundler. Zum Tanz der Indianer spielte das Tomtom (Kriegstrommel) auf. Die Frauen kreischten dazu, die Sache machte auf den Schweizer ei16

8 Mattioli, Aram. Verlorene Welten. Eine Geschichte der Indianer Nordamerikas. Stuttgart 2017.


9 Schumacher, Frank. «Nieder­ brennen, plündern und töten sollt ihr». Der Kolonialkrieg der USA auf den Philippinen (1899 – 1913). In: Klein, Thoralf und Frank Schumacher (Hg.). Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus. Hamburg 2006, S. 109–144.

nen unheimlichen, fremden Eindruck, faszinierte ihn aber auch. «Im Glanze der Fackeln, umgeben von Zuschauern war es ein imposanter Anblick, den ich und meine Kameraden noch lange im Gedächtnis behielten.» Es gäbe noch manche weitere Anekdote und weitere Berichte zur Wahrnehmung der Indianer «von unten» zu berichten. Johann Jacob «John» Jörimann kämpfte jedenfalls anschliessend im Jahre 1898 auf Kuba gegen Spanien und auf den Philippinen9, wo er einen schmutzigen «kleinen Krieg» gegen die lokale Unabhängigkeitsbewegung führte, wurde befördert zum Sergeant, zum Adjutant, zum Quartiermeister und zum Postmeister, ehe er gut bestallt in die Schweiz zurückkehrte, wo er in Wil im Kanton St. Gallen ein gutbürgerliches Leben als Rentner mit guter Pension führte. Im kulturellen Leben der beschaulichen Kleinstadt integrierte er sich aktiv, indem er am Vereinsleben, beispielsweise im Männerchor, teilnahm. Johann Jacob «John» Jörimann starb nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahre 1947, hochbetagt und nach einem abenteuerlichen Leben, das ihn durch drei Kontinente (Europa, Amerika, Asien) geführt hatte.

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«Erlebnisse eines Schweizers in der Bundesarmee der Vereinigten Staaten 1882–1907»

1 Belgische Hafenstadt.

2 Zwei Millionen Passagiere fuhren auf den Schiffen der Antwerpener «Red Star Line» von Antwerpen nach Amerika.

3 = Ärmelkanal. 4 = Inselgruppe im Westen Cornwalls. 5 = Nehrung, die den Südteil der Lower New York Bay vom Atlantik trennt. 6 Der Castle Garden war das erste Immigrationszentrum New Yorks. 7 Der Battery Park ist eine zehn Hektar grosse Parkanlage auf der Südspitze Manhattans. 8 Bedloe Island ist eine kleine, unbewohnte Insel im Hafen New Yorks, Standort der Freiheitsstatue. 9 Die Greenwich-Strasse ist eine Strasse im Süden Manhattans.

Im Monat September 1881 verliess ich die Schweiz um nach den Vereinigten Staaten auszuwandern, um dort mein Glück zu versuchen. Die Reise ging über Luxemburg – Brüssel nach Antwerpen. Es waren noch viele Schweizer in der Gesellschaft. In Antwerpen1 angelangt, hatten wir noch genügend Zeit die Stadt zu besichtigen. Von grossem Interesse waren die verschiedenen Museum, der Zologische Garten und die Hafenanlagen. Auf dem Dampfer Nederland der Red Star Line2 verliessen wir an einem schönen Tage Antwerpen. Unsere Gesellschaft bestand meistens aus Zwischendeckler, somit war wenig Luxus vorhanden. Damals war das Zwischendeck nicht in dem Masse ausgerichtet wie heute. Before man sich einschiffte musste jedermann eine Strohmatratze, Kopfkissen und blechernes Essgeschirr kaufen. Die Decken wurden von der Schiffsgesellschaft geliefert. Das Trinkwasser wurde uns jeden Morgen ausgeteilt, und zwar nur so viel, dass es genügen musste für den Tag. Das Essen, im Vergleich von heute, war nicht sehr gut, da aber am 2ten Tag die meisten von uns seekrank waren, so hatte das wenig Bedeutung. Nach dem wir durch die Nordsee und den englischen Kanal3 gelangt waren, fuhr der Dampfer südlich von England an den Scilly Inseln4 vorbei, weiter. Wir hatten eine etwas stürmische Fahrt und der Nederland war ein langsames Schiff, trug es doch noch, um Kohlen zu sparen, Segel. Am 14ten Tag erreichten wir Sandy Hook5, wo der Lotse an Board kam und das Schiff durch die Meerenge in den inneren Hafen führte. In Castelgarden6, am heutigen Battery Park7 wurden wir ausgeschifft. Damals gab es noch keine Wolkenkratzer, auch die Freiheitsstatue stand noch nicht auf der Bedloe Insel8. Nach der Landung verstreute sich die Gesellschaft nach allen Richtungen. Einige von uns nahmen im Hotel Rütli in der Greenwichstrasse9 Logis. Zwei Tage blieben wir in der Stadt. Das Le21


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