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Das Haar als Schmuck

33 Teeservice aus dem Hause Linherr, New York 34 Maria Elisabetha Signer (1824–1908)

Maria Elisabetha Signer

Sie kam am 8. Februar 1824 in Appenzell zur Welt und reiste in jungen Jahren nach London, um bei Gallus Forrer, der mit Magdalena Franziska Weishaupt aus Appenzell vermählt war, die Haarflechtkunst zu erlernen. Durch die zweite Heirat ihres Vaters mit Maria Magdalena Linherr 1829 wurde der zuvor erwähnte Christian Linherr ihr Stiefbruder. In London erreichte sie 1840 ein Brief ihres Vaters, in dem er ihr offenbar auch Haare zusandte, denn er schloss sein Schreiben mit den Worten: «Diese schwarzen Haare wirst du wohl kennen.»16 Gemäss Heimatscheinkontrolle respektive Passkontrolle reiste Maria Elisabetha Signer 1849 – vermutlich zusammen mit ihrer Schwester Magdalena – zu ihrem Stiefbruder nach New York, um in dessen Geschäft zu arbeiten. Abb. 34

Spätestens 1861 kehrte sie nach Appenzell zurück und übte das Haarflechthandwerk an der Poststrasse 8 bis zu ihrem Tod am 17. Januar 1908 aus. Sie stellte ihre Produkte an der ersten Schweizer Landesausstellung aus, die vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 1883 auf dem Züricher Platzspitz stattgefunden hatte17, und erhielt dafür einen Preis zugespro-

chen. Abb. 35

35 Dank-Urkunde an Elisa Signer, Haarbijouterie, Appenzell

Leidenschaft und Sachverstand vereint – Der Haarflechtkünstler Jakob Schiess

Das letzte Kapitel ist Jakob Schiess und seiner Arbeit gewidmet. Als gebürtiger Ausserrhoder lebt er heute in Innerrhoden und pflegt das Kunsthandwerk so akribisch und präzis, dass er sich einen internationalen Ruf erworben hat. Er hat sich über Jahre eine virtuose Fertigkeit angeeignet und kennt die Kunst wie kaum eine andere Person. Entsprechend international ist inzwischen sein Beziehungsnetz. Auch wird er immer wieder von unbekannten Privatpersonen angegangen, wenn es beispielsweise um die Renovation beschädigter Haarflechtobjekte geht, die über Generationen gehütet wurden.

Mit grossem Geschick und Hingabe widmet er sich dem Haarflechten, für ihn ein erfüllendes Kunsthandwerk. In unzähligen Stunden flicht er als «Haarbildner» aus Menschenhaar filigrane Schmuckstücke.

In seiner Jugend schenkte ihm seine Grossmutter eine antike Uhrenkette, die ihr vererbt wurde. Das breite aus Menschenhaar geflochtene Band hütet er wie einen grossen Schatz.

Viel ist seither geschehen. Als gebürtiger Herisauer mit grossmütterlichen Wurzeln in Innerrhoden widmet er sich seit langem mit Herzblut dem Appenzeller Brauchtum. Er gehörte einem Jodlerchörli an und war Mitglied eines schön-wüsten Chlauseschuppels, für den er kunstvolle Hauben und Hüte anfertigte.

Nach einem einschneidenden Ereignis musste er das Leben neu in die Hand nehmen und mit seiner Familie eine Zukunft aufbauen. Silvesterklausen war nicht mehr möglich. Auf der Suche nach einer anderen kreativen und nebenberuflichen Tätigkeit erinnerte er sich an die Uhrenkette seiner Grossmutter.

Er setzte sich mit Mina Inauen aus Appenzell in Verbindung, durfte sie besuchen, und sie zeigte ihm in Kürze einige Handgriffe des Haarflechtens. Die Appenzellerin praktiziert dieses seit vielen Jahren und hat es hierzulande wieder bekannter gemacht. Nach der kurzen Einführung brachte er sich den grössten Teil der Arbeit selbst bei. Die beiden Künstler ergänzen sich sehr gut, da beide ihren eigenen Stil verfolgen und pflegen.

Das weitgehend vergessen gegangene Kunsthandwerk des Haarflechtens weckte Schiess’ Neugierde und löste in ihm eine grosse Begeisterung aus, eine Begeisterung, die ihn nie mehr losliess. Daraus ist eine Leidenschaft entstanden. In seinem Kopf – sagt er – überschlagen sich die Ideen.

Mit einfachen Flechtmustern tastete er sich ans Kunsthandwerk heran. Heute fertigt er aufwendige Kunstwerke, aber auch die klassischen «Eicheli», die Ohrenanhänger, die Innerrhoder Frauen zur Tracht tragen. Um ungehindert arbeiten und mit dem Rollstuhl besser an der «Jatte»1 Platz nehmen zu können, liess er eine spezielle anfertigen.

Personen, die sich von ihren langen Haupthaaren trennen, stellen ihm diese zur freien Verfügung. Meistens bringen Kundinnen und Kunden Haare, an die Erinnerungen geknüpft sind. Das Material fasziniert Jakob Schiess. Er sagt mit Überzeugung: «In den Haaren eines Menschen stecken Lebenskraft und Energie.» Haar sei ein edles Gut. Vielfach habe er das Gefühl, diese Energie und Kraft zu spüren und in die Schmuckstücke einfliessen lassen zu können. Es entstünden daher sehr persönliche Kleinode in traditioneller Art, aber auch in Form ungewöhnlicher Kreationen und Kunstwerke.

Das Flechten der feinen Haare ist eine grosse Herausforderung, es fordert Konzentration, Vorstellungsvermögen und Geschicklichkeit. Als Ansporn für seine Schmuckkreationen aus Haaren nennt Schiess zwei Dinge: Einerseits will er ein überliefertes europäisches Kulturgut bewahren, andererseits innovative Ideen mit einer alten Technik umsetzen. Jedes seiner Objekte ist ein Unikat. Schmuck aus Menschenhaar soll nicht nur zur Tracht, sondern auch im Alltag getragen werden.

Für das Haarflechten an der Jatte ist eine geübte Hand unabdingbar. Eine exakte und sorgfältige Vorbereitung ist das A und O für ein perfektes Geflecht. Das Sortieren der Haare, das Erstellen der Flechtfaden sowie das Einrichten der Jatte benötigen viel Geduld und Zeit.

Jatten kann man nicht einfach im Supermarkt kaufen. Jeder Haarflechter stellt individuelle Anforderungen an sie. In erster Linie müssen sie praktisch sein. Eine glatte Arbeitsfläche ist Voraussetzung, denn das Haar darf beim Flechten nicht verletzt werden. Jatten können auch dekorativ sein.

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