Von der Weser nach Cat Spring

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Hermann Multhaupt

Von der Weser nach Cat Spring


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Hermann Multhaupt Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Gestaltung: Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden ISBN 978-3-940751-81-2 Holzminden, 2014


Hermann Multhaupt

Von der Weser nach Cat Spring Zwei Auswandererfamilien in Texas

Verlag Jรถrg Mitzkat Holzminden, 2014


Meiner Geburtsstadt Beverungen und ihrem Ortsteil Herstelle gewidmet


Vorwort Dies ist der Versuch, dem Schicksal von zwei Auswandererfamilien aus dem Kreis Höxter in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachzugehen. Die Adelsfamilie von Roeder aus Marienmünster brach 1834 ihre Zelte in der Heimat ab, um in Amerika eine neue Existenzgrundlage zu schaffen. Mit dabei waren die Brüder Robert Justus und Louis Kleberg* aus Beverungen-Herstelle. Später folgte auch Ernst. Die Familien gehörten zu den ersten Siedlern in Texas, das damals noch eine mexikanische Provinz war und eigentlich ein selbständiger Staat werden wollte, doch ohne den Anschluss an die Vereinigten Staaten von Amerika nicht existieren konnte. Die Einwanderer gründeten Orte, die heute noch ihre Namen tragen. Robert Justus Kleberg war ein anerkannter Jurist und Richter und kam in Texas zu hohen Ehren. Als „Held von San Jacinto“ ist er in die Annalen eingegangen. Von den Schwierigkeiten bei der Landnahme, von Auseinandersetzungen mit der mexikanischen Regierung und den Ureinwohnern, den Indianern, erzählt dieses Buch. Das erste Klavier in Texas kam aus dem Kreis Höxter, und der erste Kindergarten dort wurde von einer Aussiedlerfrau aus unserer Heimat gegründet. Möglicherweise gibt es in den von texanischen Behörden errichteten Stammbäumen einige Übertragungsfehler. Die Geburts- und Sterbedaten werden zum Teil unterschiedlich beschrieben. Auch Angaben über die Herkunft der Pioniere sind problematisch. Die Familie von Roeder aus Marienmünster lebte zum Beispiel zeitweise auf der Oldenburg, einem Stammsitz in der Nähe von Marienmünster. Hier wird die Oldenburg mit der Stadt Oldenburg verwechselt. Im Grunde müsste die Siedlungs­ geschichte, soweit sie die Personen aus dem Kreis Höxter betrifft, teilweise umgeschrieben werden. Hermann Multhaupt

* Wahrscheinlich schrieb sich „Kleberg“ ursprünglich mit „ee“, wurde jedoch amerikanisiert.

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Wild Cat Spring 24th of March 1835 „Meine liebe Schwester, Du bist nicht gekommen. Von Tag zu Tag und Monat zu Monat haben wir in der Hoffnung gelebt, dich in unsere Arme zu schließen und aus deinem Munde alle die neuesten Nachrichten zu hören, die unsere Familie und unsere Freunde betreffen, die wir zu Hause zurückgelassen haben. Bitte, schieb deine Abreise nicht auf. Die Überfahrt wird dir lang genug vorkommen. Das Leben hier ist rau. Du wirst die Oper und das Theater und deine guten deutschen Bediensteten vermissen. Gott, wie ich Amalie und Sophie vermisse! Aber du wirst bald unsere schwarzen Dienstboten akzeptieren (ich hasse das Wort Sklave), ein sehr zufriedenstellender Ersatz. Sie sind großherzige, bescheidene Menschen und lernen unsere Lebensart schnell. Sie lernen Deutsch schneller als wir Englisch lernen.“ – So beginnt ein in Texas geschriebener Brief der Baronin Caroline Louise von Roeder, vorher wohnhaft in Marienmünster im Kreis Höxter, an ihre Schwester in der Heimat. Ende des Jahres 1834 ist sie mit ihrer Familie, ihrem Schwiegersohn Robert Justus Kleberg aus Beverungen und dessen Bruder Louis mit dem Ziel Amerika ausgewandert. Die neue Existenzgründung war eine Odyssee. Doch der Brief der Baronin gibt Aufschluss über die teilweise chaotischen Verhältnisse im Land und die Konflikte miteinander. Sie schreibt weiter: „Sicherlich bringst du alle Schallplatten mit, die du auftreiben kannst. Mein Klavier ist in ausgezeichneter Verfassung, jetzt, nach der abenteuerlichen Ankunft nach der Reise und dem Herumziehen nach hier auf der Suche nach unserem endgültigen Siedlungsort. Und versäume nicht, die kompletten Werke Goethes mitzubringen. Vorgestern, am dritten Todesjahrestag des Dichters, haben wir uns versammelt und laut aus seinen Werken gelesen. Ludwig las das schöne Gedicht: ,Wor te nur blade ruhest du such‘ - Warte nur, balde ruhest du auch.‘ Wir alle weinten. Robert Kle-

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berg begann zu schluchzen und ging hinaus unter die Bäume. Er ist ein tatkräftiger junger Mann, nicht groß von Statur, aber mit einem Löwenherzen und dabei auch empfindsam. Seine Meinung ist gesund, und alle seine Gewohnheiten sind moderat. Ich wünschte, meine Söhne kämen ihm nach und seine Brüder folgten seinem Vorbild. Ich bedauere, dir mitteilen zu müssen, dass unsere Hoffnungen, die Übersiedung nach Amerika – wo es doch eine allumfassende Übereinstimmung mit den Zielen der Demokratie gibt –, würde meine Söhne aus dem Teufelskreis ständiger Debatten und gewalttätiger und tragischer Konflikte entlassen, in die sie, wie du dich erinnern wirst, mit den Mitgliedern des Königshauses an den Universitäten verstrickt waren, enttäuscht wurden. Ludwig und ich haben dafür plädiert, die Waffen beiseitezulegen. Doch sie wollen sich nicht von ihren deutschen Waffen trennen. Alle Tage, ob auf dem Pferd oder bei der Arbeit, bei den Mahlzeiten, in Gesellschaft oder sonst irgendwo stolzieren sie einher und prahlen mit ihren klirrenden Säbeln und Schwertern. Nach den Worten Hamlets ,Es ist nicht, und es wird auch nimmer gut‘. Es ist eine gefährliche und bestimmte Aufforderung zum Kämpfen und Blutvergießen. Ach, die Amerikaner sind nicht besser, und sie sind doch unsere einzigen Verbündeten. Sie können nicht ohne Pistole leben. Sie schlafen mehr mit ihren Gewehren als mit ihren Frauen. Und dieser Krieg steckt die Grenzen ab in dieser zänkischen Welt. So ist es immer. Und das führt mich zu der bittersüßen Hochzeit unseres abenteuerlichen, tollen Sohnes Sigismund, dessen Duell mit dem Prinzen von Preußen und bedingte Begnadigung vor dem Gefängnis uns alle nach Mexiko brachte. Er hatte eine schnelle Hochzeit in San Felipe, nachdem er einen Mann mit demselben Schwert getötet hatte, das den Prinzen von Preußen schlug. Louis (Lewis) Kleberg war anwesend und sah beides, sowohl das Töten und die Hochzeit in einem Zeitraum von zwanzig Minuten…“ Benjamin Buckingham galt als ein bisher vom Glück gesegneter Mensch. Der junge Mann aus Kentucky war zu einigem Wohlstand gekommen, und nun holte er seine hübsche Braut zur Hochzeit in sein Haus inmitten seiner Plantagen am Brazos River. Es ging lustig zu, wie das so ist, wenn

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sich ein Dutzend junger Menschen versammelt. Man tanzte, trank, sang, lachte, bis endlich, wie es in dieser Neuen Welt Brauch ist, die Männer zu den Karten griffen und um ihr Glück zu spielen begannen. Zuerst war es ein geselliges Spiel. Die Preise waren niedrig. Aber bald rasteten die Verlierer aus. Sie wollten aufgeben oder das Schicksal herausfordern. Sigismund wurde von der Göttin Fortuna am meisten begünstigt. „Ich steige aus“, sagte einer der jungen Männer. „Spielverderber!“, rief ein anderer. Das Gemurmel der anderen jungen Leute deutete an, dass ihnen die Szene unbehaglich erschien und sie die Karten am liebsten auch hingeworfen hätten. Noch eine Weile hielten sie das Spiel aufrecht, dann zog sich einer nach dem anderen zurück. „Du hast ein Glück“, flüsterte Kevin Donegal dem Sigismund zu, „steckst du mit dem Teufel im Bunde?“ „Ich? Nein, er mit mir“, scherzte Sigismund. Nachdem auch John Steel ausgeschieden war und William Drumcliff den Raum verlassen hatte, blieben Benjamin und Sigismund die einzigen Kontrahenten. „Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu“, raunte Max Mulligan seinem Nachbarn zu. „So eine Glückssträhne für den Neubürger – ist doch ungewöhnlich.“ „Und ungeheuerlich.“ Die Neugierde hielt sie am Platz. Sie übernahmen wie die anderen die Rolle der Zuschauer. „Höre, Benjamin, ich will dir entgegenkommen. Lass uns die Einsätze verringern“, schlug Sigismund vor. „Aha, du fürchtest wohl, du könntest deine ganze Barschaft verlieren, wenn ich dich gleich schlage, was? Wir spielen weiter, wie gehabt.“ Das Spiel zog sich hin. Die Stunden zerrannen. Sie spielten und tranken. Eine dumpfe Stimmung lag über dem Raum, so wie die Luft dumpf und stickig war. Die Wanduhr rasselte. „In einer halben Stunde ist Mitternacht. Ich mache mich auf den Heimweg“, sagte Fred Wayne. „Wer geht mit?“

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Doch die anderen blieben, denn das Spiel wurde immer spannender und die Gewinnchancen Sigismunds stiegen weiter. Benjamin Buckingham gab sich nicht geschlagen, denn zwischendurch landete er einmal ein gutes Blatt. Doch schließlich war seine Brieftasche leer. „Empty!“, rief er voller Zorn. Sein Gesicht war gerötet, ob von der Intensität des Spieles oder vor Zorn war schwerlich zu sagen. „Hören wir auf?“ Sigismunds Frage beantwortete Buckingham mit einem entschiedenen „Nein!“ Die Stunden zogen sich hin, der Alkohol floss, die Morgendämmerung sickerte durch die Fenstervorhänge. „Hier!“ Benjamin Buckingham zog einen Kaufvertrag für Maulesel aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch. „Die Tiere gehören dir.“ Bald waren auch die Arbeitspferde, ein Paar Ochsen, das dazugehörige Geschirr, Wagen, Pflüge, Sättel und Werkzeuge einschließlich des Futters für die Tiere verspielt. „Hören wir auf, Benjamin. Du ruinierst dich.“ „Quatsch. Am Ende gewinne ich und dann lässt du die Hosen herunter.“ Halb wie von Sinnen schickte Buckingham um Papiere für Wechsel für die verschiedenen Parzellen. „Bist du noch bei Trost? Hör endlich auf! Du verspielst dein Vermögen“, rieten die Freunde und drängten Buckingham vom Spieltisch. Doch er leistete erbittert Widerstand. „Ich will nicht aufhören!“, schrie er in der Raserei eines leidenschaftlichen Spielers. „Mein Glück kommt zurück! Ihr wartet und werdet sehen!“ Natürlich konnte auch Sigismund nicht aufgeben, da ihn doch die Glückssträhne verfolgte. Buckinghams Sklaven kamen einer nach dem anderen ins Haus, arme, schwarze Habenichtse, Männer, Frauen und Kinder. Sie hielten sich im Vorraum auf und machten betretene Gesichter. Würde man sie auch verschachern? Sigismund brachte den Kaufvertrag vorsichtshalber in Sicherheit und beschwerte ihn mit einem großen roten Ziegelstein vom Brazos River. Das Spiel ging weiter. Die restlichen Zuschauer versorgten sich mit saftigem Beef und Sandwiches mit wildem Truthahn, die ihnen von der

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